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Eskalation

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16.03.19 13:43
16 Ab 16 Jahren
In Arbeit

Sadracs Schwert spaltete dem Echsenmenschen den Schädel. Der Dunkelelf lächelte zufrieden, zog die Klinge mit etwas Mühe heraus und blickte sich um. Das war der Letzte gewesen. Die Lichtung war mit Leichen übersät. Hunderte von Echsenmenschen, doch auch ihre Streitmacht hatte große Verluste erlitten. Die Hälfte der Speerträger lag tot oder schwer verwundet am Feld. Einige Soldaten wanderten über den blutgetränkten Boden und versetzten ihren Kameraden, die zu schwach waren um aufzustehen, den Todesstoß. Speerspitzen zuckten auf und ab und die Leben von Druchii erloschen. Sadrac wendete den Blick ab. Im Gegensatz zu vielen anderen Angehörigen seiner Rasse fand er keinen Gefallen an einem solchen Anblick. Aber er wusste, dass es notwendig war. Die meisten hätten ohnehin nicht überlebt. Und sie konnten sich keine Verzögerungen leisten, indem sie auf Verletzte Rücksicht nahmen. Jetzt wo sie hatten, weswegen sie hierhergekommen waren, galt es so schnell wie möglich zurück zu den Schiffen zu gelangen ehe sich die Wilden zu einem erneuten Angriff sammelten.

Sadrac besah sich die weniger schwer Verwundeten und zweifelte nicht daran, dass noch mehr sterben würden bevor sie den Strand erreicht hätten. Sie würden ein gnadenloses Marschtempo anschlagen, so schnell es eben ging mit all den erbeuteten Schätzen. Wer nicht mithalten konnte würde zurückfallen und im Dschungel sein Ende finden. Niemand konnte auf die Hilfsbereitschaft oder gar das Mitgefühl des anderen zählen – die Druchii kannten solche Sentimentalitäten nur vom Hörensagen und verabscheuten sie zutiefst.

Je weniger Überlebende die Schiffe erreichten, desto mehr Beute blieb denen, die es schafften. Die Starken würden umso mehr belohnt werden, während die Schwachen vernichtet würden. So war das Wesen seiner Rasse. Sadrac fürchtete seinen eigenen Untergang nicht. Er hatte so lange überlebt und war in diese Position gekommen – er besaß die Stärke, die seine Kultur voraussetzte. Er würde weiterhin gedeihen.

Sadrac blickte hinüber zu Lord Taranis. Sein Herr lag nur wenig entfernt, inmitten des größten Leichenhaufens auf der Lichtung. Leblose Augen waren zum Himmel gerichtet, die einst so noblen und arroganten Züge zu einer Grimasse verzerrt. Die prächtige schwarze Rüstung des Adligen war mit Blut und Schlamm verschmiert und beinahe bis zur Unkenntlichkeit verbeult. Sie hatte ihn schlussendlich nicht schützen können.

Der Dunkelelf dachte an die Implikationen – gegenwärtig und zukünftig. Er war der Gefolgsmann von Lord Taranis gewesen. Ein landloser Ritter, der durch einen Treueschwur sein Schwert und sein Leben im Austausch für Sicherheit und die Chance auf Reichtum verkauft hatte. Er war ein begnadeter Schwertkämpfer, doch Sadrac wusste, dass niemand in der Gesellschaft der Druchii lange auf sich allein gestellt überleben konnte.

Die direkte Implikation war, dass Sadrac als letzter überlebender Gefolgsmann von Lord Taranis die Führung übernehmen würde. Er wünschte sich, jemand anderem das Kommando zu überlassen. Es lag ihm nicht zu führen. Doch er wusste, dass von ihm erwartet wurde, sich notfalls mit Gewalt an die Spitze der verbliebenen Streitmacht zu setzen. Hinter jemand anderem zurückzutreten würde ihm als Schwäche ausgelegt werden – eine tödliche Sünde in der Kultur der Dunkelelfen. Nein, Sadrac konnte es sich nicht leisten, schwach zu erscheinen. Kein Druchii konnte das.

Die indirekte Implikation war, dass Sadrac im Falle einer erfolgreichen Rückkehr nach Naggaroth, der Heimat der Dunkelelfen, großen Reichtum besitzen würde. Der Tod hatte seine Bindung an Taranis gelöst. Er war frei, sein Vermögen zu nutzen um sich seine eigene Herrschaft aufzubauen. Der Druchii verscheuchte die Gedanken. Sie waren unpraktisch. Er musste sich auf das konzentrieren, was vor ihm lag. Sein Blick glitt über die Lichtung und musterte die Überlebenden.

Vaerlac zog gerade das geschwungene Entermesser aus der Brust eines seiner Korsaren und wischte die Klinge an der Kleidung des Toten sauber. Die Dunkelelfenpiraten gingen nicht sanfter mit ihren Verwundeten um als Lord Taranis‘ Speerträger. Als seine Speerträger, korrigierte sich Sadrac in Gedanken. Vaerlac war der Anführer der Korsaren und Kapitän der kleinen Flotte, die sie hierher gebracht hatte. Ein schlanker, etwas untersetzter Elf mit sehnigen, wettergegerbten Gliedmaßen und harten Gesichtszügen. Sadrac hatte schon auf der Überfahrt seine aufbrausende und gewalttätige Art kennengelernt. Vaerlac war selbst für einen Druchii grausam und brutal. Einige mochten ihn wegen seiner Methoden gar als wahnsinnig bezeichnen. Doch bisher war er sein Geld wert gewesen. Die Blicke der beiden Dunkelelfen trafen sich. Hass und Verachtung funkelten in den schwarzen Augen des Korsaren, doch Sadrac konnte nicht erkennen ob sie ihm galten oder bloß eine Attitüde waren, die sein Volk häufig zur Schau stellte. Er vermutete jedenfalls, dass Vaerlac vor allen anderen seinen Führungsanspruch anfechten würde.

Sadracs Blick glitt weiter und blieb an Vileena haften. Die Hauptfrau der Söldnerarmbrustschützen hatte die grazilen Hände in die Hüfte gestemmt und blickte angewidert auf die Leichen der Echsenmenschen, während ihre Soldaten mit blitzenden Dolchen das Schlachtfeld nach Beute und Verwundeten absuchten. Sie bedachte ihn mit einem Lächeln als er in ihre strahlend blauen Augen sah und er erwiderte es zögerlich. Sadrac fühlte sich zu dieser Frau hingezogen, die eine kühle Aura der Schönheit umgab, doch er war sich nie sicher ob sie Gefühle für ihn hegte oder nur mit ihm spielte. Nun da Lord Taranis tot war würde sich Vileena ihm gegenüber vielleicht anders verhalten. Jedenfalls war Sadrac sicher, dass sie ihn unterstützen würde, wenn nicht um seinetwillen dann doch zumindest um Vaerlac eines auszuwischen. Die Dunkelelfin machte kein Geheimnis daraus, dass sie den Korsarenkapitän zutiefst verabscheute.

Sadrac blickte zu Yrduna. Sie lehnte auf ihren Stab gestützt und wirkte erschöpft. Ihr langes Haar war verklebt und Schweiß glänzte auf der nackten Haut ihrer grazilen Gliedmaßen. Sie war wie immer sehr freizügig gekleidet, was abgesehen von ihren weiblichen Reizen auch ihren besonderen Status unterstrich. Der schlanke, bleiche Körper wirkte zerbrechlich, doch Sadrac lief ein eiskalter Schauer über den Rücken als er an die Macht dachte, die darin pulsierte. In diesem Moment drehte der Wind und wehte ihm den Gestank von verbranntem Fleisch entgegen. Die Sprüche der Zauberin hatten ein wahres Massaker unter den Feinden angerichtet. Im Gegensatz zu Vaerlac und Vileena kommandierte sie keine Truppen, doch es wäre töricht, ihr deshalb weniger Bedeutung beizumessen. Sadrac musterte sie intensiv, doch sie hatte die Augen geschlossen und schien seinen Blick nicht zu spüren. Doch wer wusste schon was im Kopf einer Zauberin vorging? Yrduna war ein Mysterium für den Dunkelelfenritter, ihre Ambitionen unergründlich und ihre Motive zweifelhaft. Sie war die unbekannte Variable in dem Schachspiel der Intrigen, das sich schon bald zwischen den verbliebenen Anführern der Streitmacht entfalten würde und ihre Aktionen mochten wohl den Fall des einen und den Aufstieg des anderen bedeuten. Wen würde sie unterstützen? Oder wollte sie gar selbst die Führung übernehmen? Nun, er würde es schon bald wissen, dachte Sadrac.

