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Japaner im Kopf

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02.08.18 16:20
6 Ab 6 Jahren
Fertiggestellt

Japaner im Kopf ---

Ein Freelancer erzählt --- von fridosuti
Ich stehe in vorgerücktem Alter. Meine Erinnerungen reichen tief in die Vergangenheit zurück. Dort tauchen aber dunkle Gestalten auf, Erinnyen die gerne alte Menschen plagen. Solche Gedanken schüttle ich ab wie eine Ente das Wasser und blicke zurück auf den Frühling des Lebens, als sich alles in positivem Licht abspielte.
Wenn meine Frau und ich zurückblicken auf den Tag an dem wir geheiratet haben, ist das sehr lange her. Wir sind Schweizer Bürger. Und wenn wir jetzt eine Statistik betrachten, die uns sagt, wie viele Schweizer heute einen ausländischen Partner ehelichen, sind das jetzt etwa die Hälfte aller Eheschließungen, während früher in unserem Land nur wenige Ehen mit ausländischen Partnern geschlossen wurden. Einer aus meinem Bekanntenkreis in jener Zeit war Jerry. Er heiratete eine Japanerin, was zwar keine Sensation, aber doch außergewöhnlich war. Blicke ich noch weiter zurück, sehe ich mich selbst, als neunjährigen Knaben der an einem Waldrand steht, auf einer Höhe über dem Rhein. Von dieser Höhe gibt es einen Weitblick der hinüberreicht ins Land der Schwaben.
Ich war zur Welt gekommen, als Hitler ans Ruder kam, wie man damals sagte. Adolf führte sein Volk in den Krieg. Als Kind fühlte ich deutlich die Angst der Erwachsenen, die sich vor dem Einmarsch deutscher Truppen fürchteten .
Der Sohn meiner Tante, bei der ich aufwuchs, mein Vetter, war Funker beim Schweizer Militär,  Wenn er am Sonntag auf Urlaub nach Hause kam saß ich neben ihm und staunte darüber wie er Morsezeichen aus dem Radio kitzeln und aufschreiben konnte. Noch waren die deutschen Truppen siegreich, aber dann wendete sich das Kriegsglück für Adolf. Nachts hörten wir hoch über uns am dunklen Himmel die Bombergeschwader brummen und wenn wir aus dem Dachgiebel spähten, sahen wir an Wolkenrändern den Widerschein von Blitzen, das war entferntes Leuchten von Bomben, die auf Friedrichshafen fielen. Im Wald fanden wir Kinder dann Knäuel von Stanniolpapier, von Bombern abgeworfen, um die Fliegerabwehr zu verwirren. Wir Kinder suchten nach Schokolade, uns war erzählt worden, die Fliegerbesatzungen hätten stets Schokolade bei sich als Notvorrat. Tagsüber spielte sich am Himmel zuweilen kriegerisches Spektakel ab. Wenn ein fremdes Flugzeug in den Luftraum der Schweiz eindrang, begann die Fliegerabwehr zu schießen. Kleine Wolken zeigten sich in der Nähe der Flugzeuge und eines Tages war es nicht mehr nur Spektakel, sondern ein echtes Drama. Ein Liberator Bomber erschien im Tiefflug. Brummend und offensichtlich flügellahm kam die Maschine über den Rhein geflogen, vom Schwabenland her. Die Maschine flog Richtung Schweiz hinein, die kleinen Wolken kreisten den müden Aggressor immer enger ein. Es öffnete sich ein Fallschirm, ein zweiter folgte, dann wandelte sich das Brummen des Bombers, schwoll an zum Sirenengeheul und das Flugzeug stürzte in einen Wald. Eine schwarze Rauchsäule stieg hoch.
