Es ist schrecklich.
Ich habe es getan.
Ich habe etwas getan, was man nie tun sollte, was man immer unterlassen sollte, wovor man immer gewarnt wurde. Zumindest wurde ich das immer. Und ich habe diese Warnungen in den Wind geschlagen. Das habe ich bitter bereut.
Aber da ich möchte, dass niemals jemand so leidet, wie ich es tue, habe ich mich intensiv mit dem Thema ‚Engel‘ auseinandergesetzt und daraus entstand die vorliegende wissenschaftliche Abhandlung.
Eine wissenschaftliche Abhandlung über die Gefährlichkeit der Engel, insbesondere im Bezug auf ‚Racheengel‘ und ‚Halbengel‘
1. Einleitung
Engel. Eigentlich schöne, friedliche Geschöpfe des Himmels, mit strahlenden Flügeln, wenn man ganz ins Klischee gehen möchte, auch in weißem Kleid und mit blonden Ringellocken. Hin und wieder auch mit einem Heiligenschein.
Schöne Wesen, die den Menschen seit Anbeginn der Zeit begleitet, geleitet und geholfen haben. Manch einer munkelt, nach dem Tod käme man als Engel in den Himmel. Vorwiegend Harfe spielend sitzt man auf den Wattewolken und schaut auf die Erde hinab.
Tja, ich kann leider nicht Harfe spielen. Aber vielleicht tut es eine Trommel auch. Oder eine Triangel. Wie dem auch sei.
2. Was sind Engel?
Mein großer Fehler … nun. Zunächst muss man wissen, dass eine Ansicht der Welt grundlegend falsch ist. Eigentlich merkt man das sogar schon an einem bestimmten Wort unserer Sprache.
Nicht alle Engel sind lieb und gut und brav. Es gibt auch Engel, die haben einen Gefallen daran gefunden, andere Leute zu provozieren und zu reizen. Aber wehe, man wehrt sich. Dann üben sie Rache. Die Rede ist vom „Racheengel“.
Schon die Literatur kennt dieses Wort. Wie oft habe ich schon den Satz gelesen „… und er (wahlweise auch sie) stand wie ein Racheengel im Türrahmen/im Raum/im Schweinestall. Wo auch immer. Die Racheengel sind eine ganz eigene Kategorie von Engeln. Fürchterlich egoistisch, fürchterlich reizbar, fürchterlich überheblich. Unverschämt und aufgeplustert obendrauf. Und sehr hitzig. Heißblütig, obwohl, in diese Kategorie fallen nicht alle. Jedenfalls haben diese Engel alle eine Gemeinsamkeit: Reize sie niemals, sie üben Rache. Zu einhundertprozentiger Wahrscheinlichkeit. Ganz bestimmt. Und die Rache fällt selten harmlos aus, dafür sind diese Engel zu bösartig. Da kann es schon mal vorkommen, dass man wegen läppischer drei Sätze gleich einen ganzen Liedtext aufgebrummt bekommt.
Wie gesagt, ich wurde gewarnt. Und ich habe die Warnungen nicht ernst genommen.
Im Gegensatz zu ihren Schwestern (und Brüdern) aus dem Himmelreich (ihr wisst noch, die mit den engelsblauen Locken und kornblumenblonden Augen) sind die Racheengel aus der Unterwelt meistens dunkel gekleidet. Zumeist haben sie auch dunkle Haare. Und schwarze gefiederte Flügel. Hin und wieder blitzt ein blonder Haarschopf durch, das kommt daher, dass manchen Engeln es im Himmelreich langweilig wird (und mal ehrlich, so schön es ist, auf Wattewolken zu sitzen und Harfe zu spielen, irgendwann will man mal was anderes tun. Und irgendwann tun einem die Finger weh). Diese sind allerdings nicht sehr oft zu sehen, oftmals färben sie ihre Haare auch, damit sie sich nicht so von ihren Mitracheengeln abheben.
3. Eine Frage zur Kleiderwahl und dem Sinn der Engelsklischees
Kommen wir zu einer weiteren Frage: Warum tragen die Engel des Himmels immer ein weißes Kleid und haben stets kornblumenblondeblaue Augen und engelsblonde Locken? Erstens, wenn die Engel nicht blond wären, gebe es die Farbe ‚Engelsblond‘ nicht. Und das wäre schade.
Bevor wir uns der Antwort der Frage widmen, kommen wir noch zur zweiten Frage: Warum zur Hölle haben die Racheengel immer dunkle Haare und sind dunkel gekleidet?
Habt ihr schon mal einen Engel gesehen? Im Himmel? In der Unterwelt? Nein? Eben.
Versteht ihr nicht? Ich erkläre es euch.