„Ich habe die meisten Männer und Schiffe. Der Vorrang gebührt mir.“ Vaerlac hatte die Arme vor der Brust verschränkt und blickte Sadrac abschätzig an. Die vier standen in der Mitte der Lichtung, um den Leichnam von Lord Taranis versammelt, um sie der Rest der Dunkelelfenstreitmacht, der die hitzige Diskussion interessiert verfolgte. Die Herausforderung des Korsaren galt Sadrac, doch es war Vileena, die mit der Geschwindigkeit und Bissigkeit einer Giftschlange antwortete:

„Dir gebührt gar nichts. Du hast weniger Korsaren als Speerträger und Armbrustschützen zusammengenommen.“

„Pah, Söldner.“ Vaerlac spuckte angewidert aus, eine berechnete Beleidigung. Vileenas Hand glitt hinunter zum edelsteinbesetzten Griff ihres Dolches.

„Genug!“ Sadrac stemmte die Arme in die Hüften und richtete sich zu voller Größe auf. In der schweren Rüstung war der Dunkelelfenritter der imposanteste Anblick von den vieren. Leise und mit dem Unterton einer Drohung sprach er weiter: „Es stimmt, du hast mehr Korsaren als ich Speerträger. Deine Leute haben weniger Verluste erlitten. Vielleicht haben sie sich absichtlich beim Kämpfen im Hintergrund gehalten? Vielleicht sollte ihr Anteil an der Beute reduziert werden, angesichts ihrer wenig befriedigenden Leistung?“ Ein Raunen ging bei diesen Worten durch die Menge und Metall klirrte leise als Druchii die Hände auf ihre Waffen legten und sich gegenseitig böse anfunkelten, bereit einander beim geringsten Anlass an die Gurgel zu gehen.

„Ihr braucht meine Schiffe wenn ihr Naggaroth jemals wiedersehen wollt“, knurrte Vaerlac mit hasserfüllter Miene.

„Und wenn du Naggaroth jemals wiedersehen willst, wirst du meinen Führungsanspruch anerkennen, Vearlac.“

Der Korsar spuckte erneut aus und sprach abschätzig: „Glaubst du, die paar jämmerlichen Speerträger und deine Söldnerschlampe können es mit meinen Leuten aufnehmen?“ Sadrac musste mit einer schnellen Bewegung Vileenas Arm umfassen um zu verhindern, dass sie sich mit gezogener Waffe auf Vaerlac stürzte. Ein Wogen ging durch die Menge der versammelten Dunkelelfen als jeder versuchte, sich mit dem Rücken zu einem Freund zu stellen und argwöhnisch die anderen anblickte. Viele hatten die Waffen bereits halb gezogen. Vaerlac sprach weiter:

„Selbst wenn ihr mich tötet, meine Schiffe segeln euch vor der Nase weg wenn mich meine Männer nicht unter den Überlebenden erblicken. Dann könnt ihr mit all euren Schätzen hier im Dschungel verrotten!“

„Das wäre es mir fast wert wenn ich dann deine hässliche Visage nicht mehr ertragen müsste“, zischte Vileena.

„Ich lasse mich von dir nicht erpressen, Vaerlac.“ Sadrac sprach bewusst ruhig und emotionslos. „Ordne dich meinem Oberbefehl unter oder stirb an dieser Stelle. Die Entscheidung liegt bei dir.“

Stille kehrte nach diesen Worten ein und Spannung lag wie Nebel in der Luft. Druchii starrten einander an, die Hände an den Waffen, darauf gefasst jeden Moment aufeinander loszugehen. In dieser Stille ertönten plötzlich die Worte Yrdunas, die bislang geschwiegen hatte:

„Narren. Während wir hier streiten bereiten die Echsenmenschen ihren nächsten Angriff vor. Spart euch eure Kräfte und euer Blut für sie auf.“

„Ihr habt die Zauberin gehört“, rief Sadrac den Versammelten zu. Leiser sprach er zu Yrduna gewandt: „Doch wer soll uns anführen? In dieser Angelegenheit habt Ihr Eure Weisheit noch nicht mit uns geteilt.“

Die Zauberin blickte sich um, sah jedem der drei Anführer in die Augen und sagte schließlich im emotionslosen Ton einer sachlichen Feststellung: „Ihr, Sadrac.“

Der Dunkelelfenritter musste sich beherrschen um seine Erleichterung nicht zu zeigen. Yrdunas Entscheidung hatte sie gerettet. Hätte sie sich auf die Seite des Korsaren gestellt wäre ein Blutvergießen unvermeidbar gewesen. Hätte sie selbst die Führung beansprucht hätten Diskussionen und Streitereien sie paralysiert. Sadrac war sich gewiss, dass sich die Zauberin dieser Dynamik ebenso bewusst war. Vaerlac hingegen stand starr da, seine erstarrten Züge wirkten wie aus Granit gemeißelt. Nach einigen Momenten sprach er:

„So sei es denn. Führe uns zurück zu meinen Schiffen. Doch gib acht, der Dschungel ist tückisch.“

„Hab keine Sorge, Vaerlac. Ich bin mit Tücke vertraut.“

Die Marschkolonne schlängelte sich langsam den dicht bewachsenen Dschungelpfad entlang. Ein Vorhang aus Regen und Dunst umgab sie und blockierte die Sicht. Sie waren nun schon den dritten Tag unterwegs. Am Vortag hatte es zu regnen begonnen und seitdem nicht mehr aufgehört. Aus dem Weg war Schlamm geworden und die Beute verlangsamte die Streitmacht zusätzlich. Sadrac marschierte an der Spitze und brütete dunkel vor sich hin. Neben ihm ging Yrduna. Vaerlac und Vileena befanden sich bei ihren Truppen. Der Zauberin schienen Regen und Schlamm nichts auszumachen. Sie war zwar durchnässt wie alle anderen, doch im Gegensatz zum Rest der Streitmacht schlugen sich die schwüle Feuchtigkeit des Waldes und das ständige Prasseln des Regens scheinbar nicht auf ihr Gemüt. Sie ging leichtfüßig und ohne große Anstrengung, als ginge sie über festen Boden, während die anderen Druchii bei jedem Schritt tief in den Schlamm einsanken.

„Eine Kraft wirkt gegen uns“, durchbrach Yrduna im nüchternen Ton einer Feststellung das Schweigen. Sadrac fragte sich, wann sie das letzte Mal miteinander gesprochen hatten. Der dunstige Dschungel und die beständige Anstrengung des Marsches hatten ihn jedes Zeitgefühl vergessen lassen. Er hatte alles ausgeblendet und sich völlig darauf konzentriert, einen Schritt nach dem anderen zu tun. So dauerte es einige Momente, bis sein Geist die Worte der Zauberin verarbeitet hatte. Er blickte zu ihr und sie fügte in einer undeutbaren Stimmlage hinzu: „Hast du keine Angst vor einem Hinterhalt?“

Sadrac lachte freudlos und antwortete: „Ich habe mich schon gewundert, dass wir bisher in keinen geraten sind. Die Bedingungen wären perfekt und die Dschungelbewohner hätten uns sicherlich bereits einholen können. Doch was weiß ich von den Kräften, die hier am Werk sind? Vielleicht hat sie unser Sieg mehr abgeschreckt als du denkst. Oder sie haben mehr Zeit gebraucht um eine größere Streitmacht zu sammeln. Vielleicht springen sie auch jeden Moment aus dem Nebel hervor und greifen an. Natürlich habe ich Angst vor einem Hinterhalt. Doch die einzige Möglichkeit, uns davor zu verteidigen wäre anzuhalten, ein Lager zu errichten und das Ende dieses verdammten Regens abzuwarten. Und damit säßen wir erst recht auf dem Präsentierteller. Nein, unsere einzige Chance liegt darin, so schnell wie möglich die Schiffe zu erreichen.“

„Zudem“, fügte er nach einer Pause mit einem Lächeln hinzu, „habe ich die Marschkolonne nicht zufällig so formiert, dass unser lieber Vaerlac die Nachhut bildet. Wenn uns ein Verfolger angreift werden es die Korsaren sein, die den ersten Schock des Angriffs abbekommen.“

„Du verachtest Vaerlac“, stellte die Zauberin fest.

