Fanfictions > Musik > Linkin Park > And One

And One

367
21.08.22 17:03
18 Ab 18 Jahren
Heterosexualität
Homosexualität
In Arbeit

1. Where should I start? Disjointed heart


Michael Kenji Shinoda

Noch eine Nacht. Es ist nur eine von unzähligen, die schon da waren und noch kommen werden. Ich habe nicht mitgezählt, wie lange ich jetzt schon hier bin. Vielleicht sind es vier Wochen, vielleicht auch zwei Monate. Es spielt keine Rolle, denn jeder Tag verläuft im Grunde gleich. Die Stunden werden unterteilt in Frühstück, Mittagessen, Abendessen. Dazwischen täglich wechselnde Termine, Gespräche und Pflichtveranstaltungen. An den Therapien könnte ich ablesen, welcher Wochentag es ist, denn sie sind genau festgelegt und wiederholen sich Woche für Woche. Aber es ist mir egal. Ich habe es mir nicht gemerkt. Die Pfleger erinnern mich an meine Verpflichtungen, an denen ich regelmäßig teilnehmen muss. Aber sie können nichts daran ändern, dass nur mein Körper anwesend ist. Vielleicht merken sie das nicht einmal. Es interessiert mich eigentlich alles nicht. Nichts ist noch von Interesse für mich. Ich bin nicht sicher, an welchem Punkt in meinem Leben sich alles von mir entfernte. Das ist nicht schlagartig passiert, eher schleichend, ohne dass es mir richtig bewusst geworden wäre. Lange Zeit habe ich noch irgendwie funktioniert. Aber dann ging es irgendwann nicht mehr. Ich habe komplett abgeschaltet. Das war keine bewusste Entscheidung. Alles wurde seltsam gleichgültig. Meine vorherigen Pläne für mein Leben hatten irgendwann keine Bedeutung mehr. Ich habe den Sinn verloren. Selbst Essen oder Schlafen hat keine Bedeutung für mich. Ich existiere einfach nur. Es ist mir egal. Genauso gut könnte ich tot sein. Versucht habe ich das mit dem Sterben, aber nur halbherzig, weil es mir eigentlich egal war. Dummerweise haben ausgerechnet meine Eltern mich früh genug gefunden und sofort ins Krankenhaus gebracht, bevor ich in der Badewanne verbluten konnte. Und dann haben sie mich einfach hierbehalten. Ich habe mich nicht dagegen gewehrt, weil es mir völlig gleichgültig war. Ich weiß nicht, wie lange das jetzt her ist. Es interessiert mich nicht. Von mir aus können sie mich für den Rest meines Lebens hier einsperren und mit mir machen, was immer sie wollen. Die Psychologen nennen es eine Depression, die angeblich jeden ereilen kann. Und jetzt forschen sie wohl nach der Ursache oder danach, wie sie mir am wirkungsvollsten helfen können. Sie erreichen mich aber nicht, denn eigentlich bin ich ja gar nicht da. Das alles interessiert mich nicht genug, als würde ich mich mit meiner Situation auseinandersetzen. Denn ich fühle mich seltsam zufrieden hier. Ich bin gleichgültig, total unberührt. Mein derzeitiges Leben ist sehr bequem. Ich muss mir keinerlei Gedanken machen. Andere sorgen und entscheiden für mich. Nichts kommt noch an mich heran. Nacht für Nacht liege ich wach in meinem Bett und starre reglos in die Dunkelheit. Die Zeit hat keine Bedeutung, sie vergeht einfach nur. Meine Gedanken sind ruhig. Die Bilder fließen dahin und halten sich nirgendwo fest. Irgendwann werde ich wie immer einschlafen und dann beginnt ein neuer bedeutungsloser Tag. Sie haben mir ein eigenes Zimmer gegeben, in dem ich völlig ungestört bin. Am liebsten halte ich mich allein in diesem Raum auf. Ich mag die Stille und die Dunkelheit, sie sind mir sehr vertraut. Genauso sieht es in meinem Innern aus. Da ist sonst nichts mehr. Nur noch Stille und Dunkelheit. Ich habe mich gut versteckt. 


Chester Charles Bennington

Ich bin nicht freiwillig hier, und darum bin ich ganz schön genervt. Ich weiß ja, dass ich mich schon heute Morgen hier hätte melden sollen. Diesen scheiß Termin habe ich bestimmt nicht vergessen. Ich habe ihn nur verdrängt. Irgendwie habe ich gehofft, dass sie mich einfach vergessen würden. Haben sie aber nicht. Stattdessen kam tatsächlich die verdammte Polizei in die Kneipe und hat mich einfach mitgenommen. Sie waren zu Viert, deshalb hatte ich keine Chance zur Gegenwehr. Die lange, schweigsame Fahrt hierher war die reinste Tortur. Jetzt ist es Nacht und sie stehen immer noch neben mir. An der Anmeldung der geschlossenen Abteilung behalten sie mich wachsam im Auge. Dabei kann ich gar nicht mehr weglaufen. Es ist zu spät. Die Tür ist zu. Ich bin gefangen und zu weit weg von zu Hause. Der Richter hat es Therapie statt Strafe genannt. Aber darüber kann ich nur lachen, denn es gibt für mich kaum eine schlimmere Strafe, als dass ich irgendwo eingesperrt werde. Mann, ich habe keine Ahnung, wie lange der Unsinn hier dauern soll. Auch der Richter hat sich bei der Urteilsverkündung nicht festgelegt, und das macht mich ziemlich nervös. Zum Glück hatte ich heute Abend in der Kneipe schon genug getrunken, sodass meine Angst sich momentan in Grenzen hält. Ich bin nur tierisch genervt. Das große, fremde Gebäude geht mir auf die Nerven, das helle Neonlicht und die langen Gänge. Die vielen Menschen stressen mich, Polizisten und Krankenpersonal, die mir vorwerfen, mich nicht an Abmachungen zu halten. Dies ist ein abgelegener Ort, an dem sie die Verrückten einsperren, und ich habe keine Ahnung, wie ich hier gelandet bin. Ich will bestimmt nicht hier sein. Der Richter hat damals behauptet, hier würden sie mir helfen, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Dabei habe ich doch momentan mein Leben ganz gut im Griff! Endlich schien alles besser zu werden. Vor einiger Zeit hat Sean mich als Sänger in seine Band aufgenommen. Grey Daze gibt mir zum ersten Mal das Gefühl, irgendwo dazuzugehören. Das könnte wirklich was werden, wenn wir uns richtig reinhängen. Im Laufe meines verkorksten Lebens habe ich schon jede Menge Songs geschrieben, auf die ich wirklich stolz bin. Und mit Grey Daze nehmen sie endlich hörbare Gestalt an. Zu Hause haben wir mittlerweile schon einige Konzerte gegeben, bei denen ich gemerkt habe, dass ich mich auf einer Bühne richtig wohlfühlen kann. Ich kann mit dem Publikum interagieren. Ich kann so laut singen, dass die Dämonen in mir tatsächlich leiser werden. Es fühlt sich befreiend an, sich in einem Song die Seele aus dem Leib zu schreien. Das Publikum reagierte unterschiedlich auf unsere Musik, aber überwiegend gab es Applaus. Ich bin sicher, dass wir die Leute mit der Musik erreichen können. Grey Daze kommt jedenfalls gerade richtig in Fahrt. Und ausgerechnet jetzt müssen sie mich total aus dem Verkehr ziehen, mich rigoros auf Eis legen und mir diesen Scheiß hier aufzwingen. Das ist einfach nur großer Mist! „Sie hätten sich heute Morgen um 8 Uhr freiwillig hier bei uns melden sollen, Herr Bennington!” sagt diese Krankenschwester schon wieder zu mir und guckt mich vorwurfsvoll an. Die Frau ist auch genervt, denn sie hatte sich ihren Nachtdienst bestimmt ruhiger vorgestellt. Meine Ankunft gefällt ihr nicht, denn sie fürchtet, dass dadurch zusätzliche Arbeit auf sie zukommt. Ich schenke ihr ein freundliches Grinsen. Zum Glück bin ich ziemlich betrunken, sodass ich eine selbstbewusste Gleichgültigkeit ausstrahlen kann, die ich tief drinnen gar nicht empfinde. Ich kann an der Situation nichts ändern. Mir ist klar, dass ich hier vorerst nicht mehr herauskomme, und das macht mir zunehmend zu schaffen. „Tut mir leid”, lalle ich leise. Die Polizisten lachen spöttisch und füllen dann irgendwelche Papiere für mich aus. Sie erledigen lästige Formalitäten an der Anmeldung oder so was. Jedenfalls sind sie auf einmal alle abgelenkt, und ich werde plötzlich tierisch nervös. Ich fühle mich hier total falsch und fremd, denn ich gehöre hier nicht hin. Das miese Gefühl des Eingesperrtseins zehrt schon jetzt an meinen Nerven. Die Falle wird enger um mich. Ich bekomme das starke Bedürfnis, mich unverzüglich bewegen zu müssen. Aus einem inneren Impuls heraus laufe ich spontan los. Ich kenne mich in diesem Haus und dieser Abteilung nicht aus, denn ich war vorher noch nie auch nur in der Nähe dieses seltsamen Ortes. Darum laufe ich einfach den erstbesten Gang entlang. Ich laufe so schnell ich es in meinem betrunkenen Zustand kann. „Hey! Bleiben Sie hier!” ruft der eine Polizist mir verärgert nach. „Machen Sie doch keinen Quatsch, Herr Bennington!” ruft die Krankenschwester wütend. Die Menschen geben genervte und spöttische Geräusche von sich. Aber ich höre sie gar nicht. Ich will sie nicht hören. Ich möchte gar nichts mehr hören. Stattdessen hole ich tief Luft und fange an zu singen. Ich habe das Verlangen, die Nervosität in mir weg zu singen, die Bedrohung zu bekämpfen. Das Singen hilft gegen die Angst, die stärker zu werden scheint. Es fühlt sich gut an. Die vertrauten Texte beruhigen mich. Es tut gut, meine eigene Stimme zu hören. Das hat mich schon immer beruhigt. Schon als Kind hat lautes Singen mich oft glücklich gemacht. Ich laufe schnell durch die menschenleeren, scheinbar endlosen Gänge. Sie sehen alle gleich aus. Überall sind geschlossene Türen. Das Neonlicht blendet mich. Es ist mitten in der Nacht. Ich nehme an, dass die anderen Patienten um diese Uhrzeit wohl schlafen. Mein Krach wird sie vielleicht aufwecken, aber das ist mir egal. Ich bin besoffen und die Umgebung schwankt ein bisschen. Sie sollen mich einfach nur in Ruhe lassen.

2. I've got no commitment to my own flesh and blood


Michael Kenji Shinoda

Normalerweise bleibt es die Nacht über ziemlich still in der Abteilung. Die Patienten schlafen und das Personal verhält sich ruhig. Ich genieße die Ruhe sehr, bis ich irgendwann von selbst einschlafe. Wenn ich aus irgendeinem Grund mal nicht einschlafen kann, was nicht allzu oft vorkommt, dann kann ich die Nachtschwester jederzeit um eine Schlaftablette bitten. Sie gibt mir immer eine. Und spätestens mit der Pille bin ich bisher noch jedes Mal problemlos eingepennt. In dieser Nacht werde ich allerdings keine Tablette brauchen, denn ich bin müde und schon fast weggedöst. Plötzlich geht draußen auf dem Flur irgendein Krach los. Jemand macht da draußen unwillkommenen Lärm. Sofort bin ich wieder hellwach und tierisch genervt. Es kommt manchmal vor, dass ein Patient ohne ersichtlichen Grund durchdreht und anfängt zu schreien. Das stresst mich dann jedes Mal enorm, weil es meine innere Ruhe sehr unangenehm stört. Ich verstehe solche Aussetzer auch nicht, weil sie nicht den geringsten Sinn ergeben. Bisweilen verhalten sich die Menschen hier total krank. Mir ist zwar klar, dass gerade das wohl der Grund ist, warum die meisten hier sind, aber ich hasse solche Ausbrüche. Ich wünsche mir, die Idioten würden sich einfach nur zusammenreißen. Jetzt wird der Lärm draußen lauter, scheint sich ausgerechnet in Richtung meines Zimmers zu bewegen. Offenbar läuft jemand den Gang entlang. Ich erkenne langsam, dass er wahrhaftig dabei schreit. Das Geräusch hört sich jedoch merkwürdig an, als würde diese verrückte Person eigentlich singen. Die Wörter kann ich aber nicht verstehen. Mein Herz fängt an, unruhig zu schlagen, weil mich die Störung meiner Nachtruhe ärgert. Ich mag keine Störungen. Ich möchte nicht gestört werden. Knurrend halte ich mir die Ohren zu. Aber das Geschreie auf dem Gang wird nur lauter, weil die dreiste Person offenbar unaufhaltsam näher kommt. Einzelne Wörter werden erkennbar, dann ganz Sätze. „What's in the eye, can you tell me. Watching the time pass me by. There's so much locked up inside”, singt, nein brüllt dieser bekloppte Mensch. Inzwischen scheint er sich direkt vor meinem Zimmer aufzuhalten. 

Plötzlich sitze ich kerzengerade in meinem Bett, weil mich irgendwas aufschreckt. Die Stimme berührt mich eigenartig. Irgendwas hat abrupt meinen sorgfältig errichteten Schutzpanzer durchdrungen, und ich bin absolut schockiert darüber. Schon seit Ewigkeiten habe ich nichts mehr gefühlt, weil mir ja alles herrlich egal war. Da war einfach nur gar nichts in mir. Damit hatte ich mich längst abgefunden. Aber jetzt fühle ich plötzlich irgendwas. Etwas berührt mich. Sind es die Worte? Ist es diese fremde Stimme, die eine heftige, komplett unerwartete Reaktion in mir auslöst? Es ist eine wohlklingende Stimme, die trotz der unglaublichen Lautstärke ihre Harmonik nicht verliert. Unbestreitbar kann dieser total verrückte Mensch da draußen gut singen. „Don't go too fast, my friend. Or you'll loose controll”, schreit er jetzt und wiederholt es gleich nochmal. Wie ferngelenkt springe ich aus meinem Bett und lande mit nackten Füßen auf dem kalten Linoleum. Eigentlich will ich gar nicht hinausgehen. Von jeglichen Ärgernissen halte ich mich grundsätzlich fern. Nachts gehe ich niemals hinaus, höchstens, um aufs Klo zu gehen oder mir eine Schlaftablette zu holen. Jetzt will ich aber Nichts von beidem tun, und das beunruhigt mich enorm. Ich sollte lieber in meinem Zimmer bleiben. Aber ich möchte wahrhaftig dieser Stimme auf den Grund gehen, und das kapiere ich überhaupt nicht. Diese unerwartete Stimme interessiert mich. Das fühlt sich so dermaßen fremd und ungewohnt an, dass es mich fast erschlägt. Weil mich nämlich seit Ewigkeiten nichts mehr interessiert hat. Meine Füße laufen von selbst durch die Dunkelheit, geradewegs zur Tür hin. Ich kenne die Proportionen meines Zimmers im Schlaf und brauche kein Licht mehr, um mich hier drin problemlos zurechtzufinden. Mein Kopf ist seltsam leer, als ich die Tür langsam öffne. Mein Herz schlägt unruhig, meine Finger zittern. So lebendig, wie in diesem Augenblick, habe ich mich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gefühlt. Darum kann ich kaum glauben, was gerade mit mir passiert. Eigentlich habe ich gar nicht mehr damit gerechnet, in meinem Leben nochmal irgendwas zu empfinden. Meine unwillkürliche Reaktion auf diese fremde Stimme überrascht, beunruhigt und verwirrt mich dermaßen, dass ich jetzt dringend den Menschen zu der Stimme sehen will. Mein eigener Mut wundert mich, denn normalerweise halte ich mich von den anderen Patienten so fern wie möglich. Schließlich kann ich nie wissen, wie verrückt sie in Wahrheit sind. Womöglich sind sie durchgeknallt genug, um gewalttätig auf mich loszugehen. Aber diesmal überwinde ich meine Angst, weil meine Neugier wahrhaftig stärker ist. 

Ich öffne die Tür weit genug, um hinaus auf den Gang treten zu können. Sicherheitshalber bleibe ich vor der offenen Tür stehen, um mich im Notfall schnell wieder zurückziehen zu können. Wie in jeder Nacht, ist das Neonlicht auf den Fluren viel zu hell, sodass ich für einen Moment geblendet die Augen schließen muss. Als ich meine Augen vorsichtig wieder öffne, steht der lautstarke Sänger plötzlich direkt vor mir. Verblüfft schaut er mich an und verstummt. Das bedauere ich irgendwie, weil seine Stimme mir offenbar gefallen hat, auch wenn ich nicht weiß warum. Mein plötzliches Auftauchen hat ihn überrascht. Reglos starren wir uns gegenseitig an. Innerhalb von Sekunden erfasse ich seine ganze Gestalt. Es ist ein junger, dünner Typ, ungefähr in meinem Alter. Er trägt ziemlich merkwürdige Klamotten. Ein blaues Hemd mit einem seltsamen Schmetterlingskragen. Eine hellgraue Chinohose. Seine Chucks passen farblich genau zum Hemd. Sein Gesicht wird halb von seinen Haaren verdeckt, ein wilder, brauner Wuschelkopf. Erst auf den zweiten Blick kapiere ich, dass es Dreadlocks sind, die ihm bis auf die Schultern reichen. Auf seiner schmalen Nase sitzt eine Brille mit schwarzem Gestell, hinter der ich seine Augen kaum erkennen kann. Ich glaube aber, dass sie dunkel sind, wahrscheinlich braun. Jetzt schwankt er ein bisschen. Er lehnt sich gegen die Wand gegenüber meiner Tür, um seinen schmächtigen Körper zu stabilisieren. Mir geht auf, dass der Typ wahrscheinlich betrunken ist. Auch das verhaltene Lächeln, was jetzt in seinen Mundwinkeln erscheint, passt dazu. Er checkt mich genauso neugierig ab, wie ich es unbewusst bei ihm gemacht habe. Sein dunkler Blick fühlt sich irgendwie wie Feuer an. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Meine Brust wird eng, ich muss nach Luft ringen. Der Typ lässt mich nicht aus den Augen. Plötzlich holt er tief Luft und fängt wieder an, aus voller Kehle zu singen: „What's in the eye that I can not catch. Is me I want to know why it's so hard to let go.” Seine Stimme hat eine unglaubliche Intensität. Die einzelnen Wörter scheinen bis in mein Innerstes vorzudringen. Als würde er meine persönliche Situation beschreiben, was ich nicht begreifen kann. Ich kann mich nicht bewegen, fühle mich wie erstarrt. „Don't go too fast, my friend. Or you'll loose control”, schreit er und wiederholt es immer wieder eindringlich. „Don't go, don't go! Don't you go! No, no!” Plötzlich gehen rechts und links vom Flur nach und nach noch mehr Türen auf. Andere Patienten, die in den Zimmern geschlafen haben und bestimmt von dem Lärm geweckt worden sind, treten mehr oder weniger neugierig oder verärgert hinaus auf den Gang. Einige beschweren sich über die Störung ihrer Nachtruhe. Der Typ ignoriert den Aufruhr, den er verursacht. Er schaut mich nur unentwegt an und singt dabei. Er sieht müde aus, irgendwie verzweifelt, obwohl er zu lächeln scheint. Sein Blick durch die Brillengläser fesselt mich auf eine Art, die ich so noch nie erlebt habe. 

Trotzdem registriere ich es sofort, als am Ende des Ganges vier uniformierte Polizisten auftauchen, die sich uns schnell nähern. „Was soll denn der Unsinn, Chester? Halt die Klappe! Was willst du denn hier? Komm jetzt wieder mit zurück! Deine Aufnahme ist noch nicht abgeschlossen! Der Arzt will dich sehen!” reden sie ärgerlich auf ihn ein, während sie mit festem Schritt näherkommen. Der Typ wirft einen schnellen Blick auf seine Verfolger, und sein schüchternes Lächeln stirbt augenblicklich. Seine Stimme wird noch lauter, jetzt schreit er nahezu zornig. „What's in the eeyeee? What's in the eeyeee?” Er wendet sich von mir ab, löst sich von der Wand und macht eine hektische Bewegung Richtung Gang, als wollte er davonlaufen. Er macht einige Schritte in die entgegengesetzte Richtung, um den Polizisten zu entkommen. Aber er ist beduselt und bei Weitem nicht schnell genug. Die Männer haben ihn schon eingeholt und greifen nach ihm. Er wehrt sich mit einem halbherzigen Schlag gegen eine breite Uniformiertenbrust. Diese Gewalttätigkeit wird ihm sofort so übelgenommen, dass die Männer ihn wütend herumreißen und kinderleicht auf den Boden werfen. Sein lautstarker Gesang erstirbt röchelnd, als sie ihm ihre Knie ins Kreuz drücken und ihm mit ihren Handschellen brutal die Hände auf den Rücken fesseln. Bei seinem Sturz verliert er seine Brille, die herunterfällt, über den glatten Boden rutscht und genau vor meinen Füßen liegenbleibt. Es berührt mich viel zu stark, das mitanzusehen, wie sie ihn überwältigen und fesseln. Ich möchte die Polizisten dringend bitten, damit aufzuhören. Ich will, dass sie ihn in Ruhe lassen, damit er weitersingen kann. Das beunruhigt mich. Ich kapiere es nicht. Ich kenne diesen seltsamen Typen ja nicht einmal. Den komischen Kerl mit den Dreadlocks habe ich zuvor noch nie in meinem Leben gesehen. Aber irgendwas an ihm geht mir trotzdem verdammt nahe. Das gefällt mir nicht. Dieses unerwartete Gefühl wühlt mich auf. Es bedroht eindeutig meine gleichgültige Zufriedenheit, mit der ich mich hier bislang hervorragend arrangiert hatte. 

Schnell wende ich den Blick ab, bücke mich automatisch und hebe die Brille auf. Zum Glück ist sie beim Sturz nicht kaputtgegangen. Ich möchte sie ihm zurückgeben. Vielleicht kann er ohne Brille nichts sehen. Aber die Polizisten haben ihn schon wieder aufgerichtet und schleifen ihn rigoros mit sich fort. Offensichtlich haben sie den Verlust seiner Brille gar nicht bemerkt oder es interessiert sie nicht. Zumindest sagt keiner was, auch der Typ nicht. Sie ignorieren mich alle, als sie ihn an mir vorbei zerren. Er wehrt sich nicht, hängt jetzt hilflos in ihren starken Armen, den Kopf kapitulierend gesenkt. Sie haben ihn fest gepackt. Er singt nicht mehr. Verwundert spüre ich, dass ich seine Stimme vermisse. Noch einmal schaue ich ihn an. Er fixiert den Fußboden. Sein Gesicht wird nun vollständig von seinen wilden Haaren verdeckt. Schon sind die Männer an mir vorbeigelaufen und entfernen sich schnell. Am Ende des Ganges taucht Schwester Karin auf, die vor einer Woche auf der Station den Nachtdienst übernommen hat. Sie schickt die aufgebrachten Patienten zurück in ihre Betten und versucht, sie mit beschwichtigenden Worten zu beruhigen. Hastig drehe ich mich um und gehe zurück in mein Zimmer, lange bevor sie mich bemerkt hat. Ich schließe die Tür hinter mir und schalte das Licht an. Eine Weile stehe ich dort und atme tief durch. Mein Herz hämmert immer noch zu schnell. Ich habe seine Brille in der Hand und schaue sie mir an. Das Gestell ist aus Plastik und schlicht schwarz. Zögernd halte ich die Gläser vor meine Augen und schaue hindurch. Mann, dieser Typ hat wirklich schlechte Augen. Ohne seine Brille ist er offenbar halbblind. Das muss der doch gemerkt haben. Warum hat er nicht protestiert, als er seine Sehhilfe verlor? Warum wollte er sie nicht sofort zurückhaben? Ich blinzele und bewege mich zögend auf mein Bett zu. Draußen auf dem Gang wird es zunehmend stiller. Die Leute gehen folgsam zurück in ihre Zimmer, denn Schwester Karin kann sehr überzeugend sein. Ich höre sie vor meiner Tür mit den Patienten reden. Kaum jemand protestiert noch. Es dauert nicht sehr lange, bis die Nachtruhe schließlich wiederhergestellt ist. 

Ich begrüße die Stille jetzt. Nur in mir drin ist es plötzlich nicht mehr ruhig, und das gefällt mir ganz und gar nicht. Meine Gedanken sind so laut, wie seit ewigen Zeiten nicht mehr. Das irritiert mich und macht mich nervös. Ich lege mich aufs Bett, während meine Finger gedankenversunken mit der fremden Brille herumspielen. Das Licht ist noch an. Meine Augen wandern ruhelos durch meinen Raum, ohne ein Ziel zu finden. In meinen Ohren tönt noch immer die unbekannte Stimme des Sängers. Vor meinem inneren Auge sehe ich ihn noch auf dem Gang stehen. Ich frage mich, wo der merkwürdige Typ wohl herkommt und aus welchem Grund er hier ist. Ich erinnere mich, dass der eine Polizist ihn Chester genannt hat. Was für ein komischer Name! Diesen Namen habe ich vorher noch nie gehört. Zweifellos haben sie Chester gegen seinen Willen hier eingeliefert. Sonst wäre er nicht mitten in der Nacht angekommen. Und auch die Polizei hätte sich wohl kaum für ihn interessiert, wenn er freiwillig hier wäre. Ich möchte wissen, was dieser schmächtige Kerl Schlimmes verbrochen hat, um zwangsweise in der geschlossenen Psychiatrie eingesperrt zu werden. Das macht mir Sorgen, weil der Typ eventuell aggressiv, unberechenbar und gefährlich sein könnte. Chester ist nun ein Patient auf meiner Station und mir ist klar, dass ich ihm ab jetzt wohl häufiger begegnen werde. Das wird zwangsläufig passieren, ob ich will oder nicht. Ich fürchte mich vor einer erneuten Begegnung mit dem seltsamen Sänger. Dann wird mir plötzlich klar, dass ich seine Anwesenheit aber auch irgendwie herbeisehne. Weil unbestreitbar etwas an ihm ist, das mich merkwürdig interessiert. Ich möchte ihn gerne nochmal singen hören, auch wenn ich nicht verstehen kann warum. Vorhin auf dem Gang, in seiner Nähe habe ich mich einen kurzen Moment lang enorm lebendig gefühlt. Ich konnte tatsächlich meinen hämmernden Herzschlag fühlen. So etwas Außergewöhnliches ist mir schon so lange nicht mehr passiert, dass ich schon gar nicht mehr wusste, wie es sich anfühlen kann. Es ärgert mich enorm, dass mir dieser Fremde nicht völlig gleichgültig ist. Zweifellos war mein Leben viel einfacher und bequemer, als mir noch alles total egal war. Mit ganzer Seele wünsche ich mich in diesen teilnahmslosen Zustand zurück. Ich möchte mir keine Gedanken um den unbekannten Kerl machen. Aber mein eigener Kopf scheint mir nicht mehr richtig zu gehorchen. Frustriert werfe ich die Brille auf den Sessel in meinem Zimmer, weil ich das Teil plötzlich dringend loswerden will. Ich springe auf und schalte das Licht aus. Im Dunkeln bewege ich mich zurück auf mein Bett. Seufzend lasse ich mich nieder und strecke mich der Länge nach aus. Es ist entschieden zu laut in meinem Kopf. Ich kann nicht schlafen, und das passt mir überhaupt nicht.          


Chester Charles Bennington

Ich laufe laut singend diesen langen Flur entlang und fühle mich dabei seltsam wohl. Plötzlich taucht der Typ vor mir auf. Er ist unerwartet aus einem der Zimmer gekommen und steht in der offenen Tür. Wahrscheinlich hat mein Gesang ihn herausgelockt. Sein abruptes Auftauchen bringt mich aus dem Konzept. Prompt vergesse ich den Text und höre deshalb mit dem Singen auf. Wir stehen uns direkt gegenüber und starren und gegenseitig an. Der Typ ist vielleicht in meinem Alter und hat auch ungefähr meine Größe. Er trägt einen merkwürdigen Schlafanzug in einer undefinierbaren Farbe. Es könnte dunkelblau oder grün sein, vielleicht auch schwarz. Die zugeknöpfte Jacke und die dazu passende Hose sind ihm eigentlich zu groß. Zumindest hängt der dünne Stoff ziemlich locker an seinem schlanken Körper. Er trägt keine Schuhe. Der Typ hat irgendwas Exotisches an sich. In seinen Genen steckt etwas eindeutig Asiatisches. Sein Gesicht wird halb von einem kurzen, braunen Vollbart bedeckt. Vielleicht hat er sich zu lange nicht rasiert. Sein kurzes Haar ist schwarz und schon länger nicht geschnitten worden. Es ist ein bisschen verstrubbelt, weil er wohl gerade erst aus seinem Bett gestiegen ist. Seine mandelförmigen, braunen Augen mustern mich neugierig. Irgendwas an mir scheint ihn brennend zu interessieren. Das schmeichelt mir irgendwie und amüsiert mich. Also fange ich nach einer Schreckminute wieder an zu singen. Es ist der erste Song, der mir spontan einfiel, als ich mich ohne zu überlegen und unerlaubt von den Polizisten entfernt habe. Ich habe ihn What's in the eye genannt. Der Text beschreibt zufällig auch so ungefähr meine derzeitige Situation. Weil ich nämlich im Moment nicht mehr so genau weiß, was eigentlich um mich herum vorgeht. Was ist so offensichtlich, dass ich es nicht sehen kann? Die Wörter verlassen meine Kehle in voller Lautstärke, was sich enorm gut anfühlt. Der fremde Typ schaut mich an und hört mir die ganze Zeit gebannt zu. Es freut mich tierisch, dass ich ihn mit meinem Gesang offenbar erreichen kann. Unser ständiger Blickkontakt wird mit der Zeit irgendwie intensiv, sodass mein Herz träge damit anfängt, ein bisschen härter zu schlagen. Ich liebe nichts so sehr wie aufmerksames Publikum. Das spornt mich an und ich möchte noch viel länger für ihn singen.

Aber dann lenkt ihn irgendwas ab. Vier Männer tauchen am Ende des Ganges auf. Genervt registriere ich, dass die scheiß Bullen mich verfolgt haben. Damit hätte ich natürlich rechnen müssen, aber es passt mir trotzdem ganz und gar nicht. Ich fühle mich ätzend überwacht und habe keine Lust auf diese Auseinandersetzung. Sie rufen mir zu, dass ich die Klappe halten und mit ihnen zurückkommen soll. Das will ich aber nicht. Einem Fluchtinstinkt folgend mache ich eine spontane Bewegung von den Polizisten weg in die andere Richtung. Aber die Kerle sind zu schnell und haben mich schon eingeholt. Ohne Vorwarnung greifen sie nach mir. Das erschreckt mich, sodass ich dem einen Mann aus einem Reflex heraus einen Schlag gegen seine breite, harte Brust verpasse. Die Uniformierten sind sofort angepisst deswegen. Sie werfen mich brutal auf den Boden, noch ehe ich kapiere, was eigentlich abgeht. Sie drücken mich auf die harten Steinfliesen und knien sich schwer auf meinen Rücken. Ihr Gewicht presst mir abrupt die Luft aus den Lungen, sodass ich nicht weitersingen kann. Sie verdrehen mir blitzschnell die Arme auf dem Rücken und fesseln mich mit ihren Handschellen. Das kalte Metall habe ich heute schon einmal getragen, als sie mich gewaltsam aus der Kneipe mitgenommen haben. Im Auto haben sie die Handschellen dann abgenommen. Jetzt bin ich schon wieder gefesselt. Ich hasse dieses Gefühl des Ausgeliefertseins. Es erinnert mich an etwas anderes, an das ich nicht denken will. Ich schließe die Augen und wehre mich nicht, weil ich Angst vor dem Schmerz habe, den sie mir eventuell zufügen könnten. Ich wünsche mich sehr weit weg. Verbissen versuche ich, mich an einen erfolgreichen Auftritt mit Grey Daze zu erinnern, an das euphorische Gefühl, auf einer Bühne zu stehen, während sie meinen Körper irgendwie in ihre Mitte nehmen und über den Flur zurück zur Anmeldung schleifen. Sie sagen nichts mehr. Ihr Griff ist hart und mitleidslos. Die vier uniformierten Polizisten wollen diese unangenehme Sache hier jetzt schnell hinter sich bringen. Bestimmt haben sie noch etwas Besseres zu tun und wollen zurück nach Hause zu ihren Familien. 

Viel zu schnell sind wir zurück an der verdammten Anmeldung. „Ich habe schon heute Morgen auf Sie gewartet, Herr Bennington! Warum sind Sie denn nicht freiwillig hergekommen, so wie wir es am Telefon vereinbart hatten?” spricht mich eine dunkle Stimme an. Der Vorwurf in dem Satz ist nicht zu überhören. Ich kann mich nicht daran erinnern, mit dieser Stimme irgendwas abgemacht zu haben. Widerwillig öffne ich meine Augen und hebe den Kopf hoch. Ich blinzele in seine Richtung. Sofort fällt mir auf, dass ich meine Brille verloren habe. Das nervt mich tierisch, weil ich keinerlei Ersatz dabeihabe. Meine anderen Brillen und meine Kontaktlinsen liegen bei mir zu Hause irgendwo. Das macht mich ein bisschen wütend. Ich vermute, dass die Brille mir unbemerkt von der Nase gerutscht ist, als die scheiß Bullen mich vorhin auf den Boden geworfen haben. Angestrengt fixiere ich die Person vor meinen trüben Augen. Ich kann sie nur sehr unscharf erkennen. Wegen der dunklen Stimme tippe ich auf einen Mann. Höchstwahrscheinlich ist es der Arzt, denn er trägt diese weiße Arztkleidung, glaube ich. „Naja, das macht ja auch nichts. Es ist schön, dass Sie jetzt hier sind!” meint der Arzt versöhnlich zu mir. Ich finde es aber überhaupt nicht schön, hier zu sein. Ich finde es sogar ausgesprochen unschön. Trotzdem lächele ich ihn an und ich glaube, er lächelt zurück. Es irritiert mich, dass sie den Arzt anscheinend extra wegen mir nochmal hierher geholt haben. Bestimmt hatte er eigentlich schon längst Feierabend und musste jetzt nur wegen mir nochmal hier antanzen. Das ist mir unangenehm, denn ich will niemandem diese Umstände machen. „Ich bin Professor Paulsen, der diensthabende Oberarzt dieser Station. Hören Sie bitte, ich sage Ihnen genau, was jetzt passiert, Herr Bennington. Wir beide führen gleich ein kurzes Aufnahmegespräch. Und dann haben Sie es für heute Nacht auch schon geschafft. Die Schwester wird Ihnen Ihr Zimmer zeigen. Und morgen sehen wir dann weiter.” Der Professor spricht jetzt mit sanfter Stimme, als wollte er mich beruhigen. Ich höre nicht auf zu lächeln und schaue ihn angestrengt an. 

„Wo ist denn Ihr Gepäck?” will er verwundert wissen. Bevor ich darauf reagieren kann, hat einer der Polizisten schon für mich geantwortet. „Chester hat kein Gepäck dabei, weil wir ihn zwangsweise aus einer Kneipe entführen mussten”, lacht er amüsiert. Ich kann nicht genau erkennen, wie der Arzt darauf reagiert. Er sagt nichts mehr, sondern macht eine Handbewegung. Der ganze Trupp setzt sich daraufhin in Bewegung. Ich bin noch immer im festen Griff der Bullen gefangen. Sie schleifen mich in eins dieser Zimmer, die am Ende irgendeines Flures liegen. Es sieht aus wie ein Büro. Dort soll ich mich auf einen Stuhl vor einem Schreibtisch setzen, was ich widerstandslos tue. Endlich nehmen sie mir die verdammten Handschellen ab. Nervös reibe ich meine Handgelenke. Die Polizisten verlassen den Raum, und plötzlich bin ich mit dem Arzt allein. Mir ist schwindelig. Ich fühle mich verstärkt betrunken und möchte am liebsten wieder singen. Ich möchte so laut singen, wie ich kann. Aber mir ist klar, dass das komisch wirken könnte, darum lasse ich es sein. Professor Paulsen tritt so nah an mich heran, bis ich ihn fast schon klar sehen kann. Er ist noch nicht alt, vielleicht Anfang Vierzig. Seine blauen Augen gucken müde, leidlich interessiert, ein wenig besorgt. Er streckt mir seine Hand hin, die ich vorsichtig ergreife. Sein Händedruck ist fest und selbstbewusst. „Hören Sie, Chester, mir ist klar, dass das heute Nacht alles ein bisschen viel für Sie sein muss. Ich darf doch Chester sagen?” „Na klar”, erlaube ich ihm gleichgültig. Er lächelt, geht um den Schreibtisch herum und setzt sich auf seinen großen Bürostuhl. Jetzt sehe ich seine Gestalt nur noch unscharf, darum schaue ich auf meine Hände in meinem Schoß. In der letzten Zeit habe ich kaum noch an den Fingernägeln gekaut, weil ich mit Grey Daze und meinem Tattoo-Studio beschäftigt war. Das hat mich auf produktive Weise abgelenkt, sodass meine Nägel inzwischen ein bisschen wachsen konnten. Aber im Moment möchte ich nichts lieber tun, als sie alle der Reihe nach abzukauen, so lange und tief, bis es blutet. Ich sehne mich nach dem vertrauten Schmerz und halte mich nur mit größter Mühe davon ab. 

„Chester?” ruft der Professor. Er hat irgendwas zu mir gesagt. Aber ich habe nicht zugehört und sofort ein schlechtes Gewissen deswegen. Fragend hebe ich den Kopf und schaue ihn an. Er liest etwas in einer Akte, die auf seinem Schreibtisch liegt. Dann seufzt er und guckt mich mitleidig an. „Hier steht, dass Sie Alkoholiker sind. Nehmen Sie auch noch andere Drogen?” wiederholt der neugierige Mann langsam und deutlich. Ich schüttele den Kopf, obwohl das zweifellos nicht der Wahrheit entspricht. Zu Hause habe ich zeitweise eigentlich alles genommen, was gerade verfügbar war. Professor Paulsen nickt nachdenklich. „Wir werden Ihnen hier mit Medikamenten durch den Entzug helfen, Chester. Aber Sie müssen auch mitarbeiten, okay?” Ich nicke zustimmend, was ihm ein erleichtertes Lächeln entlockt. „Schön. Das wird schon werden, Chester. Sie schaffen das ganz bestimmt”, will er mir Mut machen, was kein bisschen funktioniert. Er macht eine kurze Pause. „Sollen wir vielleicht jemanden aus Ihrer Familie anrufen, damit er Ihnen bald ein paar persönliche Sachen vorbeibringt?” fragt er dann. Offenbar ist er besorgt. Es lässt ihm keine Ruhe, dass ich kein Gepäck dabeihabe, was mich irgendwie rührt. Aber wen könnten sie schon für mich anrufen? Mein Dad hat sich eigentlich noch nie ernsthaft für mich interessiert, obwohl zu Hause für lange Zeit nur er und ich waren. Meine Mom habe ich seit der Scheidung kaum noch gesehen. Als ich sie das letzte Mal getroffen habe, war sie über mein Aussehen absolut schockiert. Ich will meine Eltern nicht mit meinem Scheiß belasten, darum schüttele ich den Kopf und sage: „Nein.” Professor Paulsens Augen weiten sich erstaunt. Er sieht richtig erschrocken aus, soweit ich das unscharfe Bild von ihm richtig deute. Darum setze ich schnell hinzu: „Ist schon gut.” Verlegen wende ich den Blick ab und fixiere nochmal meine Hände in meinem Schoß. Von mir aus können sie mir meine Hände ruhig abhacken, solange nur meine Stimme funktioniert, denke ich ein bisschen wirr. Der Arzt guckt mich noch eine Weile nachdenklich an. Ich kann das genau spüren. Es macht mich nervös, aber ich versuche, es einfach zu ignorieren. Schließlich seufzt er nochmal. „Na gut, dann lassen wir es für heute Nacht gut sein. Haben Sie noch irgendeine Frage an mich?” erkundigt er sich freundlich. Erneut hebe ich den Kopf und schüttele ihn dann. In Wahrheit habe ich jede Menge Fragen, aber in diesem Moment fällt mir keine einzige ein. Der Professor nickt und steht auf. „Dann kommen Sie bitte mit, Chester. Schwester Karin wird Ihnen jetzt Ihr Zimmer zeigen. Dann können Sie sich erst mal ein bisschen ausruhen. Sie sind bestimmt müde”, sagt er und wartet neben meinem Stuhl, bis ich mich erhoben habe. Ich folge ihm hinaus aus dem Zimmer und den Flur entlang. 

Wir gehen zurück zu diesem Anmeldeschalter. Mir ist wieder schwindelig und ich habe Mühe damit, nicht allzu sehr zu torkeln. Meine Umgebung ist total unscharf. Das nervt mich und ich wünschte, ich hätte meine Brille nicht verloren. Zum Abschied reicht der Arzt mir nochmal die Hand. „Kopf hoch, Chester. Sie werden sehen, dass es hier gar nicht so schlecht ist. Wir können Ihnen wirklich helfen. Und morgen ist ein ganz neuer Tag”, bemerkt er augenzwinkernd. Sein Lächeln wirkt erschöpft. Ich nicke und lächele. Er wechselt noch ein paar Wörter mit der Krankenschwester und entfernt sich dann. Ich kapiere nicht, warum er überhaupt mitten in der Nacht nochmal hergekommen ist. Das war doch vollkommen unnötig. Das ganze Gespräch mit ihm war totaler Quatsch. Jedes einzige Wort hätte doch auf jeden Fall noch Zeit bis morgen gehabt. „Na, dann kommen Sie mal mit”, fordert Schwester Karin mich auf. Sie ist noch jung, vielleicht Mitte Dreißig. Ich folge ihr durch die Gänge. Sie geht zu schnell, sodass ich Mühe habe, mit ihr Schritt zu halten. Sie öffnet eine Tür und wartet, bis ich an ihr vorbei eingetreten bin. Sie schaltet das Licht ein und ich erkenne, dass es ein kleiner Untersuchungsraum ist. Das irritiert mich, weil der Professor ja von meinem Zimmer gesprochen hatte. Fragend schaue ich die Frau an. Sie lacht amüsiert. „Keine Angst, Chester. Ich muss Ihnen nur kurz ein bisschen Blut abnehmen. Das geht ganz schnell und tut auch gar nicht weh”, informiert sie mich und dirigiert meinen Körper zu einem Stuhl, auf dem ich mich niederlasse. Sie hantiert eine Weile mit verschiedenen Dingen herum. Später sticht sie mir tatsächlich eine Nadel in den Arm. Ich schaue zu, wie mein dunkelrotes Blut mehrere kleine Plastikröhrchen füllt. Im nächsten Moment ist sie auch schon fertig, zieht die Nadel raus und klebt mir ein weißes Pflaster auf den Einstich in der Armbeuge. Sie beschriftet die gefüllten Röhrchen, legt sie dann auf einem Tisch ab und wendet sich zu mir um. „Kommen Sie mit, Chester. Ich bringe Sie jetzt in Ihr Zimmer”, kündigt sie hilfsbereit an. Ich nicke und stehe auf. Plötzlich wird mir schlecht. Ich schwanke ein wenig, sodass die Krankenschwester mich überstürzt am Arm festhält. „Geht es Ihnen nicht gut?” erkundigt sie sich besorgt. Ich zwinge mich hastig, mich zusammenzureißen. Lächelnd nicke ich ihr zu. „Nein, es ist schon gut. Es ist alles in Ordnung”, behaupte ich leise, obwohl das eine ziemlich dreiste Lüge ist. Sie nickt spürbar erleichtert. Zusammen verlassen wir den kleinen Raum. Dann wandern wir nochmal eine längere Strecke. Das Laufen fällt mir schwer, weil ich ohne Brille nicht gut sehen kann. Weil ich betrunken bin und meine Beine torkeln wollen. Die sterilen Flure und unzähligen Türen sehen alle gleich aus. Mit Sicherheit werde ich mich auf dieser Station niemals zurechtfinden. 

Nach einiger Zeit bleibt die Krankenschwester vor einer Tür stehen. Sie deutet auf das weiß angestrichene Holz und macht mich darauf aufmerksam, dass sich dahinter eine Herrentoilette befindet. Auf diese Tür hat jemand ein schwarzes WC und darunter noch ein Gents gemalt. Und zwar so groß, dass ich es sogar ohne Brille gut lesen kann. Ich muss mir ein Lachen verkneifen, weil die Bedeutung dieser Buchstaben doch allzu offensichtlich ist. Das hätte die Frau mir nun wirklich nicht erklären müssen. Amüsiert schaue ich sie an und möchte gerne irgendeinen Witz machen. Ich möchte sie unbedingt zum Lachen bringen. Aber mir fällt gerade nichts ein und sie hat sich schon abgewandt und beachtet mich gar nicht. Nur ein paar Schritte weiter sind wir an meinem neuen Zuhause angekommen. Schwester Karin öffnet eine Tür und schiebt mich in das kleine Zimmer hinein. Sie schaltet das Licht an und macht eine weitläufige Handbewegung, die den ganzen Raum umfasst. „So, da sind wir!” erwähnt sie überflüssigerweise. Automatisch gucke ich mich in dem Zimmer um, obwohl vor meinen Augen alles total verschwommen ist. Ich glaube aber zu erkennen, dass es hier drin nichts Aufregendes gibt. Nur ein bezogenes Bett, einen Sessel, einen Tisch und einen Schrank an der Wand. Schwester Karin lächelt irgendwie stolz, als wäre der Raum wer weiß wie schön. Als müsste ich doch eigentlich begeistert sein. „Das hier ist ab jetzt ihr eigenes Zimmer, Chester”, betont sie, „Hier drin werden Sie immer Ruhe finden, wenn Sie sie brauchen. Machen Sie es sich richtig gemütlich. Ruhen Sie sich aus. Wenn Sie etwas brauchen, ich bin die ganze Nacht vorne an der Anmeldung, okay?” Auf einmal tätschelt die Frau beruhigend meinen Rücken. Sofort versteife ich mich widerwillig, weil ich ihre Berührung nicht mag. Aber sie lässt mich schon wieder los. „Gute Nacht, Chester”, haucht sie nahezu, dreht sich um und verschwindet. Sie macht die Tür hinter sich zu. 

Plötzlich bin ich allein. Eine Weile stehe ich unschlüssig da. Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt tun soll. Dann gehe ich zögernd zum einzigen Fenster hin, weil ich dringend hinaussehen will. Es ist das erste Fenster, was ich sehe, seit sich die Tür zu dieser Abteilung hinter mir geschlossen hat. Ich schiebe die weiße Gardine zur Seite und gucke hinaus. Draußen ist es dunkel. Ich kann nicht viel sehen, nur ein paar Bäume und vereinzelte Laternen. Anscheinend befindet sich da draußen irgendein Park. Ich überprüfe den Fensterrahmen. Man kann das Fenster nicht öffnen. Plötzlich fühle ich mich enorm eingesperrt und muss tief durchatmen, um nicht in Panik zu geraten. Nervös wende ich mich vom Fenster ab und schaue mir nochmal mein Zimmer an. Es ist hässlich und trostlos. Ich verspüre den überaus heftigen Drang nach einer Zigarette. Aber ich habe keine, denn die Polizisten haben mir schon ganz am Anfang alles weggenommen. Deprimiert bewege ich mich auf das Bett zu und setze mich auf die harte Matratze. Mein Kopf dröhnt. Ich wünschte, ich wäre noch sehr viel betrunkener. Nein, eigentlich will ich nur zurück nach Hause. Ich muss an Samantha denken, ein süßes Mädchen, was bei unserem letzten Gig im Publikum war. Ich hatte sie vorher in der Kneipe zu unserem Auftritt eingeladen, und sie war tatsächlich gekommen. Die ganze Zeit stand sie direkt vor der Bühne. An diesem Abend sang ich nur für sie allein. Unsere Musik und meine Performance hatten ihr offenbar gut gefallen. Nach dem Konzert hatte ich sie Backstage wiedergetroffen, und wir haben uns eine lange Zeit sehr anregend unterhalten. Als ich Sam zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich auf Anhieb genau, dass sie die Frau ist, die ich einmal heiraten werde. Das habe ich auch sofort Sean gesagt, unserem Drummer und meinem Freund, aber der Idiot hat mich nur ausgelacht. Auf einmal wird mir klar, dass Samantha mit Sicherheit nichts mehr mit mir zu tun haben will, wenn sie erfährt, wo ich mich hier aufhalte. Bestimmt wird sie es bald irgendwie erfahren, weil irgendwer seine Klappe nicht halten kann. Meine Niederlage wird sich in meiner Heimatstadt rasend schnell herumsprechen, weil in der Kneipe alle gesehen haben, wie ich in Handschellen von den Polizisten abgeführt wurde. Und sicherlich will das süße Mädchen keinen Mann heiraten, der, so wie ich gerade, in der geschlossenen Psychiatrie gelandet ist. Es ist mehr als höchstwahrscheinlich, dass ich Sam niemals wiedersehen werde. Schlagartig tut mir dieser Gedanke dermaßen weh, dass mir unwillkürlich heiße Tränen in die Augen steigen. Ich fühle mich bedrohlich eingesperrt, komplett besiegt und schaffe es nicht mehr, mich zu kontrollieren. Verzweifelt drücke ich mir beide Hände vors Gesicht und weine hemmungslos.

3. Left all alone


Michael Kenji Shinoda

Etwas ist anders. Als ich aus diesem unruhigen Schlaf erwache, ist mir auf der Stelle klar, dass sich etwas geändert hat. Etwas Grundlegendes. Hellwach liege ich in meinem Bett und denke an die letzte Nacht. Sie war außergewöhnlich. Ein neuer Patient ist laut singend über den Flur gelaufen. Dieser seltsame Typ hat mir direkt in die Augen gesehen. Er hat mir direkt in die Seele gesungen. Und jetzt ist er mein erster Gedanke nach dem Aufwachen. Ich erinnere mich sofort an ihn. Das irritiert mich. So etwas ist mir schon sehr lange nicht mehr passiert. Weil es nämlich nichts mehr gab, an das ich mich erinnern wollte. Alles war sowieso gleich belanglos. Die Zeit rauschte nur an mir vorbei. Nichts schien lohnend genug zu sein, um sich daran zu erinnern. Es war der Mühe einfach nicht wert. Aber das ist jetzt anders. Unwillkürlich habe ich sein Gesicht vor Augen, seine Stimme im Ohr. Sein Name ist Chester, denke ich immerzu. Und ich fühle mich anders dabei. Ich weiß, dass ich mich definitiv noch nie so gefühlt habe, seit ich hier bin. Es ist eine merkwürdige Mischung aus Nervosität, Verärgerung, Zufriedenheit und – Erwartung? In meinem Inneren tobt es nahezu, als mir einfällt, dass ich Chester vielleicht schon heute wiedersehe. Das kapiere ich nicht, und ich habe keine Ahnung, ob ich das gut oder scheiße finden soll. Die Gedanken an ihn berühren mich zu heftig, scheinen wahrhaftig meine Sinne zu schärfen. Das ist total ungewohnt, und ich wünsche mich eigentlich in meine Teilnahmslosigkeit zurück. Lieber würde ich gar nichts fühlen, als dieses undefinierbare Chaos in mir. Verwirrt werfe ich einen Blick auf meinen Sessel, um zu überprüfen, ob ich die aufwühlende Begegnung mit Chester vielleicht nur geträumt habe. Aber nein, da liegt sie tatsächlich. Seine schwarze Brille. Er hatte sie auf dem Flur verloren, und ich hatte sie aufgehoben und mitgenommen. Später habe ich sie dann dort auf den Sessel geworfen. Seine Brille ist der eindeutige Beweis, dass all das wirklich passiert ist. Das macht mich nervös. Um mich abzulenken, stehe ich auf, hole mein Zeug aus dem Schrank und mache mich auf den Weg über den noch leeren Flur zum Badezimmer. Von Anfang an hat es mich total gestört, dass sich auf dieser Station jeweils vier Zimmer nur ein einziges Bad teilen müssen. Ich hasse es, wenn von draußen jemand plötzlich ungeduldig an die verschlossene Tür klopft. Das stresst mich und regt mich unnötig auf. Darum versuche ich jeden Morgen, möglichst früh aufzustehen, damit ich im Bad genug Zeit für mich alleine habe. Meistens gelingt mir das. 

Jetzt stehe ich im Badezimmer vor dem Spiegel und schaue mich reglos an. Es muss Ewigkeiten her sein, seit ich mich das letzte mal bewusst im Spiegel betrachtet habe. Weil es mir völlig egal war. Es hat mich nicht interessiert, wie ich aussehe, weil es einfach keine Rolle spielte. Außerdem ist dieser Spiegel sowieso verschwommen, weil es irgendein besonderes Teil ist, was man nicht so leicht zerschlagen kann. Wie überall auf der Station, gibt es auch im Badezimmer keine scharfen Kanten. Doch heute schaue ich zum ersten Mal genauer hin. Etwas hat sich geändert, weil ich plötzlich meinen Bart bemerke. Ich sehe mein Haar, das, genau wie der Bart, zu lange nicht geschnitten wurde. Ich weiß nicht, warum mein Anblick mir auf einmal nicht mehr gefällt. Ich finde mich verwahrlost, und das stört mich. Hastig ziehe ich mich aus und nehme eine schnelle Dusche. Danach trockne ich mich mit meinem Handtuch ab, ziehe den Schlafanzug wieder an und putze meine Zähne. Dann schaue ich nochmal in den trüben Spiegel. Mit Daumen und Zeigefinger streiche ich nachdenklich über meinen weichen Bart. Er könnte ein bisschen kürzer sein, und die Ränder müssten dringend rasiert werden. Es gefällt mir nicht, wie ungepflegt er aussieht. Aber daran kann ich jetzt nichts ändern. Der Rasierapparat war nämlich so ziemlich das Erste, was sie mir weggenommen haben, als ich hier ankam und sie meine Sachen durchsuchten. Natürlich haben sie Angst wegen der scharfen Rasierklingen, mit denen ich schon mal versucht habe, mein Leben zu beenden. Ich darf mich nicht ohne Aufsicht rasieren. Doch heute Morgen habe ich weder die Lust dazu noch die Zeit dafür, nach einem Pfleger zu suchen, der mich beim Rasieren beaufsichtigen kann. Verblüfft registriere ich, dass ich mein Stylinggel mit ins Bad genommen habe. Das habe ich unbewusst getan, und ich habe keinen blassen Schimmer, wieso. Mein Bruder Jason hat es mir irgendwann einmal mitgebracht, als er mich in der Anfangszeit noch häufiger besuchte. Seitdem habe ich es noch nie benutzt. Aber jetzt nehme ich die Tube kurzerhand und knete mein nasses Haar so lange damit, bis mein Styling mir gefällt. 

Ich bin damit fertig, bevor jemand an die Tür klopft. Eilig nehme ich mein Zeug, verlasse das Badezimmer und haste über den Flur zurück in mein Zimmer. Dabei beachte ich den anderen Patienten nicht, der blöderweise plötzlich auf dem Flur steht. Es ist ein älterer Mann, der mir irgendetwas zuruft. Ich glaube, er wohnt im Zimmer neben meinem. Aber ich habe noch nie ein Wort mit ihm gesprochen. Das will ich auch nicht. Der Mann interessiert mich nicht. Andere Menschen sind mir egal. Sie sollen mich nur in Ruhe lassen. Ich kapiere nicht, warum Chester mir nicht genauso egal ist. Irgendwas an dem neuen Patienten hat mich aufgeschreckt. Darauf war ich nicht vorbereitet. Er hat mich unerwartet getroffen, wie ein Schlag. Und jetzt finde ich nicht mehr zurück. Obwohl ich es eigentlich dringend will, weil es ganz schön creepy ist, was mit mir passiert. Die neue Situation ist nervenaufreibend. Das macht mich echt verrückt. Hastig schließe ich hinter mir die Tür und lehne mich von innen dagegen. Zweimal atme ich tief durch. Dann gehe ich zu meinem Schrank. Bisher habe ich jeden Morgen einfach irgendwas angezogen, oft sogar die Sachen vom Vortag. Heute ist das erste Mal, an dem ich mir über meine Garderobe Gedanken mache. Unschlüssig sehe ich mir meine Kleidung an, die ordentlich aufgereiht im Schrank hängt. Meine Mutter hat das für mich getan. Als ich hier ankam, hat sie liebevoll meinen umfangreichen Koffer ausgepackt. Plötzlich erinnere ich mich daran, wie traurig sie dabei aussah, und wie egal mir das war. Ich muss schlucken und greife mir schließlich frische Unterwäsche, eine blaue Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Meinen Schlafanzug deponiere ich akkurat gefaltet unter mein Kopfkissen und mache gewissenhaft mein Bett. Die benutzte Unterwäsche kommt in den Wäschesack im Schrank, der einmal in der Woche zum Waschen abgeholt wird. 

Mit meinem Morgenritual bin ich fertig, noch bevor draußen auf dem Flur das Wecken losgeht. Zwei Pfleger gehen morgens immer pünktlich durch die einzelnen Zimmer und fordern die Patienten zum Aufstehen auf. Wo es nötig ist, leisten sie auch Hilfestellung. In dieser Woche haben Dirk und Roman diese Aufgabe. Ich kann die Pfleger draußen reden hören. Sie nähern sich meinem Zimmer schnell, während ich angespannt mitten im Raum stehe und lausche. Plötzlich klopft Dirk an meine Zimmertür und streckt unaufgefordert seinen Kopf herein. „Guten Morgen, Mike! Es ist Zeit zum Aufstehen!” ruft er routiniert den immer gleichen Spruch. „Herr Shinoda ist natürlich schon bereit fürs Frühstück!” stellt er im nächsten Moment amüsiert fest, dreht sich um und fährt mit seiner Arbeit fort. Meine Tür lässt er weit offen stehen. Das ist die unmissverständliche Aufforderung an mich, mein Zimmer zu verlassen. Das Gleiche passiert jeden Morgen. Und bisher war ich fast jedes Mal schon bereit fürs Frühstück, wenn jemand kam, um mich zu wecken. Aber diesmal ist es anders. Verblüfft stehe ich dort und schaue Dirk hinterher, obwohl er längst weitergegangen ist. Er hat nicht gemerkt, dass heute etwas anders ist, wie anders ich bin, registriere ich verdutzt. Aus irgendeinem Grund war ich davon ausgegangen, dass der Pfleger mir meine völlig neue Nervosität sofort anmerken würde. In mir herrscht doch so ein ungewohntes Chaos, dass einfach jeder das sofort merken muss, dachte ich. Ich bin aufgeregt, kapiere ich plötzlich. Zum ersten Mal, seit ich hier bin, kann ich es nicht erwarten, zum Frühstück zu gehen. Weil ich dort vielleicht Chester wiedersehe. Weil ich ihm dann endlich seine Brille zurückgeben kann. Ich möchte ihm dringend seine Brille zurückgeben. Das beunruhigt mich. Ich verstehe nicht, was mich an diesem fremden Mann so fasziniert. Ich bin ein bisschen enttäuscht, weil Pfleger Dirk noch nicht einmal mein nagelneues, sorgfältiges Styling bemerkt hat. Ach, scheiß drauf, denke ich dann. Ich nehme Chesters Brille vom Sessel und schaue sie mir genau an. Mehrmals klappe ich die Bügel auf und zu. Dann verstecke ich die Brille in meiner Jeans und mache mich kurzentschlossen auf den Weg. 

Zum Speiseraum ist es nicht besonders weit, aber ich muss durch die Flure laufen, und das mag ich nicht besonders. Es können unvorhergesehene Dinge passieren, wenn man anderen Menschen begegnet. Das habe ich erst heute Nacht am eigenen Leib erfahren, als Chester zum ersten Mal für mich gesungen hat. Er hat verdammt schön gesungen. Seine Stimme hat mir gefallen. Seine Worte berührten etwas in mir. Ich möchte unbedingt, dass dieser komische Kerl nochmal für mich singt. Ich sehne mich nach seinem Gesang. Mit diesen verwirrenden Gedanken bewege ich mich durch die Gänge zum Frühstücksraum, ohne meine Umgebung übermäßig zu beachten. Jetzt, direkt nach dem Wecken, ist zu viel los in der Psychiatrie. Viele Patienten laufen herum. Zwei kloppen sich um mehr Zeit im Badezimmer, bis die Pfleger kommen und sie beschwichtigen. Zum Glück habe ich das Problem auch heute vermieden, indem ich früh genug aufgestanden bin. Ich mag keine Auseinandersetzungen. Streitereien stressen mich zu sehr, darum gehe ich ihnen immer aus dem Weg. Ziemlich schnell kommt der große, helle Raum in Sicht, in dem auf dieser Station alle Mahlzeiten verteilt werden. Die fertigen Tabletts stehen auf mehreren Rollwagen, versehen mit Namensschildern. Jeder Patient muss sich sein eigenes Tablett heraussuchen. Wer das nicht selbst auf die Reihe kriegt, bekommt sein Essen an den Tisch gebracht. Fast alle Tische und Stühle sind noch leer, weil ich so früh hier bin. Das gefällt mir. Auf diese Weise kann ich mir mein Frühstück in Ruhe heraussuchen und habe bei den Plätzen die freie Auswahl. Ich wähle einen abgelegenen Tisch am Fenster, von dem man einen schönen Blick auf den grünen Garten hat. Außerdem kann ich von hier aus den Raum und die Eingangstür sehr gut im Auge behalten. Ich bin aufgeregt, erwartungsvoll. Als ich mich auf dem Stuhl niederlasse, scheint mir warm die Sonne ins Gesicht. 


Chester Charles Bennington

Es geht mir nicht gut. Das merke ich sofort, als ich abrupt aus einem wirren Albtraum hochschrecke. Draußen vor dem Fenster ist der neue Tag angebrochen. Sonnenlicht fällt in mein Zimmer. Nach Luft ringend liege ich in meinen Klamotten auf dem Bett und starre an die trostlose Decke. Mein Herz schlägt zu schnell. Unangenehm nasser Schweiß steht auf meiner Stirn. Meine Finger zittern und ich fürchte, dass das daher kommt, weil ich heute Morgen meine obligatorische Flasche Bier noch nicht getrunken habe. Weil mir klar ist, dass ich sie in nächster Zeit auch nicht trinken werde. Das macht mich unglaublich nervös. Ich möchte dringend eine Zigarette rauchen. In den letzten Stunden musste ich schon zwei Mal plötzlich über den Flur rennen, um mich auf der Herrentoilette, die diese Schwester mir in der Nacht gezeigt hatte, zu übergeben. Ich fühle mich entsetzlich krank. Meine Sehnsucht nach meiner Flasche Bier, einer Flasche Whiskey und einer Zigarette ist existenziell. Pausenlos kreisen meine Gedanken darum, bis ich glaube, den Verstand zu verlieren. 

Plötzlich geht die Tür auf und jemand kommt herein. Erschrocken sitze ich kerzengerade im Bett und starre dem Menschen entgegen. Mir ist schwindelig. Ich kann nichts richtig erkennen, weil ich meine Brille verloren habe, was mich unglaublich nervt. „Guten Morgen, Chester!” ruft die Person mir zu, „Es ist Zeit zum Aufstehen! Dein Frühstück wartet auf dich!” Es ist ein junger Mann, höchstwahrscheinlich ein Pfleger, der nun direkt vor mir steht und mich prüfend mustert. Hastig schwinge ich meine Beine über die Bettkante und ziehe meine Chucks an, die vor dem Bett stehen. Die Schuhe sind das einzige, was ich ausgezogen hatte, als ich mich zum Schlafen hinlegte. Ich spüre, dass mir jeder Knochen einzeln wehtut und unterdrücke ein unbehagliches Stöhnen. „Ich bin Pfleger Ulrich. Aber du kannst mich ruhig Ulli nennen”, stellt der Kerl sich fröhlich vor. Ich nicke, während ich Mühe habe, mit meinen zitternden Fingern meine Chucks zu schnüren. Er steht noch eine Weile dort und guckt mich abschätzend an, was mir tierisch auf den Sack geht. „Hast du schlimme Entzugserscheinungen?” fragt er mich unvermittelt. Mein Kopf schnellt hoch zu ihm. Wütend fixiere ich ihn, obwohl sein Gesicht vor meinen Augen unscharf bleibt. Seine Frage gefällt mir nicht, weil sie mich irgendwie als Junkie abstempelt. Andererseits kann er mir vielleicht helfen, denke ich dann und reiße mich zusammen. „Könnte besser sein”, gebe ich zögernd zu. Er nickt verständig. „Keine Sorge, Chester. Wir sind darauf vorbereitet, dass es dir heute Morgen sehr schlecht geht. Professor Paulsen hat die nötigen Anweisungen gegeben, um dir durch den Entzug zu helfen.” Ich schaue ihn an und nicke. Seine Worte beruhigen mich nicht. Ich möchte nach Hause. Ich will auf der Stelle mindestens eine Flasche Bier trinken, noch lieber eine Flasche Whiskey. Ich möchte mich zuknallen, bis ich nichts mehr spüren muss. Aber das wird nicht passieren, und das macht mich ehrlich verrückt. Ich weiß nicht, ob ich meine derzeitige Situation noch länger hinnehmen kann. Ich hasse es, nicht selbst über mich bestimmen zu können. Ich will diesem Pfleger nicht ausgeliefert sein. 

Aber genau das bin ich jetzt. Und ich kann nichts weiter tun, als ihm zuzusehen, wie er irgendwelche Sachen auf dem Tisch ablegt und Medikamente aus seiner weißen Jacke holt. In der anderen Jackentasche hat er eine kleine Plastikflasche Mineralwasser. In der einen Hand hält er mir die Flasche hin, in der anderen liegen drei Tabletten. „Hier, das wird dir helfen”, behauptet er und lächelt, glaube ich. Schlagartig wird mir so schlecht, dass ich mir die Hand vor den Mund halten muss, um ihm nicht vor die Füße zu kotzen. Hektisch stehe ich auf und stürze an ihm vorbei zur Tür. Diesen Weg kenne ich mittlerweile. Ich renne das kurze Stück über den Gang zur Herrentoilette, die ich hastig betrete. Zum Glück schaffe ich es auch diesmal rechtzeitig vor die Kloschüssel. Ich falle auf die Knie und entleere ein weiteres Mal krampfhaft und unfreiwillig meinen rebellierenden Magen. Obwohl er inzwischen eigentlich schon leer ist. Das fühlt sich widerlich an. Ich hasse es, dass mir alles wehtut. Ich will diese Schmerzen nicht fühlen, nicht die umfassende Verzweiflung in mir aushalten müssen. 

Ich fasse es nicht, dass der penetrante Pfleger mir tatsächlich hinterhergekommen ist. Auf einmal steht er hinter mir und wartet geduldig ab, bis ich mit dem Kotzen fertig bin. Das ist mir so peinlich, dass ich es kaum ertragen kann. Ich möchte auf der Stelle losheulen, reiße mich jedoch zusammen. Er reicht mir einen blauen Waschlappen, mit dem ich mir die feuchte Stirn und den Mund abwische. Mühsam stehe ich auf und drehe mich zu ihm herum. Er lächelt noch immer, glaube ich. „Vielleicht möchtest du dich zuerst ein wenig frischmachen”, schlägt er vor und deutet auf das Waschbecken im Vorraum. Ich nicke folgsam. Er gibt mir ein Stück Seife, eine Zahnbürste, Zahnpasta und ein Handtuch. Also gehe ich zum Waschbecken und wasche mich oberflächlich, obwohl ich keine Lust dazu habe. Es ist mir völlig egal, wie ich derzeit aussehe. Dazu geht es mir definitiv zu schlecht. Widerwillig putze ich auch noch meine Zähne. Der scheiß Pfleger will einfach nicht abhauen, sondern beobachtet mich die ganze Zeit viel zu aufmerksam. Er scheint auf jede Reaktion von mir vorbereitet zu sein. Ich kann mich nicht an seinen Namen erinnern, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass er ihn vorhin genannt hat. 

Als ich am Waschbecken fertig bin, drehe ich mich wütend zu ihm herum. Jetzt hält er mir wieder die drei Tabletten und die Flasche Wasser hin. Die Tabletten sehen alle anders aus, zwei runde, weiße in verschiedenen Größen und eine rote, längliche. „Nimm das, Chester. Damit wird es dir besser gehen”, betont er nochmal. „Was ist das?” frage ich ihn misstrauisch. „Das hilft dir durch den Alkoholentzug”, behauptet er felsenfest. Ich glaube ihm nicht. Ich habe Angst, dass die Psychiatrie mich irgendwie manipulieren will. Dass sie mich mit den drei Tabletten total ruhigstellen wollen, um verbotene Experimente an mir vorzunehmen. Ich spüre Paranoia in mir hochkommen, die hartnäckig an meinem Verstand kratzt. Das gefällt mir nicht, weil es mich noch zorniger macht. Bleib ganz ruhig, mahne ich mich innerlich nervös. Der junge Mann schaut mich auffordernd an. Mir ist klar, dass er keine Ruhe geben wird, bis ich seine Pillen geschluckt habe. Also tue ich das und trinke danach Mineralwasser aus der kleinen Plastikflasche. Ich bin sauer, weil er mir keine Wahl gelassen hat. Das fühlt sich wie eine Niederlage an. Angenehm kühl und erfrischend läuft das Wasser meine Kehle herunter. Ich hatte zu lange nichts getrunken. Das erinnert mich wieder an meine morgendliche Flasche Bier, die ich schmerzlich vermisse. „Und was ist, wenn ich die gleich wieder auskotze?” frage ich den aufdringlichen Mann herausfordernd, weil langsam eine mächtige Wut in mir brodelt, die ich kaum noch kontrollieren kann. Aggressiv fixiere ich ihn, obwohl ich ihn nur unscharf erkennen kann. Er hört nicht auf zu lächeln. „Dann bekommst du natürlich umgehend Ersatz”, erklärt er mir freundlich. „Aber es wäre trotzdem schön, wenn du das vermeiden könntest”, setzt er gut gelaunt hinzu. Es macht mich rasend, dass er so gute Laune hat, denn meine Stimmung ist definitiv im Keller. 

Mir ist völlig schleierhaft, was ich überhaupt hier soll, welchen Sinn mein Aufenthalt in der geschlossenen Psychiatrie für mich haben soll. Zu Hause hätte ich heute jede Menge zu tun, denke ich verärgert. Nach der Arbeit würde ich im Tattoo-Laden vorbeischauen. Und heute Abend würde ich mit den Jungs von Grey Daze im Studio an den Aufnahmen für unsere erste CD basteln. Mein Tag wäre mit überwiegend angenehmen, kreativen Dingen gefüllt. Aber stattdessen sitze ich in diesem schrecklichen Gebäude fest. Ich bin in dieser deprimierenden Abteilung eingesperrt, wo ich kein bisschen hingehöre. Ich vermisse das Singen jetzt schon, mein Mikrophon in meiner Hand, die Musik und die Band. Ich möchte Samantha dringend wiedersehen. Meine Arbeit werde ich wohl verlieren, denke ich erschrocken, das Tattoo-Studio geht vielleicht pleite, und es ist echt fraglich, ob Grey Daze so lange auf ihren Sänger warten werden. Wahrscheinlich suchen die Jungs schon jetzt heimlich nach einem Ersatz für mich. Das deprimiert mich. Zu Hause hätte ich um diese Zeit bereits mindestens zwei Flaschen Bier leergetrunken und würde mich gut dabei fühlen.

Verdammt nochmal! Die Gewissheit, böswillig aus meinem gewohnten Leben gerissen worden zu sein, in dem ich mir in den letzten Monaten so viel Mühe gegeben hatte, um etwas Sinnvolles aufzubauen, macht mich noch zorniger. Mein Herz schlägt schnell. Ich möchte losschreien, aber ich halte mich zurück, denn ich will nicht unangenehm auffallen. Der Pfleger klopft mir beruhigend auf die Schulter. Sofort verkrampfe ich mich, denn ich will auf keinen Fall von ihm angefasst werden. Vielleicht merkt er das, denn er lässt mich schnell wieder los. „Okay, Chester, hab noch ein wenig Geduld. Bald wird es dir viel besser gehen. Die Medikamente werden deine Entzugserscheinungen lindern. Jetzt komm bitte mit. Du kannst diese Sachen behalten. Sie gehören jetzt dir. Wir bringen sie in dein Zimmer. Und dann zeige ich dir, wo du dein Frühstück bekommst”, informiert er mich leise. Seine Stimme ist ganz ruhig, freundlich, besänftigend. Ich nicke und gehe hinter ihm her, aus der Toilette über den Flur in mein Zimmer. Dort lege ich die Zahnbürste, die Zahnpasta, die Seife, den Waschlappen und das Handtuch auf den kleinen Tisch. 

„Hier habe ich noch etwas für dich, Chester”, meint der Pfleger auf einmal lächelnd zu mir und präsentiert mir in seiner Hand ein kleines, quadratisches, weißes Stück Stoff oder so was. Ich kann es nicht identifizieren, weil ich es nur unscharf sehe. Ich glotze wohl ziemlich bescheuert auf seine Hand, denn er lacht amüsiert und erklärt mir: „Das ist ein hoch dosiertes Nikotinpflaster. Du kannst es dir auf den Oberarm kleben. Damit wird sich deine Nervosität schon bald legen.” „Ich würde aber viel lieber jetzt eine rauchen!” rutscht mir angepisst heraus, woraufhin er noch lauter lacht. Natürlich ist das Rauchen in der gesamten Station streng verboten, was er mir auch gleich nochmal eintrichtern muss. Mit meinen böse zitternden Fingern schaffe ich es kaum, mein Hemd aufzuknöpfen. Dabei hilft es mir auch nicht unbedingt, dass der verdammte Mann mich pausenlos aufmerksam beobachtet. Endlich kann ich meinen Ärmel runter schieben und klebe mir das Pflaster folgsam auf den tätowierten Trizeps. Danach verlassen wir gemeinsam mein Zimmer. Ich bin froh, dass ich hier endlich rauskomme. Ich mag diese hässliche, deprimierende Kammer nicht. Die vergangene Nacht war schrecklich, weil ich kaum geschlafen habe. In diesem scheiß Bett habe ich kein Auge zugetan, habe mich nur blöd herumgewälzt oder Albträume gehabt. 

Es geht mir noch immer nicht gut, als ich neben dem Pfleger über den Flur laufe. Die Gänge sind jetzt voller Menschen, die alle mit Waschzeug und Handtüchern unter dem Arm herumrennen. Der Lärmpegel auf der Station ist ziemlich hoch. Das geht mir auf die Nerven. Es ist tatsächlich Zeit zum Aufstehen. Offenbar hat dieser Kerl mich ziemlich früh geweckt, obwohl ich ja schon längst wach war. Ich kann niemanden richtig erkennen, und das kotzt mich langsam total an. Ich wünsche mir, ich hätte meine Brille nicht verloren und grübele darüber nach, wo sie jetzt wohl sein könnte. Dann überlege ich, wen ich bitten könnte, mir meine Ersatzbrillen und die Kontaktlinsen zu bringen. Aber ich bin viel zu weit weg von zu Hause, und ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand dazu bereit sein könnte, für mich den langen Weg auf sich zu nehmen. Ich glaube noch nicht mal daran, dass zu Hause jemand ein Paket für mich packen würde. Frustriert laufe ich neben dem Pfleger her. Er geht ganz langsam, damit ich es mit meinen Entzugserscheinungen auch schaffen kann, mit ihm Schritt zu halten. In der Abteilung sieht noch immer alles gleich aus, alles ist weiß oder hellgrau. Nur wenige Pastelltöne lockern die langweilige, sterile Atmosphäre ein wenig auf. 

