Es gibt sie nicht allzu häufig, aber es gibt sie: die Fanfiction, die keine ist. Es handelt sich dabei um sogenannte AUsreden, AUs, die so weit vom Kanon entfernt sind, dass das Fandom darin eigentlich nicht mehr erkennbar ist. Es werden wahllos Namen aus dem Fandom gewählt und in einen völlig neuen Kontext gesetzt, der nichts mehr mit dem Original zu tun hat.
Eigentlich eine sehr klare Definition, wie ich finde. Als ich neulich eine solche Fanfiction mit dem Zusatz kommentierte, warum die Autorin denn nicht gleich ein eigenes Werk schreibe, Wattpad sei dafür ohnehin viel besser geeignet, wurde ich eines besseren belehrt. Ihre Antwort lautete wörtlich: „Ich bin der Meinung eine FF ist dazu da, um sich Dinge hinzuzudenken und auch die Handlung etwas zu ändern."
Ich sagte ihr, dass sie damit zwar grundsätzlich Recht habe, „etwas“ in ihrem Fall aber ein starker Euphemismus sei. Im Übrigen gingen dann ihre Fans mit Fackeln und Mistgabeln auf mich los, der Kindergarten, der den Aufstand probt und so weiter.
Nun, jedenfalls brachte mich das zum Nachdenken, wo denn eigentlich Fanfiction anfängt und so wie aufhört, was sie leisten muss und was nicht.
Grundsätzlich ist eine Fanfiction eine Adaption eines Originals wie jede andere auch, mit den Beschränkungen und Möglichkeiten ihres Mediums Schriftsprache versehen. Der Autor einer Fanfiction ist nicht der Schöpfer des Originals, sei es Buch, Film, Spiel oder was auch immer. Das heißt, er bringt immer seine eigene Note mit hinein. Eine Fanfiction kann also keine eins zu eins Adaption ihres Originals sein, sondern beinhaltet stets mehr oder weniger viel Interpretation seitens ihres Autors.
Schlussendlich bleibt eine Fanfiction aber eine Adaption eines Originals, welches sie interpretiert, vielleicht sogar in einen neuen Kontext setzt (Modern AUs zum Beispiel). Gehen wir zum Beispiel von einer Buch- oder Comicverfilmung aus, dann hatten wir es bereits öfters, dass die Fans des Originals auf die Barrikaden gingen, als die Filmproduzenden die Vorlage völlig neu gestalteten. Ich hörte, auch wenn ich das selbst nicht beurteilen kann, dass das bei einer früheren Deadpool-Interpretation der Fall sein soll, als er noch keinen eigenen Marvel-Film, sondern nur eine Nebenrolle in einem hatte. Oder Eragon, der Film floppte ebenfalls beträchtlich, weil vom Buch nur noch sehr wenig vorhanden war – und auch sonst der Film einige Mängel hatte.
Badfictions – und für mich sind Fanfictions, die keine sind, immer Badfictions – haben nun einmal warum auch immer die Angewohnheit, eine gewisse Fanbase zu haben. Warum, das ist ein anderes Thema. Wahrscheinlich hat, womöglich sogar aus denselben Gründen, auch die Eragon-Verfilmung – und wenn ich böse bin, nenne ich hier auch die Hobbit-Trilogie – ihre fünf Fans. Das ändert schlussendlich nichts an der Qualität.
Alternative Universe hat seine Berechtigung, auch wenn ich persönlich es nicht allzu sehr mag und es nur sehr selten und in der Regel in Parodien verwende. AUs sind eine Form der Interpretation, welcher Art auch immer. Man kann mit ihnen alternative Ereignisse erforschen oder auch überlegen, wie Personen in einer anderen Situation handeln würden und so weiter und so fort. Es gibt einige Möglichkeiten. Schlussendlich ist wichtig, dass das Original noch immer deutlich hervorscheint, denn das ist es, was eine Fanfiction ausmacht.
Über Kanonnähe beziehungsweise -ferne kann man sich streiten. Ich führe gelegentlich Diskussionen mit allosaurus über meine Elrond-Interpretation. Ich weiß, dass sie recht eigen ist, bin aber immer noch der Meinung, dass sie mit dem Kanon vereinbar ist. Er sieht das anders, er ist aber auch ein wesentlich größerer Kanonnazi als ich ;)
Schiller sagt zu den Aufgaben der Literatur unter anderem, dass Literatur eine freie Darstellung ist, die dem Zweck der Sache dient. Als Beispiel dient sein Werk Maria Stuart, in welchem Stuart eine junge hübsche Frau ist, obgleich das nicht den historischen Tatsachen entspricht, womit er aufgrund ihrer Attraktivität zusätzliche Spannung in sein Werk einbringen kann. Das kann man auch auf Fanfictions übertragen. Eine Abweichung vom Kanon ist dann gerechtfertigt, wenn ein konkreter Grund vorliegt, wenn der Autor eine ganz bestimmte Aussage treffen will, indem er die Abweichung vornimmt.
Es ist allein meinem persönlichen Geschmack geschuldet, dass ich auch kleine Abweichungen vom Kanon nicht mag und mich lieber stringent an das Original halte. Bei mir wäre Maria Stuart also keine junge, bildhübsche Frau, sondern eine Dame reiferen Alters.
Interpretationen können unterschiedlich ausfallen, das zeigt mein Beispiel mit Elrond. Dann muss jede Seite jedoch gut und nachvollziehbar begründet sein. Oftmals ist es jedoch leider so, dass Abweichungen vom Kanon entweder aus Faulheit, weil Keks oder aus Unwissenheit geschehen, was man auch sehr schnell beim Lesen merkt. Mein Beispiel vom Anfang ist ein solcher Fall. Man sah dem Text deutlich an, dass die Autorin sich nicht um den Kanon scherte, sondern das bisschen, was sie darüber weiß, lediglich dazu nutzte, um generische Mary Sue Nr. 12.421 einzuführen. In diesem Fall hat das nichts mit persönlichem Geschmack zu tun, wie die Autorin behauptete. Sie sagte mir: „Wenn du der Meinung bist, dass ich das zu viel oder unangemessen gemacht habe, dann ist das so.“ Hier liegt schlicht der Fakt vor, dass der Text nicht die Aufgabe einer Fanfiction erfüllt.