„Nein, zumindest nicht mehr als normal ist. Er ist mir gleichgültig, solange er meine Befehle befolgt und mir nicht in die Quere kommt.“ Einige Minuten gingen sie schweigend nebeneinander. Der Schlamm saugte bei jedem Schritt an Sadracs Stiefeln wie ein lebendes Wesen, das ihn in die Tiefe ziehen wollte. Schließlich sprach er die Frage aus, die ihn seit drei Tagen beschäftigt hatte:

„Sag, warum hast du Partei für mich ergriffen?“ Es war unschicklich unter den Druchii, etwas dermaßen direkt auszusprechen, doch das war Sadrac egal. Sie waren im Nirgendwo und er wusste, dass die rhetorischen Fähigkeiten der Zauberin den seinen überlegen waren. Mit Doppeldeutigkeiten und Anspielungen würde er ihr gegenüber nicht weit kommen. Also konnte er gleich direkt fragen.

Yrduna lachte.

„Was wären die Alternativen gewesen?“

„Das meine ich nicht“, sagte Sadrac langsam, als würde ihn jedes Wort Mühe kosten. „Mir geht es vielmehr darum, ob ich auf deine Loyalität zählen kann. Bei der Versammlung vor drei Tagen hattest du kaum eine andere Wahl als mich zu unterstützen. Jede andere Option hätte in einem Desaster geendet. Mich interessiert was du tun würdest, wenn es andere, gleichwertige Optionen gäbe.“

„Du bist sehr direkt“, gab Yrduna zurück.

„Ich habe keine Lust auf Spielchen“, antwortete Sadrac mürrisch.

„Schade.“ Die Zauberin verzog den Mund zu einem undeutbaren Lächeln. Nach einer Weile fügte sie hinzu: „Mach dir keine Sorgen. Solange du uns gut führst gibt es keine gleichwertigen Optionen.“

Die Dämmerung war hereingebrochen als sie die Küste erreichten. Das Wetter war in den letzten Stunden immer schlimmer geworden und die Soldaten waren erschöpft. Nicht alle hatten den Marsch zu den Schiffen geschafft. Ein Sturm war aufgezogen und der Regen peitschte ihnen nun entgegen. Donner grollte beunruhigend nahe und der Himmel war in infernalische Farben getaucht, ein düsteres Gemälde aus Rot, Schwarz und Grau. Sadrac trat schwer atmend aus dem Wald heraus und blickte auf eine trostlose, graue Ebene. Wellen brandeten zornig gegen Kies und Fels und der Druchii erkannte die Silhouetten der drei Korsarenschiffe, die auf sie warteten. Der Dunkelelf atmete erleichtert auf und schritt schnell auf die Schiffe zu. Hinter ihm brachen seine Soldaten ebenso erleichtert aus dem Dschungel hervor und stolperten erschöpft und glücklich über den Strand.

Wie die Stimme eines zornigen Gottes grollte der Donner lauter als zuvor und Augenblicke nachdem er verklungen war fuhr ein Blitz vom Himmel auf das mittlere der drei Schiffe herab. Die Energie des Blitzes war so gewaltig, dass das Gefährt regelrecht zerbarst. Brennende Trümmer flogen durch die Luft und sanken in das stürmische Meer.

„Das ist kein gewöhnliches Unwetter!“, schrie Sadrac über das Rauschen des Windes hinweg. Die Druchii, die bereits den Strand erreicht hatten, waren wie paralysiert stehen geblieben und starrten mit schreckerfüllten Augen auf das Bild, das sich ihnen bot.

Ein weiteres ohrenbetäubendes Donnergrollen und erneut zuckte ein Blitz über den Himmel und löschte das zweite Dunkelelfenschiff aus. Sadracs schweifender Blick suchte Yrduna und fand sie unweit zu seiner rechten. Er brüllte sie an:

„Tu etwas!“

Kalte, ausdruckslose Augen starrten ihm entgegen als sie antwortete: „Das liegt nicht in meiner Macht!“

Noch einmal rollte der Donner. Irgendwo hinter sich hörte Sadrac einen markerschütternden Schrei, voller Hass und Wut und wohl auch Wahnsinn. Es war Vaerlacs Stimme. Und noch einmal fuhr ein Blitz vom Himmel herab und zertrümmerte das letzte der Schiffe.

Vaerlac bahnte sich seinen Weg durch die gelähmt dastehenden Druchii, halb stolpernd, doch der Hass trieb ihn trotz seiner Erschöpfung an. Er stieß zwei Speerträger zu Seite und dann stand er Yrduna gegenüber. Er zeigte auf sie und schrie mit zu einer Grimasse verzerrtem Gesicht:

„Du!“ Wahnsinn funkelte nun deutlich in seinen Augen, wie bei einem tollwütigen Tier, das verwundet und in die Ecke gedrängt war. „Das ist dein Werk, Hexe!“

„Du bist völlig wahnsinnig.“ Die Worte der Zauberin waren ein nüchterner Kommentar, eine objektive Feststellung der Realität, so als würde einer sagen Wasser sei nass. Die einzige Emotion, die in ihrer Stimme mitschwang, war Verachtung.

Vaerlac zog sein Schwert und stürzte sich auf sie. Sadrac beobachtete mit morbider Faszination, wie sich magische Energie knisternd um Ydruna sammelte und sich in einem grellen Blitz entlud. Das magische Feuer hüllte Vaerlac ein, flackerte aus Mund und Augenhöhlen des Elfen und brannte ihm das Fleisch vom Leib. Der Körper verharrte unnatürlich innerhalb seiner Bewegung und sank nach wenigen Augenblicken, die Sadrac wie eine Ewigkeit vorkamen, schmelzend zu Boden. Vaerlac war innerhalb weniger Sekunden zu einem Häufchen Schlacke reduziert worden.

Das Klirren von Metall riss Sadrac aus seiner Trance. Die Korsaren hatten den Tod ihres Anführers beobachtet und mehr brauchte es nicht, um das aufgestaute Misstrauen zwischen den Druchii in einem Ausbruch von Gewalt zu entladen. Sadrac zog sein Schwert und begann Befehle zu brüllen. Er war sich bewusst, dass es nun hieß: entweder sie oder die Korsaren. Der Kampf würde nicht eher enden, bis eine der beiden Fraktionen der Streitmacht ausgelöscht war. Druchii kannten das Konzept von Gnade nicht. Skrupellos jeden Feind zu töten war der einzige Weg zu überleben und das wussten beide Seiten.

Die Initiative lag bei den Korsaren. Sie töteten viele der überraschten Druchii, bevor diese wussten, wie ihnen geschah. Sadrac lief noch immer Befehle brüllend den Feinden entgegen und die Soldaten vom Beginn der Marschkolonne, die weiter vom Geschehen entfernt waren, folgten ihm. Mit Speer und Schild und Schwert krachten sie in die Korsaren und töteten eine große Anzahl beim ersten Ansturm, denn in ihrem Blutrausch hatten die Feinde gewütet wo sie gestanden waren und keine Formation eingenommen.

Doch Vaerlacs Leute waren noch lange nicht besiegt. Nachdem sie sich vom Schock des Ansturms erholt hatten, gewannen die Korsaren bald wieder die Oberhand. Sadracs Speerträger standen selbst mehr schlecht als recht in Formation. Ihre Feinde waren ihnen im Kampf Mann gegen Mann überlegen und nutzten gnadenlos jede Lücke in ihren Reihen aus. Sadrac zog sein Schwert aus dem Hals eines Korsaren und brüllte seinen Soldaten einen Befehl zu, woraufhin sie sich zurückfallen ließen und einen Schildwall errichteten. Die Korsaren sahen sich nun einer Mauer aus Holz, Stahl und funkelnden Speerspitzen gegenüber. Sie zogen sich murrend zurück – und fanden sich den Bolzen von Vileenas Armbrustschützen ausgeliefert. Sie hatte ihre Leute zur Rechten der Speerträger formiert. Sehnen surrten und Geschosse gingen auf die Korsaren nieder. Doch nur wenige fielen unter dem Beschuss. Die ständige Feuchtigkeit hatte den empfindlichen Schusswaffen zugesetzt und die Rüstungen und dicken Mäntel aus der Haut von Seeungeheuern, die die Korsaren trugen, taten ihr Übriges. Aber es reichte, um die Feinde zum Angriff zu reizen.

Die Korsaren warfen sich mit verzweifelter Entschlossenheit gegen den Schildwall. Druchii wurden von gezackten Speeren aufgespießt, doch unbarmherzig drängten die Korsaren nach vorne, auf die Leichen der gefallenen Kameraden steigend. Ihre Verluste waren gewaltig, doch sie überwanden die Speere von Sadracs Leuten und die Schlachtordnung löste sich in ein brutales Handgemenge auf. Sadrac hörte Vileenas Stimme über den blutbesudelten Strand und sah ihre Söldner mit kurzen Schwertern und Dolchen über die Korsaren herfallen. Das Gemetzel war kurz und intensiv. Sie machten die Korsaren bis zum letzten Elf nieder.