Plötzlich öffnet der Pfleger eine Flügeltür. Wir treten in einen Saal, der von Sonnenlicht förmlich überflutet wird. Die eine Seite des Raumes ziert eine riesige Fensterfront, durch die das helle Licht des neuen Tages hereinscheint. Mit zusammengekniffenen Augen blinzele ich verblüfft in den Saal. Hier stehen unzählige Tische und Stühle. Die meisten davon sind noch leer, nur sehr wenige Patienten haben sich schon zum Frühstück hier eingefunden. Der Pfleger geht zu einigen Rollwagen, die an der Wand aufgereiht wurden. Er erklärt mir, dass jedem Patienten ein Tablett gehört, welches auf dem Wagen bereitsteht und mit einem Namensschild versehen ist. Man muss sich sein Tablett selbst heraussuchen und kann sich dann zum Essen an einen frei wählbaren Tisch setzen. So funktioniert das bei jedem Essen, meint er. Freundlicherweise sucht der Mann heute mein braunes Tablett für mich heraus, nimmt es und dirigiert mich dann zu einem freien Tisch in der Saalmitte. Widerstandslos lasse ich mich auf einem der vier harten Holzstühle nieder, die um den weißen Holztisch herumstehen. Von der relativ kurzen Strecke hierher fühle ich mich tatsächlich erschöpft. Der Pfleger setzt sich auf den Stuhl direkt neben mir, was mir gar nicht gefällt. Eigentlich warte ich nur darauf, dass er mich endlich in Ruhe lässt. Es geht mir nämlich noch immer hundsmiserabel. Mein Magen rebelliert, und ich habe ganz bestimmt keinen Hunger. Einen Moment lang fürchte ich, dass er mich womöglich zum Essen zwingen will. Aber zum Glück hat er das nicht vor. „Hör zu, Chester. Du hast jetzt eine knappe Stunde Zeit, um in aller Ruhe dein Frühstück zu dir zu nehmen. Danach hole ich dich wieder ab und bringe dich zu deiner ersten Gruppentherapiesitzung, okay?” flüstert er mir diskret zu. Ich nicke und versuche ein Lächeln, was mir aber nicht so recht gelingen will. Ich bin nach wie vor ziemlich wütend, fühle mich absolut beschissen und wäre lieber überall anders, als ausgerechnet an diesem Ort. Schon wieder klopft er mir beruhigend auf die Schulter und ich werde stocksteif, als er auch schon aufsteht und den Saal verlässt. 

Endlich ist er weg. Ein paarmal atme ich tief durch. Mir ist schlecht und ich fürchte, dass ich bald wieder kotzen muss. Aber das will ich nicht. Außerdem weiß ich nicht, wo das nächste Klo ist. Das macht mich echt nervös. Unschlüssig schaue ich auf mein Tablett, das vor mir auf dem Tisch steht. Ich sehe zwei Brötchen und zwei Scheiben Brot auf einem Teller. Die Brötchen sind schon aufgeschnitten worden. Daneben steht ein Schälchen mit Marmelade und ein kleinerer Teller mit jeweils zwei Sorten Wurst und Käse und einem Stückchen Butter. Ein sichtbar stumpfes Messer aus Plastik liegt neben dem größeren Teller. Beide Teller und die Schale sind aus farbigem Plastik, auch das Tablett. Am Rand gibt es ein Tetrapack mit Orangensaft und einen Strohhalm. Außerdem steht noch eine Plastikflasche Mineralwasser auf dem Tablett. Verzweifelt muss ich lachen bei dem Gedanken, dass zu Hause mein Frühstück schon seit längerer Zeit lediglich aus einer Flasche Bier, einer Tasse Kaffee und einer Zigarette bestanden hat. Nichts davon sehe ich hier, noch nicht mal die verdammte Tasse Kaffee. Schon allein der Anblick der Speisen dreht mir den Magen herum. Meine verfluchten Finger zittern noch immer. Besiegt schließe ich die Augen, rutsche auf dem Stuhl ganz nach hinten und lege meine Stirn müde auf die Tischkante. Ich fühle mich erschöpft, und alles tut mir weh. Ich möchte auf der Stelle mindestens die scheiß Flasche Bier trinken. Dringend muss ich jetzt sofort eine rauchen. Genervt frage ich mich, wann die ganzen Medikamente, die mir doch angeblich durch den Entzug helfen sollen, endlich anfangen zu wirken. Ich kann hören, wie der Speisesaal sich langsam füllt. Andere Patienten kommen nach und nach zum Frühstück herein. Ich kann es spüren, wie sie an mir vorbeigehen. Bestimmt setzen sie sich mit ihren blöden Tabletts an die Tische. Zu viele von ihnen reden dabei, denn der Lärm wird immer lauter. Das geht mir auf die Nerven. Ich möchte mir die Ohren zuhalten. Ich hoffe, dass sich niemand an meinen Tisch setzen oder mich ansprechen wird, denn mir ist nicht nach Reden zumute. Ich will jetzt keine Gesellschaft. Am liebsten wäre ich total unsichtbar. Vielleicht möchte ich sogar tot sein. Aber das bin ich nicht, das spüre ich nur allzu deutlich. Ich spüre jeden einzelnen Knochen in mir, jede verdammte Faser schmerzt. Lange Zeit sitze ich so da, die Stirn auf den Tisch gelegt, die Augen geschlossen. Es gefällt mir, wie die Dreadlocks mein Gesicht verstecken. Meine beiden Hände, die ich mir in den Bauch gepresst habe, reiben nervös die zitternden Finger aneinander. Ungeduldig warte ich darauf, dass die scheiß Tabletten endlich wirken. Aber es tut sich nichts. Mein Unbehagen scheint sich nur zu verstärken, meine Gier nach dem Alkohol und dem Nikotin bringt mich um. Hilflos sitze ich dort und bewege mich nicht. 

Meine gequälte Position wird mit der Zeit immer unbequemer. Meine Stirn auf dem harten Holztisch beginnt zu schmerzen. Als ich nach einiger Zeit widerstrebend meinen Kopf hebe und die Augen öffne, sitzt plötzlich ein Typ an meinem Tisch. Erschrocken fahre ich zusammen und starre ihn entsetzt an. Der Arsch hat sich einfach dreist auf den Stuhl mir direkt gegenüber hingesetzt. Ich sehe ihn nur unscharf, aber anscheinend guckt er mich interessiert an. Eine Weile mustern wir uns schweigend. Irgendwie kommt er mir vage bekannt vor, was ich echt nicht einordnen kann, denn ich kenne hier mit Sicherheit niemanden. Ich habe keine Ahnung, was dieser Typ von mir will, warum er sich ausgerechnet an meinen Tisch gesetzt hat. Ich fühle mich von diesem Fremden gestört, denn ich will eigentlich lieber noch weiter still von mich hin leiden. Verwirrt registriere ich, dass er noch nicht mal sein Tablett mitgebracht hat. Scheinbar hat er gar nicht vor zu frühstücken. Also ist er wohl aus einem anderen Grund zu mir gekommen. Das passt mir überhaupt nicht. Ich will mich jetzt nicht mit irgendwelchen anderen Patienten beschäftigen müssen. Viel lieber möchte ich in Ruhe gelassen werden. Mindestens noch so lange, bis die verdammten Tabletten wirken. Fragend gucke in ihm ins offenbar bärtige Gesicht. Angestrengt versuche ich, ihn richtig zu erkennen, damit ich seine Absicht erfassen kann. Aber er bleibt nervig unscharf vor meinen Augen. Das ständige, halbblinde Blinzeln verursacht mir langsam rasende Kopfschmerzen. 

„Ich habe deine Brille gefunden”, sagt er auf einmal leise. Schlagartig bin ich so aufgeregt, dass mein Herz spontan losspurtet. Ich fasse es nicht, was er da eben von sich gegeben hat. Ich befürchte, ihn vielleicht nicht richtig verstanden zu haben. „Was?” entfährt es mir verblüfft. Angespannt beobachte ich ihn. Er greift lächelnd in seine hintere Hosentasche und holt etwas heraus. Dann streckt er seinen Arm über den Tisch und hält es mir hin. Automatisch fokussiere ich mich auf den Gegenstand in seiner Hand, um ihn richtig identifizieren zu können. Maßlos erfreut erkenne ich, dass es sich tatsächlich um meine schwarze Brille handelt, die ich letzte Nacht irgendwo verloren hatte. Hastig greife ich zu, und der Typ lächelt breiter und zieht seinen Arm langsam wieder ein. Ich schaue mein Eigentum kurz prüfend an, klappe die schwarzen Bügel auf und setze sie unendlich erleichtert auf meine Nase. Ein schneller Rundumblick offenbart mir, wie schlecht meine Sicht ist. Die Gläser sind übersät mit fettigen Fingerabdrücken. Offenbar hat dieser dumme Kerl meine Brille immerzu genau auf den Gläsern angefasst. Aber ich kann ihm deswegen nicht böse sein, sondern lächle ihn dankbar an. „Wo hast du sie gefunden?” frage ich ihn, während ich die Brille nochmal absetze und die Gläser sorgsam mit dem unteren Saum meines Hemdes sauber reibe. Dabei fällt mir auf, dass ich nach dem Aufkleben des Nikotinpflasters vergessen habe, mein Hemd wieder zuzuknöpfen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das mit meinen bebenden Fingern derzeit hinkriege, deshalb lasse ich es lieber offen. Mein neuer Tischgefährte druckst ein wenig herum, was mich irritiert, weil ich es nicht verstehe. 

Als ich meine Brille wieder aufsetze, kann ich mir den fremden Typen endlich ganz genau anschauen. Unsere Blicke treffen sich. Er lächelt zurückhaltend, während er mit seiner Antwort zögert. Im nächsten Moment fällt mir ein, warum er mir bekannt vorkommt. Es könnte sich vielleicht um den jungen Mann handeln, den ich heute Nacht bei meiner Ankunft gesehen hatte. Ich erinnere mich, dass ein Fremder plötzlich direkt vor mir gestanden und mir erstaunlich aufmerksam zugehört hatte, während ich What's in the eye gesungen hatte. Das hatte mir auf Anhieb gefallen. Sein Interesse hatte mich dazu motiviert, auf diesem verdammten Flur noch länger und lauter zu singen. Aber jetzt kann ich nicht hundertprozentig sagen, ob er wirklich mein nächtlicher Zuhörer ist, weil da noch viele andere Menschen waren und ich in der letzten Nacht sehr angespannt und ein bisschen betrunken war. Trotzdem ist der Typ an meinem Tisch mir sympathisch. Interessiertes Publikum mag ich sehr. Außerdem ist er derjenige, der mir meine Brille zurückgegeben hat, die ich dringend brauche und zu lange total vermisst habe. 

„Sie lag auf dem Boden”, verrät er mir endlich, „Du hast sie heute Nacht im Flur verloren, als...” Er bricht ab und weicht verlegen meinem Blick aus. Aber ich weiß trotzdem, wovon er spricht. Weil ich selbst schon vermutet hatte, die Brille wahrscheinlich verloren zu haben, als diese verfluchten Polizisten mich plötzlich gepackt und zu Boden gerissen hatten. Mein Verdacht, dass der unbekannte Kerl mir gegenüber mein nächtlicher Zuhörer sein könnte, bekräftigt sich durch seine Aussage. Es ist mir ein bisschen peinlich, dass er mich nicht nur singen gehört hat, sondern auch den Angriff auf mich durch die Polizei mitangesehen hat. Dabei habe ich bestimmt keine gute Figur gemacht. Diese Episode möchte ich am liebsten sofort vergessen. „Danke schön!” bedanke ich mich hastig, um zu verhindern, dass er womöglich noch die Polizei oder meine Niederlage erwähnt. Hilflos überwältigt und gefesselt zu werden, ist nämlich extrem demütigend. Mein Lächeln ist ein bisschen nervös. Er erwidert es verhalten und schaut dann gehemmt in eine andere Richtung. Ich bin froh, dass ich endlich wieder klar sehen kann. Zufrieden lasse ich meinen Blick durch den großen, sonnendurchfluteten Saal schweifen. Inzwischen sind die meisten Stühle mit Menschen besetzt. Es sind Männer und Frauen jeden Alters, von denen ich annehme, dass es Patienten sind. Alle haben Tabletts vor sich auf ihrem Tisch und stopfen sich das Frühstück rein. Zu viele reden dabei, darum ist es hier zu laut geworden. Ich entdecke auch einige weiß gekleidete Personen, bei denen es sich wohl um das Personal handelt. Niemand scheint uns zu beachten, daher wende ich meine Aufmerksamkeit zurück auf meinen unerwarteten Besucher. 

Es freut mich, dass ich mir den freundlichen, hilfsbereiten Typen endlich richtig angucken kann, obwohl er unverändert ein Stückchen von mir entfernt, mir direkt gegenüber am Tisch sitzt. Er zuckt die Schultern und schaut mich wieder an. „Kein Ding...”, winkt er bescheiden ab. Seine Stimme hat einen angenehmen Klang, irgendwie beruhigend. Er ist noch jung, vielleicht in meinem Alter. Er trägt tatsächlich einen dunklen Bart, der ein bisschen struppig aussieht. Ich spüre ein warmes Gefühl im Bauch, als ich ihn eingehend betrachte. Mein Herz schlägt schneller. Er hätte meine Brille einfach behalten können. Das hätte niemand gemerkt. Aber er hat sie mir zurückgegeben. Dafür möchte ich ihn gerne dankbar auf die Wange küssen. Aber er sitzt zu weit weg. Der verdammte Tisch ist wie eine Barriere zwischen uns. Der Kerl sieht interessant aus, stelle ich fest. Sein Gesicht hat etwas ganz Besonderes, etwas irgendwie Asiatisches. Mir fällt ein, dass mir das schon in der letzten Nacht an ihm aufgefallen war, dieser exotische Touch. Seine braunen Augen liegen fasziniert auf mir und wirken in ihrer Traurigkeit erstaunlich sanft. Ich frage mich, warum er trotz seines offensichtlich großen Interesses an mir so traurig aussieht. Während ich ihn anschaue, überlege ich, was an ihm nicht zu meiner vagen Erinnerung von ihm passt. Sein dichtes, schwarzes Haar steht nach oben ab. Ich glaube mich zu erinnern, dass seine Haare noch strubbelig herunterhingen, als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe. Er hat sein Haar frisch gestylt, fällt mir amüsiert auf. Der Typ hat seine Haare mit viel Gel richtig stachelig gekriegt. Ich muss zugeben, dass ihm das verdammt gut steht. Belustigt frage ich mich, ob er sich wohl jeden Morgen so viel Mühe mit seiner Frisur gibt. An diesem Ort ist das total außergewöhnlich. Denn schließlich befinden wir uns beide in einer geschlossenen Psychiatrie, wo die allermeisten Patienten sichtbar wenig bis gar keinen Wert auf ihr Äußeres legen. 

„Du kannst gut singen”, flüstert er plötzlich. Seine Augen weiten sich nervös. Als hätte er Angst davor, wie ich auf dieses Kompliment reagiere. Sofort fühle ich mich geschmeichelt, obwohl mir absolut klar ist, dass ich, als er mir zuhörte, mit Sicherheit nicht gut gesungen habe. Die letzte Nacht war niederschmetternd für mich. Gegen meinen Willen wurde ich aus meiner heimatlichen Lieblingskneipe entführt und zwangsweise in einem Polizeiauto hierher gebracht. Auf diesem doofen Flur habe ich mir meinen umfassenden Frust aus der Seele gesungen. Weil ich das einfach in diesem Moment dringend tun musste, um nicht komplett durchzudrehen. Dabei habe ich nicht die Bohne darauf geachtet, mir Mühe zu geben oder die Töne richtig zu halten. Ich weiß genau, dass ich letzte Nacht gar nicht gut war. Aber diesem Typen hier hat mein höchst verzweifelter Gesang anscheinend trotzdem gefallen. „Danke schön!” wiederhole ich ratlos. Er lächelt erleichtert, also erwidere ich sein Lächeln verblüfft. Es ist schön, ihn anzugucken, stelle ich verwirrt fest. Sein Anblick beruhigt mich auf eine Art, die ich mir nicht erklären kann und die ich auch noch nie erlebt habe. In seiner Nähe fühle ich mich erstaunlich wohl, irgendwie besänftigt. Seine Anwesenheit wird angenehmer für mich, je länger er an meinem Tisch sitzt. Oder vielleicht sind es auch nur die Tabletten, die endlich anfangen zu wirken. Jedenfalls fühle ich mich langsam ein wenig besser. Die Schmerzen in meinem Körper lassen nach. Die Gier nach den Drogen wird spürbar erträglicher, und das erleichtert mich unendlich. 

Dankbar schaue ich ihn an. Er trägt ein gut sitzendes T-Shirt. Seine Hände hat er jetzt unter dem Tisch versteckt, genau wie ich. Sein T-Shirt ist schlicht schwarz und ohne Aufdruck. Den Rest seiner Kleidung kann ich nicht sehen. Ich frage mich, ob seine Schuhe wohl zu seinem Outfit passen. Auf so etwas lege ich nämlich echt wert. Aber der Tisch versperrt mir die Sicht. Ich müsste mich schon bücken und unter den Tisch gucken, um seine Hose und seine Schuhe sehen zu können. Aber das würde wohl ziemlich merkwürdig wirken. „Deine Frisur ist toll”, sage ich spontan zu ihm, um ihm auch ein Kompliment zu machen. Ich kann sehen, wie verlegen er wird. Er freut sich so sehr, dass er beinahe rot wird. Das amüsiert mich. Irgendwie ist er süß. „Das ist dir aufgefallen?” fragt er erstaunt und fasst sich nervös in die Haare. Ich nicke lächelnd. „Heute Nacht warst du noch nicht so stachelig”, necke ich ihn ein bisschen. Er lacht verunsichert, wodurch er sofort viel schöner aussieht. Es verdutzt mich, wie das Lachen ihn förmlich erstrahlen lässt und seine Traurigkeit verdrängt. „Deine Frisur ist auch nicht schlecht”, behauptet er. Automatisch streiche ich mir die Dreadlocks aus dem Gesicht. Ich liebe es, auf der Bühne den Kopf zu der Musik herumzuwirbeln und die Locks richtig fliegen zu lassen. Mein Dad war allerdings alles andere als begeistert, als ich zum ersten Mal damit nach Hause kam. Er bezeichnete mich prompt als drogensüchtigen Penner. Damit hatte er aber nur teilweise recht. 

„Willst du denn gar nichts essen?” fragt der seltsame Typ an meinem Tisch mich besorgt und deutet anklagend auf mein Tablett. Mein Frühstück steht völlig unberührt vor mir auf der Tischplatte. Angewidert schüttele ich den Kopf. Ich habe keinen Hunger. Im Gegenteil, mein Magen reagiert offenbar sensibel auf die Tabletten, denn mir wird schon wieder schlecht, als ich die Speisen ansehe. „Und was ist mit dir?” erwidere ich ein bisschen genervt. Ich mache eine Handbewegung, um zu demonstrieren, dass er schließlich gar kein Tablett mitgebracht hat. Er lächelt belustigt. „Doch, ich habe schon gegessen”, behauptet er. Das kann ich nicht nachprüfen, weil dieser fremde Kerl mir nicht eher aufgefallen ist, bis er plötzlich mir gegenüber am Tisch saß. Er scheint ein Faible dafür zu haben, unerwartet vor mir aufzutauchen. „Ich habe keinen Hunger”, erkläre ich abwehrend. Er seufzt unzufrieden. „Vielleicht solltest du es trotzdem mal versuchen. Das Essen hier ist meistens gar nicht so schlecht”, will er mich überreden. Er deutet auf mein Tablett, fordert mich stumm auf, ein Brötchen in die Hand zu nehmen. Das nervt mich, denn ich kriege wirklich nichts runter. Stattdessen greife ich demonstrativ nach der Flasche Mineralwasser und schraube sie mit unverändert zitternden Fingern mühsam auf. Ich nehme einen kräftigen Schluck, in der Hoffnung, dass die Kohlensäure eventuell meinen Magen beruhigen wird. Danach schraube ich die kleine Flasche wieder zu und stelle sie neben das Tablett auf den Tisch. 

Der komische Kerl beobachtet mich mit seltsam besorgter Miene. Ich erwidere seinen Blick leicht angespannt. Irgendwie fühle ich mich auf einmal von ihm belästigt. Es gefällt mir nicht, dass er mich zum Essen überreden will. Dieses Anliegen scheint ihm unerklärlich wichtig zu sein. Kurzerhand beugt er sich über den Tisch und nimmt sich eine meiner Brötchenhälften und das Messer von meinem Tablett. Dreist bestreicht er das Brötchen mit Butter. Ich kann es nicht fassen, dass er sich einfach meine Sachen genommen hat, auch wenn ich sie selbst gar nicht haben will. Ärgerlich schaue ich zu, wie er das Brötchen auch noch mit Marmelade bestreicht. „Du solltest es wirklich versuchen, Chester”, fordert er mich leise auf. Schüchtern lächelnd hält er mir die fertige Brötchenhälfte hin und schaut mich auffordernd an. Seine Stimme klingt bittend, fast flehend. Für ihn scheint es von rätselhaft großer Wichtigkeit zu sein, dass ich sein verdammtes Brötchen esse. Das kapiere ich nicht. Ich mag es nicht, wie er mich zum Essen überreden will. Stocksteif sitze ich auf meinem Stuhl und taxiere ihn vorwurfsvoll. Mein Herz fängt verstärkt an zu hämmern. Neue Wut kommt in mir hoch, weil ich seine freche Einmischung in meine Angelegenheiten nicht leiden kann. Außerdem irritiert es mich enorm, dass er meinen Namen kennt. Ich bin mir ziemlich sicher, dem aufdringlichen Typen meinen Namen nicht genannt zu haben. Sein unwillkommenes Wissen macht mich misstrauisch. Ich fühle mich ihm gegenüber im Nachteil, weil ich keine Ahnung habe, wie er heißt. Die Atmosphäre zwischen uns lädt sich spürbar auf, während wir uns noch eine Weile ansehen. Unermüdlich hält er mir das scheiß Brötchen hin, was ich demonstrativ ignoriere. Es gefällt ihm nicht, dass ich seiner drängenden Aufforderung nicht nachkomme. „Bitte, beiß doch wenigstens mal ab. Du siehst aus, als könntest du etwas zu essen sehr gut vertragen”, meint er schließlich seufzend. 

In diesem Moment habe ich schlagartig die Schnauze voll. „Bedien dich ruhig!” lade ich den Fremden wütend ein, „Nimm dir einfach, was du willst!” Gleichzeitig gebe ich meinem Tablett einen kräftigen Schubs in seine Richtung. In meinem Zorn stoße ich das Teil zu aggressiv, sodass es über den Rand des Tisches rutscht und scheppernd auf seinem Schoß landet, bevor er reagieren kann. Erschrocken springt er auf und starrt mich entsetzt an. Mein ganzes Frühstück fällt lautstark zu Boden. Der Krach geht in dem allgemeinen Stimmengewirr allerdings fast unter. Und weil die Teile ohnehin alle aus Plastik sind, geht dabei mit Sicherheit auch nichts kaputt. Darum mache ich mir darüber keine Sorgen, sondern schaue mir lieber interessiert diesen Typen an. Irgendwas an ihm fasziniert mich. Ich möchte unbedingt seine Kleidung sehen. Ich will wissen, ob er Stil hat. Er steht jetzt neben dem Tisch und mustert mich fassungslos. Endlich kann ich erkennen, dass er eine dunkelblaue Jeans trägt. Sie steht ihm gut. Seine schlanken Beine kommen darin vorteilhaft zur Geltung. An seinen Füßen sind schwarze Pantoffeln. Zufrieden registriere ich, dass die Farbe zu seinem T-Shirt passt. „Spinnst du? Was soll das denn?” blafft er mich an. Wütend hat er die Augenbrauen zusammengezogen, was eindeutig süß aussieht. Bevor ich etwas erwidern kann, taucht plötzlich ein Pfleger an unserem Tisch auf. Ich habe keine Ahnung, wo der auf einmal hergekommen ist. Der Blick des ganz in weiß gekleideten Mannes huscht aufgescheucht von dem Typen zu mir. „Was ist hier los? Was ist passiert?” fragt er uns hörbar alarmiert, während er missbilligend die Sachen auf dem Boden betrachtet. Der Pfleger interessiert mich nicht. Ich wende meinen Blick nicht von dem merkwürdigen Typen ab. Verwirrt spüre ich, dass sein Anblick mich noch immer seltsam beruhigt. Obwohl er mich gerade mit seiner überflüssigen Brötchenaktion ziemlich geärgert hat. Ich finde es schleierhaft, warum ihm dieser Essensscheiß so extrem wichtig war. 

„Ist schon gut. Das war nur ein Versehen”, behauptet der fremde Kerl hastig. Zu meinem grenzenlosen Erstaunen bückt er sich eilig und sammelt wahrhaftig mein auf dem Boden verstreutes Frühstück ein, wobei er sich sehr geschickt anstellt. Er legt alle Sachen rasend schnell auf das Tablett. Dann steht er wieder auf und stellt das Tablett zurück auf unseren Tisch. Entschuldigend lächelt er den misstrauisch guckenden Pfleger an. „Das tut mir leid. Ich war ziemlich ungeschickt”, nimmt der Fremde die ganze Schuld an dem Malheur auf sich, was mir wirklich zu hoch ist. Total verblüfft fixiere ich ihn, aber er schaut nicht zu mir hin. Seine Aufmerksamkeit liegt nun auf dem Pfleger. Ich kann nicht verstehen, was er hier macht, dass er mich vor dem Pfleger in Schutz nimmt. Das habe ich ganz bestimmt nicht erwartet. Eigentlich habe ich damit gerechnet, vom Personal zur Strafe in eine Gummizelle gesperrt zu werden oder so was. Ich weiß nicht, ob das wirklich passiert wäre. Ob diese Art von Bestrafung hier üblich ist. Auf jeden Fall aber gelingt es dem hilfsbereiten Fremden, diesen nervigen Pfleger, der zum Glück nichts von meinem Wutanfall mitgekriegt hat, von seinem angeblichen Missgeschick zu überzeugen. Nach ein paar weiteren Worten, die ich akustisch nicht verstehe, dreht der Pfleger sich schließlich um und verlässt uns. Er geht an einen anderen Tisch, der weiter weg von uns steht. Irgendwer braucht wahrscheinlich seine Hilfe. 

Amüsiert grinsend betrachte ich den süßen Typen, der unverändert neben dem Tisch steht. Sein unerwartetes Verhalten beeindruckt mich. Auch wenn ich seine rätselhafte Hilfsbereitschaft nicht verstehe, so bin ich ihm dennoch dankbar. Er hat mir meine verloren geglaubte Brille zurückgegeben. Allein dafür hat er schon einen Orden verdient. Und er sieht erstaunlich gut aus. Unbestreitbar hat er ein interessantes Gesicht. Zusätzlich hat er auch noch eine geile Figur, wie ich wohlwollend feststelle, als ich fasziniert seine ganze Gestalt anschaue. Der junge Mann verwirrt mich auf eine Art, die ich nicht kenne. Jetzt wirft er mir noch einen unglücklichen Blick zu. Ich möchte mich bei ihm bedanken, weil er gerade etwas eindeutig Nettes für mich getan hat. Schon wieder. Aber bevor mir die richtigen Worte einfallen, dreht er sich wortlos um und verlässt schnellen Schrittes den Speiseraum. Das wirkt auf mich so, als würde er plötzlich vor mir weglaufen. Misstrauisch blicke ich ihm nach. Ich kann sein Interesse an meiner Gesundheit nicht einordnen. Ich kann noch nicht mal sein Interesse an mir einordnen. Mir will nicht einleuchten, warum er mir auf so eine Art geholfen hat. Warum er den Aufpasser für mich angelogen hat. Womöglich ist er ein getarnter Pfleger, der mich überwachen soll, kommt mir ein beunruhigender Gedanke. Er soll sich vielleicht mein Vertrauen erschleichen. Deshalb auch die Aktion mit meiner Brille. Ich spüre, wie meine Paranoia Nahrung erhält. Hilflos schaue ich mich im Raum um. Plötzlich habe ich das Bedürfnis, auf der Stelle aufzuspringen und zu flüchten. Aber ich weiß, dass es hier keinen Ausgang für mich gibt. Mit einem Mal fühle ich mich erneut entsetzlich eingesperrt. Ich will nicht überwacht werden, von Niemandem. Und schon gar nicht will ich von irgendwem verarscht werden. Diesen seltsamen Typen kenne ich nicht, überlege ich verärgert. Wer weiß schon, was er in Wahrheit im Schilde führt.

4. Far from my home


Michael Kenji Shinoda

Gedankenversunken sitze ich allein am Fenstertisch vor meinem Tablett und mache mir mein Frühstück zurecht. So, wie ich es jeden Morgen um die gleiche Zeit tue, seit ich hier bin. Mit dem stumpfen Plastikmesser verteile ich Butter auf die Brötchen. Dann lege ich Wurst und Käse auf die Hälften. Danach nehme ich mir das Brot vor. Dabei behalte ich unentwegt die Eingangstür im Auge. Das ist eine Premiere für mich. Bisher habe ich beim Essen immer nur angespannt auf mein Tablett gestarrt und krampfhaft meine Umgebung ignoriert. In der drängenden Hoffnung, dass die anderen Menschen mich bloß in Ruhe lassen. Meistens haben sie das zum Glück auch getan. Aber jetzt schaue ich zum ersten Mal quer durch den Frühstückssaal zur Tür hin. Mein Herz ist aufgeregt, erwartungsfroh, seltsam lebendig. Es schlägt spürbar. Das fühlt sich sehr ungewohnt, aber nicht schlecht an, wie ich insgeheim zugeben muss. Ich denke darüber nach, was genau ich gleich am besten tun und sagen soll, wenn Chester hereinkommt. Wenn Chester sich an einen der Tische setzt, um zu frühstücken. Die Vorstellung macht mich nervös. Sie bringt meinen Herzschlag in Aufruhr. Ich beschließe, dann einfach zu ihm hinüberzugehen und ihm seine Brille zurückzugeben. Ich frage mich, wie dieser Fremde wohl darauf reagieren wird. Ich hoffe, dass er sich über seine Brille freut. Ich stelle mir vor, dass er mich vielleicht dankbar anlächelt. Ich wünsche mir, dass Chester nochmal lächelt. Zu gut erinnere ich mich an sein erstes Lächeln für mich. Das war in der letzten Nacht auf dem Flur. Als er gemerkt hat, wie aufmerksam ich seinem Gesang lauschte. Und jetzt bin ich ganz wild darauf, ihn nochmal lächeln zu sehen. 

Verdammt, ich habe ehrlich keine Ahnung, warum ich das so dringend will. Warum dieser fremde Typ mir nicht einfach am Arsch vorbeigeht. Es verwirrt mich. Ich verstehe das nicht. Und es macht mich ganz schön nervös. Allein der Gedanke, ihn gleich wiederzusehen, treibt meinen Puls in die Höhe. Mein Blick bewegt sich nicht von der Tür weg. Jedes Mal bin ich enttäuscht, wenn ein anderer Mensch als Chester den Saal betritt. Andauernd kommen andere Leute herein. Das gefällt mir nicht. Nachdenklich beiße ich in die fertige Brötchenhälfte. Ich kaue ganz langsam. Verblüfft stelle ich fest, wie gut dieses Brötchen schmeckt. Es ist knusprig und so frisch, dass es fast noch warm ist. Es sind Körner und schwarze Punkte in dem Teig. Vielleicht Chia oder so was. Schon sehr lange habe ich beim Essen nichts mehr empfunden. Ich habe einfach nur gegessen. Weil es von mir verlangt wurde. Nahrungsaufnahme war mir so egal wie alles andere. Aber heute Morgen kann ich plötzlich etwas schmecken. Meine Zähne mahlen sehr langsam. Bewusst zerkleinere ich die Speisen in meinem Mund. Ich schmecke die sahnige Butter. Registriere den Geschmack der Fleischwurst. Verdutzt steche ich den Strohhalm in das Tetrapack und nehme einen Schluck Orangensaft. Prompt fällt mir auf, wie lecker der Saft ist. Er schmeckt echt fruchtig und leicht säuerlich. Der Geschmack tanzt auf meiner Zunge. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten esse und trinke ich fast schon genüsslich. Seit ich hier bin, habe ich das noch nie getan. Die unverhofften, scheinbar lang vermissten Empfindungen stürzen förmlich auf mich ein. Diese unerwartete Sache verwirrt mich. Ich kann nicht begreifen, warum ich dieses Frühstück sogar irgendwie genieße. Schon tausendmal habe ich auf diesem Platz gesessen. Mir will nicht recht einleuchten, was genau sich so grundlegend geändert hat. 

Erneut schwingt eine der beiden Flügeltüren auf. Zwei Männer betreten den großen, von der Sonne hell erleuchteten Speisesaal. Einer der beiden trägt die weiße Kleidung des Pflegepersonals. Der andere Mann hat brünette Dreadlocks, die ihm bis auf die schmalen Schultern reichen. Schlagartig bin ich alarmiert. Stocksteif sitze ich dort und fixiere angestrengt die beiden Personen. Als ich Chester zweifelsfrei erkenne, zucke ich erschrocken zusammen. Mein Herz stolpert. Erleichtert blase ich Luft aus. Es freut mich mehr, als ich mir selbst eingestehen will, dass der neue Patient, auf den ich schon so lange warte, tatsächlich hierhergekommen ist. Unwillkürlich heften meine Augen sich an die vertraute Gestalt. Chester steht neben Pfleger Ulrich an der Tür und blinzelt erstaunt in den Saal hinein. Er kneift die Augen zusammen, weil er ohne seine Brille nicht gut sehen kann, wie ich schmunzelnd bemerke. Deshalb kann er mich auf diese Entfernung auch nicht erkennen. Automatisch tastet meine Hand sich zu meiner hinteren Hosentasche, wo ich seine Brille versteckt habe. Ich kann es nicht erwarten, sie ihm endlich zurückzugeben. Er wird sich darüber freuen, hoffe ich schon wieder. Chester wird mich sicher dankbar anlächeln. Spontan beschließe ich, lieber zu warten, bis der neue Typ allein ist, bevor ich zu ihm gehe. Obwohl mir das Warten schwerfällt. Aber ich weiß, dass Pfleger Ulrich sich womöglich über Chester oder mich lustig machen würde. Ich kenne Ulli ziemlich gut. Vielleicht würde er irgendwelche spöttischen Kommentare abgeben, wenn ich jetzt mit der Brille da auftauche. Das könnte ich nicht ertragen. Weil die verdammten Pfleger das nämlich nichts angeht, was zwischen Chester und mir passiert. Am besten sollen die gar nichts davon mitkriegen. Sonst würden die das doch nur sofort analysieren wollen. So wie sie ständig alles und jeden hier analysieren. 

Ich werfe Ulrich einen grimmigen Blick zu. Dann richte ich meine Aufmerksamkeit zurück auf den anderen Mann. Aufgeregt beobachte ich den Kerl, auf den ich schon so lange gewartet habe. Mit einem widersinnig warmen Gefühl im Bauch stelle ich fest, dass Chester noch genauso aussieht, wie in meiner Erinnerung. Der höchst begabte Sänger trägt wahrhaftig die gleichen Klamotten wie in der letzten Nacht, als ich ihm zum ersten Mal begegnet bin. Das blaue Hemd mit dem komischen Schmetterlingskragen. Die farblich zum Hemd passenden Chucks und die hellgraue Chinohose. Inzwischen sehen seine Sachen allerdings zerknittert aus. Als hätte er darin geschlafen. Offensichtlich hat er sich seit gestern nicht umgezogen. Ich frage mich, ob Chester keine andere Kleidung hat, oder ob es ihm nur egal ist. Vielleicht interessiert es ihn nicht, wie er hier herumläuft. Das könnte ich gut verstehen. Bis heute Morgen ist es auch mir immer gleichgültig gewesen. An diesem deprimierenden Ort spielt es einfach keine Rolle. Plötzlich fällt mir auf, dass Chester sein Hemd nicht zugeknöpft hat. Der Typ trägt es wahrhaftig offen. Darunter lugt ein weißes Unterhemd hervor. Aus irgendeinem unsinnigen Grund finde ich das sofort ziemlich aufregend. Neben dem breiten, großen Pfleger wirkt Chester ziemlich schmächtig, obwohl er gar nicht so viel kleiner als Ulli ist. Pfleger Ulrich hat den neuen Patienten zum Frühstücksraum begleitet. Zweifellos hat er die Aufgabe, dem Neuankömmling alles zu zeigen. Jetzt gehen die beiden zu den Rollwagen. Ulrich spricht leise auf Chester ein. Ich kann mir denken, dass er ihm die Sache mit den Tabletts und den Namensschildern erklärt. 

Hastig schlinge ich den Rest meines Frühstücks hinunter. Unentwegt behalte ich dabei den Sänger im Auge. Ich bin zu nervös, um die Speisen jetzt noch zu genießen. Weil ich schnell fertig werden will. Ich muss bereit sein, sobald Chester alleingelassen wird. Dann werde ich nämlich unverzüglich zu ihm hingehen. Gleich werde ich dem fremden, putzig halbblinden Kerl seine Brille zurückgeben. Jetzt dauert es nicht mehr lange. Als mir das bewusst wird, macht mein Herz einen freudig erregten Hüpfer. Ulrich hat Chesters Tablett herausgesucht und dirigiert seinen Schützling zu einem leeren Tisch in der Raummitte. Der fremde Typ setzt sich auf einen der vier Holzstühle. Pfleger Ulli stellt das Tablett vor den Schmächtigen auf den Tisch. Dann nimmt er direkt neben ihm Platz. Das gefällt mir nicht. Ungeduldig warte ich darauf, dass der Überflüssige endlich abhaut. Aber noch immer spricht der Pfleger leise mit dem Patienten. Chester wirkt allerdings uninteressiert. Fast sieht er genervt aus. Als würde er Ulli nur widerwillig zuhören. Scheinbar will Chester genau wie ich, dass der Pfleger endlich geht. Das gefällt mir so gut, dass mir richtig warm wird und sich unbemerkt ein breites Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitet. Als ich es bemerke, bin ich total verblüfft. Es fühlt sich fremd an. Schon seit Ewigkeiten habe ich nicht mehr gelächelt. Hier in der geschlossenen Psychiatrie habe ich definitiv noch niemals gelächelt. Nicht mal ansatzweise. Genaugenommen wusste ich schon gar nicht mehr, wie sich so etwas überhaupt anfühlt. Aber jetzt scheint es ziemlich angenehm zu sein. 

Plötzlich steht Ulrich auf. Er klopft Chester beruhigend auf die Schulter. Dann verlässt der Pfleger gemächlichen Schrittes den Speisesaal. Im ersten Moment kann ich es nicht fassen, dass der fremde Kerl wahrhaftig allein am Tisch sitzt. Entgeistert starre ich ihn an. Mein Herz bompert plötzlich wie verrückt los. Ich bin extrem aufgeregt. Total von der Rolle. Weil ich es nicht erwarten kann, diesem dünnen Typen sein Eigentum zurückzugeben. Langsam wird mir klar, dass ich mich wie irre auf sein dankbares Lächeln freue. Ich freue mich darauf, endlich seine Stimme zu hören. Ich möchte dringend hören, wie seine Stimme klingt, wenn er nicht singt. Weil nämlich letzte Nacht auf dem Flur sein Gesang ohne Frage etwas absolut Faszinierendes hatte. Da war ein besonderer Klang in Chesters Stimme. So eine unglaubliche Intensität, die ich vorher noch nie gehört habe. Und ganz bestimmt werde ich sie nie wieder vergessen. 

Etwas stimmt nicht mit mir, denke ich auf einmal verstört. Diese Sache geht mir entschieden zu nahe. So wie jetzt habe ich mich noch nie gefühlt. Schließlich ist es doch nichts Besonderes, jemandem seine Brille zurückzugeben. Nur bei Chester scheint das völlig anders zu sein. Dabei ist mir noch nicht mal klar, was genau an diesem unbekannten Kerl so dermaßen aufregend sein soll. Pausenlos liegt mein Blick auf ihm. Er starrt sein Tablett an und lacht irgendwie verzweifelt. Dann rutscht er plötzlich auf dem Stuhl nach hinten und legt seine Stirn auf die Tischkante. Mit gesenktem Kopf sitzt er völlig reglos dort. Die Dreadlocks verdecken vollständig sein Gesicht. Er ist müde, vermute ich voller Mitgefühl. Bestimmt hat er in der letzten Nacht nicht gut geschlafen. Schließlich war es doch seine erste Nacht an diesem frustrierenden Ort. Und er ist zwangsweise hier eingeliefert worden. Das hat ihm sicher nicht gefallen. Ich versuche mich zu erinnern, wie meine erste Nacht hier gewesen ist. Aber ich weiß es nicht mehr. Ich erinnere mich nicht. Das ist alles viel zu schnell gegangen. Ich habe das gar nicht richtig mitgekriegt. Und nun scheint es schon Jahre her zu sein, seit ich in der Psychiatrie eingesperrt wurde. Damals ist mir alles egal gewesen. Jetzt nicht mehr. 

Kurzentschlossen stehe ich auf, nehme mein Tablett und bringe es folgsam zurück zu den Rollwagen. Ich stelle das Tablett zurück in eine der Schienen, genau wie es verlangt wird. Dann drehe ich mich herum und werfe einen nervösen Blick auf Chester. Zum Glück ist er noch immer allein an diesem Tisch in der Raummitte. Unverändert hat er seine Stirn auf der Tischkante abgelegt. Seine Hände hat er beide in den Bauch gepresst, als hätte er große Schmerzen. Aber er bewegt sich gar nicht. Der seltsame Typ sitzt vollkommen bewegungslos dort. Als wäre er tot. Oder zumindest eingeschlafen. Behutsam gehe ich auf ihn zu. Ich mache einen langsamen Schritt nach dem anderen. Dabei beobachte ich ihn aufmerksam. Fieberhaft grübele ich darüber nach, wo ich mich jetzt am besten hinsetzen soll. Sich einfach auf den Stuhl ziemlich dicht neben ihm zu setzen, erscheint mir irgendwie zu aufdringlich zu sein. Also entscheide ich mich für den Platz ihm gegenüber. 

Es fühlt sich an, als würde mein Herz aus meiner Brust springen, als ich mich kurzerhand zu Chester an den Tisch setze. Lautlos schiebe ich den leeren Holzstuhl zurück und nehme Platz. Dann sitze ich dort und schaue ihn an. Die Umgebung verstummt in meiner Wahrnehmung. Obwohl es in diesem Speisesaal mittlerweile ziemlich voll und daher auch viel zu laut geworden ist, kann ich davon so gut wie nichts mehr hören. Ich sehe nur noch Chester. Ich kann es nicht fassen, dass er mir gegenüber am selben Tisch sitzt. Verdammt, ich habe mich nach ihm gesehnt, wird mir höchst irritiert klar. Ich habe mich wahrhaftig nach einem Typen gesehnt. Das ist dermaßen absurd, dass es gar nicht wahr sein kann. Aber meine Gefühle sind recht eindeutig. Auch wenn ich sie in keinster Weise verstehen kann. Das passiert mir zum ersten Mal in meinem Leben. Noch niemals vorher habe ich einen anderen Mann auf diese Art angesehen. Mit diesem warmen Gefühl im Bauch. Mit so einer Zuneigung. Ich verstehe nicht, was genau mich an Chester so anzieht. Schließlich kenne ich ihn gar nicht. Auf dem Flur bin ich ihm zum ersten Mal begegnet. Das ist gerade mal ein paar Stunden her. Es kann doch nicht nur seine einzigartige Stimme sein. Obwohl die mich in der letzten Nacht zweifelsfrei schlagartig aus meiner Lethargie gerissen hat. Aber nein, da ist noch etwas anderes an diesem fremden Kerl, was mich magnetisch anzuziehen scheint. Allerdings habe ich keine Ahnung, was genau das sein könnte. 

Reglos sitze ich dort, gucke ihn an und fühle mich eigenartig zufrieden damit. Erst mit Verzögerung wird mir bewusst, dass ich mich in diesem Moment wohlfühle. Und das scheint tatsächlich nur daran zu liegen, weil Chester mir nahe ist. Interessiert betrachte ich ihn. Er hat die Stirn auf den Tisch gelegt, sodass ich nur seinen dunklen Scheitel und die Dreadlocks sehe. Ich kann es nicht erwarten, sein Gesicht wiederzusehen. Ich möchte seine braunen Augen sehen. Ich will seinen dunklen Blick auf mir spüren, der in meiner Erinnerung wie Feuer war. Geduldig warte ich darauf, dass der seltsame Typ sich endlich wieder aufrichtet. Seine komische Sitzposition muss doch mit der Zeit total unbequem sein. Die kann er sicher nicht ewig so beibehalten. Mit klopfendem Herzen denke ich darüber nach, ihn jetzt einfach anzusprechen. Aber ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich habe keine Ahnung, wie er darauf reagieren würde. Und eigentlich möchte ich ihn lieber nicht stören. 

Plötzlich bewegt er sich ein bisschen. Sofort bin ich alarmiert. Er rutscht kaum merklich, aber unruhig auf seinem Stuhl herum. Chester stöhnt leise und presst seine Hände in den Bauch. Anscheinend reibt er die Finger nervös aneinander. Obwohl ich das von meinem Platz aus nicht genau sehen kann, weil es unter dem Tisch passiert. Seine spürbare Unruhe gefällt mir nicht. Ich glaube ihm anzumerken, dass er sich unwohl fühlt. Anscheinend geht es ihm nicht gut. Womöglich hat er tatsächlich Schmerzen, fürchte ich voller Mitgefühl. Abrupt hebt Chester den Kopf, richtet sich auf und öffnet die Augen. Ich kann meinen Blick nicht von ihm nehmen. Mein Herz bleibt nochmal stehen. Erschrocken zuckt er zusammen und starrt mich entsetzt an. Es ist offensichtlich, dass er nicht damit gerechnet hat, dass zwischenzeitlich jemand an seinem Tisch sitzt. Ich habe ihn überrascht. Das scheint ihm nicht zu gefallen. Sein Gesicht ist abweisend. Er ist genervt. Aber etwas anderes schockiert mich viel mehr. Chester sieht krank aus. Um seine Augen sind dunkle Schatten. Als hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen. Seine Pupillen sind so groß, dass seine dunkelbraunen Augen pechschwarz wirken. Schwarze Höhlen in einem schmalen, blassen Gesicht. Sie sind gerötet. Als hätte er stundenlang geweint. Schweiß steht auf seiner hohen Stirn, auf der sich die Tischkante als schmaler, roter Balken abgedrückt hat. Er blinzelt mich kurzsichtig an. Anscheinend sieht er mich nur unscharf. Eine Weile mustern wir uns schweigend. Es betrübt mich, dass Chester so krank aussieht. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich möchte wissen, was mit ihm los ist. Sofort will ich etwas für ihn tun, damit es ihm besser geht. Das verstehe ich nicht. In meiner Wahrnehmung sind wir plötzlich ganz allein in diesem großen Speisesaal. Nur Chester und ich. Zwischen uns steht der weiße Holztisch. Sein Tablett steht auf der Tischplatte. Er hat es nicht angerührt. Meine Brust wird eng. Ich muss nach Luft ringen. Das Schweigen wird blöd. Langsam muss ich etwas sagen. Aber mein Kopf ist total leer. Mir fallen die Worte nicht mehr ein, die ich mir so ausführlich zurechtgelegt hatte. Chesters kranker Zustand erschreckt mich. Ich will nicht, dass es ihm so schlecht geht. Das kann ich kaum ertragen. 

„Ich habe deine Brille gefunden”, teile ich ihm leise mit. Meine Hoffnung, dass er sich darüber freut, ist jetzt noch viel größer geworden. Chester soll sich über seine Brille freuen. Es scheint mir extrem wichtig zu sein, dass er einen Grund zur Freude hat. Der arme Kerl sieht furchtbar gequält aus. Das halte ich nicht länger aus. Dringend möchte ich ihn lächeln sehen. „Was?” entfährt es ihm verblüfft. Schlagartig habe ich seine ganze Aufmerksamkeit. Das amüsiert mich. Es freut mich, dass ich etwas für ihn tun kann, was ihm gefallen wird. Das fühlt sich gut an. Lächelnd greife ich in meine hintere Hosentasche und hole die Brille mit den schwarzen Plastikbügeln heraus. Langsam strecke ich meinen Arm über den Tisch und zeige ihm sein Eigentum. Sofort richtet sich seine Konzentration auf den Gegenstand in meiner Hand. Er hat wirklich keine Ahnung, dass ich seine Brille aufgehoben habe, registriere ich verdutzt. Scheinbar hat er letzte Nacht auf dem Flur davon nichts mitgekriegt. Vielleicht weiß er nicht einmal, wo er seine Sehhilfe verloren hat. Gerührt betrachte ich mein Gegenüber. Schlagartig ist Chester glücklich. Sein Gesicht erstrahlt nahezu blitzartig, als er seine Brille erkennt. Eilig schnappt er sich das Teil und begutachtet es von allen Seiten. Zweifellos freut Chester sich riesig. Und das macht mich wiederum glücklich. Es verblüfft mich, wie groß, wie umfassend mein Glücksgefühl ist. Das angenehm warme Gefühl in meinem Bauch kehrt zurück, während ich ihn selig beobachte. Er klappt die schwarzen Bügel auf und setzt sich die Brille unverzüglich auf seine schmale Nase. Sie steht ihm verdammt gut. 

„Wo hast du sie gefunden?” fragt er mich, während er das Gestell nochmal abnimmt und die fettigen Gläser mit dem unteren Rand seines blauen Hemdes sauber reibt. Dadurch öffnet sich sein Hemd noch ein bisschen mehr. Irritiert schaue ich auf sein schneeweißes Unterhemd. Auf einmal regt sich irgendwas in mir. Mein Herz schlägt härter. Ich frage mich, warum Chester sein Hemd nicht zugeknöpft hat. Ich verstehe nicht, warum mich der Anblick seines Unterhemdes so nervös macht. Für einen Moment wünsche ich mir, er würde sich beide Hemden auf der Stelle ausziehen. Hastig schaue ich in sein Gesicht. Er hat die Brille wieder aufgesetzt und begutachtet mich interessiert. In seinem Kopf scheint es zu arbeiten. Chester überlegt. Ich frage mich, ob er mich vielleicht erkennt. Ob er sich daran erinnert, dass wir uns in der Nacht schon einmal begegnet sind. Auf dem Flur. Als er für mich gesungen hat. Und ich ihm gebannt zugehört habe. Aber vielleicht war er auch zu betrunken und erinnert sich deshalb nicht an mich. Ich weiß es nicht. Mein Kopf ist schon wieder seltsam leer. Ich möchte unbedingt, dass Chester sein blaues Hemd auszieht. Er soll auch sein Unterhemd ausziehen. Ich möchte seine nackte Brust sehen. Dieser Gedanke schockiert mich.

„Sie lag auf dem Boden. Du hast sie heute Nacht im Flur verloren, als...”, erkläre ich eilig und breche verwirrt ab. Konzentriert studiere ich den fremden Typen. Ich muss herausfinden, ob er mich erkennt. Ob er sich an mich erinnert. Ich kapiere nicht, warum ich das so dringend will. Warum mir das so wichtig ist. Er grinst mich amüsiert an. Verlegen weiche ich seinem glühenden Blick aus. Plötzlich bin ich total verwirrt. Mein Herz klopft zu schnell. Ich weiß gar nicht mehr, was ich jetzt tun oder sagen soll. Chesters Nähe wühlt mich auf eine Art auf, die ich mir nicht erklären kann. „Danke schön!” höre ich Chester und möchte am liebsten vor Glück weinen. Weil er mir tatsächlich dankbar ist. Weil ich ihm etwas Gutes tun konnte. Weil er sich freut und jetzt nicht mehr so schrecklich gequält aussieht. Weil ich zusammen mit ihm an einem Tisch sitze und mit ihm reden kann. Seine ungewohnte Stimme ist sehr angenehm. Außergewöhnlich glasklar, nicht zu dunkel, mit einem sanften Klang. Sein Sprechen hört sich harmonisch an, genau wie sein fantastischer Gesang. Ich will unbedingt, dass Chester nochmal für mich singt. „Kein Ding...”, winke ich ab und schaue ihn wieder an. Plötzlich fällt mir auf, wie verdammt gut er aussieht. Sein Gesicht ist fein geschnitten, mit gerader Nase und leicht geschwungenen Augenbrauen. Seine Lippen sind rot und ziemlich schmal. Die Unterlippe ist ein wenig breiter. Er hat dunkle Bartstoppeln über der Oberlippe, am Kinn und an den Wangen. Offensichtlich hat er sich länger nicht rasiert. Seine tiefgründigen, dunkelbraunen Augen leuchten mich durch die Brillengläser auf eine dermaßen besondere Art interessiert an, dass ich unwillkürlich davon gefesselt werde. Chester lächelt. Gott im Himmel! Er lächelt mich wahrhaftig an! Darauf habe ich doch schon die ganze Zeit gewartet. Gehofft und gewartet. Wie ein Idiot. Denn Chesters warmes Lächeln ist einfach nur wunderschön. Es kann sein, dass mein Herz diesmal komplett stehenbleibt. Zumindest für ein paar Sekunden. 

„Du kannst gut singen”, stehlen sich die Worte leise aus mir heraus, ohne das ich sie vorher auch nur bemerkt hätte. Sofort bin ich erschrocken. Ich hatte wirklich nicht vor, ihm ausgerechnet das mitzuteilen. Diese Aussage ist von Mann zu Mann total seltsam. Womöglich hält er mich jetzt deswegen für völlig durchgeknallt. Aber Chester lächelt noch breiter. Das fasziniert mich dermaßen, dass ich ihn nur noch gebannt betrachten kann. „Danke schön!” wiederholt er spürbar geschmeichelt. Es freut mich, dass mein unbeholfenes Lob ihm gefällt. Obwohl es mir nur ungewollt herausgerutscht ist. Trotzdem habe ich es ehrlich gemeint. Und ich habe bestimmt nicht übertrieben, im Gegenteil. Chester kann nicht nur gut singen. Er singt einfach ganz fantastisch. Letzte Nacht hat sein Gesang sich blitzartig bis in meine Seele gemogelt. Zu diesem Zeitpunkt konnte mich schon sehr lange nichts anderes mehr erreichen. Nur Chester hat das geschafft. Und zwar so leicht und schnell, dass ich davon noch immer vollkommen überwältigt bin. Fast bin ich versucht, ihn zu bitten, jetzt sofort etwas für mich zu singen. Aber das wäre wohl ziemlich merkwürdig. Bestimmt hat er heute Morgen auch gar keine Lust dazu. Das bedauere ich sehr. Ich kann es nicht erwarten, ihn nochmal singen zu hören. Ich möchte so bald wie möglich nochmal spüren, wie sein faszinierender Gesang sich tief in meine Seele gräbt. Wie seine sanfte, glasklare Stimme sich ein weiteres Mal wie ein warmer, tröstender Hauch um meine innere Traurigkeit legt. Ich will die berührenden Wörter hören, die aus meinem eigenen Inneren emporgestiegen scheinen. Und ich möchte diese unglaubliche Energie in seiner Stimme hören, die mir eine magische Kraft zu verleihen scheint. Ganz genau so war es letzte Nacht auf dem Flur. Als Chester mich angelächelt und für mich gesungen hat. Daran erinnere ich mich deutlich. Diese unerwartete Begegnung werde ich nie wieder vergessen. Allein die Erinnerung daran macht mich total zappelig. 

„Deine Frisur ist toll”, sagt Chester unvermittelt zu mir. Der Typ lächelt belustigt. Sein blasses, schmales, verschwitztes Gesicht strahlt vor Heiterkeit. Seine braunen Augen leuchten zufrieden. Es macht ihm Spaß, mit mir zu reden. Das kann ich kaum verarbeiten. Es trifft mich wie ein Schlag, dass Chester meine sorgfältig hergestellte Frisur aufgefallen ist. Er ist der erste Mensch seit langer Zeit, der mich aufmerksam genug angesehen hat, um mein neues Styling zu bemerken. Niemanden sonst hat es auch nur interessiert, dass ich heute Morgen zum ersten Mal, seit ich hier bin, das Gel benutzt habe. Dass ich mir vor dem Spiegel echte Mühe gegeben habe, um eine geile Frisur zu basteln. Nur dieser völlig fremde Mann hat das gemerkt. Chester hat meine Veränderung registriert. Und das bringt mich vor Erstaunen und Glück beinahe um. „Das ist dir aufgefallen?” krächze ich baff und fasse mir nervös in die Haare. Das Gel fühlt sich klebrig an. Mein dichtes, schwarzes Haar steht schön nach oben ab. Eigentlich ist es mittlerweile schon zu lang dafür geworden. Darum war das Styling nicht leicht. Aber trotzdem habe ich es genauso hingekriegt, wie ich es haben wollte. Früher bin ich oft so herumgelaufen. Zu Hause hat es gut zu meinen Hip Hop Allüren gepasst. Zusammen mit den richtigen Klamotten natürlich. „Heute Nacht warst du noch nicht so stachelig”, neckt Chester mich derart liebenswürdig, dass mir ganz heiß wird. Meine Brust wird eng. Aufgeregt schnappe ich nach Luft. Weil die Erkenntnis mich blitzartig trifft, dass Chester unsere nächtliche Begegnung vor ein paar Stunden keineswegs vergessen hat. Der Typ mit dem seltenen Namen erinnert sich an mich. Chester weiß noch, dass er auf dem viel zu hellerleuchteten Flur allein für mich gesungen hat. Ihm ist völlig klar, dass ich es war, der ihm dabei paralysiert zugehört hat. Chester erinnert sich an mich, obwohl er zu diesem Zeitpunkt meiner Meinung nach ziemlich betrunken war. 

Auf einmal möchte ich den fremden Kerl dringend berühren. Dieses Begehren überschwemmt mich förmlich schlagartig, wie aus dem Nichts. Meine Augen heften sich gierig auf den Menschen, der mir direkt gegenüber am Tisch sitzt. Ich möchte sein hübsches, irgendwie zartes Gesicht erfühlen. Ihm dankbar über die Wange streicheln. Die hohen Wangenknochen ertasten. Mit den Fingern den Schwung seiner Ohrmuscheln nachmalen, die auf bezaubernde Weise ein wenig abstehen. Weil er sich an mich erinnert. Weil er mich nicht vergessen hat. Vielleicht hat er mich sofort wiedererkannt, weil es ihm etwas bedeutet hat, dass ich ihm zugehört habe. Genauso, wie es mir jede Menge bedeutet hat. Sogar viel mehr, als ich jemals erklären könnte. Plötzlich sehne ich mich wie verrückt nach Chesters unmittelbarer Nähe. Ich verfluche den weißen Holztisch zwischen uns, der verhindert, dass ich ihn einfach in meine Arme schließen kann. Sehr dringend möchte ich diesen neuen Patienten umarmen. Ich möchte ihm zeigen, wie glücklich er mich macht. Chester macht mich glücklich. Mein Dank dafür, dass er mich aus meiner grauen Teilnahmslosigkeit gerissen hat, ist viel größer, als ich selbst begreifen kann. Größer, als ich jemals ausdrücken könnte. Seit ich ihn zum ersten Mal auf dem Flur gehört habe, fühle ich plötzlich so viel. Ich nehme so viele Dinge völlig neu wahr, dass ich davon total überflutet werde. Obwohl es mir Angst macht, es ungewohnt, anstrengend und nervenaufreibend ist. Obwohl ich mir noch längst nicht sicher bin, ob mir diese Kehrtwendung meines Empfindens überhaupt gefällt, so bin ich tief drinnen trotzdem dankbar dafür. Allerdings checke ich nicht, dass ich diesen seltsamen Typen wahrhaftig anfassen will. Der heftige Drang erschreckt mich enorm. So etwas ist mir noch nie passiert. Noch niemals wollte ich einen anderen Menschen so dringend berühren. Ich kapiere nicht, was genau an Chesters einnehmend freundlichem Wesen mich dermaßen mächtig anzieht. In diesem Moment will ich nichts auf der Welt lieber tun, als selbst zu erfahren, wie sich seine blasse Haut anfühlt. 

„Deine Frisur ist auch nicht schlecht!” teile ich dem Brünetten hastig mit, um mich von diesen bestürzenden Gedanken abzulenken. Chester lächelt zum Niederknien. Mit einer überraschend grazilen Bewegung streicht er sich seine Dreadlocks aus dem Gesicht. Das erregt mich irgendwie. Verblüfft schaue ich dabei zu, wie seine dünnen Finger langsam durch die dunklen Locks streichen. Mein Herz schlägt härter. Ich habe keine Ahnung, was mit mir passiert. Chesters Anwesenheit macht mich zunehmend nervös. Mein Bedürfnis, diesem Patienten noch sehr viel näher zu kommen, scheint kontinuierlich anzuwachsen. Das kann ich wirklich nicht verstehen. Meine Nervosität gefällt mir nicht. Das hier nimmt eine aufwühlende Intensität an, die ich nicht vorhergesehen und auch bestimmt nicht erwartet habe. Eigentlich wollte ich dem fremden Kerl doch lediglich seine verlorene Brille zurückgeben. Aber jetzt möchte ich wahrhaftig aufstehen, zu ihm hingehen und ihn küssen. Irgendwas an Chester zieht mich magnetisch an. Absolut fasziniert betrachte ich ihn. Sein Gesicht ist trotz dem roten Tischabdruck auf der Stirn, der langsam verblasst, einfach nur wunderschön. Seine Schultern sind nicht allzu breit. Die Arme lang und dünn. Sein Körper ist sehr wohlproportioniert, aber zu schmächtig. Er ist blass und sieht noch immer krank aus. Meine Gesellschaft muntert ihn scheinbar auf, was mich ungeheuer freut. Unwillkürlich stelle ich mir vor, meine Lippen auf seine hübsch geschwungenen zu drücken. Ich möchte an seiner roten Unterlippe knabbern. Mit meiner Zunge sanft seinen verlockenden Mund erforschen. Ich will mit meinen Fingern zärtlich durch seine wilden Dreadlocks fahren. 

Schockiert von diesen absolut hirnrissigen Wünschen atme ich scharf ein. Verdammt, das kann doch nicht wahr sein! Noch nie in meinem Leben hatte ich derartige Gedanken bei einem anderen Mann. Das ist der größte Schwachsinn, den ich mir je vorgestellt habe. Du verwechselst da was, Mike Shinoda, schimpfe ich innerlich mit mir. Du bist dem Fremden dankbar, weil er es irgendwie geschafft hat, dich aus dem grauen Nichts zu retten. Aber deswegen willst du doch diesen Kerl nicht anfassen oder sogar auf den Mund küssen! Du kennst den doch gar nicht und hast keine Ahnung, warum er hier ist. Das hier ist die geschlossene Psychiatrie, vergiss das nicht. Du bist ausgehungert, Mike, versuche ich panisch, eine Erklärung für meine eigenen Begierden zu finden. Verärgert rede ich mir ein, dass ich einfach nur zu lange keine Frau mehr gefickt habe. Vielleicht muss ich mir lediglich mal einen runterholen, überlege ich verwirrt. Dieser Gedanke macht mich irgendwie ganz kribbelig. Mir wird klar, dass ich mich schon seit Ewigkeiten nicht mehr angefasst habe. Ich hatte keinerlei Interesse daran. Mein Körper oder irgendwelche Gefühle waren mir vollkommen gleichgültig. Das alles spielte in meinem Leben überhaupt keine Rolle mehr. Mike Shinoda hatte sich für eine lange Zeit aus der Welt zurückgezogen. In meinem dunklen Desinteresse war ich sicher. Nichts hat mich berührt. Ich musste mir keine Gedanken machen. Aber letzte Nacht hat dieser fremde Kerl, der mir direkt gegenüber am Tisch sitzt, mir diesen Schutzwall plötzlich weggerissen. Darauf war ich in keinster Weise vorbereitet. Auf einmal bin ich mir gar nicht mehr sicher, ob ich das überhaupt so haben will. Meine Gedanken wirbeln zu wild in meinem Kopf. Sie überschlagen sich, sodass ich für einen Moment komplett den Faden verliere. Dringend muss ich mich von diesem verwirrenden Scheiß ablenken. 

„Willst du denn gar nichts essen?” frage ich Chester spontan verzweifelt und deute auf sein unberührtes Tablett. Der neue Patient hat genau die gleichen Speisen bekommen, die ich vorhin gegessen habe. Wenn man auf dieser Station etwas anderes frühstücken will, kann man auch Cornflakes, Müsli, Milch, Joghurt oder so was kriegen. Es gibt so ziemlich alles, außer Kaffee. Allerdings muss man das vorher anmelden. Man muss eine konkrete Bestellung aufgeben. Ich habe mir nie die Mühe gemacht, das zu tun. Weil es mir völlig egal war, was man mir zum Essen vorsetzte. Hat mich nie interessiert. Aber jetzt macht es mir plötzlich Sorgen, dass Chester offenbar nicht vorhat, sein Frühstück auch nur anzurühren. Das kann nicht gut sein. Der arme Kerl sieht doch sowieso viel zu dünn aus. Als hätte er schon lange zu wenig gegessen. An diesem Morgen wirkt Chester sogar auf mich, als würde er jeden Moment vor Schwäche zusammenklappen. Das beunruhigt mich zunehmend. Ich möchte nicht, dass es ihm schlecht geht. Nicht nur, weil er unbedingt für mich singen soll. Aber auch zum Singen braucht man Kraft, denke ich traurig. 

Chester blickt kurz auf sein Tablett und schüttelt angewidert den Kopf. „Und was ist mit dir?” fragt er und zeigt mir mit einer aggressiven Handbewegung, dass kein Tablett vor mir steht. Belustigt erwidere ich: „Doch, ich habe schon gegessen.” Das stimmt. Tatsächlich fühle ich mich satt und deshalb irgendwie zufrieden. Ich denke daran, dass dieses Frühstück überraschend wohlschmeckend für mich war. Heute habe ich zum ersten Mal bewusst etwas zu mir genommen, seit ich hier bin. Chester dagegen reagiert ein wenig genervt auf meinen Hinweis, was ich nicht einordnen kann. „Ich habe keinen Hunger”, erklärt er mir abwehrend. Aus irgendeinem Grund kann ich das nicht so einfach hinnehmen. „Vielleicht solltest du es trotzdem mal versuchen. Das Essen hier ist meistens gar nicht so schlecht”, will ich ihn überreden. Einladend deute ich auf sein Tablett. In Wahrheit kann gar nicht beurteilen, wie in der Psychiatrie die Qualität der Speisen ist. Schließlich habe ich bis heute Morgen einfach nur jedes Mal das Zeug in mich reingesteckt. Weil es so von mir verlangt wurde. Ohne irgendwas dabei zu schmecken. Es war mir egal. Ich habe keine Ahnung, ob man das Essen hier als gut bezeichnen kann. Aber jetzt möchte ich unbedingt erreichen, dass Chester von seinem Brötchen abbeißt. Es irritiert mich, wie dringend ich will, dass der fremde, dünne Kerl etwas zu sich nimmt. Eigentlich könnte mir das vollkommen egal sein. Aber zweifellos hat der fremde Patient etwas an sich, was mich eigenartig tief berührt. Das ist längst nicht nur seine ungewöhnlich wohlklingende Stimme. Langsam verstehe ich, dass Chester jemand ist, um den ich mich gerne kümmern würde. Ich habe sogar das Gefühl, das ich mich dringend um diesen Menschen kümmern muss. Es geht ihm nicht gut, und ich kann das vielleicht ändern. Ich möchte das beileibe ändern. Verwirrt wird mir klar, dass ich für Chester da sein möchte. Auch wenn ich ehrlich keine Ahnung habe, warum ich ausgerechnet so etwas bei seinem Anblick empfinde. 

Chester greift demonstrativ nach der kleinen Flasche Mineralwasser auf seinem Tablett und schraubt sie auf. Dann nimmt er einen großen Schluck. Betrübt fällt mir auf, dass seine Hände zittern. Außerdem registriere ich erschrocken seine Fingernägel. Sie sind so entsetzlich kurz. Seine Nägel sehen aus, als hätte er sie alle der Reihe nach bis aufs Blut abgekaut. Das macht mich traurig, als ich es sehe. Unwillkürlich stelle ich mir Chester vor. Wie er allein im Dunkeln in seinem Zimmer auf dem Bett liegt und nervös seine Fingernägel abkaut. Bestimmt hat er dabei fürchterlich geweint. Darum sind seine schönen Augen so gerötet. Der einsame Mann war letzte Nacht in seinem Zimmer total verzweifelt, weil es ihm nicht gefällt, dass er hier ist. Dieses Bild bricht mir das Herz. Chester schraubt die Flasche zu und stellt sie auf den Tisch. Seine Hände zittern sogar ziemlich schlimm. Das kann ich kaum ertragen. Er muss sich dringend stärken, denke ich besorgt, sonst bricht er womöglich vor Schwäche gleich zusammen. 

Spontan beuge ich mich vor und nehme eine von Chesters Brötchenhälften und das Messer von seinem Tablett. Sorgfältig bestreiche ich das Brötchen mit Butter. Weil ich nicht weiß, welche Wurst oder Käse er mag, greife ich kurzerhand zu der Marmelade. Ich nehme einfach mal an, dass er die Marmelade bestimmt mag. Der Typ beobachtet mich aufmerksam bei meiner Tätigkeit. Sein Blick ist seltsam starr. Unergründlich. Das macht mich ein wenig nervös. „Du solltest es wirklich versuchen, Chester!” bitte ich meinen Tischgefährten vorsichtig. Über die Tischplatte hinweg halte ich ihm die fertige Brötchenhälfte hin. Auffordernd lächele ich ihn an und warte darauf, dass er das ihm angebotene Essen annimmt. Schließlich meine ich es gut mit ihm. Bei der Zubereitung habe ich mir richtig Mühe gegeben. Hoffentlich habe ich für seinen Geschmack nicht zu viel Butter oder Marmelade genommen, befürchte ich verunsichert. 

Eine Weile schauen wir uns schweigend an. Zu meiner Bestürzung verändert sich Chesters Gesichtsausdruck. Der Mann mir gegenüber sieht zunehmend unzufrieden aus. Beinahe schon wütend. Seine dunklen Augen funkeln mich durch die Brillengläser vorwurfsvoll an. Offenbar gefällt es ihm nicht, dass ich das Brötchen für ihn zurechtgemacht habe. Meine Eigeninitiative scheint ihn sogar richtig sauer zu machen. Das verstehe ich nicht. Ich finde, dass ich gerade richtig doll nett zu ihm bin. Unaufgefordert habe ich ihm Arbeit abgenommen und sorge mich um seine Gesundheit. Abgesehen davon sollte dieser schmächtige, viel zu blasse Kerl mit den dunklen Augenrändern wirklich dringend etwas essen. Es macht mich verrückt, dass er das angebotene Brötchen nicht nimmt. Langsam komme ich mir blöd vor. „Bitte, beiß doch wenigstens mal ab. Du siehst aus, als könntest du etwas zu essen sehr gut vertragen”, fordere ich ihn schließlich seufzend auf. Mir ist nicht klar, warum er zögert. Warum er mein freundliches Angebot so demonstrativ ignoriert. Das wirkt auf mich, als würde er mein sorgsam zubereitetes Brötchen nur aus Trotz ablehnen. Als wäre er ein kleiner Trotzkopf. Einmal abbeißen ist doch nun wirklich nicht zu viel verlangt, denke ich leicht verstimmt. Das gebietet ja wohl schon die Höflichkeit. Er muss es doch zu würdigen wissen, dass ich dieses Brötchen extra für ihn gemacht habe. 

Tut Chester aber nicht. Stattdessen macht er plötzlich etwas, mit dem ich niemals gerechnet habe. Nie im Leben. Seine dunklen Augen weiten sich in einem abrupten Wutanfall. „Bedien dich ruhig!” lädt der unberechenbare Typ mich eindeutig zornig ein, „Nimm dir einfach, was du willst!” Gleichzeitig gibt er seinem Tablett einen kräftigen Schubs in meine Richtung. In seinem aggressiven Zorn stößt er das Tablett viel zu heftig. Es rutscht über den Rand des Tisches und landet scheppernd auf meinem Schoß, bevor ich reagieren kann. Vor Schreck fällt mir sein Brötchen aus der Hand. Erschrocken springe ich auf und starre den Trotzkopf entsetzt an. Weil ich aufstehe, fällt sein Frühstück von meinen Oberschenkeln lautstark zu Boden. Bestürzt schaue ich an mir herunter. Sofort muss ich überprüfen, ob meine Jeans oder mein T-Shirt, die ich beide erst heute Morgen frisch angezogen habe, womöglich jetzt voller Marmelade und Butter sind. Das könnte ich wirklich nicht ertragen. Wenn der Arsch meine Klamotten versaut hat, dann bringe ich ihn um! Aber zum Glück kann ich keine hässlichen Flecken auf der dunklen Baumwolle erkennen. Mein Blick schnellt zurück zu Chester. Was um Himmels Willen stimmt nicht mit diesem bekloppten Typen? Was ist sein scheiß Problem? Es entsetzt mich, wie aggressiv Chester mich angrinst. Wie sehr es ihn amüsiert, dass er mich mit seinem kindischen Angriff dermaßen schockieren konnte. Vor Enttäuschung zieht sich alles in mir zusammen. Er ist ein verdammter Psychopath, stelle ich geringschätzig fest. Bestimmt haben sie ihn hier eingesperrt, weil er seine sinnlosen Aggressionen nicht im Griff hat. So etwas kann ich auf den Tod nicht leiden. Ich mag keine Menschen, die andere zu ihrem Vergnügen angreifen. Damit will ich auf gar keinen Fall konfrontiert werden. 

„Spinnst du? Was soll das denn?” entfährt es mir entrüstet. Seine plötzliche und gewalttätige Aggressivität schüchtert mich mehr ein, als mir lieb sein kann. Strafend mustere ich den komischen Kerl. Er antwortet nicht, obwohl ich stumm nach einer Erklärung verlange. Es verwirrt mich total, wie zufrieden er plötzlich aussieht. Chester schaut mich völlig unverhohlen an. Nahezu genüsslich checkt er mich ab. Sein höchst interessierter Blick wandert langsam, wohlwollend über meinen ganzen Körper. Das kapiere ich nicht. Chester sieht aus, als hätte er schon vergessen, was er gerade erst vor einer Minute getan hat. Für ihn scheint es völlig unerheblich zu sein, dass er mir überaus zornig sein verfluchtes Tablett entgegengeschleudert hat. Der neue Patient hat seinen eigenen Wutanfall längst abgehakt. Jetzt mustert er mich nur noch freundlich. Chester sieht richtig friedlich aus, wie er mich ausführlich betrachtet. Womöglich ist er total verrückt, vermute ich verstört. Vielleicht wurde er deswegen gegen seinen Willen hier eingesperrt. Dieser Gedanke gefällt mir ganz und gar nicht. Ich fühle mich gekränkt und ungerechtfertigt angegriffen. So etwas hasse ich aus tiefstem Herzen. Das ist genau der Grund, warum ich mich bisher von allen Menschen hier so fern wie möglich gehalten habe. Es war ein Fehler, dem bekloppten Psycho seine Brille zurückzugeben, wird mir verbittert klar. Ich hätte seine blöde Brille lieber wegwerfen sollen. Er hat es gar nicht verdient, dass ich so freundlich zu ihm bin. Er weiß das nicht mal zu schätzen. Verärgert beschließe ich, dass Chester zweifellos vollkommen verrückt ist. Aber fuck, denke ich erschlagen, er sieht immer noch verdammt gut aus. Sein Lächeln kann Berge versetzen. 

