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Herrenmensch und Sportkanone

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18.07.18 16:46
6 Ab 6 Jahren
Fertiggestellt

Autorennotiz

Ich werde älter, meine Gedanken eilen zurück.

Herrenmensch und Sportkanone

von fridosuti

 

Es war kurz vor der Mittagsessenszeit. Ich saß in einer Gartenkneipe am Wasser, das Viertel hieß Tiefenbrunnen und ich feierte einen Triumph. Mit geschwollener Brust saß ich in Sonntagskleidern am Tisch, trank einen Pernod, einen milchig weißen Aperitif wie ihn die Franzosen lieben. Einige meiner Geschichten waren dieser Tage in einer illustrierten Zeitschrift veröffentlicht worden. Ich durfte mich sehen lassen in der Stadt, meinte ich. Die Bestellung für das Mittagessen war schon aufgegeben: Rinderlende, Bratkartoffeln, Rotwein und Salat. In diesem Augenblick traf mich die Rache des Schicksals. Hochmut kommt vor dem Fall! Unbemerkt von mir hatte sich Onkel Gusti von hinten herangeschlichen und mit einem Fußtritt kickte er mir den Stuhl unter dem Hintern weg. Zum Gaudi der Zuschauer fiel ich in den Rasen, der noch feucht war vom Morgentau. „Verdammter Federfuchser!“, brüllte mein Onkel, aber der Auftritt reichte ihm schon, er verließ das Gartenrestaurant wutschnaubend. Warum das? Weil eine Geschichte über Dölf Koperich in einer illustrierten Zeitschrift erschienen war. Und diese Geschichte hatte ich geschrieben, wie jedermann wusste. Auch wenn ich seinen Namen nicht ausdrücklich nannte, man wusste, um welche Person es sich handelte, den ich Koperich nannte. Als mich Onkel Gusti ins feuchte Gras setzte, schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass der Verleger dieser Illustrierten, mich hoch und heilig schwören ließ, dass ich die Story nicht irgendwo abgeschrieben hatte, sondern dass all das, was ich beschrieb, wirklich von mir selber stammte. Die ganze Stadt lachte über Dölf, als meine Geschichte erschien. Federfuchser? Nein, ich bin kein Dichter, einer, der sich seine Storys aus den Fingern saugt, was man heutzutage als Fiktion bezeichnet. Nein, ich habe das erlebt, was ich da schrieb, ich bin ein gewöhnlicher Berichterstatter. Da mein Einkommen als Freelancer damals sehr bescheiden war, hatte ich mich als Privatchauffeur auf einer Pinnwand hinter dem Busbahnhof angeboten. Einfach einen Zettel hingehängt. Ich saß viel in Kneipen herum und erfuhr, dass etliche Bekannte von mir ihren Führerschein abgeben mussten. Dieser wurde ihnen meistens von der Behörde entzogen, weil sie unter Alkoholeinfluss nach Hause fuhren und dabei in Verkehrsunfälle verwickelt wurden. Solchen Kunden anerbot ich mich als Fahrer auf Abruf, tageweise, stundenweise. Jedermann wusste, ich war Taxifahrer gewesen, meine Qualifikation als Fuhrmann war damit erwiesen. Hinter dem Bahnhof gab es eine Kneipe in deren Hinterzimmer schon am Vormittag um Geld gepokert wurde. Dort traf ich Dölf Koperich, der in Wirklichkeit ganz anders hieß. Mein Onkel Gustav, eigentlich Onkel Gusti genannt in unserer Familie, hatte dieses Treffen vermittelt, er hatte zu mir gesagt: „Du kennst doch den Kunstspringer Dölf?“ „Der vom Dach der Frauenkirche in den Fluss gesprungen ist?“ „Ja, den meine ich. Der braucht einen Fahrer, man hat ihm den Führerschein für drei Monate eingezogen“, stöhnte Onkel Gustav. „Hat er?“, fragte ich, „vielleicht versehentlich ein Gläschen zu viel getrunken?“ „Nein, als Sportkanone trinkt er sehr wenig Alkohol. Aber letzte Woche ist ihm ein Unglück geschehen. Ein alter Kauz ist ihm vor den fahrenden Wagen gerannt. Er ist zu forsch gefahren und darum ist es geschehen.