Autor
|
Bewertung
Die Bewertungsfunktion wurde vom Autor deaktiviert
Statistik
Sätze: | 69 | |
Wörter: | 1.032 | |
Zeichen: | 6.395 |
Nach der Schule begleitete mich meine Klassenfreundin Lara zur Bushaltestelle. Dass wir gleich sexuelle Belästigung erleben würden, das ahnten wir nicht. Wir besuchten gerade die sechste Klasse. Vielleicht auch die Siebte. Ich erinnere mich nicht genau. Wir waren brave, schüchterne Mädchen. Richtige Spätzünder. Allein schon der Gedanke daran, mit einem Jungen sprechen zu müssen, machte mir damals Angst.
Die Bushaltestelle hatte mehrere Anfahrtsspuren und pro Anfahrtsspur noch mal drei Haltepunkte. Außer uns beiden war sonst gerade niemand da. Verwunderlich. Er war ein heißer Sommertag. Ein zarter, angenehm-kühler Wind streichelte unsere Haut. Wir hatten Gänsehaut und gute Laune. Die brauchten wir auch, denn wir hatten noch einiges an Wartezeit vor uns …
Sexuelle Belästigung an Bushaltestelle
Er kratze sich und starrte uns dabei lüstern an
Wenige Minuten später setzte sich ein älterer Mann auf eine Bank, die einige Meter rechts von uns stand. Ich schätzte ihn damals auf 65 Jahre. Er schaute uns an. Aus diesem Anschauen wurde bald ein unangenehmes Starren. Dann fing er an, sich langsam an seinem Oberschenkel zu kratzen. Dieses Kratzen wurde immer heftiger und sein Anstarren immer intensiver. Das Kratzen ging über in eine ruckartige Auf- und Abbewegung seiner Hand …
Obwohl ich das Ganze in meiner Unschuld zuerst nicht richtig einordnen konnte und irritiert war, fühlte ich vor allem drei Dinge: Scham, Ekel und Ohnmacht. Ich wusste, das hier irgendwas gewaltig falsch lief. Als ich dann endlich durchgeblickt haben, was es war, kam in mir eine große Wut auf. Dass nicht nur ich wütend war, merkte ich daran, dass Lara den Mann plötzlich anschrie, dass er sofort aufhören soll. Ich schrie mit. Doch er hörte nicht auf. Unsere Reaktion schien ihn noch mehr Lust zu bereiten. Als wir ihm schließlich mit der Polizei drohten, stand er schreckhaft auf und humpelte davon …
Das Danach
Die Polizei gerufen haben wir damals nicht. Wir waren einfach nur froh, dass er weg war. Dass der Mann wahrscheinlich öfters vor Frauen, Jugendlichen oder Kindern masturbierte oder vielleicht noch Schlimmeres, daran haben wir damals nicht gedacht. Wir wussten auch nicht, dass der Vorfall eine Tat darstellte, wegen der man die Polizei hätte rufen können. Und selbst wenn wir das alles gewusst und bedacht hätten, hätten wir es wahrscheinlich trotzdem nicht getan. Es wäre uns einfach zu peinlich gewesen, darüber zu sprechen.
Gleichzeitig fanden wir, dass das, was da geschehen war, zwar sehr unangenehm aber doch irgendwie harmlos war. Schließlich ist uns ja nichts Weiteres passiert. Lara und ich sprachen nie wieder darüber miteinander. Damals war ich ein Teenager. Heute bin ich eine erwachsene Frau und diese Erfahrung hat sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt.
Ich erzählte es 300 Leuten
Zum ersten Mal habe ich von dieser einprägsamen Erfahrung wieder auf der Bühne bei einem Theaterprojekt erzählt – vor mehr als 300 Zuschauern. Das Stück bestand aus mehreren (auto)biografischen Geschichten zum Thema Frausein. Die Erzählerinnen vor mir bekamen nach ihren Auftritten tosenden Applaus. Mein Auftritt hinterließ jedoch eine unangenehme Stille. Ich war verwundert und enttäuscht. Ist mir mein Auftritt etwa nicht gelungen? Konnte man mich nicht richtig verstehen oder war nicht ganz klar gewesen, wann das Ende meines Auftritts war?
Nach der Aufführung kamen jedoch Frauen zu mir, die tief berührt waren von meiner Geschichte. Frauen mit Tränen im Gesicht. Frauen, die ähnliches oder auch viel Schlimmeres erlebt haben. Sie bedankten sich bei mir. Die Regisseurin erzählten mir später, dass ihre männlichen Freunde, die im Publikum saßen, es als höchst unangenehm empfanden, sich meine Geschichten anzuhören. Ich hatte von mehreren Erlebnissen erzählt und die Freunde der Regisseurin schämten sich für das Verhalten ihrer Geschlechtsgenossen. Ich merkte, dass das, was ich erlebt habe, vielleicht doch gar nicht so eine harmlose war.
Sexuelle Belästigung: ein Teil der Gesellschaft
Als Kind, Jugendliche oder Erwachsene – ständig sind mir solche „Kleinigkeiten“ passiert, die eigentlich keine Kleinigkeiten waren: Von anzüglichen oder abwertenden Sprüchen gegenüber meinen Körper, über "Liebesnachrichten" in den sozialen Medien bis zum öffentlichen Begrapscht-Werden als Kellnerin in einer Bar.