„Was ist hier los? Was ist passiert?” mischt sich plötzlich Pfleger Patrick ein, der unerwartet neben mir auftaucht. Damit erschreckt er mich. Ich habe ihn nicht kommen sehen. Mit Chester am Tisch konnte ich die Umgebung fast vollständig ausblenden. Das war sehr angenehm. Aber nun hat sich alles geändert. Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich von dem fremden Kerl halten soll. Ohne Frage ist er unberechenbar. Das gefällt mir nicht. Ich mag es nicht, wenn ich Menschen so wenig einschätzen kann. Wenn ich mich nicht auf sie verlassen kann. Wenn sie ohne ersichtlichen Grund dermaßen aggressiv wie Chester werden können. Das ist mir viel zu anstrengend. Damit will ich mich nicht beschäftigen müssen. Ich habe Angst, dass Chester nochmal wütend auf mich wird, wenn ich dem Pfleger jetzt die Wahrheit sage. „Ist schon gut. Das war nur ein Versehen”, behaupte ich schneller, als ich denken kann. Auf gar keinen Fall möchte ich den Wahnsinnigen gegen mich aufbringen. Ich fürchte, dass er sonst womöglich immer wieder auf mich losgehen wird. Abgesehen davon ist es nicht meine Art, andere beim Personal anzuschwärzen. Pfleger Patrick guckt mich misstrauisch an. Es ist klar, dass er mir nicht glaubt. Höchstwahrscheinlich hat er sogar gesehen, was wirklich passiert ist. Aber ich hoffe, dass er jetzt einfach die Klappe hält. Panisch signalisiere ich ihm das mit meinen Augen. 

Dann bücke ich mich hastig und hebe Chesters verstreutes Frühstück vom Boden auf. Ich möchte nur noch aus dieser ungewollten und nicht selbst verschuldeten Lage heraus. Es behagt mir überhaupt nicht, die allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen. So etwas habe ich bisher immer erfolgreich vermieden. In wilder Eile häufe ich Plastikgeschirr und Essen zurück auf das Tablett. Dann stehe ich auf und stelle das Tablett auf dem Tisch ab. Dafür brauche ich nicht mal eine Minute. Mein Herz klopft nervös. Diese Situation ist mir absolut zuwider. Ich mag es nicht, auf so eine Art im Mittelpunkt zu stehen. Sicherlich sind in diesem Saal inzwischen alle Augen auf mich gerichtet. Das muss doch einfach jeder mitgekriegt haben, was der verrückte Chester gerade getan hat. Als sein Frühstück zu Boden fiel, hat es total laut gescheppert. 

„Das tut mir leid. Ich war ziemlich ungeschickt”, versichere ich dem Pfleger. Stumm flehe ich ihn an, mir das jetzt einfach zu glauben. Solche Szenen hasse ich wie die Pest. Ich will nicht in so eine peinliche Verlegenheit gebracht werden. Dem fremden Kerl nehme ich es total übel, dass er mir das angetan hat. Chester war richtig fies zu mir. Obwohl ich ihm seine scheiß Brille zurückgegeben habe. „Du weißt, dass das nicht stimmt, Mike”, sagt Patrick zu meinem Entsetzen zu mir, „Du weißt genauso gut wie ich, dass es Chester war, der das Tablett heruntergestoßen hat.” Die Stimme des Pflegers ist sehr leise und behutsam. Sein Blick forschend. Jetzt soll ich ihm erklären, warum ich für Chester gelogen habe. Warum ich Chesters Untat auf mich nehme. Am liebsten möchte ich mich auf der Stelle unsichtbar machen. Ich fasse es nicht, dass der neue Patient mich in diese Situation gebracht hat. Es passt mir ganz und gar nicht, wie Pfleger Patrick mich in die Enge treibt. Ich möchte ihn anschreien, dass nichts davon meine Schuld gewesen ist. Klarstellen, dass ich Chester in keiner Form zu dieser zornigen Aktion provoziert habe. Aber jetzt ist mein Kopf total leer. Ratlos schaue ich Patrick an, der mich aufmerksam studiert. „Ich weiß auch nicht. Tut mir leid”, stammle ich richtig bescheuert. Der Pfleger lächelt beruhigend. „Darüber müsst ihr gleich dringend in der Therapiestunde sprechen, Mike. Das muss unbedingt geklärt werden. Das ist dir bewusst, oder?” knallt er mir mit sanfter Stimme um die Ohren. Folgsam nicke ich. Obwohl ich ihn viel lieber anbrüllen möchte, dass er mich gefälligst in Ruhe lassen soll. Ich bin es ja schließlich nicht, der hier gerade komplett ausgeklinkt ist. Noch niemals habe ich wutentbrannt ein volles Tablett auf den Boden gepfeffert. So ein hirnrissiger und sinnloser Kontrollverlust würde mir nicht passieren. Dazu habe ich mich viel zu gut im Griff. Seit ich hier bin, bin ich noch nie unangenehm aufgefallen. Ich bin überhaupt nicht aufgefallen. Eigentlich bin ich ja nicht mal hier gewesen. Und jetzt stecke ich urplötzlich in dieser unangenehmen Situation fest, in der ich mich wahrhaftig verteidigen muss. Allein Chester ist daran schuld. Das ist total ätzend. Der ganze Mist gefällt mir kein bisschen. „Sprich das bitte gleich in der Gruppentherapie an, Mike. Du musst in einer viertel Stunde dort sein, okay?” erinnert Pfleger Patrick mich und lächelt freundlich. Ich nicke nochmal. Erleichtert schaue ich zu, wie der Pfleger sich umdreht und davongeht. Ich bin wirklich froh, dass er endlich abhaut. Er läuft geradewegs zu einem anderen Tisch. Vielleicht hat jemand nach ihm gerufen. Oder ihm ist irgendwas aufgefallen. Mir war gar nicht bewusst, dass Pfleger Patrick heute die Aufsicht über das Frühstück hat. 

Unschlüssig stehe ich dort und schaue in den großen, hellen Saal. In mir brodelt es gewaltig. Ich bin stinksauer. Der Speiseraum ist voller Menschen. Es ist viel zu laut. Das ertrage ich nicht länger. Irgendwie ist alles schiefgegangen. Ich bereue es, dass ich mich diesem fremden Kerl genähert habe. Ich hätte seine doofe Brille gar nicht aufheben dürfen. Sie ihm zurückzugeben, war total falsch. Das war ein großer Fehler. Ich hätte den Sänger einfach ignorieren sollen. Nicht ohne Grund habe ich bisher alle Leute hier tunlichst ignoriert. Es ist totale Scheiße, wenn man sich auf jemanden einlässt. Gefühle in einen anderen Menschen zu investieren, bringt nichts als Ärger ein. Definitiv war es das allerletzte Mal, dass ich so etwas überhaupt versucht habe. Leider habe ich den verhängnisvollen Fehler gemacht, mich zu diesem unberechenbaren Typen an den Tisch zu setzen. Und jetzt bin ich der Blöde. Jetzt soll es meine Schuld sein, dass er total ausgerastet ist. Dieser Chester ist ein aggressiver Arsch. Der hat mich gar nicht verdient. Auch seine Brille hat er nicht verdient. Ich wünschte, ich hätte sein Gestell einfach kaputtgemacht und weggeschmissen. Der soll mir den Buckel runterrutschen, der durchgeknallte Psycho. Nur wegen dem Fremden muss ich jetzt in der scheiß Therapiestunde etwas sagen. Das passt mir überhaupt nicht. Daran will ich nicht einmal denken. Weil ich es schon seit Ewigkeiten möglichst vermieden habe, meinen Mund zu öffnen. Ich will nicht mit fremden Menschen sprechen. Schon gar nicht über mich selbst. Und bestimmt nicht über das, was hier gerade passiert ist. Ich will überhaupt nicht reden. Diese missglückte und deprimierende Begegnung mit Chester möchte ich nur noch so schnell wie möglich vergessen. Ich will in Ruhe gelassen werden, verdammt nochmal! Nie wieder werde ich aus meinem sicheren Versteck auftauchen. Meine Gedanken wirbeln wild in meinem Kopf herum. 

Tief unglücklich werfe ich dem neuen Patienten einen letzten Blick zu. Chester sitzt noch immer am Tisch und lächelt mich zufrieden an. Ich habe keine Ahnung, warum der Kerl noch lächeln kann, obwohl doch gerade die ganze Welt um mich herum zusammengestürzt ist. Alles ist krachend kaputtgegangen, als Chester mich grundlos angegriffen hat. Ich bin mir sicher, dass ich ihm das nicht verzeihen kann. Ich kann diesem Mann nie wieder vertrauen, das weiß ich genau. Er ist ein Verrückter, mit dem ich nichts zu tun haben will. Nur einer von unzähligen anderen hier in der Psychiatrie. Aber mein Herz schlägt hart, als ich ihn ansehe. Noch immer finde ich sein Lächeln wundervoll. Es berührt mich auf eine Art, die ich nicht begreifen kann. Das geht mir verflucht tief rein. Chester sorgt dafür, dass ich zu ihm hingehen und ihn schützend in den Arm nehmen will. Ich will für diesen Menschen da sein. Ich möchte ihm seinen rätselhaften, inneren Zorn wegnehmen. Irgendwie. Der Kerl sieht so unfassbar gut aus, denke ich völlig verwirrt. Aber das macht es nur noch schwerer. Hastig drehe ich mich von dem Mann am Tisch weg und steuere geradewegs die Tür an. So schnell wie möglich muss ich jetzt hier verschwinden. Keine Sekunde länger kann ich es in diesem überfüllten Speiseraum aushalten. Ich ertrage Chester nicht mehr. Nie wieder möchte ich diesem fremden Typen so nahe sein. Und ganz bestimmt werde ich ihn nie wieder ansprechen. Ich wünschte, er wäre nicht ein neuer Patient auf meiner Station. Auf keinen Fall möchte ich ihm ständig über den Weg laufen. Ich will, dass er einfach nur verschwindet. So weit weg von mir wie möglich. 

Während ich die Flügeltür aufreiße, hinausgehe und eilig über den Flur laufe, grübele ich darüber nach, wie ich mich am besten vor dieser Gruppentherapie drücken kann. Ich hasse die Pflichtsitzungen. Da werde ich in einen verfluchten Stuhlkreis gesetzt, in dem ich die anderen Menschen ständig ansehen muss. Und alle sehen pausenlos mich an. Das ist total unangenehm. Bisher saß ich einfach nur dort und habe meine Klappe gehalten. Während die anderen von ihren tödlich langweiligen Problemen gequatscht haben. Es ist doch sowieso immer das Gleiche. Ausnahmslos jeder hier denkt, dass sein Leben das schwerste von allen gewesen ist. Jeder Patient wurde in seiner Vergangenheit schlecht behandelt. Die böse Umwelt hat die armen Menschen kaputtgemacht. Immer sind die Anderen schuld. Aber das interessiert mich nicht. Ich möchte nicht damit belastet werden. Noch nie habe ich mich über irgendwas beschwert. Schon gar nicht über mein Leben. Denn eigentlich ist mein Leben bisher okay gewesen. Zweifellos habe ich es gut gehabt. Meine Kindheit war wunderbar. Keine Ahnung, warum ich jetzt hier bin. Ich weiß nicht, was ich in der Psychiatrie soll. Das ist mir doch gar nicht bewusst geworden, als sich alles seltsam von mir entfernt hat. Als ich das Gefühl bekam, nichts würde noch irgendeine Rolle spielen. Ich habe noch niemals darüber nachgedacht. Ich will auch nicht darüber nachdenken. Passiert ist eben passiert. In diesem Moment möchte ich nichts lieber, als zurück in meine schützende Teilnahmslosigkeit zu finden. Ich sehne mich nach meinem unantastbaren Kokon. Verzweifelt suche ich den Zustand, in dem mir alles egal gewesen ist. Verbissen will ich die Schutzmauer um mich herum neu aufbauen. Damit niemand an mich herankommen kann. Mich soll nichts mehr aufwühlen. Ich sehne mich nach Sicherheit. Nach der herrlich vertrauten, ruhigen Dunkelheit in mir. Wenn ich nichts mehr fühle, dann kann ich auch nicht mehr enttäuscht werden. Denn momentan bin ich so entsetzlich enttäuscht, dass ich es kaum verarbeiten kann. Ich bin so erschüttert, dass ich es kaum noch verpacken kann, kaum damit zurechtkomme. 

Verdammt, Chester hat mich aufgewühlt! Der verfluchte Mistkerl hat mir wahrhaftig alles weggenommen, was mir das Leben hier halbwegs erträglich gemacht hat. Innerhalb von ein paar Sekunden hat er das geschafft. Das ging so schnell, dass ich es gar nicht richtig mitkriegen konnte. Ich ertrage das nicht. Ich kann die vielen fremden Menschen um mich herum nicht mehr aushalten. Völlig von der Rolle laufe ich den langen Flur entlang. Ich befinde mich auf der Flucht vor meinen eigenen Ängsten. Mein Blick richtet sich nach links, auf die Tür der Herrentoilette, an der ich gerade zufällig vorbeikomme. Spontan betrete ich den weiß gekachelten Raum. Zum Glück ist niemand hier. Mit schnellem Schritt laufe ich an den Waschbecken vorbei nach hinten. Hastig flüchte ich in eine der Kabinen und schließe überstürzt die Tür hinter mir ab. Endlich bin ich allein. Eine schwere Last fällt von mir ab. Dies ist der einzige Ort, an dem ich mich relativ sicher fühle. Die Anspannung lockert sich. Es fühlt sich an, als könnte ich nach sehr langer Zeit endlich wieder richtig durchatmen. Tief ringe ich nach Luft. 

Mein wirrer Kopf ist entschieden zu voll. Es ist viel zu laut da drin. Deutliche Szenen stürmen auf mich ein und drehen sich immerzu im Kreis. Es sind Erinnerungen. Diese Bilder schmerzen mich so extrem, dass ich es nicht fassen kann. Ich verstehe das nicht. Nur langsam wird mir klar, dass sich meine Gedanken wahrhaftig an scheiß Chester festgekrallt haben. Obwohl ich das gar nicht will, sehe ich pausenlos den neuen Patienten vor mir. Dieses fein gezeichnete Gesicht. Seine wilden Dreadlocks. Die auffallend dunklen Augen. Sein faszinierendes Lächeln, das Eisberge schmelzen kann. Seine einzigartige Stimme, die bis in den hintersten Winkel meiner Seele vordringt. Wie er auf dem Flur allein für mich gesungen hat. Wie er mir gegenüber am Tisch saß und mich erkannt hat. Chester, der es als einziger gemerkt hat, dass ich heute Morgen mein Haar gestylt habe. Der attraktive Mann Chester, den ich so dringend küssen und streicheln will, dass ich am liebsten lauthals schreien möchte. Aber stattdessen schlage ich meinen verrückt gewordenen Kopf spontan gegen die harte Wand der engen Kabine.      


Chester Charles Bennington

„Hast du denn gar nichts gegessen, Chester?” spricht mich jemand so unerwartet an, dass ich erschrocken zusammenfahre. Mein Kopf schnellt instinktiv in seine Richtung. Sofort erkenne ich den Kerl von heute Morgen. Es ist dieser aufdringliche Pfleger, der mich geweckt und später hierher gebracht hat. Plötzlich steht er direkt neben mir. Er hatte angekündigt, dass er nach dem Frühstück wiederkommt. Trotzdem habe ich nicht mit ihm gerechnet. Seine Frage ist vollkommen sinnlos, denn jeder kann sehen, dass mein Essen nicht angerührt wurde. „Nein... ich... habe keinen Hunger...”, erkläre ich abwehrend. Es gefällt mir nicht, dass ich mich dem Pfleger erklären muss. Das geht den gar nichts an, ob ich was esse oder nicht. Aber er wiegt unzufrieden den Kopf und schaut missbilligend auf mein Tablett. Es steht noch immer so auf dem Tisch, wie der andere Kerl es vorhin abgestellt hat. Der Typ, der mir meine Brille zurückgegeben hat, hat alles sorgsam zurück auf das Tablett gestellt. Bis auf das Brötchen mit der Marmelade sieht es aus wie vorher. Als hätten die Sachen nicht vorhin verstreut auf dem Boden gelegen. Ich bin froh, dass der Pfleger mich nicht auf diesen Vorfall anspricht. Vielleicht hat er nichts davon mitgekriegt. Hoffe ich. 

„Sag mal, wo hast du denn die Brille her?” wechselt er verdutzt das Thema. Misstrauisch begutachtet er mich. „Das ist meine”, fühle ich mich genötigt klarzustellen. Dieser Mann hat mich noch nie mit Brille gesehen. Bestimmt ist er erst heute Morgen zum Dienst gekommen. Als er vor einer Stunde zu mir ins Zimmer kam, war meine Brille noch verschollen. Ein freudiges Lächeln huscht über mein Gesicht, als ich an den attraktiven Typen denke, dem ich dieses Geschenk zu verdanken habe. Beim nächsten Mal muss ich ihn dringend nach seinem Namen fragen, beschließe ich. Es ärgert mich, dass ich daran nicht schon vorhin gedacht habe. Dann fällt mir ein, dass dieser Fremde meinen Namen schon kannte, und ich werde wieder ein bisschen paranoid. „Jemand hat sie mir gerade beim Frühstück gebracht”, erzähle ich dem Pfleger, obwohl dem das egal sein kann. Er nickt nachdenklich, als würde er an meinen Worten zweifeln. „Wie geht es dir denn jetzt, Chester?” will er wissen und beäugt mich abschätzend. „Schon viel besser”, muss ich verblüfft zugeben. Tatsächlich scheinen die Medikamente, die der Typ mir heute Morgen angedreht hat, endlich ganz gut zu wirken. Sogar meine unbeschreibliche Gier nach einer Flasche Bier und einer Zigarette hält sich mittlerweile in Grenzen. Die Krämpfe und Schmerzen haben spürbar nachgelassen. Zufrieden lächle ich den Mann an. Er nickt zustimmend. „Das ist schön”, meint er erleichtert. Als wäre er es, dem es jetzt besser geht. „Nimm jetzt bitte das Tablett und stelle es zurück auf den Rollwagen. Dann zeige ich dir den Weg zur Gruppentherapie”, kündigt er diensteifrig an. Seufzend stehe ich auf. Ich habe keine Lust auf diese komische Therapiestunde. Gespräche mit Fremden über mein Leben sind mir zuwider. Mein Blick fällt auf den Tisch. Kurzentschlossen greife ich mir die Flasche Mineralwasser, die noch fast voll ist. Schnell drehe ich sie auf und trinke das Wasser auf Ex. Wer weiß, wann ich das nächste Mal was zu trinken kriege, denke ich verunsichert. Der Pfleger beobachtet mich aufmerksam. „Chester, du kannst jederzeit Wasser bekommen. Dazu musst du einfach nur in den Vorratsraum gehen, okay? Nachher zeige ich dir, wo der ist”, informiert er mich lächelnd. Als hätte er meine Befürchtung gespürt. Ich nicke und drehe die leere Flasche zu. Dann stelle ich sie auf das Tablett. 

Das halbe Brötchen mit der Marmelade sieht traurig aus. Als wäre es vergessen worden. Prompt denke ich wieder an diesen Kerl an meinem Tisch, der es aus einem rätselhaften Grund für mich zubereitet hat. Ich verstehe noch immer nicht, warum es ihm so wichtig war, dass ich etwas esse. Seine Besorgnis um meine Gesundheit rührt mich irgendwie. Noch einmal frage ich mich alarmiert, woher er meinen Namen kannte. Für einen getarnten Pfleger ist er eigentlich ein bisschen zu jung, überlege ich ratlos. Plötzlich kommt mir der Gedanke, dass der anhängliche Mann vielleicht ein Fan von Grey Daze sein könnte. Augenblicklich fängt mein Herz an zu klopfen. Mir wird ganz warm, weil diese Möglichkeit mir so enorm gut gefällt. Liebend gerne stelle ich mir vor, dass der Fremde mich auf der Bühne gesehen hat. Dass er mich singen gehört hat. Dass ihm unsere Musik so richtig gut gefallen hat. Deshalb hat er mir letzte Nacht auf dem Flur so aufmerksam zugehört, ziehe ich in Erwägung. Womöglich kommt der süße Kerl auch aus Phoenix, grübele ich nachdenklich. Das verblüfft mich total. Weil das wirklich ein komischer Zufall wäre. Es wäre sogar total creepy, ausgerechnet hier jemanden aus Phoenix zu treffen. Denn dies hier ist die verdammte geschlossene Psychiatrie. Und ich befinde mich verflucht weit weg von zu Hause. Angespannt versuche ich mich zu erinnern, ob ich diesen bärtigen Mann schon mal gesehen habe. Womöglich war er in einer der Kneipen in Phoenix. Oder in einer der Städte im Umkreis von Phoenix, in denen wir gespielt haben. Vielleicht stand er irgendwo direkt vor der Bühne im Publikum. Im Mason Jar, im Electric Ballroom in Tempe, oder in Scottsdale. Aber so sehr ich mir auch das Gehirn zermartere, ich erinnere mich nicht an ihn. Das ist echt zum Verrücktwerden. 

Aus den Augenwinkeln registriere ich, dass der Pfleger zu den Rollwagen geht. Hastig greife ich mir das braune Plastikteil mit all dem Zeugs, das ich nicht angerührt habe. Ich folge ihm. Er deutet auf einen der Rollwagen, auf dem noch Platz ist. Ich schiebe das volle Tablett vorsichtig in eine freie Schiene. Dabei stelle ich fest, dass meine Finger gar nicht mehr zittern. Das ist sehr angenehm. Der Gedanke an diese Veranstaltung, an der ich gleich teilnehmen muss, gefällt mir weniger. Noch nie habe ich eine Therapie mitgemacht. Von aufgezwungenen Gruppengesprächen halte ich nicht viel. Der Sinn solcher merkwürdigen Aktionen ist mir vollkommen unklar. „Wie lange dauert die Gruppentherapie?” frage ich den Pfleger ungehalten, als ich neben ihm in Richtung Ausgang gehe. Sein Lächeln ist besänftigend. „Mindestens eine Stunde. Aber es kommt immer darauf an, was genau besprochen wird. Es kann auch durchaus mal länger dauern”, antwortet er und beobachtet aufmerksam meine Reaktion. „Muss ich da hin?” rutscht mir genervt heraus, bevor ich mich bremsen kann. Im nächsten Moment ärgere ich mich darüber. Mir ist völlig klar, dass diese Frage überflüssig war. Prompt stößt der Pfleger ein belustigtes Lachen aus. „Ja, Chester, du musst daran teilnehmen. Du musst bei deiner Therapie mitarbeiten. Sonst können wir dir doch gar nicht helfen”, behauptet er allen Ernstes. Mir liegt auf der Zunge, dass ich niemanden um seine Hilfe gebeten habe. Aber ich halte mich zurück. Weil ich weiß, dass sinnlose Diskussionen sowieso nichts einbringen. Neben dem Pfleger laufe ich eine Weile über den langen Flur. Mein Blick fällt auf eine der vielen Türen. Klärende Buchstaben sind darauf gemalt worden. Plötzlich will ich die unangenehme Sache noch ein bisschen hinauszögern.

Kurzentschlossen bleibe ich stehen. „Darf ich bitte vorher noch kurz aufs Klo?” frage ich den nervigen Mann höflich. Er bleibt ebenfalls stehen und betrachtet mich sehr interessiert. Mit einer Kopfbewegung deute ich fragend auf die Tür der Herrentoilette. „Aber natürlich”, entscheidet er sich nach einem sehr irritierenden Zögern. Der Mann folgt mir die paar Schritte bis direkt vor die Tür. Offensichtlich will er mich aufs Klo begleiten. Demonstrativ bleibe ich stehen und schaue ihn vielsagend an. Das geht mir echt zu weit. „Ähm... darf ich bitte allein da rein?” erkundige ich mich fassungslos. Amüsiert grinst er mich an. „Ich guck dir schon nichts weg, Chester”, bemerkt er spöttisch. Seine blauen Augen funkeln angriffslustig. Seine Dreistigkeit ist für mich schwer zu ertragen. Anscheinend will der Pfleger mich sogar auf dem Klo im Auge behalten. Diskretion und Privatsphäre scheinen Fremdwörter für ihn zu sein. Spätestens jetzt will ich den Typ unbedingt loswerden. Dabei geht es mir gar nicht um das Pinkeln. Das wäre mir egal. Kerle stehen ständig irgendwo nebeneinander und pinkeln. Da denk ich doch nicht mal drüber nach. Aber dieser Mann will eindeutig Spielchen mit mir spielen. Er fordert mich heraus. Der Typ macht sich über mich lustig. Und das gefällt mir nicht. Nach der langen Zeit in dem überfüllten, lauten Frühstückssaal brauche ich dringend Ruhe. Ich muss ein paar Minuten allein sein. Nicht mit neugierigen Adleraugen überwacht werden. Wenn auch nur für kurze Zeit. Ich kann ja verstehen, das dieser Mensch auch nur seinen Job macht, indem er meinen persönlichen Aufpasser spielt. Aber ein paar Minuten allein auf dem Klo muss er mir zugestehen, finde ich. 

Plötzlich dreht der Mann sich um und öffnet die Tür zur Herrentoilette. Mit drei Schritten hat er den scheinbar hell gekachelten Raum betreten. Erschrocken beeile ich mich, ihm zu folgen. Ich ärgere mich, dass ich nicht schnell genug reagiert habe. Dass ich den penetranten Kerl nicht daran hindern konnte. Ein schneller Rundumblick offenbart mir, dass diese Toilette viel größer ist, als die in der Nähe meines Zimmers. Hier gibt es nicht nur ein Waschbecken, sondern sechs. Es gibt ungefähr acht Pissoirs und im hinteren Teil des Raumes mindestens zehn einzeln abschließbare Kabinen. Durch ziemlich große, mit blickdichter Folie beklebte Fenster fällt von draußen genügend Licht herein. Dieser bekloppte Pfleger deutet tatsächlich einladend auf die Pissoirs und grinst belustigt. „Tu dir keinen Zwang an, Chester!” fordert er mich auf, loszulegen. Fassungslos taxiere ich ihn. Der übereifrige Mann will mir beim Pinkeln zusehen. Mit dem stimmt doch was nicht. Aber der weiß Gekleidete war ja schon von Anfang an so nervig aufdringlich. Beim Kotzen musste er mir ja auch unbedingt zugucken, erinnere ich mich mit einem Grausen. 

Fieberhaft suche ich nach einem einleuchtenden Grund, um ihn hinausschicken zu können. Ich brauche sofort eine Ausrede, die er nicht widerlegen kann. Langsam schüttele ich den Kopf und streiche mir mit den Fingern verlegen durch die Dreadlocks. „Nein... das... dauert etwas länger... Können Sie nicht bitte draußen warten?” Meine Stimme zittert. Die Situation ist total unangenehm. Seine Augen weiten sich verstehend. Er nickt langsam. „Nur keine Scheu, Chester!” meint er achselzuckend und zeigt auf die Kabinen im hinteren Teil des Raumes. Ich bin echt bestürzt. Am liebsten möchte ich ihn an seiner weißen Jacke packen und eigenhändig aus der Toilette zerren. Ich möchte ihn anschreien. Weil er mich in diese Verlegenheit bringt. Weil der Arsch mich tatsächlich betteln lässt. „Bitte warten Sie draußen. Wenn Sie hier drin sind und zuhören, dann kann ich das nicht”, behaupte ich mit einem schüchternen Augenaufschlag. Der Typ geht mir total auf die Nüsse. Er ist aufdringlich. Ich will doch nichts weiter, als ein paar Minuten Ruhe. Mal nicht gestört werden. Nach dem Krach beim Frühstück hab ich eine Pause dringend nötig. Aber der Pfleger braucht noch Zeit, um zu entscheiden, wie er auf meine Bitte reagieren soll. Der Mann ist sichtbar alarmiert. Ich habe keine Ahnung, was er von mir denkt. Argwöhnisch läuft er in der Toilette herum und schaut sich überall um. Scheinbar denkt der Idiot, dass ich hier heimlich irgendwas Verbotenes tun will. Vorwurfsvoll guckt er mich an. Als ob ich hier illegale Drogen versteckt hätte oder so was. Schön wär's ja, denke ich spöttisch. 

Schließlich fällt er sichtbar widerwillig eine Entscheidung. Mit Sicherheit hat er den gewichtigen Auftrag erhalten, mich beharrlich zu überwachen und auf keinen Fall alleinzulassen. „Okay, Chester. Du sollst deine Privatsphäre haben. Ich warte dann auf dem Flur. Ich stehe direkt vor der Tür, falls irgendwas ist, ja?” „Ja, ist gut. Danke.” Erleichtert nicke ich ihm zu. Insgeheim frage ich mich kopfschüttelnd, was denn in der kurzen Zeit bitteschön passieren soll. Denkt er, ich falle ins Klo, oder was? „In einer viertel Stunde fängt die Therapie an. Bitte denk daran!” muss der Kerl mich auch noch zur Eile antreiben. Ich nicke nochmal. Unzufrieden schaut er mich an und holt tief Luft. „Und hör mal, Chester. Du musst mich nicht siezen. Mein Name ist Ulrich. Du kannst mich ruhig duzen, okay? Du kannst gerne Ulli zu mir sagen”, betont er, als wollte er das unbedingt. Er kriegt ein drittes Nicken von mir. Der Pfleger lacht und schlägt mich kumpelhaft auf die Schulter, bevor ich ihm ausweichen kann. Als wären wir die besten Freunde. Dann verlässt er endlich den Raum und macht die Tür leise hinter sich zu. Spontan schicke ich ihm eine sehr unfreundliche Geste hinterher. Weil er mich geschlagen hat. Und weil er zweifellos einen Knall hat. Keine Ahnung, warum die hier der Ansicht sind, dass ich einen derartigen Aufpasser nötig hätte. Ich komme ganz gut alleine klar. Schließlich bin ich die meiste Zeit meines Lebens allein gewesen. 

Zweimal atme ich tief durch. Die Stille tut gut. Ich hoffe, dass niemand hereinkommt. Offensichtlich sind die Menschen hier alle verrückt. Unschlüssig schaue ich mich in dem großen Raum um. Er ist ganz mit weißen Fliesen ausgekleidet worden. Auch die Keramikbecken und die Türen und Trennwände im hinteren Teil sind weiß. Die Armaturen sind aus Stahl. Kurzerhand gehe ich zu den Pissoirs und stelle mich vor eins der Becken. Ich öffne meine Hose und leere seufzend meine volle Blase. Dann ziehe ich ab und wasche mir am Waschbecken die Hände. Aus dem Spender hole ich mir ein paar Papierhandtücher. 

In diesem Moment höre ich aus der hintersten Ecke des Raumes ein lautes Geräusch. Als hätte jemand in den Einzelkabinen gegen die Wand geschlagen. Aufgeschreckt fahre ich herum und lausche. Nichts. Ich werfe das nasse Papier in einen Papierkorb. Während ich langsam in Richtung des unerwarteten Lärms gehe, knöpfe ich sorgsam mein Hemd zu. „Hallo?” rufe ich ziemlich bescheuert. Niemand antwortet. Aber ich bin mir sicher, dass sich da in den Kabinen jemand versteckt. Neugierig überprüfe ich die einzelnen Türen. Die meisten stehen offen. Manche sind auch angelehnt. Aber nur eine Tür ist abgeschlossen. Wie ein Spanner bücke ich mich und schaue unten durch den Spalt zwischen Boden und unterer Türkante. Schwarze Pantoffeln bestätigen mir, dass sich tatsächlich jemand in dieser Toilette aufhält. Mehr kann ich allerdings nicht von dem Menschen sehen. Ich vermute, dass es ein Mann ist. Denn wir sind ja in der Herrentoilette. Plötzlich schlägt der Typ nochmal gegen die hölzerne Trennwand. Das ganze Gebilde aus Kabinen erzittert donnernd. So feste haut er dagegen. Der laute Lärm tut meinen Ohren weh. „Geht's noch?” entfährt es mir erschrocken. Hastig richte ich mich auf. Keine Ahnung, was für ein Spinner sich da eingeschlossen hat. Aber offensichtlich hat er irgendein Problem. Unsicher stehe ich dort und sehe die geschlossene Tür an. Wie alle Kabinentüren, hat sie ein auffälliges Spezialschloss. Mit einem besonderen Schlüssel kann das Personal der Psychiatrie sie ganz leicht von außen öffnen. Falls irgendein Irrer da drinnen Blödsinn veranstaltet. Oder nicht mehr herauskommen will. Der unbekannte Typ verhält sich jetzt ruhig. Ich bin mir nicht sicher, was ich nun machen soll. „Alles okay? Brauchst du Hilfe?” frage ich schließlich ratlos. 

Abrupt wird die Tür von innen aufgeschlossen. Zwei Sekunden später schwingt sie nach innen auf. „Sag mal, verfolgst du mich?” fährt der Mann mich wütend an, der sich hier versteckt hatte. Ich bin überrascht, als ich erkenne, dass es der hilfsbereite Kerl vom Frühstückstisch ist. Damit habe ich nicht gerechnet. Dass ich ihn so schnell wiedersehe. Der Bärtige steht vor mir und mustert mich offen feindselig. Ich freue mich sehr viel mehr, ihn zu sehen, als ich erwartet hatte. Das verwirrt mich extrem. „Das Gleiche könnte ich dich fragen”, erwidere ich grinsend. Aufgebracht schnappt er nach Luft. Seine dichten, dunklen Augenbrauen sind wieder zornig zusammengezogen. Dazwischen haben sich auf seiner Stirn zwei steile Falten gebildet. Seine braunen Augen durchbohren mich förmlich. Genau so hat er vorhin auch ausgesehen. Nach dieser Sache mit meinem Tablett. Als er mit seinem schwarzen T-Shirt und den Jeans neben dem Tisch stand. Bevor er vor mir geflüchtet ist. Ich muss zugeben, dass er unglaublich schnuckelig aussieht. Es gefällt mir sehr, ihn anzusehen. Seine Nähe beruhigt mich auf eine Art, die ich nicht erklären kann. Der Mann hat richtig schönes, dichtes, schwarzes Haar. Seine gestylte, gewollt stachelige Frisur steht ihm verdammt gut. Ich mag seine süße Stupsnase. Und die hübsch geschwungenen, vollen Lippen. Auch sein brauner Vollbart gefällt mir. Obwohl der ein bisschen zu lang und struppig ist. Ich möchte wissen, warum der unbekannte Typ sich in der Kabine verkrochen hat. Und warum er so wütend ist. Bestimmt hat er aus Wut gegen die Wand geschlagen. So was kenne ich. Am liebsten würde ich ihn danach fragen. Aber vielleicht will er nicht darüber reden. Das könnte ich verstehen. Manche Dinge müssen einfach geheim bleiben. 

Freundlich lächle ich ihn an. Er funkelt angepisst zurück. Beim Frühstück war dieser Fremde sehr nett zu mir. Nur wegen ihm kann ich endlich wieder alles deutlich erkennen. Das werde ich nie vergessen. Auf einmal will ich dringend seinen Namen erfahren. „Wie heißt du, Sweetie?” frage ich ihn übermütig. Ich muss diesen zornigen Mann ein bisschen aufmuntern. Er soll nicht länger so wütend sein. Fasziniert beobachte ich, wie meine neckende Frage ihn sichtbar in Verlegenheit bringt. Nervös fährt er sich durch die abstehenden Haare. Seine Füße in den schwarzen Pantoffeln treten unruhig auf der Stelle. Der arme Kerl sieht aus, als würde er gleich in Ohnmacht fallen. Offenbar hat er keine Ahnung, wie er reagieren soll. Sein rätselhaftes Verhalten interessiert mich. Ich glaube zu spüren, dass da noch etwas anderes mit ihm ist. In Wahrheit ist mein Lebensretter gar nicht wütend auf mich. Unsere plötzliche Begegnung überfordert ihn nur irgendwie. Der Mann scheint wahrhaftig ein bisschen eingeschüchtert zu sein. Aber er überspielt es recht erfolgreich mit seinen Aggressionen. So etwas amüsiert mich total. Aufmerksam betrachte ich ihn. Ich lächle aufmunternd, während ich geduldig auf seine Antwort warte. Ratlos atmet er tief ein. Dann gibt er sich einen Ruck. „Das geht dich gar nichts an!” krächzt er abwehrend mit zugeschnürter Kehle. 

Im nächsten Moment macht er plötzlich einen Schritt nach vorn. Noch bevor ich ihn aufhalten kann, stürmt er schon an mir vorbei in den Vorraum der Herrentoilette. Schon wieder hat er das Bedürfnis, vor mir wegzulaufen. Das ist so lustig, dass ich lachen muss. Dieser fremde Typ ist wirklich amüsant. Schnell folge ich ihm bis zu den Waschbecken. Er steuert geradewegs auf den Ausgang zu. Überstürzt will er die Toilette verlassen. Aber ich möchte nicht, dass er schon geht. Es ist erstaunlich, wie wenig ich das will. „Du, hör mal! Du kennst doch auch meinen Namen! Warum darf ich denn deinen nicht wissen?” rufe ich ihm hinterher. Ich verstehe wirklich nicht, warum er so ein Geheimnis daraus macht. Zu meiner Freude bleibt er zögernd stehen. Langsam dreht er sich zu mir um. Eine Weile guckt er mich schweigend an. Dabei sieht er seltsam unglücklich aus. Das kann ich überhaupt nicht einordnen. „Ich bin Chester”, teile ich ihm sicherheitshalber mit. Falls er das in der Zwischenzeit vergessen hat. Auf seinem Gesicht erscheint ein gerührtes Lächeln. Seine dunklen Augen strahlen, was mich sofort paralysiert. Er seufzt so tief, als hätte er eine schwere Last zu tragen. Hilflos schüttelt er den Kopf. „Nein... das...”, setzt er ratlos an. Konfus bricht er nochmal ab. Gespannt warte ich darauf, wie er sich entscheiden wird. Seine Augen sind wirklich wundervoll. Dieses glitzernde Braun. „Bitte... lass mich einfach in Ruhe... Chester...”, murmelt mein Retter schüchtern in seinen Bart hinein. Seine erstaunlich angenehme Stimme klingt resigniert. Als wollte er das, was er gerade von mir verlangt hat, gar nicht wirklich. Das verwirrt mich echt. 

Drei Sekunden später will der seltsame Typ auch schon durch die Tür verschwinden. Allerdings kommt genau in diesem Moment der Pfleger herein. Mein penetranter Aufpasser. Der wahrhaftig die ganze Zeit vor der Toilette auf mich gewartet hat. Und jetzt hat er keine Ruhe mehr. Er muss nachsehen, ob ich ins Klo gefallen bin. Oder heimlich Drogen nehme. Oder mir gerade verstohlen einen abwichse. Der Name des Pflegers ist Ulrich. Aber ich soll ihn Ulli nennen. Die beiden Männer stoßen ziemlich heftig zusammen. Weil der eine rein und der andere viel zu eilig raus will. Genau im selben Augenblick. Das amüsiert mich so sehr, dass ich lauthals lache. Beide Typen gehen erschrocken einen Schritt zurück. Genervt gucken sie sich an. Ulli braucht nur einen Blick, um den Bärtigen zu identifizieren. Seine Augen weiten sich überrascht. „Mike! Wo kommst du denn her? Bist du vorhin auch schon hier drin gewesen? Ich habe dich ja gar nicht gesehen!” meint er verblüfft. Meine Ohren werden ganz groß. Unwillkürlich fängt mein Herz zu hämmern an. Weil ich gerade völlig unverhofft doch noch erfahren habe, wie der komische Patient heißt, dem ich erst zum dritten Mal begegne. Sein Name ist also Mike, denke ich selig. In Gedanken stürze ich mich förmlich auf den Namen. Er ist kurz und prägnant. Diese vier Buchstaben lasse ich mir ausführlich durch den Kopf gehen. Mike. M-i-k-e. Der Name gefällt mir. Der ganze Kerl gefällt mir viel besser, als ich begreifen kann. Ich mag es, wie seine Nähe mich besänftigen kann. In Mikes Gegenwart fühle ich mich merkwürdig wohl. Auch wenn ich nicht verstehe, wie der fremde Mann das eigentlich macht. 

Jetzt gerät Mike sichtbar in Erklärungsnot. Er muss sich schnell etwas ausdenken. Warum er sich auf dem Klo versteckt hatte. Neugierig gehe ich einen Schritt näher. Bevor dem armen Kerl was einfällt, redet der Pfleger weiter: „Hör mal, Mike, du bist schon vermisst worden. Dirk wollte dich zur Gruppentherapie abholen. Aber du warst nicht mehr beim Frühstück. Er konnte dich gar nicht finden.” Vorwurfsvoll studiert Pfleger Ulrich den unartigen Patienten. Noch einmal kann Mike nicht wirklich erklären, warum er seine Zeit lieber in der Herrentoilette verbracht hat. Bevor es für ihn zu peinlich wird, eile ich ihm zu Hilfe. „Müssen wir nicht langsam mal los, Ulli?” schalte ich mich ungeduldig ein. Mike wirft mir einen dankbaren Blick zu. Verschwörerisch lächle ich ihn an. Ulrich guckt misstrauisch von einem zum anderen. Vielleicht fragt er sich, was Mike und ich hier gemeinsam auf dem Klo getrieben haben. Schließlich nickt er. „Ja, du hast recht, Chester”, stimmt er mir zu. Dann wendet er sich wieder an Mike. „Und du kannst dich uns anschließen. Ich will Chester gerade zur Therapiestunde bringen. Er ist ein neuer Patient, der heute auch an deiner Sitzung teilnimmt”, erklärt der Pfleger sichtbar zufrieden. 

Mike stößt ein komisches Ächzen aus und dreht sich hastig von mir weg. Demonstrativ kehrt er mir den Rücken zu. Kichernd stelle ich fest, dass der lustige Typ eine attraktive Rückseite hat. Mindestens so attraktiv wie seine Vorderseite. Interessiert beobachte ich seine unerwartete Reaktion. Dieser junge Mann ist überraschend amüsant. Es macht mir immer mehr Spaß, in seiner Nähe zu sein. Er tut ständig seltsame Dinge, registriere ich mit einem warmen Gefühl im Bauch. Ich bin echt belustigt. Ulrich dreht sich auch um und öffnet die Tür. „Na, dann kommt mal beide mit mir mit, Jungs!” fordert er uns auf und geht schon mal vor. In einem Anfall von Übermut kneife ich Mike spontan in sein wohlgeformtes Hinterteil. Zur Belohnung bekomme ich ein schockiertes Quietschen zu hören. Er quietscht wahrhaftig wie ein Mädchen! „Du hast es gehört, Mikey! Wir sollen mit Ulli mitgehen!” flüstere ich meinem Wohltäter lüstern ins Ohr. Besitzergreifend schlinge ich meinen Arm von hinten um seine Taille, um ihn dicht neben mir aus dem Raum zu schieben. Aber Mike entwindet sich meinem Arm in einer abwehrenden, heftigen Bewegung. Böse funkelt er mich an. „Hör auf, Chester! Lass mich in Ruhe!” verlangt er noch einmal. Im nächsten Moment lässt er mich stehen und eilt dem Pfleger nach. Ulrich ist schon ein paar Schritte den Flur runter. Also gehe ich den beiden Männern hinterher. 

Wir laufen schier endlose Gänge entlang. Dabei bleibt mein Blick auf Mikes Rückseite kleben. In den engen Jeans wiegt sich sein knackiger Hintern beim Laufen. Das erregt mich irgendwie. Keine Ahnung warum, aber dieser Mann zieht mich plötzlich ganz enorm an. Definitiv hat Mike mein Interesse geweckt. Verblüfft frage ich mich, warum er mir seinen Namen nicht verraten wollte. Und warum ich ihn in Ruhe lassen soll. Immerhin war er es doch, der als erster zu mir kam. Mitten in der Nacht ist er freiwillig aus seinem Zimmer gekommen, um mich singen zu hören. Und beim Frühstück tauchte er schon wieder ungefragt auf. Vordergründig nur, weil er mir meine Brille zurückgeben wollte. Aber dann ist er ja im Endeffekt viel länger an meinem Tisch sitzengeblieben. Nachdenklich schiebe ich die Brille zurecht und nehme mir vor, diesen Mikey ein bisschen im Auge zu behalten. Es ist lustig, wie hilflos er auf mich reagiert. Wie seltsam nervös er zu werden scheint, sobald ich mich ihm nähere. Ich glaube, er ist doch kein getarnter Pfleger, überlege ich verunsichert. Mike verhält sich wirklich nicht so, als wollte er sich hinterrücks mein Vertrauen erschleichen. Oder die führen hier alle ein hinterhältiges Theaterstück für mich auf, denke ich dann spöttisch. Ich frage mich, ob das Personal in dieser Psychiatrie sich eine derartige Mühe geben würde. Ob die Psychiater wirklich so einen Aufwand treiben würden, um mich zu täuschen. Und welchen Sinn das eigentlich haben könnte. 

Plötzlich bleibt Ulrich stehen und öffnet eine Tür zu seiner Linken. Mike geht sofort wortlos an ihm vorbei in diesen Raum hinein. Der Pfleger sieht mich an. Er wartet, bis ich auch an der Tür angekommen bin. „So, hier findet die Gruppentherapie statt, Chester. Nach der Sitzung hole ich dich wieder ab. Dann machen wir zusammen einen Rundgang durch die Station. Ich werde dir alles zeigen. Und später will Professor Paulsen mit dir sprechen”, informiert er mich sicherlich ordnungsgemäß. „Okay”, erwidere ich mit einem Achselzucken. Weil mir sowieso nichts anderes übrig bleibt. Obwohl es mir auf die Nerven geht, dass meine Zeit hier anscheinend komplett fremdbestimmt wird. Ulli schickt mich mit einer Handbewegung zur Therapie. „Dann mal rein mit dir. Bis nachher, Chester!” Über den Flur wandert er mit schnellen Schritten davon. Leicht verärgert sehe ich ihm nach. Mir kommt in den Sinn, jetzt einfach schnell abzuhauen. Ich möchte mich irgendwo verstecken. So wie Mike es gemacht hat. Ich will eigentlich nicht an dieser Gruppentherapie teilnehmen. Aber dann betrete ich doch nur folgsam das angewiesene Zimmer. 

Der Raum ist nicht besonders groß. Vormittags liegt er auf der sonnenabgewandten Seite des Gebäudes. Aber durch die großen Fenster kommt trotzdem genug Licht herein. Die Wände sind in hellem Gelb angestrichen. In der Mitte stehen lediglich Holzstühle, die zu einem Kreis angeordnet wurden. Sechs Personen sitzen dort. Alle drehen sich zu mir hin. Sie gucken mich neugierig an, als ich langsam auf sie zugehe. Nur Mike tut so, als würde er mich nicht bemerken. Der Bärtige sieht sich interessiert den grauen Fußboden an. „Machst du bitte die Tür zu?” fordert eine Frau mich auf, die älter als die anderen ist. Vermutlich handelt es sich um die Therapeutin. „Aber klar!” antworte ich gelassen. Ich laufe nochmal zurück und schließe die Tür. Dann bewege ich mich wieder auf den Stuhlkreis zu. Unverändert sind alle Augen auf mich gerichtet. Bis auf die braunen von Mike. Diese Situation mag ich nicht besonders. Sie erinnert mich an die scheiß High School. Weil alle mich anstarren. In der Schule bin ich früher von meinen Mitschülern oft nicht gut behandelt worden. Wie eine Puppe haben sie mich hin und her geschubst. Die Lehrer haben mich ehrlich gehasst. Weil ich dünn und schmächtig war. Und weil ich anders aussah. 

Am allerliebsten möchte ich mich sofort neben Mike hinsetzen. Aber leider ist da kein Platz mehr frei. Der Casanova sitzt zwischen zwei hübschen Mädchen. Er hat noch immer seinen Kopf gesenkt. Nur neben der Therapeutin steht ein leerer Stuhl. Die Frau deutet einladend darauf. „Komm hierher, Chester! Setz dich bitte hier hin. Du bist doch Chester, nicht wahr?” begrüßt sie mich freundlich lächelnd. „Ja, ich bin Chester”, bestätige ich. Blöderweise muss ich mich durch zwei Stühle und zwei darauf sitzende Menschen zwängen, um zu dem angewiesenen Platz zu kommen. Ich bemühe mich, den beiden Fremden dabei möglichst nicht zu nahe zu kommen. Dann setze ich mich zwischen die Therapeutin und das dritte Mädchen im Zimmer. Außer Mike und mir gibt es in dieser Runde nur noch einen Typen. Das fällt mir sofort auf. Und auch, dass wir immer abwechselnd platziert wurden. Ich frage mich, ob die das mit Absicht gemacht haben. Dass wir drei Mädchen und drei Jungs sind. Und jeweils nebeneinander sitzen. Ob da vielleicht irgendeine rätselhafte Strategie dahintersteckt. 

Noch immer gucken mich alle an. Nur Mike nicht. Mir fällt ein, dass mein Outfit zur Zeit nicht das beste ist. Meine Kleidung ist zerknittert, weil ich sie schon seit gestern trage. Das mag ich gar nicht. Es stört mich, wenn ich ungepflegt aussehe. Nervös rutsche ich auf dem harten Stuhl herum. Hilfesuchend schaue ich Mike an. Von hier aus kann ich ihn zum Glück ganz gut im Auge behalten. Unbeirrt betrachtet er den Fußboden. Mein Blick huscht flüchtig über die anderen Gesichter. Diese Patienten sind wohl alle ungefähr in meinem Alter. Das ist bestimmt auch mit Absicht so. Die Therapeutin holt hörbar Luft und verkündet: „Heute haben wir jemand Neues in unserer Mitte. Chester ist erst gestern hier angekommen. Es ist also alles noch sehr ungewohnt für ihn. Wir wollen Chester herzlich in unserer kleinen Runde begrüßen!” Auffordernd blickt sie ihre Schützlinge an. „Hallo Chester”, murmeln daraufhin alle mehr oder weniger begeistert. Nur Mike hält sich raus. „Hi Leute! Ich bin Chester!” stelle ich mich grinsend vor. Ich könnte mich ausschütten vor Lachen. Weil jetzt bestimmt auch noch der Dümmste in diesem Zimmer langsam kapiert haben müsste, wie mein Vorname lautet. Die Therapeutin wendet sich an mich. „Wo kommst du her, Chester?” horcht sie mich gut gelaunt aus. Ihr Lächeln wirkt irgendwie professionell. Vielleicht hat sie das eingeübt. Interessiert betrachtet sie mich. „Ich bin aus Phoenix, Arizona”, antworte ich leise. Prompt geht ein überraschtes Raunen durch die Runde. „Was? Von so weit her?” „Ist das dein Ernst?” „Wie kommt es dann, dass du hier bist?” „Hast du dich verlaufen?" „Gibt es in Phoenix keine Psychiater?” „Habt ihr in der Wüste keine Psychiatrie?” „In Arizona ist es wohl zu heiß und trocken dafür, was?" prasseln die spöttischen Fragen auf mich ein. Schon wieder werde ich aus vielen fassungslos aufgerissenen Augen angestarrt. Das ist ganz schön unangenehm. Die vorlaute Neugierde nervt mich. Weil es die Menschen hier gar nichts angeht, wo ich herkomme. Außerdem mag ich diese scheiß Wüsten-Witze nicht. Angestrengt schaue ich Mike an. Endlich hat er mal den Kopf gehoben. Das freut mich total. Sichtbar überrascht guckt er mich an. Seine braunen Augen fesseln mich auf der Stelle. Mike hat nicht gewusst, woher ich komme, folgere ich aus seiner erstaunten Miene. Also ist Mikey wohl doch noch nicht auf einem Konzert von Grey Daze gewesen, überlege ich verwirrt. Wahrscheinlich kennt der Fremde meine Band nicht einmal. Das Rätsel, woher der Bärtige meinen Namen wusste, ist wieder vollkommen ungeklärt. 

„Möchtest du die Fragen deiner Mitpatienten beantworten, Chester?” erkundigt sich die Therapeutin behutsam bei mir. Sie ist vorsichtig, weil ich so lange nichts gesagt habe. Bedeutsam schaue ich sie an. „Aber gerne beantworte ich die Fragen meiner Mitpatienten”, kündige ich an und atme tief ein. Dann quatsche ich einfach drauflos. „Also, das war so. Ich hab mir gedacht, wenn schon in die Psychiatrie, dann auch in die schönste des Landes. Geld spielt dabei keine Rolle. Man gönnt sich ja sonst nichts. Ich wollte nicht gerne in irgendeiner drittklassigen Absteige landen”, erzähle ich mit einem freundlichen Lächeln, „Also habe ich mich vorher wochenlang erkundigt und intensiv im Internet recherchiert. Und das Haus hier hat ja nun mal die besten Referenzen. Das kann man nicht abstreiten. Ich habe nirgendwo einen besseren Ort als diesen gefunden. In allen wichtigen Punkten hat er die meisten Sternchen. Die Verpflegung soll hervorragend sein. Die Zimmer sind nach den bequemsten Standards eingerichtet. Es gibt die umfangreichsten Freizeitangebote. Und das Fachpersonal ist nur hier so allumfassend ausgebildet. Außerdem gibt es ausschließlich in dieser Psychiatrie die modernsten Therapien und Behandlungsansätze.” Tief hole ich Luft und lächle einmal begeistert in die Runde. „Das ist der Grund, warum ich liebend gerne den weiten Weg auf mich genommen habe. Die Psychiatrien in Phoenix können da einfach nicht mithalten.” Nachdem ich geendet habe, gibt es eine verblüffte Pause von mindestens zwei Minuten, in der absolute Stille herrscht. 

Schließlich ernte ich ein zögerndes, verdutzt amüsiertes Lachen von den anderen. Genau das habe ich beabsichtigt. Mein Blick bewegt sich zur Therapeutin. Natürlich weiß sie, dass ich den totalen Scheiß erzählt habe. Ich bin mir sicher, dass sie sich schon längst genau darüber informiert hat, wer ich bin und warum ich hier bin. Immerhin gibt es ja diese Akte über mich, wo alles drinsteht. Jetzt bin ich gespannt, wie die Studierte auf meine Provokation reagiert. Die Frau guckt mich eine Weile nachdenklich an. Dann nickt sie seufzend. Ihre Augen verändern sich besorgt. Sie glaubt zu verstehen, dass ich ein schwieriger Patient bin. Dabei bin ich das gar nicht. Ich möchte nur die angespannte Stimmung ein bisschen auflockern. Außerdem finde ich nicht, dass es die fremden Leute etwas angeht, dass ich nicht freiwillig hergekommen bin. Die Therapeutin wirkt nicht überrascht. Sie ist offenbar erfahren und weiß mit solchen Situationen umzugehen. „Okay, Chester”, lenkt sie sofort ein. Auffordernd wirft sie einen Blick in die Runde. „Dann werden wir uns dir jetzt mal kurz vorstellen. Wer möchte anfangen?” Fragend mustert sie ihre Klienten. Augenblicklich herrscht betretenes Schweigen in der Gruppentherapie. Niemand meldet sich freiwillig. Alle weichen angestrengt dem Blick der Therapeutin aus. Mike studiert abermals verspannt den Fußboden. Und ich möchte laut loslachen. Meine Augen heften sich erneut auf den attraktiven Mikey. Der schüchterne Kerl scheint auf seinem Stuhl zusammenzusinken. Es ist mehr als offensichtlich, dass er sich auf gar keinen Fall vorstellen will. Ich glaube, er möchte hier überhaupt nichts sagen. Er scheint sich in dem Stuhlkreis extrem unwohl zu fühlen, der Arme.

„Also gut. Dann fange eben ich mal an”, seufzt die Therapeutin, nachdem geklärt ist, dass niemand sonst den Anfang machen will. „Mein Name ist Evelyn”, stellt sie sich mir vor, „Ich bin fünfunddreißig Jahre alt und Psychotherapeutin von Beruf. Hier in der Psychiatrie arbeite ich seit drei Jahren.” „Hallo Evelyn”, erwidere ich freundlich und lächle sie an, „Mein Name ist Chester.” Die Mädchen prusten belustigt los. Sogar der Typ muss grinsen. Nur Mike rührt sich nicht. Das wird eine echte Herausforderung für mich. Ich möchte Mike dringend zum Lachen bringen. Er soll sich nicht länger so unbehaglich fühlen. Die Therapeutin ist von meiner Albernheit kein bisschen irritiert. Gelassen grinst sie mich an. „Wie alt bist du, Chester?” will sie wissen. „Ich bin gar nicht so viel jünger als du”, antworte ich neckend und streiche mir herausfordernd durch die Dreadlocks. Ich schenke der Frau mein schönstes Lächeln. Sie mustert mich interessiert. Dann nickt sie. Und ich glaube, sie ist auch ein wenig amüsiert. 

„So, jetzt seid ihr an der Reihe!” fordert sie die anderen auf. Ihre Aufmerksamkeit wandert zurück in den Stuhlkreis. Evelyn braucht nur ein paar Minuten, um jemanden auszuwählen, während sie die Jungs und Mädchen der Reihe nach abschätzend ansieht. Dann ist ihre Wahl auch schon gefallen. „Mike! Erzähl du Chester doch bitte etwas von dir”, spricht sie ausgerechnet ihn direkt an. Mir ist augenblicklich klar, dass Mike das nicht gefällt. Tatsächlich zuckt er erschrocken zusammen. Sein Blick schnellt ungläubig hoch. Er hat die Brauen zusammengezogen. Seine schönen Augen töten die Therapeutin. „Nein, das muss er nicht!” will ich ihm spontan helfen, ohne darüber nachzudenken, „Mike muss mir nichts über sich erzählen!” Evelyn guckt mich erstaunt an. Alle Augen wandern aufhorchend zwischen Mike und mir hin und her. Ihr schlüpfriges Interesse ist geweckt. Die kleinen Gehirne fangen fast hörbar an zu arbeiten. Sie wittern einen Skandal. Die neugierigen Menschen hier fragen sich, warum ich das eben gesagt habe. Sofort wollen sie wissen, ob Mike und ich uns vielleicht schon kennen. Ob da eventuell sogar was zwischen uns beiden läuft. Das habe ich gar nicht beabsichtigt. Verunsichert schaue ich den Bärtigen an. Sein tödlicher Blick ist jetzt auf mich gerichtet. Er sieht wütend aus. „Danke, Chester. Aber ich brauche deine Hilfe nicht!” betont er distanziert. „Du musst gar nichts sagen, wenn du nicht willst”, versuche ich klarzustellen. Mikes dunkle Augen fesseln mich schon wieder. Sie sind tiefgründig. Da stecken jede Menge verborgener Emotionen in dem Fremden. Das interessiert mich. 

Plötzlich steht Mike abrupt auf. „Ich sagte, ich brauche deine Hilfe nicht! Lass mich in Ruhe, Chester!” schreit er mich zornig an. Ich verstehe nicht, warum er so wütend auf mich ist. Ich wollte ihm doch nur helfen. „Setz dich bitte wieder hin, Mike!” fordert Evelyn ihn auf und hebt beschwichtigend die Hände. Aber Mike macht stattdessen einen Schritt nach vorne. „Es geht mir nicht gut”, behauptet er und wirft der Therapeutin einen flehenden Blick zu, „Ich möchte bitte in mein Zimmer gehen.” Alarmiert studiert sie seine Reaktion. „Ja, das ist okay, Mike”, entscheidet sie dann, „Wenn du Hilfe brauchst...” Abwehrend schüttelt der Bärtige den Kopf. „Nein, geht schon...”, murmelt er. Eilig zwängt er sich zwischen die Stühle. So schnell wie möglich will er aus dem Kreis abhauen. Ich habe das Gefühl, dass der Mann schon wieder vor mir davonläuft. Das kapiere ich nicht. Mir ist völlig schleierhaft, was ich falsch gemacht habe. Das seltsame Verhalten des Fremden macht mich echt nervös. Ich will nicht, dass Mike mich hier alleinlässt. Seine Nähe besänftigt mich. Es fühlt sich gut an, wenn er bei mir ist. Ich will nicht, dass der Mann ständig vor mir wegläuft. Am liebsten würde ich ihn festhalten. Ihn bitten, zu bleiben. Oder ihm hinterherlaufen. Extrem unruhig rutsche ich auf meinem harten Stuhl herum. Manchmal ist das so. Dann kann ich einfach nicht mehr stillsitzen. Als Kind galt ich als hyperaktiv. Dabei wollte ich doch nur immer alles genau mitkriegen. Ich war wirklich total scharf auf das Leben. Jetzt beobachte ich hilflos, wie mein Wohltäter überstürzt das Zimmer verlässt. „Mike!” rufe ich verzweifelt. Aber er ignoriert mich. Mikey beachtet niemanden mehr. Steuert einfach stur die Tür an. Der rätselhafte Kerl ist heilfroh, dass er von mir wegkommt. Schwungvoll reißt er die Tür auf. Im nächsten Augenblick ist er verschwunden.

5. No one to hear me


Michael Kenji Shinoda

Es fühlt sich an, als wäre ich sehr kurz davor, mein Bewusstsein zu verlieren. Höchstwahrscheinlich werde ich gleich in Ohnmacht fallen. Das Gezwitscher der Vögel ringsum verstummt in meiner Wahrnehmung. Mein Kopf ist ganz leer. Meine Finger irgendwie taub. Mein Herz schlägt zu schnell. Meine Brust wird eng. Ich ringe nach der angenehm warmen Sommerluft. Weil Chester direkt vor mir steht. Ich habe ihn nicht kommen hören. Habe auch nicht mit ihm gerechnet. Plötzlich ist er da. Fassungslos betrachte ich seine insgeheim flehend herbeigesehnte Gestalt. Der junge Mann hat sich seit der Gruppentherapie, als ich ihn das letzte Mal sah, überhaupt nicht verändert. „Darf ich mich zu dir setzen?” fragt er mit einer Liebenswürdigkeit, die nicht von dieser Welt zu sein scheint. Er lächelt verhalten. Wartet schüchtern auf meine Antwort. Ich nicke stumm. Weil meine Stimme gerade nicht funktioniert. Sein zauberhaftes Lächeln wird heller, weil meine Zustimmung ihn freut. Er ist erleichtert. Neugierig. Wie ich. Chester bewegt sich langsam auf mich zu. Es sind höchstens drei Schritte bis zu mir. Schon sitzt er auf der gleichen Parkbank wie ich. Und schaut mich mit seinen tiefgründigen, braunen Augen an. Der Mann dreht sich ein bisschen zu mir, sodass sein Knie schon fast meinen Oberschenkel berührt. Ich registriere das und sehne mich wie verrückt danach. Sehne mich nach seiner Berührung. Chester richtet seine Konzentration ausschließlich auf mich. Er studiert mein Gesicht so aufmerksam, als wolle er unbedingt sicherstellen, dass ihm auch nicht die kleinste meiner Regungen entgeht. „Hallo du! Ich bin Chester”, flüstert er fast, „Wie heißt du denn?” Er lächelt mich erwartungsvoll an, sodass ich vollkommen dahinschmelze. Seine einnehmende Freundlichkeit schlägt mich automatisch in ihren Bann. Er paralysiert mich. Obwohl seine Worte keinen Sinn ergeben. Weil wir den Namen des anderen längst kennen. Als ich nicht sofort antworte, weil ich sicher bin, dass ich gerade keinen Ton von mir geben kann, wird Chester schnell ungeduldig. Der junge Mann bewegt sich und fängt nervös damit an, unruhig auf der Bank herumzurutschen. Er krallt seine Hände an die Kante der Parkbank und schaukelt mit dem Oberkörper vor und zurück. Offenbar kann er nicht stillsitzen. Sein Blick liegt freundlich auf mir. Gleichzeitig zurückhaltend und forschend. Chester scheint verunsichert zu sein. Aber auch höchst interessiert. Seine schönen Augen mustern mich prüfend. Er schätzt meine derzeitige Verfassung ab. Der Mann ist sich nicht sicher, wie ich jetzt zu ihm stehe. Er hat keine Ahnung, wie ich auf seinen scheuen Annäherungsversuch reagieren werde. Weil ich ihn vorhin in der Gruppentherapie so unfreundlich angeschnauzt habe. Ich habe wiederholt von ihm verlangt, dass er mich in Ruhe lassen soll. Das hat ihn wohl mehr eingeschüchtert, als mir bewusst war. Darum ist der neue Patient jetzt spürbar nervös. Aber sicher nicht so nervös wie ich. Mir ist nicht klar, was er mit dieser erneuten Vorstellung bezwecken will. Ich verstehe seine Absicht nicht. Und ich kann nicht fassen, dass ausgerechnet Chester mich gefunden hat. Dass er tatsächlich hier neben mir sitzt. 

Falls ich überhaupt einen Lieblingsplatz in diesem rundherum hermetisch abgeriegelten Park der Psychiatrie habe, dann ist es zweifellos dieser hier. Die Bank, auf der wir sitzen, steht schön versteckt im hintersten Winkel der Grünanlage. Man kann sie auf den ersten Blick nicht sehen, selbst wenn man unten auf dem Weg an ihr vorbeigeht. Sie steht sehr nah am Baum, hinter den langen Zweigen einer Trauerweide verborgen, die bis auf den Boden reichen. Zusätzlich erschweren ein paar Sträucher die Sicht. Ich habe sie schon recht früh für mich entdeckt. Als ich zum zweiten oder dritten Mal allein in den Park gehen durfte. Auf der instinktiven Suche nach einem Versteck habe ich diesen Platz gefunden. Hier halte ich mich von allen Orten draußen am liebsten auf. Und bisher hat mich auch noch nie jemand hier gefunden. Ich bin noch nie von jemandem gestört worden, wenn ich auf dieser Bank saß. Bis Chester plötzlich auftauchte. Obwohl ich deswegen jeden Moment ohnmächtig werde, freue ich mich doch in Wahrheit wie irre, ihn nach der vollkommen misslungenen Therapiestunde so schnell wiederzusehen. Damit habe ich nicht gerechnet. Total deprimiert war ich davon ausgegangen, dass Chester enorm wütend auf mich ist. Dass er die Schnauze voll von mir hat und nichts mehr mit mir zu tun haben will. Das hätte ich ihm nicht verdenken können. Ich hätte es wirklich verstanden. Immerhin habe ich ihn vor allen Leuten zornig angeschrien. Und ihn schon mehrmals heftig von mir weggestoßen. Aber Chester wirkt kein bisschen sauer auf mich. Das begreife ich nicht. Ich kapiere auch nicht, warum er sich mir schon wieder vorgestellt hat. Er wartet noch immer auf meine Antwort, darum muss ich jetzt langsam mal etwas sagen. Nervös räuspere ich mich. Mein Hals ist trocken. „Ich kenne deinen Namen, Chester”, seufze ich verständnislos, „Und du weißt längst, dass ich Mike heiße.” Eigentlich wollte ich ihm meinen Namen gar nicht verraten. Aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, damit eine lebenswichtige Barriere zwischen uns einzureißen. Wenn er meinen Namen weiß, dann ist er mir viel näher, dachte ich völlig konfus. Das hat mir Angst gemacht. Weil ich glaube, dass Chester gefährlich und unberechenbar ist. Der neue Patient kriegt plötzlich grundlose Wutanfälle und hat dann kein Problem damit, mich anzugreifen. Das hat er mir beim Frühstück recht eindrucksvoll demonstriert. Ich habe das panische Gefühl, ihn nicht so nah an mich heranlassen zu dürfen. Aber scheiß Pfleger Ulli hat mich auf dem Klo sofort mit Namen angesprochen. Und schon wusste der fremde Mann, wie ich heiße. Auf Dauer hätte ich das wohl ohnehin nicht verhindern können.

Chester nickt kaum merklich. Abschätzend betrachtet er mich. „Ja, du wusstest meinen Namen. Du hast ihn sofort gewusst. Obwohl ich ihn dir noch gar nicht gesagt hatte”, bemerkt er nachdenklich. „Woher wusstest du ihn?” will er dann plötzlich misstrauisch wissen. Ich grinse irgendwie blöde. Mein Herz schlägt zu schnell. Das Atmen fällt mir schwer. „Ähm... dieser Polizist hat dich angesprochen... Auf dem Flur... Weißt du noch?” erkläre ich ihm stockend. Chester zieht die Augenbrauen zusammen, weil er angestrengt versucht, sich an diese Situation zu erinnern. Es war die Nacht, die alles für mich geändert hat. Die Nacht, in der Chester zum ersten Mal für mich gesungen hat. Bestimmt war er betrunken, darum fällt ihm die Erinnerung nicht leicht. Endlich scheint ihm ein Licht aufzugehen, denn seine Miene klärt sich. „Und inzwischen hast du deinen Namen schon tausendmal gesagt”, necke ich Chester und stupse ihn leicht gegen den Oberarm. Im nächsten Moment kann ich es nicht glauben, dass ich ihn tatsächlich angefasst habe. Hastig, erschrocken ziehe ich meine Hand wieder ein. Aber Chester scheint meine Berührung kaum zu registrieren. Er erinnert sich an die Gruppentherapie und fängt an zu grinsen. „Ja... ich hab's echt übertrieben...”, kichert er verlegen, „Ich hab die in den Wahnsinn getrieben.” Eigentlich möchte ich nicht über die Gruppentherapie sprechen. Das war keine schöne Episode. Ich weiß nicht, warum mich Chesters Beistand so wütend gemacht hat. Ich konnte es nicht ertragen, als alle mich plötzlich anstarrten. Ausweichend schaue ich in eine andere Richtung. Eine Weile ist es ganz still. Ich weiß nicht, was ich jetzt tun oder sagen soll. Chester ist unruhig, bewegt sich neben mir auf der harten Bank hin und her. Sein Zappeln macht mich nervös.

Schließlich höre ich seine ruhige, zaghafte Stimme. „Irgendwie ist das blöd gelaufen, Mike... ich...” Er bricht ab, seufzt tief und holt Luft. „Vielleicht können wir nochmal von vorne anfangen”, schlägt er ganz leise vor. Verblüfft schaue ich ihn an. Seine dunklen Augen blinzeln aufgeregt hinter den Brillengläsern. „Was meinst du denn dazu?” fragt er zögerlich. Chester ist verunsichert. Er weiß nicht, wie ich auf seinen Vorschlag reagieren werde. Der Mann fürchtet wahrhaftig, dass ich ihn nochmal von mir wegstoße. Oder wieder zornig anschnauze. Das schmilzt mir fast mein Herz. Weil er so liebenswürdig ist, dass ich ihn am liebsten sofort in den Arm nehmen möchte. Ich will Chester an mich drücken. Ich will ihn auf der Stelle küssen und mit meinen Fingern über seine nackte Haut streicheln. Ich sehne mich nach seinem verlockenden Körper. Seiner Zunge in meinem Mund. Ich möchte jeden Zentimeter von ihm in mich aufnehmen. Der Gedanke daran lässt meinen Herzschlag abrupt in die Höhe schnellen. Nervös ändere ich meine Sitzposition. Meine Brust schnürt sich zu. Mein Hals ist trocken. „Okay... dann... tun wir das doch...”, krächze ich hilflos. In diesem Moment würde ich wohl alles tun, was er von mir verlangt. Ein erleichtertes Lächeln erscheint auf Chesters Gesicht, was mich sofort paralysiert. Chesters Lächeln ist unbestreitbar magisch. Es lässt sein ganzes, wunderbar zartes Gesicht erstrahlen. Seine braunen Augen hinter den Gläsern leuchten auf. Das fühlt sich an, als würde plötzlich in der Finsternis die Sonne aufgehen. Chester freut sich unübersehbar. Weil ich seinem seltsamen Vorschlag zugestimmt habe. Mein Herz überschlägt sich fast. Ich bin nicht sicher, ob ich nicht jeden Moment das Bewusstsein verliere. Ratlos sitze ich neben ihm und kann nicht damit aufhören, ihn anzusehen. Er ist wunderschön, denke ich immer wieder, er ist so verdammt wunderschön. Als wäre es ein Mantra. Ich möchte ihn anfassen, schreit alles in mir. Aber ich rühre mich nicht. Weil ich vollends damit beschäftigt bin, nicht nicht in Ohnmacht zu fallen.

Als ich vor ein paar Stunden, direkt nach meiner überstürzten Flucht aus der Gruppentherapie, in meinem Zimmer war und zum ersten Mal das Gefühl hatte, in diesem Raum würde mir die Decke auf den Kopf fallen, hat völlig überraschend mein Psychologe an meine Tür geklopft. Das hat der bisher noch nie gemacht. Noch nie hat er mich in meinem Zimmer aufgesucht. Sonst haben wir uns jedes Mal in seinem Behandlungsraum getroffen. Ausschließlich zu festgelegten Zeiten. Zahlreiche Stunden Einzelgesprächstherapie bei Doktor Brad Doyle liegen mittlerweile hinter mir. Aber bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich eigentlich noch nie etwas zu ihm gesagt. Bei unseren regelmäßigen Sitzungen hatte ich nie wirklich mit ihm geredet. Jedenfalls über nichts von Belang. Bisher kam nie etwas zur Sprache, was mir wichtig war. Mike Shinoda war niemals ehrlich zu seinem Psychologen. Obwohl er es zweifellos hartnäckig versucht hat, hatte Brad es bislang nicht geschafft, hinter meine sorgfältig errichtete Schutzmauer zu blicken. Weil ich das nicht zulassen wollte. Weil ich bei unseren Treffen jedes Mal nur darauf gewartet habe, dass die Stunde mit Brad endlich vorbei geht. Weil mir eigentlich alles egal war.

Aber vorhin, als Doktor Doyle völlig unerwartet in meinem Zimmer auftauchte, da hat der Psychologe mich in einem verflucht verletzlichen Moment erwischt. Bis zu dieser Situation hatte ich mich in meinem Raum eigentlich immer am wohlsten gefühlt. Dort hatte ich meine Ruhe. In der deprimierenden Welt der geschlossenen Psychiatrie ist mein Zimmer bisher mein Zufluchtsort gewesen. Aber an diesem Vormittag war alles anders. Meine Flucht aus der Therapie und die Begegnungen mit Chester hatten mich extrem aufgewühlt. Ich war so verwirrt, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Die vertrauten vier Wände schienen plötzlich entschieden zu klein und beengt für meine mächtigen Gedanken und neuen Gefühle zu sein. Ich war dermaßen nervös, dass ich wie aufgescheucht in meinen vier Quadratmetern herumgetigert bin. So etwas hatte ich vorher noch nie gemacht. Mein panisch aufgescheuchter Körper lief autonom vom Fenster zum Bett zum Schrank zum Sessel zum Tisch zum Fenster. Und immer wieder von vorn. All diese Ereignisse stürmten plötzlich auf mich ein, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Die Bilder verursachten in meinem Gehirn ein wahres Feuerwerk aus Emotionen. Meine Erlebnisse mit dem neuen Patienten. Unsere bislang erst drei Begegnungen. Der Mann Chester, der so verdammt viel in mir auslöste, dass ich auf einmal das Gefühl bekam, alleine damit nicht mehr klarzukommen. Vorhin in meinem Zimmer fürchtete ich ernsthaft, jeden Moment komplett den Verstand zu verlieren. Und genau in dieser Situation klopfte Doktor Brad Doyle an meine Tür.