Ihr habt doch bestimmt schon von den Birkenspannern gehört (nein, keine Menschen, die in Birken sitzen und spannen, sondern eine Falterart). Es gab dunkle und helle. Als die Umweltverschmutzung noch nicht so groß war, konnten sich die hellen Birkenspanner viel besser tarnen und der Bestand der dunklen ging zurück. Dann kam die Zeit, in der die Luftverschmutzung größer wurde, die hellen konnten auf den geschwärzten Flächen besser von Räubern gesehen werden, die Dunklen Birkenspanner breiteten sich aus. Nachdem Gesetze zur Verringerung der Luftverschmutzung verabschiedet wurden, passierte das Umgekehrte wieder.
Ihr wisst jetzt, worauf ich hinauswill? Ganz genau, die gute alte Tarnung.
Die Engel im Himmel müssen blond sein und weiße Kleider tragen, sonst wären sie zwischen den Wolken viel zu gut zu sehen. Ebenso müssen die Racheengel dunkel gekleidet sein, denn wie oft hat der Rachegeist im Dunkel der Nacht zugeschlagen? Da wären weiße Kleider ein Problem. Harfenspiel während des Anschleichens übrigens ebenso.
Diese Beispiele zeigen sehr gut, dass die Engelsklischees bis zu einem gewissen Teil der Wahrheit entsprechen müssen. Immerhin kann man sie logisch erklären.
4. Halbengel
Besonders lästig sind auch die sogenannten Halbengel. Diese Engel (eigentlich sind sie ja keine Engel, aber auch keine Menschen, dementsprechend wäre ‚Halbmensch‘ ebenso korrekt, klingt aber nicht so elegant) leben im Zwischenraum zwischen Unterwelt und Himmel. Und dreimal dürft ihr raten, wo das ist.
Genau, bei uns. Unter uns, zwischen uns, mit uns. Immer und überall. Man kann sie nicht meiden, man kann ihnen nicht aus dem Weg gehen, denn im Gegensatz zu den Racheengeln der Unterwelt und den Engeln des Himmels haben diese ‚Halbengel‘ keine Flügel. Auch unterscheiden sie sich nicht sonderlich von uns Menschen. Durch die Mischung aus Engel und Mensch können diese ‚Halbengel‘ jede beliebige Haar-, Augen- und Hautfarbe annehmen. Sie sind nicht auf schwarze oder blonde Haare beschränkt.
Diese ‚Engel‘, welche zumeist aus einer der gelegentlichen Liaisons zwischen (Rache)Engel und Mensch entstammen, zeichnen sich zumeist durch extreme Stimmungsschwankungen aus, ähnlich wie die Menschenkinder zur Zeit der Pubertät. Diese Stimmungsschwankungen sind unterschiedlich, je nach dem, ob ein Himmelsengel, oder ein Racheengel zu ihrer Zeugung beigetragen hat.
4.1 Himmelshalbengel
Entstammt der Halbengel aus einer Himmelsengel-Mensch Beziehung, so verbergen sich hinter ihnen meist Personen, die im Volksmund auch als ‚guter Engel‘ bezeichnet werden. Zwar können diese Halbengel sehr impulsiv sein und auch einmal ihre Stimme erheben, jedoch gelten sie im Allgemeinen als friedlich, hilfsbereit und freundlich. Selbstverständlich darf man an dieser Stelle nicht vergessen, dass sie auch Menschenblut in sich haben, demnach ist ihnen auch gelegentliche Arroganz, Engstirnigkeit und böser Humor nicht fremd. (Sind ja auch nur Menschen. Zumindest zur Hälfte.) Ist man sich (erstaunlicherweise) sicher, dass man einen Halbengel vor sich hat, kann man den Unterschied zwischen Himmelshalbengel und Rachehalbengel sehr leicht feststellen, aber dazu später mehr.
Diese Engel sind relativ ungefährlich, sie verfügen über nicht mehr und nicht weniger Rachegelüste als ein durchschnittlicher Mensch.
4.2 Rachehalbengel
Kommen wir zur zweiten Kategorie. Den Halbengeln, die von einem Racheengel abstammen.
Auch diese können sich in der Masse der Menschen ebenso gut verstecken wie ihre Artgenossen. Äußerlich sehen sie den Menschen ähnlich, doch innerlich sieht es anders aus.
Diese Art der Halbengel zeichnet sich durch Starrsinn, Störrischkeit, extreme Arroganz und Rücksichtslosigkeit aus. Wie die Vollblütigen Racheengel sind auch die Rachehalbengel sehr versessen darauf, ihren Stolz zu bewahren und Gnade dem, der sie ärgert oder reizt. (Oder provoziert, wie gesagt, ich habe die Warnungen in den Wind geschlagen.)