* * *

Der Sturm war fortgezogen und hatte einen leichenübersäten Strand zurückgelassen. Die Trümmer der Korsarenschiffe trieben auf einem ruhigen Meer. Ein schwacher Wind wehte von der See her und die Sonne hatte Mühe sich durch den Dunst eines trüben Morgens zu kämpfen, der die Landschaft grau und fahl wirken ließ, als läge ein Leichentuch über ihr.

Erschöpft und demotiviert machten sich die Druchii zum Abmarsch bereit. Es waren nur noch wenige Dutzend übrig. Die Dunkelelfen nahmen so viel von der Beute mit sich, wie sie tragen konnten. Den Rest hatten sie am Rande des Dschungels vergraben. Die Toten ließen sie – nachdem sie ihre Habseligkeiten geplündert hatten – auf dem Strand liegen wie sie gefallen waren.

Sadrac ging voraus und eine Kolonne müder Gestalten mit hängenden Schultern folgte ihm. Die letzten Tage und der Kampf vergangene Nacht hatte den Überlebenden viel abverlangt. Doch Sadrac wagte es nicht, noch einen Tag in der Nähe des Strandes zu rasten. Er führte das, was von der Streitmacht übrig war, an der Küste entlang nach Norden. Sie mochten Glück haben und in diesem von den Göttern verlassenen Landstrich eine Siedlung finden, die sie plündern und deren Bewohner sie versklaven konnten. Vielleicht würde ihnen sogar ein Schiff in die Hände fallen oder sie konnten ihre hypothetischen Sklaven dazu zwingen, ihnen eines zu bauen. Im schlimmsten Fall würden sie einfach so lange nach Norden marschieren bis sie diesen verfluchten Kontinent verlassen hatten und in zivilisiertere Gegenden kamen. Sadrac wusste aus den Karten, die er vor der Abfahrt gemeinsam mit Lord Taranis studiert hatte, dass weiter im Norden der Dschungel in Wüste übergehen würde, die von Nomaden ebenso wie von den Lebenden Toten heimgesucht wurde. Noch weiter nördlich lag das orkverseuchte Ödland und dahinter die Königreiche der Menschen. Der Dunkelelf hoffte, schon viel früher eine Gelegenheit zu erhalten, diesem Kontinent zu entfliehen. Doch es nutzte nichts, über dem zu grübeln, was in der Zukunft lag. Wie er die Sache auch drehte und wendete: Norden war ihre letzte Hoffnung, denn in den anderen Himmelsrichtungen erstreckten sich entweder endloser Dschungel oder die Weiten des Ozeans. Norden war die einzige Richtung, in die sie gehen konnten.

„Was hältst du von Sadrac?“ Yrduna hatte sich zurückfallen lassen und ging nun neben Vileena, die die Zauberin misstrauisch beäugte.

„Was soll ich von ihm halten? Er führt uns.“ Die Söldnerhauptfrau hatte keine große Lust auf ein Gespräch. Sie war erschöpft, dreckig und verschwitzt und sehnte sich nach den Annehmlichkeiten ihrer Heimat. So hatte sie sich die Rückkehr nach Naggaroth sicherlich nicht vorgestellt und das drückte zusätzlich auf ihr Gemüt. Yrduna blickte sie an, als könne sie ihre Gedanken lesen, doch vermutlich waren sie auch ohne telepathische Fähigkeiten klar an ihrem Gesichtsausdruck abzulesen. Dann sagte sie etwas, das Vileena überraschte:

„Er liebt dich, weißt du das?“ Yrduna sprach mit kühler Stimme. Es war eine Feststellung, ohne Emotion, ohne Häme, ohne Neid – aber nicht belanglos. Vileena wusste, dass Zauberinnen nichts ohne Hintergedanken sagten.

„Ja“, antwortete sie schlicht und ebenso kühl und emotionslos.

Sie schritten eine Zeit lang wortlos nebeneinander. Schließlich sprach Yrduna: „Akzeptierst du ihn deshalb als unseren Anführer?“

Vileena sog hörbar Luft ein bevor sie mit gezwungener Gelassenheit antwortete: „Er war die offensichtliche Wahl. Hätte ich stattdessen einen Wahnsinnigen wie Vaerlac unterstützen sollen?“ Sie verzog den Mund zu einer verächtlichen Grimasse.

„Er war damals vielleicht die beste Wahl, doch ich frage mich, ob das noch immer so ist.“

„Wie meinst du das?“ Misstrauen schwang in der Stimme der Söldnerin mit.

„So wie ich es gesagt habe“, erwiderte die Zauberin mit einem spöttischen Unterton.

„Und was sind die Alternativen?“

Vileena bekam bloß ein nichtssagendes Lächeln zur Antwort.

„Wenn du willst, dass ich mich gegen Sadrac wende, damit du seinen Platz einnehmen kannst...“

„Wer redet von mir?“, gab die Zauberin zurück. „Ich meine, dass du uns führen solltest.“

* * *

Sie marschierten viele Tage die Küste entlang. Zur Rechten der Kolonne erstreckte sich das dunkle und bedrohliche Grün des Dschungels, zur linken das endlose Meer, das die Druchii von ihrer Heimat Naggaroth trennte. Erschöpft und sehnsüchtig blickten die Soldaten immer wieder auf den fernen Horizont und sogen begierig die kühle, salzige Luft ein. Sie marschierten über Sand und Kies und Fels und die Gischt brach sich an den leblosen Ufern des vergessenen Kontinents.

Mit jedem Tag schrumpfte die Anzahl der Überlebenden. Männer und Frauen starben durch Krankheit oder Erschöpfung oder durch den heimtückischen Biss giftigen Getiers. Die Dunkelelfen litten beständig Hunger und und Durst und kamen nur langsam voran, denn sie mussten immer wieder Trupps in den Dschungel schicken um nach Nahrung und Wasser zu suchen. Nicht immer kehrten alle wieder zurück.

Schließlich traf Vileena eine Entscheidung. Als sie rasteten saß sie abseits und wechselte leise Worte mit Yrduna. Während des gesamten Gesprächs war sie angespannt, doch die Zauberin lächelte bloß geheimnisvoll und stimmte Vileenas Plan mit einem kaum merklichen Nicken zu.

In der folgenden Nacht schlich sie zu Sadracs Zelt. Ihre prächtige Rüstung hatte sie abgelegt um keinen Lärm zu machen. Sie trug bloß das lederverstärkte Untergewand, und einen Gürtel, an dem in der Scheide ihr reich verzierter Dolch hing. Das Zelt ihres Anführers war nicht größer oder prächtiger als das der anderen Druchii – für diese Expedition hatte Sadrac Funktionalität der Form vorgezogen. Wie die anderen schlief er in einem kleinen Einmannzelt, das einfach zu transportieren und auf- und abzubauen war und wenig mehr als seinen Besitzer selbst und seine Ausrüstung aufnehmen konnte. Sie kroch hinein und fand die Gestalt des Mannes bewegungslos am Boden liegend. Eine dicke Wolldecke umschlang mit Ausnahme des Kopfes den gesamten Körper.

Vileena lächelte und zog den Dolch. Die Zauberin hatte versprochen, Sadrac in einen tiefen Schlaf fallen zu lassen und sie würde dafür sorgen, dass er nie wieder daraus erwachte. Nicht, dass sie einen Hass auf ihn hegte wie sie es bei Vaerlac getan hatte. Doch die Gelegenheit war zu günstig und wenn ihr das Söldnerleben eines gelehrt hatte, dann dass man günstige Gelegenheiten ergreifen musste. Alleine hätte sie es niemals gewagt, sich Sadrac entgegenzustellen, doch die Unterstützung der Zauberin veränderte alles.

Sie blickte auf den schlafenden Mann und wurde sich eines seltsamen Gefühls gewahr, das ihr fremd war. Sie verdrängte das Gefühl und mit ihm die Schwäche. Stattdessen stellte sie sich vor, wie es wäre, an der Spitze einer Streitmacht zu stehen, hunderte, nein tausende Druchii zu kommandieren die nur darauf warteten ihren Willen zu tun. Sie dachte an Ruhm, Reichtum und Macht. Bisher waren das nur Träumereien gewesen, doch jetzt schienen sie greifbar und der Weg dorthin führte über die Leiche des Elfen vor ihr. Wenn sie es schaffte, als Anführerin der Expedition nach Naggaroth zurückzukehren würde das ihr Ansehen und ihren Reichtum in ungeahnte Höhen katapultieren. Es würde ihr den Weg in die Reihen des Dunkelelfenadels öffnen und damit den Weg zu Besitzungen, Luxus und militärischem Kommando.