Mann, ich hasse dieses Geräusch! Wenn jemand an die Tür klopft. Es bedeutet, dass ich gestört werde. Dass jemand etwas von mir will. Normalerweise gefällt mir das überhaupt nicht. Aber in diesem Augenblick, in meiner extrem aufgewühlten und verwirrten Verfassung, erschien mein Psychologe mir plötzlich die einzige Chance für mich zu sein, heil aus meinem bedrohlichen, förmlich alles verschlingenden Gefühlschaos wieder herauszufinden. Auf einmal stand Brad vor mir. Ich erinnerte mich nicht, ihn hereingebeten zu haben. Geschockt stoppte ich mein sinnloses Herumlaufen und schaute ihn verwirrt an. Er lächelte höchst zufrieden. Das verwirrte mich noch mehr. Selbstverständlich hatte mein persönlicher Psychologe schon längst von den Vorfällen im Frühstücksraum und bei der Gruppentherapie gehört. Das verdammte Personal petzt ihm ja schon seit meinem ersten Tag hier alles, was mit mir zusammenhängt. Und dann passierte etwas, mit dem ich niemals gerechnet hatte. Doktor Brad Doyle beglückwünschte mich zu meiner Flucht aus der Gruppentherapie. Mein Psychologe strahlte mich begeistert an. Das steigerte meine Verwirrung enorm. Denn ich hatte erwartet und befürchtet, dass der Studierte deswegen stinksauer auf mich wäre. War er aber gar nicht. Ich hatte fest mit seinen Vorwürfen gerechnet. Stattdessen freute Doktor Doyle sich nur über meinen riesengroßen Fortschritt, wie er es nannte. Weil ich zum ersten Mal, seit ich hier bin, einen Wunsch geäußert hatte, meinte er. Ich hatte der Psychotherapeutin Evelyn mitgeteilt, was ich wollte, nämlich die Therapiestunde verlassen. So etwas hatte ich bisher noch nie getan. Und damit hat Brad zweifellos recht. Es ist etwas absolut Unglaubliches mit mir passiert. Chester hat dafür gesorgt, dass ich Wünsche äußere. Dass ich überhaupt Wünsche habe. Nach ellenlanger Zeit ohne die geringsten Interessen. Nach Ewigkeiten ohne irgendwelche Gefühlsregungen. 

Als mir das richtig bewusst wurde, konnte ich plötzlich nicht mehr anders, als dem Psychologen die Wahrheit zu sagen. Auf einmal saß ich neben ihm auf meiner Bettkante. Obwohl es in der Psychiatrie streng verboten ist, sich während des Tages auf dem Bett aufzuhalten. Dafür gibt es ja schließlich den Sessel in jedem Zimmer. Man darf sich nicht aufs Bett setzen. Aber in dieser Situation spielte das keine Rolle. Denn die lange aufgestauten Wörter sprudelten nur so aus mir heraus. Ganz tief aus meiner Seele. Fast wie von allein. Weil ich meine Gedanken und Gefühle nicht länger in mir verbergen konnte. Sie waren einfach viel zu gewaltig für mich allein geworden. Ohne es richtig zu realisieren, erzählte ich meinem Psychologen tatsächlich von Chester. Natürlich tat ich das. Ich musste ihm einfach von Chester erzählen. Weil der neue Patient schon zu lange all mein Denken ausfüllte. Seit er unerwartet in meinem Leben aufgetaucht war, war nichts mehr wie zuvor. Und ich berichtete dem Doktor wahrhaftig alles. Angefangen mit dem Moment mitten in der Nacht, als ich zum ersten Mal draußen auf dem Flur diese Stimme hörte. Dabei versuchte ich genau zu beschreiben, was Chesters Gesang in mir ausgelöst hat. Es war nicht leicht, die Sekunde darzulegen, als nach so langer Zeit plötzlich etwas meine Seele berührte. Wie überraschend und beängstigend das für mich war. Doch der Psychologe nickte zufrieden, als würde er mich verstehen. Das gab mir Mut. Also berichtete ich ausführlich von der für mich schockierenden Begegnung mit dem Fremden beim Frühstück. Von Chesters völlig unverständlicher Aggressivität. Seinem tätlichen Angriff auf mich mit seinem vollen Tablett. Zu meiner Verblüffung fand mein Psychologe es großartig, dass ich Pfleger Patrick angelogen hatte, um Chester in Schutz zu nehmen. Weil mir zum ersten Mal, seit ich hier bin, etwas wichtig genug war, um dafür zu lügen. Das wäre ein großer Fortschritt für mich, meinte Brad, eine erfreuliche Veränderung. 

Von dieser Seite hatte ich all die verwirrenden Ereignisse bisher noch nie betrachtet. Es war ein bisschen so, als würden mir die Augen geöffnet. Naja. Und je länger ich mit dem Doktor sprach, umso besser ging es mir. Das fühlte sich an, als würde ich einen Teil meiner Last auf ihn abwälzen. Das war irgendwie befreiend. Keine Ahnung warum. Ich erzählte von meiner Begegnung mit Chester auf der Herrentoilette. Wo ich beinahe durchdrehte, weil der Typ mich Sweetie nannte, mich in den Hintern kniff und seinen Arm um mich schlang. Offensichtlich hat der Unbekannte, im Gegensatz zu mir, keinerlei Berührungsängste. Schließlich endete ich mit der Gruppentherapie, als Chester mir helfen wollte und ich ihn dafür zornig angeschnauzt hatte. Mike Shinoda sprach zum ersten Mal in seinem Leben mit einem Psychologen über sein durcheinandergeratenes Innenleben. Und ließ dabei kein einziges peinliches Detail weg. Es tat mir erstaunlich gut, mit Brad Doyle über den neuen Patienten zu sprechen. Über meine neuartigen Gefühle für den fremden Mann. Über die widersinnige Panik, die diese nie gekannte Begierde in mir auslöst. Nein, ich verschwieg wahrhaftig gar nichts. Eine weitere, absolute Premiere für mich. Doktor Doyle hörte mir die ganze Zeit sehr genau zu. Und er schien überaus zufrieden mit mir zu sein. Das alles wäre ein riesiger Fortschritt für mich, hat er noch öfter betont. Mein Psychologe riet mir, dass ich auf jeden Fall meinem Herzen folgen soll. Auch wenn sich das irgendwie bescheuert anhört. Als würde mein Leben sich plötzlich in eine Seifenoper verwandeln. Als Doktor Doyle es zu mir sagte, fand ich es sogar so lustig, dass ich plötzlich lauthals lachen musste. Mike Shinoda soll seinem Herzen folgen?! Wie lächerlich ist das denn?! Und verdammt: Ich lachte tatsächlich! Ich wurde von einem Lachen überrascht, was das erste seit ewigen Zeiten für mich war. Definitiv war es das erste Lachen an diesem Ort. Es fühlte sich total fremd an. Ungewohnt vibrierend. Aber auch gut. Doktor Doyle stimmte in mein Lachen ein. Und so lachten wir eine Weile richtig vergnügt miteinander. Er meinte, dass ich das tun soll, was mich glücklich macht. Und all so was. Psychologe halt. Ich habe längst nicht alles verstanden, was Brad mir gesagt hat. Aber sein Zuspruch hat mich eigenartig beruhigt. Nach diesem Gespräch ging es mir seltsamerweise viel besser. Das ist mir noch nie passiert. Noch nie ging es mir nach einem Treffen mit dem studierten Mann besser. Diesmal schon. Und jetzt möchte ich mutig sein. All das versuchen, was er mir vorgeschlagen hat. Ich will mich auf Chester einlassen. Weil er gut für mich ist. Weil er mich weiterbringt. Auch das hat Doktor Doyle mir mehrmals versichert. Und ich will dem Fachmann das jetzt einfach mal glauben.

Ich frage mich, ob es vielleicht Brad war, der den neuen Patienten zu mir geschickt hat. Vielleicht kennt Doktor Doyle meinen Lieblingsplatz im Park längst. Womöglich hat mein Psychologe Chester verraten, wo er mich finden kann. Weil mein Arzt jetzt alles von meinen neuen Gefühlen weiß. Und weil er offenbar dringend will, dass ich mich mit dem fremden Typen anfreunde, der diese positiven Veränderungen in mir ausgelöst hat. Mit Chester anfreunden. Oder viel mehr. Denn insgeheim will ich doch noch so viel mehr. Zweifellos bin ich unglaublich scharf auf diesen Mann. Zum ersten Mal in meinem Leben begehre ich einen anderen Mann. Obwohl ich mir das echt nicht erklären kann. Und ich keine Ahnung habe, wie der Kerl darauf reagieren würde, wenn er von meinem seltsamen Begehren etwas wüsste. Verunsichert frage ich mich, ob Chester überhaupt schwul ist. Ob ich vielleicht schwul bin. Was das für mich bedeuten würde, wenn es so wäre. Ich will wissen, ob ich eine Chance bei dem rätselhaften Mann habe. Oder ob ich lediglich total verrückt geworden bin. Ich weiß es wirklich nicht.

Im Moment sitzt Chester jedenfalls wahrhaftig neben mir auf der Bank. Noch immer kann ich das kaum fassen. Ich habe zugestimmt, dass wir noch einmal ganz von vorne anfangen. Ich will das gerne tun. Von vorne anfangen. Eine zweite Chance bekommen. Diesmal alles richtig machen. Und nicht wieder wütend ausrasten. Ich möchte Chester dringend kennenlernen. „Ich bin Chester”, wiederholt er sichtbar vergnügt, „Und wie heißt du?” Seine einzigartige Stimme vibriert angenehm in meinen Eingeweiden. Seine Augen zwinkern auf eine so charmante Art, dass ich davon beinahe erschlagen werde. Er ist unfassbar wunderschön, wenn er so fröhlich ist, stelle ich absolut gefesselt fest. Sein Glück strahlt förmlich aus jeder seiner Poren. Im Moment würde wohl niemand auf die Idee kommen, dass dieser Mann seine Aggressionen nicht im Griff hat. Dass er ohne ersichtlichen Grund plötzlich Wutanfälle kriegt. Aber daran will ich jetzt nicht denken. Ich muss mich räuspern, weil meine Kehle noch immer zugeschnürt ist. Mein Herz schlägt viel zu schnell. Meine Brust ist eng. Womöglich falle ich tatsächlich gleich ins Koma. „Mein Name ist Mike. Also... eigentlich Michael”, teile ich ihm nervös mit. Meine Finger zittern total blöde, darum klemme ich sie kurzerhand unter meine Oberschenkel. Chester beobachtet mich konzentriert. Ihm entgeht nicht die kleinste meiner Regungen. Das steigert meine unsinnige Nervosität. Ich fühle mich von dem Mann genauestens beobachtet. Er studiert mich. Obwohl er gleichzeitig unruhig herum schaukelt und noch immer nicht stillsitzen kann. Grinsend zeigt er mir seine schneeweißen, ebenmäßigen Zähne. Er ist wirklich belustigt. „Und wie weiter?” will er neugierig wissen. „Shinoda... Mike Shinoda...”, krächze ich wirklich erbärmlich. Ich könnte mich in den Hintern treten. Weil ich es zulasse, dass dieser fremde Kerl mich dermaßen erschüttert. Mich aufwühlt und irgendwie geil macht, bis ich glaube, jeden Moment durchzudrehen. Das tut Chester mit mir. Auch wenn ihm das offensichtlich gar nicht bewusst ist. Aber ich bin absolut fasziniert von diesem Menschen. Und ich bin total machtlos dagegen. Der Typ killt mich einfach. Allein durch seine direkte Anwesenheit. Allein dadurch, dass er so nah neben mir auf der Bank sitzt, dass ich ihn kinderleicht berühren könnte. Und alles in mir sehnt sich wie bekloppt danach, ihn anzufassen. Ich möchte meine Hand ausstrecken und zärtlich durch seine Dreadlocks fahren. Ich möchte sein hübsches Gesicht streicheln. Ich möchte ihm zeigen, wie verflucht glücklich er mich macht. Obwohl ich vor Nervosität beinahe sterbe, so fühle ich mich dennoch glücklich. Chester macht mich glücklich. Definitiv.

Jetzt zieht der süße Kerl verblüfft die Augenbrauen zusammen. Einen Moment verharrt er so. Schaut mich an, als könnte er nicht glauben, was ich gerade gesagt habe. Gleich darauf entspannt sich sein Gesicht wieder. Lächelnd lehnt er sich auf der Bank zurück und streckt seine langen Beine weit aus. Er verschränkt die Arme vor der Brust und betrachtet mich mit gestiegener Aufmerksamkeit. Falls das überhaupt noch möglich ist. Dass sein Interesse an mir noch größer wird. Weil ja seine ganze Konzentration schon auf mir liegt, seit er plötzlich hier aufgetaucht ist. „Shinoda”, flüstert Chester liebevoll, „Shi-no-da.” Irritiert fixiere ich ihn. Mit seiner seltsamen Reaktion auf meinen Nachnamen kann ich nichts anfangen. Er lächelt und holt Luft. „Wow, Mike!” entfährt es ihm beeindruckt. „Shinoda! Das hört sich ja mal geil an! Das ist... total interessant!” Seine warme Stimme geht mir echt tief rein. Ich spüre diese einzigartigen Harmonien deutlich in meinem Körper. Sie vibrieren angenehm, bis in meine Kapillaren. Daran kann ich mich bestimmt niemals satthören. Chester richtet sich auf, zieht die langen Beine an und stellt seine blauen Chucks nebeneinander auf den Boden. Er löst die Arme von seiner Brust und legt die Hände auf seine Oberschenkel. Gleich darauf stemmt er sich auf der Sitzfläche der Bank hoch und hebt seinen ganzen Körper sekundenlang an. Im nächsten Moment sitzt er wieder. Lehnt sich weit zurück. Seine Hände reiben sich aneinander. Lösen sich. Die Finger streichen nervös über die Arme. Er überkreuzt seine Beine unter der Bank. Streckt sie wieder aus. Stellt sie nebeneinander. Dann liegen die Hände auf seinen Knien. Reiben nachdenklich über seinen Bauch. Sein Oberkörper schaukelt erneut vor und zurück. Hin und her. Und immer so weiter. Extrem nervös rutscht der Mann auf der Bank herum, während er mich unentwegt im Auge behält. Offenbar weiß er nicht wohin mit seinen langen Armen und Beinen. Chester ist richtig aufgeregt. Gerührt betrachte ich ihn. „Mann, Mike, das ist echt außergewöhnlich. Das hab ich noch nie gehört”, sprudelt es aus ihm heraus. Seine Augen leuchten hingerissen. Unwillkürlich frage ich mich, wie Chester wohl reagiert hätte, wenn ich einen Allerweltsnamen hätte. So wie Smith oder Baker oder so. Ob er dann auch so begeistert gewesen wäre. „Ich wusste gleich, dass du etwas Besonderes bist!” behauptet er allen Ernstes und mustert mich zufrieden, „Du bist etwas ganz Besonders, Mike. Ich habe das sofort gemerkt. Schon letzte Nacht. Auf diesem Flur. Als du mir zugehört hast.” Seine braunen Augen verschlingen mich beinahe vor Ehrfurcht. Fasziniert betrachte ich meinen Sitznachbar. Obwohl mir klar ist, dass Chester sich gerade ziemlich albern und kindisch verhält, so fühle ich mich dennoch geschmeichelt. Seine Fröhlichkeit ist enorm ansteckend. Das habe ich schon mal mit ihm erlebt. In diesem Vorraum der Herrentoilette. Und besonders während der Gruppentherapie. Manchmal will Chester albern sein. Er will mich zum Lachen bringen. Ich vermute, dass er damit die angespannte Stimmung zwischen uns auflockern will. Und das funktioniert hervorragend, muss ich zugeben. Aber ich glaube auch, dass er mit der überdrehten Albernheit hauptsächlich seine eigene Nervosität überspielt. Dieser Wesenszug macht ihn mir unglaublich sympathisch.

Plötzlich wendet er seinen Körper so schwungvoll zu mir, dass sein Knie gegen meinen Oberschenkel stößt und dann dort bleibt. Sofort fokussiert sich mein Empfinden auf diese Berührung. Und ich drehe beinahe durch, weil ich nicht genug davon kriegen kann. Chester konzentriert sich ganz auf mein Gesicht. Betrachtet es ausführlich. Jeden Zentimeter. Und ich kann mich nicht mehr bewegen, weil ich unwillkürlich komplett erstarrt bin. Und dann tut der fremde Mann etwas, was meinen Herzschlag blitzartig zum Erliegen bringt. „Sieh dir doch dieses Gesicht an”, schwärmt Chester. Langsam hebt er seine Hand und streckt den Zeigefinger aus. Ganz sanft streicht er über meine rechte Augenbraue. „Sieh dir diese Brauen an. So dunkel und dicht.” Chester berührt auch meine linke Augenbraue auf die gleiche Art. Sanft streicht sein Finger einmal über die ganze Länge. Obwohl er mich eigentlich kaum berührt, so fühle ich ihn doch sehr intensiv. Die Berührung fährt mich unwillkürlich durch den ganzen Körper. Scheint sich zielstrebig in meinem Unterleib anzusammeln. Das macht mich unglaublich nervös. Unruhig drücke ich die Knie zusammen. „Ach quatsch...”, bringe ich mühsam hervor. Eigentlich möchte ich mich wegdrehen. Mich ihm irgendwie entziehen. Aber ich kann mich nicht bewegen. Weil alles in mir nach noch mehr von ihm lechzt. Viel mehr Berührungen. „Und diese Nase. Sieh doch, Mike! Die ist einmalig”, meint Chester zärtlich. Sein Finger streichelt zart über meine Nase, während er sie sich genau ansieht. Dann bewegt er den Finger nach unten über meine Oberlippe. „Und diese vollen Lippen... so rot... einfach fantastisch...”, flüstert der Mann lächelnd. Chester fährt ganz sanft über meine Lippen. Einmal über die empfindliche Haut. Fast ohne mich zu berühren. Und killt mich damit total. Amüsiert lächelt er mich an. Die dunklen Augen hinter den Brillengläsern glitzern vergnügt. Plötzlich bin ich mir nicht sicher, ob er sich nicht gerade über mich lustig macht. „Quatsch...”, krächze ich nochmal, „...hör doch auf.” Seine sanfte Zärtlichkeit tötet mich. Ich kann das nicht länger ertragen, ohne ihn gierig an mich zu ziehen. Der Gedanke schockiert mich. 

Instinktiv zuckt mein Gesicht vor ihm zurück. Gleichzeitig bedauere ich es unendlich, als Chester seine Hand sofort sinken lässt. Sein Körper fängt wieder an, unruhig auf der harten Bank herum zu schaukeln. Chester ist unvermindert nervös. „Doch, Mikey, ehrlich! Ich wusste gleich, dass du besonders bist. Schon als ich dich das erste Mal gesehen habe”, betont er freundlich, „Ich habe es in deinem Gesicht gesehen. Das ist total außergewöhnlich.” Nachdenklich kneift er die Augen zusammen und fragt: „Was ist das? Shinoda. Ist das japanisch?” Der fremde Mann hat auf Anhieb richtig geraten. Und obwohl das im Grunde nicht sehr schwierig ist, so bin ich dennoch beeindruckt. Seine irgendwie kindliche Begeisterung für meinen Namen rührt mich. Chester ist voller Leidenschaft, stelle ich mit einem extrem warmen Gefühl im Bauch fest, als ich ihn schmunzelnd beobachte. Er kann sich offenbar für die seltsamsten Dinge total begeistern, denke ich fasziniert. „Ja stimmt... mein... Vater ist japanischer Herkunft”, gebe ich lächelnd zu. Chester reißt verdutzt die Augen auf. „Echt? Aus Japan? Geil!” meint er allen Ernstes. Der Kerl schaut mich an, als hätte ich eine imponierende Leistung erbracht. Als wäre es mein Verdienst, einen japanischstämmigen Vater zu haben. Das amüsiert mich so sehr, dass ich ein nervöses Lachen ausstoße. Chesters unerwartet zärtliche Berührung vorhin hat mich ziemlich durcheinandergebracht. Ich muss mich mit irgendwas ablenken. Also kichere ich. Wie ein Mädchen. Chester grinst zustimmend. Mein Lachen gefällt ihm. Zweifellos ist es sein Verdienst. Er hat es beabsichtigt. „Und deine Mutter?” fragt er mich wissbegierig aus, was mir seltsamerweise gar nichts ausmacht. „Meine Mutter hat europäische Wurzeln”, verrate ich ihm gutmütig. „Also bist du eine richtig geile Mischung, Mike Shinoda!” stellt Chester fest und mustert mich zufrieden. Es schmeichelt mir, wie er mich betrachtet. Als würde ich ihm tatsächlich gefallen. Der Gedanke lässt meinen Blutdruck steigen. Nervös schaue ich in eine andere Richtung. Eigentlich müsste ich ihn jetzt nach seinem Familiennamen und seinen Eltern fragen. Ich möchte dringend mehr über ihn erfahren. Aber ich kriege gerade mal wieder keinen Ton heraus. Mein Hals ist zu eng. Ich habe noch immer das Gefühl, als würde ich jeden Moment ohnmächtig zusammenbrechen. Langsam geht mir das auf den Geist. Ich wünschte, ich könnte so unbefangen an diese Situation herangehen, wie Chester es tut. Könnte meine Nervosität einfach mit Albernheiten überspielen, so wie er. Aber mir fällt nichts ein. Kein einziger Witz. Gar nichts. Mein Kopf ist unverändert leer. Ein gefühlsbeduseltes Vakuum.

Eine Weile ist es ganz still. Ich konzentriere mich darauf, tief ein und aus zu atmen. Ich kann Chester dicht neben mir spüren. Er sitzt jetzt endlich ruhiger, hampelt nicht mehr so entsetzlich auf der Bank herum. Noch immer hat er sich zu mir gedreht, sodass sein Knie gegen meinen Oberschenkel stößt. Das macht mich ganz kirre. Instinktiv rutsche ich ein wenig von ihm weg, als ich die Berührung plötzlich nicht länger ertrage. Chester seufzt tief und dreht sich wieder gerade. Sofort habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich das Gefühl habe, ihn jetzt womöglich mit meinem Wegrücken gekränkt zu haben. „Und wie ist dein Nachname?” frage ich ihn hastig, um meinen Fehler wieder auszubügeln. Vorsichtig schaue ich zu ihm hin. Er hat sich zurückgelehnt und starrt unzufrieden geradeaus. Seine Beine hat er jetzt wieder lang ausgestreckt. „Bennington”, seufzt er gelangweilt. „Europäisch?” rate ich auf gut Glück. Er nickt flüchtig und schaut mich zögernd an. „Das hat mir gefallen, Mike”, eröffnet er mir plötzlich, ohne jeglichen Zusammenhang. Der Satz verwirrt mich, weil ich nicht weiß, was er damit sagen will. „Was meinst du?” frage ich irritiert nach. Ich habe den Eindruck, dass Chester nicht gerne über seine Familie sprechen möchte. Darum hat er sofort das Thema gewechselt. Er richtet sich wieder auf und schaut mich vielsagend an. „In der Nacht. Auf dem Flur. Als du mir zugehört hast. Das hat mir richtig gut gefallen”, erklärt er ruhig. Mein Herzschlag beschleunigt sich auf der Stelle. Entsetzt spüre ich, dass ich wahrscheinlich rot werde. Mir wird jedenfalls ganz heiß im Gesicht. „Ähm... ja... du hast wirklich schön gesungen, Chester”, erwähne ich hilflos. In Wirklichkeit hat sein Gesang mich mannigfach überwältigt. Aber das kann ich ihm jetzt unmöglich sagen. Er würde mich für verrückt erklären. Chester lächelt geschmeichelt. In seinen brauen Augen erscheint ein warmer Glanz, als er mich eingehend betrachtet. „Ich mag das, Mike. Wenn man mir beim Singen zuhört. Davon kriege ich den größten Ständer”, gibt er einfach so zu. Provozierend grient er mich an. Automatisch reiße ich die Augen auf. Verblüfft blase ich Luft aus. Und Chester grinst zufrieden, weil er mich mit seiner pubertären Aussage tatsächlich schockieren konnte. „Was?” frage ich perplex. Automatisch wandert mein Blick auf seinen Schoß, bevor ich mich bremsen kann. Als ich es merke, schaue ich hastig wieder in sein Gesicht. Er lacht spöttisch. „Das ist wahr!” behauptet er grinsend, „Das törnt mich total an.” „Singst du noch was für mich?” frage ich ihn schneller, als mein Gehirn es analysieren kann. Dann beiße ich mir erschrocken auf die Lippen. Chesters Lächeln wird noch strahlender. „Jetzt?” fragt er erstaunt. Ich nicke heftig. „Ja, bitte... ich... mag es total, wenn du singst...”, eröffne ich ihm leise. Es verblüfft mich, dass dieses Geständnis mir gar nicht so schwergefallen ist, wie ich erwartet hatte. In Wahrheit sehne ich mich doch schon lange nach seinem Gesang. Schon seit dieser Nacht auf dem Flur. Ich möchte Chester dringend nochmal singen hören. 

Und zu meinem unendlichen Genuss erfüllt er mir diesen Wunsch tatsächlich. Der Mann freut sich. Es gefällt ihm, dass ich ihn gebeten habe zu singen. Chester singt gerne für andere, glaube ich festzustellen. Es törnt ihn tatsächlich an. Er hat mich nicht angelogen. Womöglich kriegt er davon wirklich einen Ständer. Die vage Vorstellung davon erregt mich enorm. Hastig konzentriere ich mich darauf, ihm zuzuhören. Ihn anzusehen. Ich kann mich nicht sattsehen an ihm. Der fremde Mann setzt sich nervös auf der Bank zurecht und überlegt einen Moment. Dann holt er plötzlich Luft und fängt an zu singen. Augenblicklich hänge ich gebannt an seinen Lippen. Ich kann meinen Blick nicht mehr von ihm nehmen. Meine Ohren und meine Seele jauchzen beinahe vor Wonne. So gut hört es sich an, wenn Chester singt. Obwohl er ganz leise anfängt: „People come around. People let you down. Anywhere you go. Anywhere you see. It's real. It's up to you to make it happen. It's up to you to make it real.” Gott, seine Stimme dringt schon wieder automatisch bis in mein Innerstes vor. Ich bin vollkommen machtlos dagegen. Und auch wenn ich die Wörter eigentlich gar nicht so schnell kapiere, so scheinen sie doch aus mir selbst zu stammen. Als würde Chester meine eigenen Gedanken aussprechen. Als würde er tatsächlich verstehen, wie ich mich fühle. Das ist magisch. Und ich kann es nicht wirklich beschreiben. Ich fühle es nur. Augenblicklich. Und ich bin restlos gebannt von ihm. Wir schauen uns unentwegt an. Seine Augen werden ein bisschen traurig, als er singt. Sein Gesicht sieht fast gequält aus. Ich habe den faszinierenden Eindruck, als würde Chester mir gerade seine Seele öffnen. Er breitet sie hemmungslos vor mir aus, damit ich damit machen kann, was immer ich gerade will. Chester liefert sich meinem Urteil aus. Meiner Bewertung. Er verbirgt einfach gar nichts mehr vor mir. Seine Offenheit erschlägt mich nahezu. „And you know how it feels. To bleed some. To need some”, singt er mit einer berührenden Intensität, die mit Sicherheit einmalig ist. „And you know how it feels. To bleed some. To need some”, wiederholt Chester flehend. Als würde er gleich anfangen zu weinen. Das ist echt, was er da singt. Er tut nicht nur so. Er singt nicht nur irgendein Lied. Das ist alles wirklich in ihm und kommt durch den Gesang heraus. Er fühlt ganz genau, was er singt. Das fasziniert mich dermaßen, wie ich es noch nie erlebt habe. Völlig starr sitze ich neben ihm. Ich kann mich nicht bewegen. Unverwandt sehen wir uns an. Seine Augen werden dunkler. Seine Stimme wird lauter. Er hat überhaupt keine Schwierigkeiten damit, auch die höchsten Töne zu halten. Seine Stimme weint. Sie schreit um Hilfe. Ich spüre den Schmerz seiner Lyrics am eigenen Leib. Fast möchte ich meine Arme ausbreiten, ihn an mich drücken und ihn trösten. Gleich darauf wird er wieder leise, flüstert fast. „Tell me what you know. Tell me what you feel. It doesn't matter when you're down. And when you look at me with your eyes. That smile on your face seems happy. Are you happy?” Der letzte Satz hallt in meinem Kopf nach. Berührt mich extrem. Konfus versuche ich, damit klarzukommen. Das ist nicht nur irgendein Lied. Chester meint schon wieder mich persönlich. Er fragt mich wahrhaftig, ob ich glücklich bin. Seine Frage sticht unvorbereitet tief in meine Seele hinein. Mein Hals schnürt sich zu. Tränen stürzen mir in die Augen, weil ich so gerührt und total machtlos dagegen bin. Chester fragt mich, ob ich glücklich bin? Wie kann er das wissen? Wie kann er auch nur ahnen, wie glücklich er mich in diesem Moment macht? Und das ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr glücklich war. Das ich kaum noch wusste, wie sich so etwas überhaupt anfühlt. Das kapiere ich nicht. Ich weiß nicht, was mit mir passiert. Chester überwältigt mich auf eine Art, die ich nicht kenne. 

Schockiert schluchze ich auf und wische mir hastig mit den Fingern über die feuchten Augen. Fuck, ich kann doch jetzt nicht anfangen zu heulen. Das ist total peinlich. Ich bin nicht so jämmerlich. Ich bin kein Mädchen. Was soll er denn von mir denken? Verdammt, ich drehe noch durch! Das geht mir alles so tief rein, dass ich total überwältigt bin. Chester lächelt hinter seiner Traurigkeit. Meine viel zu emotionale Reaktion entgeht ihm nicht. Er holt Luft und wiederholt seinen Refrain in nie gehörter Laustärke. „And you know how it feels. To bleed some. To need some”, schreit er mit einer Wut, die kaum zu begreifen ist. Er wiederholt es nochmal. Danach verstummt er abrupt. Ich schluchze wie ein Weichei. Hastig wische ich mir die Tränen aus den Augen und versuche beschämt, mich schnellstmöglich zusammenzureißen. Einige Zeit ist es ganz still. Nur ein paar Vögel zwitschern. Ich fürchte, der ganze Park hat Chesters letzte Sätze gehört. Er hat so laut geschrien, dass einfach alle ihn gehört haben müssen. Die ganze Welt womöglich. Das kann doch niemandem entgangen sein. Nervös schaue ich mich um. In der Erwartung, dass von überall her Leute angelaufen kommen, um dem Wohlgesang, diesem unglaublichen Zorn auf den Grund zu gehen. Aber nichts passiert. Niemand kommt. Chester und ich sitzen weiterhin allein auf dieser versteckten Parkbank. Er ist jetzt überraschend ruhig und schaut mich nur abschätzend an. Ich glaube, dass er von meinen Tränen gerührt ist. Das Heulen ist mir entsetzlich peinlich. Andererseits hat Chester mir gerade ohne Zweifel seine Seele offenbart. Und darum ist es vielleicht gar nicht so schlimm, dass ich zum Heulen gerührt bin.

„Das war wunderschön”, krächze ich hilflos, als ich das Schweigen nicht länger ertrage. Gleich darauf wird mir klar, wie erbärmlich das klingt. Wie entsetzlich anbiedernd. Aber ich meine es ehrlich. Und zum Glück scheint der Mann das zu verstehen. Chester lächelt schlicht zum Anbeten. „Danke schön, Mike”, erwidert er artig. „Wie heißt der Song? Ist der von dir?” frage ich überwältigt. Chester nickt. „Er heißt The Down Syndrome. Ich habe ihn erst vor ein paar Wochen geschrieben”, erzählt er mir gutmütig. „Das ist fantastisch”, schwärme ich, wie ein verliebter Teenager. Ich habe echt keine Ahnung, was mit mir los ist. Ich fürchte, dass der Typ mich bald für völlig durchgeknallt hält. Aber Chester lächelt warm. Dann hebt er plötzlich den Arm und berührt mit seinem ausgestreckten Finger mein Gesicht. Verdammt, er wischt eine meiner Tränen weg oder so was. Augenblicklich bin ich paralysiert. Schon wieder. Seine Berührung ist so liebevoll, dass ich am liebsten laut schreien möchte. Oder gierig über ihn herfallen. „Schön, wenn es dir gefällt”, flüstert Chester sanft. „Mann, das gefällt mir nicht nur!” stöhne ich spontan hilflos, bevor ich darüber nachdenken kann, „Das macht mich echt fertig!” Chester zieht die Augenbrauen zusammen und guckt mich verwirrt an. „Fuck, das tut mir leid...”, erwidert er irritiert. Bestürzt registriere ich, dass er mich total falsch versteht. Hastig schüttele ich den Kopf und hebe ratlos die Arme. „Nein, nein, das...” Konfus hole ich Luft. „Ich meine auf eine gute Art. Es macht mich auf eine gute Art fertig, Chester.” Ich habe echt keine Ahnung, wie ich mich ausdrücken soll. Wie ich meine unvorstellbaren Emotionen in verständliche Worte packen soll. Er lacht belustigt und beobachtet mich interessiert. „Geht das auch?” will er neckend wissen, „Auf gute Art fertiggemacht werden?” Eifrig nicke ich. Mir fallen die richtigen Wörter nicht ein, um meine Gefühle bei seinem Gesang zu beschreiben.

„Du fährst darauf ab, was?” stellt Chester auf einmal spöttisch fest und grinst breit. Völlig unerwartet fängt er damit an, mich zu knuffen. „Du fährst echt drauf ab, Mikey! Wenn ich für dich singe! Das gefällt dir! Du wirst total hart davon! Gib es zu!” ruft der Kerl albern und knufft mich immer weiter. Er schlägt mich leicht gegen die Arme. In den Bauch. Gegen die Brust. Immer wieder. Er ist schnell. Es ist irgendwie unangenehm, tut aber nicht wirklich weh. Ich winde mich von ihm weg. Und kreische wahrhaftig wie ein Mädchen, ohne es verhindern zu können. Hilflos wehre ich ihn ab, ohne großen Erfolg damit zu haben. Er ist zu schnell und verarscht mich. Auf einmal muss ich lauthals lachen. Echt überraschend. Und verdammt, das fühlt sich verflucht gut an. Endlich scheint sich die nervöse Anspannung zwischen uns zu legen. Meine Nervosität verflüchtigt sich. Durch Chesters Albernheiten wird alles leichter. Meine Tränen versiegen. Meine Rührung verwandelt sich unbemerkt in eine unbekannte Fröhlichkeit. Das passiert, weil Chester sich plötzlich übermütig auf mich stürzt. Weil ich davon überrumpelt werde und nur intuitiv auf ihn reagieren kann. „Hör auf, Chester!” rufe ich kichernd. Ich wehre ihn ab, beschwere mich halbherzig, aber er hört nicht auf, meinen Körper zu knuffen. An allen möglichen Stellen. Seine geschickten Finger fangen an, mich zu kitzeln. Dabei ist er blitzschnell, sodass ich ihn kaum abwehren kann. Chester drängt sich mit seinem ganzen Körper gegen mich. „Du wirst geil davon! Meine Stimme geilt dich auf, Mike! Du wirst hart, wenn ich singe! Du kannst nicht genug davon kriegen! Das törnt dich total an! Gib es zu! Gib es zu!” verlangt er albern und drängt mich dabei auf der Bank nach hinten. Zögernd hört er mit dem Kitzeln auf. Erschöpft schnappe ich nach Luft.

Im nächsten Moment packt er meine Handgelenke und wirft mich nahezu um. Dagegen bin ich völlig machtlos. Ich weiß gar nicht so schnell, wie mir geschieht, da liegt der verrückt gewordene Typ schon auf mir drauf. Richtig auf mir drauf. Ich spüre sein Gewicht sehr viel deutlicher, als mir lieb sein kann. Plötzlich kann ich seinen ganzen, wohlgeformten Körper fühlen. Chester ist gar nicht allzu schwer. Das wundert mich nicht, weil er ja so schlank ist. Aber der Mann fühlt sich gut an. Sogar sehr viel besser, als ich begreifen kann. Auf einmal liege ich mit dem Rücken auf der harten Holzbank. Und Chester Bennington ist wahrhaftig direkt über mir. Er stützt sich mit dem Ellenbogen neben mir ab und schaut grinsend auf mich herunter. „Du genießt es, was? Das macht dich richtig scharf, wenn ich singe! Nicht wahr, Mikey?” kann er es einfach nicht sein lassen. Der Kerl kriegt sich nicht mehr ein. Das hier macht ihm sichtbar Spaß. Verlegen schaue ich zu ihm auf. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Er liegt auf mir und ich habe keine Ahnung, wie ich darauf reagieren soll. Das ist so schnell gegangen, dass ich mich in keinster Weise darauf vorbereiten konnte. Chester hat mich besiegt. Mit einer Leichtigkeit, die mich völlig verdutzt. Unsere recht kindische Balgerei hat mein Gegner gewonnen. Ich habe eindeutig gegen ihn verloren. Darum liege ich jetzt unter ihm. Kein Mann verliert gerne einen Kampf. Eigentlich müsste ich deswegen stinksauer sein. Bin ich aber gar nicht. Chester ist plötzlich so verdammt nah über mir. Ich kann sein Herz hinter seinen Rippen hämmern spüren. Fühle seine kräftigen Atemzüge. Sein Brustkorb hebt und senkt sich spürbar. Wir ringen beide eine Weile nach Luft, weil wir uns angestrengt haben. Und ich habe lediglich das Gefühl, jeden Moment endgültig mein Bewusstsein zu verlieren. 

Weil ich davon total fasziniert bin. Weil ich nicht genug von diesem Kerl kriegen kann. Weil ich ihn sofort umarmen und an mich drücken will. Weil ich mich am liebsten zu ihm hochrecken und ihn auf den Mund küssen möchte. Das verwirrt mich total. Es kann sein, dass ich jeden Moment unter ihm wegsterbe. Das ist doch ausgeschlossen, denke ich matt, Chester kann doch unmöglich auf mir drauf liegen. Gerade saß er doch noch neben mir auf dieser Bank. Wie ist es nur dazu gekommen? Wie um alles in der Welt hat er das nur gemacht? Womöglich kann der Mensch zaubern oder so was. Ich bin heilfroh, dass Chester mich nicht länger knufft oder kitzelt. Er guckt mich eindeutig liebevoll an. Ich glaube, in seinen Augen so etwas wie Zuneigung zu erkennen. Zweifellos interessiert er sich brennend für mich. Das kann ich gar nicht richtig verarbeiten. „Du kannst es ruhig zugeben, Mikey”, meint er, noch immer vollkommen von sich selbst überzeugt, und blinzelt mich hinter den Brillengläsern verschmitzt an, „Gib doch zu, dass du von meiner Stimme einen Ständer kriegst.” Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Mein Puls will sich gar nicht mehr beruhigen, weil Chester mir auf einmal so nah ist. Weil ich sein Gewicht auf mir spüre. Weil ich nicht kapieren kann, was hier plötzlich zwischen uns passiert. „Ja, das ist toll, wenn du singt, Chaz”, erwidere ich schneller, als mein Gehirn sich einschalten kann, „Ich werde davon total gefesselt. Deine Stimme ist fantastisch. Du bist... was ganz Besonderes.” Ich kann nicht glauben, wie ehrlich ich zu ihm bin. Erschrocken starre ich ihn an. Er grinst geschmeichelt auf mich herunter. „Kriegst du einen Ständer davon?” fragt er schon wieder, als wäre er von dieser Vorstellung besessen. Dabei kann er doch im Moment ziemlich gut spüren, dass ich keine Erektion habe. Obwohl es sich, je länger er auf mir liegt, zunehmend so anfühlt, als würde ich womöglich jeden Augenblick eine kriegen. Chesters Körper auf mir macht mich zweifellos geil. Als mir das richtig bewusst wird, gerate ich abrupt in Panik. Nervös drücke ich die Oberschenkel zusammen. Chester grinst atemlos und presst sich gezielt gegen mich. Dabei registriere ich überdeutlich seine weichen Geschlechtsorgane an meinem Unterleib. Erst jetzt kapiere ich schlagartig, dass ich wahrhaftig seinen Schwanz an meiner Leiste fühlen kann. Er drückt ihn gegen mich und seufzt ganz leise. Verdammt, dieses Gefühl, allein die Gewissheit macht mich ganz kirre. Schon spüre ich einen heißen Schauer meine Wirbelsäule hinabkriechen. Mein Schwanz reagiert ein bisschen. Ich darf jetzt keinen Ständer kriegen, denke ich absolut panisch, das wäre einfach nur total peinlich. Chester würde das sofort spüren. Weil er so dicht auf mir liegt, dass ihm das nicht entgehen würde. Plötzlich hebt Chester seine Hand und streichelt mir sanft über den Kopf. Er schaut mich aufmerksam an, betrachtet ausführlich mein Gesicht, während er zart mit seinen Fingern durch mein gestyltes Haar fährt. „Ich mag dich, Mike Shinoda. Du bist auch besonders”, flüstert Chester zärtlich. Und ich drehe schlagartig total durch, weil er mich in diesem Moment mit seiner enormen Liebenswürdigkeit noch viel mehr aufgeilt. Weil ich ihn so deutlich spüren kann, dass ich schlicht verrückt werde. Weil ich mich schäme, weil er es sofort merken wird, falls ich hart werde.

„Geh runter!” verlange ich hastig und viel zu ruppig, als ich das Gefühl bekomme, mich nicht mehr viel länger beherrschen zu können. Panisch stemme ich mich gegen seine Brust und will ihn eilig von mir herunter schieben. Chester scheint zu meinem Erstaunen nicht gekränkt zu sein. Obwohl ich ihn schon wieder so böse angeblafft habe. Aber er lächelt nur amüsiert vor sich hin. Zu meiner Erleichterung erhebt er sich sofort. Vorsichtig klettert er von mir herunter und setzt sich wieder zurück, artig neben mich auf die Bank. Er zupft und streicht seine Kleidung zurecht, die ohnehin ziemlich zerknittert aussieht. Verlegen richte ich mich auf, rücke verstohlen ein Stückchen von ihm weg. Seine Nähe killt mich. Ich bin so verwirrt, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Eigentlich ist es schade, denke ich deprimiert, was zur Hölle ist nur mit mir los? Ich bin so ein jämmerlicher Feigling. In Wahrheit will ich ihn doch über mir spüren. Noch sehr viel intensiver. Chester hat sich so verdammt gut angefühlt. Er ist zärtlich zu mir. Aber irgendwie geht mir das zu schnell. Und auch ein bisschen zu weit. Immerhin kenne ich diesen Menschen nicht. Ich habe gerade mal seinen Namen erfahren. Viel mehr weiß ich nicht über ihn. Außerdem befinden wir uns in einem verdammten Psychiatrie-Park, wo jederzeit jemand vorbeikommen und uns sehen kann. Na gut, unsere Bank steht ziemlich versteckt, das muss ich zugeben. Aber trotzdem. Wie würde es wohl aussehen, wenn mich jemand in dieser Lage überrascht, in der ein anderer Mann auf mir drauf liegt. Verdammt, ich will ihn spüren, denke ich konfus, ich möchte ihm sofort die Kleider vom Leib reißen. Ich will ihm das blaue Hemd und das Unterhemd ausziehen. Warum nur habe ich von ihm verlangt, dass er von mir runtergehen soll? Warum habe ich nicht einfach die Gelegenheit genutzt und ihn geküsst? Schon wieder könnte ich mich selbst in den Hintern treten. Ich hätte Chester gierig an mich drücken sollen. Ich hätte ihn endlich küssen sollen. Das will ich doch schon die ganze Zeit mehr als alles andere. Stattdessen habe ich den armen Kerl ein weiteres Mal unfreundlich weggejagt. Das ist doch totale Scheiße! Ich bin so ein verdammter Idiot! Was stimmt nicht mit mir? Meine Gedanken überschlagen sich schon wieder. Ratlos sitze ich dort und weiß nicht mehr weiter.

„Das war schön”, murmelt Chester schüchtern. Alles krampft sich in mir zusammen, als ich langsam meinen Kopf zu ihm drehe. Ich glaube irgendwie, mich verhört zu haben. Alarmiert schaue ich ihn an. Der seltsame Mann sitzt friedlich neben mir und betrachtet interessiert seine Chucks an seinen lang ausgestreckten Füßen. Er hat sich auf der Bank weit zurückgelehnt. Mir wird ganz warm, als ich ihn gerührt betrachte. Er ist wunderschön, denke ich ein weiteres Mal fasziniert, er kann unmöglich von dieser Welt sein. „Ähm... ja... das war es...”, stimme ich leise zu und kann es gleichzeitig nicht fassen. Chester lächelt und wirft mir einen süßen, scheuen Blick zu. „Ich mag dich, Mike”, wiederholt er sanft, „Ich finde dich wirklich geil.” Verlegen wendet er sich ab und schaut wieder auf seine Schuhe, die er nervös hin und her schaukelt. Ich starre ihn nur an und kann kaum damit klarkommen, was er gerade gesagt hat. Fuck, denke ich erschlagen, er mag mich wahrhaftig! Chester findet mich sogar geil. Warum hat er ausgerechnet dieses Wort benutzt? Was genau meint er denn nur damit? Das macht mich total verrückt. Ich weiß gar nicht, wie ich reagieren soll. Mein Kopf ist schlagartig leer. Weil alles Blut mir abrupt in den Unterleib zu sacken scheint. Und verdammt, das fühlt sich richtig geil an. Unwillkürlich verlangt es mich nach mehr. „Ich mag dich auch, Chester Bennington”, krächze ich völlig hilflos. Dieser seltene und ungewohnte Name fühlt sich auf meiner Zunge erstaunlich wohl. Mein Hals schnürt sich zu, als Chester sich langsam aufrichtet. Er zieht die langen Beine heran und dreht sich zögernd zu mir. Stößt mit seinem Knie wieder an meinen Oberschenkel. Er lächelt einnehmend auf seine unglaublich charmante Art. Die mich augenblicklich in die Knie zwingen würde, wenn ich nicht schon sitzen würde. Wie in Zeitlupe registriere ich, dass sein Gesicht sich meinem nähert. Meine Wahrnehmung verschwimmt. Fokussiert sich autonom auf diesen Mann. Meine Ohren fangen an zu rauschen. Mir wird schwindelig. Es kann sein, dass die Zeit plötzlich stehenbleibt. Mein Herz tut das zweifellos. Für einige Sekunden. Chester lächelt schüchtern und kommt noch näher. Er spitzt seine schmalen Lippen. Gott im Himmel, er wird mich küssen, denke ich total paralysiert, schockiert, als ich auch schon spüre, wie Chester das tatsächlich tut. Mich küsst. Seine Lippen berühren wahrhaftig meine. Ganz zart. Kaum spürbar. Er streift mich höchstens. Vielleicht fünf Sekunden lang. Danach zieht er sich wieder zurück und sieht mich unsicher an. Seine Augen forschen nach meiner Reaktion. Er ist sich nicht sicher, ob ich mit dieser körperlichen, eindeutigen Annäherung einverstanden bin. Chester hat sichtbar große Angst, sich von mir eine weitere, wütende Abfuhr einzuhandeln. Und seine Angst ist nicht ganz unbegründet, so abweisend, wie ich mich ihm gegenüber verhalten habe. Aber verflucht nochmal, nichts auf der Welt liegt mir ferner. Jetzt nicht mehr. Nicht in diesem Augenblick. Ganz im Gegenteil. Ich verzehre mich förmlich nach seinen Lippen. Nach dem ganzen fremden Mann. Schon entschieden zu lange.

Darum kann ich gar nicht mehr anders, als ihn in seiner schüchternen Rückwärtsbewegung zu stoppen. Das geschieht, ohne dass ich darüber nachdenke. Instinktiv. Überstürzt hebe ich meinen Arm und umfasse hastig seinen runden Hinterkopf. Meine Finger tauchen in seine langen Haare und packen den harten Schädel. Seine Dreadlocks fühlen sich schön weich an, als ich Chester am Kopf zu mir hinziehe. Heftig drücke ich meine Lippen auf seine, weil ich mich schlicht nicht länger beherrschen kann. Es überkommt mich wellenförmig. Blitzartig. Mein Begehren explodiert förmlich in mir. Schaltet autonom meinen Verstand aus. Innerhalb von vielleicht drei Sekunden verwandele ich mich in einen Mann, der nur noch mit dem Schwanz denken kann. Dabei bin ich normalerweise gar nicht so. So ein Verhalten passt kein bisschen zu mir. Und dennoch passiert es. Dennoch tue ich es. Ich mache es einfach. Impulsiv. Skrupellos. Gierig presse ich mich gegen meinen heiß begehrten Menschen. Will ihn leidenschaftlich küssen. Sofort. Aber Mist, seine Brille ist total im Weg! Das schwarze Gestell verrutscht auf seiner Nase. Das Plastik bewegt sich hart zwischen unseren Visagen, weil ich mich so heftig gegen Chesters Gesicht dränge. „Wow, Mike, warte mal...”, kichert Chester überrascht, aber auch hörbar angetörnt. Extrem widerwillig muss ich ihn nochmal loslassen. Er greift hoch und nimmt seine Brille ab. Äußerst geschickt klappt er mit nur einer Hand die Bügel zu. Offenbar hat er so etwas schon öfter gemacht. Seine Brille ist ihm höchst vertraut. Dann steckt er das Teil oben in die Brusttasche seines Hemdes. 

Ungeduldig greife ich sofort wieder nach ihm. Chester wehrt sich nicht. Er lässt es willig zu, dass ich ihn an seinem Hinterkopf gepackt erneut gegen mich drücke, ihm mit meinem Gesicht gierig entgegen dränge. Meine Lippen formen sich ganz von allein. Können es nicht länger erwarten. Haben schon viel zu lange auf diesen Augenblick gewartet. Diese Gelegenheit. Und dann küssen wir uns tatsächlich. Endlich. Endlich. Gott im verdammten scheiß Himmel! Mike Shinoda küsst Chester Bennington. Meine Zunge drängt völlig ausgehungert zwischen seine schmalen Lippen, die er sofort folgsam für mich öffnet. Ein zufriedenes, erleichtertes Seufzen entringt sich meiner Kehle. Der fremde Mann schmeckt ein wenig nach Pfefferminze. Und nach Chester. Er schmeckt ungewohnt. Total neu. Das törnt mich ziemlich an. Als seine warme, nasse Zunge vorsichtig tastend die meine berührt, spüre ich überdeutlich, wie sich das Blut in meinem Schwanz zu stauen beginnt. Das passiert so unmittelbar, dass ich ehrlich davon überrascht werde. Ich kriege einen Ständer, als meine Zunge seine umkreist. Als ich unwillkürlich verschlingend an seiner Unterlippe sauge, bin ich so hart, wie ich es wohl noch nie in meinem Leben war. Jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern, jemals dermaßen steif gewesen zu sein. Womöglich weiß ich es einfach nicht mehr. Weil es so lange her ist. Weil das wahrhaftig schon so verdammt lange her ist, dass es sich jetzt wie eine Premiere anfühlt. Vollkommen verdutzt stöhne ich viel zu laut auf. Stoße ein seltsames Knurren aus. Klammere mich hilflos an Chester. Kann mich nicht länger beherrschen. Bin total überwältigt. Ich kann es nicht fassen, wie gut sich das anfühlt. Wie verfickt geil das ist. Wie ewig lange ich dieses Gefühl vermisst habe, ohne dass es mir auch nur vage bewusst war. Gott ja, ich bin auch ein sexueller Mensch! Was mir definitiv erst in dieser Sekunde klar wird.

Shit, spüre ich perplex, das wird verdammt eng! Unbehaglich muss ich mein Becken ein wenig vorstrecken. Irgendwie Erleichterung finden. Es geht einfach nicht anders. Ich ärgere mich, dass ich ausgerechnet heute meine engste Jeans angezogen habe. Mittlerweile ist mein harter Penis so verflucht stramm in die Hose gepresst, dass es beinahe schon wehtut. Am liebsten möchte ich sofort die Knöpfe öffnen, um die viel zu groß gewordene Erektion herauszulassen. Ich will dringend meine Geilheit befreien. Sie an der frischen Luft im warmen Windzug spüren. Ich verzehre mich danach, das Chester mir auf der Stelle einen geilen Blowjob gibt. Oder mir zumindest einen runterholt. Ich will mir selbst einen runterholen. Aber natürlich geht das jetzt auf gar keinen Fall. Schließlich sitze ich mit diesem fremden Mann zusammen auf einer Parkbank. Quasi in der Öffentlichkeit. Und ganz bestimmt werde ich ihn nicht darum bitten. Das wäre viel zu peinlich. Zu dreist. Eher würde ich mir wohl die Zunge abbeißen. Aber die ist gerade mit viel Schönerem beschäftigt. 

Zärtlich und doch leidenschaftlich küsse ich den unbekannten Kerl. Zum allerersten Mal. Einen Mann. Chester fühlt sich enorm gut an, bleibt aber auffallend zurückhaltend. Lässt mich machen. Reagiert mehr auf mich, als dass er selbst agiert. Trotzdem küsst er wirklich gut. Meine Finger streicheln durch seine wilden, weichen Dreadlocks an seinem Hinterkopf. Meine andere Hand tastet sich heimlich an mir herunter und rückt verstohlen meine Erektion in der engen Jeans zurecht. Ich habe keinen blassen Schimmer, wohin das noch führen wird. Wie ich das auf Dauer aushalten soll. Konfus zwinge ich mich, mich ausschließlich auf Chester zu konzentrieren. Mein Körper drängt sich zu heftig gegen ihn, bis die Rückenlehne der Bank uns seitlich ein wenig stabilisiert. Meine Hand rutscht an seinem Hinterkopf herunter und greift unter den Dreadlocks seinen Hals, um ihn ausgiebig zu streicheln. Seine Haut fühlt sich warm an, weich und irgendwie zart. Sie scheint empfindlich. Ich kann ganz kleine Härchen an seinem Nacken spüren. Ganz oben, an der Grenze seines Haaransatzes. Chester seufzt zustimmend. Das gibt mir sofort Mut. Schnell hebe ich die andere Hand und umschlinge seinen schlanken Körper, streiche über sein Hemd an seinem Rücken. Er fühlt sich dünn an, irgendwie knochig. Ich kann ganz genau seine Wirbelsäule entlangfahren. Spüre dabei deutlich jeden einzelnen Wirbel. Er ist tatsächlich noch viel dünner, als ich es mir vorgestellt habe. Da scheint kein einziges Gramm Fett an Chester zu sein. Ich möchte dringend seine nackte Haut fühlen. Kann den fremden Mann nicht deutlich genug spüren. Nehme jedes Gefühl seines Leibes gierig in mich auf. Seine Nähe törnt mich total an. Er riecht ein bisschen nach Schweiß. Und intensiv nach Chester. Ich mag seinen ungewohnten Geruch. Der ist absolut betörend für mich.

Unwillkürlich werde ich ungeduldig und tauche mit meiner Hand hinten an seinem Rücken unter sein blaues Hemd. Bestimmt viel zu heftig zupfe ich an seinem Unterhemd herum, um es hochzuziehen. Die weiße Baumwolle sträubt sich. Er hat sein Unterhemd fest in den Hosenbund gesteckt. Ich will ihm das weiche Hemd dringend aus der hellgrauen Chinohose zerren. Kann es nicht erwarten, seinen nackten Rücken zu erkunden. Die ganze Zeit küssen wir uns dabei. Meine Zunge spielt mit seiner, die feucht, warm und ein wenig hart ist. Gelenkig. Erfahren. Er bewegt seine Zunge geschickt. Wir umkreisen uns, ich necke ihn ein wenig. Dann lecke ich über seine Lippen, sauge gierig daran, um gleich darauf wieder mit der Zunge zwischen seine leicht geöffneten Zähne in ihn einzutauchen. Unbestreitbar kann Chester recht gut küssen. Er ist zärtlich zu mir. Aber der Mann bleibt unverändert scheu. Er ist entschieden zu vorsichtig. Als wäre er sich nicht sicher, was er tun darf und was nicht. Chester seufzt nochmal ganz leise in unseren Kuss hinein. Er hat zaghaft seine Arme um mich gelegt und streicht ein wenig hilflos mit seinen Händen über meinen Rücken. Der Mann ist sehr behutsam, als er über mein T-Shirt streichelt. Als wüsste er nicht recht, was er machen soll. 

Ist er etwa unerfahren? Ist das hier auch für ihn total ungewohnt? Durch den Stoff kann ich seine Berührung kaum spüren. Ich wünschte, er würde mich viel fester anfassen. Ich will von Chester berührt werden. Überall. Auf der nackten Haut. Er soll mich gezielt anfassen. Mir die Klamotten vom Leib reißen. Meinen Schwanz auspacken. Das kapiere ich nicht. Wie kann der Kerl nur so schüchtern bleiben, so zurückhaltend? Wo Mike Shinoda doch vor Geilheit fast schon durchdreht! Merkt er das denn nicht? Ist ihm nicht klar, was hier passiert? Hat das denn gar keine Auswirkungen auf ihn? Er hat doch behauptet, dass er mich geil findet. Warum wird er dann nicht geil? Womöglich steht Chester gar nicht auf Männer. Und seit wann tue ich das überhaupt? Nein, das stimmt so gar nicht. Ich stehe nicht auf Männer im Allgemeinen. Ich glaube nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich über Nacht plötzlich schwul geworden bin. Ich stehe nur auf Chester. Auf seinen schlanken Körper. Seine Stimme. Auf alles an ihm. Weil er etwas Besonders ist. Dass Chester ein Mann ist, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle, glaube ich. So ungefähr scheint es jedenfalls zu sein. Denke ich. Das ist völlig neu für mich. Es verwirrt mich extrem. Oder törnt es ihn vielleicht ab, dass ich einfach über ihn herfalle? Mag er es nicht, dass ich beinahe meine Beherrschung verliere? Mich kaum noch im Griff habe? Fuck, ich kann nicht anders! Meine mächtige Geilheit überflutet mich wellenförmig. Sammelt sich gezielt zwischen meinen Beinen. Als hätte ich unabsichtlich eine Schleuse geöffnet. Und kann sie jetzt nicht mehr schließen. Oder kontrollieren. Meine Gedanken rasen und sind gleichzeitig auf diese geile Sache hier fokussiert. Auf die alleinige Steigerung meiner Lust. Das passiert völlig unwillkürlich. Selbst wenn ich es wollte, könnte ich wohl kaum noch etwas dagegen tun. Ich handele instinktiv, uralten Naturgesetzen folgend. Shinoda ist seinen Trieben schutzlos ausgeliefert. Und ich hätte wirklich niemals geglaubt, dass mir so etwas mal passieren könnte. Denn definitiv ist es mir bisher noch nie passiert. Aber jetzt bin ich machtlos dagegen.

Endlich habe ich Chesters Unterhemd aus seiner Hose gerissen und streiche gierig über seine nackte Haut. Fest an seinem knochigen Rücken hinauf. Fühle alle seine Wirbel und an den Seiten seine Rippen. Seine Haut ist warm und weich. Er fühlt sich fantastisch an. Meine Fingerspitzen melden mir diese Empfindung und leiten sie sofort an meinen Penis weiter. Der noch härter zu werden scheint. Wenn das überhaupt noch möglich ist. Verblüfft stöhne ich auf. Ein heißer Schauer lässt meinen ganzen Körper ungesteuert erzittern. Meine Zunge taucht tief in Chesters warmen, feuchten Mund hinein. Am liebsten möchte ich ihn aufessen. Ihn ganz in mich aufsaugen. Stürmisch dränge ich mich gegen ihn und bekomme kaum mit, wie ich ihn heftig auf der Bank nach hinten drücke. Er wehrt sich nicht. Chester überlässt mir die ganze Führung. Bereitwillig sinkt er rückwärts. Ich falle über ihn her und liege halb auf ihm drauf, noch bevor ich es selbst richtig mitkriege. Ich presse meinen harten Unterleib gegen seinen Oberschenkel und stöhne hingerissen auf, weil sich das so extrem gut anfühlt. Ungeduldig zerre ich seine beiden Hemden weit hoch und küsse seine entblößte Brust. Er hat hellbraune, ziemlich kleine Brustwarzen. Dazwischen sind nur ein paar vereinzelte, dunkle Haare. Meine Hände streicheln gierig über seine erstaunlich helle Haut. Zärtlich fahre ich mit der Hand über seinen weichen Bauch. Dann nach oben und erfühle dabei jede einzelne Rippe seines Brustkorbs. 

Das sind instinktive Handlungen. Mittlerweile hat sich ein ungeheurer Druck in meinem Leib aufgebaut. Ich verspüre das dringende Bedürfnis nach Erleichterung. Mein ganzer Körper zittert vor Anspannung. Die Luft wird mir knapp, darum kann ich ihn unmöglich noch länger küssen, ohne zu ersticken. Stattdessen vergrabe ich mein Gesicht irgendwo an seiner Halsbeuge. Ich spüre, wie Chester wieder behutsam seine Arme um mich legt. Ehrfürchtig streichelt er meinen Rücken. Noch immer ist der Typ extrem vorsichtig und zurückhaltend. Er scheint nahezu unberührt. Das frustriert mich zunehmend. Ich verstehe das einfach nicht. Konfus schnappe ich nach Luft. Mein Herz hämmert zu schnell. Ich kann nicht kapieren, warum Chester trotz unserer körperlichen Zärtlichkeiten noch nicht mal eine Erektion bekommt. Bei mir ist das augenblicklich passiert, viel schneller und härter, als ich es jemals erlebt habe. Bei Chester dagegen tut sich offenbar gar nichts. Törne ich ihn denn gar nicht an? An meiner Leiste kann ich den Zustand seines Schwanzes sehr gut spüren. Die intime Stelle zwischen seinen Beinen ist unverändert weich.

„Fuck, Chester...”, keuche ich verwirrt an seiner Schulter, ohne ihn ansehen zu können. Meine eigene unübersehbare und auch für ihn gut fühlbare Geilheit wird mir peinlich. Es ist ziemlich niederschmetternd für mich, dass ich den Mann offensichtlich nicht sexuell erregen kann. Obwohl ich mir ehrlich Mühe gegeben habe. Irgendwie. Glaube ich. Chester nimmt sein zaghaftes Streicheln an meinem Rücken wieder auf. „Ist schon gut, Mike”, flüstert er sanft, während seine Hände über mein T-Shirt fahren. Ich kann mich nicht bremsen und presse wollüstig meinen Schwanz gegen ihn. Das fährt mir sofort ins Gehirn. Ich stöhne auf, ohne mich kontrollieren zu können. Fuck, das fühlt sich gut an! Das ist so verflucht geil, dass ich es kaum noch ertrage. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Mein angespannter Körper zuckt. Obwohl noch mehr Druck in meiner hautengen Jeans auch ein bisschen wehtut, muss ich mich noch einmal selbst an Chester stimulieren. Seltsamerweise törnt dieser beengte Schmerz mich sogar zusätzlich an. Ich habe das Gefühl, jeden Moment zu kommen. Das dauert nicht mehr sehr lange. Definitiv. Mein Kopf ist leer. Alles in mir konzentriert sich unwillkürlich auf die Steigerung meiner Lust. Auf das Erreichen des Höhepunkts. Auf das steife Organ zwischen meinen Beinen, was mir diese unbewusst lang vermisste Wohltat schenkt. Die Macht meiner Begierde verdrängt hartnäckig mein Gefühl der Peinlichkeit. Scheint stärker als jede Scham zu sein. Unruhig rutsche ich auf Chester herum, weil ich das einfach nicht mehr stoppen kann. Weil das intuitiv passiert. Mike Shinoda hat keine Gedanken mehr. In ihm ist nur noch Geilheit. Mein Gehirn wurde von meinem Körper unbemerkt fast vollends abgeschaltet. Komische Geräusche kommen aus meiner Kehle, als ich mich gezielt gegen den Mann presse. Sehr gezielt. Von allein werde ich rhythmisch. Ich fange tatsächlich an, ihn zu ficken. Während ich angezogen halbwegs auf ihm, sehr dicht an seiner Seite auf einer Parkbank liege. Mein Schwanz in meiner viel zu engen Jeans stößt wiederholt gegen sein Bein in seinen Chinohosen. Das ist im Grunde so lächerlich, dass ich eigentlich laut schreien will. Und fühlt sich so gut an, dass ich fast ohnmächtig werde. Oder jeden Moment komme. Ich komme jeden Moment. 

„Fuck... verdammt...”, stöhne ich fluchend in einer Mischung aus übermenschlicher Geilheit, Überwältigung und Panik. Die scheiß Bank ist total unangenehm. Die harten Holzstreben der Sitzfläche drücken sich in meine Seite, in mein Knie und in meinen Ellenbogen, den ich neben dem Mann aufgestützt habe. Ich habe keine Ahnung, wie ich in diese Lage gekommen bin. Mein Körper ist zwischen Chester und der Rücklehne der Parkbank eingeklemmt. Er ist noch immer reglos unter mir. Sein Atem geht irritierend ruhig. Sein rechtes Bein liegt ausgestreckt auf dem Holz, das andere ist angewinkelt. Sein linker Fuß steht vor der Bank auf dem Boden. Die Sitzfläche ist eigentlich zu schmal für uns beide. Wir liegen eng aneinander, halb aufeinander. Plötzlich registriere ich, dass Chester fast herunterfällt. Mein Körper hat ihn sehr nah an den Abgrund gedrängt. Darum muss er sich mit dem linken Fuß auf der Erde stabilisieren. Das spröde Holz der Parkbank ist für uns beide schmerzhaft hart und extrem unbequem. Außerdem befinden wir uns unverändert in diesem Psychiatrie-Park. Das alles drängt sich in mein benebeltes Bewusstsein und stört mich zunehmend. Trotz meiner sphärischen Geilheit kann ich unsere gegenwärtige Situation nicht länger ignorieren.

Ich hebe meinen Kopf, weil ich dringend in Chesters Gesicht gucken muss. Ich muss sofort wissen, was er von dieser seltsamen Sache hier denkt. Auf einmal fürchte ich, dass der fremde Mann mich womöglich für einen durchgedrehten Triebtäter hält. Dass er sauer auf mich ist, weil ich so kopflos und stürmisch über ihn hergefallen bin. Mein Herz hämmert mir in den Ohren und zerbricht dabei fast von Innen meinen Brustkorb. Meine Erektion sprengt inzwischen beinahe die Knöpfe meiner Jeans. Meine verspannten Muskeln zittern nervös. Ich schnappe verkrampft nach Luft. Mittlerweile kann ich meine sexuelle Erregung schon lange nicht mehr vor Chester geheim halten. Michael hat sich selbst überlistet. Der Idiot hat sich total reingeritten. Hat völlig gedankenlos seinen überraschend starken Trieben gehorcht. Ich habe mich Chester offen preisgegeben. Mich ihm förmlich aufgedrängt und ausgeliefert. Schlagartig wird mir meine momentane Lage sonnenklar. Und sie ist mir plötzlich ungeheuer peinlich. Denn ich kenne diesen Menschen unter mir schließlich kaum. Sein Name ist schon fast alles, was ich von ihm weiß. Ich habe einen vollkommen Fremden gefickt. Angezogen. Aber trotzdem. Am liebsten möchte ich im Erdboden versinken. Bestürzt spüre ich, wie mein Gesicht heiß und rot wird, als ich zögernd in Chesters Augen schaue. Voller Angst und Scham versuche ich, seine Stimmung zu erfassen. Seine momentane Meinung von mir. Von der Tatsache, dass ich ihn auf einer Parkbank sexuell motiviert angefallen habe. 

Aber zu meiner grenzenlosen Erleichterung sind Chesters Augen unverändert sanft. Das tiefgründige Dunkelbraun glänzt tröstend warm. Der Mann lächelt liebevoll. Langsam hebt er den Arm und streichelt behutsam über meine Wange. Krault mit den Fingern zärtlich meinen Bart. „Schon gut, Mike. Das ist okay...”, versichert er mir gelassen. Seine wohlklingende Stimme beruhigt mich. Und erregt mich gleichzeitig enorm. Es fühlt sich fantastisch an, wie er durch meinen Bart krault. Automatisch recke ich ihm mein Gesicht entgegen. Zweifellos brauche ich nicht mehr sehr lange, um ziemlich kräftig abzuspritzen. Daran hat sich gar nichts geändert. Das spüre ich viel deutlicher, als mir im Moment lieb ist. Jedoch wird mir gleichzeitig klar, dass ich es dennoch nicht tun kann. Jetzt nicht mehr. Das geht einfach nicht. Denn ich bin nicht so ein Mann. Mike Shinoda will kein triebgesteuertes Arschloch sein. Kein skrupelloses Sexmonster darstellen. Diese Rolle behagt mich nicht. Ich will Chester nicht auf diese Weise benutzen. Das bringe ich schlicht nicht fertig. Alles in mir sträubt sich heftig dagegen. Trotz meiner Geilheit. Und obwohl es mich ehrlich die allergrößte Kraftanstrengung kostet, stoppe ich meine abgehackt rhythmischen Bewegungen komplett. 

Langsam halte ich inne und verharre reglos auf ihm. Sammele mich. Konzentriere mich und atme tief durch. Lasse meinen Herzschlag sich minimal beruhigen. Zwinge mich dazu. Ich kann das. Obwohl ich dafür ohne Frage den letzten kleinen Rest meines freien Willens aktivieren muss. Aber ich kriege das hin. Denn ich bin kein Mensch, der andere zu seinem alleinigen Vergnügen benutzt. Mike Shinoda befriedigt sich nicht gedankenlos an fremden Körpern. So etwas kann ich gar nicht. Das widerstrebt mir total. Ich ertrage es nicht, dass Chester so gut wie nichts zu fühlen scheint. Zwar glaube ich ihm anzumerken, dass es ihm gefällt. Aber offensichtlich erregt es ihn nicht sonderlich. Irgendwas stimmt nicht. Etwas scheint ihn tierisch abzutörnen. Oder es lenkt ihn ab. Nur habe ich keinen blassen Schimmer davon, was genau das sein könnte. Dazu kenne ich ihn zu wenig. Dafür habe ich viel zu wenig Erfahrung mit anderen Männern. Genaugenommen gar keine. Vielleicht muss ich mir nur mehr Mühe geben, vermute ich verzweifelt, womöglich bin ich nicht zärtlich genug zu ihm. Zerknirscht muss ich vor mir selbst zugeben, dass ich zwischenzeitlich dermaßen auf meine eigene sexuelle Erregung fokussiert war, dass ich den Mann unter mir im Grunde kaum noch wahrgenommen habe. Ich habe mich rigoros allein an seinem Körper aufgegeilt. Aber ich habe kein bisschen auf seine Bedürfnisse geachtet. Voll mit schlechtem Gewissen deswegen, schaue ich Chester schuldbewusst an. Er erwidert meinen Blick, während seine schlanken Finger unverdrossen meinen Bart kraulen. 

„Gefällt dir das?” frage ich ihn verunsichert. Er lächelt gerührt. „Ja, Mike Shinoda. Das gefällt mir”, behauptet er leise und zieht seine Hand zu meinem Bedauern zurück. Chester legt seinen Arm neben sich und betrachtet mich lächelnd. Er ist unverändert interessiert. „Das ist schön mit dir”, erwähnt er sanft. Aber ich habe das unbestimmte Gefühl, dass er mich damit nur beruhigen will. Das macht mich verrückt. „Ist dir die Bank nicht viel zu hart?” will ich unglücklich wissen. Zu meiner Bestürzung stößt Chester verdutzt lachend Luft aus. Das kränkt mich total. Weil er mir damit das peinliche Gefühl gibt, etwas ausgesprochen Dummes gefragt zu haben. Weil ich verärgert vermute, dass er sich insgeheim über mich lustig macht. „Nein, Mike. An die scheiß Bank denke ich jetzt wirklich nicht. Die spüre ich nicht mal mehr”, erklärt der fremde Mann mir kichernd. Chesters zwei Hemden sind noch immer ziemlich weit an ihm herauf geschoben. Hemd und Unterhemd falten sich unordentlich, dicht über seinen Nippeln. Seine schwarze Brille ist halb aus der Hemdtasche gerutscht. Das habe ich vorhin gemacht. Ich habe ihm seine Kleidung ziemlich hastig und heftig heraufgezerrt, weil ich keine Geduld dazu hatte, ihm das blaue Hemd erst mühsam aufzuknöpfen. Er hat daran nichts geändert. Hat es einfach so gelassen. Sein erstaunlich heller Oberkörper liegt fast völlig frei. Die zarte Haut spannt sich über seinen Rippen. Ich schaue ihn mir an und streichle sanft seinen dünnen Bauch. Meine Finger liebkosen die empfindliche Stelle um seinen Bauchnabel. Sie ist ganz glatt. Ich liebe das Gefühl seiner nackten, warmen, weichen Haut an meinen Fingern. Da ist eine Spur aus wenigen, dunklen Haaren, die von seinem Nabel aus nach unten in seinem Hosenbund verschwindet. Das steigert meine eigene, höchstens auf Wartestellung geschaltete Erregung augenblicklich. Verwirrt seufze ich auf, als mich ein weiterer geiler Schauer erfasst. Mein Körper zittert schon wieder vor Anspannung. Ohne dass ich etwas dagegen tun kann. 

Chester behauptet, die harten Holzbohlen unter sich nicht mehr zu spüren. Aber ich weiß genau, dass er lügt. Dass er mich nur beruhigen will. Diese scheiß Parkbank ist definitiv zu hart. Die Sitzfläche ist viel zu schmal für uns beide. Der ganze Ort ist denkbar ungeeignet für unsere allerersten Zärtlichkeiten. Das bedauere ich unendlich. Ich weiß gar nicht mehr, wie wir überhaupt in diese Situation geraten sind. Nervös hebe ich den Kopf und schaue mich um. Auf einmal habe ich das beunruhigende Gefühl, dass uns jemand heimlich beobachtet. In diesen Bäumen und Sträuchern könnte sich jemand versteckt haben. Das nervt mich extrem. Alarmiert mich. Andererseits bin ich aber inzwischen selber schon viel zu aufgeheizt, um die Sache hier jetzt einfach so beenden zu können. Beim momentanen Grad meiner sexuellen Erregung kann ich diese Tätigkeit nicht plötzlich ergebnislos abbrechen. Das würde ich womöglich gar nicht überleben. Vorher würde ich unter Garantie platzen. Mein Schwanz würde wohl vor lauter Frustration einfach explodieren.

„Chester... ich weiß auch nicht... das tut mir leid...”, jammere ich verwirrt los, bevor ich mich bremsen kann. Entschuldigend küsse ich sein Gesicht. Seine harten Bartstoppeln piksen mich in die Lippen. Ich habe keinen blassen Schimmer, was ich jetzt tun soll. Wie ich aus dieser verfahrenen Lage wieder herauskommen soll. Wie ich mit meiner pochenden Erektion klarkommen soll, ohne mich baldmöglichst zu befriedigen. Chester runzelt erstaunt die Stirn und blickt mich unzufrieden an. „Was? Nein.... was meinst du denn?...”, fragt er irritiert. „Ich weiß auch nicht... alles eben...”, erwidere ich erschlagen. Ein gerührtes Lächeln erscheint auf seinem zartem Gesicht, was mich sofort fesselt. „Ach Mikey”, flüstert Chester in seiner unvergleichlichen Liebenswürdigkeit, „Mach dir keine Sorgen. Es ist doch alles in Ordnung.” Spontan beuge ich mich hinab zu ihm und küsse dankbar sein Gesicht. Seine stoppeligen Wangen. Seine fantastischen Augenbrauen, die Augenlider, die Nase. Chester kichert amüsiert. Schließlich treffen sich unsere Lippen. Automatisch versinken wir in einem weiteren, leidenschaftlichen Zungenkuss. Chester legt seine Arme um mich und streichelt meinen Nacken, was mir echt heiße Wellen durch den Körper jagt. Meine Hand tastet sich neugierig an ihm hinab. 