“ Koperich war eine stadtbekannte Person. Unlängst war er vom Dach der Frauenkirche in den angrenzenden Fluss hinuntergesprungen. Der Sprung, war eine Reklameveranstaltung, vom Tagblatt angekündigt für eine Whisky-Marke. Das zog Schaulustige an in großer Menge. Und als ein Zirkus am Stadtrand gastierte, trat er als Clown auf in der Manege. Die halbe Stadt lachte über seine Späße. Dölf Koperich war in aller Munde, er wurde zum Stadtoriginal. An der Adlergasse betrieb dieser Mann, von mir Koperich genannt, ein Geschäft, eigentlich bloß ein Büro oder eine Kanzlei, mit dem Hinweis an der Tür: Dölf Koperich, Inkasso. Also ein Halsabschneider, sagte ich mir, ein Schinder, der armen Leute die letzten Kröten abnimmt. Nun, zweifellos erzielte er mit seiner Bude einen Gewinn, er fuhr mit einem feuerroten Oldtimer in der Stadt herum, dieser Dölf. So nebenbei besaß er noch einen dunkelblauen Jaguar. Wie er mir erzählte, benötigte er zwei Automobile um seinen Geschäften regelmäßig nachgehen zu können, eines von beiden könnte ja einmal eine Panne haben, fand er. „Ich sitze nicht einfach am Schreibtisch und versende Zahlungsbefehle!“ meinte er stolz. Beim Pokerspiel nahm er auch gerne Urkunden von fruchtlos gepfändeten Personen als Zahlung entgegen, sogenannte Verlustscheine, das erfuhr ich auch noch. In meiner Geschichte trat diese Figur dann auf als Dölf Koperich, Besitzer eines roten Oldtimers, Marke Pontiac, eher ein Schiff als ein Automobil, ein Cabriolet. In diesem offenen Wagen, an dessen Steuer ich am ersten Tag saß, als wir über die Kaibrücke fuhren, spielten sich folgende Szenen ab. „Fahren Sie zu! Los, zum Teufel!“ befahl er herrisch. „Diese Madame soll bloß bleiben, wo sie ist!“ dabei meinte er eine Frau, die von rechts einbiegen wollte und eigentlich den Vortritt genoss, wie ich fand. „Dieser Schleicher da vorn“ fauchte er, „schläft jetzt dann demnächst ein. Geben Sie Signal! Überholen Sie diese Schlafmütze gefälligst, der durchbricht sonst gleich noch die Schallmauer! Oder vielleicht denkt der, es könnte gefroren sein!“ Ich fahre also. Lasse mich durch sein Gerede nicht beeinflussen. Schlängle mich durch, so wie es geht, durch den Verkehr auf der Kaibrücke.Diese Gans da“, sagte er, als eine Fußgängerin vorsichtig über die Straße wollte. Aus dem offenen Wagen brüllte er hinaus: „Können Sie nicht schneller gehen? Soll ich Ihnen Beine machen? Verdammt noch mal! Gehen Sie nach Hause und kochen Sie Mittagessen für Ihren Mann!“ Auf der Brücke gibt es drei Fahrspuren. Mitten drin fährt ein Roller. Hinten sitzt eine junge Frau. Der Skooter bummelt ein bisschen, der Fahrer schaut auf den See, auf die Berge. Wie wir an ihm vorbeifahren, ruft Adolf hinaus: „Könnt Ihr nicht rechts fahren, Ihr zwei?“ Ich gab Gas und fuhr weiter. Hundert Meter danach musste ich bremsen, eine rote Ampel zwang uns zu einem Halt. Inzwischen hatte der Skooter aufgeholt, hielt links neben uns an. Noch wie er heranfuhr, war laut und deutlich: „Schafskopf!“ zu hören, unklar blieb, wer das gerufen hatte. Wie Dölf das vernimmt, wetzt er aus dem Wagen, mit erhobenem Zeigefinger stürzt er auf den verblüfften Skooterfahrer zu und bellt: „Wenn Sie noch einmal Schafskopf sagen, haue ich Ihnen eine in die Fresse, sagt das und kommt schimpfend zurück. Er ruft in voller Lautstärke: „Lausbub! Stenz! Zuhälter! Eingebildeter Affe!“ bis wir schließlich den Skooter aus dem Rückspiegel verlieren. Und irgendwo hat es noch einen kleinen Zusammenstoß gegeben, mit leichtem Blechschaden. Und schon eilen Gaffer herbei. Die beteiligten Fahrer blicken ein wenig ratlos in die Welt, noch ist keine Polizei auf dem Platz, es ist auch niemand verletzt worden. „Anhalten, anhalten!