Sie beugte sich über den Schlafenden und hob den Dolch um zuzustoßen. Mit der anderen Hand zog sie die Decke fort und erstarrte, die Augen vor Schrecken und Überraschung weit aufgerissen. Sadrac trug seine Rüstung. Bevor sie die Gedanken, die bei diesem Anblick durch ihren Kopf rasten, zu Ende denken konnte, packte seine Hand ihren Waffenarm. Sadrac verdrehte schmerzhaft ihren Arm und zwang sie, den Dolch fallenzulassen. Dann rollte er sich zur Seite und drückte sie zu Boden. Seine Augen funkelten böse in der Dunkelheit. Sie versuchte sich zu befreien, doch sie wusste, dass es sinnlos war – gegen Sadracs Kraft und Gewicht kam sie nicht an.

„Warum?“, zischte er heiser, als schnüre ihm etwas die Kehle zu. Doch es waren nicht Hass und Verachtung, die Vileena vernahm, – sie wären verständlicher gewesen – sondern Schmerz und Enttäuschung. Sie antwortete ihm nicht und wendete den Blick von seinem Antlitz ab, um nicht den Ausdruck darin sehen zu müssen. Sie zappelte weiter wie ein Fisch an Land unter seinem Griff, doch er hielt sie erbarmungslos fest. Sie wusste, was nun kommen würde.

„Ich habe dich geliebt“, sprach er mit einer seltsamen Melancholie in der Stimme.

Sie blickte in seine Augen und sah zwei Tränen sich in ihnen formen. „Ich weiß“, sprach sie. Es waren ihre letzten Worte. Sadrac griff nach ihrem Dolch und durchbohrte ihr Herz mit einem sauberen Stich. Es war sein letzter Liebesbeweis – er gönnte ihr einen schnellen Tod.

* * *

Als sie am nächsten Tag weitermarschierten ließen sie die Leiche der Verräterin dort liegen wo sie gestorben war. Sadrac war den ganzen Tag über mürrisch und abgesehen von knappen Befehlen kam kein Wort über seine Lippen. Er wünschte sich, Vileena begraben zu haben, doch hätte man ihm ein solches Verhalten als Schwäche ausgelegt. Ein kühler Wind wehte vom Meer her, ein Wind der Regen und Sturm verhieß. Sadrac schritt an der Spitze der Kolonne und dunkles Brüten umfing ihn wie der Mantel, den er sich enger um den Körper schlang. An der Seite trug er Vileenas Dolch.

„Ein schönes Beutestück“, bemerkte Yrduna, die seit dem Morgen nicht von seiner Seite gewichen war. „Es freut mich, dass du meine Warnung beherzigt hast.“

Sadrac antwortete nicht. Er hatte bis zuletzt nicht glauben können, dass Vileena ihn verraten würde. Er schalt sich in Gedanken einen Narren für seine Leichtgläubigkeit. Er hatte seinen Empfindungen für die Frau erlaubt, ihn zu blenden. Seine Gefühle hatten ihn schwach gemacht. Er biss sich auf die Unterlippe und schwor sich, nie wieder schwach zu sein.

Im Gehen spielte seine Hand mit dem juwelenbesetzten Knauf von Vileenas Dolch. Er wusste nicht, aus welcher sentimentalen Ader heraus er die Waffe an sich genommen hatte. Er wollte wohl einfach ein Andenken an seine verlorene Liebe haben. Die anderen sahen darin nur das Recht des Siegers, das Hab und Gut des getöteten Feindes an sich zu nehmen. Doch für ihn war der Dolch mehr. Seine Finger schlossen sich krampfhaft um den Griff. Von nun an sollte er ihn nicht nur erinnern sondern auch ermahnen.

„Fürwahr“, erwiderte er schließlich doch noch, „eine prächtige Waffe. Sie ist einiges wert.“

„Oh, wäre es nicht schade sie zu verkaufen?“, antwortete die Zauberin mit einem seltsamen Lächeln.

„Zuerst müssen wir ohnehin erst einmal diese verdammte Küste hinter uns lassen“, gab er vielleicht etwas zu bissig zurück. Es fiel ihm an diesem Tag schwer, seine Gefühle im Zaum zu halten – und zu verbergen, was er unter der Maske aus Ärger wirklich fühlte.

„Ich habe Vertrauen, dass du uns zurück nach Naggaroth führen wirst.“ Yrdunas Handrücken strich wie zufällig über seine Hand, die noch immer auf Vileenas Dolch lag. Sie fühlte sich kühl an und der Wind, der Sadrac entgegenblies, trug erste Regentropfen mit sich, die ihn unwillkürlich an die Tränen denken ließen, die er letzte Nacht vergossen hatte – ein unverzeihliches Zeichen der Schwäche. Doch die einzige Person, die sie gesehen hatte war nun tot.

Der Sturm war nachts über sie hinweggezogen und sie setzten den Marsch im fahlen Licht eines feuchten und kühlen Morgens fort. Niemand rechnete damit, als sie das Dorf fanden. Es lag in einer kleinen Bucht, umgeben von Dschungel. Es bestand aus ein paar armseligen Hütten zwischen denen dunkelhäutige Primitive ihrem Tagwerk nachgingen. Doch es waren Menschen. Die Druchii lagen verborgen und beobachteten. Keine Türme, kein Wall, noch nicht einmal ein Zaun. Die Männer trugen Speere und Messer, doch es waren Jäger und keine Krieger. Sadrac zählte kaum mehr als hundert Einwohner und wenn man Frauen, Kinder und Alte abzog blieben vielleicht drei Dutzend ernstzunehmende Verteidiger. Damit waren ihnen die Wilden noch immer zahlenmäßig überlegen, denn inzwischen waren die Dunkelelfen auf weniger als zwei Dutzend zusammengeschrumpft. Doch gegen ihre Waffen und Rüstungen aus Metall würden sie wenig ausrichten können. Um die Mittagszeit befahl Sadrac den Angriff.

Wie ein Rudel ausgehungerter Wölfe fuhren sie zwischen die überraschten Eingeborenen und richteten ein Gemetzel an. Sie töteten die Männer, die sich ihnen entgegenstellten. Einige der Dorfbewohner flüchteten in den Dschungel, doch die meisten nahmen sie gefangen. Sadrac ließ einen Teil der Dorfbewohner, vor allem Kinder und Alte, in eine Hütte bringen und sie bewachen. Er schätzte, dass ihnen diese Wilden dienen würden solange das Leben ihrer Verwandten in den Händen der Druchii lag. Und er sollte Recht behalten.

* * *

In den nächsten Tagen richteten sich die Dunkelelfen in dem Dorf ein. Die Eingeborenen lernten schnell die Gesten und harschen Befehle in der grausamen Sprache ihrer neuen Herren zu verstehen. Die Druchii labten sich an Fleisch und Früchten und fanden nach den Strapazen des langen Marsches Gefallen an Untätigkeit und dem relativen Luxus, den sie nun genossen. Die Dunkelelfen schliefen in den Hütten der Dorfbewohner während diese mit dem nackten Boden außerhalb der Gebäude vorlieb nehmen mussten. Doch Sadrac ließ nicht ganz in seiner Wachsamkeit nach. Zu jeder Tages- und Nachtzeit waren bewaffnete Wachen eingeteilt, die die eingeschüchterten Wilden mit verächtlichen und gelangweilten Blicken musterten und die kleinste unabsichtliche Geste und den flüchtigsten Blick, die nicht totale Unterwerfung signalisierten, mit der für ihr Volk typischen Grausamkeit bestraften.

Sadrac bewohnte eine mit reichen – wenn für elfischen Geschmack auch kruden – Schnitzereien verzierte Hütte in der Mitte des Dorfes, die früher wohl dem Häuptling oder dem Ältesten des Stammes gehört hatte. Er stand im Eingang und ließ seinen Blick über das Dorf schweifen. Seine Augen glitten desinteressiert über die Tätigkeiten der Eingeborenen und leuchteten etwas heller als er nacheinander seine Soldaten musterte um zu beurteilen wie es um ihre Aufmerksamkeit und Disziplin stand.

Er dachte an die Zukunft. Diese Wilden waren nicht in der Lage ein Schiff zu bauen, das sie zurück nach Naggaroth bringen könnte. Ihnen würde nichts übrigbleiben, als weiter nach Norden zu marschieren. Die Sklaven, die die Druchii nicht zurücklassen würden, würden ihr Vorankommen noch weiter verlangsamen.

Er dachte an sein Gespräch mit Yrduna. Sie war am Abend nachdem sie das Dorf eingenommen hatten, zu ihm gekommen.