Ich kann jetzt nicht länger warten. Ich muss jetzt unbedingt irgendwas tun. Diese Sache hier vorantreiben. Irgendwie. Mein Drang ist übermenschlich. Meine Hand landet an Chesters Hosenbund, dann fährt sie zielstrebig weiter hinunter zu seinem Schritt. Je näher ich seinem Schwanz komme, um so mehr beschleunigt sich mein Herzschlag. Meine Brust wird enger. Mein Kuss wird noch stürmischer, als ich gezielt Chesters Geschlechtsorgane in seiner Chinohose ertaste. Sie sind unverändert weich. Seine fehlende Erektion frustriert mich. Ich kapiere das nach wie vor nicht. Aber ich kann jetzt seinen Penis fühlen. Unter dem Stoff. Und seine Eier. Chester keucht. Sein Unterleib zuckt ein wenig. Das nehme ich sofort als Bestätigung. Ungeduldig öffne ich den Knopf seiner Hose und zerre danach sofort den Reißverschluss herunter. „Wow... warte mal...”, meint Chester verblüfft in unseren Kuss hinein, als er meine Absichten erkennt. Ich bringe ihn mit meinen Lippen und meiner Zunge rigoros zum Schweigen. Meine Hand taucht unbeirrt in seinen Hosenschlitz und erfühlt nun schon viel deutlicher seinen Intimbereich. Kurz hebe ich den Kopf und schaue an dem Mann hinab. Er trägt einen schwarzen Slip. Es törnt mich wahnsinnig an, dass seine Hose jetzt offen ist. Der Anblick seiner Unterhose fährt mir unverzüglich in den Schwanz. Mein Körper macht sich schon wieder selbstständig und drückt meine Erektion fest gegen Chesters Oberschenkel. Hingerissen von diesem geilen Gefühl stöhne ich auf. Beuge mich wieder hinab und küsse ihn hitzig. Unruhig rutsche ich auf der Bank und auf Chester herum, als meine Hand gierig seinen Schwanz ertastet. Mit der Unterhose klappt das nicht so richtig, der Stoff ist im Weg. Trotzdem liebkose ich ihn so gut es geht. „Fuck... Mike... Moment...”, stöhnt Chester und windet sich. Meine Augen fallen halb zu, weil ich so überwältigt bin. Von Chester. Diesen Gefühlen. Meiner sexuellen Erregung. Meine Wahrnehmung verschwimmt ein weiteres Mal, als meine Hand ungeduldig Chesters Unterhose nach unten schiebt und dabei sein dichtes, krauses Schamhaar erfühlt. Ich will ihn ganz spüren. Ihn richtig in die Hand nehmen können. Meine Finger tauchen blind in seinen Slip und greifen zu. Das ungewohnte Gefühl und die Gewissheit, dass ich wahrhaftig Chester Benningtons Glied in meiner Hand halte, bringen mich fast um. Unverzüglich packe ich fest zu und fange damit an, stürmisch an ihm auf und ab zu fahren. Es ist nicht leicht, weil er recht klein und so weich ist. Noch nie hatte ich einen fremden Penis in meiner Hand. Deshalb mache ich es einfach so, wie ich es auch bei mir selbst schon praktiziert habe. Ich wichse ihn heftig, schnell und zielstrebig. Irgendeine höhere Macht zwingt mich dazu, diesen fremden Mann steif zu machen. Ich will, das er auf der Stelle eine verdammte Erektion kriegt. Will ihn dringend abspritzen sehen. Allein die Vorstellung davon geilt mich extrem auf. Jetzt bin ich höchstens noch Sekunden vom Höhepunkt entfernt. So fühlt es sich jedenfalls an. Und ich bin selbst am meisten überrumpelt davon, wie rasend schnell sich meine sexuelle Erregung steigern kann. Wie intensiv und allumfassend sie werden kann. Das habe ich noch nie erlebt. Noch nie in meinem ganzen Leben. „Nein... Mike... warte doch...”, protestiert Chester jetzt schon deutlicher. Er ächzt unbehaglich und windet sich unter mir. Überstürzt greift er nach meiner Hand an seinem Schwanz. Mit festem Griff um mein Handgelenk will er mich in meinem gezielten, überaus gierigen und ausschließlich triebgesteuerten Vorhaben aufhalten. Im ersten Moment will ich das nicht wahrhaben. Ich kann das nicht akzeptieren. Verstehe seine widersinnigen Skrupel nicht. Finde seine Weigerung total unfair. Kann sie nicht ertragen. Weil er mich so geil gemacht hat, dass ich nicht mehr ein noch aus weiß. Darum fühle ich mich absolut im Recht, ihn ebenfalls geil zu erleben. Aber Chesters Griff um mein Gelenk wird stärker. Er versucht, mich wegzuschieben. Will sogar von der Bank aufstehen.

Und drei Sekunden später wird mir plötzlich blitzartig klar, was ich gerade getan habe. Was ich im Begriff bin zu tun. Und ich möchte augenblicklich im Boden versinken vor Scham. „Fuck!” entfährt es mir entsetzt. Das kann doch echt nicht wahr sein. Ich habe tatsächlich die Kontrolle über mich verloren. Vollends. Das ist mir noch niemals passiert. Noch nie habe ich mich auf diese egoistische Art gehenlassen. Und noch nie bin ich dermaßen gedemütigt worden. Hastig, panisch lasse ich ihn los. Wie ein heißes Eisen. Ich ziehe meine Hand aus Chesters Griff und erhebe mich gleichzeitig eilig von der Bank. Nach wie vor bin ich zwischen ihm und der Lehne eingeklemmt, darum muss ich den Körper des Mannes heftig zur Seite schieben, um mich aufrichten zu können. Nur im Unterbewusstsein registriere ich, dass ich Chester dabei brutal von der Parkbank stoße. Er ächzt erschrocken, als er von der schmalen Sitzfläche stürzt und ziemlich hart auf dem Boden vor der Bank aufschlägt. Seine Brille fällt von seiner Brust herunter und landet im hohen Gras. „Nein... Mike... warte doch...”, ruft er verwirrt und richtet sich stöhnend auf. 

Aber ich kann ihn kaum noch hören. Fühle mich entsetzlich blamiert. Weiß nicht mehr, was in mich gefahren ist. Ich habe diesen fremden Menschen an intimen Stellen angefasst, die mir absolut nicht zustehen. Denn zweifellos kenne ich den Mann bei Weitem nicht gut genug, um ungefragt seinen Penis zu wichsen. Ich habe meinen eigenen Trieben gehorcht. Ohne Rücksicht auf Verluste. Das geht entschieden zu weit. Denn das bin nicht mehr ich. Ich habe mich in ein Monster verwandelt. Mike Shinoda hat sich vollständig in Chester Bennington verloren. Das entsetzt mich auf eine Art, die mich fast um den Verstand bringt. „Tut mir leid”, stoße ich panisch aus. So etwas ist mir noch nie passiert. Ich kann ihn nicht mehr ansehen. Er wird mich für völlig durchgeknallt halten. Spätestens jetzt muss der Typ ja denken, dass ich ein ernstes Problem habe. Das ertrage ich nicht. Diese Demütigung ist zu viel für mich. Nie hätte ich mich auf ihn einlassen dürfen. Weil er eindeutig gefährlich ist. Er bringt mich dazu, Dinge zu tun, die ich noch nie in meinem Leben getan habe. Wegen ihm habe ich Gefühle, die ich bisher nicht kannte. Chester verwirrt mich und macht mich verrückt. Ich hätte ihm nie erlauben dürfen, sich zu mir auf die scheiß Bank zu setzen. 

Konfus werfe ich dem neuen Patienten einen Blick zu. Er müht sich ab, um aufzustehen, während er gleichzeitig mit einer Hand den Reißverschluss seiner Chinohose schließt. „Michael! Jetzt hör doch mal! Warte doch mal!” redet Chester mit seiner wohlklingenden Stimme auf mich ein. Schockiert und geil klettere ich von der Bank und beobachte mit hämmerndem Herzen, wie Chester langsam auf die Beine kommt. Er sieht verwirrt aus. Erschrocken. Besorgt. Ich muss hier weg sein, bevor er aufgestanden ist. Ich kann dem fremden Mann nicht länger in die Augen sehen. Meine Gefühle der Scham und der Niederlage sind viel zu groß. Hastig drehe ich mich von ihm weg und mache einen Schritt Richtung Parkweg. Chester springt eilig auf die Beine. Er versucht, mich am Arm zurückzuhalten. Aber ich reiße mich los und nehme spontan meine Beine in die Hand. Wie ein verdammter Feigling laufe ich ein weiteres Mal vor ihm davon. Es geht nicht anders. Ich bin so ein Idiot. Ohne Frage gehöre ich in die geschlossene Psychiatrie. Wenn ich da nicht schon wäre. Sie sollten mich wirklich für immer wegsperren.   


Chester Charles Bennington

Das ist komisch mit dem Fremden. Der junge Mann verhält sich merkwürdig. Er tut widersinnige Dinge. Mike Shinoda überrascht mich. Besänftigt meinen Zorn. Zeigt sich sonderbar fasziniert und gleich darauf abweisend. Hält mich auf Trab. Er fordert meinen Intellekt heraus. Mit Mike wird es definitiv nie langweilig. Ich glaube, darum mag ich ihn so sehr. Zweifellos ist er was ganz Besonderes. Allein schon dieser seltene Name. Shi-no-da. Und dieses einmalige Gesicht. Ich liebe sein rundes, liebes Gesicht. Möchte es immerzu anschauen. Man sieht genau, dass sein Vater aus Japan stammt. Seine fantastischen, braunen Mandelaugen verraten es. Die pechschwarzen, dichten, kräftigen Haare. Diese dunklen, buschigen Augenbrauen. Die süße Stupsnase. Die ein wenig abstehenden, großen Ohren. Seine runden Wangen mit dem braunen, flauschigen Bart. Und die vollen, roten Lippen. Der Mann sieht zum Anbeißen aus. Er interessiert mich. Aber manchmal ärgert er mich auch. So wie jetzt, wo er schon wieder vor mir davonläuft. Bereits zum dritten Mal. 

Erst vor ein paar Stunden ist er aus der Gruppentherapie geflüchtet. Ohne Mike fand ich den Stuhlkreis nur noch öde. Nachdem die anderen Patienten sich noch eine Weile kindisch gesträubt hatten, haben sie sich letztendlich doch noch alle artig bei mir vorgestellt. Und danach sollte laut Psychotherapeutin Evelyn jeder von uns seine Pläne für sein Leben offenbaren. Die meisten Lahmärsche haben keine Ahnung, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen. Bei mir ist das nicht so. Ich weiß ganz genau, was ich will. Und das habe ich ihnen auch gesagt. Ich will mit meiner Band Erfolg haben. Ich will unbedingt, dass Grey Daze groß rauskommt. Unsere Songs sollen sich gut verkaufen. Ich will von der Musik leben können. Ich möchte damit berühmt werden. Ich will mit der Musik und meiner Stimme so viel Geld verdienen, dass ich Samantha all das kaufen kann, was sie haben will. Dafür habe ich in den letzten Monaten hart gearbeitet. Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, endlich mal etwas auf die Reihe zu kriegen. Während ich in der Gruppe über meine Ziele sprach, wurde mir wieder bewusst, dass ich jetzt gegen meinen Willen in der geschlossenen Psychiatrie feststecke. Das deprimierte mich total. Darum war ich heilfroh, als Evelyn die Therapiestunde endlich für beendet erklärte. 

Draußen auf dem Flur wartete schon Pfleger Ulrich auf mich. Wie angekündigt, machte er mit mir einen ellenlangen Rundgang durch die Station. Das war wirklich mühsam und enorm anstrengend. Dieser Gebäudekomplex ist riesig. Auf dem langen Weg spürte ich verstärkt meinen dummen Körper, der nach wie vor stur nach verschiedenen Drogen verlangt. Ständig liefen wir durch scheinbar endlose Flure. Ulli zeigte mir zahllose Zimmer und Einrichtungen. Zugegeben, diese große Turnhalle und das moderne Hallenbad haben mich schon irgendwie beeindruckt. Aber mein Interesse reicht nicht aus, um Begeisterung dafür zu zeigen. Der lange Spaziergang mit Ulli und seine pausenlosen Erklärungen ermüdeten mich jedenfalls extrem. Und trotzdem musste ich danach auch noch mit dem Oberarzt Professor Paulsen sprechen. Zu diesem Zweck saß ich wieder in seinem Büro vor seinem Schreibtisch, an dem er thronte. Der Arzt fragte mich nach meinem Befinden. Ich versicherte ihm, dass es mir gutgehen würde. Das war definitiv gelogen. Aber der Professor merkte es nicht. Vielleicht hat er auch nur so getan, als würde er meine dreiste Lüge nicht bemerken. Sein Lächeln veränderte sich jedenfalls nicht. Dann musste ich ihm erklären, warum ich bisher noch nichts gegessen und beim Frühstück das volle Tablett vom Tisch gestoßen hatte. Aus irgendeinem Grund wusste der scheiß Oberarzt von diesem ganzen blöden Mist. Irgendwer hat wohl in der Zwischenzeit über mich gepetzt. Das Gespräch wurde total unangenehm. Darum habe ich einfach nur alles heruntergespielt, mich mehrmals entschuldigt, alles bejaht, gelächelt und genickt. Zum Schluss informierte der Professor mich strahlend: „Hören Sie, Chester, ich habe eine gute Neuigkeit für Sie. Ich habe mit Ihrem Vater telefoniert. Er scheint ein sehr netter Mann zu sein. Wir haben uns prima unterhalten.” Zuerst war ich nur erstaunt, dass der Arzt meinen Vater überhaupt am Telefon erreicht hatte. Weil mein Dad nämlich kein Handy besitzt und wegen seiner ständigen Doppelschichten so gut wie nie zu Hause ist. Als ich aber kurz darauf erfuhr, dass mein Vater sich angeblich bereiterklärt hat, mir ein paar persönliche Sachen herzuschicken, da war ich absolut schockiert. Verdammt, ich will auf keinen Fall, dass mein Dad in meinen Sachen herumwühlt. Ich hasse die Vorstellung, dass er meine Wohnung betreten und mir ein Paket packen muss. Für so etwas hat der doch gar keine Zeit! Er wird es mir später unter Garantie vorwerfen, dass er das für mich tun musste. Als hätte er nicht schon genug Gründe, um enttäuscht von mir zu sein. Der Gedanke macht mich echt wütend. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich das jetzt noch verhindern kann. Ich bin total sauer, weil der Professor einfach meinen Dad angerufen hat, obwohl ich das doch gar nicht wollte. 

Nach diesem Gespräch mit Paulsen ging es mir echt nicht gut. Am liebsten wollte ich mich nur noch in mein blödes Zimmer verkriechen. Aber ich konnte es nicht finden, obwohl der Pfleger mir ja vorher alles gezeigt hatte. Jetzt, wo ich ihn endlich mal gebrauchen konnte, war Ulli natürlich nicht mehr da, und ich hatte keine Ahnung, in welche Richtung ich laufen musste. Also irrte ich eine Weile in den Gängen herum. Bis mich plötzlich jemand ansprach, den ich nicht kannte. Es war ein Mann in Zivil. Also konnte ich ihn nicht als Pfleger identifizieren. „Du bist doch Chester Bennington, nicht wahr?” fragte er mich lächelnd und reichte mir seine Hand, die ich verwirrt schüttelte. „Ja, der bin ich”, bestätigte ich und erwiderte sein Lächeln. Der Mann betrachtete mich extrem wohlwollend. Als wäre er hellauf begeistert von mir, was ich nicht einordnen konnte. „Sag einmal, hast du nicht Lust, raus in den Park zu gehen, Chester?” erkundigte der Fremde sich freundlich bei mir. Sein unerwarteter Vorschlag überraschte mich positiv. Weil ich keine Ahnung gehabt hatte, dass man diesen großen, grünen, verlockenden Park, den man durch viele Fenster der Psychiatrie bewundern kann, als Patient überhaupt betreten darf. Damit hatte ich nicht gerechnet. Und ich wollte dringend raus aus diesem frustrierenden Gebäude. Schon gefühlt seit Ewigkeiten verlangte es mich heftigst nach frischer Luft. „Darf ich das denn?” fragte ich diesen Typen verblüfft. Er nickte grinsend. „Aber selbstverständlich, Chester. Du bist hier schließlich kein Gefangener”, behauptete er amüsiert. Diesen Punkt sehe ich zwar völlig anders, aber ich lächelte nur dankbar. „Na klar will ich raus in den Park”, betonte ich sofort. „Super, Chester! Das freut mich! Dann komm mal mit. Ich lasse dich vorne hinaus”, bot der Unbekannte hilfsbereit an. Während ich ihm durch die Flure zur Eingangstür folgte, beugte er sich vertraulich zu mir und verriet mir etwas sehr Merkwürdiges: „Hör mal, da draußen im Park wartet jemand schon sehnsüchtig auf dich. Der würde sich sehr freuen, wenn du ihm jetzt sofort mal einen Besuch abstattest!” Und dann erklärte dieser Mann mir auch noch in allen Einzelheiten, wo ich die rätselhafte Person in der weitläufigen Parkanlage finden würde. Das war mir irgendwie suspekt. Ich war mir nicht ganz sicher, ob er mich nicht vielleicht verarschte. „Wie heißen Sie?” fragte ich ihn deshalb misstrauisch. Damit ich ihn im Notfall wiederfinden konnte, falls er sich irgendeinen blöden Scherz mit mir erlaubte. Der Mann lachte belustigt und blieb vor der Tür stehen, die wir gerade erreichten. Er griff in seine Tasche und holte einen Schlüssel heraus, mit dem er zu meiner grenzenlosen Freude die natürlich mehrfach verschlossene Eingangstür aufschloss. „Mein Name ist Brad Doyle. Und glaub mir Chester, du machst deinem Fan eine riesige Freude, wenn du jetzt sofort zu ihm gehst”, behauptete er gut gelaunt. „Na, wenn das so ist”, erwiderte ich unbestimmt und trat an ihm vorbei hinaus in die Mittagssonne. 

Draußen war es überraschend warm und hell. Einen Moment stand ich dort und zog tief die frische Luft in meine Lungen. Mann, das tat richtig gut! Es war angenehm, die warme Sonne in meinem Gesicht zu spüren. Als Nächstes machte ich mich auf den Weg in die angegebene Richtung. Ich hatte weder ein anderes Ziel, noch einen Grund, um Brad nicht zu glauben. Außerdem war ich neugierig. Auf dem Weg grübelte ich darüber nach, wer wohl an dem versteckten Ort ganz hinten im Park auf mich warten würde. Es wunderte mich, dass ich angeblich an meinem ersten Tag in der Psychiatrie schon einen Fan gewonnen haben sollte. So recht konnte ich mir das nicht vorstellen. Ich dachte an dieses Mädchen aus der Therapie, die eindeutig mit mir geflirtet hatte. Dann dachte ich an Mike und wurde ein bisschen aufgeregt. Weil ich mir nämlich wünschte, dass es Mikey wäre. Ich wollte dringend mit ihm sprechen. Ihn wiedersehen. Ein paar Dinge zwischen uns klären. Und er war es ja dann auch. Mike wartete wahrhaftig auf dieser im Grünzeug komplett verborgenen Parkbank auf mich. Brad Doyle zufolge wartete er sogar sehnsüchtig. 

Und jetzt ist Herr Shinoda wieder weggelaufen. Das verstehe ich nicht. Ich weiß gar nicht, was passiert ist. Eigentlich dachte ich, dass zwischen uns alles in Ordnung wäre. Sogar mehr als das. Schließlich haben wir uns ziemlich leidenschaftlich geküsst. Uns gegenseitig gestreichelt. Zum allerersten Mal. Das war schön. Am Anfang habe ich ihn extra vorher gefragt, ob ich mich zu ihm auf die Bank setzen darf. Und der Typ hat es mir mit einem Nicken erlaubt. Ich war erstaunlich nervös und habe versucht, mich langsam an ihn heranzutasten. Behutsam vorzugehen. Damit ich ihn nicht nochmal verscheuchte. Ich wollte unser Kennenlernen von vorne anfangen, indem ich mich ihm aufs Neue vorgestellt habe. Meine Hoffnung war, dass er sich vielleicht darüber amüsiert. Lockerer wird. Seine offensichtlichen Hemmungen ablegt. Aber er schien nur irritiert zu sein. Trotzdem hat er zugestimmt. So habe ich erfahren, dass Mike diese echt geile Mischung aus Japan und Europa ist. Ich habe ihm sofort angesehen, dass er asiatische Gene in sich trägt. Schon als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe. In der Nacht auf dem Flur. Das gefällt mir, und das habe ich ihm auch gezeigt. Ich konnte mich nicht zurückhalten, sein hübsches Gesicht anzufassen. Dabei war ich dermaßen nervös, dass ich ein bisschen albern wurde. Das passiert mir öfter mal. Das es mit mir durchgeht und ich ziemlich überdreht bin. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich Mikes dichte Augenbrauen berührt habe, seine wunderschöne Nase und auch seine vollen Lippen. Aber nur ganz vorsichtig. Trotzdem bekam ich davon unwillkürlich Lust auf mehr. Ich wollte ihn gerne anfassen. Selbst erfahren, wie er sich anfühlt. Darum habe ich ihm verraten, wie sehr es mir gefallen hat, als er mir in der Nacht auf dem Flur beim Singen zuhörte. Das war keine Lüge. Ich liebe es total, wenn mir jemand interessiert zuhört. Das ist für mich eins der schönsten Gefühle auf der Welt. Nicht ignoriert zu werden. Das törnt mich manchmal dermaßen an, dass ich hart davon werde. 

Und Mike Shinoda ist seit langer Zeit mein mit Abstand aufmerksamster Zuhörer. Ich war hellauf begeistert, als er mich bat, auf der Stelle nochmal etwas für ihn zu singen. Offensichtlich gefällt dem Mann meine Stimme tatsächlich. Und das ist wohl das größte Kompliment, was man mir machen kann. Ich wählte The Down Syndrome für uns. Weil es irgendwie zu der Situation passte. Und weil es noch ziemlich neu ist, und ich es darum noch nicht allzu oft gesungen habe. Vom ersten Ton an hing Mike absolut paralysiert an meinen Lippen. Wie ein durchgeknallter Fan, was wirklich amüsant war. Außerdem fand ich es verflucht geil. Es war aufregend und anregend zugleich. Mein Herz hämmerte wie verrückt, als ich neben ihm auf der Parkbank saß und für ihn sang. Die ganze Zeit haben wir uns dabei angesehen, Mikey und ich. Uns mit den Augen verschlungen. Und ich konnte mich nicht sattsehen an ihm. Meine Brust wurde ganz eng. Ich hatte Mühe, bei den langen Silben nicht nach Luft zu schnappen. Und trotzdem war es fantastisch. Das hat mir richtig Spaß gemacht, den fremden Mann mit meinem Gesang zu beeindrucken. Und offenbar kann ich ihn ziemlich leicht zufriedenstellen. Ihm scheint alles sofort zu gefallen, was ich gesanglich von mir gebe. Ich finde, dass an The Down Syndrome noch Einiges verbessert werden kann. Aber Mike war von meinem Song dermaßen gerührt, dass ihm sogar Tränen in die Augen traten. Der Kerl hat wahrhaftig geweint. Und davon war ich wiederum total bewegt. Das ging mir ziemlich tief rein. Es war ein Moment, in dem ich ehrlich glücklich war. So ein unbekanntes Gefühl, dass alles in Ordnung ist. Dass ich endlich mal alles richtig mache. Und niemand mehr enttäuscht von mir ist. Das hat mich überwältigt. Denn ich habe so etwas vorher noch nie erlebt.

Nach dem Song war ich jedenfalls dermaßen angetörnt, dass ich mich nicht länger bremsen konnte. Ich musste einfach über den süßen Mikey herfallen. Das ging nicht mehr anders. Ich war ihm so dankbar, weil er es geschafft hatte, mich glücklich zu machen. Für einen Augenblick. Habe ihn ein bisschen geknufft und geneckt und gekitzelt. Das war richtig lustig. Und funktioniert eigentlich immer, wenn ich eine angespannte Situation retten will. Auch Mike hat endlich mal gelacht. Ich mag es sehr, wenn er lacht. Als er lachte, ging eindeutig die Sonne auf. Auch in mir. Und zwischen uns. Alles schien wunderbar okay zu sein. Zuerst rangelten wir ein wenig albern auf der Bank herum. Später konnte ich ihn recht leicht überwältigen. Dann lag ich auf ihm und konnte mich kaum noch beherrschen, ihn sofort zu küssen. Ich wollte ihn dringend küssen. Das war tierisch aufregend. Ich war erregt, und der Kerl fühlte sich unter mir fantastisch an. Sein wohlgeformter Körper war warm und weich. Aber als ich seinen Kopf streichelte und ihm verriet, dass ich ihn mag, hat er sofort einen Rückzieher gemacht. Mike hat von mir verlangt, dass ich von ihm runtergehen sollte. Also habe ich das schweren Herzens getan. Dann saßen wir wieder nebeneinander auf dieser Parkbank und waren beide irgendwie verlegen. Wie verliebte Teenager. Aber es knisterte ganz gewaltig in der Luft, und das gefiel mir ungemein. Die Situation war extrem spannend. An diesem Punkt war mir sonnenklar, dass noch viel mehr zwischen uns passieren würde. Ich wusste, dass ich ihn früher oder später knacken konnte. Dass er sich nicht mehr lange gegen mich sträuben würde. Mein Instinkt täuschte mich nicht. Ich wollte es langsam angehen. Denn immerhin kenne ich ihn kaum. Ich wollte ein paar sanfte Zärtlichkeiten genießen. Zarte Wohltaten mit ihm austauschen. Nur ein bisschen liebevoll knuddeln. Darauf hatte ich große Lust. Ich wollte Mike Shinoda unbedingt wissen lassen, dass ich ihn ehrlich gut leiden kann.

Aber der Kerl packte einfach meinen Hinterkopf und zog mich energisch zu sich hin. Er küsste mich so stürmisch, dass ich total verblüfft war. Das hatte ich ihm gar nicht zugetraut. So viel verborgene Leidenschaft. So viel versteckte sexuelle Energie. Es schien, als würde er plötzlich innerlich explodieren, so gierig stürzte er sich in unseren ersten Körperkontakt. Das war ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Zweifellos überrumpelte er mich. Aber eigentlich hatte ich nichts dagegen. Er küsste nämlich richtig gut. Mike schmeckte nach Orangensaft. Seine Zunge war schnell und drängend in meinem Mund. Sein weicher Bart kitzelte mein Gesicht. Das törnte mich an, wie wollüstig er mich küsste. Dabei drückte er sich stürmisch gegen mich und zerrte mir dreist mein Unterhemd aus der Hose. Er streichelte mich, erkundete intensiv meine nackte Haut. Aber dabei bewegte er seine Hände zu hastig. Es schien, als wäre mein Körper für ihn nur Mittel zum Zweck, um seine eigene Erregung schnellstmöglich zu steigern. Letztendlich drängte er mich zurück, bis ich auf der Bank lag. Und er direkt an meiner Seite, halb über mir liegend, eingeklemmt zwischen der Rückenlehne und mir. Dagegen hatte ich nichts. Denn der Kerl fühlte sich zweifellos geil an. Ich konnte sofort seine Erektion an meinem Bein spüren. Er drückte sie immer wieder gezielt gegen mich, was ein bisschen wehtat, weil er so unglaublich hart war. Es amüsierte mich, wie bedingungslos Mike seinen Trieben folgte. Ich hatte den Eindruck, als wäre er selbst davon überrascht worden. Als hätte er sich schon zu lange nicht mehr sexuell betätigt und wäre jetzt vollkommen überwältigt davon. Unwillkürlich fragte ich mich, wie lange er wohl schon abstinent gelebt hatte. Nach seinem Verhalten zu urteilen, schienen es mindestens Jahrzehnte zu sein. Das war lustig. Es schmeichelte mir, wie sehr er auf mich abfuhr. Wie offensichtlich fasziniert er von meinem Körper war. Und ohne Frage fühlte er sich fantastisch an. Mike war warm und weich auf mir. Nur sein Schwanz war erstaunlich hart. Aber alle seine Muskeln sind genau an den richtigen Stellen. Er sieht einfach unglaublich gut aus. Es war schön, ihn so nah auf mir zu spüren. 

Ich mag es, wenn er bei mir ist. Mike hat etwas an sich, was mich innerlich beruhigt. Das ist magisch. Ich habe das vorher noch nie erlebt. Noch bei niemandem habe ich mich derart besänftigt gefühlt. So, als wäre alles wunderbar in Ordnung. Als müsste ich mir keinerlei Sorgen mehr machen. Ich lag dort und küsste ihn, streichelte seinen breiten Rücken. Und mit der Zeit genoss ich es auch, wie wild er mich berührte. Als ich mich daran gewöhnt hatte, da fand ich es ziemlich geil, wie ungebremst entfesselt er war. Aber dann hörte Mike plötzlich auf und schien irgendwie beunruhigt zu sein. Ich habe keine Ahnung, was genau in ihm vorging. Er fragte mich, ob es mir gefallen würde. Natürlich gefiel es mir! Sonst hätte ich ja wohl kaum mitgemacht. Doch Mike schien unzufrieden, irgendwas nervte ihn. Ich glaube, der seltsame Mann war frustriert, weil ich keine Erektion hatte. Als ob es darauf ankommen würde! Ich verstehe nicht, was in seinem Kopf vorgeht. Von mir aus hätte er ruhig über mir abspritzen dürfen. Wäre mir echt egal gewesen. Solange er dabei meine Klamotten nicht versaut hätte.

Aber als Mike mir plötzlich ungeduldig die Hose aufzerrte, zielstrebig nach meinem Schwanz griff und mich ziemlich brutal anpackte, da verkrampfte sich schlagartig alles in mir. Es gab Ereignisse in meinem Leben, an die ich nicht gerne denke. Und Mikes Verhalten erinnerte mich unwillkürlich daran. Weil er mich nicht anfasste, um mir gutzutun. In diesem Moment fasste er mich nur an, weil es ihn selbst aufgeilte. Das konnte ich nicht ertragen. Und dann ging auch schon alles kaputt. Innerhalb von wenigen Minuten. So schnell, das ich es gar nicht richtig mitbekam. Zum Schluss lief der fremde Patient aufs Neue vor mir davon. Und jetzt hat er mich mit meinen Fragen allein zurückgelassen. Ich weiß nicht, was ich hätte besser machen können. Mir einfach einen von ihm runterholen lassen? Ob ihm das wohl gefallen hätte? Aber selbst wenn, dazu war ich nicht in der Lage. Nie wieder möchte ich mich derart hilflos fühlen. Dermaßen ausgeliefert sein. Das liegt weit hinter mir und ich versuche jeden Tag, es einfach abzuhaken. Nicht mehr daran zu denken. Produktive und sinnvolle Dinge zu tun. Mich auf die Gegenwart zu konzentrieren. Irgendwie klarzukommen. 

Im Moment ist jedenfalls alles blöd. Ich stehe allein an der Bank und weiß nicht, was ich jetzt machen soll. Mike ist verschwunden und ich habe keine Ahnung, wie ich zurück in die Psychiatrie finden soll. Ob ich da überhaupt wieder hin will. Vielleicht kann ich irgendwo ein Loch in der meterhohen Mauer entdecken, die dieses Grundstück und den Park umgibt. Und dann einfach verschwinden. Das würde mich schon reizen. Andererseits würden sie wohl nur wieder die Bullen auf mich hetzen, weil ich meine Strafe mutwillig abgebrochen hätte. Das würde ihnen unter Garantie nicht gefallen. Womöglich würden sie mich in den Knast sperren. Also lass ich es lieber sein. Ich glaube, dass es hier immer noch besser ist, als es im Gefängnis wäre. Hoffe ich jedenfalls. Mein Hüftknochen tut weh, weil Mike mich so feste von der Bank geschubst hat, dass ich ziemlich schmerzhaft da drauf geknallt bin. Ich verstehe nicht, was in ihn gefahren ist. Unwillkürlich frage ich mich, warum der fremde Patient wohl hier ist. Ob er sich vielleicht in der geschlossenen Psychiatrie aufhält, weil er seine sexuellen Bedürfnisse nicht im Griff hat. Oder ob er einfach nur schon viel zu lange hier ist. Ich weiß es nicht. Vielleicht sollte ich ihn einfach danach fragen. Ich hoffe, er redet noch mit mir. Ich kapiere nicht, was Mike schon wieder dermaßen in Panik versetzt hat, dass er weglaufen musste. Frustriert bücke ich mich und hebe meine Brille auf, die im hohen Gras liegt. Ich setze sie auf. Stopfe mir das Unterhemd zurück in die Hose. Überprüfe meine Kleidung auf nervige Verschmutzungen. Das wäre fatal, denn ich besitze zur Zeit nur diese Klamotten. Es ist total ärgerlich, dass ich ausgerechnet die helle Hose anhatte, als sie mich gewaltsam aus der Kneipe mitnahmen. Hätte ich das vorher auch nur geahnt, dann hätte ich an dem Abend auf jeden Fall eine robuste Jeans angezogen. Oder meine Lederhose. Oder zumindest eine dunklere Hose, die nicht so schnell dreckig wird. Zum Glück kann ich auf der hellgrauen Chino keine hässlichen Flecken von Gras oder Erde finden. 

Dann laufe ich spontan los. Ich schlage die Richtung ein, aus der ich gekommen bin, in der Hoffnung, zurück zur Eingangstür der Psychiatrie zu finden. Eigentlich möchte ich noch länger hier draußen bleiben. Es ist schön in diesem Park. Das ätzende Gefühl, eingesperrt zu sein, ist an der frischen Luft und in der Sonne nicht ganz so schlimm. Aber andererseits will ich dringend Mike finden. Weil ich unbedingt mit ihm reden muss. Ich will nicht, dass jetzt diese Sache zwischen uns steht. Das muss geklärt werden. Ich ertrage es nicht, wenn Mike sauer auf mich ist. Oder womöglich nichts mehr mit mir zu tun haben will. Denn ich sehne mich nach ihm. Ich habe es sehr genossen, ihn so nah bei mir zu haben. Der geile Mann hat sich verdammt gut angefühlt. Und ich möchte das so bald wie möglich wiederholen. Mein Gefühl sagt mir, dass Mike zurück in das Haus geflüchtet ist. Ich kann nur hoffen, dass er das getan hat. Denn in diesem großen Park würde ich ihn niemals finden. Hier gibt es zu viele Möglichkeiten, um sich zu verstecken. Falls Mike in einem Gebüsch hockt, dann habe ich keine Chance ihn zu finden. Das frustriert mich. 

Ziemlich schnell laufe ich über den Parkweg und halte die Augen weit offen. Ich habe Schwierigkeiten, mich zu orientieren. Weil überall Bäume und Sträucher stehen und ich nicht sehen kann, wo die vielen Wege hinführen. Schließlich komme ich an eine große Wiese, auf der sich einige Menschen aufhalten. Ein paar spielen Frisbee. Andere haben einen Fußball. Mehrere kleine Gruppen sitzen im Gras. „He, Chester!” ruft ein Mädchen plötzlich und kommt freudestrahlend auf mich zu. Ich erkenne sie. Sie saß auch in diesem Stuhlkreis in der Gruppentherapie. Ihr Name ist Kaitleen oder Katie oder so. Obwohl ich jetzt eigentlich keine Zeit habe, um mit Katie zu sprechen, bleibe ich stehen und schaue ihr lächelnd entgegen. Sie beeilt sich, zu mir auf den Schotterweg zu treten. Sie hat blonde Haare, blaue Augen und sieht aus wie ein typisches California-Girl. „Willst du dich nicht zu uns setzen?” lädt sie mich freundlich ein und deutet auf die kleine Gruppe, die auf der Wiese hockt. Automatisch gucke ich hin. Mir fällt auf, dass da noch andere Patienten aus der Therapie sind. Aber ich kann mich jetzt nicht bei denen aufhalten. Denn ich muss dringend Mike finden. Das lässt mir keine Ruhe. Ich bin nervig nervös, weil Herr Shinoda nicht mehr bei mir ist. Darum schüttele ich bedauernd den Kopf. „Nein, ich wollte jetzt wieder reingehen”, erkläre ich dem Mädchen und deute in die Richtung, von der ich annehme, dass dort irgendwo der Eingang zum Gebäude ist. Sie sieht dermaßen enttäuscht aus, dass ich grinsen muss. „Aber wir haben doch noch ein bisschen Zeit bis zum Mittagessen”, wendet Kaitleen ein. „Ich muss noch mit meinem Therapeuten sprechen”, lüge ich und hebe entschuldigend die Schultern. „Schade!” meint sie aus tiefstem Herzen, „Es wäre schön, wenn du dich zu uns setzen würdest.” Die Kleine ist liebenswürdig. Darum schenke ich ihr mein charmantestes Lächeln. „Wir sehen uns sicher noch, Katie”, verspreche ich ihr, weil sie mir in ihrer Enttäuschung beinahe leidtut. „Okay. Dann bis später, Chester”, seufzt sie und wendet sich ab. „Warte mal!” rufe ich und bin gerührt, wie schnell sie mich wieder hoffnungsvoll ansieht. „Kannst du mir den Weg zum Eingang beschreiben?” erkundige ich mich bei dem Mädchen, die sich sicherlich schon viel besser hier auskennt als ich. Kaitleen ist hilfsbereit und erklärt mir, wie ich zurück ins Gebäude finden kann. „Du musst klingeln. Dann macht dir jemand auf”, setzt sie lächelnd hinzu. Ich bedanke mich und setze meinen Weg fort. Dieses fremde Mädchen gefällt mir irgendwie. Ich hätte Lust sie zu knallen. Und ich glaube wirklich, dass sie mit Freuden zustimmen würde. Bestimmt wäre sie wild und leidenschaftlich. Die Vorstellung macht mich geil. Unwillkürlich denke ich daran, wie gierig Mike vorhin über mich hergefallen ist. Ich will, das er das nochmal macht. Sofort. Ich möchte mit ihm auf der Bank liegen, er über mir, und dann nur noch genießen. Aber es ist fraglich, ob der Mann mich überhaupt noch bei sich haben will. Ich habe keine Ahnung, was ihn umtreibt. Seine Entscheidungen sind mir ein einziges Rätsel. Darum muss ich dringend mit ihm sprechen. Er muss mir erklären, was ich falsch gemacht habe. Zumindest das ist er mir schuldig.

Endlich kommt die große Eingangstür in Sicht. Ich laufe schneller und beeile mich, auf den gut beschrifteten Klingelknopf an der Seite zu drücken. Ungeduldig warte ich darauf, dass jemand aufmacht. Es macht mir Sorgen, dass ich Mike vielleicht nicht finden werde. Dieses Gebäude ist so verdammt groß. Und ich kenne mich trotz Ullis ausführlichem Rundgang kein bisschen hier aus. Mir fällt auf, dass mir niemand gesagt hat, wie der weitere Ablauf des Tages aussehen wird. Katie hatte vom Mittagessen gesprochen. Mein Magen knurrt, weil ich heute noch nichts gegessen habe. Aber gleichzeitig fühle ich mich nicht wohl genug, um etwas Essbares runterzukriegen. Es verlangt mich stattdessen dringend nach einer Zigarette. Und gegen eine Flasche Bier hätte ich weißgott auch nichts einzuwenden. Fuck! Ich muss unbedingt mit Mike reden. Auf der Stelle. Ich werde verrückt, weil ich nicht weiß, was zwischen uns eigentlich genau passiert ist. Irgendwas ist mächtig schiefgelaufen. Das kapiere ich nicht. Dieser fremde Mann weckt Gefühle in mir, die ich nicht kenne. Ich verspüre das Bedürfnis, ihm dringend nah sein zu wollen. Das ist total beängstigend.

Endlich bequemt sich mal jemand, mir von innen die Tür zu öffnen. Es ist irgendeine Krankenschwester. Ich lächele sie dankbar an und gehe an ihr vorbei in das Gebäude hinein. Ich habe keine Ahnung, wo Mike sich aufhält. Darum laufe ich eine Weile suchend in den Fluren herum. Das nervt mich, weil es anstrengend ist. Vor meinem inneren Auge sehe ich Mikes fantastisches Gesicht. Seine braunen Mandelaugen. Die asiatische Nase und die wohlgeformten Lippen. Ich fühle seinen flauschigen Bart und den attraktiven Körper. Das macht mich nervös. Ich wünsche mir sehnlichst, den rätselhaften Kerl endlich aufzuspüren. Vielleicht versteckt er sich wieder vor mir. Darum suche ich auch jede Herrentoilette ab, an der ich vorbeikomme. Aber überall sind nur fremde Menschen. Jede Menge Pflegepersonal und andere Patienten. Niemand scheint mich sonderlich zu beachten, worüber ich froh bin.

Schließlich erreiche ich die Flügeltür, die zum Speisesaal führt. Sofort öffne ich sie und werfe einen prüfenden Blick in den großen Raum. Mir knicken beinahe die Beine ein, als ich Mike an einem Tisch sitzen sehe. Er ist ganz allein in diesem Esszimmer. Einsam sitzt er an einem Tisch am Fenster und schaut gedankenverloren hinaus. Er bemerkt mich nicht, dreht mir den Rücken zu. Aber ich erkenne ihn auf Anhieb. Diesen Menschen würde ich immer erkennen. Er hat sich mir deutlich eingeprägt. Ich liebe sein geil gestyles, dichtes, schwarzes Haar. Mein Herz fängt an, vor Freude und Erleichterung zu rasen. Ich bin extrem aufgeregt, als ich mich ihm vorsichtig nähere. Ich frage mich, ob er noch immer sexuell erregt ist. Unbestreitbar war er es, und zwar nicht zu knapp, als wir gemeinsam auf der Bank lagen. Jetzt wirkt er aber erstaunlich ruhig. Unwillkürlich stelle ich mir vor, wie Mike sich heimlich auf dem Klo Erleichterung verschafft. Wie er sich verstohlen in einer der Kabinen einen runterholt. Ob er das wohl getan hat? Bestimmt hat er das gemacht. Was hätte er sonst tun sollen? Zweifellos musste er sich dringend irgendwie abreagieren. Die konkrete Vorstellung vom masturbierenden Mike Shinoda törnt mich plötzlich dermaßen an, dass ich total verblüfft bin. Dieses Bild erregt mich extrem. Ich würde ihm gerne mal zusehen, wenn er wichst. Ich möchte ihm und mir selbst einen runterholen. Ich will ihm einen blasen. Ich will, dass er mir einen bläst. Völlig ungesteuert fängt mein Schwanz in der Hose an zu zucken. Meine Gedanken überschlagen sich förmlich, als ich langsam zu ihm an den Tisch trete. 

Er sieht mich aus den Augenwinkeln und schreckt hoch. Eindeutig entsetzt starrt er mich an. Meine Gedanken reißen ihm wahrhaftig die Kleider vom Leib. Unsere Blicke treffen sich. Ich versuche abzuschätzen, wie der fremde Mann jetzt drauf ist. Was genau in ihm vorgeht. Aber ich weiß es einfach nicht. Ich kenne ihn nicht gut genug. Sein Gesicht verrät mir gar nichts. Höchstens, dass er erschrocken ist, mich plötzlich zu sehen. Zweifelsohne hat der Typ mich nicht erwartet. „Chester...”, stöhnt er, als wäre er von meinem überraschenden Auftauchen extrem genervt. Das kränkt mich. Aber ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Zurückhaltend lächele ich ihn an. „Hallo Mike”, sage ich sanft, „Was machst du denn hier?” „Ich warte aufs Mittagessen”, erklärt er mir ziemlich abweisend. Demonstrativ dreht er sich von mir weg und schaut trotzig aus dem Fenster. Er gibt mir bewusst das Gefühl, unerwünscht zu sein. Das verstehe ich nicht. Ich kapiere nicht, was ich ihm Schlimmes angetan haben soll. Wo meine Fehler liegen. Das muss er mir erklären. Darum lasse ich mich nicht von ihm beirren. Behutsam ziehe ich den Holzstuhl zurück und setze mich dicht neben ihn an den weißen Tisch. Forschend beobachte ich den seltsamen Mann, der jetzt krampfhaft so tut, als würde er mich nicht bemerken. Er ist schüchtern, glaube ich amüsiert festzustellen. Es ist ihm peinlich, was im Park passiert ist. Dass ich es genau mitgekriegt habe, wie er die Kontrolle über sich verlor. Mike Shinoda schämt sich zu Tode, weil er auf einer Parkbank entfesselt mein Bein gefickt hat. Das rührt mich so sehr, dass ich ihn am liebsten sofort tröstend in meine Arme schließen möchte. Mein Herz schlägt aufgeregt, weil ich mich so freue, ihn zu sehen. Ihn anzusehen. Seine Nähe freut mich sogar viel mehr, als ich mir selbst eingestehen kann. Weil das nämlich magisch ist. Kaum sitze ich neben ihm, fühle ich mich auch schon besänftigt. Dieser fremde Kerl lindert meinen inneren Schmerz. Allein durch seine unmittelbare Anwesenheit. Und ich habe keine Ahnung, wie genau er das eigentlich anstellt. Welche magischen Zauberkräfte er besitzt. Aber das er welche hat, das steht für mich in diesem Moment fest.

„Mike, hör mal. Ich verstehe gar nicht...”, fange ich an, als er auch schon aufgebracht zu mir herumfährt. „Nein, Chester! Hör auf! Lass es sein! Geh einfach weg!” unterbricht er mich voller Zorn. Seine schönen, braunen Augen werfen mich hinaus. Mike ist richtig unfreundlich zu mir. Obwohl er mich noch vor nicht mal einer halben Stunde mehr als innig geküsst und gestreichelt hat. Das kränkt mich enorm. Ich finde nicht, dass ich das verdient habe. „Nein, du musst mit mir reden. Du musst mir erklären, was ich...”, erwidere ich hilflos. Aber Herr Shinoda fährt mir abermals ins Wort. „Ich will aber jetzt nicht mit dir reden!” blafft er ungeduldig. Mega nervös bewegt er sich auf seinem Stuhl, hampelt mit den Armen auf dem Tisch und trampelt mit den Füßen wütend auf den Boden. Nervlich ist der Typ unübersehbar extrem angespannt. Aber das ist er erst, seit ich neben ihm sitze. Noch vor einer Minute war er total gelassen, als er allein aus dem Fenster guckte. Ich kapiere nicht, was ihn so gegen mich aufbringt. „Wir müssen aber darüber reden, Mike! Ich will verstehen, was da gerade passiert ist. Du musst mir sagen, was ich falsch gemacht habe!” wende ich ein. Konzentriert schaue ich ihn an. Ich will ganz genau mitkriegen, wie er reagiert. Ich will begreifen, was mit ihm los ist. Sein zorniger Blick verändert sich. Irgendwie wird er traurig. Er scheint von meinen Worten berührt zu sein. Aber nur für einen Augenblick. Schon drei Sekunden später blitzt wieder die unverständliche Wut in seinen Augen. „Fuck! Verdammt nochmal, Chester!” zischt er entnervt und schüttelt den Kopf. „Jetzt lass es doch sein! Hör auf damit! Kannst du nicht bitte einfach abhauen? Ich kann jetzt nicht mit dir reden! Lass mich endlich in Ruhe! Geh weg!” verlangt er böse. 

Aber ich bleibe sitzen und schaue ihn unverwandt an. Ich werde hier nicht eher weggehen, bis ich nicht mindestens ein paar Antworten von ihm erhalten habe. Als Mike registriert, dass ich mich nicht bewege, stöhnt er ungeduldig auf. „Bitte, Chester! Lass mich zufrieden! Ich kann das jetzt nicht! Bitte geh einfach! Bitte!” bettelt er förmlich. Seine Augen flehen mich an, mich auf der Stelle in Luft aufzulösen. „Was ist denn so schwer daran zu kapieren, dass du mich in Ruhe lassen sollst?!” zischt er verständnislos. Das macht mich wütend, wie der mich behandelt. Wie er versucht, mich aggressiv abzuschmettern. Wie er sich feige vor seiner moralischen Verantwortung drücken will. Mein freudiges Herzklopfen verwandelt sich in ein nervöses. Unruhig rutsche ich auf meinem harten Stuhl herum, weiß nicht wohin mit meinen Händen und ändere pausenlos meine Sitzposition. „Nein, das geht nicht, Mike! So einfach ist das nicht! Du kannst nicht meinen Schwanz anfassen und mich im nächsten Moment zum Teufel jagen!” stelle ich energisch klar. Mike reißt die Augen auf und stöhnt perplex. „Chester!” ruft er entgeistert, als ich meinen Penis erwähne. Panisch guckt er sich im Speisesaal um, ob irgendwer unsere Unterhaltung belauscht. Aber da ist niemand. Mike und ich sind ganz allein in diesem großen Raum. Die vielen Tische und Stühle aus Holz sind verwaist. Offensichtlich gibt es vorerst noch kein Mittagessen. Ich weiß nicht, wann es aufgetragen wird. Oder wann wieder Leute hier reinkommen. Das ist mir auch vollkommen egal. Denn ich muss jetzt dringend diese Sache hier klären. Und vorher werde ich Mike auf gar keinen Fall verlassen. 

„Du hast meinen Schwanz sogar gewichst, Mike! Und dann bist du plötzlich abgehauen! Das verstehe ich nicht!” lege ich ihm mein Problem dar. „Gott, Chester! Hör auf!” ächzt er schockiert. Zu meinem verblüfften Entzücken wird er langsam knallrot in seinem hübschen, asiatischen Gesicht. Seine süßen Ohren wechseln tatsächlich die Farbe. Belustigt registriere ich, dass es dem schüchternen Kerl mega peinlich ist, mit mir über meine Geschlechtsorgane zu sprechen. Über das, was er getan hat. Was wir gemeinsam auf der Parkbank getrieben haben. Seine Hemmungen machen mir Mike Shinoda unvermittelt unglaublich sympathisch. Ich kann ihm für seine Unfreundlichkeiten gar nicht mehr böse sein. Stattdessen möchte ich den verklemmten Typen am liebsten augenblicklich umarmen. Ihn zärtlich an mich drücken. Ich sehne mich danach, nochmal von ihm gestreichelt zu werden. „Hör mal, Mike. Wir können doch darüber reden...”, schlage ich sanft vor. Aufmunternd lächele ich ihn an. Er stöhnt widerspenstig und dreht sich von mir weg. Hilflos starrt er aus dem Fenster. Seine Hände verkrampfen sich vor seinem Bauch. Er weiß überhaupt nicht mehr, was er jetzt machen soll. Ich glaube, nun ist er es, der sich gerne in Luft auflösen möchte. Das rührt mich. Meine Augen streifen das Fenster. Von hier aus hat man einen weitläufigen Blick auf den Park. Aber ich finde den Mann neben mir sehr viel aufregender. Mein Herz stolpert ein wenig, weil ich mich ihm dringend nähern will. Ich möchte ihn gerne nochmal küssen. Aber ich weiß nicht, wie er reagieren wird. Das kann ich nicht abschätzen. Kein bisschen. Herr Shinoda ist verdammt sprunghaft und undurchsichtig. 

Mein Arm streckt sich zögernd und legt meine Hand auf seine Schulter. Behutsam streicheln meine Finger über seine Knochen und Muskeln. Sein schwarzes T-Shirt fühlt sich weich an. „Es war schön, wie du mich berührt hast”, eröffne ich ihm leise. Er knurrt unzufrieden und dreht sich abrupt zu mir. Dabei rutscht meine Hand von seiner Schulter. Enttäuscht ziehe ich sie wieder ein. „Naja, so besonders schön fandest du das ja wohl nicht”, meint Mike und blickt mich vorwurfsvoll an. Er ist ein bisschen rot im Gesicht, sieht aber trotzdem klasse aus. Seine Ohren sind dunkel. Unser intimes Thema ist ihm unvermindert unangenehm. „Wie kommst du denn darauf?” will ich verständnislos wissen. Er windet sich unbehaglich und weicht meinem Blick aus. Panisch wandern seine Augen durch den leeren Speisesaal, auf der Suche nach einem Fluchtweg. „Ich glaube nicht, dass ich dich richtig antörnen konnte”, bemängelt er leise. Ich kann es nicht fassen, was er da sagt. „Was wäre denn für dich richtig gewesen?” erkundige ich mich forschend. Seine braunen Augen wandern zu mir. Eine Weile guckt er mich hilflos an. In seinen Augen steckt schon wieder diese tiefe Traurigkeit, die ich überhaupt nicht an ihm mag. Offenbar will er irgendwas sagen, kriegt es aber schlicht nicht heraus. Stattdessen steigt nur seine spürbare Nervosität. Ungefähr vier Minuten lang ist es still. 

Dann geht mir abrupt ein Licht auf. „Du meinst, weil ich keinen Ständer hatte?” frage ich verdutzt. „Chester!” ruft er erneut entsetzt und verzieht gequält das Gesicht. „Das ist es, was du meinst, oder?” hake ich fassungslos nach, „Ich hatte keinen Steifen. Das hat dir nicht gefallen.” „Chester, verdammt!” beschwert Mike sich pikiert. Unzufrieden rutscht er auf dem Stuhl herum. Sein Blick fleht mich an, augenblicklich die Klappe zu halten. Er ist alarmiert. Der Mann wirkt auf mich, als würde er am liebsten sofort aufspringen und so weit wie möglich weglaufen. Er will sich vor diesem Gespräch drücken. Das kann ich auf gar keinen Fall zulassen. Instinktiv greife ich nach seinem Arm und halte ihn fest. „Sag mal, spinnst du total, Mike?” weise ich ihn zurecht, „Ich hab dir auf der Bank gesagt, dass es mir gefällt. Das war nicht gelogen. Es war total schön mit dir. Das kannst du doch nicht an meinem Schwanz festmachen!” Meine Worte gefallen ihm offenbar nicht. Mit irgendwas habe ich seinen Trotz geweckt. Seine Augen werden dunkler. Ein bedrohlicher Schatten legt sich über sein Gesicht. „Ach, komm schon, Chester! Wenn du geil gewesen wärst, dann hätte man das auch gesehen!” kommt es aggressiv aus ihm heraus. Der Typ will mir diese Sache allen Ernstes vorwerfen. „Oder bist du vielleicht impotent?” fragt er mit einem aufsässigen und spöttischen Funkeln in seinen Mandelaugen. Mein Griff um seinen Arm wird fester, weil er mich mit seiner Frage unglaublich provoziert. „Nein, ich bin nicht impotent”, stelle ich beleidigt klar. Mike stößt höhnisch lachend Luft aus. „Und warum hast du dann keinen hochgekriegt, Chester Bennington?” will er spöttisch wissen. 

Ich kann nicht glauben, welche Richtung unser Gespräch eingenommen hat. Dass er mir wahrhaftig diese Sache vorhält. Ich bin fassungslos, weil Mike so unerwartet beschränkt ist. Wirklich vor den Kopf geschlagen, fixiere ich ihn. Selbstbewusst grinsend wartet er auf meine Antwort. Seine Augen funkeln kampfbereit. Langsam bin ich total angepisst, weil dieser freche Kerl jetzt auch noch dreist meine sexuelle Potenz in Frage stellt. Das kann ich nicht so einfach auf mir sitzen lassen. Das kränkt mich in meiner Ehre als Mann. Meine Gedanken rasen wild in meinem Kopf herum. „Mann, ich weiß auch nicht... ich... habe nicht darauf geachtet... das war...”, stottere ich blöd herum. Weil ich die richtigen Wörter nicht so schnell einfangen kann. Mike bricht in ein lautes, nervöses Lachen aus. „Du hast nicht darauf geachtet? Soll das ein Witz sein?” höhnt er lautstark. Das macht mich ziemlich sauer. Darum kralle ich meine Finger noch enger um seinen Oberarm. Ich finde es unerträglich, dass er mich auslacht. „Aua! Verdammt, Chester! Lass mich los!” beschwert er sich sofort schmerzerfüllt. Instinktiv will er seinen Arm aus meinem Griff ziehen. Aber ich ignoriere seine Bemühungen. Stattdessen greife ich nur fester zu und taxiere ihn strafend. „Den Scheiß kannst du mir nicht vorwerfen, Mike! Mein Schwanz gehorcht mir nicht immer auf Kommando. Und das tut deiner auch nicht, das kannst du mir nicht erzählen. Fuck, wir haben uns doch gerade mal zum ersten Mal geküsst!” knurre ich völlig verständnislos. „Was hat das denn damit zu tun?” entgegnet er belustigt, „Kriegst du immer erst beim zweiten Mal einen Ständer, oder was?” 

Offenbar hat Herr Shinoda seine Schüchternheit inzwischen kinderleicht abgelegt und stürzt sich nun souverän in diese Auseinandersetzung. Fast bereue ich es schon, ihn zu unserer Aussprache genötigt zu haben. Sein arroganter Spott ist für mich nur schwer zu ertragen. Der hinterhältige Arsch verwirrt mich total. Darum fällt mir so schnell keine passende Antwort ein. Meine eigene Sprachlosigkeit ärgert mich extrem. Aus Frust darüber packe ich noch brutaler zu und zerquetsche ihm beinahe die Muskeln an seinem Oberarm. „Aua! Verflucht nochmal! Hör auf! Lass mich sofort los!” fordert Mike mich drohend auf. Heftig zerrt er seinen Arm zurück. Aber ich gebe nicht nach. Ich kann gar nicht nachgeben. Denn ich will nicht das dumme Weichei sein, als das mein Gegner mich hier hinstellt. Fuck, ich bin nicht der lächerliche Schlappschwanz, der keine Erektion kriegt. Ich will nicht derjenige sein, dem die Argumente ausgehen. Das kotzt mich total an. Mein Griff lockert sich kein bisschen. Also fängt Mike an, sich zu wehren. Mit der freien Hand stemmt er sich gegen meine Brust. Er schiebt mich heftig von sich weg, sodass ich beinahe vom Stuhl falle. „Lass mich los, verfluchter Psycho!” schreit er ziemlich gehässig. „Nein, ich lass dich jetzt nicht los, Shinoda!” knurre ich ärgerlich. Ich muss aufstehen, damit ich ihn besser zurückdrängen kann. Wir rangeln ein wenig neben dem Tisch. Mein Stuhl fällt polternd um. „Lass mich los, Bennington!” wiederholt Mike lauthals. Der Mann erhebt sich ebenfalls, um mir gewachsen zu sein. Feindselig fixiert er mich. Stößt ein aggressives Knurren aus. Zieht zornig seine tollen, dichten, dunklen Augenbrauen zusammen. Überrascht schaue ich ihn an. Deutlich registriere ich die beiden steilen Falten auf seiner Stirn. Das sieht so süß aus, dass ich ihn am liebsten sofort küssen möchte. Aber das geht jetzt nicht. Denn im Moment bin ich viel zu wütend dafür. „Ich soll dich loslassen, Mikey? Damit du nochmal vor mir wegläufst? Niemals!” erwidere ich streng. 

Eine Weile starren wir uns gegenseitig alarmiert an. Die Atmosphäre um uns scheint sich statisch aufzuladen. Testosteron vernebelt unser beider Gehirn. Es drängt uns, sofort aufeinander einzuprügeln, um endgültig zu klären, wer von uns denn jetzt eigentlich der Stärkere ist. Mike Shinoda oder Chester Bennington. Ich kann zusehen, wie Mike vor Empörung die Luft wegbleibt. Der Kerl wird tatsächlich noch zorniger. Spontan fängt er an, gegen meine Brust zu schlagen. Er bewegt sich kraftvoll, sodass ich ihn kaum noch festhalten kann. „Was bildest du dir eigentlich ein, verflucht? Bist du total bescheuert? Ich bin noch nie vor dir weggelaufen!” behauptet er völlig außer sich. Seine kurz angesetzten Schläge tun mir weh. Widerstrebend muss ich seinen Arm loslassen, um ihn wirkungsvoll abwehren zu können. „Natürlich bist du das! Das machst du doch ständig! Andauernd läufst du vor mir weg!” halte ich anklagend dagegen. Meine Stimme ist laut, weil ich wütend bin. Das gefällt mir nicht. Ich will nicht, dass es in diesem bösen Ton weitergeht. Das habe ich nicht beabsichtigt. Nachdem ich noch ein paar schmerzhafte Schläge mit meinen Armen abgewehrt habe, setze ich leiser hinzu: „Warum flüchtest du vor mir? Das verstehe ich nicht, Mike!” Entschuldigend lächele ich ihn an. Ich bin darum bemüht, ihn zu beruhigen. Auf der Stelle soll er damit aufhören, mich zu schlagen. Zwar bin ich ziemlich sauer auf ihn. Aber ich will mich jetzt nicht mit ihm prügeln. Absolut nicht. Dazu fehlt mir definitiv die Lust und, wenn ich ehrlich bin, auch die Stärke. Denn mein Körper befindet sich spürbar noch immer in diesem total nervigen Entzugsstadium. Das zerrt ganz schön an meinen Kräften.

Zu meiner Genugtuung lässt Mike tatsächlich seine Fäuste sinken. Er atmet schwer, weil er sich angestrengt hat. Vernichtend taxiert er mich, während wir beide dicht voreinander an diesem Fenster stehen. Eine Weile ist es bis auf unser lautes Atmen still. Aufmerksam beobachte ich ihn, um seine Stimmung richtig mitzukriegen. Meine ganze Konzentration liegt auf dem schwarzhaarigen Kerl. Maßlos erleichtert registriere ich, dass seine schönen Augen langsam sanfter werden. Seine unverständliche Aggressivität verschwindet. Mikey Shinoda beruhigt sich. Halleluja! Ich frage mich, was in seinem Kopf vorgeht. Aus diesem seltsamen Mann kann ich nicht schlau werden. Er ist mir ein einziges Rätsel. Aber genau das macht ihn auch außergewöhnlich interessant für mich, muss ich zugeben. Außerdem mag ich ihn total. Er sieht fantastisch aus und hat etwas an sich, was mich wie ein Magnet zu ihm hinzieht. Obwohl ich mit meiner eigenen Wut ein paar Probleme habe, fühle ich mich schon wieder eigenartig beschwichtigt. Und das liegt nur daran, weil Mike Shinoda in meiner Nähe ist. Dies ist eine verblüffende Tatsache, die mich unglaublich fasziniert.

Einige Zeit schauen wir uns schweigend an. Seine Nervosität steigt. Ich glaube, es arbeitet in seinem Kopf. Gespannt erwarte ich, was wohl dabei herauskommt. Mike wirft einen prüfenden Blick durch den Saal und zur Flügeltür. Er will sichergehen, dass wir noch immer allein sind. Das sind wir. Plötzlich beugt der Mann sich vertraulich zu mir und erklärt: „Es hat dir nicht gefallen, wie ich deinen Schwanz angefasst habe. Das hat mich total gedemütigt, Chester.” Seine Stimme ist ganz leise. Seine Ohren färben sich zuverlässig rot. Unvermindert ist es ihm extrem peinlich, mit mir darüber zu reden. Darum rechne ich ihm seine überraschende Ehrlichkeit hoch an. Ich bin heilfroh, dass der Typ mir endlich ein paar Antworten gibt. Allerdings ist diese eine Sache etwas, worüber ich auf gar keinen Fall mit ihm sprechen kann. Deshalb muss ich mir schnell eine andere Erklärung ausdenken, die seine komischen Zweifel beseitigt. „Doch, natürlich hat mir das gefallen. Es... war total geil, wie du mich angefasst hast, Mike. Ich war nur... das ging mir irgendwie zu schnell... so plötzlich... du... hast mich... überrumpelt... darum konnte ich nicht... ich wollte nicht...” Blöderweise gerate ich schon wieder ins Stottern. Weil mir das unvermittelt verflucht tief reingeht. Weil ich zuverlässig an etwas erinnert werde, das keine einzige Erinnerung wert ist. Verwirrt und aufgewühlt breche ich ab. 

Zu meinem Glück zeigt Mike Verständnis und hakt nicht nach. Noch einmal sehen wir uns schweigend an. Ich bin ihm extrem dankbar, dass er nicht weiter nachfragt. Seine dunklen, tiefgründigen Augen fesseln mich. Sein Bart scheint seidig weich. Seine Lippen sind so wunderbar voll und rot. Das reizt mich total. Wie verrückt sehne ich mich danach, von Mike geküsst zu werden. Ich möchte von ihm gestreichelt werden. Automatisch kommt mir die Szene auf der Parkbank in den Sinn. Als Mike mich zärtlich liebkost hat. Wie er mit den warmen Fingern sanft über meine nackte Haut fuhr. Das hat sich verflucht gut angefühlt. Ich will, dass er das nochmal macht. Mein Herz klopft härter. Ich liebe ihn, denke ich plötzlich völlig verblüfft. Ich möchte augenblicklich lieb zu ihm sein. Ratlos blicke ich ihn an. Seine Augen werden ganz weich, als er mich traurig anschaut. Er betrachtet so ausführlich mein Gesicht, als wollte er sich jede Einzelheit sehr genau einprägen. „Ich kann verstehen, dass es dir zu schnell gegangen ist. Aber Mann, Chester, du hast keine Ahnung, wie sehr du mich überrumpelt hast”, flüstert er auf einmal. Sein Atem geht schwer. Vor Nervosität am ganzen Körper zitternd, holt er tief Luft. Es fällt ihm nicht leicht, sich mir anzuvertrauen. „Vorhin im Park, da habe ich plötzlich vollkommen meine Beherrschung verloren. Du hast mich so extrem aufgegeilt, wie ich es in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt habe. Scheiße, Chaz! Das war wie ein verfluchter Donnerschlag. Ich war völlig machtlos”, gesteht Mike mir scheu. Mit schüchternem Blick bemüht er sich, meine Reaktion zu erforschen. 

Ich bin mega verdutzt, mit wie viel Ehrlichkeit der fremde Mann mir auf einmal begegnet. Wie vertrauensvoll er mich in seine innersten Gefühle einweiht. Ich habe keine Ahnung, wie ich darauf reagieren soll. Das überfällt mich jetzt irgendwie. Denn mit so etwas habe ich bestimmt nicht gerechnet. „Mike, ich...”, sage ich hilflos, als er abrupt den Arm hebt und mir zärtlich die Dreadlocks hinter die Ohren streicht. Er kämmt mir sorgfältig die Locken aus dem Gesicht. Dann fährt er mit der Hand behutsam über meinen Kopf. Mit den Fingern langsam durch mein Haar. Sanft streichelt er über meine Augenbrauen und Wangen. Diese liebevolle Berührung bringt mich augenblicklich zum Schweigen. „Ich weiß gar nicht, was mit mir passiert, Chaz. Ich kenne diese Gefühle nicht. Du machst mich total fertig. Seit ich dich zum ersten Mal auf dem Flur singen gehört habe, drehe ich langsam total durch”, öffnet Herr Shinoda mir total unerwartet seine verkorkste Seele. Der Typ guckt mich unendlich traurig an. Als würde er jeden Moment anfangen zu weinen. Mit so einem depressiven Gefühlsausbruch kann ich nicht gut umgehen. Das macht mich nervös. „So schlimm war das doch nicht, Mikey...”, erwähne ich einfach irgendwas. Weil ich nämlich keinen blassen Schimmer davon habe, was er mir mit diesen Sätzen eigentlich mitteilen will. Oder warum er mir ausgerechnet jetzt diese merkwürdigen Umstände anvertrauen muss. Sein Geständnis ist mir zu kompliziert. 

Eigentlich spüre ich nur seine Berührung. Und die ist ausgesprochen angenehm. Ich genieße seine sanften Zärtlichkeiten. Er liebkost mit seinen weichen Fingern ausführlich mein Gesicht. Beinahe ehrfürchtig streichelt er über meine Haut, während er mich die ganze Zeit deprimiert ansieht. „Doch, das ist total schlimm, Chester!” stellt er energisch klar, „Das ist so schlimm, dass ich mir das niemals verzeihen werde. Ich weiß nicht mal, wie ich das verarbeiten soll. Shit, ich bin auf dieser verdammten Bank brutal über dich hergefallen! So etwas habe ich noch nie gemacht. Nicht mal annähernd. Das passt auch nicht zu mir. Aber mit dir brennen mir offensichtlich alle Sicherungen durch. Du bringst mich dazu, diese komischen Dinge zu tun und zu fühlen, die mir vollkommen fremd sind.” Der traurige Kerl macht eine dramatische Pause. Dann fragt er plötzlich: „Warum tust du mir das an, Chester Bennington?” Sein aufmerksamer Blick verlangt flehend nach Antworten.

Es dauert eine Weile, bis seine vielen Wörter richtig zu mir durchdringen. Ich spüre seine sanften Streicheleinheiten viel zu intensiv in meinem Gesicht. Meine Haut sensibilisiert sich eigenständig darauf. Unwillkürlich machen sie mir große Lust auf sehr viel mehr. Zu meinem großen Bedauern begreift Mike, dass ich abgelenkt werde. Sofort nimmt er seine warmen Finger aus meiner Visage und fixiert mich forschend. Ich muss dem spontanen Drang widerstehen, ihn zu umarmen und extrem liebebedürftig an mich zu ziehen. Unbedingt möchte ich ihn küssen. Leidenschaftlich. Aber irgendwas irritiert mich plötzlich. Es ist etwas, das er gesagt hat. „Was?” frage ich verdutzt. „Du musst auf der Stelle damit aufhören, Chester! Auf jeden Fall!” meint der Bärtige mit dieser unverständlichen Traurigkeit in seiner wohlklingenden Stimme, „Ich weiß nicht, wo das sonst noch hinführen wird.” Seine absolut liebevolle, zärtliche Berührung hat mich unwillkürlich erregt. Darum habe ich Schwierigkeiten damit, mich auf seine Worte zu konzentrieren. „Was meinst du damit, ich soll aufhören? Womit soll ich aufhören?” erkundige ich mich verwirrt. 

Das ärgert Mike extrem. Weil er zu recht das Gefühl hat, dass ich ihm bei seinen gewichtigen Geständnissen gar nicht richtig zugehört habe. „Hör sofort auf, mich verrückt zu machen!” kläfft der junge Mann ungeduldig. Seine braunen Augen verengen sich urplötzlich zu aggressiven Schlitzen. Anklagend taxiert er mich. Das fühlt sich an, als hätte er mir unerwartet ein scharfes Messer in den Brustkorb gestoßen. „Was?” krächze ich entsetzt, „Ich soll dich verrückt machen?” Der Gedanke macht mich wütend, dass Mike mir hier irgendeine ominöse Schuld zuschiebt, die in Wahrheit nur in seinem wirren Schädel existiert. Ungesteuert fühle ich mich von dem fremden Typen angegriffen. Instinktiv schaltet mein Körper in den alarmierten Verteidigungsmodus. „Womit denn? Womit mach ich dich verrückt, hä?” zische ich herausfordernd. Er antwortet nicht sofort. Darum fange ich an, spöttisch zu grinsen. „Vielleicht bist du ja schon lange vorher verrückt gewesen! Womöglich bist du schon seit Jahren total verrückt, Mikey! Schließlich hältst du dich hier in der geschlossenen Psychiatrie auf. Das muss ja irgendeinen Grund haben, Herr Shinoda!” Meine Stimme ist laut und aggressiv. Sie fordert ihn heraus. Der Schwarzhaarige schüttelt energisch den stacheligen Kopf. „Nein! Das stimmt nicht! Es war alles in Ordnung, bevor du plötzlich mitten in der Nacht hier aufgetaucht bist! Erst seit du hier bist, drehe ich total durch, Herr Bennington!” knallt er mir verzweifelt gegen den Kopf. Aufgebracht schnappt er nach Luft. 

Aber ich kann seine unsinnige Anklage so nicht stehenlassen. „Das ist doch totaler Schwachsinn! Ich hab dir gar nichts getan! Du bist doch aus deinem Zimmer gekommen, um mich singen zu hören! Du warst es doch, der sich beim Frühstück an meinen Tisch gesetzt hat...” „Weil ich dir deine Brille zurückgegeben habe!” wirft er widerspenstig ein. Grinsend schüttele ich den Kopf. „Nein, so war das nicht. Du bist viel länger sitzengeblieben, als es dafür nötig war. Du wolltest sogar unbedingt, dass ich etwas esse...” „Das wollte ich nur, weil du viel zu dünn bist!” ruft Mike angepisst dazwischen. Spontan versetzt er mir einen leichten Stoß gegen die Rippen. „Das kann dir doch völlig egal sein!” erwidere ich verständnislos. Aber er schüttelt weiter entschieden den Kopf. Seine hart gegelten Stacheln bewegen sich dabei kaum. Nochmal stößt er mich von sich weg. Diesmal viel kräftiger, sodass ich unwillkürlich ein paar Schritte rückwärts taumele. Mein Hintern stößt schmerzhaft gegen einen der Tische, der dadurch laut über den Fußboden schrammt. „Das ist mir aber nicht egal, Chester! Mir ist gar nichts egal, was dich betrifft! Darum geht es doch hier, verdammt nochmal!” erklärt mein Gegenüber hörbar frustriert. Ziemlich bedrohlich kommt er auf mich zu. 

Eigentlich verstehe ich nur Bahnhof. Ich kann noch nicht einmal begreifen, warum Michael auf einmal so dermaßen aufgewühlt ist, dass sogar Tränen in seinen schönen Augen glitzern. „Hör damit auf, Chester Bennington! Hör sofort damit auf! Ich weiß gar nicht mehr, was ich machen soll. Ich verstehe das alles nicht. So etwas habe ich noch nie erlebt”, flüstert der Typ beschwörend. Hastig wischt er sich über die feuchten Augen. Langsam kommt er noch zwei Schritte näher, schaut mich hilflos an und schubst mich dann abermals abrupt von sich. Sein Stoß mit beiden Händen trifft mich unvorbereitet. So schnell kann ich gar nicht reagieren. Haltlos stolpere ich rückwärts durch die Tischreihen. „Du musst mich in Ruhe lassen, Bennington! Augenblicklich! Lass mich zufrieden! Ich ertrage das nicht mehr! So was wie im Park darf nie wieder zwischen uns passieren!” verlangt Mike eindringlich. Mit dieser Forderung reißt er mir unvermittelt fast die Seele raus. Vor Schreck krampft sich alles in mir zusammen. Bestürzt schüttele ich den Kopf, während ich um mein Gleichgewicht ringe. „Nein! Nicht doch, Mike! Warum sagst du so was?” entfährt es mir erschrocken. Spontan will ich nach ihm greifen. Diesen Menschen irgendwie festhalten. Aber er schubst mich schon wieder brutal weg. Meine Hüfte knallt gegen einen Tisch. Das tut weh. Und langsam geht mir seine aggressive Gewalttätigkeit total auf die Nerven. Nur mit Mühe kann ich meinen Rückwärtsschwung auffangen. Ich versuche, an einem der Tische Halt zu finden. Holz schrappt laut über Stein. Stühle fallen um, als ich dagegen taumele. Seine kurzen Stöße gegen meine Brust werden immer brutaler. „Mann, hör auf damit!” fordere ich verärgert. Mit festem Schritt gehe ich auf ihn zu. Mike will mich erneut gewaltsam mit beiden Händen wegschubsen. „Lass mich in Ruhe, Chester!” verlangt er pausenlos, „Geh einfach weg und verschwinde aus meinem Leben!” Ich ertrage seine Forderung nicht. Hastig greife ich nach seinen Handgelenken, um ihn an weiteren schmerzhaften Schlägen zu hindern. Der zornige Mann knurrt widerspenstig und will sich aus meinem Griff befreien. Aber ich löse meine Finger nicht. Wir kämpfen eine Weile. Starren uns vernichtend an. Er schafft es nicht, mich loszuwerden. Weil ich das entsetzliche Gefühl habe, dass, wenn ich ihn jetzt loslasse, einfach alles verloren ist.

