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Kapitel: | 2 | |
Sätze: | 148 | |
Wörter: | 1.641 | |
Zeichen: | 9.090 |
"Enigma!"
Sofort sitze ich Kerzengerade in meinem Schlafsack und sehe mich im Zelt um. "Claire bist du das?" Niemand antwortet. "Joslin?" Wieder nur Stille. Ich muss wohl geträumt haben. Da ist niemand und die Anderen schlafen schon. Kopfschüttelnd kuschel ich mich wieder in die Wärme und schließe die Augen.
"Enigma!"
Ich reiße die Augen auf und starre panisch in die Leere des Zeltes. Angst durchflutet mich und trübt meine Sinne. Dieses Mal habe ich mich nicht verhört. Da hat jemand meinen Namen gerufen, aber warum?
"Ich warte auf dich", lacht die Stimme und es klingt nach einem Mädchen. Sie kommt mir sogar bekannt vor, aber diese Kälte dahinter ist mir fremd. In Ruhe atme ich tief durch und sehe mich dann genau im Zelt um. Mein ganzer Körper zittert und ich bin blasser als jeder Geist. GEIST. Könnte es einer sein? Mach dich nicht lächerlich, es gibt keine Geister.
"Komm her. Ich will dir etwas zeigen." Der Wind zieht durch die offene Tür des Zeltes. Plötzlich wird mir etwas bewusst: Ich hatte die Tür gestern zugezogen und mit einem Schloss für Zelte von innen verriegelt.
Als ich aufstehe wollen mich meine Beine kaum noch halten so sehr breche ich gerade in Panik aus. Bleib ruhig. Das ist ein Streich. Soetwas existiert nicht. "Wer bist du?", rufe ich hinaus in die Dunkelheit.
"Ich bin du und du bist ich, wer das fragt das weiß ich nich' ", kichert sie und jagt damit einen dunklen Schauer durch meinen Körper. Eine Gänsehaut breitet sich aus und die Angst lähmt meine Glieder. Wie durch ein Wunder schaffe ich es einen Fuß vor den Anderen zu setzen.
Draußen ist es kälter als in jeder Nacht zuvor. Ein starker Wind weht durch meine Haare und immer wieder durchbrechen Blitze die Wolken. Nicht weit von unserem Zeltplatz entfernt schlägt ein Blitz in einem Baum ein und ich zucke erschrocken zusammen.
"Hier geht es lang", ertönt wieder die Mädchenstimme. Sie liegt rechts von mir also gehe ich in diese Richtung. Ich weiß nicht wie weit ich gehen soll, also laufe ich einfach immer weiter. Warum ich ihr überhaupt folge verstehe ich selbst nicht. Irgendwas an ihr zieht mich in ihren Bann, wie als würde sie mich kontrollieren. Aber das ist nicht möglich... allerdings erscheint mir gerade nahezu alles möglich.
Schon bald gelange ich an einen steinigen Weg und entscheide diesen zu gehen. Immer weiter durch die Dunkelheit und von dem Sturm verfolgt. Als wäre er nur für mich bestimmt. Eine Waffe, die mich bei jedem falschen Schritt töten könnte. Mehrere Male stolpere ich und breche vor Angst und Kälte fast zusammen. Mit der Zeit ist ein Nebel aufgezogen und je weiter ich gehe desto dichter wird er. Bereits wenige Schritte später sehe ich die Hand vor Augen nicht mehr.
Noch nie in meinem Leben hatte ich so viel Angst. Ich könnte sonst wo hinlaufen und was auch immer der Ursprung der Stimme ist, scheint mit mir zu spielen. Wenn das ein Scherz ist, bringe ich die jeweilige Person später um. Ich hoffe inständig, dass es einer ist, aber tief in meinem Innern weiß ich, dass das alles wirklich passiert.
"Was seh ich da? Der Abgrund ist zu nah", trällert sie glücklich vor sich hin und ich bleibe abrupt stehen. "Sagtest du Abgrund?" Der Nebel um mich herum legt sich. Ich stehe auf einem Felsvorsprung über einem Abgrund. Wenige Schritte weiter links oder rechts und ich wäre gefallen.
Kurz schließe ich die Augen. Ich will nicht wissen was jetzt passiert, will noch nicht sterben. Mein Atem geht stoßweise und meine Knie drohen nachzugeben. Die Angst überwältigt mich langsam aber sicher. Es ist nur noch eine Frage von Minuten.
"Was liegt da am Grund? Gib es ruhig kund!" Wieso reimt sie nur? Das ist gruselig. Als hätte sie Spaß an alldem. Meine Augenlider öffnen sich flatternd und ich sehe langsam nach unten. Alles in mir erstarrt. Sogar zu atmen vergesse ich. Es ist wie ein Albtraum aus dem ich einfach nicht erwache. Das kann nicht wahr sein, darf nicht wahr sein... Tränen laufen über meine Wangen.
"Wieso tust du das?", hauche ich in die Dunkelheit. Sie lacht als Antwort. Kalt und grausam trägt der Wind diese Töne um mich herum. Dann wird alles von einem lauten Donnern übertönt. Wenige Sekunden später ein Lichtblitz, der vor mir in den Abgrund trifft. Mein Körper wird nach hinten geschleudert.
Dunkelheit hüllt mich ein und lässt mich nicht mehr los.