Alsdann im Mai 1945 die Kirchenglocken läuteten, war der Krieg vorbei. Ich begann eine Lehre im Geschäft eines Fotografen der Filme verkaufte und Ansichtskarten von Landschaften vertrieb, vom Jura, von der Aare, der Limmat und dem Rheinfall. Ich musste den Laden hüten, Kunden kamen nur wenige, aber ich lernte Filme entwickeln. Durfte in der Dunkelkammer bei spärlichem Rotlicht die Planfilme des Meisters entwickeln und die Rollfilme, welche die Kundschaft uns in den Briefkasten warfen. Ich hatte während vielen Stunden wenig zu tun, konnte Bücher lesen und das Geschäft hüten, dem eine Leihbücherei angegliedert war. Der Meister hätte mich eigentlich zum Besuch der Gewerbeschule anmelden müssen, was er nicht tat und eines Tages ging ich einfach nicht mehr hin in den Laden, ich brach die Lehre ab und wurde kein eidgenössisch diplomierter Fotograf.
Aber ich hatte viele Bücher gelesen, während ich den Laden hütete. Darunter auch Hemingway. Der alte Mann und das Meer begeisterte mich sehr, aber manches von ihm packte mich überhaupt nicht, denn auch ich begann Geschichten zu schreiben und als ich zwanzig Jahre alt war, zog mich der Staat ich zum Militär ein, deshalb steckt in meinem Kopf immer noch die Erinnerung an Häuserkampf. Eine Technik bei der das Werfen von Handgranaten, das Schießen mit Maschinenpistolen und der Umgang mit Flammenwerfern ganz wichtig ist.

Unser Kommandant, ein Hauptmann im Generalstab, schaffte es bei Kriegsende als militärischer Beobachter von den Amerikanern nach Japan mitgenommen zu werden, als Diplomat. Dort erlebte er die Endkämpfe der Japaner. Wieder zuhause organisierte er die Grenadier Truppe nach seinem Bild: Handgranaten schmeißende Maschinenpistolenschützen die mit Flammenwerfern  auf dem Übungsgelände herum kriechen.
Wieder zurück im Alltagsleben wurde ich Fahrer in einem Taxiunternehmen. Ich legte Geld zur Seite, mein Plan war, nach Brasilien auszuwandern. Da riet mir jemand, in Norddeutschland eine Funker Schule zu besuchen. Das tat ich mit dem ersparten Geld , das mir eigentlich die Reise nach Brasilien hätte ermöglichen sollen. Ich bewarb mich um die Aufnahme in die Funker Schule.   Anschließend konnte ich als Funk Offizier auf deutschen Handelsschiffen anheuern, fuhr nach Westafrika um von dort Tropenhölzer nach Europa zu holen. Funker waren gesuchte Leute. Später wechselte ich auf einen Indienfahrer und an der Malabarküste Indiens luden wir Teekisten und schipperten mit  diesen nach Arabien.
In Bombay, wo wir noch Stückgut luden, gab es unweit vom Hafen zwei besondere Kneipen, die bei Seeleuten sehr beliebt waren. Einmal das Café Mondebar und nur wenige Schritte davon entfernt, das Café Leopold. Diese Kneipen waren ganz besondere Lockvögel. Es zeigten sich dort keine leichten Mädchen wie in anderen Hafenkneipen, da verkehrten nur Schmuggler und Schwarzhändler jeglicher Sorte. Falsche Pässe gab es für sagenhaft kleines Geld. Dazu Drogen aller Art. Und jede Menge fremdes Geld, das in Indien zu wechseln streng verboten war: Amerikanische Dollars, englische Pfunde! Hier traf ich Jerry den ich von zu Hause her kannte. Er war mit einem Citroen 2 CV über Griechenland und Persien nach Indien gefahren. In Bombay suchte er einen Frachter, um sein Auto nach Japan zu verschiffen.
Wieder zurück in der Schweiz lernte ich meine Frau kennen. Mir war klar. Den Seemännerberuf musste ich an den Nagel hängen, wenn ich heiraten würde. Auch zeichnete sich ab, dass Funker bald nicht mehr gefragte Leute sein würden, die Amerikaner schossen Satelliten in die Umlaufbahn von Mutter Erde. Das GPS war da. Navigatoren und Funker auf Schiffen und Flugzeugen wurden überflüssig, solche Leute mussten belegte Brötchen verkaufen oder als Kellner arbeiten. Auch Tankstellenwärter wäre noch eine Möglichkeit gewesen oder sich als Fahrer bei einem Taxiunternehmen zu verdingen, was ich vorher schon getan hatte, tat ich nun wieder.