Schließlich stehen wir schweigend dicht voreinander. Ringen einige Zeit nach Atemluft. Ich halte seine Gelenke vor meiner Brust ganz fest. Gucke ihm beschwörend in die wunderschönen Augen. Plötzlich kann ich nicht länger schweigen. Die Sätze sprudeln einfach so aus mir heraus. „Hör auf damit, Mike! Beruhige dich! Hör mir doch mal zu! Ich fand das richtig geil mit dir im Park! Ich will das nicht aufgeben! Auf gar keinen Fall! Das hat mich doch auch total überwältigt. Für mich ist das genauso neu. Aber ich will dich immer wieder bei mir haben!” stelle ich energisch klar, „Ich will dich so oft wie möglich auf mir spüren. Du bist total wichtig für mich, Mikey. Verdammt nochmal, heute ist mein allererster Tag in dieser Scheiße hier! Ich kenne doch nur dich! Du kannst mich an diesem Ort nicht alleinlassen! Ich brauche dich! Ohne dich schaffe ich das nicht!” Japsend muss ich nach Luft schnappen. Mein Herz hämmert total aufgeregt. Weil mir diese überraschenden, verwirrenden Tatsachen erst in diesem Moment selber klarwerden. Als ich sie spontan ausspreche. Plötzlich habe ich panische Angst davor, dass Mike Shinoda mich verlässt. Dass ich demnächst allein sein werde. In sehr naher Zukunft. Das kann ich nicht überleben. Nicht an diesem Ort. Nicht in der verfluchten geschlossenen Psychiatrie. Auch zu Hause hat mich, wenn ich ehrlich bin, das ständige Alleinsein total verrückt gemacht. Weil sich daheim so gut wie nie jemand aufhielt, wurde ich schon ziemlich früh dazu gezwungen, alleine klarzukommen. Aber ich konnte es noch nie ertragen, von allen vollständig ignoriert zu werden. Mein Körper fängt an zu zittern, weil ich so angespannt bin. Die Panik durchflutet mich. Ich habe große Mühe, mich vor Mike halbwegs zusammenzureißen. Es fällt mir enorm schwer, die plötzliche Panikattacke irgendwie unbemerkt niederzukämpfen. Denn ich kenne diesen fremden Kerl bei Weitem nicht gut genug, um mich in dieser Form vor ihm zu outen. Meine Schwächen offen zuzugeben. Ich weiß ja nicht mal, was auf einmal in mich gefahren ist. Was zur Hölle mich überhaupt dazu veranlasst hat, ihm einfach so die Wahrheit zu sagen.

Im großen Speisesaal ist es ganz ruhig. Der Bärtige starrt mich an, als wären mir plötzlich Hörner gewachsen oder so was. Mikey braucht eine irritierend lange Zeit, um das eben Gehörte zu verarbeiten. Pausenlos sieht er mich an, als wollte er meinen Anblick für immer in seinem Gedächtnis konservieren. Die Argumente sind mir ausgegangen. Ich fühle mich eigenartig leer. Nun kann ich nichts weiter tun, als seinen tiefen, rätselhaften Blick zu erwidern. Den Menschen vor mir wortlos anzuflehen, mich bitte nicht zu verlassen. Auch wenn das zweifellos total erbärmlich ist. Aber ich kann einfach nicht anders. Die Zeit steht wahrscheinlich still.

„Fuck, Chester Bennington! Ich bin nicht mal schwul!” zischt Mike plötzlich ohne Vorwarnung. Er meint es todernst, aber ich muss einfach darüber lachen. Das nervöse Lachen sprudelt abrupt aus meiner Kehle. Ich kann es nicht aufhalten. „Na und?” kichere ich amüsiert, „Das ist doch nun wirklich scheißegal!” Mike windet sich unbehaglich. Er will seine Handgelenke aus meinem Griff befreien. Aber ich ziehe ihn daran nur näher zu mir hin. Sein Blick wandert nervös an mir vorbei zur Flügeltür. „Lass mich los, Chaz. Wenn jetzt jemand hereinkommt...”, hat der Typ echt bekloppte Bedenken. „Scheiß doch drauf”, erwidere ich gleichgültig. Abrupt ziehe ich ihn noch dichter zu mir. Und dann küsse ich ihn einfach. Ich kann nicht länger widerstehen. Dazu bin ich schlicht nicht fähig. Schnell beuge ich mich vor und presse meine Lippen fest auf seinen verlockenden Mund. Mike sträubt sich ein bisschen. „Nein, Chaz! Lass mich! Hör auf! Du machst mich total wahnsinnig!” protestiert er hilflos. Aber diesmal spüre ich genau, dass er es gar nicht mehr so meint, wie er es sagt. Eigentlich will er gar nicht, dass ich ihn in Ruhe lasse. Diese Entdeckung macht mich sehr viel glücklicher, als ich jemals vermutet hätte. Hartnäckig versuche ich, ihn zu küssen. Er dreht immerzu den Kopf weg. Stemmt sich abwehrend gegen meine Brust, obwohl ich ihn an den Gelenken festhalte. „Nein, nicht hier! Chester! Wenn uns jemand sieht...” Sein Blick irrt ängstlich zur Tür. Dieser schnuckelige Kerl ist so entzückend schüchtern. Das rührt mich. Blitzschnell lasse ich seine Hände los und umschlinge ihn stattdessen eilig, damit er nicht wieder weglaufen kann. Er soll nie wieder vor mir flüchten. Ich möchte diesen fremden Mann für immer so nah bei mir haben. Hastig lege ich meine Arme um seinen wohlproportionierten Körper und drücke ihn fest an mich. „Chaz, nicht...”, windet er sich schon viel schwächer. Endlich öffnet er zögernd seinen Mund, sodass ich mit meiner Zunge zwischen seine Zähne in ihn eintauchen kann. Sein weicher Bart kitzelt mein Gesicht. Das fühlt sich verflucht gut an. Wir küssen uns zärtlich, ohne jede Eile. Wir müssen vorsichtig sein, damit ich nicht nochmal die Brille verliere. Aber Mike ist lange nicht so stürmisch, wie vorhin auf der Parkbank. Er ist zurückhaltend, richtig scheu. Unsere Zungen fangen einen fantastischen Tanz an. Sie verstehen sich. Als wären sie füreinander geschaffen worden. Ich stelle fest, dass Herr Shinoda noch immer nach Orangensaft schmeckt. Das törnt mich an. Er törnt mich an. Meine Hände streicheln über seinen Rücken. Erfühlen seine Wirbelsäule. Er legt schüchtern seine Arme um mich. Fährt mit den Fingern liebevoll über mein Hemd. Ich schließe die Augen und gebe mich ganz diesem intimen Moment hin. Das fühlt sich richtig gut an. Fühlt sich richtig an. Alles scheint perfekt zu sein.

Doch schon im nächsten Augenblick reißt Mike sich heftig von mir los. Darauf war ich nicht gefasst. Panisch stolpert der Typ drei Schritte rückwärts von mir weg. Überstürzt dreht er sich um und zeigt mir seinen attraktiven Rücken. Sein Blick huscht erschrocken zum Eingang. Zuerst weiß ich gar nicht, was plötzlich los ist. Ein frustriertes Stöhnen kommt aus meiner Kehle. Erst mit Verzögerung kapiere ich, dass jemand hereingekommen ist. Ich bemerke die zahlreichen Menschen, die nach und nach den Speisesaal betreten. Offenbar hat Mike, im Gegensatz zu mir, ganz genau gehört, wie die Flügeltür aufschwang. Bestimmt hat der Idiot insgeheim die ganze Zeit nur auf dieses Geräusch gelauscht. Er will unsere Liaison tatsächlich geheim halten. Das fasse ich nicht. Was ist nur los mit ihm? Mike dreht sich nochmal um und kommt zwei Schritte näher. Sein Blick ist höchst alarmiert. „Zu Keinem ein Wort, Bennington! Niemals!” beschwört er mich. Drei Sekunden lang fixiert er mich drohend. Wartet nicht auf meine Reaktion. Im nächsten Moment wendet er sich schon ab. Zielstrebig bewegt der seltsame Kerl sich durch die Tischreihen. Den unerwünschten Störenfrieden entgegen. Extrem genervt registriere ich, dass ein paar Schwestern und Pfleger diese großen Rollwagen in den Speisesaal fahren. Der Geruch nach Essbarem steigt mir in die Nase. Augenblicklich dreht sich mir der Magen um. Anscheinend ist es jetzt Zeit fürs scheiß Mittagessen. Hinter dem Personal kommen noch mehr Leute. Die Patienten versammeln sich aufs Neue in diesem Raum, um ein vorgeschriebenes Mahl zu sich zu nehmen. Hier geschieht alles genau nach Plan. Scheinbar gibt es keine Ausnahmen. Füge dich in die Gemeinschaft oder stirb. 

Ich fühle mich unwohl, so allein am Rand stehend. Unzufrieden sucht mein Blick den einzig Vertrauten in der fremden Menge. Fuck, er ist schon wieder abgehauen! Und ich konnte ihn nicht festhalten. Aber diesmal ist er wenigstens im gleichen Zimmer geblieben. Sodass ich ihn zumindest noch beobachten kann. Reglos stehe ich an der Wand und behalte seine magisch tröstliche Gestalt im Auge. Ich habe noch seinen Geschmack auf meiner Zunge. Kann noch seinen warmen Körper dicht an meinem fühlen. Ich vermisse ihn so sehr. Das verwirrt mich. Mike steht an den rollbaren Wagen und sucht sein Namensschild. Weil er sein Tablett mit dem Mittagessen haben will. Offenbar hat Herr Shinoda großen Hunger. Genau wie die meisten anderen Patienten um ihn herum. Mein Herz wird warm, als ich ihn aus der Ferne eingehend betrachte. Der Kerl sieht in seinem schwarzen T-Shirt und den engen Jeans überirdisch gut aus. An seinen Füßen sind zum T-Shirt passende, schwarze Sneakers. Ich wünschte, ich könnte ihn besser einschätzen. Ich habe keine Ahnung, was in ihm vorgeht. Mir ist auch völlig schleierhaft, wie unsere merkwürdige Beziehung funktionieren soll. Ob wir überhaupt eine Beziehung haben. Schließlich ist heute gerade mal der erste Tag, an dem wir uns kennengelernt haben. Und schon haben wir auf einer versteckten Bank im Park ziemlich heftig herumgeknutscht. Irgendwas zieht uns zueinander hin. Und zwar heftig. Ich muss lächeln, als ich mich an Mikeys sexuellen Enthusiasmus erinnere. Das war ohne Frage ziemlich aufregend. Der Typ fühlt sich geil an. Ich möchte das so bald wie möglich nochmal erleben. 

Mike hat sein Mittagessen gefunden und zieht vorsichtig das Tablett aus dem Rollwagen. Dann trägt er es achtsam durch die Reihen und Menschen zu einem freien Tisch am Fenster. Meine Augen haben sich an ihm festgesaugt. Wollen ihn nicht mehr loslassen. Seine Bewegungen sind erstaunlich anmutig. Das erregt mich. Er stellt das Tablett vor sich auf den Tisch und setzt sich. Endlich hebt er den stacheligen Kopf und schaut zu mir hin. Unsere Blicke treffen sich sofort. Mit einer Kopfbewegung fordert Mikey mich unmissverständlich auf, mir endlich mein Tablett zu holen. Ich soll mich zum Essen an seinen Tisch setzen. Das freut mich mehr, als ich begreifen kann, dass er das will. Dass ich mich zu ihm setzen soll. Dennoch schüttele ich den Kopf. Ich signalisiere ihm quer durch den Saal, dass ich ohnehin nichts runterkriege. Mike verdreht in gespieltem Entsetzen die Augen und wackelt genervt und unzufrieden mit dem Kopf. Dann muss er lachen. Genau wie ich. Mit übertriebenem Genuss fängt er an zu essen. Er will mir weismachen, was ich alles Köstliches verpasse. Mike ist lustig. Der traurige Mann hat überraschend gute Laune. Das gefällt mir. Ich kann nicht aufhören, ihn anzusehen. Erst letzte Nacht habe ich diesen faszinierenden, rätselhaften Kerl zum ersten Mal in meinem Leben gesehen. Und schon jetzt möchte ich nicht mehr auf ihn verzichten. Das ist so schnell passiert, dass ich gar nicht hinterherkomme. Ich verstehe das alles nicht. Noch nie habe ich mich derart zu jemandem hingezogen gefühlt. Schon gar nicht zu einem anderen Mann. Die allumfassende Macht, mit der ich mich nach ihm sehne, beunruhigt mich. Es irritiert mich, wie verflucht abhängig ich mich schon von ihm fühle. Ich sollte wirklich nicht so stark auf ihn angewiesen sein. Denn was weiß ich denn schon über ihn? Sein Name ist Mike Shinoda. Eigentlich Michael. Er hat einen Vater, der aus Japan stammt. Seine Mutter hat europäische Wurzeln. Laut eigener Aussage ist Mike nicht mal schwul. Trotzdem habe ich ihn dermaßen extrem aufgegeilt, dass er vollkommen die Beherrschung über sich verloren hat. Zum ersten Mal in seinem Leben.





Wie hat Euch das Kapitel gefallen?
Ich bin total neugierig auf Eure Kommentare!

6. To heal my ill heart


Michael Kenji Shinoda

Alles in mir schreit nach ihm. Ich vermisse ihn so sehr. Sehne mich nach ihm, dass es mich innerlich zerreißt. Nichts anderes hat noch Platz in mir. Mike Shinoda vermisst Chester Bennington. Auf eine Art, wie er sie noch nie erlebt hat. Außer dem Schmerz ist nichts mehr da. Offenbar hat Chester, als er verschwand, so viel von mir mitgenommen, dass ich jetzt nur noch diese gähnende Leere in mir spüre. Als hätte der neue Patient ein riesengroßes, schwarzes Loch in mich gerissen. Ich fühle mich taub. Fühle mich betrogen. All diese neuen, aufregenden Emotionen sind weg. Davon ist nichts mehr übrig.

Reglos sitze ich auf der niedrigen, langen Bank vor den vielen Spinden und bewege mich nicht. Von Anfang an hat es mich gestört, dass es in dieser hochmodernen, gut ausgestatteten Turnhalle nur Gemeinschaftsumkleideräume gibt. Mit peinlichen Gemeinschaftsduschen. Säuberlich getrennt lediglich nach Männlein und Weiblein. Das erinnert mich an die High School. Wo ich das gemeinschaftliche Umziehen und Duschen beim Sportunterricht auch schon gehasst habe. Aber hier boykottiere ich es. Schließlich bin ich mittlerweile erwachsen. Ich kann zu diesem Mist nicht mehr gezwungen werden. Aus Prinzip ziehe ich mich nicht vor anderen Menschen um. Jedes Mal warte ich stur darauf, bis die anderen Männer fertig sind. Bis alle den Umkleideraum verlassen haben. Vorher ziehe ich mir die Sportklamotten nicht an. Die anderen Patienten kennen das schon. Zum Glück beachten sie mich nicht. Lassen mich einfach in Ruhe. Nichts anderes will ich von ihnen. In der Anfangszeit hat schon mal jemand versucht mich anzusprechen. Aber jetzt nicht mehr. Das ist mir nur recht. Wenn mich niemand stört, kann ich mich besser an Chester erinnern. Der unfassbar wunderschöne Mann beherrscht meine Gedanken. Pausenlos. Seit über zweiundzwanzig Stunden habe ich ihn nicht gesehen. Ich weiß nicht, was mit ihm passiert ist. Fühle mich von ihm verlassen. Wurde irgendwie aus der Bahn geworfen. Bin haltlos.

Verzweifelt versuche ich, mich an einer Erinnerung festzuhalten. Denke an die Zeit, als ich Chester zum letzten Mal gesehen habe. Das war gestern beim Mittagessen. Etwas Fantastisches war passiert. Weil eine nie gekannte Euphorie in mir explodiert war. Als Chester mir gestand, dass ich wichtig für ihn bin. Als er mich flehend darum bat, ihn nicht alleinzulassen. Obwohl wir uns kaum kennen. Und ich ihn schlecht behandelt hatte. Trotzdem. Da wurde mir schlagartig klar, dass der Fremde wahrhaftig Angst hat, ich könnte mich von ihm abwenden. Ich denke nicht, dass er mich in diesem Punkt angelogen hat. Die Panik in seinen Augen war echt. Dabei wollte ich das sowieso niemals tun. Ihn verlassen. Der besondere Mann sollte für immer in meiner Nähe bleiben. Damit ich mich um ihn kümmern kann. Ich habe das Gefühl, dass ich mich dringend um ihn kümmern muss. Das scheint eine lohnende Aufgabe zu sein. Ein neuartiger Sinn in meinem Leben. Chester braucht jemanden. Er möchte nicht allein sein. Das hat er selbst gesagt. Herr Bennington braucht mich. Mich. Mike Shinoda. Entgegen aller Wahrscheinlichkeiten. Und obwohl wir uns erst seit nicht mal zwei Tagen kennen. Das ist so wundervoll, dass ich es eigentlich gar nicht begreifen kann. Die Gewissheit, von Chester gebraucht zu werden, machte mich gestern so glücklich, wie ich definitiv noch nie in meinem Leben gewesen bin. Es fühlte sich an, als ob endlich alles in Ordnung wäre. Als hätte sich das sinnlos verwirrende Chaos unerwartet zu einem großen Glück zusammengefügt.

Aber jetzt tut es nur noch weh. Meine Euphorie ist in einer schwarzen Rauchwolke explodiert. Weil es nämlich Chester ist, der mich verlassen hat. Nicht umgekehrt. Der besondere Sänger ist einfach verschwunden. Wortlos. Er ist gegangen und nicht zurückgekehrt. Inzwischen sind das entschieden zu viele Stunden ohne ihn. Ich ertrage das nicht mehr.

Langsam wird es ruhiger im Umkleideraum. Die Männer gehen hinaus. Machen sich auf den langen Weg zur Turnhalle. Ich bin froh, dass sie endlich weggehen. Ich mag das laute Stimmengewirr nicht. Warte reglos ab, bis ich allein bin. Zögernd stehe ich auf. Fange an mich umzuziehen. Meine Sportsachen habe ich in meiner Tasche dabei. Auch die Turnschuhe, die hier Vorschrift sind. Langsam knöpfe ich mein Hemd auf und ziehe es aus. Auch das Unterhemd. Meine Sachen kommen in meinen Spind. Ich ziehe mein dunkelblaues Sport-Shirt an. Denke pausenlos an den gestrigen Tag. Will ihn in meinem Kopf nicht loslassen. Diese Achterbahnfahrt.

Nach dem verstörenden Erlebnis mit Chester auf der Parkbank war ich voller Angst und Scham. Das hat meine Gedanken gelähmt. Ich war mir so sicher, jetzt endgültig alles versaut zu haben. Unabsichtlich alles zerstört zu haben. Dass Chester nie wieder auch nur ein Wort mit mir sprechen würde. Das hätte ich verstanden. Mit nichts anderem habe ich gerechnet. Aber dieser ganz besondere Mensch hat mich schon wieder überrascht. Herr Bennington war gar nicht wütend auf mich. Er war nicht mal verärgert. Hat mir nichts vorgeworfen. Obwohl ich mich im Park wie ein durchgeknallter, sexbesessener Psychopath verhalten habe. Chester hat mir versichert, dass er mich trotzdem mag. Dass er es ohne mich in der geschlossenen Psychiatrie nicht schaffen kann. Chester hat mit mir geredet, obwohl ich Feigling alles versucht habe, dieses peinliche Gespräch zu verhindern. Der Typ war beeindruckend hartnäckig. Und hat damit alles geändert. Schon wieder. Chester hat es geschafft, dass aus meiner Depression reine Euphorie wurde. Mit nur wenigen Worten kann der so was. Mit einem Blick aus seinen wunderschönen Augen. Einem Lächeln. Kinderleicht. So etwas habe ich noch nie erlebt. Jemandem wie Chester bin ich noch nie begegnet. Der Kerl ist definitiv magisch. Bennington kann unmöglich von dieser Welt sein. Wahrscheinlich kommt er aus einem weit entfernten Universum. Er ist besonders.
Ich kann es nicht erwarten, nochmal mit dem Sänger allein zu sein. Denn beim nächsten Mal werde ich alles richtig machen. Ich werde mich beherrschen. Sensibel auf seine Bedürfnisse achten. Ich will alles tun, was ihn glücklich macht. Und nie wieder die Kontrolle verlieren. Nicht nochmal wie ein Berserker über ihn herfallen. Falls ich überhaupt die Chance dazu kriege. Auf ein nächstes Mal.

Diese Gedanken schmerzen mich. Verkrampfen meine Eingeweide. Weil Chester nicht mehr da ist. Weil ich nicht weiß, ob ich ihn jemals wiedersehe. Weil ich mir nicht erklären kann, was ihn so lange von mir fernhält. Langsam drehe ich komplett durch. Fange ungewollt an zu zweifeln. Ich fürchte, dass vielleicht doch alles gelogen war. Oder ich mir diesen besonderen Mann möglicherweise nur eingebildet habe. Gestern Nachmittag war er nicht mit mir bei der Kreativtherapie. Später hat er das Abendessen verpasst. Und heute Morgen tauchte er auch beim Frühstück nicht auf. Obwohl ich wie irre darauf gehofft habe. Mich extra für ihn zurechtgemacht habe. Ich habe so große Angst, Chester Bennington womöglich verloren zu haben, dass es mich innerlich zerreißt. Ich fürchte, dass der Typ mich für immer verlassen hat. Ausgerechnet in dem Moment, als ich am glücklichsten war, verschwand er von der Bildfläche. Als Chaz mir am nächsten war. Nachdem wir uns ausgesprochen hatten. Als endlich alles gut zu sein schien. Ich verstehe das nicht. Vermisse ihn so sehr. Das tut dermaßen weh, dass ich am liebsten nur noch laut schreien möchte. Pfleger Ulrich hat meinen heiß begehrten Mann aus dem Speisesaal entführt. Seitdem hat der Patient Bennington sich in Luft aufgelöst. Und mit jeder einzigen Minute wird meine Sehnsucht nach ihm schlimmer. Mein Schmerz unerträglicher. Die Verzweiflung. Die Angst. Die Leere. Es ist gut möglich, dass ich vollkommen verrückt geworden bin.

Extrem aufgewühlt ziehe ich meine Schuhe aus. Pfeffere sie einzeln in den Schrank. Wütend trete ich mir die Jeans von den Beinen. Ziehe meine elastische Sporthose an. Dann die Turnschuhe. Bislang habe ich verzweifelt versucht, eine Erklärung zu finden. Habe mir irgendwas ausgedacht, was sie hier in der Psychiatrie vielleicht mit Chester anstellen. Irgendwelche Untersuchungen vielleicht, psychische und körperliche Tests oder so was. Habe versucht mich zu erinnern, ob die in meiner Anfangszeit hier so etwas auch mit mir gemacht haben. Aber ich weiß es nicht. Erinnere mich nicht daran. In meinem Gedächtnis ist diese Zeit seltsam verschwommen. Total unwirklich. Mein eigenes Aufnahmeritual für die geschlossene Psychiatrie scheint ewig her zu sein. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich inzwischen hier bin. Vielleicht bin ich schon immer hier gewesen. Und jetzt gelingt es mir nicht mehr, gelassen zu bleiben. Ich kann mir keine harmlosen Erklärungen mehr ausdenken. Jeder Gedanke ist sinnlos geworden. Völlig bedeutungslos. Nichts spielt noch eine Rolle. Denn Chester ist nicht mehr da.

Endlich bin ich fertig umgezogen. Setze mich zurück auf die Bank. Überlege ernsthaft, die blöde Sportstunde zu schwänzen. Das wäre das erste Mal, dass ich mutwillig eine Therapie nicht mitmache. Aber ich bin dermaßen wütend auf die Psychiatrie, dass ich mich am liebsten komplett verweigern würde. Sie haben mir Chester weggenommen, die verdammten Schweine! Erst haben sie mir diesen besonderen Mann förmlich vor die Füße geworfen. Und jetzt wurde er mir wieder geklaut. Das ist so verflucht hinterfotzig. So unerträglich grausam. Die Psychiatrie ist schuld daran, dass ich mich jetzt so schlecht fühle, wie noch nie in meinem Leben. Anscheinend wollen die mich hier total fertigmachen. Wer weiß, ob das nicht vielleicht ein gemeiner Test für mich sein soll. Irgendeine amtliche Psychoaufgabe womöglich. Aber da macht Mike Shinoda nicht mit. Ich werde gar nichts mehr tun. Werde einfach aufs Neue verschwinden. Vollständig. Mich in mich selbst auflösen. Alles bedeutungslos werden lassen. Am Ende noch nicht mal mehr Zorn fühlen. Das habe ich doch schon mal gekonnt. Aber jetzt nervt es mich ja schon, dass ich mich überhaupt umgezogen habe. Weil das sinnlos ist, wenn ich beim Sport gar nicht mitmache. Die Mühe hätte ich mir sparen können. Es kotzt mich an, dass mir das nicht egal ist. Ich wünschte, alles könnte mir einfach egal sein. So wie vor zwei Tagen noch. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die verfluchte Psychiatrie hat es geschafft, mir meinen Verstand zu stehlen. Ich weiß nicht, ob ich nach Chester nochmal in meine tröstende Teilnahmslosigkeit zurückfinden kann. Oder ob Chester überhaupt jemals existiert hat. Das frustriert mich mehr, als ich aushalten kann.

Plötzlich geht die Tür auf. Abrupt. Und zwar die, die nach draußen führt. Ohne dass vorher jemand anklopft. Was total unhöflich ist. Besonders bei einem Raum, in dem Menschen sich umziehen. Diese dreiste Störung macht mich stinksauer. Mike Shinoda ist tödlich genervt. „Das hier ist der Umkleideraum für die männlichen Teilnehmer deiner Gruppe. Leider sind wir zu spät dran. Die Therapie hat schon angefangen. Sicher wird hier niemand mehr drin sein”, höre ich Pfleger Ulrich zu jemandem sagen, den ich im ersten Moment nicht sehen kann. Die zweite Person betritt hinter dem Pfleger die Umkleide. Chester Bennington taucht urplötzlich an der Tür auf. Augenblicklich werde ich stocksteif. Mein Herz setzt etliche Schläge aus. Stille. Mein Atem stockt. Im doppelten Tempo nimmt mein Herz seine Arbeit wieder auf. Der verrückte Psychopath Shinoda wird tierisch nervös. Ist total schockiert. Verdammt nahe am Herzinfarkt. Schlagartig. Aber ich muss mich beruhigen. Muss ganz ruhig bleiben. Tief ein und ausatmen. Dringend. Mikey darf jetzt nicht ausrasten. Nicht endgültig den Verstand verlieren. Ich darf mich nicht über irgendwas freuen, was nur in meiner Einbildung existiert. Auf keinen Fall werde ich mich freuen. Ich zwinge mich, meine voreilige Euphorie, die mich gerade blitzartig überschwemmt und damit wahnsinnig macht, im Zaum zu halten. Denn noch eine Enttäuschung überlebe ich nicht. Das spüre ich genau. Bestimmt werde ich nur wieder enttäuscht. Schließlich bin ich in den letzten zweiundzwanzig Stunden immerzu enttäuscht worden. Niemals war es Chester. Es ist verdammt nochmal nie Chester gewesen! Und auch jetzt kann es nicht Chester sein, den Ulrich hierher mitgebracht hat. Sicher ist es irgendein anderer neuer Patient, dem der Pfleger die Turnhalle zeigt. Schließlich ist Bennington schon viel zu lange unauffindbar. Vielleicht ist der Sänger längst wieder daheim in Phoenix. Falls er da tatsächlich herkommt. Wie er behauptet hat. Irgendjemand hat gemerkt, dass alles ein Irrtum war. Und daraufhin haben sie ihn nach Hause geschickt. Chester ist  in Phoenix. Oder sonst wo. Mike Shinoda hat bestimmt Wahnvorstellungen. Würde mich echt nicht wundern.

Aber so mühsam konzentriert ich auch hinstarre, so sehr ich auch eine neuerliche Täuschung erwarte, die Person an der Tür verändert sich nicht. Es bleibt die über alles geliebte, vertraute Gestalt. Wie in meiner Erinnerung. Meinen Träumen. Meinem stundenlangen Sehnen. Ausgehungert heften meine Augen sich an ihm fest. Er hat mich noch nicht gesehen. Studiert gelangweilt den Fußboden. Chester Bennington sieht noch genauso aus wie gestern beim Mittagessen. Er hat exakt die selben Klamotten an. So langsam dämmert mir, dass der arme Kerl tatsächlich keine andere Kleidung besitzt. Weil er wahrhaftig noch immer das blaue Hemd mit dem Schmetterlingskragen und die hellgraue Chinohose trägt. Seine dunklen Dreadlocks wirken seltsam ungezähmt. „Mike? Mike Shinoda?” ruft Pfleger Ulrich verblüfft. Chesters Kopf schnellt aufgeschreckt nach oben. Seine braunen Augen suchen alarmiert den Raum ab. Finden mich schnell. Hilflos auf der niedrigen Bank sitzend. Ihn fassungslos anstarrend. Unsere Blicke treffen sich sofort. Halten sich augenblicklich aneinander fest. Hinter der Brille sind seine braunen Augen unergründliche Tiefen. Mit irre hämmerndem Herzen registriere ich, dass Chester überrascht zusammenzuckt. Irritiert betrachtet er mich. Der besondere Mann hat nicht mit mir gerechnet. Mein plötzliches Auftauchen verwirrt ihn. Und jetzt weiß er nicht, wie er reagieren soll. Er ist verunsichert. Das macht mich total verrückt. Ich kann nicht aufhören, ihn anzusehen.

Die beiden Eindringlinge bewegen sich. Kommen langsam näher. Chesters blaue Chucks quietschen auf dem Linoleum. Weil er beim Laufen die Füße nicht richtig hochhebt. Sein Gang ist unsicher, beinahe taumelnd. Chester ist krank. Es geht ihm nicht gut. Das sehe ich auf den ersten Blick. Spüre es förmlich am eigenen Leib. Und es zerbricht mein Herz. Empört frage ich mich, was diese Arschlöcher in der Psychiatrie denn bloß mit ihm gemacht haben. Er wirkt auf mich, als hätten sie ihn die ganzen zweiundzwanzig Stunden lang gequält. Pfleger und Patient bleiben vor mir stehen. Chester mustert mich interessiert. Ein zaghaftes Lächeln erscheint auf seinem hübschen Gesicht. Der junge Mann freut sich, mich zu sehen. Zweifellos tut er das. Aber Chester sieht müde aus. Er ist erschöpft. Viel zu blass. Seine schönen Augen haben dunkle Schatten. Das macht mir große Sorgen.

„Mike? Ja, sag mal, was sitzt du denn noch hier? So ganz alleine. Die Therapie hat doch schon längst angefangen!” spricht Pfleger Ulrich mich an. Aber ich kann ihn kaum hören. Meine Augen erforschen begierig den anderen Mann. Bewegen sich nicht von ihm weg. Haben ihn viel zu lange nicht gesehen. Müssen dringend überprüfen, ob er sich in der Zwischenzeit verändert hat. Aber das hat er nicht. Kein bisschen. Chester Bennington ist noch immer so sphärisch schön, dass ich es nicht begreifen kann. Er gleicht meiner Erinnerung aufs Haar. Dieses zarte, feingeschnittene Gesicht. Der überirdisch attraktive Körper mit den langen Armen und Beinen. Ein bisschen dünn, aber absolut wohlproportioniert.

Prompt erinnere ich mich überdeutlich daran, wie er sich anfühlt. Seine warme, weiche Haut. Sein schlanker Leib mit den fühlbaren Knochen und Muskeln. Empfindsam und zerbrechlich. Man muss vorsichtig mit ihm umgehen. Darf nicht stürmisch über ihn herfallen. Ich kann es nicht erwarten, ihn nochmal zu spüren. In Gedanken schließe ich Chester in meine Arme. Streichele ihn überall. Erkunde jeden Zentimeter seines Körpers neu. Küsse ihn leidenschaftlich. Das passiert unwillkürlich mit mir. Läuft autonom in meinem Schädel ab. Dagegen bin ich völlig machtlos. Bennington tötet die Leere in mir. Die Wut. Die Verzweiflung. Der Engel ersetzt alles in mir durch etwas anderes. Innerhalb von Sekunden. So hat der sonderbare Typ das schon immer mit mir gemacht. Vom ersten Augenblick an war das so mit dem. Als ich ihn auf dem Flur singen hörte. Er hat mich vollkommen umgekrempelt. Und jetzt ist nur noch Glück in mir. Euphorie durchfließt mich warm. Mein Herz hüpft vor Freude und Erleichterung. Beruhigt sich dann langsam. Mein Mund öffnet sich zu einem stummen Freudenschrei. Eigentlich will ich schreien. Muss dringend schreien. Weil es eben doch Chester ist, den ich plötzlich vor mir sehe. Wahrhaftig. Definitiv. Gibt jetzt keinen Zweifel mehr. Keine Wahnvorstellung möglich. Der besondere Sänger ist nicht meilenweit entfernt, wie ich es befürchtet habe. Sondern hier bei mir. Steht direkt vor mir. Guckt mich die ganze Zeit an. Liebevoll. Seine braunen Augen leuchten erfreut. Mein Verstand funktioniert noch. Aber ich bin fassungslos. Das passiert mir mit ihm. Ein weiteres Mal.

„Mike? Alles okay mit dir? Warum sitzt du hier noch? Ganz alleine”, fragt Ulrich nochmal. Diesmal klingt er fast schon besorgt. Studiert mich prüfend. Der Pfleger ist alarmiert. Weil ich ihm noch immer nicht antworte. Am liebsten würde ich die lästige Nervensäge eigenhändig hinauswerfen. Aber ich setze mich nur aufrecht hin. Ziehe die Beine heran. Erwidere den fragenden Blick des ahnungslosen Pflegers. „Ich brauche noch einen Moment”, erkläre ich ihm entschuldigend. Meine Standardantwort. Im Laufe der Zeit habe ich mir die so angewöhnt. Weil dieser Satz in der Psychiatrie eigentlich immer funktioniert. Das habe ich während meines Aufenthalts hier festgestellt. Auch diesmal gibt Ulrich sich zum Glück mit meiner vagen Erklärung zufrieden. „Okay, Mike. Heute trifft sich das richtig gut. Dann kannst nämlich du Chester gleich den Weg zur Turnhalle zeigen. Sobald er umgezogen ist”, meint Ulli. Wendet sich diensteifrig an seinen Schützling. Drückt ihm rigoros eine Tasche in die Hand. Die er wohl schon die ganze Zeit getragen hat. Die ich aber jetzt erst wahrnehme. Chester nimmt die Tasche nur widerstrebend an. Offenbar ist er nicht gerade wild darauf, beim Sport mitzumachen. „Hier sind die Sachen, die du bitte jedes Mal zur Bewegungstherapie anziehst. Solange du hier bist, kannst du sie behalten. Das haben wir ja schon besprochen. Deine Privatkleidung verstaust du bitte solange in einem Spind.” Ulrich sucht die lange Reihe der Schränke ab und wird schon ein paar Meter weiter fündig. „Hier ist einer frei, Chester”, ruft er zufrieden, deutet darauf und winkt Chester zu sich hin. Der Patient gehorcht nur langsam. Ich glaube, er wollte lieber noch länger vor mir stehen und mich ansehen.

Das gefällt mir so sehr, dass mir ganz warm wird. Wie verrückt freue ich mich darauf, gleich mit Chester allein zu sein. Den schlanken Körper in meine Arme zu schließen. Den Kerl nochmal zu küssen. Fühle mich ausgehungert, nach dieser ellenlangen Zeit ohne ihn. Der Gedanke macht mich ganz kribbelig. Kann es nicht erwarten, dass der nervige Pfleger endlich abhaut. „Ziehe dich bitte jetzt um, Chester! Dann kannst du gleich mit Mike zur Therapiestunde gehen. Ich habe jetzt noch andere Aufgaben zu erledigen. Ihr müsst euch ein bisschen beeilen, okay?” Der letzte Satz war auch an mich gerichtet. Ulrich schaut mich fragend an. Darum nicke ich ihm zu. „Nicht wahr, Mike? Du zeigst Chester den Weg zur Sporthalle?” vergewissert der Pfleger sich bei mir. Ich nicke nochmal und versuche ein Lächeln. „Das geht schon klar”, verspreche ich ihm. „Du musst dir keine Sorgen um mich machen, Ulli. Bei Mike Shindoa bin ich in den besten Händen”, meldet Chester sich grinsend und wirft mir einen erschreckend zweideutigen Blick zu. Den der Pfleger zum Glück nicht mitkriegt. Oder zumindest nicht deuten kann. Mein Herz schlägt härter bei der Vorstellung, wie intensiv ich meinen lang und schmerzlich vermissten Mann gleich spüren werde. Wie leidenschaftlich ich ihn küssen werde. Sobald wir allein sind. In wenigen Minuten. Der konkrete Gedanke macht sich unwillkürlich zwischen meinen Beinen bemerkbar. Wo mein Penis von alleine damit anfängt, auf die angenehmste Art zu zucken. Fuck, das ist nicht gut, denke ich erschrocken. Mit einem Ständer kann ich wohl kaum zur scheiß Therapie gehen. In der blöden elastischen Sporthose würde mein steifer Schwanz nämlich absolut offensichtlich sein.

Unglücklich schaue ich zu Chester hin. Er inspiziert gerade den Inhalt der Tasche, die Pfleger Ulrich ihm vorhin gegeben hat. Chester packt die Einheits-Sportkleidung der Psychiatrie aus und legt sie mitsamt der Turnschuhe auf die niedrige Bank. Alle Patienten dieser Station, die keine eigenen Sachen haben, erhalten dieses Zeug. Jedes Mal laufen in der Turnhalle Menschen in Psychiatrie-Kleidung herum. Das Sportzeug ist ein wenig altmodisch, aber so schlecht nun auch wieder nicht. Chester gefallen die Sachen allerdings kein bisschen. Das ist unübersehbar. Richtig wütend und vorwurfsvoll schaut er seinen Pfleger an, der den aufmüpfigen Blick gelassen erwidert. „Du kannst dann jetzt gehen, Ulli!” fordert Chester den Weißgekleideten ziemlich frech zum Verlassen des Umkleideraumes auf. Ulrich ist zu sehr Profi, um irritiert zu sein. Er lächelt nur amüsiert. „Denkst du, dass du jetzt alleine klarkommst, Chester?” will er schmunzelnd wissen. „Ja, ich kann mich schon alleine umziehen”, meint Chester knurrig.

Demonstrativ fängt er damit an, sein blaues Hemd aufzuknöpfen. Gebannt beobachte ich ihn dabei. Seine filigranen Finger arbeiten fahrig. Sie sind erstaunlich zittrig. Mühsam öffnen sie einen kleinen, blauen Knopf nach dem anderen. Unwillkürlich fängt mein Herz verstärkt zu hämmern an. Ich will unbedingt, dass Chester sein Hemd auszieht. Auch das Unterhemd soll er ausziehen. Ich möchte dringend nochmal seine schlanke, helle Brust sehen. Die zauberhaft kleinen, hellbraunen Brustwarzen. Die wenigen, dunklen Haare, die dazwischen wachsen. Nur ein Stückchen höher. Ich erinnere mich an das Gefühl seiner warmen, zarten Haut an meinen Fingern. Wie seine Haut sich über seine Rippen spannt. Wie weich sein nackter Bauch ist. An die Form seines Bauchnabels. Ich denke an die Haare, die von seinem Nabel aus nach unten in seiner Unterhose verschwinden. Diese deutliche Erinnerung erregt mich extrem. Unruhig ändere ich meine Sitzposition. Mist, ich werde langsam hart. Total automatisch. Mikey kann gar nichts dagegen tun.

„Okay, dann lass ich euch beide jetzt mal alleine”, beschließt Pfleger Ulrich endlich und sieht zu mir hin. Hastig schlage ich die Beine übereinander. Erwidere den abschätzenden Blick so gelassen wie möglich. „Ja, du kannst ruhig gehen. Ich zeige Chester den Weg zur Turnhalle”, erkläre ich ein bisschen atemlos. Ulrich nickt zufrieden. Ich hoffe, dass der Pfleger mir meine sexuelle Erregung nicht anmerkt. Zum Glück wendet er sich ab und geht zur Ausgangstür. „Also du weißt Bescheid, Chester. Alles Weitere haben wir ja schon besprochen”, muss er unbedingt noch erwähnen. Chester nickt gelangweilt. Winkt ihn förmlich hinaus. „Ja, ich hab's kapiert, Ulli. Bis später dann!” Seine Stimme klingt genervt. Es imponiert mir, wie cool Chester mit seinem Pfleger spricht. Wie selbstbewusst er dabei wirkt. Ich würde mir das nicht zutrauen, einen Pfleger buchstäblich hinauszuwerfen. Aber jetzt bin ich unendlich froh darüber. Chesters Courage sorgt dafür, dass Ulrich endlich den Umkleideraum für Männer verlässt. Und die Tür hinter sich zumacht.

Maßlos erleichtert atme ich auf. Wende mich sofort gierig meinem Mann zu. Sauge ihn sehnsüchtig mit meinen Augen auf. Möchte am liebsten sofort aufspringen. Ihn dringend anfassen. Darauf warte ich doch schon viel zu lange. Aber es ist mir peinlich, dass ich schon wieder eine Erektion habe. Die in meiner Sporthose offensichtlich ist. Jetzt schon. Außerdem zieht das Ziel meiner Begierde sich gerade aus. Und dabei möchte ich ihn nicht stören. Das ist einfach zu aufregend. Ein absolut fantastischer Anblick. Seufzend bleibe ich sitzen und beobachte ihn nur. Mit klopfendem Herzen. Wollüstig. Chester hat mühsam sein blaues Hemd aufgeknüpft. Er zieht es aus. Legt es auf die Bank. Jetzt trägt er nur noch sein weißes Unterhemd. Verdutzt fixiere ich ihn. Mir fallen beinahe die Augen aus dem Kopf. Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich Chester Benningtons nackte Arme. Geschockt starre ich auf die bunten, ziemlich großen Bilder, die Chesters Oberarme zieren. Die Farbe bedeckt dreiviertel seiner Haut. Beinahe bis zum Ellenbogen. Im ersten Moment frage ich mich höchst irritiert, warum der Typ sich selbst angemalt hat.

Erst nach ungefähr einer Minute kapiere ich endgültig, dass es sich wahrhaftig um Tätowierungen handelt. Der Patient Bennington trägt bunte Tattoos auf seinem Körper. Große Tattoos. Unübersehbare. Die sofort ins Auge stechen. Ich hatte keine Ahnung, dass Chester tätowiert ist. Gestern im Park verdeckte noch sein Hemd seine Arme. Meine unerwartete Entdeckung verwirrt mich extrem. Denn die gestochenen Bilder scheinen so gar nicht zu ihm zu passen. Für mich haben Tattoos so etwas Brutales an sich. Etwas Endgültiges. Unbestreitbar sind sie mit viel Schmerz und Blut verbunden. Nichts davon passt zu meinem besonderen Menschen. So wie ich ihn sehe. An Chester Bennington gibt es doch gar nichts Brutales! Der Mann ist zart und zerbrechlich. Nun gut, manchmal bekommt er Wutanfälle. Aber im Grunde ist er total sanft. Seine Tätowierungen empfinde ich als einen dermaßen großen Gegensatz zu meiner Vorstellung von ihm, dass ich vollkommen erstarrt bin. Fassungslos fixiere ich die bunten Muskeln seiner Oberarme. Vielleicht ist Chester in Wirklichkeit ganz anders, denke ich verunsichert. Womöglich habe ich mir den Kerl nur so zurechtgesponnen, wie ich ihn haben will. Besorgt muss ich einsehen, dass ich den neuen Patienten Bennington offenbar gar nicht kenne. Das beunruhigt mich enorm.

„Wir haben uns ja echt lange nicht gesehen, Mike. Ich hab dich vermisst”, murmelt Chester plötzlich. Schüchtern wirft er mir einen Blick zu. Das macht mich glücklich. Dass er mich auch vermisst hat. Aber seine sonderbaren Tattoos schlagen mich vor den Kopf. Irgendwie. Ich weiß auch nicht. Das verunsichert mich mehr, als es sollte. Lenkt mich total ab. Alarmiert mich förmlich. Mit so etwas habe ich einfach nicht gerechnet. So, wie er vor dem Schrank steht, kann ich nur seinen linken Oberarm richtig sehen. Mit zusammengekniffenen Augen versuche ich, das bunte Bild auf seiner hellen Haut richtig zu erkennen. Ich glaube, zwei Fische zu sehen, die umeinander kreisen. Chester registriert meinen fassungslosen Blick. Irritiert schaut er an seinem Arm entlang. Er will nachprüfen, wovon ich so gefesselt werde. Kann aber an seinem Arm nichts Besonderes entdecken. Im Gegensatz zu mir. „Ist irgendwas?” will er verwirrt wissen. Und hebt seinen hübschen Kopf fragend zu mir.

„Du bist tätowiert”, bemerke ich nicht sehr intelligent. Chester lacht belustigt und betrachtet mich aufmerksam. „Ja, das bin ich”, bestätigt er amüsiert, „Das ist geil, nicht wahr?” Er macht drei taumelnde Schritte auf mich zu. Stellt sich vor mich hin. Zeigt mir eifrig seinen linken Oberarm. „Sind das Fische?” frage ich. Was mindestens ebenso blöd ist, wie meine Bemerkung davor. „Das sind Fische”, stimmt Chester zu, „Das ist mein Sternzeichen.” Seine Augen leuchten. Er sieht stolz aus. Enorm zufrieden. Chester liebt seine Tattoos. So richtig doll. Das ist offensichtlich. Und langsam habe ich mich daran gewöhnt, dass seine dünnen Oberarme so überraschend bunt sind. Irgendwie wird das interessant, mir das große Bild ganz genau anzusehen. Es sind tatsächlich zwei Fische, die sich kreisend umeinander bewegen. Sie sind schön gezeichnet worden. Detailliert. Der eine Fisch ist orange mit zwei hellblauen Augen. Der andere ist lila mit zwei hellgrünen Augen. Beide schwimmen in einem dunkelblauen Meer mit sichtbaren Wellen. Sein Sternzeichen ist Fische, denke ich aufhorchend. Es freut mich, dass ich etwas Neues über ihn erfahren habe. Alles an ihm interessiert mich brennend. Demnach muss er im März oder Ende Februar Geburtstag haben, überlege ich. Ich möchte unbedingt wissen, wann genau Chester Geburtstag hat. Damit ich ihm was schenken kann. Ich möchte diesem besonderen Mann die ganze Welt schenken.

„Das war mein erstes Tattoo”, erzählt Chester begeistert und guckt stolz auf seinen linken Arm, „Es ist ein Original von Jody vom Club Tattoo in Tempe, Arizona. Die Farbe stammt von Wes, auch vom Club Tattoo. In den 70ern war es eine große Sache, Sternzeichentattoos zu haben.” Mann, wie ich seine Stimme vermisst habe! Diese weichen, zarten, höchst angenehmen Töne, die mir sofort durch den ganzen Körper klingen. Bis tief in meine verwundete Seele hinein. Sie heilen mich. Wärmen mich. Chesters einmalige Stimme scheint sich frech in meinem Schwanz zu fokussieren. Sie erregt mich total. Meine Erektion fühlt sich prall an. Nervös schlage ich die Beine fest übereinander. Ich hoffe, dass der Typ meine körperliche Erregung nicht bemerkt. Weil mir das irgendwie peinlich ist. Weil das für Chester so aussehen muss, als könnte ich mich schon wieder nicht beherrschen. Aber er ist abgelenkt von seinen Tattoos. Achtet nicht auf meinen Schritt. Im Moment bin ich darüber sehr froh.

Chester dreht sich herum und zeigt mir seinen rechten Oberarm. Auf seinen Trizeps ist ein anderer Fisch tätowiert worden. Diesmal ist es nur einer. Ein großer, orangefarbener Fisch mit detailgenauen, gelben Schuppen und Flossen. Mit einem gelben, ausdrucksstarken Auge. Der in einem blauen Meer schwimmt. „Das ist ein japanischer Koi”, erläutert Chester aufgeregt, „Ich habe ihn selbst gezeichnet. Wookie vom Club Tattoo hat ihn mir gestochen.” Wie unglaublich schön er ist, wenn er sich so freut, stelle ich fasziniert fest. Wenn er in seinem Element ist. Chester erstrahlt förmlich. Der junge Mann leuchtet innerlich. Weil er seine Tattoos so mag. Weil er sich mit Fischen identifizieren kann. Seine braunen Augen glitzern glücklich hinter den Gläsern. Die in seine Haut gestochenen Bilder machen ihn stolz. Den orangenen Koi hat er selber designt. Zweifellos kann Chester richtig gut zeichnen. Es macht ihm großen Spaß, mir seine Tätowierungen zu zeigen. Sie ganz genau zu erklären. Ich kann meinen Blick nicht von ihm nehmen. Meine Augen stecken an ihm fest. Saugen den zu lang vermissten Anblick gierig in mich auf. Seine schlanke, wohlgeformte Gestalt. Sein feines, wunderschönes Gesicht. Seine spürbare Zufriedenheit ist total ansteckend. Es fühlt sich an, als würde die Sonne scheinen.

Auf der Flosse des Karpfens klebt ein rechteckiges, weißes Pflaster. Es sieht aus, als wäre er da geimpft worden oder so was. Ich frage mich, was das Pflaster zu bedeuten hat. Chester bemerkt meinen irritierten Blick und schnauft: „Das ist so ein scheiß Nikotinpflaster.” Offenbar ist er von der Wirkung nicht sehr überzeugt, denn er setzt seufzend hinzu: „Aber ich würde trotzdem jetzt viel lieber eine rauchen!” Unzufrieden schaue ich ihn an. Es gefällt mir nicht, dass er raucht. Und das passt auch schon wieder nicht zu meiner sanften, schüchternen, liebevollen Vorstellung von dem neuen Patienten. Rauchen hat etwas Rebellisches an sich. Etwas Brutales. In Filmen rauchen meistens nur die bösen, kriminellen und gewalttätigen Gangster. Rauchen ist gedankenlos. Total selbstzerstörerisch irgendwie. Denn jeder weiß doch, wie entsetzlich ungesund Zigaretten sind. Man wird krank davon. Macht sich nicht nur die Lunge kaputt. Und außerdem stinkt der Qualm. „Hast du vielleicht eine Kippe für mich, Mike Shinoda?” fragt Chester flehend. Studiert aufmerksam meine Reaktion. Ihm entgeht nicht, dass mich sein Nikotinpflaster nicht gerade begeistert. Energisch schüttele ich den Kopf. „Nein, Chester Bennington! Ich besitze keine Kippen! Ich rauche nämlich nicht!” betone ich heftig. Taxiere ihn vorwurfsvoll. Er fängt meinen strafenden Blick auf. Zieht verdutzt die schmalen Augenbrauen zusammen. Betrachtet mich süß eingeschüchtert. „Ist schon gut, Mike. Ich hab ja nur gefragt...”, entschuldigt er sich scheu. „Du stehst nicht so aufs Rauchen, was?” fragt er leise. „Fuck, nein! Verdammt, Chaz! Rauchen ist doch total idiotisch!” blaffe ich ihn ärgerlich an. Seine Arme hängen kraftlos an den Seiten herunter. Chester sieht traurig aus. Es deprimiert ihn, dass ich ihn jetzt angucke, als hätte ich einen Makel an ihm entdeckt. Als wäre ich wer weiß wie enttäuscht von ihm. Der neue Patient wirkt auf mich, als wäre er plötzlich ein gescholtenes Kind, das ratlos seine Strafe erwartet. Chester ist überhaupt nicht überrascht. Als wäre er es reichlich gewöhnt, dass jemand enttäuscht von ihm ist. Schlagartig sind all die Vorwürfe, die ich ihm eigentlich wegen des Rauchens machen wollte, wie weggeblasen. Es macht ihn richtig traurig, stelle ich gerührt fest. Chester ist sehr sensibel. Er sieht aus, als hätte er sich richtig Mühe gegeben, und wäre dann doch gescheitert. Das frustriert ihn total. Der Mann möchte nicht, dass ich schlecht von ihm denke. Das geht mir verflucht tief rein. Mir wird klar, dass ich ihn nicht ausschimpfen darf. Denn scheinbar ist er in seinem Leben schon genug kritisiert worden.

„Deine Tattoos sind echt toll!” sage ich automatisch. Weil ich ihm eine Freude machen will. Weil ich es nicht ertragen kann, wenn er traurig ist. Und weil ich weiß, dass die Tattoos ihm sehr gefallen. Zum Glück geht meine Rechnung augenblicklich auf. Chester lacht und guckt mich erleichtert an. „Bist du auch irgendwo tätowiert, Mike?” will er neugierig wissen. Seine Augen wandern suchend über meinen Körper. Nervös presse ich die Beine zusammen. Beuge mich ein wenig vor, um meine Erektion zu verstecken. „Vielleicht an einer delikaten Stelle, Herr Shinoda?” neckt der Typ mich und knufft meinen Arm. Ein bisschen zu hastig schüttele ich den Kopf, sodass der neue Patient merken muss, wie nervös und skeptisch ich in Wahrheit bin. „Nein, ich... das tut doch total weh, und... ich möchte nichts für immer auf meiner Haut tragen. Ich meine... das ist doch für die Ewigkeit... und... wenn mir das Tattoo vielleicht nicht mehr gefällt... dann...” Ich gerate ins Stottern, breche verwirrt ab, und Chesters Lächeln wird noch strahlender. Ich frage mich, wo er wohl sonst noch tätowiert ist. Sofort möchte ich seinen nackten Körper nach diesen versteckten Bildern absuchen. Die plastische Vorstellung davon, wie ich seine helle Haut Zentimeter um Zentimeter sorgfältig absuche, erregt mich. Ich seufze tief. Drücke die übereinandergeschlagenen Schenkel zusammen. „Tattoos üben Schmerz und Freude zur gleichen Zeit aus”, meint Chester friedlich, „Das fasziniert mich total. Ich würde Jedem empfehlen, sich tätowieren zu lassen.” Ich nicke zustimmend. Obwohl ich der Meinung bin, dass der Schmerz beim Tätowieren die zweifelhafte Freude bei Weitem überwiegt. Seufze nochmal. Denke daran, wie gerne ich ihn jetzt berühren möchte. Überall. Ich würde gerne alle seine Tattoos finden.

Eine Weile ist es ganz still in diesem Umkleideraum für Männer. Chester steht im weißen Unterhemd, hellgrauer Chino und blauen Chucks vor mir und sieht mich aufmerksam an. Schätzt wissbegierig meine Verfassung ab. Seit zweiundzwanzig Stunden hat er mich nicht gesehen. Er hat mich vermisst. Aber sicher nicht so stark, wie ich ihn vermisst habe. Ich bezweifele, dass Chester vor lauter Sehnsucht auch fast seinen Verstand verloren hat. Dass ihm die Trennung von mir auch so wehgetan hat wie mir. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Weil er wieder da ist. Darum ist jetzt alles gut.

Mit klopfendem Herzen erwidere ich seinen Blick. Er ist so verdammt wunderschön, fährt es mir abermals gefesselt durchs Gehirn. Ich könnte ihn stundenlang nur anschauen. Die Therapie hat schon angefangen, wir müssen in die Turnhalle gehen, fällt mir plötzlich alarmiert ein. Die Therapeuten werden bestimmt nach uns suchen, wenn wir da nicht bald auftauchen, warnt mich eine innere Stimme. Scheiß auf die Therapie, denke ich im nächsten Moment dermaßen ungewohnt rebellisch, dass es mich selbst erstaunt. „Ich habe dich so sehr vermisst, Chaz”, teile ich dem göttlich attraktiven Mann mit enger Kehle mit, „Das hat mich fast verrückt gemacht. Weil du nicht mehr da warst.” Je öfter ich so ehrlich zu ihm bin, umso leichter fällt es mir, meine Gefühle für ihn auszusprechen. Außerdem scheint Chester jedes Mal sehr geschmeichelt zu sein, wenn ich so etwas sage. Das spornt mich irgendwie an. Es gefällt mir, wenn er sich darüber freut. „Die haben mich total auseinandergenommen”, erzählt er leise, „Ich musste alle möglichen bescheuerten Tests mitmachen.” Sein freundliches, schüchternes Lächeln stirbt langsam. Macht einer Betrübnis platz, die mich schlucken lässt. Es war wohl nicht sehr angenehm, was die Psychologen und Ärzte stundenlang mit ihm gemacht haben. „Du bist noch nicht mal beim Essen gewesen!” bemängele ich verständnislos, „Ich habe gestern beim Abendessen und heute Morgen beim Frühstück so sehr auf dich gewartet. Ich wusste nicht, was passiert ist.” Chester nickt mit blitzenden Augen. „Ich musste unter Aufsicht was essen”, behauptet er. Verzieht angewidert das Gesicht. Das facht sofort meine Wut an. Chester sieht wirklich krank aus. Der arme Kerl wirkt total erschöpft. Bestimmt hat er in der letzten Nacht schon wieder nicht geschlafen. Ich will nicht, dass es ihm schlecht geht. Das kann ich kaum ertragen. „Diese scheiß Arschlöcher!” schimpfe ich aus tiefstem Herzen. Chester lächelt scheu hinter seiner Traurigkeit. Seine Augen liegen sanft auf mir. Wohlwollend. „Ich habe dich auch krass vermisst, Mikey”, flüstert er zärtlich. Mein Impuls, sofort aufzuspringen und ihn in meine Arme zu schließen, wird fast übermächtig. Aber ich bin unverändert geil auf ihn. Sichtbar. Das ist peinlich. Ich will nicht, dass Chester denkt, ich wäre sexsüchtig oder so was. Und ich will auf keinen Fall nochmal die Kontrolle über mich verlieren.

Darum bleibe ich sitzen und sehe ihn nur an. Er scheint auf etwas zu warten. Vielleicht darauf, dass ich aufstehe und ihn in den Arm nehme. Als ich mich nicht bewege, streckt er zögernd die Hand aus und streichelt sanft mein Gesicht. Der zärtliche Kerl berührt fast ehrfürchtig meine Augenbrauen. Meine Nase. Streicht ganz zart über meine Lippen. Krault mit seinen Fingern durch meinen sorgsam gestutzten Bart. „Du hast dich rasiert”, stellt er folgerichtig fest. Chester ist rührend aufmerksam. Er bemerkt solche Dinge. Nur für ihn habe ich mir heute Morgen extra die Mühe gemacht, einen Pfleger zu finden, der mich beim Rasieren beaufsichtigen konnte. Chesters liebevolle Berührung fährt mir augenblicklich in die Sexualorgane hinein. Sie erregt mich dermaßen, dass ich nur noch verdutzt aufstöhnen kann. Chester registriert mein Stöhnen und lächelt schüchtern. „Ich mag dich so sehr, Mike. Mann, wie ich dieses Gesicht vermisst habe”, murmelt er und betrachtet mich fasziniert. Mein Herz hämmert in meinen Ohren. Ich presse die Beine aufeinander. Drücke die Hände auf meine Knie. „Wie geht es dir denn, Chaz?” bringe ich mühsam hervor, um mich von meiner unangebracht heftigen Geilheit abzulenken.

Zu meinem Bedauern nimmt Chester seine Finger aus meinem Bart. Sein Gesicht verdüstert sich schlagartig. „Total beschissen”, antwortet er bitter und wendet sich ab. Hilflos sehe ich zu, wie er zurück zu seinem Spind geht. Ich will nicht, dass er weggeht. Ich möchte ihn ganz nah bei mir haben. Ihn warm an meinen Fingern spüren. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mich beherrschen kann, wenn ich ihn jetzt anfasse. Darum bleibe ich vorsichtshalber erst mal weiterhin sitzen und beobachte ihn nur. „Das tut mir leid!” versichere ich ihm ehrlich. „Die Wichser haben mich nicht telefonieren lassen!” beschwert Chester sich wütend. Umständlich zieht er sich das Unterhemd über den Kopf. Rückt seine Brille wieder auf den richtigen Platz. Pfeffert das weiße Hemd danach zu dem blauen auf die Bank. Gebannt starre ich auf seinen nackten Oberkörper. Der Kerl ist so dünn, dass seine Rippen sichtbar die blasse Haut spannen. Sein Körper wirkt, bis auf die bunten Bilder auf seinen Oberarmen, fast weiß. Sein attraktiver Leib strahlt förmlich im hellen Neonlicht des Umkleideraumes. Fuck, er leuchtet wie ein Engel, stelle ich auf einmal irritiert fest. Diese Assoziation bei seinem Anblick erschlägt mich fast. Ich bin nicht sicher, was das zu bedeuten hat. Möglicherweise stammt Chester Bennington direkt aus dem Himmel, überlege ich paralysiert. Vielleicht ist er wahrhaftig ein Engel, der zu mir geschickt wurde, um mich zu erlösen. Es fällt mir schwer, mit dieser seltsamen Vermutung zurechtzukommen. Mir nichts anmerken zu lassen. Mich auf unsere Unterhaltung zu konzentrieren. Denn Chester würde mich zu recht für verrückt erklären, wenn ich ihm jetzt irgendwas von Engeln erzähle.

„Vielleicht hast du eine Kontaktsperre”, gebe ich zu bedenken. Chester sieht mich verwirrt an. Seine Augen hinter den Gläsern sind ganz dunkel. Fast schon schwarz. „So haben die das auch genannt, glaube ich. Schon in der Nacht. Als ich herkam. Was ist das für ein verdammter Scheiß? Was bedeutet das denn nur? Die haben mir mein Handy weggenommen!” regt er sich auf. Der junge Mann hört sich beleidigt an. Er ist trotzig. Wie ein kleines Kind. Das rührt mich. Ich möchte hingehen und ihn trösten. Aber ich bin unverändert scharf auf ihn. Es kann sein, dass meine Sexualität mich übermannt, wenn ich jetzt seine samtige Haut spüre. Darum bewege ich mich nicht von meinem Platz weg. Tief ein und ausatmen. Beruhigen. Einfach gelassen bleiben, Herr Shinoda. „In der Anfangszeit sind in der Geschlossenen Kontakte nach draußen generell verboten. Weil du dich intensiv auf dich selbst konzentrieren sollst”, erkläre ich ihm behutsam. Dabei komme ich mir vor, als wäre ich mittlerweile der absolute Psychiatrie-Profi. Was ich in Wahrheit nun wirklich nicht bin. Auch wenn ich länger als Chester hier bin, so habe ich doch trotzdem keine Ahnung, was hier eigentlich gespielt wird. Oder welchen Sinn das alles haben soll. „Das ist doch Schwachsinn! Ich bin schon erwachsen!” faucht Chester und streckt unbehaglich seine Wirbelsäule. Er reißt beide Arme weit nach oben und lässt sie sofort wieder sinken. Stöhnt gequält auf. Lässt seine Knochen knacken. Dreht sich unwohl tänzelnd von mir weg. Es geht ihm wirklich nicht gut. Als würde ihm alles wehtun. Mitleidsvoll beobachte ich seine seltsamen Verrenkungen. Sein nackter Oberkörper macht mich total an. Kann mich nicht sattsehen an ihm. Liebe an diesem fremden Menschen jeden wundervollen Millimeter.

Plötzlich fällt mir das Bild auf. Zwischen seinen hervorstehenden Schulterblättern. Aber ein Stückchen höher. Nicht weit unterhalb seines Nackens. Ich habe Chesters Rücken noch nie unbekleidet gesehen. Jetzt sehe ich, dass er ebenfalls tätowiert ist. Diesmal allerdings nicht farbig. Sondern nur in schwarz. Da ist eine merkwürdige Figur auf seiner hellen Haut. Etwas mit sechs langen Tentakeln. Vielleicht ein Oktopus. Ein Tintenfisch mit sechs Händen. Oder so was. Bestimmt hat es auch irgendwas mit Wasser zu tun. Weil sein Sternzeichen Fische ist. Aber ich kann das Bild nicht richtig sehen. Weil der Tätowierte am Schrank steht und seinen Rücken nur seitlich zeigt. „Shit! Ich muss dringend mit meiner Band sprechen”, schimpft Chester nachdenklich. Meine Ohren werden ganz groß. „Du hast eine Band?” frage ich verblüfft. Ich weiß nicht, warum mich das spontan so überrascht. Mit seiner himmlischen Stimme gehört Chester Bennington zweifellos in eine Band. Und zwar als Leadsänger. Direkt in den Mittelpunkt. Wo alle ihn sehen und hören können. Chester muss unbedingt Musik machen. Öffentlich. Auf richtig großen Bühnen. Denn alles andere wäre eine unverzeihliche Verschwendung seines einmaligen Talents. Fraglos würde der Welt etwas absolut Göttliches entgehen, wenn sie ihn nicht hören könnte.

„Ich weiß nicht genau, ob ich noch eine Band habe”, murmelt Chester unglücklich. Ohne mich anzusehen. Er steht vor seinem Spind und kramt aggressiv in den Sachen auf der Bank herum. Ohne etwas richtig in die Hand zu nehmen. Er reagiert seinen Frust an der Kleidung ab. „Ich fürchte, dass die mich vergessen werden, wenn ich noch länger hierbleiben muss”, erklärt er deprimiert. „Aber du bist doch gerade erst gekommen!” entfährt es mir entsetzt. Der Gedanke, dass Chester die geschlossene Psychiatrie schon bald wieder verlassen könnte, reißt mir abrupt die Seele heraus. Das kann ich nicht ertragen, wenn Chester mich verlässt. Weil ich ihn dann womöglich nie wiedersehe. Die letzten zweiundzwanzig Stunden ohne ihn haben mich ja schon fast getötet. Weil die Panik mich umbrachte, dass er vielleicht nicht wiederkommt. Erschrocken beiße ich mir auf die Lippen. Meine Eingeweide verknoten sich. Mir ist klar, dass Chester nicht gerne hier ist. Der neue Patient ist nicht freiwillig hier. Die Polizei hat ihn gezwungen, hierherzukommen. Sie haben ihn gegen seinen Willen in der geschlossenen Psychiatrie eingesperrt. Ich mache mir Sorgen, dass mein unwillkürliches, ziemlich egoistisches Besitzdenken dem Mann nicht gefällt. Aber zum Glück ignoriert Chester meinen panischen Einwurf. Vielleicht hat er ihn auch gar nicht gehört. Mit seinen Gedanken ist er offensichtlich ganz woanders.

„Meinst du, irgendwer hat hier ein Handy?” fragt er mich. Schaut sich unschlüssig suchend im Umkleideraum um. Seine Augen fahren die beiden langen Schrankreihen ab. Der seltsame Typ ist wahrhaftig auf der Suche nach einem Telefon. „Nein, Chester. Ich glaube nicht, dass hier jemand ein Handy in seinem Spind hat!” antworte ich entschieden. Das kann ich mir tatsächlich nicht vorstellen. Denn für Patienten sind Handys hier verboten. Als ich vor langer Zeit hierherkam, hatte ich sowieso kein Telefon dabei. Glaube ich. Auch vorher hatte ich mein Handy schon ziemlich lange nicht mehr benutzt. Hatte ja eh keine Kontakte mehr. War mir sowieso alles egal. Aber jetzt beobachte ich mit Schrecken, wie Chester damit anfängt, taumelnd an den Schränken entlangzugehen. Konzentriert sucht er die Spinde ab. Als hätte er Röntgenaugen. Könnte durch die geschlossenen Türen sehen. „Was willst du denn mit einem Handy?” frage ich ein bisschen ungeduldig. Es gefällt mir nicht, dass Chester so genervt aussieht. Total gehetzt. Ich möchte meinen sanften, freundlichen, zärtlichen Chester wiederhaben. Ich will ihn unvermindert stark in meine Arme schließen. Ihn voller Leidenschaft küssen. Will mit meinen Händen über seine warme, nackte Haut streicheln. Mit gespreizten Fingern durch seine wilden Dreadlocks fahren. Noch immer bin ich sichtbar geil auf ihn. Aber jetzt hat die Atmosphäre in diesem Raum sich plötzlich grundlegend geändert.

„Ich muss jemanden anrufen!” blafft Chester ungewohnt gereizt. Sieht mich dabei nicht an. Lässt keinen Zweifel daran, dass er meine Frage idiotisch findet. Das alarmiert mich. So kenne ich ihn nicht. Der neue Patient ist auf einmal richtig aufgebracht. Beinahe schon wütend. Zweifellos beschäftigt ihn etwas, das ihn extrem aufwühlt. „Wen musst du denn jetzt auf einmal so dringend anrufen?” erkundige ich mich verständnislos. Chester wirft mir einen gehetzten Blick zu. „Ich muss Sean anrufen. Er soll mir ein paar Sachen schicken. Ich will nicht, dass mein Dad das macht. Sean muss mir sagen, wie es mit der Band weitergeht”, erklärt Chester mir nervös. Beugt sich über die niedrige Bank. Öffnet wahrhaftig den ersten Spind. Keiner der Schränke ist abgeschlossen. Was ohne Frage ganz schön leichtsinnig ist. Aber vielleicht ist in dieser Umkleide noch nie etwas geklaut worden. Was sollte man Patienten der geschlossenen Psychiatrie auch schon stehlen? An diesem Ort hat bestimmt niemand Reichtümer versteckt. „Nicht doch, Chaz! Du kannst doch nicht einfach die Schränke durchwühlen!” rufe ich erschrocken. „Ich will ja nichts klauen!” entgegnet Chester gestresst. Er steckt halb im schmalen Spind. „Oder hast du ein Telefon für mich, Herr Shinoda?” Er taucht auf und sieht mich flehend an. Ich schüttele den Kopf. Hebe bedauernd die Schultern. „Nein, tut mir leid.” Chester knurrt enttäuscht und fährt mit seiner Suche unbeirrt fort. „Ich muss dringend Sean anrufen. Die dürfen das Album nicht ohne mich rausbringen!” In seiner schönen Stimme klingt echte Panik mit. Ich höre stürmische, hilflose Verzweiflung. Es beunruhigt mich, wie kopflos, beinahe manisch der Typ die blöden Spinde absucht. Wie dreist er fremde Klamotten durchwühlt, die ihm nicht gehören.

Der Kerl ist plötzlich wie besessen, registriere ich verstört, während ich ihn hilflos beobachte. Chesters beängstigende Besessenheit erinnert mich zunehmend an etwas, was ich schon einmal erlebt habe. Damals. In der Vergangenheit. Das Bild von jemandem, den ich mal gekannt habe, taucht unvermittelt in meinem Kopf auf. Er war ein Freund von mir. In der High School. Dieser Freund war ein Junkie. Abhängig von Heroin. Das war wirklich schlimm. Und total traurig. Jedes Mal, wenn mein Freund auf Entzug war, verhielt er sich genauso irrational wie Chester. Er war genauso hektisch, panisch und wütend. Genauso fixiert auf irgendein unsinniges Ziel. In dieser Verfassung konnte ihn nichts und niemand mehr beruhigen. Nur eine neue Dosis. Chester nimmt harte Drogen, glaube ich in dieser Sekunde zu verstehen. Aber in der Psychiatrie kommt er an sein scheiß Zeug natürlich nicht heran. Darum hat der neue Patient wahrhaftig Entzugserscheinungen. Das ist der Grund, warum er plötzlich wie von Sinnen ist. Und nur darum tut ihm auch wirklich alles weh.

Diese unerwartete Erkenntnis bohrt sich wie ein scharfes Messer enorm brennend in meine Seele. Das geht mir so verflucht tief rein, dass ich mir instinktiv schützend den Bauch festhalte. Meine Kehle wird eng. Voller Mitgefühl betrachte ich den aufgewühlten Mann. Obwohl ich widersinnig eifersüchtig auf diesen Unbekannten bin, diesen komischen Sean, der offenbar mit Chester Musik machen und sogar ein Album aufnehmen darf, so kann ich doch immer nur daran denken, dass Chesters Sternzeichen Fische ist. Fische sind besonders sensibel, überlege ich verwirrt. Man kann sie so leicht verletzen. Ich muss vorsichtig mit ihm umgehen. Darf ihm keine Vorwürfe machen. Ihn nicht für seine Krankheit verurteilen. „Nein, Chester... bitte... nicht... komm doch lieber zu mir...”, stammele ich hilflos. Meine Sehnsucht nach Mister Benningtons unmittelbarer Nähe bringt mich beinahe um. Ich kann es nicht ertragen, wenn er depressiv ist. So beängstigend wirr. Müde und krank. Wütend und verzweifelt. Ich muss den Kranken mit meiner Zärtlichkeit trösten. Seinen Zorn besänftigen. Ihm irgendwie den Schmerz nehmen. Mein Herz klopft unruhig. Flehend taxiere ich den Patienten. Betrachte seinen verlockenden Körper. Nach dem ich mich unvermindert wie irre sehne.

Chester hält in seiner hektischen Suche inne. Taucht aus dem fünften oder sechsten Spind auf, die er schon durchsucht hat. Konfus sieht er mich an. Als würde er überlegen, ob er sich vielleicht verhört hat. Oder was das alles überhaupt bedeuten soll. Unsere Augen verhaken sich ineinander. Sein Blick spiegelt nackte Panik. Genau wie in dem Moment, als er mich bat, ihn nicht alleinzulassen. Obwohl das Erkennen seiner mutmaßlichen Drogensucht ziemlich heftig gegen meine sexuelle Erregung ankämpft, fühle ich mich noch immer aufgegeilt. Seine kleinen, nackten Nippel machen mich rasend. „Ich habe dich so sehr vermisst!” muss ich ihm nochmal versichern. Habe das Gefühl, dass dieser Satz meine wahre Qual der letzten zweiundzwanzig Stunden nicht mal annähernd beschreiben kann. Chester seufzt ratlos. „Ach, Mikey...”, flüstert er deprimiert, „Das tut mir leid, dass ich so...” „Nein, Chaz. Das ist schon okay.” Hastig schüttele ich den Kopf. Er soll keine Schuldgefühle habe. Sich nicht kritisiert fühlen. Das auf keinen Fall.

„Was bedeutet denn das Tattoo auf deinem Rücken?” frage ich ihn eilig. Weil mir einfällt, wie sehr er seine Tätowierungen mag. Wie sehr er sich vorhin gefreut hat, als er mir die Tattoos auf seinen Armen zeigen und erklären durfte. Ich möchte ihn unbedingt wieder so glücklich sehen, wie er noch vor zwei Minuten war. Und das gelingt mir sogar. Wenn auch ein bisschen weniger strahlend als vorhin. Chester geht es wirklich nicht gut. Er hat Schmerzen. Sorgen belasten ihn. Das ist offensichtlich. Aber meine Frage lenkt ihn glücklicherweise ab. Langsam, taumelnd kommt er auf mich zu. Seine Chucks schleifen über den Fußboden. Chester lächelt gerührt. Bleibt direkt vor mir stehen. Dreht mir den Rücken zu. Mit beiden Daumen zeigt er über seine Schultern hinweg auf die seltsame Zeichnung.