“, brüllt Dölf.Ich muss Zigaretten holen! Da drüben ist ein Tabakladen“, sagt er und steigt aus. Ich parke also den Pontiac irgendwo und steige auch aus um mir die Beine zu vertreten. Ein Tabakladen ist weit und breit nicht zu sehen. Wo ist denn der Dölf? Dort! Er drängt sich gerade durch die Gaffer. Stößt andere rücksichtslos beiseite, dringt zum Kern vor und erklärt, wer hier der Schuldige ist, seiner Meinung nach. Er bricht mit den Umstehenden augenblicklich einen Streit vom Zaun und raucht dazu eine Zigarre. So geht das. Immer frech. Von Ort zu Ort. Wir sind also auf dem Weg zu einem seiner Kunden. Oder besser gesagt, zu einem seiner Opfer. Ich bemitleide diese Leute, die in finanzielle Not geraten sind, ich habe richtig Bedauern mit denen, sofern der Pfändungsbeamte zu ihnen kommt. Wir halten vor einem Mietshaus, ein großer Kasten mit vielleicht hundert Wohnungen. Vor der Tür steht ein Mann in blauer Arbeitskleidung und dem Besen in der Hand, ein Hausmeister. Dölf geht mit seiner Aktentasche unter dem Arm auf diesen Mann zu. Er flüstert ihm etwas ins Ohr und dann blicken beide hoch, zu einer bestimmten Wohnung hinauf. Ich kann nicht hören, was sie reden. Doch plötzlich grinst der Hauswart, Dölf hat ihm wahrscheinlich gesagt, was ihn hierher geführt hat, nehme ich an. Denn er ist im Besitz eines Dokumentes das besagt, dass dieser Kunde, hinter dem er her ist, fruchtlos gepfändet worden ist, jetzt also Freiwild für einen Inkasso Jäger. Dölf steigt im Sturmschritt die Treppe hoch und ich kann mir gut vorstellen, was er dem Kunden da oben sagt, sofern der arme Teufel die Tür öffnet: „Entweder Du bezahlst oder Du fliegst `raus aus der Wohnung!“ Irgendwie habe ich herausgefunden, dass dieser Kunde ein simpler Flickschneider ist, ein armer Mann der eine Familie mit vier Kindern ernähren muss. Hosen weiter machen oder ähnliche Arbeiten nimmt er an. Das geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Als wir anderntags erneut auf der Fahrt sind, um Kunden zu besuchen, weht ein zügiger Nordostwind. Dölf bringt eine blaue Jacke zur chemisch Reinigung, ich warte draußen und blicke ihm nach, bis er im Geschäft verschwunden ist. Dabei bläst mir ein kalter Windstoß durch die Haare und ich stelle fest, Dölf hat die Aktentasche neben mir liegen lassen. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, werfe einen Blick hinein, trotz meiner Mutter, die immer predigte: Fremde Briefe liest man nicht, das ist unanständig! Weil die Tasche nun mal so daliegt, tue ich es doch. Die amtliche Urkunde, der Verlustschein des Flickschneiders, liegt oben an erster Stelle. Ich nehme das Blatt heraus, werfe einen Blick darauf und lege es zur Seite auf den Beifahrersitz neben die Aktentasche, denn etwas anderes hat mein Interesse gefunden, auch ein amtliches Schreiben. Ich halte die Begründung des Führerschein Entzuges in den Fingern. Was steht denn da? Großer Gott! Hundert vierzig Strafbefehle hat der Mann auf seinem Konto zusammen kommen lassen. Ich kann nur einen kurzen Blick darauf werfen, durch die Tür der chemischen Reinigung sehe ich Dölf schon wieder heraustreten. Ich gestatte mir noch einen letzten Blick auf die Begründung: Überholen auf einer Kreuzung. Nicht Anhalten an einem Stoppsignal. Überfahren einer durchgezogenen Sicherheitslinie. Missachtung eines Rotlichtes. Umstoßen eines Fußgängers mit Körperverletzung. Schnell, ich will alles wieder in die Aktentasche zurückschieben. Da, ein Windstoß packt den Verlustschein, das Blatt wirbelt durch die Luft, im Rückspiegel sehe ich das weiße Papier über den grünen Rasen segeln, irgendwo bleibt es hinter großen runden Steinen liegen. Dölf ist wieder da, er schiebt die Tasche beiseite setzt sich hinein und knurrt: „Los fahren Sie! Was starren Sie mich so an?“ Ich gebe Gas, denke dabei: Ja, es ist etwas wenig sportlich, dieses Inkasso Geschäft.

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Kurzbeschreibung

Erinnerung eines Freelancers. Es war einmal ein herrischer Autofahrer und ich sein Chauffeur.

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