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Wenn der Ossi die Keule schwingt

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16.03.25 21:25
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Am 09.11.1989 hatte der Film Coming Out im Berliner Kino International Premiere. Zeitgleich fiel die Mauer. Auf der Leinwand verliebte sich, erstmals in einem DDR-Film, ein Mann in einen anderen und stand am Ende auch zu sich selbst. Ja, sagte er, entschlossen in die Kamera blickend.

Charlotte von Mahlsdorf sagte später in einem Interview, dass an diesem Abend nicht nur die Liebe, sondern das ganze Land sein Coming out gehabt habe. Doch ein Coming out ist das öffentliche Bekenntnis zu sich selbst. Das allerdings fand bereits am 04.11.1989 auf dem Alexanderplatz statt. Am 09.11. wurde es indes unter Mauertrümmern begraben.

Seit nunmehr 35 Jahren ist der Unrechtsstaat Fakt. Absurd die Frage nach einem demokratischen Sozialismus, denn: Sozialismus gleich Diktatur. Einzig die Ostalgie wird lächelnd toleriert. Wenn DDR, dann aber nur noch als Amüsement. Stasi inklusive.

Am 04.11.1989 versammelten sich 600.000 Menschen auf dem Berliner Alexanderplatz und traten für eine Demokratisierung des Systems ein.

Vergessen!

Stattdessen: Ihr müsst Demokratie erst einmal lernen!

Eine sich ihrer selbst wieder bewusstwerdende Kultur wirkt auch politisch, indem sie den Sprung vom verdruckst geflüsterten: Es war ja hier nicht alles schlecht! hin zur politischen Teilhabe wagt, um so der gepredigten Alternativlosigkeit des Kapitalismus den Kampf anzusagen.

 

„Kunst ist Waffe!“

Dieser Satz stammt von Friedrich Wolf. Kunst müsse, wenn sie sich Kunst nennen wolle, immer den Anspruch haben, etwas bewegen zu wollen – und nicht nur das: Dem Kommunisten Wolf ging es um nichts Geringeres als um die Wandlung einer zutiefst zerrütteten, menschenfeindlichen Welt hin zu einer friedlichen.

Heute gilt gleichermaßen: Kultur ist Waffe! Sie ist ein Bollwerk gegen jene, die ihr Deutschland first! am lautesten in ostdeutschen Provinzen ertönen lassen können. Ein Bollwerk auch gegen deren geistige Brandstifter, die einen jahrzehntelangen Prozess der Abwertung und Dämonisierung in Gang setzten. Gegen ein von neoliberaler Ideologie zerfressenes System.

Als ich den Film Solo Sunny (Regie: Konrad Wolf, DDR 1980) sah, wusste ich sogleich, dass ich mir den Drehbuchautor merken müsse: Wolfgang Kohlhaase (1931-2022). Seine Liebe zu den Menschen zeigte sich darin, dass er ihre Sprache zu seiner eigenen werden ließ. Überdies besaß er einen hintergründig-schalkhaften Wortwitz, den er punktgenau zu formulieren verstand.

In der PNN vom 12.03.2012 heißt es, dass Filmkenner und Regisseure sein Können mit dem von Erich Kästner und Billy Wilder gleichsetzen.

Das ist wahrlich ein Ritterschlag.

Aber wer bedarf dieses Ritterschlags am meisten?

Doch wohl nur die, die Kohlhaase in ihren eigenen Kulturolymp hieven möchten.

Ihr Ossis, nun habt euch mal nicht so. Immer diese Nörgelei. Und außerdem: Wollt ihr euch allen Ernstes über das Problem der Ungleichbehandlung von Frauen und Minderheiten in unserer Gesellschaft hinwegsetzen?

Seit Kohl sich als unser Heilsprophet ausgab, werden bei uns nicht nur Frauen ungleich behandelt. Früher konnten wir dagegen problemlos von unserer Hände Arbeit leben. Selbstbestimmt und gleichberechtigt.

Man, das ist ja so lange her. Warum müsst ihr das immer wieder hervorkramen? Es gilt doch, die heutigen Probleme anzugehen.

Ja, Sternchen verteilen, die es früher nur in der ersten Klasse gab. Heutzutage kommt die gesamte Gesellschaft in deren Genuss.

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Kapitel: 5
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Wörter: 516
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Kurzbeschreibung

Vom Schicksal vieler ehemaliger DDR-Bürger.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Historik auch in den Genres Bildung, Alltag, Ironie und Nachdenkliches gelistet.