Als wir heirateten, schwebte uns vor, ein freiberufliches Leben zu führen. Ich versuchte es als freier Journalist, ich besaß einen gewissen Fundus an Fotos, die ich auf den Schiffen gemacht hatte. Dazu schrieb ich eigene Storys, meine Frau unterstützte mich dabei, sie hatte vorher in einem Zeitschriftenverlag gearbeiteten, sie wusste wie Storys geschrieben sein sollten, um von Redaktionen angenommen zu werden. Im Badezimmer richteten wir ein behelfsmäßiges Fotolabor ein und verschickten an zahlreiche Zeitungen sogenannte Features, Schwarzweiß Bilder, auf die wir hinten einen Text klebten. Meine Frau las die Texte und korrigierte sie wo erforderlich. Das Geschäft lief, dann sogar noch besser, als wir eine Mittelformat Kamera kauften. Damit konnten wir 6 x 6 cm Farbdias knipsen in professioneller Qualität, diese stießen auf Interesse. Die Kamera war eine Pentasix, in Ostdeutschland hergestellt. Eigentlich hätte ich lieber eine Hasselblad gehabt, eine Kamera aus Schweden, aber die war uns zu teuer. Mit dem Geschichtenverkauf konnten wir uns über Wasser halten. Zwar knapp, aber wir lebten bescheiden in einer Genossenschafts Wohnung mit bezahlbarer Miete.
Ich beschränkte mich auf lokale Storys, denn ein freundlicher Redaktor hatte mir anvertraut, dass er Nachrichten aus dem lokalen Bereich sehr schätze, weil ihm solche Nachrichten von Agenturen kaum angeboten würden.
Wir merkten, dass große Zeitungsredaktionen ihren eigenen Mietarbeiterstab pflegten, einzig zu dem Zweck, Nachrichten  anzubieten, die kein anderer hat.

In diese Domäne drangen wir vor.
Abends besuchten wir regelmäßig Wirtshäuser, in denen sich Leute aus der Werbebranche zeigten. Mit hörbarem Neid in der Stimme gestand mir ein Grafiker, der eigentlich ganz hübsche Werbebilder schuf, ein Mann schon älteren Jahrgangs, dass er es selbst auch versucht hatte, als freier Reporter Fuß zu fassen, als Freelancer, wie er betonte. Dies war ihm aber nicht gelungen. Also nahm er an, dass dieses auch keinem anderen gelingen werde, schon gar nicht einem der Jahre jünger war als er selbst, so einer war ich. Und noch ein anderer aus diesem Kuchen kritisierte meine Schreibe als zu sehr aus dem Bauch heraus geschrieben. Diese Kritik konnte mich nicht kränken, weil Lokalreporter nicht zwingend eine Universität besucht haben muss, sagte ich mir. Dass sich unsere Storys verkaufen ließen, lag hauptsächlich daran, dass wir sie als Gesamtprodukt anboten. Nicht einfach nur als Text, nicht einfach nur Fotos, sondern beides zusammen, hatte meine Frau gesagt. Das war ihre Idee gewesen.
