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Vater

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03.08.22 15:42
12 Ab 12 Jahren
In Arbeit

Mein lieber Papa,

jetzt bist Du schon 23 Tage tot. Über 3 Wochen. Erst 3 Wochen. Im Kinderzimmer brüllen die Kinder rum, aber ich glaube, sie spielen. Es ist schon kurz vor 22 Uhr. Inzwischen passiert es mir immer mal wieder, dass ich für Sekundenbruchteile das Gefühl habe, Du bist noch hier und ich wünsche mir manchmal, das glauben zu können. Dass ich einmal Gedanken haben würde, wie, dass Du der Wind bist, der in den letzten 23 Tagen immer mal wieder zu den passenden Gelegenheiten auftaucht, das hätte ich niemals gedacht. Hättst Du niemals geglaubt. Anton glaubt es. Ich wünsche mir, dass er Recht hat. Du fehlst mir. Der Papa, den ich seit März bis zum 10. Juli hatte. Und der, den ich wahrscheinlich vor längerer Zeit schon mal hatte. Der fehlt mir sehr.

Und in der Zeit vor März hat er mir auch schon gefehlt. Ich bin es also doch schon ein bisschen gewöhnt, dass Du mir fehlst. Aber erlaubt habe ich es mir lange nicht. Jetzt darf ich. Und du durftest. Und ich bin ehrlich dankbar für die Wochen, die wir beide nochmal ein bisschen Vater und Tochter sein durften. Weißt du, ich habe es Dir ja Deinem Sarg schon einmal gesagt; ich verstehe wahrscheinlich inzwischen mehr, als Du dachtest. Denn ich bin ja deine Tochter und habe eine ordentliche Portion von dem Mist, den Du mit Dir herum getragen hast, geerbt.

"Du dummer alter Mann!", habe ich an Deinem Sarg zu Dir gesagt. Denn ich war ganz schön wütend. Ob ich immernoch wütend bin, kann ich gerade gar nicht so genau sagen. Ich war wütend darüber, dass Du uns nicht gelassen hast. Vater und Tochter sein. lmmer nur stark sein. Für'n Arsch. Scheiß Idee war das.

Weißt Du noch als ich einmal geträumt habe, dass Du gestorben bist? Als ich dich nach dem Aufwachen angerufen habe, weil der Traum so real war. Als ich wissen musste, dass Du noch lebst? Dann bist Du runter gekommen und als ich Dir meinen Traum erzählt habe, hast du nur gesagt: "Aber ich lebe ja noch." Ich weiß das noch so genau. Denn es hat mich verletzt. Ich hatte das Gefühl, dass Du mich nicht ernst genommen hast. Stark sein. Voll für'n Arsch finde ich das!

Und im Krankenhaus an Deinem Bett, da durften wir beide schwach sein. Stundenlang. Du sogar noch mehr als ich. Ich durfte mich um Dich kümmern und ich habe es so, so gern getan. Endlich nicht mehr aufpassen müssen, was ich Dir sage. Sogar ein bißchen Liebe konnte ich da fühlen. Dass Du mich liebst. Hast Du mir ja fast ganz direkt sagen können. Danke.

Ein bisschen mehr von dieser Zeit. Das wäre schön gewesen. Noch lieber ohne Deine Schmerzen, die schlimmen Träume, die Dich gequält haben, ohne die beschissene Atemnot. Die Zeit hätten wir früher haben können. Konnten wir aber nicht. Konntest Du nicht. Und ich nicht. Weil ich Deine Tochter bin

Ich hab Dich lieb, mein Papa.

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BerndMooseckers Profilbild
BerndMoosecker Am 03.08.2022 um 1:12 Uhr
Hallo,
zuerst dachte ich, wer schreibt denn da? Jemand der sich Lumpensack nennt - komisch. Aber egal, ein Brief an einen Verstorbenen. Ja, das kann ich nachvollziehen und teilen. Deine Wut auch; und Deine Emotionen hast Du gut und verständlich dargestellt.

Ich schreibe auch Briefe an an das, was ich die Welt der Schatten nennen. Ich werde sie nicht veröffentlichen können. Beinahe sechzig Jahre Liebe und Vertrautheit müssen in meinem Inneren bleiben - nur sie darf davon erfahren. Wut empfinde ich auch, aber eher, weil sie mich allein gelassen hat.
Gruß Bernd
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Lumpensacks Profilbild
Lumpensack (Autor)Am 04.08.2022 um 20:02 Uhr
Vielen Dank für Dein Feedback! Ich habe meinen Brief erst nur als Beigabe zur Urne geschrieben. Dann hatte ich aber plötzlich das Gefühl, ihn teilen zu müssen.
In der Trauer ist alles erlaubt, finde ich.
Herzlichen Gruß!

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Lumpensacks Profilbild Lumpensack

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Sätze: 54
Wörter: 525
Zeichen: 2.761

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Diese Story wird neben Schmerz & Trost auch im Genre Trauriges gelistet.

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