Jetzt erkenne ich, dass es eine rätselhafte Figur mit sechs Armen ist, an deren Enden sich große Hände befinden. Zwei Arme sind samt Händen zur Seite hin ausgestreckt. Zwei zeigen geknickt nach vorne, als würden die Hände den Betrachter packen. Zwei Arme zeigen geradewegs nach unten, die Hände geknickt nach oben. Jede der sechs Hände hat fünf detaillierte Finger. In der Mitte der sechs Arme befindet sich ein seltsamer Kreis, den ich nicht deuten kann. „Ist das ein Fisch?” frage ich Herrn Bennington gebannt. Er soll unbedingt spüren, wie sehr mich sein Tattoo interessiert. Wie stark mich alles interessiert, was mit ihm zusammenhängt. Chester soll wissen, dass er mir wichtig ist. Weil das schlicht die Wahrheit ist. Amüsiert lacht er auf. Und das ist so wunderbar, hört sich so befreiend an, dass ich unwillkürlich wohlig aufseufze. „Hast du schon mal so einen Fisch gesehen, Mike?” fragt er ein wenig spöttisch. Kurz guckt er über seine Schulter zu mir nach hinten und schüttelt den Kopf. „Nein, das bin ich auf der Bühne!” behauptet er beiläufig. „Wie bitte?” entfährt es mir verdutzt. Weil ich diese Verbindung beim besten Willen nicht knüpfen kann. Chester lacht nochmal dieses zauberhafte, kindliche, ein wenig schüchterne Lachen. „Es sind die sechs sprießenden Arme", erklärt er mir liebenswürdig, „Derrick, ein Freund aus Arizona, hat es für mich gefertigt. Es stellt Derricks Interpretation von mir auf der Bühne dar.” „Wie meint der das denn?” erkundige ich mich ziemlich verwirrt. Chesters Daumen zeigen noch immer schaukelnd auf sein Rückentattoo. Ich sehe seine böse abgeknabberten Fingernägel und muss schlucken.

Der schlanke Sänger mit den Dreadlocks druckst ein wenig herum. Die Erklärung dieser Tätowierung fällt ihm erstaunlich schwer. „Naja... Derrick sagte, dass ich eine unglaubliche Power habe... die das Publikum fasziniert und... es tief in den Bann zieht. Er meinte, dass ich deshalb mehr als zwei Arme bräuchte... und darum gab er mir sechs...”, erläutert Chaz so scheu, als wäre das nichts Besonderes. Als wäre es gar nicht der Rede wert, dass er das Publikum dermaßen in seinen Bann ziehen kann. Der Kerl zieht seine Hände ein. Er lässt die Arme sinken und kichert verunsichert. Verlegen zieht er die Schultern hoch und schüttelt sich. Davon bin ich total verzaubert. Das erschlägt mich fast, wie sehr es Chester Bennington widerstrebt, mit seiner eigenen Bühnenpower anzugeben. Wie zurückhaltend er von der Bedeutung seines Rückentattoos erzählt. Ich glaube, es würde ihm niemals in den Sinn kommen, sich selbst großkotzig anzupreisen. Der besondere Künstler ist so herzerweichend sympathisch bescheiden, dass mir ganz warm wird. Gott, ich liebe ihn so sehr, fährt es mir heiß durchs Gehirn. Chazy Chaz macht mich vollkommen wahnsinnig! Obwohl ich ihn leider noch nie auf einer Bühne singen gehört habe, glaube ich diesem Derrick aus Arizona ungesehen, dass Chester das Publikum kinderleicht faszinieren kann. Mit seinem besonderen Charisma besitzt er in meinen Augen sogar tausend Arme und Hände dafür.

Schneller, als mein Gehirn die Sache überdenken kann, bin ich schon aufgestanden. Mein Schwanz ist noch ein bisschen steif und beult die Hose aus. Aber das ist mir jetzt egal. Ignoriere ich jetzt einfach mal. Weil ich mich nicht noch länger zurückhalten kann. Geht nicht. Habe definitiv lang genug gewartet. Chester will sich gerade zu mir umdrehen. Schnell packe ich ihn bei den Schultern. Hindere ihn ziemlich energisch daran, sich zu bewegen. „Mike...”, protestiert er verdutzt. Bleibt aber folgsam mit dem Rücken zu mir stehen. Wie von allein fängt mein Finger damit an, zart über Chesters warme Haut zu streicheln. Ganz vorsichtig. Die stundenlang herbeigesehnte Berührung fährt mir sofort geradewegs in den Penis hinein. Der keine Zeit verliert, abermals zur vollen Größe anzuschwellen. Überrascht stöhne ich auf. Weil sich das so verdammt gut anfühlt. Weil ich das so entsetzlich lange vermisst habe. Konzentriere mich mühsam auf Chesters verlockenden, halbnackten Körper dicht vor mir. Der junge Mann ist so dünn, dass ich seine Rippen und seine Wirbelsäule deutlich fühlen kann. Sorgfältig male ich die merkwürdige Figur mit den sechs sprießenden Armen nach. Chester kichert leise. Erschaudert unter meinem Finger. „Und was ist das hier in der Mitte? Sollst du das sein?” frage ich ihn keuchend. Mein Finger bewegt sich zärtlich entlang des Kreises. Malt immerzu Kreise innerhalb des Tattoos. Unerfahren wie ich bin, wundert es mich, dass ich die Farbe gar nicht spüren kann. Die schwarze Tinte ist so tief in seine Haut gestochen worden, dass ich sie zwar gut sehen, aber nicht ertasten kann. „Nein... das... ist nur Derricks Vorstellung von mir... die Power, die ich habe... auf der Bühne...”, stammelt Chester atemlos. Verwundert registriere ich, dass der Mann augenblicklich auf meine Zärtlichkeit reagiert. Ein weiterer Schauder lässt ihn erzittern. Er seufzt ganz leise. Streckt die Wirbelsäule. Als wollte er sich meinem Finger entgegenrecken. Offenbar gefällt ihm mein Streicheln sehr. Damit habe ich jetzt gar nicht so schnell gerechnet. Das erregt mich unglaublich. Und gibt mir sofort Mut.

„Hier unten hängt was raus, Chaz. Aus dem Kreis. Soll das dein Schwanz sein?” frage ich ihn neckend. Male den dünnen Zipfel nach, der zwischen die beiden unteren Arme tätowiert wurde. Fuck, die unwillkürliche Vorstellung von Chesters Glied macht mich so richtig geil. Ich erinnere mich, wie weich und samtig es sich angefühlt hat, als ich es in der Hand hatte. Ich hatte es schon mal in meiner Hand. Einmal. Heiße Wellen durchfluten mich. Sammeln sich geradewegs in meinem Unterleib. Unwillkürlich hämmert mein Herz los. Das Atmen fällt mir schwerer. Möchte dringend meine Erektion gegen seinen knackigen Hintern pressen. Halte mich jedoch bewusst davon ab. Ich kann das. Kann mich kontrollieren. Chester lacht verblüfft auf. „Was? Mein Schwanz?” entfährt es ihm irritiert. „Das sieht so aus, als wäre es dein Schwanz”, beharre ich keuchend. Obwohl dieser Strich in Wahrheit alles Mögliche sein könnte. Und offenbar ist es ja auch nur eine seltsame Vision von diesem Derrick, die da unübersehbar auf Chesters Rücken prangt. „Ernsthaft?” erkundigt Chester sich. Hört sich ein wenig beunruhigt an. Der dumme Typ versucht wahrhaftig, über seine rechte Schulter zu linsen. Will meine hänselnde Behauptung unverzüglich überprüfen. Dabei kann er doch gar nicht sehen, was Derrick ihm dreist auf den oberen Rücken tätowiert hat. Und wenn er sich bei dem Versuch noch so sehr den Hals verdreht. „Ja, ehrlich!” necke ich Chester. Hindere ihn nochmal daran, sich umzudrehen. Auch diesmal gehorcht er mir.

Unbeirrt fahre ich damit fort, über seine Haut zu streicheln. Male das schwarze Tattoo nach. Ganz vorsichtig. Behutsam. Mein Finger berührt ihn eigentlich so gut wie gar nicht. Bestimmt kann er das kaum spüren. Trotzdem reagiert er erstaunlich stark. Erschaudert gurrend. Mein Finger folgt sanft den schwarzen Linien auf seiner zarten, hellen Haut. Chester seufzt zustimmend. „Das... fühlt sich gut an, Mike”, flüstert er zu meiner Freude schüchtern. „Ist es dein Penis, Herr Bennington?” will ich hartnäckig wissen. Zeichne den schwarzen Zipfel nach. Genüsslich. Stelle mir vor, es wäre sein Schwanz. Das verwirrt mich, wie gut das Thema mir gefällt. Wie sehr es mich auch körperlich antörnt, darüber zu sprechen. Ich habe so etwas noch nie getan. Habe noch nie in so einer Situation über Sexualorgane gesprochen. Das ist mir nie in den Sinn gekommen. Aber mit Chester ist alles anders. Neu. Aufregend. Der Tätowierte lacht glucksend. „Wenn du das so sehen willst, Mikey. Dann ist es mein Penis. Aber da musst du Derrick fragen”, kichert er atemlos. Erschaudert nochmal unter meinem Finger. Der blasse Kerl kriegt wahrhaftig eine Gänsehaut. Fasziniert registriere ich, wie seine nackte Haut sich zusammenzieht. Schaue mir intensiv seine Gänsehaut an. Die winzigen Hubbel. Die aufgestellten, kleinen, kaum sichtbaren Härchen. Noch nie habe ich etwas Schöneres gesehen.

Das habe ich verursacht. Mit meiner Berührung. Ich habe ihm wahrhaftig eine Gänsehaut verpasst. Das macht mich richtig scharf, wie unmittelbar der Mann auf mich anspringt. Mein Schwanz in der Hose zuckt entzückt. Unruhig presse ich die Schenkel zusammen. Das fühlt sich enorm geil an. Chester Bennington fühlt sich unglaublich an. Sein Körper ist warm und weich. Er ist so wunderschön. Das fasziniert mich total. Ich fürchte, dass ich mich nicht mehr viel länger bremsen kann. Das wird schwieriger mit der Zeit. Ganz automatisch. Mahne mich innerlich, auf keinen Fall die Kontrolle zu verlieren. Streichele gleichzeitig gierig mit der ganzen Hand über Chesters Rückseite. Registriere das Gefühl seiner warmen, weichen Haut an jedem einzelnen Finger.

Zögernd verlasse ich die schwarze Tätowierung oberhalb seiner Schulterblätter. Meine Hand fährt langsam am harten Rückgrat hinunter zu seinen Nieren. Ich liebkose jeden einzelnen seiner knochigen Wirbel. Vorsichtig. Mühevoll konzentriert. Vollkommen bewusst. Streichele seine schlanke Taille. Fahre intensiv am Bund seiner Chinohose entlang. Genieße das harte Gefühl seiner Hüftknochen an den beiden Seiten. Das ist so erregend, dass mein Herz wie verrückt bumpert. Mein Atem geht tief und schwer. Mein Körper und meine Seele sind ausschließlich auf Chester Bennington fokussiert. Möchte ihn vollständig in mich aufnehmen. Sofort alles mitnehmen, was der Mann zu bieten hat. Meine Haut kribbelt elektrisiert. Mein steifer Schwanz schenkt mir die geilsten Empfindungen. Verlangt unwillkürlich eine Steigerung der Stimulation. Davon kann ich nicht genug kriegen. Das überwältigt mich. Mike möchte nur noch viel mehr. Noch sehr viel mehr Chester.

Automatisch nehme ich die zweite Hand dazu. Ohne darüber nachzudenken. Ich denke nicht mehr. Weil es von alleine immer intensiver wird. Mich zunehmend zu übermannen droht. Unruhig presse ich die Schenkel zusammen. Mahne mich abermals zur Besonnenheit. Registriere erschlagen, dass die mahnende Stimme in meinem Kopf rapide an Kraft verliert. Vielleicht sollte ich jetzt lieber aufhören, warnt mich irgendwas zaghaft in meinem Schädel. Die unwillkommene Stimme wird aber sofort von meinem hellwachen, überaus gierigen Körper überstimmt. Ich kann es nicht. Kann jetzt nicht einfach wieder aufhören. Habe doch gerade erst angefangen. Mike muss weitermachen. Die geile Lust noch viel mehr steigern. Möchte mich völlig in Chester Bennington auflösen. Weil ich seinen fantastischen Körper so lange vermisst habe. Weil es schlicht zu überwältigend ist, was ich mit ihm fühlen kann. Und nur mit ihm. Weil ich mich nach dem hier wie irre gesehnt habe. Zweiundzwanzig Stunden lang.

Bewege mich auf Chesters hellen, empfindsamen Haut vorsichtig wieder hinauf. Zärtlich. Behutsam. Ganz langsam. Mühevoll konzentriert. Meine Finger streicheln genau entlang seiner hageren Wirbelsäule. Ertasten sorgfältig die harten Knochen. Jeder einzelne seiner Wirbel ist wunderschön. Chester scheint das sehr zu gefallen. Er zittert ein bisschen. Seufzt. „Das ist schön...”, murmelt er kaum hörbar. Glücklich registriere ich, dass sein Atem schwerer wird. Sein Brustkorb bewegt sich kräftiger. Tief atmet er ein und aus. „Ich mag deinen Penis”, flüsterte ich hingerissen. Bevor ich darüber nachdenken kann. Oder es mir auch nur bewusst wird. Im nächsten Moment beiße ich mir erschrocken auf die Lippen. Laut ausgesprochen hört sich dieser Satz irgendwie gar nicht mehr so normal und schmeichelhaft an, wie er vorher in meinem Kopf noch geklungen hat. Wie er eigentlich gemeint war. Das hört sich jetzt an, als wäre ich nur an Chesters Geschlechtsorganen interessiert. Als könnte ich mich schon wieder nicht beherrschen. Als wäre ich ein verrückter Sexbesessener. Das muss Chester ja vor den Kopf stoßen. Mist, ich muss viel besser aussortieren, was ich denke oder ihm sage! So etwas Delikates darf mir doch nicht einfach so unbedacht herausrutschen! Besorgt erwarte ich, dass Chester sich empört meinen streichelnden Händen entzieht. Fühle mich verwirrt.

Aber der neue Patient ist zum Glück gar nicht so schockiert, wie ich es befürchtet habe. Er lacht nur liebenswürdig. Chester ist von meinen Worten amüsiert. „Danke schön, Mike”, kichert er keuchend, „Ich mag deinen Penis auch.” Und dieser Satz ist wohl so ziemlich das Geilste, was dieser Engel bisher zu mir gesagt hat. Augenblicklich überschwemmt mich die sexuelle Erregung. Wie von einem stürmischen Tsunami werde ich überflutet. Blitzartig. Geschockt stöhne ich viel zu laut auf. Meine Hände können nicht länger widerstehen. Drängen gierig unter seinen Armen hindurch. Wollen auf diesem faszinierenden Körper unbedingt nach Vorne. Verlangen flehend nach neuen Empfindungen. Viel mehr geilen Berührungen. Chester hat nichts dagegen einzuwenden. Gehorsam hebt er seine Arme ein Stückchen, damit ich hindurchtauchen kann. Er lässt mich vertrauensvoll gewähren. Widersetzt sich mir nicht. Überlässt mir die ganze körperliche Freiheit. Das vollständige Kommando. Er liefert sich mir aus. Schenkt mir seinen Körper. Genau so, wie ich es von ihm kenne.

Meine Finger umrunden erwartungsvoll seinen knochigen, tief atmenden Brustkorb. Landen direkt auf seiner nackten Brust. Es bringt mich fast um, als ich überdeutlich spüre, wie hart Chesters kleine Brustwarzen sind. Beide Nippel haben sich fühlbar aufgerichtet. Sie sind erregt zusammengezogen. Neugierig betaste ich die beiden winzigen Knubbel. Ganz vorsichtig. Mit meinen Fingern. Sanft. Sie sind empfindlich. Ich muss behutsam sein. Darf sie nicht kaputtmachen. Chester Bennington reagiert sofort auf diese intime Berührung. Und zwar auf die schönste Art. Sein Leib erschaudert spürbar heftiger. „Himmel, Mike....”, keucht er überrascht, „...das ist schön... fühlt sich geil an... das... macht mich scharf...” Glücklich und absolut hingerissen stöhne ich abermals laut auf. Unwillkürlich. Kann nicht anders. Geht nicht. Kippe abrupt mit dem Oberkörper gegen seinen Rücken. Verliere mein Gleichgewicht in ihm. Lässt sich nicht länger verhindern. Wollust überschwemmt mich heftig. Sammelt sich in meinem pochenden Unterleib. Explodiert in mir als wahres Wohlbefinden. Die pure Geilheit durchströmt mich mächtig. Stöhne nochmal. Puste ihm ungeduldig die Dreadlocks aus dem Nacken. Damit ich ihn dort küssen kann. Will ihn dringend küssen. Sehne mich nach seinen Lippen. Seiner nassen, gelenkigen Zunge in meinem Mund.

Aber der Mann dreht mir den Rücken zu. Darum ist seine Zunge für mich im Moment unerreichbar. Ich selbst habe ihn so für mich hingestellt. Wollte das doch so haben. Genau so. Mich kontrollieren. Auf seine Bedürfnisse achten. Und er überlässt sich mir voller Vertrauen. „Das kitzelt, Mikey”, kichert Chester hörbar zugeneigt. Als mein pustender Atem seinen empfindlichen Nacken trifft. Er zieht zitternd die Schultern hoch. Erschaudert ein weiteres Mal. Leise stöhnend. Die kleinen Härchen in seinem Nacken stellen sich auf. Das macht mich völlig verrückt. Ausgehungert treffen meine Lippen seine heiße, samtige Haut. Meine gierige Zungenspitze schmeckt einen Hauch von Schweiß. Und ganz viel Chester. Davon kann ich nicht genug kriegen. Verliebt streicht meine Nase durch sein weiches Haar an seinem Hinterkopf. Überdeutlich nehme ich seinen typischen Geruch wahr. Sauge ihn automatisch gierig in mich auf. Diese fantastische, einmalige Mischung aus Chester Bennington und Schweiß. Nach der ich mich seit einsamen Ewigkeiten gesehnt habe. Mein Mund drängt begehrlich von hinten an sein Ohr. „Ich habe dich so lange vermisst, Chester”, wiederhole ich drängend, „Das hier habe ich so sehr vermisst... Hab mich so nach dir gesehnt...” Mein Herz hämmert zu schnell. Überschlägt sich fast. Mühevoll ringe ich nach Luft. Mein Blut dröhnt in meinen Ohren. Meine Erektion fühlt sich prall und pochend an. Mein Körper verlangt unvermindert nach einer Steigerung der sexuellen Erregung. Der heftige Drang, meinen Schwanz auszupacken und direkt zu stimulieren, wird fast übermächtig. Ich kämpfe zunehmend damit, nicht die Kontrolle zu verlieren. Die mahnende Stimme in meinem Kopf ist nur noch ein leises, heiseres Krächzen. Das alarmiert mich.

„Ich hab dich auch krass vermisst, Mike”, erwidert Chester liebenswürdig. Von der Seite ahne ich nur, dass er lächelt. Chaz sieht zufrieden aus, glaube ich. In diesem Moment scheint es ihm gut zu gehen. Das gefällt mir so sehr, dass ich auch lächeln muss. Zwinge mich zur Konzentration. Mike Shinoda hat alles richtig gemacht. Kein Grund zur Sorge also. Der neue Patient ist erstaunlich atemlos. Seufzt immerzu. Es gefällt ihm, was ich mit ihm mache. Wie ich ihn berühre. Zweifellos. Vorsichtig lege ich meine beiden Hände flach auf seine warme Brust. Sofort spüre ich überdeutlich seinen kräftigen Herzschlag. Chesters Herz schlägt überraschend hart und schnell. Sein schmächtiger Körper erschaudert regelmäßig. Der Mann keucht. Zittert. Hat eine süße Gänsehaut von mir. Erst jetzt wird mir richtig bewusst, dass ich es diesmal offenbar tatsächlich geschafft habe, Herrn Bennington sexuell zu erregen. Etwas, das ich mit ihm gemacht habe, hat ihn wahrhaftig spürbar aufgegeilt. Ich habe das vollbracht. Mike Shinoda hat das verursacht. Ich habe ihm schöne Gefühle geschenkt. Habe dafür gesorgt, dass Chester sich wohlfühlt. Die Erkenntnis ist fast mehr, als ich ertragen kann. Oder auch nur begreifen. Einen Moment lang bin ich völlig aus dem Konzept gebracht. Weiß gar nicht mehr, was eigentlich passiert. Um uns herum ist es ganz still. Nur unser schweres Atmen. Seine Hitze an meinem Körper. Angenehm. Er fühlt sich gut an. Es ist so verdammt wunderschön, diesen Menschen im Arm zu halten. Noch nie habe ich mich mehr geborgen gefühlt.

Auf einmal bewegen sich Chesters Arme in meine Richtung. Seine Hände tasten sich langsam nach hinten. Ohne, dass er sich dabei umdreht. Blind sucht er mich mit den Fingern. Die rechte Hand bewegt sich aufwärts. Er fängt an, mit seiner rechten Hand meinen Hinterkopf zu streicheln. Seine Finger fahren behutsam durch mein gestyltes Haar. Das fühlt sich toll an. Wie er mich berührt. Mit wie viel Zuneigung er das tut. Sofort fühle ich mich erstaunlich umfassend geliebt. Bestätigt. Gebraucht. Seine andere Hand bewegt sich nach unten. Ertastet mich vorsichtig. Sucht meinen Körper. Chester reckt sich blind nach mir. Greift neugierig hinter sich. Ohne sich dabei zu mir umzusehen. Der erregte Mann streckt wahrhaftig seine linken Hand nach mir aus. Umrundet zart meine Taille. Findet zielstrebig meinen Po. Umfasst ihn mit allen fünf Fingern. Streichelt gezielt meine linke Arschbacke. Seine ungewohnt zärtliche Berührung an diesem erogenen Körperteil erregt mich dermaßen, dass ich auf der Stelle ziemlich laut ächzen muss. Kann ich nicht unterdrücken. Geht nicht anders. Passiert völlig automatisch. Meine Nase vergräbt sich selig in seinem Haar. Im nächsten Moment greift Chester fest zu. Zieht mich an meinem Hintern gepackt ruckartig näher an sich heran. Er ist überraschend kräftig. Energisch. Spürbar extrem ungeduldig. Unwillkürlich mache ich einen Schritt nach vorn. Weil der stürmische Kerl mir schlicht keine andere Wahl lässt. Chester will das jetzt so. Verlangt es von mir. Drängend. Fast flehend. Der Typ kann nicht länger darauf verzichten. Braucht mich vollständig. Will alles von mir fühlen. Und ich selbst will das doch schon die ganze Zeit dringend tun. Mich ihm in Gänze nähern. Den Mann an meinem ganzen Körper spüren. Überall. An meinem Schwanz. Direkt. Da besonders. Ohne Frage wurde es immer schwieriger, mich davon abzuhalten. Nicht die Beherrschung zu verlieren. Langsam vorzugehen. Habe mich kaum noch zurückhalten können. Wollte mich unbedingt an ihm reiben. Mich zu bremsen wurde immer schwerer. Aber jetzt ist das plötzlich nicht mehr nötig. Chester Bennington hat mir die quälende Entscheidung abgenommen.

Wollüstig presse ich mich von hinten an meinen heiß begehrten Menschen. Kann nicht anders. Kann es nicht mehr bremsen. Geht einfach nicht. Verdammt! Panisch merke ich, wie es mich schon wieder übermannen will. Auch heute bin ich völlig machtlos. Mike Shinoda kann schlicht nichts dagegen tun. Drücke meine harte Erektion ziemlich feste gegen Chesters knackiges Hinterteil. Das fühlt sich sofort so gut an, dass ich überwältigt laut aufstöhne. Mein Gesicht ist irgendwo an seinem Hals. In seinen weichen, samtigen Dreadlocks vergraben. Meine Hände streicheln sich von allein an seinem warmen, knochigen Brustkorb hinab. Geradewegs zu seinem dünnen Bauch. Liebkose ihn intensiv. Spüre die weiche Haut. Kraule durch das wenige Haar an seinem Bauchnabel. „Fühlst du das...?” frage ich ihn keuchend, „...kannst du fühlen, wie hart ich bin?” In dieser Situation meinen Penis zu erwähnen, geilt mich definitiv auf. Darum tue ich das. Automatisch. Eine ungewohnte Erfahrung. Meine Frage ist allerdings total überflüssig. Weil Chester meinen steifen Schwanz unter Garantie an seinem Popo spüren kann. Wahrscheinlich sogar deutlicher, als ihm lieb ist. Aber ich möchte das von ihm hören. Es erregt mich, den Kerl danach zu fragen. So was ist völlig neu für mich. Noch nie hat mich Gerede über Sex und Schwänze dermaßen angetörnt. Das verwirrt mich. Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist. Keine Ahnung, was gerade mit mir passiert. Aber ich kann nicht genug davon kriegen. Es fühlt sich verdammt gut an.

Chester schnappt nach Luft. Es ist eine herzallerliebste Mischung aus Keuchen und Kichern. Ich spüre, wie sein schmächtiger Körper in meinen Armen zittert. Halte ihn ganz fest. Liebe diesen Mann. Möchte ihn nie wieder loslassen. „Wow... Mike... das... fühl ich... wie hart du bist...”, stimmt Chester verlegen zu. Er ist süß schüchtern. Windet sich peinlich berührt. „Das ist verflucht geil...”, flüstert er scheu. Im ersten Moment glaube ich, mich verhört zu haben. Ich erstarre förmlich. Für ein paar Sekunden oder so. Dann fährt es mir auch schon heiß durch den Leib. Sammelt sich mächtig in meinem Schritt an. Pure sexuelle Energie. Verdammt, der Typ killt mich! Total. Kontrolle wird mit dem Fortschreiten der Zeit unmöglicher für mich. Die Gedanken immer wirrer. Ich bin ehrlich überwältigt. Chester Bennington findet das wahrhaftig geil. Wie unmittelbar er mein hartes Geschlechtsorgan an seinem Hintern spüren kann. Wie unbeherrscht ich mich mit meinem gierigen Glied an ihn presse. Automatisch mache ich das nochmal. Registriere überdeutlich, wie stark der Druck gegen meinen empfindsamen Penis mich erregt. Die Gewissheit, dass es Chesters knackiger Arsch ist, an dem ich mich reibe und stimuliere, steigert meinen Genuss beträchtlich. Wiederhole das nochmal. Stöhne ziemlich laut dabei. Weil ich nicht anders kann. Die Geilheit explodiert in mir. Das fühlt sich absolut fantastisch an. Noch nie war es so. Mit niemandem. Nur mit Chester ist es dermaßen intensiv für mich. Nur der besondere Mann verursacht dieses alles überwältigende Feuerwerk in meinem Körper. Mike Shinoda will immer noch mehr davon. Mehr. Alles. Eine Steigerung der Wollust. Sofort. Kann mich nicht mehr lange bremsen. Habe das Gefühl, jeden Moment restlos die Kontrolle über mich zu verlieren. Fange unwillkürlich an mich aufzulösen. In ihm. In Chester. Aber das darf mir nicht nochmal passieren. Das ich egoistisch über ihn herfalle. Oder so was. Mikey will das nicht. Will nicht egoistisch sein. Langsam macht mir das ehrlich Sorgen.

„Chester... das tut mir leid...”, stöhne ich hilflos. Muss mich nochmal an ihn drücken. Meinen überaus gierigen, steinharten Schwanz. Gezielt pressen und reiben. Fuck! Fühlt sich verfickt geil an. Diese eine Stelle besonders. Mach ich gleich nochmal. Während ich ihn besitzergreifend umarme. Fester. Er gehört mir. Stürmisch küsse ich seine helle Kopfhaut zwischen den Dreadlocks. Meine Zunge leckt verlangend über seinen heißen Nacken. Spüre kitzelnd seine weichen Haare in meinem Gesicht. Chester erschaudert. Sein faszinierend angespannter, erregter Leib zittert unter meinen Händen. Mein Mann stöhnt kaum hörbar. Er nimmt die rechte Hand von meinem Hinterkopf. Legt sie neben die linke auf meinen Allerwertesten. Chester holt tief Luft. Seufzt schwer. „Nein... Mike... sag doch so was nicht! Ich will nicht, das... dir irgendwas leidtut...”, beschwört er mich verwirrt. Verlegen vergrabe ich mein Gesicht in seinen braunen Dreadlocks. „Aber ich... verdammt, Chaz! Ich bin schon wieder unglaublich scharf auf dich... du fühlst das doch... ich... kann mich kaum noch beherrschen...”, erkläre ich ihm reuevoll.

Dieses Geständnis fällt mir mega schwer. So ehrlich zu ihm zu sein. Meine Schwäche so ungewohnt direkt auszusprechen. Ich kenne diesen Menschen in meinen Armen nicht. Das hier ist mir verflucht peinlich. Wie wenig ich mich im Griff habe. Wie hilflos ich meiner Geilheit gegenüberstehe. Es drängt mich enorm, mit meinen Händen von seinem Bauch aus hinab zu seinem Schritt zu tauchen. Nur noch ein paar Zentimeter tiefer. Ich bin schon so verdammt nah dran. Möchte dringend seinen verlockenden Penis erfühlen. Will ihn an meinen Fingern spüren. Nachprüfen, ob Chester Bennington inzwischen vielleicht steif geworden ist. Genauso sexuell erregt wie ich ist. Allein der Gedanke macht mich rasend. Die vage Vermutung killt mich. Die unwillkürliche Hoffnung. Aber diesmal möchte ich unbedingt alles richtig machen. Auf keinen Fall will ich nochmal gedankenlos über Chester herfallen. Nur fürchte ich, dass ich schon sehr bald vollständig die Kontrolle über mich verlieren werde. Jedenfalls fühlt es sich verdammt danach an. Mein Kopf ist seltsam leer. Mein Verstand wird zunehmend hinweggefegt. Meine Empfindungen sammeln sich autonom in meinem Unterleib. Drängen auf eine sofortige Steigerung meiner Lust. Das Erreichen des Höhepunkt. Das Sehnen nach dem Orgasmus. So ist das nun mal. Als würde ich auf der Kippe stehen. Sehr nah am sexuellen Abgrund.

Mein Gesicht wird ganz heiß. Der Schweiß bricht mir aus. Fuck, ich schäme mich vor ihm. Habe keine Ahnung, wie er jetzt über mich denkt. Diesen seltsam tätowierten Kerl vor mir kenne ich erst seit nicht mal zwei Tagen. Bin ihm auf einem Flur in der Psychiatrie zum ersten Mal begegnet. Ich weiß so gut wie Nichts über ihn. Und trotzdem ist nur er allein es, der mich kinderleicht in diesen neuen Zustand versetzen kann. Diese gewaltige sexuelle Erregung. Die kein Morgen mehr zu kennen scheint. Die nur noch stur auf Erfüllung pocht. Das hat noch nie jemand bei mir geschafft. Noch bei keiner einzigen Frau bin ich dermaßen geil gewesen. Nur Chester Bennington kann das. Dieser besondere Mann sorgt dafür, dass mir sämtliche Sicherungen durchbrennen. Innerhalb von Sekunden schafft der das. Das beunruhigt mich irgendwie. Dass er diese Macht über mich hat. Ich weiß nicht, was das über mich aussagt. Oder was es bedeutet. Zum Glück dreht Chester mir den Rücken zu. Ich glaube, ich kann ihm jetzt gerade nicht in die braunen Augen gucken. Mein Blut rauscht in meinen Ohren. Mein Herz klopft wie verrückt. Tief sauge ich seinen betörenden Duft in mich hinein.

Meine Hände streicheln sich kurzentschlossen wieder an ihm hinauf. Obwohl mir das verdammt schwerfällt. Gierig berühre ich nochmal seine kleinen, harten Brustwarzen. So sanft wie möglich. Ich muss vorsichtig sein. Darf nicht die Kontrolle verlieren. Chester stöhnt und schüttelt sich. Sein Herz hämmert inzwischen fast so schnell wie meins. „Mikey, hör mal”, seufzt er leise, unzufrieden, „Das ist doch nichts, wofür du dich schämen musst. Das... ist doch schön so... das... macht mich an, du... ehrlich...” Der Kerl drückt zitternd das Kreuz durch. Drängt mit seinem dünnen, festen Hintern spürbar dagegen. Genau gegen meinen höchst empfänglichen Schwanz. Ganz direkt. Seine Hände auf meinem Arsch fangen unsicher an mich zu massieren. Zärtlich bewegt er seine schlanken Finger über die beiden Backen. Er knetet mein Fleisch mit genau der richtigen Intensität. Als hätte er das schon tausendmal getan. Als wüsste er ganz genau, wie ich es am liebsten habe. Womit er mich am meisten erregen kann. Dabei macht der das doch zum ersten Mal. Herr Bennington massiert meinen Po mit berauschend viel Gefühl. Als würde er hinter seinem Rücken blind auf einem Klavier spielen.

Himmel Herrgott! Seine liebevolle Berührung mit beiden Händen gleichzeitig fühlt sich dermaßen aufregend an, dass ich sie kaum ertrage. Das ist zu viel des Guten. Die nur noch mühevoll aufrechterhaltene Kontrolle über meine niederen Gelüste verabschiedet sich autonom von mir. Das unzähmbare Tier springt mich gnadenlos an. Es wurde schlagartig hellwach gestreichelt. Von Chester Bennington. Endgültig übermannt er mich. Dieser sonderbare Mann. Er steht so dicht vor mir, dass unsere Konturen verschmelzen. Unsere Seelen werden eins. Lasziv reibt Chaz sich an mir. Wollüstig bewegt er seinen schlanken Körper rückwärts gegen meinen. Als würde der Typ nach einer langsamen Musik tanzen. Die nur er hören kann. Fest und gleichzeitig extrem feinfühlig massieren seine kundigen Finger sanft mein Fleisch. Auf meinen beiden Arschbacken spielt er eine unhörbare Komposition. Und tötet mich damit.

Sofort ist mir klar, dass ich das nicht lange aushalten kann. Die Lust sammelt sich mächtig in mir. Strebt geradewegs dem Höhepunkt entgegen. Das überrascht mich. Bis jetzt wusste ich nicht mal, dass mein Arsch so empfindlich ist. Dass sich so etwas so gut anfühlen kann. Habe das noch nie erlebt. Hat bisher noch nie jemand bei mir gemacht. Chester kann das jedenfalls hervorragend. Meinen Arsch massieren. Gleichzeitig reibt und stößt sein Hintern gegen meine Erektion. Mister Bennington scheint in diesem Spiel weitaus erfahrener als ich zu sein. Der Typ tanzt in eindeutig sexueller Absicht mit mir. Ich hatte keine Ahnung, wie schön das werden kann. Wie begehrt man sich dabei fühlen kann. Restlos überwältigt, drücke ich den fremden Menschen gegen meine Brust. Es ist gut möglich, dass ich gerade einen Hauch von Paradies spüre oder so was. Er scheint ein fantastischer Engel zu sein. Ein sphärischer Körper. Den ich umarmen darf. Ich fühle mich total berauscht. Absolut von ihm verzaubert. Chesters typischer Geruch in meiner Nase. Seine weichen Haare in meinem Gesicht. Die irgendwie feuchte Hitze, die zunehmend von ihm abstrahlt. Sich mit meiner Körperwärme vermischt. Mich wärmt. Umschmeichelt. Sein schnell und kräftig schlagendes Herz unter meinen Händen. Seine tiefen Atemzüge. Seine kleinen, geilen Nippel. Die wenigen Haare auf seiner Brust. Sein leises Keuchen. Sein angespannt zitternder Leib. „Mike...”, seufzt er atemlos, „Miiike...” Wispernd stöhnt er meinen Namen. Das ist so verflucht überwältigend erregend, dass ich es nicht verarbeiten kann. Komische Geräusche entringen sich meiner Kehle. Ich weiß nicht, ob es sein Name ist. Oder etwas anderes.

Erschrocken wird mir klar, dass Chester mich geradewegs zum Orgasmus treibt. Wenn er auf diese Art weitermacht. Und verdammt, genau das hat er vor. Schon spüre ich drastisch, wie dieser mächtige Druck sich in mir aufbaut. Diese gewaltige Wollust. Zwischen meinen Beinen. Kurz vor der Explosion. Das Bedürfnis, die Sache noch weiter zu steigern, sich noch schneller und härter zu bewegen, die direkte Reibung an meinem Schwanz zu erhöhen, wird unbezwingbar. Das ist stärker als ich. Da kommt Mikey jetzt nicht mehr raus. Will es auch gar nicht. In spätestens zwanzig oder dreißig Sekunden werde ich ziemlich gewaltig abspritzen. Ist schlicht unvermeidbar. Eine Tatsache. Zwangsläufig werde ich mir dadurch meine Unterhose versauen. Die schwarze Sporthose. Und womöglich sogar mein Shirt. „Fuck...!” entfährt es mir panisch. Ein unglaublich großer Teil von mir, dieses entfesselte, unbezwingbare Tier, will das jetzt einfach geschehen lassen. Weil das ja schließlich so sein soll. Weil sich diese Sache so sphärisch gut anfühlt. Weil einfach alles in mir ganz gewaltig nach dem verfickten Höhepunkt lechzt. Aber der winzige Rest meines Verstandes muss das so schnell wie möglich verhindern. Weil es vor dem fremden Mann zweifellos viel zu peinlich wäre, hilflos in meine Hose zu ejakulieren. Weil ich gar keine Lust auf diese klebrige Sauerei habe.

Hastig schlinge ich meine Arme noch sehr viel fester um Chesters schmalen Körper. Hindere den geilen Kerl energisch daran, sich weiter auf diese unfassbar betörende Art zu bewegen. Ich fordere Bennington gewaltsam zum Aufhören auf. Lasse ihm keine Wahl. Setze meine ganze aufgeladene Körperkraft gegen ihn ein. Chester schnappt nach Luft. Als ich seinen Brustkorb zusammendrücke. Er lacht belustigt. Kommt gezwungenermaßen zum Stillstand. Taumelnd. Seine Hände liegen jetzt ruhig auf meinem Arsch. Kichernd, liebevoll lehnt er seinen Hinterkopf gegen mein Schlüsselbein. Diese Bewegung ist dermaßen vertrauensvoll, dass mir ganz warm ums Herz wird. Ich bin dem zärtlichen Sänger so nah, dass ich meine Wange von hinten an seine schmiegen kann. Spüre den harten Bügel seiner Brille an meiner Schläfe. In meiner hektischen Panik habe ich Chaz so fest umschlungen, dass ich ihm bestimmt fast seine Rippen breche. Ihm die Lunge zusammenquetsche. Aber er beschwert sich nicht. Sein Herz schlägt noch immer schnell. Lachend ringt er nach Luft. Auch mein Atem geht verdammt schwer. Bin ganz schön aufgegeilt. Mein lieber Mann! Es ist nicht leicht, die Sache an diesem Punkt nicht zu Ende zu führen. Dafür brauche ich meine ganze Willenskraft. Mein Körper ist maßlos enttäuscht. Aber ich bin auch stolz auf mich. Weil ich diesmal nicht die Kontrolle verloren habe. Mike Shinoda hat es geschafft, sich zu beherrschen. Hat alles richtig gemacht. Denn ohne Frage hat es Chester sehr gefallen.

Wir benötigen beide eine ganze Weile, um von unserem sexuellen Höhenflug halbwegs wieder runterzukommen. Schließlich stehen wir bewegungslos in diesem Umkleideraum. So dicht hintereinander, wie es überhaupt nur möglich ist. Wange an Wange. Da ist kein Millimeter Platz mehr zwischen uns. Sein wunderschöner Körper ist angenehm warm. Einen Augenblick lang habe ich Angst, dass er mich womöglich spöttisch auslacht. Aber schon im nächsten Moment wird mir klar, wie wenig er das tut. „...Mike Shi-no-da... Wow!... Das ist richtig schön mit dir... ich mag dich total”, flüstert Chester happy. Der depressive Mann hört sich zufrieden an. Liebebedürftig lehnt er seinen Rücken gegen meine Brust. Streichelt mit seiner kratzigen Wange zärtlich meinen Bart. Ich spüre seine Dankbarkeit. Neue Euphorie überschwemmt mich. Als ich verstehe, dass wahrhaftig ich es bin, der es geschafft hat, Chester Bennington glücklich zu machen. Den traurigen Mann aus seinen düsteren Gedanken zu retten. Ich allein kann das. Gut für ihn sein. Und nichts anderes möchte ich noch tun. Diesen besonderen Menschen werde ich nie wieder loslassen. Ich werde Chester vor sich selbst beschützen. Die Zeit bleibt möglicherweise einfach stehen. In eingebildeter Perfektion. Kann schon sein.

In der nächsten Sekunde ist es vorbei. Plötzlich ein unangenehm lautes Geräusch. Was uns beide erschrocken zusammenfahren lässt. Der Lärm kommt so jäh und unerwartet, dass ich ihn zuerst nicht identifizieren kann. „Ist da noch jemand drin?” ruft irgendwer hörbar genervt. Klopft gleich nochmal kräftig gegen die Tür. Ärgerlich. Fordernd. Es ist die zweite Tür. Die in Richtung der Turnhalle führt. Instinktiv schnellt mein Kopf von Chesters anhänglicher Wange weg nach hinten. Hektisch lösen sich meine Arme von ihm. Ziehen sich panisch von ihm zurück. Der Mann hält mich zum Glück nicht fest. Nimmt seufzend seine Hände von meinem Hintern. In wilder Hast stolpern meine Beine zwei Schritte rückwärts. Mein aufgeschreckter Körper stößt gegen irgendwas. Es ist die Bank in meinen Kniekehlen, die dafür sorgt, dass ich mich automatisch hinsetze. Ich falle förmlich auf diese niedrige Bank. Beuge mich vor und schlage eilig die Beine übereinander. Zwei Sekunden später geht auch schon die vermaledeite Tür auf. Orlando, einer der beiden Therapeuten, die bisher jedes Mal die Bewegungstherapie geleitet haben, betritt mit schnellem, sportlichem Schritt den Umkleideraum für Männer. Sein Blick gleitet suchend durch den Raum. Findet Chester und mich sofort. Ich sitze auf der Bank. Chester steht zwei Schritte entfernt von mir. Gott sei Dank kam er nicht zehn Minuten früher, denke ich spontan erleichtert.

Orlandos Gesicht verzieht sich missbilligend. „Hört mal, was ist denn hier los, ihr zwei? Wir haben in der Halle schon lange angefangen! Die Therapie findet schon seit einer halben Stunde statt! Was macht ihr beiden denn noch immer hier drin?” will er völlig verständnislos wissen. Viel zu schnell kommt der Mann näher. Misstrauisch wandern seine Augen zwischen den beiden ungehorsamen Patienten hin und her. Der geschulte Therapeut versucht zu erraten, was hier wohl in den letzten dreißig Minuten zwischen Chester und mir passiert sein könnte. Angespannt sitze ich auf der niedrigen Bank. Weiche unbehaglich seinem forschenden Blick aus. Bin einfach nur froh. Mike Shinoda ist unglaublich erleichtert. Weil er schlau, vorausschauend und kontrolliert genug war, um nicht ausgerechnet in diesem Moment seinen Orgasmus zu erleben. Irgendeine höhere Macht, meine Feigheit oder vielleicht mein Schamgefühl haben das glücklicherweise verhindert. Nein, das ist nicht so. Ich spritze nicht gerade in dem Augenblick gegen Chesters Arsch ab, als Orlando hereinkommt. Was ohne Frage verheerend gewesen wäre. Stattdessen sitze ich nur ganz harmlos auf dieser harten Bank herum. Weil ich schnell genug reagiert habe, befinde ich mich noch nicht mal auffällig nah an Chesters faszinierendem Körper. Allerdings bin ich noch immer ziemlich erregt. Und davon darf der Therapeut nun wirklich nichts merken. Chester stellt sich Orlando mutig in den Weg, bevor er mir zu nahekommen kann. Herr Bennington will mir schon wieder helfen, indem er die Bedrohung von mir ablenkt. Dafür bin ich Chaz zutiefst dankbar. Obwohl es mich gleichzeitig irritiert, wie schnell der neue Patient sich anscheinend vollständig im Griff hat. Man kann ihm gar nichts mehr anmerken. Nicht das Geringste. Als wäre der Kerl nicht vor einer Minute noch spürbar sexuell erregt gewesen. Sogar sein Atem scheint ruhig zu gehen.

„Tut mir leid. Ich bin zum ersten Mal hier. Hab total getrödelt und so...”, behauptet der junge Mann mit den brünetten Dreadlocks. Lächelt den Therapeuten aus Mexiko entschuldigend an. Orlando betrachtet ihn höchst interessiert. „Und du bist.... Bennington?” nimmt er zögerlich an. Offenbar wurde Chaz ihm schon angekündigt. „Ja, Chester Bennington. Hi!” nickt Chester und streckt dem Mexikaner freundlich grüßend die Hand hin. „Mein Name ist Orlando. Ich bin euer Bewegungstherapeut”, stellt der Unerwünschte sich vor und schüttelt Chesters schmale Hand. Dadurch habe ich noch ein paar Minuten länger Zeit. Um mich zu erholen. Mike muss dringend ruhiger werden. Irgendwie abkühlen. Damit Orlando nicht auf dumme Gedanken kommt. Leider fällt mir das verdammt schwer. Weil ich immerzu auf Chesters faszinierend nackten Oberkörper starren muss. Der hilfsbereite Sänger steht dort und schirmt mich mit seinem schlanken Körper vor dem Therapeuten ab. Sehnsüchtig betrachte ich das schwarze Tattoo mit den sechs Armen auf seinem wunderbaren Rücken. Möchte es dringend berühren. Ich schaffe es kaum, mich einzukriegen. Weil ich noch viel zu deutlich seine warme, weiche Haut an meinen Fingern spüre. Seinen besonderen Geruch in der Nase habe. Weil mein harter Schwanz noch immer aufgeputscht nach dem Höhepunkt schreit. Das unartige Organ will partout nicht einsehen, dass der Orgasmus vorläufig gestrichen wurde. Vorläufig. Ich glaube nicht, dass ich stark genug bin, das jetzt einfach so wieder herunterzufahren.

Nervös drücke ich die Schenkel fest aufeinander. Bemühe mich, tief ein und aus zu atmen. Konzentriere mich auf Chesters erbaulichen Anblick. Aber je länger ich den Sänger beobachte, umso mehr stört mich seine Coolness. Ich kapiere nicht, warum der halbnackte Kerl keinerlei Schwierigkeiten damit hat, sich mit diesem blöden Therapeuten zu unterhalten. Warum er beim Sprechen nicht mal ansatzweise nach Luft schnappen muss. So wie ich es garantiert gerade tun müsste. Der neue Patient ist plötzlich irritierend ruhig und gelassen. Von der berauschenden Geilheit, die uns noch vor einer Minute überwältigt hat, ist nichts mehr übrig. Chester wirkt vollkommen unbeeindruckt. Als wäre zwischen ihm und mir tatsächlich nichts passiert. Als wäre er nicht immerzu zitternd erschaudert. Als hätte er nicht wahrhaftig meinen Namen gestöhnt. Davon ist Herrn Bennington jetzt nichts mehr anzumerken. Irgendwie enttäuscht mich das. Es fühlt sich für mich zunehmend an, wie eiskaltes Wasser mitten ins Gesicht. Weil es in mir den verstörenden Verdacht weckt, dass dieser besondere Mann mir gerade eben möglicherweise alles nur vorgetäuscht hat. Aber nein, protestiert mein Herz, er hat mir doch gesagt, dass es ihm gefällt. Sein Herz schlug so schnell. Er hat geseufzt und in meinen Armen gezuckt. So etwas kann der Kerl doch unmöglich vorspielen. Oder? Warum sollte er das überhaupt tun? Was hätte er denn verdammt nochmal davon? Aber ich kenne ihn ja gar nicht, hält mein Verstand dagegen. Er wurde zwangsweise in die Psychiatrie gesperrt. Was weiß ich denn schon davon, wie er in Wahrheit drauf ist? Was für seltsame Dinge sich in ihm abspielen? Meine Gedanken fangen an zu rotieren. Ein Rest Unsicherheit bleibt hartnäckig bestehen. Sticht mir unangenehm tief in die Seele rein. Will mich tierisch runterziehen. Kratzt böse an meinem vagen Gefühl, diesmal womöglich alles richtig gemacht zu haben. Das gefällt mir gar nicht. Straft alles Lügen, woran ich geglaubt habe. Weil ich mich unwillkürlich von Bennington verarscht fühle.


Chester Charles Bennington    

Ich wünschte, die würden mich endlich in Ruhe lassen. Ständig wollen sie irgendwas von mir. Das geht schon viel zu lange so. Seit Ulli mich gestern aus dem Speisesaal mitnahm, hatte ich kaum noch eine ruhige Minute. Diese ganzen schrecklichen Tests und Untersuchungen. Inzwischen gibt es wahrscheinlich keine Frage mehr, die mir nicht irgendein Psychologe oder Psychiater gestellt hat. Kein einziger Zentimeter meines Körpers ist übrig, den sich nicht irgendein Arzt genau angeguckt hat. Zu viele fremde Menschen haben mich angefasst. Pausenlos viel zu neugierig meine Seele und meinen Leib studiert. Die Fachleute sind bis auf den Grund meiner Psyche abgetaucht. Alle kamen kopfschüttelnd wieder zurück. Sind ausnahmslos völlig ratlos. Haben trotz ihrer ausgeklügelten Tests keine Ahnung, was mit mir nicht stimmt. Wie auch, wo ich das doch noch nicht mal selbst weiß.

Nichts davon habe ich freiwillig getan. Konnte mich aber irgendwie auch nicht weigern. Sie haben mich nicht aus den Augen gelassen. Keine einzige verdammte Minute. Gestern musste ich unter Ullis Dobermannblick in meinem Raum etwas zu Abend essen. Die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen. Weil es mir so richtig dreckig ging. Erst heute Morgen hat der Pfleger mir nochmal ein paar Pillen gegeben. Die angeblich helfen sollen. Tun sie aber nicht genug. Ulrich hat mich dazu genötigt, in seinem Beisein in meinem Zimmer zu frühstücken. „Du musst etwas essen, Chester. Sonst kannst du doch gar nicht gesund werden”, waren seine Worte. Glaube ich. Ha Ha Ha. Bisher war mir gar nicht klar, dass ich so dermaßen krank bin, wie alle hier immerzu behaupten. Sie zwingen mir eine Pseudo-Hilfe auf, nach der ich niemals verlangt habe. Mittlerweile geht mir das so richtig auf den Sack. Nach dem Frühstück gab es noch so ein sinnloses, viel zu langes Gespräch mit einem Psychologen. Ich habe das Gefühl, sie erwarten von mir, dass ich die verdammte Hausordnung auswendig lerne. Und jetzt muss ich bei dieser rätselhaften Bewegungstherapie mitmachen. Ausgerechnet Sport, ich fasse es nicht! Konnten die sich denn nicht wenigstens etwas weniger Anstrengendes einfallen lassen?

Der einzige Lichtblick in all dieser quälenden Dunkelheit ist Mike Shinoda. Total unerwartet hockte der Bärtige allein in der Umkleide. Als Ulli mich hierher führte, war er schon da. Mike saß einsam auf dieser niedrigen, langen Bank. Vor den vielen, schmalen Schränken. Als hätte er schon stundenlang hier auf mich gewartet. Der Typ war völlig geplättet, als er mich plötzlich entdeckte. Das war so richtig süß. Ich freue mich, Mikey nach dieser ätzend langen Zeit wiederzusehen. Habe oft an ihn gedacht. Während die Ärzte und Psychologen mich stückchenweise auseinandernahmen. Ziemlich intensiv habe ich mich an unser geiles Parkbankabenteuer erinnert. Während ich in Unterwäsche frierend vor irgendeinem blöden Untersuchungszimmer ellenlang warten musste. Oder mein Körper angezogen in einem Büro vor einem besorgt fragenden Psychiater saß. Habe dann in Gedanken viel lieber mit dem besonderen Mann auf der Parkbank gelegen. Hat mich definitiv aufgemuntert. Habe mir unentwegt gewünscht, das so bald wie möglich zu wiederholen. Mike Shinoda hat die kosmische Macht, mich zu beruhigen. Ich mag es sehr, wenn er in meiner Nähe ist.

Heute geht es mir nicht gut. Eine weitere schlaflose Nacht liegt hinter mir. Die Anstrengungen der letzten zweiundzwanzig Stunden stecken mir in den Knochen. Der Entzug hockt tief in meinen Eingeweiden. Quälende Gedanken malträtieren mein Gehirn. Trotzdem hat Herr Shinoda es geschafft, mich abzulenken. Der kann so was. Irgendwie kriegt der das hin. Zuerst, indem er mich nach meinen Tattoos fragte. Ich liebe es, jemandem meine Tattoos zu erklären. Die wähle ich nämlich sehr sorgfältig aus. Jedes hat eine ganz besondere Bedeutung für mich. Mike hat sie zum ersten Mal gesehen. Als ich mein Hemd auszog. Der Süße schien irgendwie beunruhigt zu sein. Als würden die Tattoos ihm etwas Besorgniserregendes über mich verraten. Keine Ahnung, wie er darüber denkt. Ich weiß ja, dass es den meisten Menschen erstaunlich schwerfällt, über meine Tattoos hinaus zu urteilen.

Jedenfalls war es lustig, ihm die Tatts zu erklären. Und dann hat der Kerl mich auch schon angefasst. Ich glaube, dass wollte er vom ersten Augenblick an. Als er mich in diesem Umkleideraum sah. Und ich wollte das auch. Mikey schlich sich hinterhältig von hinten an mich heran. Als ich ihm mein Rückentattoo zeigte. Lieber wollte ich ihn küssen. Aber er verbot mir erstaunlich energisch, mich zu ihm umzudrehen. Der Typ ließ keinen Zweifel daran, dass er es diesmal unbedingt von hinten wollte. Er wollte hinter mir stehen. Also ließ ich es gut sein. Der besondere Mann malte mit seinem Finger sanft meine sechs sprießenden Arme nach. Damit fing es an. Er berührte mich. Und schaffte es kinderleicht, mich zu verzaubern. Meinen rumorenden Magen zum Schweigen zu bringen. Das ist richtig geil gewesen. Ich liebe es, von diesem Mann gestreichelt zu werden. Herr Shinoda ist überraschend bedingungslos in seiner körperlichen Zuneigung zu mir. Er ist ausschließlich auf mich fixiert. Was ich ziemlich schmeichelhaft finde. Außerdem fühlt der Typ sich fantastisch an. Sein attraktiver Körper war sehr warm und weich hinter mir. Mit seinen unermüdlichen Streicheleinheiten hat er es sogar geschafft, die Dämonen in meinem Kopf vorübergehend verstummen zu lassen. Mike Shindoa hat sie irgendwie weggestreichelt. Ich weiß auch nicht. Törnte mich ziemlich an, was er da mit mir machte. Wie nah er hinter mir stand. Mich umarmte und damit wärmte. Wie sanft er zwischen Daumen und Mittelfinger meine harten Nippel rieb. Wie seine Hände keinen Zentimeter meines nackten Oberkörpers unberührt ließen. Wie er später seine harte Erektion gegen meinen Hintern presste. Und gierig über meinen Nacken leckte. Das hat mir sämtliche Härchen aufgestellt. Davon wurde ich definitiv erregt. Mein Schwanz reagierte prompt darauf. Das hat mich absolut aufgegeilt.

Ich tanzte ein bisschen mit ihm. Unwillkürlich. Ohne darüber nachzudenken. Eine instinktive Bewegung. Massierte dabei seinen knackigen Hintern. Das schien ihm recht gut zu gefallen, glaube ich. Und hat mich ganz schön heiß gemacht. Sein Arsch fühlt sich fantastisch an. Ich würde den gerne mal nackt sehen. Will den ganzen Kerl unbekleidet sehen. Und ihn anfassen. Sein attraktiver Körper reizt mich total. Ich möchte mit meinen Fingern über seine nackte Haut streicheln. Dringend. Aber auch diesmal hatte Herr Shinoda mich uneingeschränkt in seiner Hand. Offenbar will der das so. Und er hatte nicht vor, sich für mich auszuziehen. Trotzdem war es verdammt schön, in Mikeys stürmischer Zärtlichkeit zu versinken. Zu spüren, wie er mit seinen Trieben kämpfte. Wie mühsam er sich beherrschte. An gar nichts mehr denken zu müssen. Geile Gefühle zu haben. Verflucht geile. Ich hätte das gerne bis zum Höhepunkt getrieben. Aber das wollte der Typ aus irgendeinem Grund gar nicht. Er stoppte mich mit bemerkenswerter Kraft. Mittendrin. Als es immer geiler wurde. Es ist schwer, seine Beweggründe zu verstehen. Womöglich werde ich das nie. Aber ich fügte mich seinem Willen. Ungern. Dann standen wir einfach so dort. Total eng umschlungen. Meine Wange strich an seinem Bart entlang. Das war ein Moment unglaublicher Nähe zwischen uns. Damit wollte ich wirklich nicht aufhören. Ich wünschte, ich könnte ihn für immer so nah bei mir haben. Von ihm umarmt zu werden, fühlt sich fast wie Liebe an. Denke ich.

Aber im nächsten Moment war es schon wieder vorbei. Selbstverständlich war es das. Fuck! Ich fürchte, dass ein verdammter Fluch auf mir liegt. Der mir diese verstohlenen, spannenden Sex-Abenteuer mit Mister Shinoda nicht gönnt. Genau in diesem einen Augenblick, als gerade alles perfekt zu sein schien, als ich mich erstaunlich geliebt fühlte, kam natürlich dieser seltsame Kerl rein. Der aussieht, wie ein wohlhabender Mexikaner. Der Typ im roten T-Shirt, roter Boxershorts und weißen Turnschuhen platzte plötzlich dreist in diesen großen Umkleideraum. Beschwerte sich auch noch, weil wir nicht bei der Therapie waren. Es überraschte mich nicht, als Mikey sich sofort panisch von mir entfernte, als der Typ anklopfte. Shinoda riss sich förmlich von mir los. Stolperte rückwärts von mir weg. Brachte sich hastig vor mir in Sicherheit. Damit habe ich gerechnet. Das ist einfach seine schüchterne Art. Obwohl ich ihn nicht begreifen kann. Ich meine, scheiß doch mal was auf irgendeinen Therapeuten! Aber nein, Mike sitzt wieder auf seiner Bank. Unerreichbar für mich. Versucht erschrocken, sich schnellstmöglich zu beruhigen. Bloß nicht unangenehm auffallen. Während ich mich mit dem nächsten fremden Mann unterhalten darf. Obwohl ich gerade wirklich keine Lust dazu habe.

Ich fühle mich ziemlich aufgegeilt. Das war verdammt schön mit Mike. Ich kann das jetzt nicht so einfach zur Seite schieben. Bin steif in der Hose. Mein Herz schlägt zu schnell. Es fällt mir schwer, die nötige Aufmerksamkeit für den Therapeuten aufzubringen. „Du bist ja noch nicht einmal fertig umgezogen, Chester. Warum dauert das denn bei dir so lange? Du hast doch von Pfleger Ulrich deine Sportkleidung erhalten, oder?” nervt dieser Mexikaner. Glotzt mich mit seinen braunen Augen vorwurfsvoll an. Ich lächele entschuldigend und nicke. „Ja, Ulli hat mir alles ausgehändigt”, gebe ich zu. Deute auf die Bank, wo ich das ganze hässliche Zeug hingeworfen habe. „Dann zieh dich doch jetzt bitte schnell um. Wir haben mit der Bewegungstherapie längst angefangen”, fordert der Kerl mich ungeduldig auf. Verwirrt wirft er einen prüfenden Blick an mir vorbei. Genau auf Mike. Der mit übereinandergeschlagenen Beinen verspannt auf der Bank hinter mir hockt. Mikey wirkt ein bisschen gehetzt. Seine wundervoll großen Ohren sind dunkelrot. Sieht aufgewühlt aus, der Gute. Er ist peinlich berührt. Hat tatsächlich Panik, dass der Therapeut etwas von seiner sexuellen Erregung mitbekommen könnte. Aber ich glaube nicht, dass der fremde Typ sich zusammenreimt, was wir hier gerade getan haben. Auf so eine abwegige Idee kommt der gar nicht. Weil er nur seine Therapiestunde im Sinn hat. Die wir seiner Meinung nach auf keinen Fall versäumen dürfen.

„Und was ist mit dir, Mike? Du bist doch nun wirklich nicht zum ersten Mal hier. Wir warten schon seit Ewigkeiten auf dich. Warum kommst du denn nicht zur Turnhalle?” fragt er leicht ungehalten. Bevor Mike antworten muss, habe ich mich schon zwischen ihn und den Therapeuten gestellt. Um ihn abzuschirmen. „Ulli hat Mike gebeten, mich gleich zur Turnhalle zu begleiten. Er soll mir den Weg zeigen. Weil ich mich ja hier noch nicht auskenne”, erkläre ich freundlich lächelnd. Der Therapeut guckt mich zweifelnd an. „Naja, sooo schwer ist der Weg ja nun auch nicht...”, murmelt er verständnislos. Zum Glück wendet er sich von uns ab. Geht zügig zurück zu der Tür. Durch die er reingekommen ist. Offenbar muss er ständig in Bewegung sein. Sportler eben. „Also Jungs, ich verlass mich jetzt auf euch! In fünf Minuten seit ihr beide in der Halle, okay?” ruft er über die Schulter. Und verlässt den Umkleideraum. Hinter ihm fällt die Tür ins Schloss. Mann, was für ein Idiot! Lachend drehe ich mich zu Mike um. „Was ist das denn für einer?” frage ich kopfschüttelnd. Mike atmet hörbar auf. Guckt mich unglücklich an. „Das ist Orlando. Einer der beiden Bewegungstherapeuten”, murmelt er leise. Verwirrt merke ich, wie deprimiert Herr Shinoda plötzlich ist. Irgendwas scheint dem besonderen Patienten so gar nicht zu gefallen. Ich verstehe mal wieder nicht, was in seinem hübschen Kopf vorgeht. Fragend mustere ich ihn. Mit traurigen Augen erwidert er meinen Blick. Er hat sich auch heute das schwarze, kräftige Haar auf eine geile Art stachelig gestylt. Außerdem hat er seinen braunen Bart gestutzt. Und geschickt in Form rasiert. Mike sieht einfach fantastisch aus. Er ist betörend gut gepflegt. Das ist mir schon vorhin an ihm aufgefallen. Auf den ersten Blick habe ich das gemerkt. Mike sieht so richtig gut aus. Er trägt schon seine moderne Sportkleidung. Die aus einer schwarzen, halblangen Sporthose und einem blauen Tanktop besteht. An seinen Füßen sind weiße Sneakers. Die Sachen der Psychiatrie, die ich von Ulli bekommen habe, können da definitiv nicht mithalten.

Liebevoll lächelnd gehe ich auf Mikey zu. Ich möchte ihn gerne in den Arm nehmen. Will ihn dringend küssen. Auf den geilen Mund. Am liebsten sofort genau da weitermachen, wo wir blöderweise von diesem unhöflichen Mexikaner unterbrochen wurden. Aber Herr Shinoda reißt erschrocken die Augen auf. Hebt heftig abwehrend die Hände. Schüttelt den Kopf. Signalisiert mir deutlich, dass er unsere Intimitäten nicht länger fortführen möchte. Auf gar keinen Fall. Nada. Das bedaure ich unendlich. Weil ich ihn doch noch gar nicht geküsst habe. Weil er mich doch ganz schön erregt hat. Seufzend bleibe ich vor ihm stehen. „Jetzt erkläre mir doch bitte mal, was das eigentlich sein soll, diese Bewegungstherapie. Das erinnert mich hier alles total an den Sportunterricht. In der High School”, teile ich Mike mit, während ich ihn aufmerksam studiere. Ich möchte dringend verstehen, was plötzlich mit ihm los ist. Aber ich glaube, er wird es mir nicht verraten. Shinoda wirkt verschlossen. Er grenzt sich auch innerlich von mir ab. „Nein, das ist schon etwas anders, Chester. Es geht darum, seinen eigenen Körper auf neue Art zu erfahren”, erläutert er. Streckt die Beine aus. Mein Blick fällt automatisch auf die große Beule in seiner elastischen Hose. Die reizt mich total. Zu gerne würde ich seine Erektion auspacken. Genau jetzt. In diesem Moment. Der Gedanke gefällt mir. Die Vorstellung von Mikes erigiertem Glied steigert meine eigene Erregung auf eine Weise, die mich verblüfft aufseufzen lässt. „Mann, ich erfahre meinen eigenen Körper gerade auf eine ziemlich angenehme Art!” grinse ich den geilen Patienten verschwörerisch an. Er bemerkt meinen gierigen Blick. Steht hastig auf. Seine Ohren werden noch ein bisschen dunkler. Ich verstehe nicht, warum er sich vor mir schämt. Einerseits fährt er völlig ungestüm auf mich ab. Kann sich in seiner Geilheit kaum noch kontrollieren. Und dann ist er plötzlich wieder so abweisend wie jetzt. Da kann ich nicht mitkommen. Sein irrationales Verhalten verwirrt mich.

„Du musst dich jetzt wirklich umziehen, Chaz”, meint er. Geht an mir vorbei. Ohne mich zu berühren. „Die warten in der Turnhalle auf uns. Wenn Orlando das nächste Mal hier reinkommt, dann wird er nicht mehr so freundlich sein.” „Ich bin echt nicht scharf auf Sportunterricht”, maule ich genervt. Wende mich von ihm ab. Es enttäuscht mich, dass Mike so tut, als wäre gar nichts zwischen uns gewesen. Als hätte er mich nicht vor ein paar Minuten noch innig gestreichelt. Das kränkt mich irgendwie. „Es ist nicht wie Unterricht. Da gibt es keine Noten für”, meint er ungeduldig und bleibt stehen. Dreht sich zögernd zu mir um. Betrachtet mich nachdenklich. „Magst du Sport im Allgemeinen nicht?” fragt er leise. Empört verziehe ich mein Gesicht. „Himmel, Mike, ich bin Amerikaner!” töne ich lauthals, „Selbstverständlich mag ich den Sport! Im Basketball The Phoenix Suns, im American Football The Arizona Cardinals, im Baseball die Arizona Diamondbacks und im Eishockey natürlich die Arizona Coyotes!” Während ich meine heimatlichen Lieblingsmannschaften aufzähle, demonstriere ich mit übertriebenen Hand- und Körperbewegungen jede einzelne Sportart. Ich möchte den aus irgendeinem rätselhaften Grund plötzlich viel zu deprimierten Herrn Shinoda dringend aufmuntern. Zu meiner Freude gelingt mir das. Denn ein verdutztes Lachen platzt spontan aus ihm heraus. „Und was ist mit eigener Körperertüchtigung, Chester Bennington?” erkundigt er sich schmunzelnd. „Würde mir jetzt auch gefallen...”, zwinkere ich ihm zu. Greife mir ziemlich provozierend in den Schritt. Hoffe, dass er meine Erektion bemerkt. Aber ich glaube, er registriert sie nicht mal. Mike ächzt spöttisch. Verdreht die Augen. „Zieh dich jetzt lieber endlich mal um! Ich muss kurz aufs Klo. Bin gleich wieder da...”, schmettert er meine sexuellen Anspielungen ab. Dreht sich demonstrativ wieder weg. Auf einmal habe ich keine Chance mehr bei ihm. Das frustriert mich. Weil ich nämlich nichts dagegen habe, noch ein bisschen mehr ungestüme Geilheit zu spüren. Weil dieser Mann sich so verdammt gut anfühlt. Aber Mike zeigt keinerlei Interesse daran. Er hat wahrhaftig keine Lust mehr auf mich. Obwohl er vor Erregung beinahe platzt. Das kränkt mich enorm.

Der Typ läuft stur zur Tür. Verlässt den Umkleideraum. Ich frage mich, ob er sich jetzt auf dem Klo wieder heimlich einen runterholt. Ich nehme ihm nicht ab, dass er seine Erektion so schnell komplett ignorieren kann. Das geht gar nicht. Ist körperlich schlicht nicht machbar. Ich verstehe nicht, warum er das Problem nicht zusammen mit mir lösen will. Das wäre doch hammergeil! Zumal ich so ziemlich das selbe Problem habe. Shinodas emotionale Kälte törnt mich allerdings extrem ab. Mir bleibt keine Wahl, als ihn ziehen zu lassen. Sein warnender Blick hat mir unmissverständlich klargemacht, dass ich ihm auf keinen Fall folgen soll. Obwohl ich kurz darüber nachdenke, habe ich keine Lust, mich selbst anzufassen. Dazu geht es mir viel zu schlecht. Überlege kurz, meinen irren Schädel wiederholt gegen die nächste Wand zu schmettern. Entscheide mich dagegen. Weil ich keinen Bock auf Kopfschmerzen habe. Das hatten wir doch alles schon.

Seufzend gehe ich zu den merkwürdigen Klamotten. Die Ulli mir vorhin in die Hand gedrückt hat. Sie gefallen mir nicht. Aber ich besitze zur Zeit keine eigenen Sachen. Darum muss ich wohl oder übel das Zeug anziehen, was man mir vorsetzt. Lasse mich auf der Bank nieder. Schnüre mit zitternden Fingern meine Chucks auf. Ziehe sie aus. Mann, ich brauche dringend mal frische Socken! Stelle die blauen Chucks in den schmalen Schrank hinter mir. Dann ziehe ich auch die Chino aus. Lege sie ebenfalls in den Spind. Schlüpfe widerwillig in die hellgraue Jogginghose. Und das dazugehörige hellgraue Tanktop. Das Zeug passt mir halbwegs. Habe ja Pfleger Ulrich meine Kleidergröße genannt. Offenbar hat er gut zugehört. Auf das elastische Baumwollgemisch meiner Sportklamotten ist in schwarz ziemlich groß der Name der Psychiatrie gedruckt worden. Und natürlich das runde Emblem. Damit auch ja niemand übersehen kann, dass diese Kleidung nicht mir gehört. Jeder soll auf den ersten Blick wissen, dass ich ein Patient dieser sonderbaren Einrichtung bin. Das ist ganz schön demütigend.

Zum Schluss ziehe ich mir noch die weißen Turnschuhe an. Sie sind mir ein wenig zu klein. Obwohl ich Ulli auch meine Schuhgröße verraten habe. Stopfe abschließend mein Unterhemd und das blaue Hemd in den Spind. Schlage wütend die Tür zu. Definitiv habe ich jetzt keine Lust auf Sport. Weil nämlich immer ich derjenige bin, der sich dabei die seltsamsten Verletzungen zufügt. Ständig verstauche ich mir irgendwas. Handele mir Zerrungen oder sogar Knochenbrüche ein. Andauernd knicke ich um. Oder falle irgendwie dämlich hin. Das ist verflucht lästig. Mir geht’s nicht gut. Ich bin total übermüdet. Habe Entzugserscheinungen. Das erhöht mein Verletzungsrisiko ganz beträchtlich. Außerdem werde ich heute beim Sport mit Sicherheit keine gute Figur machen. Und ich habe hässliche Klamotten an. Missmutig hocke ich auf der niedrigen Bank. Strecke die Beine weit aus. Weiß nicht, was ich tun soll. Prompt muss ich an Mike Shinoda denken. Beängstigend, wie stark ich mich schon wieder nach ihm sehne. Kaum, dass der Kerl den Raum verlassen hat. Ich wünschte, er wäre nicht so entsetzlich wankelmütig. Ich möchte wissen, woran ich bei ihm bin. Will ihn dringend besser einschätzen können. Aber ich habe keine Ahnung, was in ihm vorgeht. Es war wirklich wunderschön, als er mich gestreichelt hat. Wünsche mir sehnsüchtig, Mikey würde das gleich nochmal machen. Wenn er zurückkommt. Würde mich stürmisch umarmen. Leidenschaftlich küssen. Ich möchte ihn unbedingt küssen. Habe ihn so lange nicht geküsst. Will seine Zunge flehend in meinem Mund spüren. Wie er an meinen Lippen saugt. Und diese süßen Geräusche von sich gibt. Wie er mit seinen zärtlichen Fingern meine Nippel knuddelt. Fuck, das erregt mich total. Mir das vorzustellen. Ich bin noch immer ein bisschen hart. Was in der lockeren Jogginghose nicht wirklich von Vorteil ist.

Dringend muss ich an etwas anderes denken. Hinterhältig schleicht sich die Dunkelheit in meinen Kopf. Ausgerechnet mein Vater taucht in meinen Gedanken auf. Wie er sich beim Hausmeister den Schlüssel holt. Meine kleine Wohnung betritt. Sich sofort über meine angebliche Unordnung aufregt. Daddy wühlt ungeduldig in meinen Sachen herum. Liest meine Gedichte. Macht sie lächerlich. Packt mir garantiert ein völlig nutzloses Paket. Verflucht mich dabei wahrscheinlich zum tausendsten Mal. Meine Eingeweide verkrampfen sich. Mein Hals wird eng. Entsetzt stöhne ich auf. Suche hektisch ein anderes Bild. In meinem Kopf. Von meinem Dad. Sehe mich als Kind. Mit ihm auf dem Sportplatz. Der vielbeschäftigte Polizist hat sich extra Zeit für mich genommen. Das passiert nicht oft. Auf keinen Fall will ich ihn enttäuschen. Der große Mann drückt mir den Schläger in die Hand. Das Holz ist lang. Unhandlich. Viel zu schwer für mich. Dad will mir beibringen, wie man Baseball spielt. Und ich will es unbedingt von ihm lernen. Aber ich bin noch nicht stark genug dafür. Kleiner Chester ist dünn und schwach. Kann den Schläger kaum halten. Schon damals konnte ich meinem Vater nie etwas recht machen. Ich glaube, mein Daddy war noch nie zufrieden mit mir. Verdammt!

Glücklicherweise geht die Tür auf. Mike kommt zurück. Rettet mich vor dem emotionalen Abgrund. Kurz bevor ich panisch aufspringe. Und weiter wie irre in den fremden Spinden nach einem Telefon suche. Wahrscheinlich wäre das sowieso vollkommen sinnlos. Meine Augen heften sich hilfesuchend auf den gut aussehenden Patienten. Das ging ja schnell mit dem Wichsen, denke ich spontan spöttisch. Mike hat keine Erektion mehr. Der Mann sieht eindeutig befriedigt aus. Ein wenig verlegen, lächelt er mich an. „Na, Mikey. Hast du dich.... erleichtert?” kann ich mir nicht verkneifen ihn hochzunehmen. Beneide ihn. Hätte jetzt auch Lust zu kommen. Fühle mich ziemlich angespannt. Ich bin tierisch nervös. Kaue schon wieder an den Fingernägeln. Ohne es zu merken. Sehne mich ganz erbärmlich nach Zärtlichkeit. Will dringend in den Arm genommen werden. „Bist du jetzt endlich fertig, Chester? Können wir gehen?” übergeht Mike ungeduldig meine Stichelei. Seine brauen Augen blitzen drohend. Chester soll jetzt wohl einfach mal die Klappe halten. Also tue ich das.

Stehe notgedrungen auf. Neben Mike verlasse ich den Umkleideraum. Folge ihm durch mehrere lange Gänge. Der junge Mann geht viel zu schnell. Kann es plötzlich nicht mehr erwarten, endlich die blöde Turnhalle zu erreichen. Ist total scharf auf die bekloppte Bewegungstherapie. Das gefällt mir nicht. Ich habe es längst nicht so eilig, dort anzukommen. Oder da mitzumachen. Mit einem Satz bin ich hinter Mike. Lege ihm den Arm um die Schultern. Um ihn zu bremsen. Um ihm nah zu sein. „Das war schön mit dir”, flüstere ich ihm ins Ohr. Fragend schaue ich in sein hübsches, rundes, asiatisches Gesicht. Seine großen Mandelaugen blicken ein wenig wehmütig. „Ja, Chaz. Das war schön”, stimmt er schüchtern zu, „Aber jetzt müssen wir uns zusammenreißen.” Er windet sich unter meinem Arm. Plötzlich ist es ihm unangenehm. Das ich ihm so dicht auf der Pelle hänge. Der Feigling hat Angst. Das uns jemand sehen und sich seinen Teil denken könnte. Obwohl ich das blöd finde, lasse ich ihn los. „Ich will mich nicht zusammenreißen, Herr Shinoda”, stelle ich ärgerlich klar.