Das Erschreckende daran ist, dass meine Erfahrungswelt keine Ausnahme, sondern die Regel ist. Die meisten Betroffenen erleben weitaus Schlimmeres als ich. In Deutschland wird laut Schätzungen durchschnittlich jedes 4. Mädchen und jeder 8. Junge sexuell missbraucht. Die sexuellen Übergriffe auf Erwachsene werden hier nicht mitgezählt. Jeder Missbrauch hinterlässt lebenslange Spuren – meistens eine posttraumatische Belastungsstörung. Ich habe mal ein YouTube-Video gesehen, in dem eine ältere Dame gefragt wurde, was für sie das Schlimmste im Zweiten Weltkrieg war. Sie erzählte von ihrer Vergewaltigung durch einen Soldaten, der ihr währenddessen eine Pistole an die Schläfe hielt. Den tiefen, seelischen Schmerz der Frau konnte ich durch den Bildschirm spüren. Von den Schicksalen aus dem Menschenhandel, der Zwangsprostitution und Kinderpornografie möchte ich an dieser Stelle erst gar nicht anfangen …
Gerade, weil es so viele so schreckliche Fälle von sexueller Gewalt gibt und sexuelle Belästigung alltäglich vorkommt, nehmen wir das Zweite fast als normal hin. Doch es sollte – nein dürfte nicht! – einfach als Teil der Gesellschaft akzeptiert werden.
Was kann man tun?
Ich suche immer noch nach einer Lösung für dieses Problem. Fehlt es da etwa an Aufklärung? Natürlich war die MeToo-Bewegung, die im Oktober 2017 durch den Weinstein-Skandal ausgelöst worden ist, ein guter Schritt in die richtige Richtung. Doch zum erhofften Ziel hat es uns nicht geführt, denn sonst wäre ja nicht ein Fernsehbeitrag wie Männerwelten notwendig gewesen.
Eine strikte Gesetzgebung wäre sicherlich nicht daneben. Doch diese hat meistens keinen allzu großen präventiven Wert auf sexuelle Belästigung und Gewalt. Ein wichtiger Faktor ist sicherlich auch eine Erziehung, die aufzeigt, dass man die Grenzen anderer zu akzeptieren, zu respektieren und zu wahren hat. Und auch, dass man seine eigenen Grenzen vor anderen deutlich definieren und schützen darf.
Letztendlich muss jeder für sich selbst entscheiden, einfach mal niemanden zu belästigen. Doch wie bekommen wir diese Einstellung in die Köpfe und Herzen aller?
Die Kommentarfunktion wurde für diese Story deaktiviert
0
|
Klatschkopie • Am 11.10.2022 um 22:18 Uhr • Mit 1. Kapitel verknüpft | |||
Hi, ich bedanke mich dafür, dass du mit uns dein Erlebnis geteilt und auch Überlegungen angestellt hast, wie man sexueller Belästigung begegnen sollte. Wichtig erscheint mir die Erziehung, die Selbstbewusstsein aufbaut und deren Ziel es ist, dem Kind klarzumachen, dass es immer und überall das Recht hat, sich gegen Berührungen jeglicher Art, zur Wehr setzen zu dürfen. Dass es nicht hinnehmen muss, was es nicht möchte. "Mein Körper und meine Psyche gehören mir - und nur mit!" Ich denke, dass ein selbstbewusstes Auftreten viele der Täter, die du beschreibst, davon abhält, sich öffentlich zu erregen. Sie lassen ab, weil sie sich von der Angst, der Naivität, der Arglosigkeit ihrer Opfer nähren. Ein ganz anderes Kapitel, jedoch ins Obige hineinspielend, ist, dass Frauen - und auch Männer - noch immer und immer mehr als Sexualobjekte wahrgenommen werden. Wir leben in einer übersexualisierten Gesellschaft, sagen, dass der Mensch im Mittelpunkt stehe, definieren ihn jedoch über sein Geschlecht. Das Gendern hat nichts mit Sichtbarmachung der Ungleichbehandlung von Mann und Frau zu tun, als vielmehr mit der Sichtbarmachung der Übersexualisierung. Plötzlich möchte jeder wenigstens queer sein, ein einfaches CIS tut es nicht mehr. Hipp ist nur der, der sexuell gesehen extraordinär ist, um ein franzöisches Wort zu benutzen. Das in seiner hiesigen Erscheinungsform sogar noch viel besser passt, als das schnöde "außergewöhnlich". Darüber hinaus lassen wir es zu, dass die Sexualisierung auch von Einwanderern aus dem muslimischen Kulturkreis weiter vorangetrieben wird - indem wir es in unseren Schwimmbädern gestatten, dass bereits kleine Mädchen - Kinder - einen Burkini tragen müssen - und so allen sichtbar gemacht wird, dass sie nach muslimischem Verständnis bereits eine Frau ist. Nicht zu sprechen davon, dass muslimische Männer europäische Frauen größtenteils sowieso als Freiwild betrachten, da sie sich nicht der muslimischen Kultur entsprchend verhalten und kleiden. Dein Ende finde ich ein wenig mau, denn in den Köpfen der Täter läuft etwas ganz anderes ab, als du hier implizierst. Den Mann, der dir einst begegnete, sehe ich genau vor mir: ein alter, geiler Kerl, der sich seine Möglichkeiten sucht. Der braucht Befriedigung seines Triebes und wird sich nocht fragen, was die Gegenseite dabei empfindet. Aber natürlich hast du recht, dass man die Täter dahingehend sensibilisieren kann, indem man ihn gerade das klarmacht. Dabei wird wohl der Spiegel eingesetzt: man versetzt sie in die Rolle des Opfers. Wie fühlen sie sich dabei, wenn jemand über sie verfügt, indem er sich an ihnen aufgeilt? All das sind gute Ansätze, doch gebe ich dir wiederum recht: es ist fraglich, ob wir dieses Problem in absehbarer Zeit in den Griff bekommen werden - zumal wir uns mit Menschen aus dem muslimischen Kulturbereich eben auch Leute ins Land holen, denen diese Ethik fremd ist. Herzlich KlatschK Mehr anzeigen |
||||
|