„Das Glück ist uns wieder hold.“

„Noch sind wir nicht zuhause.“

„Hab Geduld. Hier sind wir vorerst sicher. Hier können wir unsere Wunden kurieren und uns von der Erschöpfung der letzten Wochen erholen. Hier haben wir Essen, Sklaven und ein Dach über dem Kopf.“ Er erinnerte sich daran, wie ihre Hand seinen Unterarm berührt hatte. Er hatte den Mund verzogen und seinen Blick abgewandt.

„Warum so angespannt?“ Ihre Hand hatte die seine ergriffen. Er wusste nicht, wie lange sie sich in die Augen geblickt hatten. Er hatte nicht gewusst was er sagen sollte. Paralysiert war er stehengeblieben wie eine Puppe deren Fäden man durchtrennt hatte.

„Ich werde dir helfen zu entspannen.“ Der Körper der Zauberin hatte sich an ihn geschmiegt wie Samt.

Seitdem schliefen sie jede Nacht miteinander. Doch die Augen der Zauberin waren so geheimnisvoll und unergründlich wie an dem Tag als er sie das erste Mal gesehen hatte. Sie redeten nicht viel miteinander und obwohl er jede Stelle ihres Körpers kannte blieb ihm ihre Seele verschlossen. Er rätselte noch immer über die Motive und Pläne der Zauberin.

Bei diesen Gedanken fühlte Sadrac Unruhe in sich aufsteigen. Die Annehmlichkeiten machten seine Leute weich. Und wer weiß, welches Verhängnis ihnen auf den Fersen war. Nein, es wäre ein Fehler zu lange hier zu bleiben. Er nahm sich vor, an diesem Abend mit Yrduna darüber zu sprechen.

* * *

„Narr!“ Das Lachen der Zauberin rollte durch die Hütte. „Bist du so erpicht auf die Strapazen?“

„Willst du ewig hierbleiben?“

Sie schmiegte sich an seine nackte Brust und umkreiste ihn langsam. „Nichts währt ewig. Was ich will ist diese Nacht zu genießen. Und die darauf.“

„Ich dachte immer ihr Zauberinnen würdet Pläne schmieden, die sich über Jahrhunderte hinweg entfalten. Und du sagst mir dass du nicht weiter als bis morgen denkst?“

Sie lachte erneut, legte die Hände um seinen Nacken und blickte ihn an. „Vielleicht die Jungen und Unerfahrenen.“ Sie senkte lächelnd den Blick. Die Geste war die eines jungen Mädchens, das so offensichtlich Unschuld und Scham vorspielte, dass kein Zweifel an der gegenteiligen Natur ihres Wesens bestand. „Komme ich dir so unerfahren vor?“

Yrduna hatte die Angewohnheit, ihn sprachlos zu machen. Sie küsste ihn und zog ihn zum Bett.

* * *

Eine Woche verging und Sadrac wurde mit jedem Tag unruhiger. Das Dorf langweilte ihn. Die Untätigkeit langweilte ihn. Yrduna langweilte ihn. Er empfand all das als eine Ablenkung von seinem Ziel – der Rückkehr nach Naggaroth.

Yrduna kam an diesem Abend wie immer. Doch diesmal legte er seine Hand auf ihre Schulter und schob sie von sich.

„Nicht heute Abend. Mach dich fertig und gönne dir etwas Schlaf. Morgen früh brechen wir auf.“ Die Worte kamen mechanisch über seine Lippen. Er sah Yrduna nicht an.

„Was soll das heißen?“, zischte sie.

„Das, was ich eben gesagt habe.“

„Du weist mich zurück?“

„Wir brauchen unsere Kräfte für den Weitermarsch. Ich will mich ausruhen. Ich will heute Nacht alleine schlafen.“

„Das ist keine Antwort.“

Sadrac seufzte. „Hast du nicht gesagt, dass nichts ewig währt? Ich bin es müde, untätig hier herumzusitzen.“

„Bist du so erpicht auf den Dschungel?“

„Ich bin erpicht darauf heimzukehren.“

„Dann bist du ein Narr! Ist das dein großartiger Plan, einfach nach Norden zu marschieren, durch Dschungel und endlose Wüsten? Niemand von uns würde das überleben.“

„Und was ist dein großartiger Plan? Dass wir unser Lebensende zwischen diesen armseligen Hütten verbringen? Lieber sterbe ich beim Versuch heimzukehren als hier an Alter und Schwäche zugrunde zu gehen!“

„Und dein Versuch wird dich das Leben kosten“, sprach sie mit einer seltsamen Emotion in der Stimme.

„Meine Entscheidung steht fest. Geh schlafen und bereite dich auf die Abreise vor.“

Ihr Blicke durchbohrten ihn wie Dolche, dann wurden sie sanft und ein geheimnisvolles Lächeln umspielte ihre zarten Lippen. Sie deutete eine spöttische Verbeugung an und sprach: „Wie du wünscht. Ich werde alles vorbereiten.“ Dann drehte sie sich um und ging.

Als Sadrac aufwachte hielten ihn mehrere Hände fest. Man band ihm die Arme auf den Rücken und führte ihn in der Morgendämmerung auf den Platz vor seiner Hütte. Dort wurde er an einen hölzernen Pfahl gebunden. Die Reste der Dunkelelfenstreitmacht waren um ihn versammelt. Er blickte auf die schlanke Gestalt Yrdunas. Diesmal war er es, der sie mit Blicken durchbohrte, das Gesicht eine Fratze des Hasses. Kein Wort kam über seine Lippen denn sein Gebaren und seine Blicke sagten alles was notwendig war. Die Zauberin lächelte.

„Du hättest mich nicht zurückweisen sollen. Hast du geglaubt, ich würde zulassen, dass du uns ins Verderben führst?“

„Und nun? Warum lässt du mich hier hinaus schleifen? Wäre es nicht einfacher gewesen, mich im Schlaf zu töten wie es die andere Verräterin versucht hat?“

Ein hartes Lachen erklang aus der Kehle der Zauberin. „Vileena hat niemals etwas für dich empfunden. Sie hat immer nur sich selbst geliebt. Deshalb wollte sie dir einen schnellen Tod geben – weil du ihr egal warst. Ach, wie einfach es war, sie gegen dich auszuspielen!“

Sadracs Augen weiteten sich und seine Lippen begannen Worte zu formen. Er flüsterte mehr als er sprach, und der Ausdruck des Hasses in seinem Wesen war absolut: „Du …“

Wieder lachte Yrduna. „Ja, ich! Ich habe schon vor Langem ein Auge auf dich geworfen, doch deine Gefühle für diese kleine Schlampe haben dich blind gemacht, mein Liebster.“ Die letzten beiden Worte trieften vor Hohn. „Hättest du klar gesehen, hättest du erkannt, dass ich keine Konkurrenz dulde.“ Sie zuckte mit den Achseln. „Schlussendlich ist sie mir egal. Sie ist tot und vergessen und ich verüble ihr noch nicht einmal den schnellen Tod, den du ihr gegeben hast. Aber du bist mir nicht egal, Sadrac. Du hast gedacht, du kannst mich einfach so fallen lassen? Mich herumkommandieren? Ich will dich für deine Anmaßung mir gegenüber gebührend leiden sehen.“

Sadracs Körper bäumte sich auf, er zerrte an den Fesseln, jeder Muskel seines Körper bis zum Zerreißen gespannt. Und ebenso sein Verstand. Hass und Qual erfüllten den Dunkelelfen in einem Ausmaß, das selbst für seine Rasse zu viel war, und führten seinen Geist an den Rande des Wahnsinns. „Drakira, Königin der Vergeltung, ich flehe dich an, gib mir eine Gelegenheit diese Schlampe umzubringen und mein restliches Leben soll dir geweiht sein!“

„Sie hört dich nicht, du Narr“, lachte die Zauberin. „Oh, wie wütend und verzweifelt du sein musst, dass du schon zu den Göttern rufst wo ich noch nicht einmal begonnen habe!“ Dann zog sie eine Schnute und fuhr in enttäuschtem Tonfall fort: „Schade. Selbst jetzt erfüllst du meine Erwartungen nicht. Ich hatte gedacht, du würdest mir mehr Widerstand entgegensetzen. Ich habe mich schon darauf gefreut, langsam und zärtlich den starren Panzer deiner Persönlichkeit zu durchbohren, dir Maske um Maske vom Gesicht zu reißen bis dein Innerstes offenliegt und du mich um den Tod anflehst… Na ja, zumindest an Letzterem können wir noch ein wenig arbeiten, nicht wahr?“

Sie zog einen schlanken Dolch und ging gemächlich auf ihn zu. Sadracs Gesichtszüge wurden hart als er sich auf das Unvermeidliche einstellte. Sein Geist vermochte keine Qualen mehr zu leiden, doch das galt nicht für seinen Körper. Die Druchii hatten die Folter zu einer Kunstform perfektioniert und Yrduna würde seinen unvermeidlichen Tod so lange hinauszögern bis sie sein Leid langweilte.

