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Die Ratte
Montagmorgen.
Nicht weit von den Pferdekoppeln entfernt liegt zwischen der Autobahn und der Innenstadt der morgendliche Nebel über dem Land, das nur von einigen Gäulen und von Feldmäusen bewohnt wird.
Ich sitze an der Straßenkreuzung, direkt gegenüber der Stadtverwaltung.
Das Hochprozentige in meiner Hand soll gegen die Kälte und die Feuchtigkeit helfen, die – wie man zu Recht sagt – in die Knochen kriecht.
Ich starre auf den Boden, auf den Müll, der herumliegt, und versuche, ihn genauso wie die alltägliche rollende Blechlawine neben mir zu ignorieren.
Ebenso wie die Sirenen und Blaulichter der Krankenwagen, die eilends zur Rettung von irgendjemandem unterwegs sind.
Wie so oft.
Vielleicht vergebens.
Es ist kaum zu ertragen.
Nicht auszuhalten.
Es ist dennoch das, was meine Wahrnehmung bestimmt.
Von hier aus sehe ich nur graue Häuser.
Die Menschen auf ihrem Weg zur Arbeit.
Sie sehen nicht besser aus.
Und dann den Himmel.
Ohne Hoffnung.
Ohne Besserung.
Dasselbe Grau.
Das reinste Grauen.
So viel kann ich gar nicht trinken.
Eine Ratte.
Grau.
Sie suchte bestimmt nach etwas Abfall,
muss ihre Kinder ernähren.
Allein.
Sie sprintet, auf der Flucht vor dem Verkehr über die Straße bis zur Mitte hin.
Da hält sie inne. Und entschließt sich zur Rückkehr.
Ich schaue wie gebannt auf das, was sich in wenigen Sekunden abspielt.
Ein Ringen um Leben und Tod.
Ich feuere sie an, weiterzumachen.
Und hoffe alles Gute für sie.
Doch erfüllt sich meine furchtbare Ahnung.
Sie stirbt bei dem Versuch zurückzukehren.
Das Leben überrollt sie.
Und da liegt sie.
Der Schädel zerschmettert.
Ein unrühmliches Ende.
Ein Leben weniger.
War es doch nur eine Ratte.
Es bricht mir das Herz.
Nur eine Ratte.
Ich lese sie von der Straße auf.
Alles verdient ein Grab.
Hinter den Büschen grabe ich mit bloßen Händen ein Loch.
Fuckin' Monday morning!
Hätte sie doch nur daran festgehalten,
ihren Weg fortzusetzen.
Trotz der Risiken.
Trotz der Gefahren.
Statt umzukehren
und dem Unheil, das sicher hinter einem lauert, zum Opfer zu fallen.
Plötzlich lichtet sich der graue Vorhang.
Sonnenschein dringt durch.
Fällt auf eine junge Frau
mit Kinderwagen.
Geht vorbei.
Leben.
Neues Leben.
Neue Hoffnung.
Und ich hoffe, dass sie nicht Opfer werden.
Trotz all dem Grau.
Dem Grauen.
Allein zurückzuschauen kann es nicht sein.
Den Blick nach vorne gerichtet.
Dann ist da vielleicht der Sonnenschein.
Und wir.
Hoffentlich.
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