Hier kommt Jerry wieder ins Spiel. Er war aus dem Fernen Osten zurückgekommen und nun mit einer Japanerin verheiratet. Aber die Frau war nicht glücklich, sie klagte uns ihr Leid. Zwar ging es ihr wirtschaftlich gut, sie arbeitete als Verkäuferin in einem Juweliergeschäft. Doch abends musste sie allein zu Hause bleiben, Jerry nahm sie nicht mit, wenn er in die Kneipen ging. Die Frau wollte sich von ihm scheiden lassen, dazu sagte er bloß: Wenn du dich scheiden lässt, bist du keine echte Japanerin mehr. Wir verloren sie aus den Augen, als wir von der City hinaus in eine Schlafstadt zogen. Wir hatten Nachwuchs erhalten. Einen Jungen, dem ging es in der Stadtschule nicht sehr gut, aber in der Schlafstadt fand er augenblicklich Freunde. Der Lehrer seiner Klasse schickte am ersten Schultag ein halbes Dutzend Jungen zu uns, um den Neuling abzuholen. Einer dieser Schulfreunde fragte mich später als er mich auf der Straße sah: Herr Nachbar! Haben Sie vielleicht einen Japaner hier spielen sehen? Erst zu diesem Zeitpunkt wurde mir bewusst, wie viele japanische Familien mit Kindern rund um uns herum lebten. Das schaffte neue Kontakte. Etwa mit jener Familie, deren Vater ein Japaner war, die Mutter eine Schweizerin. Und mit ihren zwei Söhnen, Takashi und Aiko, unternahmen wir vieles gemeinsam. Ein Glas Wein trinken. Gartenarbeiten erledigen, Ausflüge machen in die Wälder. Sie besuchten auch die örtliche Gemeindeversammlung, denn dank der Mutter waren sie Schweizer Bürger geworden. Sie nahmen auch unseren Jungen mit zur Gemeindeversammlung. Später berichtete der Sprössling aufgeregt, es habe sich eine spannende Angelegenheit abgespielt während der Gemeindeversammlung. Ein Mann, der sich zu Wort meldete, war ohnmächtig zu Boden gesunken. Der Vorsitzende rief verzweifelt nach einem Arzt. Takashis Vater war Chirurg, er hatte sich erhoben und begab sich gemessenen Schrittes zu dem Ohnmächtigen, der am Boden lag. Unser Sohn war entsetzt über die Bedächtigkeit von Takashis Vater. Dazu konnte ich ihm nur sagen: Asiaten ticken anders! Während meiner Jahre als Schiffsfunker hatte ich die Bedächtigkeit der Inder erlebt. Die Ungezwungenheit der Afrikaner. Die Küche der Chinesen. Die Höflichkeit der Japaner, all das war mir vertraut. Gerade damals erregte einer aus der Gilde der freien Journalisten ein gewisses Aufsehen in unserer Stadt,t weil er aus dem Bauch heraus über Motorradfahren schrieb und auch noch von der Behörde verlangte, dass die junge Generation auch in zeitgenössischer Geschichte unterrichtet werden sollte, nicht nur im auswendig lernen von Daten der Schweizer Schlachten. Ich selbst bewegte mich in der Stadt auch auf dem Rad, aber auf dem Fahrrad und einer der mich kannte, lächelte spontan: Ein Journalist auf dem Fahrrad ist eigentlich kein Journalist, sondern ein Revolutionär. Das zündete. Auf dem Flohmarkt fand ich ein Buch, das die Bergung von P-38 Jagdfliegern aus dem Eis in Grönland zum Thema hatte. Solche Jagdflieger spielten im Krieg gegen die Japaner eine große Rolle. Ich ging der Frage nach und stieß im Web auf die Geschichte zweier japanischer Admirale die beide an federführender Stelle standen damals, als die Japaner den Krieg mit den Amerikanern eröffneten in dem sie Pearl Harbour ohne Vorwarnung angriffen. Die Amerikaner gewannen diesen Krieg nicht allein, weil sie dort Atombomben abwarfen, sondern auch darum, weil es ihnen gelungen war, den japanischen Funkverkehr abzuhorchen und die Meldungen entschlüsseln konnten. Die Japaner waren auf drahtlosen Funk angewiesen, weil es im Pazifik nur wenige Unterseekabel gab. Als ehemaliger Funker verstehe ich, was sich dort abgespielt haben mag aber ich versuchte nie, diese Story neu zu verpacken. Denn heute kann sich das jeder im Web selbst zusammensuchen. Ich fürchte, auch Freelancer könnten überflüssig werden.
 

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