Sadracs Pupillen weiteten sich vor Schock und Überraschung, die Zauberin schüttelte müde lächelnd den Kopf und wollte etwas sagen, doch nach dem Hundertstel eines Augenblicks realisierte sie, dass Sadracs Reaktion nicht ihr galt. Sie drehte sich um und sah gerade noch wie einer der Dunkelelfenkrieger seine Hand zu Hals führte, den kleinen Pfeil, der darin steckte, herauszog, das Objekt in seiner Hand einen Moment lang ungläubig anstarrte und dann zusammenbrach.

Und dann brach das Chaos aus. Schwerter wurden gezogen, Armbrüste geladen, Krieger liefen durcheinander und suchten Deckung oder duckten sich hinter ihren Schilden. Aus dem Dschungel stürmten reptilienhafte Krieger, bunte Kämme auf den Köpfen, primitive Waffen und Schilde in den schuppigen Klauen. Das Zischen aus ihren Mündern vermengte sich mit dem Zischen der Pfeile aus den Blasrohren, die von kleineren Echsen abgefeuert wurden, die sich flink zwischen den größeren Artgenossen bewegten und von Deckung zu Deckung huschten. Yrduna lief an Sadrac vorbei, suchte Deckung hinter einer Hütte und versuchte so etwas wie eine Verteidigung zu organisieren. Sadrac zerrte erneut an seinen Fesseln, er stemmte sich gegen den Pfahl und versuchte, ihn aus dem Boden zu reißen. Wut und Verzweiflung überkamen ihn. Das war seine Gelegenheit, seinem Schicksal zu entkommen, doch weder lösten sich seine Fesseln noch vermochte er den Pfahl zu bewegen.

Schon hatten die ersten Echsenkrieger das Dorf erreicht und ein blutiges Handgemenge begann. Die Dunkelelfen kämpften verbissen, doch gegen die Zahl der Feinde hatten sie keine Chance, zumal es ihnen nicht gelang eine Formation einzunehmen. Im Scharmützel waren ihnen die größeren und kräftigeren Echsenmenschen überlegen. Sadrac sah wie ein Dunkelelfenkrieger von Pfeilen getroffen zusammenbrach, während ein anderer zu Boden gegangen war und unter verzweifelter Gegenwehr gleich von drei Gegnern in Stücke gehackt wurde. Yrduna ließ Flammen auf die Feinde regnen und bald hatte das halbe Dorf Feuer gefangen. Ihre Magie schien für Sadrac das Inferno des Gemetzels nur noch zu verstärken. Er schrie seine Wut über seine Unfähigkeit zu handeln zum Himmel und sein Schrei vermischte sich mit den Rufen der Sterbenden.

Aus Rauch und Flammen und Gemetzel torkelte eine Gestalt auf Sadrac zu, einen Dolch in Händen. Die Kriegerin war mit Blut und Schmutz besudelt, den Helm hatte sie verloren und das rechte Bein zog sie nach. Es war eine Söldnerin aus Vileenas Trupp. Sadracs Gesicht wurde hart und ausdruckslos. Als sie ihn erreicht hatte legte sie die linke Hand auf seine Schulter wie um sich an ihm zu stützen und mit dem Dolch in der Rechten durchtrennte sie seine Fesseln. Dann lehnte sie sich mit dem Rücken an den Pfahl und sank zu Boden.

Sadrac ging in die Hocke, rieb sich seine Handgelenke und blickte in die schmerzerfüllten Augen der Frau.

„Warum?“

„Weil ich sie … geliebt habe.“ Die verunstaltete Grimasse einer einst schönen Elfin lächelte ihn gepeinigt an. „Es scheint, als hätte dich die Göttin … erhört.“ Sie lachte und hustete Blut. „Ich sterbe. Töte die Schlampe. Nimm … deine und meine Rache … für Vileena.“ Dann senkte sie den Kopf und schloss die Augen.

Leben kehrte in Sadracs Muskeln zurück. Geduckt huschte er zu seiner Hütte während um ihn herum die Schlacht tobte. Er hatte Glück, das Gebäude war bisher von den Flammen verschont geblieben. Schnell gürtete er sein Schwert. Für die Rüstung blieb keine Zeit. Dann fiel sein Blick auf Vileenas Dolch und er hielt inne. Langsam, als müsse er sich dazu überwinden, griff er danach und befestigte auch ihn an seiner Hüfte. Daraufhin stürmte er aus der Hütte hinein ins Gemetzel.

Und es war Gemetzel in seiner Reinform, ohne Strategie oder Taktik. Die Echsenmenschen hatten das Dorfzentrum erreicht. Jeglicher Zusammenhalt war aufgelöst. Eine Trennung zwischen Angegriffenen und Angreifern existierte nicht mehr. Zwischen Rauch und Flammen kämpften Krieger gegen Krieger wo sie gerade standen.

Lächelnd zog Sadrac sein Schwert und stürzte sich ins Getümmel. Ein Echsenmenschenkrieger fegte einen Druchii mit einem gewaltigen Hieb seiner Keule zu Boden. Sadracs Klinge trennte ihm den Kopf von den Schultern bevor er die Waffe erneut gehoben hatte. Der Dunkelelfenritter achtete nicht auf den Mann, der ihn am Boden liegend anstarrte, sondern warf sich sofort auf den nächsten Gegner. Sadrac kämpfte ohne Schutz, mit nacktem Oberkörper. Er hatte Taktik und Finesse ebenso wie alle Vorsicht über Bord geworfen. Blutrausch erfüllte ihn und er ging wie ein Wirbelwind durch die Feinde. Er heulte triumphierend als er sein Schwert ins Auge eines weiteren Echsenmenschen stieß.

„Drakira! Blut für die Königin der Vergeltung!“ Wie unbewusst kam der Kampfschrei über Sadracs Lippen. Lachend duckte er sich unter dem Hieb eines Gegners und durchtrennte ihm in derselben Bewegung das Bein. Der Echsenmensch stürzte zu Boden und Sadrac durchbohrte sein Herz. Die Elfengöttin der Rache würde an diesem Tag reichlich trinken. Für einen Moment durchlief Sadrac ein Schauer als etwas in ihm gewahrte wem er da sein Leben versprochen hatte. Dann erblickte er inmitten des Gemetzels die schlanke Gestalt der Zauberin und der Wunsch nach Vergeltung fegte alles andere hinfort. Er zog mit der Linken Vileenas Dolch und ging entschlossen auf die Frau zu, mit der er noch unlängst das Bett geteilt hatte.

Aus Feuer und Rauch schälte sich die riesige Gestalt eines Echsenmenschen, der ihm den Weg versperrte. Die Kreatur war einen Kopf größer als alle anderen, die Sadrac bisher gesehen hatte. Aus dem reptilienhaften Mund ertönte ein Zischen, das dem Dunkelelfen wie eine zornige Herausforderung erschien. Sadrac nahm die Herausforderung an.

Der Dunkelelf stürzte sich auf seinen Gegner und hieb auf ihn ein, doch er unterschätzte die Geschicklichkeit und Wendigkeit des reptilischen Riesen. Sadracs wahnsinnige Wut verflog schnell als er mehr und mehr damit beschäftigt war, seinerseits den Hieben seines Gegners auszuweichen. Sein Schwert schnitt Wunden in die widerstandsfähige Haut des Echsenmenschen, die dieser kaum zu bemerken schien. Sadrac hatte den Kampf mit Rache im Sinn begonnen, doch nun war er einzig und allein damit beschäftigt, zu überleben. Schrecken erfüllte den Druchii als sich in seinem Geist der Gedanke formte, dass er diesen Kampf verlieren würde. Nein! Er würde sich seine Rache nicht nehmen lassen!