"Du willst was?", stößt Ascer empört aus und seine grauen Augen mustern mich strafend. "Verdammt, Eni. Das kannst du nicht machen. Damit versaust du deine ganze Zukunft." Meine Zukunft ist schon zerstört und das weiß er ganz genau. Wir haben gerade die vorletzte Klausur zurückbekommen und wieder habe ich eine Sechs. Ich habe fast nur defiziete auf meinem Zeugnis und solange bei mir englisch keine Eins geworden ist, werde ich wieder nicht versetzt. Im Gegensatz zu ihm bin ich noch in der elften Klasse und ich habe dieses Schuljahr schon einmal wiederholt.
"Wir wissen beide, dass ich in englisch keine Eins habe und dann schmeißen die mich sowieso von der Schule. Nenn mir nur einen Grund warum ich die Chance nicht jetzt sofort nutzen sollte. Fünf von meinen Freundinnen haben sich extra zusammen Urlaub genommen. Es sind doch nur drei Monate." Sowas zu machen war schon immer mein Traum. Einfach ein großes Auto schnappen, bis obenhin zupacken und dann mit ein paar Freundinnen eine Tour durch Europa machen. Wer würde das nicht wollen? Was bringt es mir denn bitte dieses Jahr zuendezubringen, wenn ich nicht versetzt werde und mir eine neue Schule suchen müsste? Da würde es doch nicht anders laufen.
Plötzlich umarmt mich Ascer. "Ich bitte dich, mach keinen Scheiß. Wenn du in Schwierigkeiten gerätst kann ich nicht da sein um dir zu helfen." Auch ich lege meine Arme um ihn und ein warmes Gefühl durchströmt mich. Dieses eine Gefühl, was er immer in mir auslöst und noch nie konnte ich es zuordnen. Bevor ich ihn kennenlernte habe ich sowas noch nie gespürt. Vielleicht sollte ich doch bleiben. Er wird mir fehlen.
Zu früh - meiner Meinung nach - löst er sich wieder von mir. "Ich muss in die nächste Stunde. Schreib deinen Eltern wenigstens eine Nachricht", bittet er mich und ich nicke ergeben. Irgendwie hat er ja auch recht. Nur weil ich 18 bin machen sie sich ja nicht weniger Sorgen.
Ascer drückt mich ein letztes Mal an sich und verschwindet dann in seinem Unterricht. Es kostet mich Unmengen an Überwindung ihm nicht zu folgen. Stattdessen streicht sie sich ihre strahlend weißen Haare zurück, dreht sich um und verlässt einfach das Schulgebäude.
"Enimausi", quitscht Layla, die bereits mit ihren Koffern neben meinem hellblauen Bulli steht und läuft sofort mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Layla Jones ist schon seit ich denken kann meine aller beste Freundin weswegen ich ihr genauso entgegenlaufe.
Sie springt hoch und ich fange sie auf bevor ich sie - wie nach jeden unserer langen Trennungen - im Kreis wirbel. "Ich hab dich so vermisst", grinse ich und bleibe mit ihr stehen. Ihre langen Haare haben sich etwas mit meinen verworren. Es hat schon einen interessanten Effekt wenn ihre pechschwarzen und meine schneeweißen Haare sich vermischen.
"Wann geht es los? Wann holen wir die Anderen? Wo geht es als erstes hin? Wie...?" Um ihren Redeschwall zu unterbrechen lege ich ihr lächelnd eine Hand auf die Schulter. Wenn sie nervös ist verlassen immer tausende Fragen ihren Mund und während man noch versucht sich die Nächsten zu merken vergisst man bereits ihre Ersten. Das kann manchmal anstrengend sein, aber so ist sie eben und ich liebe meine Layla über alles.
Sie war immer für mich da. Als sich alle von mir abwandten, nach dem Selbstmord meines über alles geliebten Zwillings und selbst bei der Scheidung meiner Eltern. Immer stand sie neben mir und hielt mich in ihren Armen wenn ich die Tränen nicht mehr stoppen konnte. Sie ist die Einzige, der ich wirklich vertraue, denn sie war immer da.
Auch jetzt noch steht sie mir bei. Natürlich war sie die Erste, die ich fragte wegen einer Europatour. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern sagte sie ja und jetzt sind wir hier. Mein Gespartes ist genau ausgezählt und den Bulli bekam ich vor Jahren von meinem Vater als Entschuldigung dafür, dass er mich und meine Mutter gerade dann im Stich gelassen hatte als wir ihn am dringendsten brauchten.
Ihre Augen mustern mich besorgt. "Eni? Alles okay?" Ich blinzel einige Male und sehe sie dann mit einem Grinsen auf den Lippen an. "Natürlich. Nur will ich endlich weg... Bist du bereit für eine Erfahrung, die du niemals wieder vergessen wirst?"
Sofort nickt sie heftig. "Darauf kannst du dich verlassen." Als sie ebenfalls grinst sieht man ihre perfekten weißen Zähne, die von ihren vollen Lippen umrandet werden. Früher war ich immer neidisch auf ihr Aussehen, aber mittlerweile bin ich mehr als zufrieden mit mir selbst.
"Dann holen wir jetzt die Anderen ab", meine ich und steige auf der Fahrrerseite ein. Layla packt schnell ihre Koffer ein und setzt sich dann neben mich. Direkt nachdem sie die Autotür geschlossen hat kommt schon die nächste Frage: "Zu wem fahren wir als erstes?"
Lachend drehe ich den Zündschlüssel um und fahre aus der Parklücke raus. "Unser erster Halt ist bei Claire."
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