Der Anteil an Menschenblut, der bei den Himmelshalbengeln für ein Gleichgewicht in Richtung der bösen Seite sorgt, sorgt bei den Rachehalbengeln für ein Gleichgewicht in Richtung der guten Seite. Dadurch, dass ihre Gefühlswelt ausgeglichen wurde, ist es schwer, sie von gewöhnlichen Menschen zu unterscheiden. Hat man aber einen Halbengel vor sich, kann man sehr schnell erkennen, was für einen man vor sich hat.
5. Unterscheidung zwischen Engel, Himmels- und Rachehalbengel
Oftmals reicht ein Blick in die Augen, um die Zugehörigkeit des Halbengels festzulegen. Himmelshalbengel haben meistens einen sanften Blick, hin und wieder auch belustigt schimmernd, während Rachehalbengel zumeist ein bisschen verschlagen dreinschauen (wobei man sich hier nicht zu einhundert Prozent darauf verlassen kann, da man nie weiß, wie viel Menschenblut der Engel in sich trägt). Ist man sich immer noch nicht sicher, dann reicht ein kurzes Gespräch meistens aus.
Racheengel neigen nämlich dazu, alle Scherze oder nett gemeinte Witze persönlich zu nehmen und sehen sich in ihrem Stolz verletzt. Zumeist haben sie dann auch schon die passende Rache im Hinterkopf. Sie sparen oftmals auch nicht mit bissigen Kommentaren.
Rachehalbengel finden sich meistens in großen Menschenmengen, sie lieben die Gesellschaft, aber nur, wenn sie im Mittelpunkt stehen. Oftmals neigen sie auch dazu, Kampfsport oder Waffenübungen zu betreiben. Allerdings sind sie oftmals gut im logisch Denken, sie können Rätsel lösen, die für viele Menschen unbegreifbar sind.
Himmelshalbengel sind musikalisch, wie ihre vollblütigen Verwandten im Himmel, sie können mit den Tönen ihre Gefühle auf wunderbare Weise wiederspiegeln.
Auf Veranstaltungen findet man sie meistens in den äußeren Bereichen der Menge vor, anders als ihre dunklen Schwestern (und Brüder) mögen sie Menschenmassen nicht sonderlich. Allerdings sind sie sehr fröhlich und es macht ihnen auch nichts aus, mit bekannten Leuten herumzuspringen und sich wild auszutoben.
Ist man sich also sicher, einen Halbengel identifiziert zu haben, sollte man sich auf dieses Schema berufen. Finden sich bei dem Verdächtigen nämlich Anzeichen, die auf beide Kategorien zutreffen, kann man sich getrost zurücklehnen. Bei dem Verdächtigen handelt es sich nämlich um einen Menschen.
Bei Engeln ist die Sache leichter, man erkennt sie schon an den voluminösen Flügeln. Sie kommen nur selten zur Erde, meistens nur für ein paar Minuten und haben in diesen auf den Menschen eine ähnliche Wirkung wie ein Kelpie. Mit dem Unterschied, dass der auserwählte Mensch nicht auf den Grund eines schottischen Sees gezogen wird, sondern zumeist mit einem Halbengel gesegnet wird.
6. Die endgültige Warnung
Die wichtigste Warnung, die ich euch mitgeben möchte ist: Lasst es nicht drauf ankommen. Wenn ihr in einer Person einen Halbengel vermutet, oder einen Racheengel zu Gesicht bekommt, haltet euch nicht mit einem Gespräch auf. Rennt. Auch, wenn ihr findet, dass böse Personen besonders anziehend sind, wie mir kürzlich jemand gesagt hat, lauft. Lauft, egal, was ihr euch bisher von Engeln gedacht habt. Es ist zu gefährlich. Viel zu gefährlich. Ihr bereut es. Rache(halb)engel vergessen nicht. Und die Strafe kommt, meistens in Form einer sehr unangenehmen Aufgabe.
Und seit gewarnt, auch Himmelsengel sollte man meiden. Ihre Harfenklänge mögen schön sein, jedoch haben sie die Eigenschaft, Menschen langsam aber sicher in den Wahnsinn zu treiben.
Ich spreche aus Erfahrung. Ich habe geforscht, mich mit dem Prinzip der engel‘schen Persönlichkeit auseinandergesetzt. Doch hier muss ich gestehen, dass ich meine eigenen Warnungen missachtet habe. Ich bin nicht abgehauen. Ich habe einen möglichen Rachehalbengel identifizieren können, doch mir fehlte der endgültige Beweis. Und so provozierte ich auf Teufel komm raus. Und nun sitze ich hier und schreibe diesen Bericht als meine Strafe als Warnung für andere Menschen.
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