„Drakira!“ Er wich einem Hieb des Echsenmenschen aus und machte einen Satz nach vor, die Spitze des Schwertes auf das Herz des Gegners gerichtet. Ein dumpfer Schmerz erfüllte Sadracs Oberkörper als sein Feind mit übermenschlicher Geschwindigkeit seinen Schild zwischen sich und den Elfen brachte. Kühle Bronze schmetterte gegen seinen ungeschützten Leib und warf Sadrac zurück. Er prallte hart auf den Boden und blieb benommen liegen. Er hatte den Geschmack von Blut im Mund. Über ihm thronte der siegreiche Feind, die Waffe zum Todesstoß erhoben. Feuerschein tanzte über die bernsteinfarbenen Reptilienaugen, der türkisgrüne Körper hob sich beinahe unwirklich vor dem Hintergrund aus Flammen und Rauch ab. Sadrac wusste in diesem Moment, dass er zu langsam sein würde, um dem Schlag der gewaltigen Keule auszuweichen. Sein Körper spannte sich in einem letzten verzweifelten Versuch das Unvermeidliche abzuwenden. Doch der finale Schlag kam niemals. Eine gewaltige Hitze schlug Sadrac entgegen als Flammen den Echsenmenschen einhüllten und verzehrten. Das Feuer brannte bloß wenige Augenblicke, doch es brannte so hell, dass der Dunkelelf den Blick abwenden und die Augen schließen musste. In ihm stieg dieselbe morbid-paralysierende Faszination auf, die er bei Vaerlacs Tod gespürt hatte. Was er gewahrte war die Anerkennung einer schrecklichen und absoluten Macht, die aus dem Reich des Chaos geboren war und sich spöttisch über jedes Naturgesetz hinwegsetzte. Er öffnete die Augen und blickte Yrduna an. Sie stand breitbeinig vor ihm, das Haar wirr, die schweißnasse Haut mit Asche und Blut überzogen. Die feinen Gesichtszüge waren hart und unnachgiebig, der Mund zusammengepresst. Sie war die Inkarnation von Tod und Vernichtung. Sadrac sah in die dunklen Augen der Zauberin, die einen seltsamen Ruhepol bildeten, der nicht zu ihrer sonstigen Erscheinung passen wollte. In diesem Moment bewunderte Sadrac die Frau ebenso sehr wie er sie hasste. Mühsam stand er auf ohne den Blick abzuwenden. Seine Knöchel traten weiß hervor als seine Finger Schwert und Dolch umfassten. Yrduna mochte ihm gerade das Leben gerettet haben, doch das würde sie nicht vor seiner Vergeltung bewahren. Sein Körper spannte sich an, bereit zum Angriff. Hasserfüllt starrte er in die dunklen Augen, doch er zögerte. Er hatte des Gefühl, dass noch etwas gesagt werden müsse bevor einer von ihnen beiden starb. Er öffnete den Mund um zu sprechen, doch sie kam ihm zuvor.

„Narr! Denkst du im Angesicht der Vernichtung an nichts anderes als deine Rache? Wir können unsere Differenzen später noch immer klären. Jetzt hilf mir, diesen Angriff abzuwehren, sonst …“

Weiter kam sie nicht. Zum ersten Mal sah Sadrac echte Emotion in den Augen der Zauberin, als sie ungläubig an sich herabblickte. Ihr Blick heftete sich an die blutige Speerspitze, die aus ihrer Brust ragte und darin gewahrte der Dunkelelf eine Empfindung von der er niemals gedacht hätte, dass Yrduna dazu fähig wäre: Angst.

„Nein!“ Sadracs Gesicht war eine Fratze aus Hass und ungläubigem Entsetzen. Die Spannung in seinen Muskeln entlud sich in einem Satz nach vor und mit einer fließenden Bewegung trennte er dem Echsenmenschen, dessen Speer seine Feindin verwundet hatte, den Kopf von den Schultern. Ein zweiter Schlag und er durchtrennte den Schaft der Waffe an der Stelle wo sie Yrdunas Rücken durchbohrte. Die Zauberin sank auf die Knie und fiel zur Seite. Sadrac kniete sich neben sie und drehte sie auf den Rücken. Yrdunas schlanke Finger umfassten schwach den Speer in ihrer Brust, ihr Atem rasselte und ein dumpfer Schleier begann sich über die angsterfüllten Augen der Elfin zu legen. In einer seltsamen Ironie des Schicksals lag die Frau, die noch vor wenigen Momenten die Macht über Leben und Tod in ihren Händen gehalten hatte, nun selbst im Sterben. Doch Sadrac sollte erst viel später einen ausreichend klaren Kopf haben, um diese Ironie zu würdigen.

„Nein! Du darfst nicht sterben! Du musst doch irgendeinen Spruch kennen, irgendeinen Zauber, der dich rettet. Konzentriere dich, verdammt nochmal!“ Sadrac ergriff Yrdunas Schultern und schüttelte sie. Sie sah ihn an und ihre Lippen formten so etwas wie ein qualvolles Lächeln. Sie versuchte zu sprechen, doch sie brachte nur einen gurgelnden Laut hervor und hustete Blut. „Nein! Ich erlaube dir nicht zu sterben! Hörst du? Die Rache und die Vergeltung sind mein. Mein! Hörst du? Ich lasse nicht zu, dass mir der Speer eines namenlosen Niemands meine Rache verwehrt. Hörst du? Hörst du?“ Er schüttelte sie erneut, doch die einzige Reaktion war ein dünner Faden Blut, der aus ihrem Mund rann. Die dunklen Augen der Zauberin starrten ihn an. Die Angst war daraus gewichen. Sie wirkten seltsam friedlich. Sie waren tot und leer.

* * *

Im Nachhinein wusste Sadrac nicht mehr, wie lange er sprachlos, ausdruckslos, bewegungslos neben dem toten Körper seiner Geliebten und Feindin verbracht hatte. Wohl nicht lange, sonst hätte er nicht überlebt, dachte er. In dem Moment in dem er aus seiner Lähmung erwacht war und die Welt um sich herum wieder wahrgenommen hatte, hatte er ohne von der Leiche der Zauberin aufzublicken gewusst, dass der Kampf verloren war. Mit der Wildheit eines verwundeten Tiers hatte er sich einen Weg durch das Inferno gehackt, erfüllt von Instinkten und Emotionen, die er im Nachhinein nicht benennen konnte. Er wusste nur, dass es nicht der übliche kalte Hass gewesen war, den sein Volk seit so vielen Jahrtausenden fühlte, dass er zu einem Teil seines Wesens geworden war. Es war etwas in ihm gewesen, das heiß brannte, etwas Urzeitliches, das tiefer lag… und das mächtiger war. Die Tatsache, dass er als Einziger entkommen war, sprach dafür.

Sadrac stand allein am Rande des Dschungels und blickte nach Norden auf die Dünen der endlosen Wüste, die sich vor ihm ausbreiteten. Die Sonne senkte sich im Westen über den Ozean, dessen Wellen gegen den Fels der Küste brandeten. Der Geruch salziger Seeluft vermischte sich mit den Düften des Dschungels. Sadrac fühlte sich müde und einsam. Eine seltsame Leere erfüllte ihn, wo zuvor Hass residiert hatte. Er sog tief die Düfte des Abends ein, seine Finger tanzten ohne dass es ihm bewusst war über den Knauf von Vileenas Dolch, während die andere Hand ruhig auf dem Griff seines Schwertes lag. Diese beiden Waffen und die Kleidung die er am Leib trug waren das Einzige, das ihm geblieben war. Ein kühler Wind strich ihm über die Wangen. In seinem Geist begann sich ein Bewusstsein für die Schönheit dieses Augenblicks zu formen, ein Bewusstsein, das etwas enthielt, dass kein Druchii jemals gefühlt hatte: ein Gefühl von Glück. Sadrac lächelte freudlos und ging auf die Wüste zu, bevor dieses Bewusstsein eine Chance hatte, sich vollständig zu formen. Er hatte noch einen weiten und gefährlichen Weg vor sich bis er heimkehren konnte.

Autorennotiz

Eine schnelle Geschichte mit der ich mich in Sachen "Eskalation" üben wollte. Daher fehlt auch die Exposition und die Charaktere sind nur recht grob umrissen. Die Gewaltdarstellung und die Charakterisierung der Dunkelelfen (=Druchii) basiert auf dem Warhammer-Hintergrund. Mir ist bewusst dass sie vielleicht überzogen wirkt wenn man diesen Hintergrund nicht kennt. Ich würde mich natürlich sehr über konstruktive Kritik freuen.

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Autor

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Kapitel: 7
Sätze: 643
Wörter: 9.511
Zeichen: 56.707

Kurzbeschreibung

Nach einem erfolgreichen Raubzug machen sich die Dunkelelfen bereit, mit ihrer Beute in die Heimat zurückzukehren. Doch die Rückkehr gestaltet sich schwieriger als gedacht, zumal nach dem Tod ihres Feldherrn Konflikte zwischen den verbliebenen Anführern ausbrechen.

Kategorisierung

Diese Fanfiction wurde mit Fantasy getaggt.