Mike bleibt so abrupt stehen, dass ich gegen ihn stoße und fast hinfalle. Argwöhnisch fixiert er mich mit strengem Blick. Seine tollen, dunklen Augenbrauen sind skeptisch zusammengezogen. Dafür möchte ich ihn auf der Stelle küssen. „Du hast mir versprochen, dass du niemandem was sagst! Über uns”, erinnert der Patient mich alarmiert. Panisch sieht er sich um. Ob es irgendwelche Zeugen gibt. Aber dieser sonderbare Gang ist leer. Von irgendwo weiter hinten hört man viele Menschen über einen Turnhallenboden hüpfen oder so was. Dazwischen sind unverständliche Rufe wahrzunehmen. Wahrscheinlich der mexikanische Therapeut. Der die Patienten gnadenlos antreibt. Mann, mir wird schlecht! Ich fühle mich gerade wahrhaftig wie ausgekotzt. Und ich kann mich echt nicht erinnern, dass ich dem Typen vor mir irgendwas versprochen hätte. „Verdammt, Mike! Ich werde schon niemandem etwas sagen. Keine Angst! Aber ich werde jetzt bestimmt nicht so tun, als würde ich dich gar nicht kennen!” verdeutliche ich ihm energisch. Aufgescheucht starrt er mich an. Mikey sieht richtig erschrocken aus. Trotzig studiere ich ihn. Unsere Blicke beißen sich aneinander fest. Seine wunderschönen, braunen Augen blitzen angriffslustig. Seine prallen, roten Lippen locken mich. Ich möchte meinen Mund auf sie pressen. Mit meiner Zunge zwischen seine Zähne in ihn eintauchen. Mit meinen Fingern zärtlich durch seinen weichen Bart kraulen. Durch sein dichtes, schwarzes, stacheliges Haar streicheln. „Solange du mir nicht zu nahekommst...”, entscheidet Herr Shinoda sich gegen eine längere Auseinandersetzung. Hastig dreht der Kerl sich von mir weg. Will tatsächlich seinen Weg fortsetzen. So schnell wie möglich die verfluchte Turnhalle erreichen. Aber das will ich nicht. Kann ich nicht so stehenlassen.

Kurzentschlossen springe ich ihn von hinten an. Stütze meine Hände auf seine Schultern. Beuge mich an sein schnuckeliges Ohr. „Ich soll dir nicht zu nahekommen, Mikey?” provoziere ich ihn, „Was ist denn zu nahe? Ist das jetzt schon zu nah?” Kann nicht anders. Geht mit mir durch. Küsse ihn auf die Wange. Reibe meine Nase an seiner Stirn. Lege meine Hände um seinen Hals. Kraule seinen warmen Nacken. Der Typ fühlt sich fantastisch an. Ich kann ihm gar nicht nah genug sein. „Chester, verdammt!” kreischt Mike schrill. Windet sich unbehaglich unter meiner Berührung. „Hör auf!” fleht er. Der schüchterne Kerl versucht, mir irgendwie auszuweichen. Mich abzuwehren. Was ihm aber nicht gelingt. Weil ich wie eine Klette an ihm klebe. Und ihn immer wieder flüchtig küsse. Auf seine Wange. Die Stirn. Den Mundwinkel. Die Unterlippe. „Ist das zu nah, Herr Shinoda?” stichele ich pausenlos. Küsse seine Nase. Mein Herz klopft schneller. Weil es anstrengend ist, was ich hier mit ihm mache. Weil seine körperliche Nähe mich unmittelbar erregt. „Ist dir das jetzt schon zu nah?” ziehe ich ihn auf. Schmiege mich wollüstig an ihm fest. Mike Shinoda fühlt sich überwältigend an. Seine Nähe lindert meinen Schmerz. Kann die scheiß Dämonen killen. Ich möchte ihm für immer so nah sein. In jeder einzelnen Sekunde meines Lebens.

„Was ist denn hier los?” donnert eine dunkle Stimme. Mitten in unsere liebevolle Balgerei hinein. Mike ächzt mega erschrocken. Schubst mich instinktiv panisch von sich weg. Unwillkürlich stolpere ich rückwärts. Schlage mit dem Rücken ziemlich schmerzhaft gegen die Wand. Sofort bin ich sauer. Weil Mike mich immerzu von sich wegschubsen muss. Das verletzt mich total. „Was in aller Welt treibt ihr beiden denn jetzt hier?” verlangt der Therapeut verständnislos zu wissen. Der plötzlich im Gang steht. Uns fassungslos taxiert. Es ist dieser nervige Typ von vorhin. „Mike, was soll das bedeuten? Was machst du denn hier? Hör mal, du bist nicht mehr im Kindergarten! Der Flur ist doch kein Spielplatz! Wir warten schon seit Ewigkeiten auf dich!” wendet er sich an den Patienten, der in der geschlossenen Psychiatrie die älteren Rechte hat. Mike sieht aus wie ein Schuljunge. Den man beim Rauchen auf dem Klo erwischt hat. Der Bärtige schrumpft förmlich unter dem strengen, vorwurfsvollen Blick des Mexikaners. Das ist so süß, dass ich ihn nur noch gebannt anstarren kann. Mikeys schnuckelig abstehende Ohren werden schon wieder ganz rot. Er schämt sich. Wahrhaftig. Hat ein schlechtes Gewissen, der Dummkopf. „Ja... wir kommen ja jetzt!” murmelt er eingeschüchtert.

„Das ist alles meine Schuld!” mische ich mich ein. Mache einen Schritt von der Wand weg. Auf den Therapeuten zu. Versöhnlich lächele ich ihn an. „Ich habe Mike tausend Löcher in den Bauch gefragt. Weil ich unbedingt alles über diese interessante Therapie hier wissen will. Darüber haben wir die Zeit vergessen. Tut mir echt leid.” Zerknirscht suche ich nach einem Hauch Verständnis in seinem mexikanischen Gesicht. Orlando hat braune Augen. Eine kantige Nase. Ein spitzes, hervorstehendes Kinn. Sogar einen schmalen, schwarzen Schnurrbart. Fehlt nur noch der Sombrero. Sein Haar ist schwarz, lockig und für einen Sportler eigentlich zu lang. Seine ganze Aufmerksamkeit richtet sich auf mich. Neugierig wandert sein Blick von meiner Visage aus langsam über meine Oberarmtattoos. Er registriert die Tätowierungen äußerlich reglos. Schaut hinab zu meinen Füßen. Und wieder zurück. Eine Weile guckt er mir argwöhnisch prüfend in die Augen. „Und was hat Mike dir über die Bewegungstherapie erzählt, Chester?” will er mich misstrauisch der Lüge überführen. Offenbar kann er mir meine spontan hervorgebrachte Entschuldigung nicht so recht glauben. Aber mein Lächeln verändert sich nicht. Wird höchstens ein bisschen gelassener.

„Mike ist total hilfsbereit. Sie sollten ihn lieber loben. Anstatt ihn auszuschimpfen. Es ist schließlich nicht seine Schuld. Er hat mir alles genau erklärt”, behaupte ich zufrieden. „Was denn zum Beispiel?” hakt Orlando natürlich nach. Ich zeige ihm grinsend meine Zähne. „Na, das es hier keine Noten für den Sport gibt. Nicht so, wie in der Schule, meine ich. Das ich meinen eigenen Körper auf eine vollkommen neue Weise erfahren kann. Wie nett die ganze Therapiegruppe samt Therapeuten ist. Und wie wichtig es für mein allgemeines Wohlbefinden ist, wenn ich mich regelmäßig bewege”, quatsche ich irgendwelchen Unsinn zusammen, der mir gerade dazu einfällt. Orlando beobachtet mich interessiert. Auf seinem südamerikanischen Gesicht erscheint ein amüsiertes Lächeln. Falten bilden sich um seine Augen. „Dann bist du ja jetzt bestens vorbereitet, Chester. Nicht wahr?” bemerkt er ein wenig spöttisch. Ich nicke begeistert. Gehe geradewegs zu Mike. Ignoriere, dass seine Augen sich augenblicklich abwehrend, panisch weiten. Frech wuschele ich dem Besonderen durch die stacheligen Haare. Bevor er mir ausweichen kann. „Ja, Mike Shinoda ist schon ein echt netter Typ!” muss ich unbedingt mal klarstellen.

Der Therapeut betrachtet uns beide nachdenklich. Überlegt, was das wohl zu bedeuten hat. „Kennt ihr euch schon von früher?” erkundigt er sich aufhorchend. Mike schüttelt sofort den Kopf. Pseudo-unauffällig macht er einen großen Schritt aus meiner Reichweite. Knurrend taucht der Schwarzhaarige seinen runden Hinterkopf unter meiner streichelnden Hand weg. „Nein, wir haben uns erst vorgestern hier kennengelernt”, informiert er den Bewegungstherapeuten abschmetternd, „Vorher habe ich Chester nie gesehen.” Mikey wirft mir einen warnenden Blick zu. Ich soll ihn jetzt gefälligst nicht nochmal anfassen. Shinoda will mich nicht in seiner Nähe haben. Meine Eingeweide verknoten sich. Mein Magen schmerzt. Ich muss dem Drang widerstehen, mir gequält die Hände in den Bauch zu pressen. Meine derzeitige Situation gefällt mir nicht. Ich will nicht in total ätzender Psychiatriekleidung herumlaufen. Mich jetzt nicht in irgendeiner Therapie sportlich betätigen müssen. Ich mag es nicht, wenn Mike so abweisend zu mir ist. Ginge es nach mir, würde ich Jedem auf der ganzen Welt zeigen, wie gern ich ihn habe. Ist doch egal, wenn irgendwer dann vielleicht denkt, dass wir schwul sind. Aber Michael Shinoda sieht das offensichtlich völlig anders. Und ich will ihn auch nicht unnötig kompromittieren. Also halte ich schweren Herzens Abstand. „Können wir dann jetzt mal zur Turnhalle?” drängt er ungeduldig. Wirft dem Mexikaner einen flehenden Blick zu. „Ach! Auf einmal hast du es eilig?” entgegnet der und lacht belustigt, „Du hast doch jetzt freiwillig schon über eine dreiviertel Stunde versäumt, Mike!” Der gut aussehende Patient in dem klasse sitzenden, blauen Tanktop, der ultramodernen, schwarzen Sporthose und den weißen Turnschuhen macht sich verärgert auf den Weg. Demonstrativ läuft er weiter den Gang hinunter. Richtung Turnhalle. Ignoriert trotzig die vorwurfsvolle Stichelei des Therapeuten.

Vertrauensvoll wende ich mich an diesen sonderbaren Mexikaner. „Hör mal, mir geht’s heute echt nicht so gut. Kann ich nicht einfach mal nicht mitmachen?” versuche ich mein Glück bei ihm. Nachdenklich betrachtet er mich. Sein dunkler Blick bleibt nun doch missbilligend auf meinen Tattoos kleben. Bestimmt denkt er, dass ich wegen der Tattoos ein schwieriger, aufmüpfiger, unzähmbarer Patient bin. „Keine Sorge, Chester. Madison und ich sind von Professor Paulsen schon reichlich vorgewarnt worden. Wir wissen genau, dass du schlimm mit diversen Entzugssymptomen zu kämpfen hast. Wir sind im Bilde darüber, wie es dir geht. Die ganze Belegschaft weiß nur zu gut, dass du schwerer Alkoholiker bist. Und zusätzlich auch noch jede Menge illegales Rauschgift konsumiert hast. Deshalb kannst du aber trotzdem bei unserer Bewegungstherapie mitmachen”, knallt er mir cool vor den Kopf. Grinst mich an. Setzt spöttisch hinzu: „Du wirst dich bei uns schon nicht überanstrengen, Chester Bennington. Wir passen hier alle gut auf dich auf.”

Meine Augen taxieren meinen neuen Gegner. Das macht mich wütend. Wie der Kerl mich behandelt. So kalt von oben herab. Als hätte er mich schon vor sehr langer Zeit als hoffnungslosen Fall und unverbesserlichen Junkie abgespeichert. „Naja, das kann ja sein. Aber ich würde trotzdem lieber nicht beim Sport mitmachen!” beharre ich mit freundlichem Lächeln. Fest entschlossen sehe ich ihm in die dunklen Mexikaneraugen. Der fremde Mann soll merken, dass ich keine Angst vor ihm habe. Nicht so wie Mikey. Der sich anscheinend von den seltsamsten Dingen einschüchtern lässt. Ich wünschte, Mike wäre noch hier bei mir. Wenn er nur in diesem Moment neben mir stände. Dann wäre ich mit Sicherheit nicht so aufgebracht. Ich wäre ruhiger. Würde mich viel besser fühlen. Herr Shinoda würde meine unwillkürlich aufkochende Wut kinderleicht besänftigen. Aber der süße Bartträger mit den braunen Knopfaugen ist nicht mehr zu sehen. Ich glaube, er ist schon mal vor in die Turnhalle gegangen. Hat mich einfach hier mit dem doofen Therapeuten stehenlassen. Damit muss ich erst mal klarkommen.

Der sportliche Südamerikaner beobachtet mich aufmerksam. Lässt mich nicht aus den Augen, der Typ. Studiert meine aufmüpfige Reaktion mit höchstem Interesse. „So, so, Chester. Du willst also heute nicht an der Bewegungstherapie teilnehmen”, sagt er bedächtig, „Was möchtest du denn stattdessen lieber machen?” Das wird ein richtiges Blickduell, was wir hier veranstalten. Er durchbohrt mich förmlich. Auf der Suche nach meinen Schwachpunkten. Will mich wohl damit einschüchtern. Kann mich aber kaum beeindrucken. Ratlos zucke ich die Schultern. „Tja, ich weiß auch nicht, Orlando...”, überlege ich laut vor mich hin, „Vielleicht könnte ich ja ein paar Flaschen Whiskey leertrinken. Oder noch ein bisschen mehr illegales Rauschgift konsumieren. Was meinst du?” Freundlich lächele ich ihn an. Zwinkere verschwörerisch mit einem Auge. Orlando stutzt verblüfft. Guckt mich irritiert an. Zehn Sekunden später platzt ein verdutztes Lachen aus ihm heraus. „Liebe Güte, Chester!” ruft er amüsiert lachend, „Ich habe schon gehört, dass du ein richtiger Spaßvogel sein sollst. Das scheint ja tatsächlich zu stimmen.” Kichernd legt er mir die Hand auf die nackte Schulter. Augenblicklich werde ich stocksteif. Weil ich wirklich nicht von ihm angefasst werden will.

Bewegungstherapeut, der ein gutes Stück größer ist als ich, schiebt mich an der Schulter gefasst den Gang hinunter. „Na, komm schon, Mister Bennington. Jetzt guckst du dir das erst mal an. Und dann sehen wir weiter”, bestimmt er in versöhnlichem Tonfall. Ich bin total angepisst. Weil ich keinen Bock auf diese zu erwartende Anstrengung habe. Lasse mir jedoch nichts anmerken. Behalte mein freundliches Lächeln bei. „Okay, Orlando”, gebe ich nach. Nicke folgsam. Mir ist klar, dass eine längere Diskussion aussichtslos wäre. Wahrscheinlich würde er sich sowieso nicht darauf einlassen. Widerstrebend lasse ich mich von ihm Richtung Turnhalle schieben. Meine Schulter windet sich von allein von ihm weg. Bis er mich schließlich loslässt. Und seine Hand stattdessen auf meinen Rücken legt.

Nach einem gar nicht mehr so langen Stück Gang betreten wir plötzlich die große, moderne Turnhalle. Ich kenne sie schon. Weil Ulli sie mir gestern auf seinem Rundgang auch schon gezeigt hat. Jetzt ist sie allerdings nicht mehr leer. Mindestens dreißig Menschen befinden sich darin. Jeder bewegt sich gerade. Scheint irgendeine Übung oder so was zu machen. Sie bleiben aber alle nach und nach stehen. Weil sich innerhalb von Sekunden herumspricht, dass zwei Männer hereinkommen. Plötzlich ist es leise in der Halle. Die ganze Meute blickt gemeinschaftlich auf Orlando und mich. Als wir nebeneinander geradewegs auf sie zugehen. Endlich hat der Therapeut seine Hand von meinem Rücken genommen. Aufmerksam schaue ich mir die vielen Patienten an. Suche sehnsüchtig nach einem pechschwarzen Stachelkopf. Aber ich kann Mike nirgends entdecken. Das macht mich total nervös. Denn er muss ja hier irgendwo sein. Auf einmal kreischt ein Mädchen entzückt auf. Es ist die kleine Kaitleen. Aus der Gruppentherapie. Ich schenke ihr ein Lächeln. Offensichtlich freut Katie sich mega, mich zu sehen. Aufgeregt beugt sie sich zu dem Mädchen, das neben ihr steht. Flüstert ihr irgendwas ins Ohr. Die andere guckt mich daraufhin noch interessierter an. Überhaupt stehen erfreulich viele hübsche, junge Mädchen hier. Im engen, knappen Sportdress. Teilweise haben sie echt scharfe Figuren. Jede Menge geiler Titties hinter dünnem, enganliegendem Stoff. Da bin ich nicht abgeneigt, sie mir ein bisschen genauer anzugucken.

Orlando dirigiert mich zu einer auffallend kleinen Frau. Die nah an der Wand vor allen anderen steht. Ihre sportliche Kleidung ist vollständig in rot gehalten. Genau wie die des Mexikaners. Womöglich ist das die vorschriftsmäßige Arbeitsuniform für Bewegungstherapeuten. Die Frau reicht mir freundlich lächelnd eine Hand. Ich schüttele sie. Lächele zurück. „Hallo, du musst Chester sein. Mein Name ist Madison. Ich leite zusammen mit Orlando deine Bewegungstherapie. Schön, dass du bei uns mitmachst, Chester!” „Ja, ich freu mich auch, hier bei euch zu sein”, lüge ich liebenswürdig. Woraufhin Orlando nochmal amüsiert neben mir auflacht. Und mich kräftig in den Rücken stupst. Madison nickt. Wendet sich an ihre umfangreiche Patientengruppe. Die sich wie zum Rapport vor ihr aufgestellt hat. „Hört mal zu, Leute!” ruft sie mit für ihre geringe Größe erstaunlich lauter Stimme. Im Moment ist die jedoch gar nicht von Nöten. Weil mich ja sowieso schon alle schweigend anstarren. „Das hier ist Chester. Er ist heute zum ersten Mal bei uns. Also nehmt ihn alle freundlich auf, okay?” Zustimmendes Gemurmel. Kaitleen steht ganz vorne. Strahlt mich begeistert an. Meine Augen wandern aufmerksam über die Menge. Noch immer bin ich auf der Suche nach dem einzigen Patienten, der mich interessiert. Mike Shinoda. Kann den Kerl aber in der großen Gruppe nicht finden. Nirgendwo schwarze Stacheln. Langsam macht mich das total verrückt. Habe den Verdacht, dass der besondere Mann sich vor mir versteckt. Der Kerl vermeidet es bewusst, von mir gesehen zu werden. Duckt sich hinter irgendeinen breiten Rücken oder so was. Das verstehe ich nicht. Warum er das macht. Ich weiß nicht, was ich ihm schon wieder getan habe. Warum mein Mikey das Gefühl hat, mir dermaßen ausweichen zu müssen. Sein unergründliches Verhalten frustriert mich.

„Wo kommst du her, Chester?” fragt Madison mich mit rührend geheuchelter Ahnungslosigkeit. Schließlich ist sie doch von Professor Paulsen schon ausführlich vorgewarnt worden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Therapeutin längst alles über mich weiß. Ich will schon meinen Standardspruch loslassen, als Kaitleen sich vorlaut zu Wort meldet: „Chester kommt aus Phoenix. Das ist die Hauptstadt und größte Stadt im Bundesstaat Arizona. Außerdem ist sie Sitz der Countyverwaltung des Maricopa Countys. Phoenix liegt zentral im Valley of the Sun der Sonora-Wüste. Das erweiterte Stadtgebiet hat vier Millionen Einwohner.” Verblüfft starre ich sie an. Alle Augen richten sich auf Kaitleen. Die Kleine erwidert stolz meinen Blick. Als hätte sie sich von mir jetzt mindestens eine Eins plus plus mit Sternchen verdient. Irritiert frage ich mich, ob das merkwürdige Mädchen sich diese Infos aus dem Internet herausgegoogelt hat. Und wenn ja, warum denn nur, um Himmels Willen. Oder ob sie einfach nur ziemlich gut in Erdkunde ist. Madison lacht amüsiert. „Danke, Kaitleen. Jetzt wissen wir aber alle ganz genau, wo Chester herkommt.” Die süße Katie ist in ihrem Element. Sie strahlt über das ganze, typisch kalifornische Gesicht. „Der Salt River fließt vom Nordosten des Maricopa County durch den Süden von Phoenix. In dieser Stadt gibt es durchschnittlich 312 Tage Sonnenschein im Jahr. Ein Drittel des Jahres liegen die Temperaturen über 38 Grad”, gibt sie noch ein bisschen mit ihren Kenntnissen über meine Heimatstadt an. Madison lacht lauter. Hebt abwehrend die Hände. „Danke, Kaitleen”, wiederholt sie kopfschüttelnd, „So genau müssen wir das jetzt aber gar nicht wissen, okay?” Es sieht aus, als würde Katie lieber noch viel mehr über Phoenix ausplaudern. Enttäuscht hält sie die Klappe. Hört aber nicht damit auf, mich sehnsüchtig anzuschmachten. Es schmeichelt mir, dass ich in dem hübschen Mädchen offenbar einen Fan gewonnen habe. Freundlich nicke ich ihr zu.

„Und was machst du so beruflich, Chester?” wendet die Therapeutin sich an mich. Schaut mich interessiert an. Für einen Moment bin ich völlig aus dem Konzept gebracht. Ihre Frage erwischt mich unvorbereitet. Weiß nicht, was ich antworten soll. Weil ich nämlich nach dem Abschluss der High School nicht wirklich etwas gelernt habe. Das war alles viel zu chaotisch in meinem Leben. Zu dieser Zeit. Während ich noch verwirrt überlege, ob ich ihr etwas von meinem langweiligen Job bei Burger King erzählen will, öffnet schon wieder Kaitleen ihr Plappermaul: „Chester ist ein ganz fantastischer Künstler. Er ist Sänger in einer Band. Die heißen Grey Daze und machen Post Grunge. Chesters Band steht kurz vor dem großen Durchbruch. Schon bald bringen sie ihr erstes Album heraus.” Mein Kopf schnellt instinktiv zu der enthusiastischen Patientin. Mit ihren großen, blauen Augen strahlt sie mich begeistert an. Konfus überlege ich, woher das fremde Mädchen aus Kalifornien meine Band kennen könnte. Deren Bekanntheitsgrad ja nun mal leider noch nicht so richtig über Phoenix hinausgekommen ist. Dann fällt mir ein, dass ich in der letzten Gruppentherapie groß und breit über meine Pläne mit Grey Daze geredet habe. Ich verstehe nicht, warum Kaitleen sich anscheinend all mein Gequatsche gemerkt hat. Das verwirrt mich irgendwie.

Die anderen Menschen in der Turnhalle horchen sichtbar auf. Ihr Interesse ist spätestens jetzt geweckt. Neugierig drehen sie sich nochmal zu Kaitleen hin. Um zu erfahren, wer da etwas von einem Sänger gesagt hat. Die blonde Patientin stellt sich selbstbewusst der allgemeinen Aufmerksamkeit. „Chester ist ein toller Sänger”, betont sie und lächelt mich dabei an, „Seine Stimme ist absolut einmalig.” Darüber muss ich jetzt eben mal kurz lachen. Weil dieses vorlaute Girl mich mit Sicherheit noch niemals singen gehört hat. Ich habe die hübsche Kleine in dem engen, weißen T-Shirt und den knappen, dunkelblauen Shorts noch nirgendwo im Publikum gesehen. Glaube ich. Wenn ich mich recht entsinne, wohnt Katie in Los Angeles. Grey Daze ist bisher aber nur im Umkreis von Phoenix aufgetreten. Und ich kann mir echt nicht vorstellen, dass auch nur Irgendjemand für ein Grey Daze Konzert in einen anderen Bundesstaat reisen würde. Und von wegen 'Kurz vor dem großen Durchbruch'. Ich meine, schön wär's ja. Aber wir wollen doch mal realistisch bleiben. Dafür ist noch jede Menge Arbeit nötig. Wir haben noch immer keinen Vertrag. Müssen weiter die Plattenfirmen abklappern. Noch mehr Showcases für sie spielen. Wir müssen noch richtig kräftig an unseren Songs feilen. Und vor allen Dingen viel mehr Konzerte geben. Wir müssen mehr Werbung für uns machen. Solange ich mich in der Psychiatrie aufhalte, werde ich ohnehin auf keiner Bühne mehr stehen. Und vielleicht haben die Jungs ja sowieso schon längst einen anderen Sänger gefunden. Meine Gedanken fangen an herumzuwirbeln. Die quälende Gewissheit, dass ich mich dringend um all diese wichtigen Dinge kümmern muss, explodiert in meinem Kopf. Weil doch sonst meine Träume wie eine Seifenblase platzen. Mein Magen verknotet sich. Mein Hals wird ganz eng. Auf einmal fühle ich mich extrem eingesperrt. Und äußerst unwohl damit.

Madison und Orlando beobachten mich die ganze Zeit konzentriert. „Stimmt das, Chester?” fragt der Mexikaner. Ich schaue ihn an. Hebe die Schultern. Nicke. „Ja, ich bin in 'ner Band...”, gebe ich zögerlich zu. Eine Weile ist es still in der großen Halle. Während alle Blicke zwischen Katie und mir hin und her wandern. „Eine Kostprobe!” schreit Kaitleen plötzlich begeistert. Klatscht übermütig in die Hände. „Jetzt musst du auch beweisen, dass du singen kannst!” meint irgendwer ein bisschen spöttisch. Die meisten Patienten stimmen zu. Und auf einmal wollen alle unbedingt, dass ich ihnen etwas vorsinge. Sofort. Mein Herz schlägt automatisch schneller. Weil ich mich überfahren fühle. Damit habe ich jetzt nicht gerechnet. Das trifft mich komplett unvorbereitet. Diese gespannte Erwartung in den Gesichtern. Was ich denn wohl in Wahrheit zu bieten habe. Diese hochmütige Skepsis. Die habe ich schon ziemlich oft gesehen. Vor jedem Konzert. In jedem Publikum. Normalerweise liebe ich das. Es spornt mich dazu an, mir auf der Bühne so richtig Mühe zu geben. Sie beeindrucken zu wollen. Ihre Zweifel restlos zu beseitigen.

Aber im Moment geht es mir nicht gut genug, um das Interesse an meinem Gesang auszukosten. Unsicher schaue ich Madison an, die neben mir steht. Mich pausenlos lächelnd beobachtet. „Möchtest du uns denn etwas vorsingen, Chester?” fragt sie behutsam. „Du musst das nicht tun, wenn du nicht willst”, lässt Orlando mir großzügig die Wahl. Die meisten Patienten drängen allerdings darauf. Das ich doch jetzt bitteschön auch den Beweis meiner angeblich so fantastischen Sangeskunst liefern soll. Ich fühle mich in die Enge getrieben. Das mag ich nicht besonders. Genervt werfe ich Kaitleen einen strafenden Blick zu. Bevor ich mich bremsen kann. Sie fängt ihn breit grinsend auf. Am liebsten möchte ich dem Weib den Hals umdrehen. Weil sie mich in diese unangenehme Situation gebracht hat. Aber das California-Girl mit den geilen Titten versteht mich nicht. Blondchen wirft mir treudoof eine Kusshand zu. Deprimiert wende ich mich von ihr ab.

„Ja, okay... ich... kann ja mal was singen...”, gebe ich mich geschlagen. Gezwungenermaßen. Denn als Lügner dastehen will ich ja jetzt auch nicht. Außerdem möchte ich interessiertes Publikum niemals enttäuschen. Ganz egal, um wen es sich auch immer handelt. Wenn jemand ehrlich will, dass ich für ihn singe, dann hat er grundsätzlich nur das Beste von mir verdient. So sehe ich das. Schaue mich alarmiert in der Turnhalle um. Während ich fieberhaft in meinem verwirrten Gedächtnis nach dem passenden Song forsche. Für diese seltsame Konstellation aus Menschen. Voll mit Sehnsucht will ich Mike Shinoda finden. Muss ihn finden. Irgendwo in der unübersichtlichen Menge. Habe das beängstigende Gefühl, den Typen dringend zu brauchen. Weil ich viel zu nervös bin. Aufgewühlt. Zornig und unzufrieden. Mein Körper und meine Seele tun weh. Pausenlos. Die Dämonen kichern in der Dunkelheit. Chester geht es echt scheiße. Wenn ich Mike nur einmal sehen könnte, denke ich frustriert. Dann würde sein Anblick mich bestimmt beruhigen. Ich würde mich unter Garantie sofort besser fühlen. Aber obwohl ich die ganzen fremden Menschen sorgfältig mit den Augen absuche, kann ich den auffällig schwarzhaarigen Kopf nicht zwischen ihnen ausmachen. Nirgendwo diese besonders tröstlichen, braunen Knopfaugen. Es deprimiert mich enorm, dass Mike sich offenbar mal wieder vor mir versteckt. Ich möchte seinen Namen schreien. Will laut nach ihm rufen. Damit er zu mir kommt. Oder loslaufen. Und ihn irgendwo hervor zerren. Aber das geht jetzt nicht. Die Therapeuten würden mich für verrückt erklären. Mike würde mir das niemals verzeihen.

Also zwinge ich mich zur Konzentration. Fixiere mich auf meine vertraute Rolle. Die Leute warten auf den Entertainer in mir. Sie wollen unterhalten werden. Und das ist es doch, was ich kann. Was ich tun will. Aufmerksam studiere ich mein unbekanntes Publikum. Jedes einzelne Gesicht schaue ich mir an. Es sind circa fünfunddreißig Menschen. Zwischen achtzehn und fünfzig Jahren alt. Schätze ich. Männer und Frauen. Wobei der weibliche Anteil scheinbar überwiegt. Schon viel zu oft habe ich vor weit weniger Zuhörern gesungen. Auch mit Grey Daze bin ich schon in den kleinsten Kaschemmen aufgetreten. Manchmal mit grausamer Akustik. Habe mir trotzdem überall Mühe gegeben. Während mir kaum jemand Beachtung schenkte. Habe mich auf winzigen Bühnen total verausgabt. Mich heiser geschrien. Und dafür nur ein ratloses Schulterzucken gekriegt. Aber hier ist das definitiv nicht so. Ausnahmslos alle Menschen in dieser Turnhalle sehen mich interessiert an. Die Patienten genauso, wie die beiden Therapeuten. Sichtbar gespannt warten sie auf meinen großen Auftritt. Sie scheinen froh zu sein, dass im eintönigen Psychiatriealltag endlich mal etwas Aufregendes passiert. Etwas Außergewöhnliches. Sie warten auf die große Show. Plötzlich tun sie mir irgendwie leid. Dass sie sich hier so langweilen. Sich so sehr nach Abwechslung sehnen. Ich frage mich, wie viele von denen wohl freiwillig hier sind. Und ich glaube fast, es sind die Allermeisten. Das ist mir wirklich zu hoch.

„Du musst nicht singen, Chester, wenn du nicht willst”, raunt Orlando mir zu. Und holt mich damit aus meinen wirbelnden Gedanken. Die zusammengewürfelte Therapiegruppe fängt langsam damit an, ungeduldig mit den Füßen zu scharren. Abfälliges Geflüster wird laut. Immer diese Angeber mit ihren leeren Versprechungen. Ich bin gemeint. Der angebliche Sänger, der keinen Ton von sich gibt. Einige Gesichter verziehen sich spöttisch. Sehen schadenfroh schon meine Niederlage. Das stresst mich. Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt für sie singen soll. Kein einziger meiner vielen Texte will mir einfallen. „Chester! Chester! Chester!” will Kaitleen mich motivieren. Endlich anzufangen. Ein paar andere stimmen in das Gejohle mit ein. Ich wünschte, meine Band wäre jetzt hier bei mir. Ich vermisse sie alle so sehr! Mace am Bass. Bobby mit seiner E-Gitarre. Und natürlich Sean hinter seinem Schlagzeug. Grey Daze ist eine Familie für mich. So eine richtige Familie, meine ich. Fuck, ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn die mich wegen meiner Eskapaden aus der Band werfen. Ich will nicht nochmal ganz von vorne anfangen müssen. Keine andere Band suchen müssen. In der vielleicht ein Sänger gebraucht wird. Aber die haben mich hier eingesperrt. In der scheiß Psychiatrie. Die haben gesagt, dass ich krank bin. Ich habe keine Ahnung, wann die mich wieder rauslassen. Das kann doch noch ewig dauern. Inzwischen wird draußen alles kaputtgehen.

Panisch huschen meine Augen durch fremde Gesichter. Aber Mike Shinoda sorgt mutwillig dafür, dass ich ihn von meinem Standpunkt aus nicht sehen kann. Bestimmt will der süße Halbjapaner gar nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich habe etwas falsch gemacht. Habe ihn verloren. Bin allein. „Chester! Chester! Chester!” Mein sonderbares Publikum aus zwei Bewegungstherapeuten und jeder Menge Psychiatriepatienten scharrt immer lauter mit den Füßen. Mittlerweile taxieren mich alle mit ungeduldigen, erwartungsvollen, spöttischen oder besorgten Augen. In meinem verwirrten Gedächtnis suche ich fieberhaft nach einem Song. Versuche mich zu erinnern. Was ich irgendwann mal aufgeschrieben habe. Was ich schon mal gesungen habe. Doch die vielen Wörter drehen sich im Kreis. Meine Gedanken verschwimmen in einem unergründlichen Meer. Plötzlich fühle ich mich wieder total übermüdet. Mein Magen rebelliert. Ich glaube, ich muss bald kotzen. Meine Knochen schmerzen. Ich sehne mich ganz entsetzlich nach einer Flasche Bier. Oder noch lieber Whiskey. Möchte jetzt dringend eine rauchen. Aber das geht jetzt alles nicht. Fuck, ich muss mich konzentrieren. Schaue hilflos an mir herunter. Normalerweise suche ich meine Garderobe nicht nur für jeden Auftritt sehr sorgfältig aus. Mir ist absolut bewusst, dass ich auf der Bühne mitten im Rampenlicht stehe. Und verdammt, da will ich nun mal so gut wie möglich aussehen. Es ist durchweg niederschmetternd für mich, dass ich in diesen unförmigen, hässlichen, nur geliehenen Psychiatrieklamotten singen soll.

Aber das muss ich jetzt trotzdem tun. Auftreten. Stehe wieder auf der Bühne. Auf irgendeiner. Irgendwo. Die Leute sind extra gekommen, um mich singen zu hören. Das erkenne ich an. Es ist genau das, wovon ich ständig träume. Schon seit meiner Kindheit will ich das. Jeder einzelne von ihnen hat alles verdient, was ich ihm geben kann. Und darum fange ich an zu singen. Ohne noch länger nachzudenken. Keine anderen Gedanken mehr jetzt. Spontan singe ich das Erste, was mir gerade einfällt: „Time, why must it fly so slow. Waiting, is something that's easy for you. Pull the plug, send it down the drain. Pain is easy to get used to.” Meine Stimme ist ganz leise. Gequält. Genau wie der Song. Mega traurig bin ich jetzt. Hoffnungslos. Bin in der Dunkelheit verfangen. Als ich diesen Text schrieb, ging es mir absolut beschissen. Das weiß ich noch genau. Ist noch nicht allzu lange her. Es war während einer meiner schlimmsten Down-Phasen. Ich saß in meinem Zimmer. Starrte die Wand an. Wartete nur darauf, dass es endlich aufhört. Wollte sehr viel lieber tot sein. Als noch länger zu leiden. Hielt mich krampfhaft am Schreiben fest. Die Dämonen hatten mich fest in ihren Krallen. Genau das will ich jetzt ausdrücken. Mein Körper krümmt sich. Wiegt sich in der langsamen Musik. In meinem Schädel. Die Töne werden intensiver. Mein Kopf taucht von alleine in den Song rein. Höre im Hintergrund sanft Bobbys Gitarre. Maces Bassläufe. Und Sean, behutsam am Schlagzeug. Nehme nichts anderes mehr wahr. Nur noch dieser Text. Die Musik. Ich. Erfüllt von Traurigkeit. Spüre das in jeder Faser meiner Existenz. Meine Stimme wird lauter. Wut schleicht sich ein.

„What's in me, is in you. What's got me, has got you. And everything told, must come true. Pretending to be real, forgetting who you are.” Während ich singe, sehe ich die Menschen in den ersten Reihen an. Es sind gebannte Augen. Starr beobachten sie jede meiner Regungen. Da ist Erschütterung in ihren Gesichtern. Sie scheinen von meinem Gesang berührt zu werden. Ich wünschte, sie könnten auch die Musik in meinem Kopf hören. Ohne Musik ist dieser Song nur halb so intensiv. Aber ich gebe mein Bestes. Werde wieder ganz leise. Alles um mich herum verblasst. Chester schließt die Augen. Und öffnet seine Seele. „Sin is always at my door. Slice the vein, blood spilled on the floor. Light shining in my eyes. Death greets me with a smile.” Der Zorn kehrt autonom in mich zurück. Explodiert. Während ich tief Luft hole. Und unwillkürlich meine Bauchmuskeln anspanne. „Yeeeeaaaahh...”, schreie ich, so laut ich kann, „Paaaiiinn! So much paiain!” Mein Kopf zuckt von allein. Die Dreadlocks hauen mir um die Ohren. „Paaaaiiiiaaiinn! So much paaiiaaiinn!” brüllt es aus mir heraus. Der Schmerz, von dem ich da singe, erfüllt mich unmittelbar. Er ist so schwer, dass ich ihn kaum tragen kann. Kurz fährt es mir durchs Gehirn, dass es vielleicht doch nicht die beste Idee von mir war, ausgerechnet jetzt In Time zu singen. Aber da komme ich nicht mehr raus. Wenn ich einmal einen Song angefangen habe, dann bringe ich ihn auch zu Ende. Komme, was da wolle. Abrupt bricht mein Körper unter dem gewaltigen Leid zusammen. Tief beuge ich mich vor. „Oooohhh.... oh, oh.... oh, oh....”, kommt hilflos aus meiner Kehle. Ganz tief aus meinem Bauch. Aus jedem Winkel meiner verwundeten Seele. Der Schmerz schüttelt mich. Mühsam richte ich mich wieder auf. Ich muss mir den Kopf festhalten. Damit er nicht zerbricht. „Oh, ooohhh...”, tönt es verzweifelt aus mir. Immer leiser. Die Hoffnung stirbt endgültig. Mit allen Geräuschen. Die Musik verklingt in mir. Bis ich schließlich verstumme. Das war's. Ich habe alles gegeben. Glaube ich. Mich ihnen hingegeben. Jetzt kann ich nur noch abwarten, was passiert.

Nur ungern öffne ich die Augen. Schiebe mit einer Hand meine Brille zurecht. Die total schief auf meiner Nase sitzt. Habe ganz vergessen, dass ich sie noch trage. Normalerweise setze ich die Brille vor Konzerten immer ab. Weil mich das Gestell beim Headbanging extrem stört. Ständig müsste ich aufpassen, dass ich die Brille nicht verliere. Oder sie vielleicht kaputtgeht. Jetzt bin ich froh, dass sie mir beim Tanzen nicht weggeflogen ist. Als ich vorhin so heftig mit dem Kopf gezuckt habe. Als der Schmerz des Textes mich überwältigte. Dieses Leid ist noch immer spürbar in mir. Shit! Bin ganz schön tief in den Song getaucht. Es ist schwer, sich hier draußen zurechtzufinden. Verwirrt senke ich die Arme. Stehe einfach so da. Schaue niemanden an. Mein ganzer Körper kribbelt. Adrenalin. Ich liebe das. Diese innere Anspannung. Ich möchte noch einen Song singen. Das fühlt sich verdammt gut an. Verdrängt erfolgreich die bösen Gedanken. Schreien übertönt die Dämonen. Obwohl es auch hart für mich ist. In so einem depressiven Song zu versinken. Weil der Text mich definitiv berührt. Weil ich es einfach so gut wie möglich ausdrücken möchte. Jetzt würde ich gerne weitermachen. Weil ich gerade erst richtig in Fahrt komme.

Aber das Lied ist zu Ende. In Time ist gesungen worden. Es gibt keinen Ton Musik. Was wirklich verdammt schade ist. Stattdessen ist es erstaunlich ruhig. In dieser Turnhalle herrscht Totenstille. Keine Ahnung, wie die jetzt darauf reagieren. Vielleicht ist längst niemand mehr hier. Womöglich ist mein Publikum inzwischen entsetzt abgehauen. Während meines Auftritts. Ohne dass ich das gemerkt habe. Zögernd blicke ich auf. Kann nicht genau erkennen, was los ist. Die Menschen sind noch da, so viel ist mal sicher. Alle starren mich an. Die stehen alle da wie angewurzelt. Niemand rührt sich. Seltsam peinliche Stille. Zu meiner Verblüffung entdecke ich Tränen in einigen Augen. Andere taxieren mich fassungslos. Endlich klatscht jemand. Von weiter hinten. Meine Augen suchen erleichtert die freundliche Person. Es ist ein älterer Mann. Der mir lächelnd zwei erhobene Daumen entgegenstreckt. Wenigstens einer, dem mein Song gefallen hat. Ich schenke dem Typen ein dankbares Lächeln. Möchte zu ihm hingehen. Den Fremden küssen dafür, dass wenigstens er mich nicht im Stich lässt.

Nur langsam erwachen die Patienten aus ihrer Schockstarre. Kaitleen ist die nächste, die nett ihre Handflächen aufeinander schlägt. „Hey, Chester, das war toll! Deine Stimme ist absolut fantastisch! Ich habe eine Gänsehaut!” ruft die Kleine liebenswürdig. Sie bekommt auch ein Lächeln. „Das war toll, toll, toll”, wiederholt sie. Strahlt über das ganze Gesicht. „Naja...”, wiegel ich unzufrieden ab, „Ohne Musik ist das jetzt nicht wirklich so der Hammer...” „Quatsch!” entgegnet sie sofort, „Deine Stimme ist mega intensiv! Die wirkt für sich allein!” Das Mädchen hat keine Ahnung, wovon sie spricht. Aber ich nehme das jetzt einfach mal als Kompliment an. „Danke, Katie”, bedanke ich mich.

„Kinderkacke!” schreit jemand bösartig aus der Menge, „Depressives Psychogejaule!” Mein lautstarker Kritiker gibt sich feige nicht zu erkennen. Seine ablehnende Meinung trifft mich härter, als es sollte. Automatisch huschen meine Augen aufs Neue suchend durch die fremden Patienten. Ich muss dringend Mike finden. Brauche ihn jetzt. Unbedingt. Kann nicht noch länger ohne ihn auskommen. Irgendwo zwischen diesen vielen Unbekannten muss er stehen. Verdammt, der süße Halbjapaner muss mich doch gehört haben. Ich möchte sein vertrautes Gesicht sehen. Will wissen, ob ihm mein Song gefallen hat. Muss die heilende Wirkung seiner Anwesenheit spüren. Aber ich kann den Bärtigen nicht finden. Der Mann verbirgt sich vor mir. Unverändert. Herr Shinoda sorgt wahrhaftig dafür, dass ich ihn von meiner Position aus nicht sehen kann. Mikey will mich nicht mal mehr anschauen. Das verletzt mich enorm. Ich habe etwas falsch gemacht, überlege ich mit aufkommender Panik. Und jetzt will Mike mich nie wiedersehen. Fuck! Dieser verdammte Song hat mich zu stark mitgenommen. Ich hätte nicht ausgerechnet In Time singen sollen. Unwillkürlich greift die Dunkelheit nach mir. Ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Meine Finger bohren sich nervös in meine Oberschenkel.

Orlando tritt neben mich. Der Mexikaner legt mir schon wieder die Hand auf die Schulter. Was ich echt nicht leiden kann. „Schön, Chester. Das war ja ziemlich ...interessant”, formuliert er es vorsichtig. Studiert mich aufmerksam. Nimmt seine Hand wieder weg. Madison stellt sich an meine andere Seite. „Das war herausragend, Chester. Du hast eine außergewöhnliche Stimme. Ist dieser Text von dir?” erkundigt sie sich behutsam. Ich nicke geistesabwesend. Zwinge mich, meinen Kopf zu ihr hin zu drehen. Diese seltsame Therapeutin ist wirklich klein. Ich muss auf sie herunterschauen. „Ja... ich... hab schon ein paar Songs geschrieben...”, erzähle ich stockend. Fühle quälende Stiche in meinen Eingeweiden. Presse mir schützend die Faust in den Magen. Damit der Schmerz endlich aufhört. Shit! Der Rest von Grey Daze wird das Album wahllos mit meinen Songs füllen. Und dann bestimmt ohne mich rausbringen. Meine Band wird ohne mich weitermachen. Und ich sitze in diesem Mist hier fest. Vor einem Publikum, das mich offenbar größtenteils nicht leiden kann. Das frustriert mich stärker, als ich im Moment kompensieren kann. Auf einmal möchte ich lauthals schreien.

„Sing noch was, bitte!” fordert Katie. Fängt direkt einen neuen Sprechchor an. „Chester! Chester! Chester!” Sie versucht, die Mädchen neben sich zum Mitmachen zu bewegen. Ihre Freundinnen tun ihr den Gefallen. Andere stimmen ein. Und ich bin wirklich verwirrt, als plötzlich die verdammte halbe Turnhalle meinen Namen grölt. Orlando grinst über sein ganzes mexikanisches Gesicht. „Du scheinst Eindruck gemacht zu haben, Herr Bennington”, bemerkt er lächelnd. In meinem Kopf läuft einiges durcheinander. Der Moment vorhin, als ich vom Auftritt geflasht war und unbedingt weitersingen wollte, ist lange vorbei. Jetzt fühle ich mich wieder beschissen. Bin nicht sicher, ob ich das mit dem Singen hier nochmal hinkriege. Mein Hals ist zu eng. Meine Seele tut weh. Meine Augen suchen flehend nach Mike Shinoda. Und können ihn fucking nicht finden. Obwohl es hier so verflucht hell ist. Wünschte innig, das verdammte Licht würde ausgehen. So wie auf der Bühne manchmal. Zwischen den einzelnen Songs. Wenn ich nach der anstrengenden Zeit im Lampenlicht ein paar Sekunden Dunkelheit ganz für mich alleine habe. Aber das Neonlicht, das die große Turnhalle erhellt, wird nicht verschwinden. Zu viele fremde Menschen starren mich erwartungsvoll, abschätzend an. Also stehe ich einfach ruhig da. Die Hände in den schmerzenden Bauch gepresst. Bewege mich nicht. Warte auf irgendwas.

Der jubelnde Sprechchor wird leiser. Verstummt schließlich. Das deprimiert mich plötzlich so sehr, dass meine Augen anfangen zu brennen. Tosende Stille in meinem Kopf. Irgendjemand hier möchte mich singen hören. Und wenn es auch nur Kaitleen allein ist. Aber ich kann jetzt nicht weitersingen. Das widerstrebt mir extrem. Interessiertes Publikum zu enttäuschen. So etwas mache ich normalerweise nicht. Will ich niemals tun. Das fühlt sich an wie eine Niederlage. Als hätte ich mal wieder kläglich versagt. Meine Augen werden ganz nass. Von alleine. Darum mache ich sie zu. Ich bin am Boden zerstört. Für fünfzig Stunden ungefähr. Plötzlich höre ich Madison. Die neben mir steht. „Nein, das reicht jetzt. Ich finde, wir sollten jetzt lieber mit unserer wichtigen Bewegungstherapie weitermachen”, schlägt sie drängend vor. Alles verkrampft sich in mir. Bin nicht sicher, was in diesem Moment schlimmer wäre. Singen oder Sport treiben. Jemand legt behutsam seine Hand auf meinen Rücken. Erschrocken reiße ich die Augen auf. Wische mit den Fingern hastig die lästigen Tränen hinter der Brille weg. Der Mexikaner beugt sich vertraulich an mein Ohr. „Ist alles okay mit dir, Chester? Geht es dir nicht gut? Möchtest du vielleicht darüber reden?” flüstert er mit ungewohnt sanfter Stimme. Diese Tonlage passt gar nicht zu ihm. Darum schaue ich ihn verwirrt an. „Reden? Worüber?” krächze ich mit schmerzender Kehle. Er lächelt besänftigend. „Darüber, wie es dir jetzt geht. Wie es für dich war, uns hier so unerwartet etwas vorzusingen. Was dieser Song für dich bedeutet. Oder über irgendetwas, was dir jetzt gerade auf dem Herzen liegt”, zählt der Therapeut leise auf. Seine braunen Augen erforschen interessiert mein Gesicht. Er will verstehen, was mit mir los ist. Dabei weiß ich das selbst nicht. Seine Finger streicheln tröstend über meinen Rücken. Das ertrage ich nicht. „Nein... ich... will jetzt einfach nur Mike sehen!” antworte ich spontan. Impulsiv. Aus meinem Mund kommt von alleine genau das, was mir gerade unaufhörlich im wirren Kopf rumspuckt. Meine Augen wandern hilflos durch die glotzende Menge vor mir.

Orlando wirft Madison einen schnellen Blick zu. Diese streckt daraufhin ihren winzigen Körper. Sie macht sich größer. Stärkt ihre Autorität. „So, Leute, hört bitte mal her! Kommt mal alle mit da hinüber. Dann machen wir mit der Therapie weiter!” wendet sie sich an die ratlosen Patienten. Die kleine Frau treibt ihre Gruppe energisch an, mit ihr auf die andere Seite der Turnhalle zu gehen. Die Menge gehorcht. Folgt fügsam ihrer Therapeutin. Niemand scheint Einwände zu haben. Die fremden Menschen entfernen sich von mir. Ich bin froh, dass sie mich nicht länger so verwundert anstarren. „Mike? Meinst du Mike Shinoda?” fragt Orlando mich vorsichtig. Der noch immer neben mir steht. Und meinen Rücken streichelt. Schlagartig weiß ich, dass ich einen großen Fehler gemacht habe. Unüberlegt habe ich etwas offenbart, was ich nie hätte sagen dürfen. Schon gar nicht zu dem Therapeuten. Fuck, denke ich erschrocken, das ist nicht gut. Das wird Mike unter Garantie nicht gefallen. Panisch will ich alles abstreiten. Als Orlando auch schon ziemlich laut ruft: „Mike! Mike Shinoda! Komm doch bitte mal her!” Entsetzt schließe ich meine brennenden Augen. Kann nicht sehen, was weiter passiert. Fühle mich besiegt. Möchte so gerne jetzt ganz woanders sein. Zu Hause vielleicht. In meinem Zimmer. Mit einer Flasche Jack und einer Zigarette. Während im Hintergrund laut die Stone Temple Pilots aus der Anlage dröhnen.

Einige Stunden lang ist es ganz still. Vielleicht ist auch die Zeit stehengeblieben. Dann höre ich die Stimme des Therapeuten neben mir. Sie klingt vollkommen neutral. „Chester hat gerade zu mir gesagt, dass er dich jetzt einfach nur sehen will”, verrät der Mexikaner. Jemandem, der möglicherweise gerade vor mir steht. Ich kann nicht fassen, dass der scheiß Therapeut mir das antut. Mich dermaßen heftig in die Pfanne haut. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Meine Augen sind fest zu. Orlando tätschelt mit seinen Fingern beruhigend meinen Rücken. Meine Muskeln verkrampfen sich. Weil ich diese Berührung so wenig mag. Ich will nicht von diesem fremden Kerl angefasst werden, verdammt nochmal! Unwillkürlich drücke ich das Kreuz durch. Will den aufdringlichen, bedrohlichen Fingern irgendwie entkommen. Aber die mexikanische Hand klebt auf meinem Rücken. Sie versucht hartnäckig, mich zu beruhigen. Und regt mich damit nur noch mehr auf. Ich habe das Gefühl, jeden Moment komplett durchzudrehen.

„Dann sollte Chester vielleicht mal die Augen aufmachen”, schlägt jemand ganz leise vor. Die Person steht anscheinend tatsächlich direkt vor mir. Und diese Stimme erkenne ich sofort. Es ist die wohlklingende Stimme von Mister Mike Shinoda. Der wunderschöne, vertraute Klang seiner Worte besänftigt mich auf der Stelle. Aber leider kann ich trotzdem meine Augen jetzt nicht öffnen. Das ist schlicht unmöglich. Geht nicht. Weil da in Mikes harmonischer Stimme eindeutig ein aggressiver Unterton war. Ein zorniger Beiklang. Ich glaube, Herr Shinoda ist ziemlich wütend auf mich. Und ich kann es gerade nicht ertragen, wenn Mike sauer auf mich ist. Wenn er mich womöglich vorwurfsvoll anschaut. Total aufgebracht. Die wunderbar großen, braunen Mandelaugen anklagend auf mich richtet. Der stumme Vorwurf des Bärtigen würde mich vernichten. In diesem Moment bin ich so dermaßen schwach, dass ich einfach unter der unausgesprochenen Schuld zusammenbrechen würde. Nein, das geht nicht. Auf gar keinen Fall darf ich meine Augen aufmachen. Nur ein einziger zorniger Blick des bärtigen Patienten würde mich augenblicklich töten. Der Halbjapaner hat einen guten Grund, so richtig angepisst zu sein. Wegen mir. Ich bin der Grund. Weil ich meine Klappe nicht gehalten habe. Weil ich diesem Therapeuten etwas suggeriert habe, was ich ihm laut Mike niemals sagen durfte. Fuck, ich habe dem Kerl aus Südamerika verraten, dass ich mich nach Mikey sehne. Dass Mikey wichtig für mich ist. Spätestens jetzt weiß Orlando mit absoluter Sicherheit, dass Mike Shinoda mir etwas bedeutet.

7. I keep it locked up inside


Michael Kenji Shinoda

Chester Bennington singt wie ein Engel. Nie vorher habe ich so eine phänomenale Stimme gehört. Nicht mal annähernd. Der besondere Mann besitzt einen glasklaren, lyrischen Tenor, der mindestens drei Oktaven umfasst. Das ist total außergewöhnlich, denn eine normale Stimme schafft allerhöchstens zwei Oktaven. Ich glaube, Chesters Stimmvolumen fängt bei einem niedrigen G2 an. Und kann sich bis in ein hohes G5 steigern. Auch die hellen Töne bereiten ihm keinerlei Schwierigkeiten. Er kann sie ellenlang halten. Was für einen Mann absolut bemerkenswert ist. Chester singt nicht nur wie ein Engel. Er sieht auch aus wie einer. Dieses hübsch geschnittene Gesicht. Seine zarten Konturen. Die weichen Dreadlocks, die auf seine Schultern fallen, umschmeicheln seine Schönheit. Sein feingliedriger Körper mit den langen Armen und Beinen. Einfach perfekt.

Er steht direkt vor mir. Und ich bin paralysiert. Kann nicht damit aufhören, ihn anzusehen. In der enganliegenden, hellgrauen Sportkleidung kommt seine Wohlgestalt hervorragend zur Geltung. Chesters Rücken ist gerade. Aufrecht. Die Arme hängen an den Seiten herunter. Er hat seine Finger starr in seine Oberschenkel gebohrt. Als müsste er sich irgendwo festhalten. Sein Kopf ist ein wenig geneigt. Minimal zu Boden gesenkt. Seine Augen hinter der Brille sind fest geschlossen. Der Mann bewegt sich nicht. Kein bisschen. Als wäre er in seiner Perfektion erstarrt. Wie eine Statue von Michelangelo. Aus hellgrauem Marmor.

Als er vorhin dieses Lied gesungen hat, musste ich unvermittelt weinen. Der Song und sein Gesang haben mich zwangsläufig überwältigt. Mike war machtlos dagegen. Die Art, wie Chester alleine vor unserer Therapiegruppe stand. Ausnahmslos alle Augen waren auf ihn gerichtet. Auch die beiden Therapeuten haben ihn erwartungsvoll beobachtet. Als wäre der neue Patient nur zu ihrer Unterhaltung in die Turnhalle gekommen. Jeder wollte etwas von ihm. Wie hungrige Hyänen haben sie sich auf ihn gestürzt. Überaus egoistisch haben die Menschen Chester eiskalt auf eine imaginäre Bühne gestellt. Und von ihm verlangt, dass er sie jetzt gefälligst gut unterhalten soll. Dieser fremde Mann aus Phoenix. Chester Bennington sollte irgendeine große Show für sie abliefern. Das fand ich ganz schön heftig. Ich habe Chaz angesehen, dass er damit nicht gerechnet hatte. Die gierige Meute hat den armen Kerl absolut überfahren.

Aus meinem Versteck heraus habe ich ihn hilflos beobachtet. Die ganze Zeit habe ich gedacht: Um Himmels Willen! Lasst ihn doch einfach in Ruhe. Seht ihr denn nicht, wie schlecht es ihm geht? Dieser kranke Mensch ist so müde, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten kann. Merkt ihr das denn nicht, verdammt nochmal? Nein, die Hyänen haben es nicht gemerkt. Oder es hat sie einfach nicht interessiert. Jeder wollte nur sein Vergnügen mit dem Neuen. Und ich wette, nicht wenige der anderen Patienten wollten ihn am allerliebsten scheitern sehen. Insgeheim haben sie nur auf einen Grund gewartet, damit sie ihn endlich verspotten können. Den Gefallen hat Chaz ihnen allerdings nicht getan. Mein erstaunlicher Mann hat es ihnen allen gezeigt. Nie bin ich stolzer auf den Besonderen gewesen. Chester Bennington hat für uns gesungen. Und zwar war das kein normaler Auftritt. Mitnichten. Er gab kein A-Cappella-Konzert, wie ich es schon mal gesehen habe. Chester hat uns nicht nur seinen Song präsentiert. Nein, etwas Magisches ist passiert. Schon wieder. Während dieser schmächtige Typ für uns sang. Etwas, was ich noch nie vorher erlebt habe. Alle Grenzen zwischen Chester Bennington und seinem Publikum schienen zu verschwinden. Als wäre er kein Sänger, der auf einer Bühne eine Show liefert. Sondern nur ein Mensch, der uns überraschend tief seine Seele öffnet. Wahrhaftig. Chesters einmalige Stimme und seine intensive Performance sorgten dafür, dass bestimmt jeder in dieser Turnhalle das Gefühl bekam, bis in das privateste Innerste des Mannes schauen zu können, der da ein Lied für uns sang. Herr Bennington lieferte sich uns aus. Vollständig. Er öffnete sich seinen Zuhörern dermaßen, dass mit Sicherheit niemand, der ihn sehen konnte, davon unbeeindruckt blieb. Und sein Text und die Melodie waren dermaßen traurig, dass ich unvermittelt losheulen musste. Ging gar nicht anders. Passierte automatisch. Auch viele andere Patienten hatten Tränen in den Augen. Das habe ich genau gesehen. Wir alle sind von einem Engel berührt worden. Wir können uns glücklich schätzen.

Aber dieser Song offenbarte auch Chesters andere Seite. Und das ist es, was ihn ausmacht. Was ihn von allen anderen Sängern auf der ganzen Welt unterscheidet. Neben seinem engelsgleichen Gesang schreit der Kerl wie ein Teufel. Meistens völlig unerwartet. Plötzlich bricht es aus ihm heraus. Diese unglaubliche Wut. Ein zorniger Dämon explodiert in ihm. Brüllt sich die Seele aus dem Leib. Klar, schreien tun viele Sänger von Metal und Rock Bands. Aber bei Chaz ist es eben doch etwas ganz Besonderes. Etwas Einmaliges, was ich woanders noch nie gehört habe. Sogar Chesters Schreie umfassen mindestens drei Oktaven. Mein musikalisch hervorragend geschultes Ohr kann das deutlich wahrnehmen. Darum hören sich Chesters Schreie so atemberaubend gut an. Unvermittelt fahren sie einem quer durch den Leib. Wie ein tosender Wirbelsturm. Man spürt sie tatsächlich körperlich. Überall. In all ihrem stürmischen Zorn sind seine Schreie überraschend wohlklingend. Sie spiegeln Chesters unfassbar starke, innere Energie. Die berühmte Power, die er auf der Bühne zeigt. Herr Bennington besitzt eine emotionale Kraft, die einen nur noch mit offenem Mund staunen lässt. Diese zarte, empfindsame und eher kleine Person ist erfüllt von einer Leidenschaft, die man ihm auf den ersten Blick niemals zutrauen würde.

Aber jetzt ist der besondere Sänger verstummt. Der Mann gibt keinen Ton mehr von sich. Sein schmaler Mund ist fest geschlossen. Chester presst die Lippen aufeinander. Als hätte er große Angst davor, etwas Falsches zu sagen. Seine ebenso fest geschlossenen Augen sind von dunklen Schatten umrandet. Er sieht unendlich müde aus. Krank. Seine Haut ist blass. Tränen haben feuchte Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Offensichtlich hat er geweint. Das rührt mich so stark, dass ich schlucken muss. Immerzu schaue ich in sein engelsgleiches Gesicht. Bin total hingerissen. Chester, denke ich, Chester Bennington. Gott, womit habe ich dich bloß verdient? Ich kann meinen Blick nicht von ihm nehmen. Bin total verzaubert. Reglos stehe ich vor ihm. Sehe ihn nur an. Fühle mich seltsam zufrieden damit. Die Geräusche in der Turnhalle verschwimmen in meiner Wahrnehmung. Auf der anderen Seite der Halle machen die anderen Patienten zusammen mit den beiden Therapeuten mit der Bewegungstherapie weiter. Nur im Hintergrund höre ich laute Anweisungen von Madison und Orlando. Es sind auch noch andere Stimmen da. Unverständliche. Dazwischen hüpfen und quietschen unzählige Turnschuhe über den federnden Hallenboden.

Orlando hat sich diskret von Chester und mir entfernt. Unterstützt Madison bei der Leitung der Therapiestunde. Weil ich das von ihm wollte. Nur ein einziger flehender Blick von mir war nötig, damit der Therapeut wegging. Orlando hat mich sofort verstanden. Das hat mich überrascht. Und jetzt sind Chester und ich allein. Naja, allein ist nicht das richtige Wort. Immerhin stehen wir in dieser riesigen Turnhalle. In der sich noch achtunddreißig andere Menschen befinden. Aber in diesem Moment ist es mir merkwürdig egal, ob vielleicht irgendwer von da hinten neugierig zu uns hinsieht. Ob sich womöglich jemand wundert, warum Chester ausgerechnet mich sehen wollte. Das scheint mir plötzlich nicht mehr allzu wichtig zu sein. Weil dieser sonderbare Mann vor mir steht. Dieser fantastische Engel. Anscheinend hat er zu Orlando gesagt, dass er mich einfach nur sehen will. Und ich fürchte, das ist ganz allein meine Schuld. Nachdem Chester mir vorhin auf dem Weg zur Turnhalle offenbart hat, dass er sich entgegen meiner Bitte nicht zusammenreißen will, bin ich ganz schön nervös geworden. Als der Kerl mir dann auch noch eindeutig auf die Pelle rückte, mich ständig küsste und anfasste, hatte ich keinen Zweifel mehr, dass er sich auch vor den anderen Patienten nicht würde bremsen können. Okay, vielleicht bin ich ein ziemlicher Feigling. Aber ich wollte einfach nicht, dass Chester mich dermaßen blamiert. Hatte richtig Schiss, dass er plötzlich vor versammelter Mannschaft kommt und mich küsst oder so was. Das würde ich Herrn Bennington durchaus zutrauen. Also habe ich vorsichtshalber dafür gesorgt, dass er mich von seinem Standpunkt aus nicht sehen konnte. Damit der übermütige Typ ja nicht auf dumme Gedanken kommt. Habe mich einfach innerhalb der Patientengruppe hinter einem großen, breiten Kerl versteckt. Das hat hervorragend funktioniert. Fiel keinem Menschen auf.

Sowieso hat niemand auf mich geachtet. Weil alle nur nach vorne auf Chester gestarrt haben. Der stand zwischen Orlando und Madison auf dem Präsentierteller. Wurde auf Herz und Nieren überprüft. Diese bekloppte Kaitleen aus der Gruppentherapie wusste alles über Chesters Heimatstadt Phoenix und seine Band, die offenbar Grey Daze heißt. Das hat mir schon einen Stich versetzt. Das Kaitleen mehr über Chesters Band wusste als ich. Ich frage mich eifersüchtig, ob er wohl mit ihr darüber gesprochen hat. Ob er sich womöglich mit Kaitleen getroffen hat. Sich zwischen den beiden was anbandelt. Ich weiß es nicht. Jedenfalls wollten dann plötzlich alle, dass Chester uns was vorsingt. Das hat er nach einigem Zögern auch getan. Und wie. Der neue Patient hat ein dermaßen trauriges Lied ausgewählt, dass ich mich besorgt frage, warum er so betrübt ist. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich vermute, dass ich der Grund seiner Depression bin. Weil ich ihn die ganze Zeit nicht angesehen habe. Jedenfalls nicht so, dass er das merken konnte. Nur heimlich aus dem Verborgenen. Ich habe mich schon wieder vor ihm versteckt. Das war feige und unfair. Bestimmt denkt der arme Kerl jetzt, dass ich nichts mehr mit ihm zu tun haben will. Und das, wo er mich doch so sehr gebeten hat, ihn in der Psychiatrie nicht alleinzulassen. Ständig mache ich mit ihm alles falsch. Ich muss besser aufpassen, wie ich ihn behandele.

Voller Liebe betrachte ich ihn. Er ist wunderschön. Chester bewegt sich nicht. Seine Augen hinter der schwarzen Brille bleiben fest zu. Er sieht aus, als wäre er mental gar nicht anwesend. Innen drin ist Chazy Chaz weggegangen. Und hat nur seinen faszinierenden Körper hier in der Turnhalle zurückgelassen. Ich verstehe nicht, warum er die Augen nicht öffnet. Wo er doch zu Orlando gesagt hat, dass er mich sehen will. Solange er seine Augen geschlossen hält, kann Chester mich nun mal nicht sehen. Dabei stehe ich doch jetzt gerade direkt vor ihm. Bin doch sofort gekommen, als der Therapeut mich rief. Mit klopfendem Herzen und wahrscheinlich knallroten Ohren, irgendwie peinlich berührt. Aber ich bin augenblicklich zu meinem Mann geeilt. Habe die verwunderten Blicke der anderen mühevoll ignoriert. Weil der neue Patient mich braucht. Wenn Chester Bennington mich braucht, dann will ich für ihn da sein. Jedes Mal.

Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll. Meine Situation scheint seltsam ungeklärt. Wie lange soll ich noch unbeachtet hier vor ihm stehen? Will der Typ mich eiskalt ignorieren? Hat er vielleicht gar nicht vor, seine braunen Augen auf mich zu richten? Will er mich verarschen? Verwirrt versuche ich, in seinem hübschen Anblick eine Antwort zu finden. Chester sieht gequält aus. Unfassbar erschöpft. Augen und Lippen sind fest zusammengepresst. Sein erstarrter Körper ist unbehaglich angespannt. Die verkrampften Finger graben sich an den Seiten tief in seine Oberschenkel. So fest, dass es ihm bestimmt schon wehtut. Der kranke Mensch fügt sich selbst Schmerzen zu. Vollkommen reglos. Chester bestraft sich für irgendwas. Das rührt mich mehr, als ich verarbeiten kann. Auch wenn ich nicht kapiere, was in ihm vorgeht. Am liebsten möchte ich ihn auf der Stelle in den Arm nehmen. Ihn trösten. Den Übermüdeten bei mir ausruhen lassen. Oder ihn anschreien, damit er endlich die Augen aufmacht. Aber das geht jetzt nicht. Die Menschen in der Turnhalle würden es alle sehen, falls ich ihn anfasse. Wenn ich ihn anschreie, lenke ich nur ihre Aufmerksamkeit auf uns. Bestimmt gucken sowieso schon alle von da hinten viel zu neugierig und erstaunt zu uns hinüber. Das will ich auf keinen Fall. Das die noch denken, wir wären ein Paar. Die vertrauliche Beziehung zwischen Chester Bennington und mir geht niemanden etwas an. Dieser besondere Mann gehört nur mir. Ich ertrage es nicht, wenn über uns getratscht wird. Aufgewühlt schaue ich ihn an. Ich habe keine Ahnung, was mit ihm los ist. Wünschte, ich könnte ihn besser verstehen. Beschließe aufs Neue, vorsichtig mit ihm umzugehen. Behutsam zu sein. Der Kerl ist sehr sensibel. Ich darf ihn nicht ausschimpfen. Ihm keine Vorwürfe machen. Etwas anderes kann ich in diesem Moment nicht tun. Er hat sich innerlich von Allem abgeschottet. In dem hilflosen Bemühen, seine empfindsame Seele zu schützen. Ich muss versuchen, irgendwie zu ihm durchzudringen.

„Ist schon gut, Chaz. Du kannst deine Augen ruhig aufmachen”, versichere ich ihm ratlos. Meine Stimme ist sanft. Freundlich. Gänzlich ohne Anklage. Er soll wissen, dass ich nicht böse auf ihn bin. Obwohl er Orlando entgegen meiner Bitte verraten hat, dass er mich sehen will. Sich in diesem Punkt nicht beherrschen konnte. Ich frage mich, warum der dumme Typ nicht stattdessen einfach zu mir gekommen ist. Schließlich war ich doch die ganze Zeit in seiner Nähe. Und das wusste er doch genau. Ich möchte wissen, ob ihm das vor Orlando nur so herausgerutscht ist. Oder ob er das ganz bewusst zu dem Therapeuten gesagt hat, um mich aus der Reserve zu zwingen. Beides würde ich ihm zutrauen. Konzentriert beobachte ich sein Gesicht. Dieses unfassbar hübsche Antlitz. Will es sofort mitkriegen, wenn sich da irgendwas verändert. Irgendeine Kleinigkeit. Wenn der sture Typ endlich seine verdammten wunderbaren Augen aufschlägt. Und mich ansieht. Sehne mich nach seinem Blick.

Aber Chester rührt sich nicht. Kein bisschen. Er bleibt eine reglos verspannte Statue. Die Augenlider hinter den Brillengläsern sind fest zu. Als hätte der Mann mich gar nicht gehört. Langsam fühle ich mich von dem rätselhaften Kerl wirklich verarscht. Ich habe keinen blassen Schimmer, was dieser kindische Unsinn bedeuten soll. „Komm schon, Chester Bennington! Bitte.... guck mich doch bitte an...”, fange ich an zu betteln. Weiß mir nicht mehr anders zu helfen. Will unbedingt in die tiefgründigen, braunen Augen gucken. Ich möchte verstehen, was mit ihm los ist. Warum er mich so dringend sehen will. Oder was ich jetzt für ihn tun kann. Ich wünschte, wir würden nicht in dieser Turnhalle stehen. Nicht gerade von über dreißig Menschen beobachtet werden. Ich möchte mit dem neuen Patienten allein sein. Dann hätte ich ihn schon längst in den Arm genommen. Oder ich würde ihm eine reinhauen für die Frechheit, mich zu ignorieren.

Endlich öffnet Chester die Augen. Schlagartig bin ich gebannt. Fokussiere mich endgültig auf ihn. Fixiere seine Lider hinter der Brille. Die dunklen Wimpern. Halte unwillkürlich die Luft an. Er öffnet seine Augen ganz langsam. Zögernd. Als wäre er sich nicht sicher, ob er das wirklich wagen kann. Erleichtert blase ich Luft aus. Bennington sieht mich an. Äußerlich noch immer reglos, betrachten seine dunklen Augen mein Gesicht. „Was ist denn los mit dir, verdammt?” kann ich mich nicht bremsen, ihn ein bisschen vorwurfsvoll zu fragen. Im nächsten Moment bereue ich das schon. Weil ich ihm doch keine Vorwürfe machen wollte. Chester schluckt unbehaglich. Seine Finger kneten nervös seine beiden schlanken Oberschenkel. „Mike... ich... weiß gar nicht...”, flüstert er verunsichert. Dann bricht er ab. Guckt mich mit einer Traurigkeit an, die mich tief bewegt. Schüttelt sich entsetzt. Verzieht gequält das Gesicht. „Du hast geweint, Mikey”, stellt er bestürzt fest. Seine Stimme ist so leise, dass ich ihn in der großen Halle kaum verstehen kann. Es rührt mich, dass der beachtlich aufmerksame Mann meine inzwischen schon längst getrockneten Tränen augenblicklich bemerkt. Andererseits ist mir das ein bisschen unangenehm. Weil Weinen nun mal ziemlich schwach ist. „Ja... Chaz... als du vorhin gesungen hast... dein Song hat mich ganz schön mitgenommen”, erkläre ich ihm stockend. Sein hübsches Gesicht wird noch trauriger. „Das tut mir leid, Mike! Ich wollte nicht, dass du...”, fängt er konfus an. Und bricht wieder ab. Der gequälte Mann sieht aus, als könnte er nicht noch mehr ertragen. Das zerreißt mein Herz. Abwehrend schüttele ich den Kopf. „Nein, Chester! Das muss dir nicht leid tun. Du weißt doch, wie emotional ich auf deine Songs reagiere. Das... war absolut fantastisch, als du gesungen hast. Niemanden hier hat das kaltgelassen”, versuche ich hilflos, ihn zu beruhigen. Herr Bennington betrachtet mich nachdenklich. „Ich war nicht gut, Mike. Das war total erbärmlich. Die hassen mich alle”, meint er plötzlich deprimiert. Verblüfft gucke ich ihn an. Ich wusste nicht, dass Chester auf die Bewertung seines Publikums so überaus sensibel reagiert. Auf die öffentliche Meinung so viel Wert legt. Sofort denke ich, dass er sich das schleunigst abgewöhnen sollte, wenn er weiterhin als Sänger auftreten will. Er darf sich das doch nicht so zu Herzen nehmen, was andere über ihn denken. Das verstehe ich gar nicht. Chester verwirrt mich. Ich dachte wirklich, der Engel würde weit über diesen im Grunde belanglosen Urteilen stehen.

Außerdem stimmt es einfach nicht, was er da sagt. Ich habe doch die Reaktion des Publikums auf seinen Auftritt vorhin hautnah miterlebt. Stand doch mittendrin in der Therapiegruppe. Hier in der Turnhalle gibt es definitiv Niemanden, der von Chesters Performance nicht beeindruckt gewesen wäre. Keinen einzigen Menschen. Da bin ich mir hundertprozentig sicher. „Himmel, Chaz, wie kommst du denn auf so was?” frage ich ihn verständnislos. Erschrocken bemerke ich die neuen Tränen, die langsam aus seinen müden, geröteten Augen quellen, während er erschöpft murmelt: „Ich war total Scheiße, Mike. Die haben nicht mal geklatscht. Der nannte meinen Song Kinderkacke. Und depressives Psycho...” „Chester!” unterbreche ich ihn ungeduldig, „Das hat doch gar nichts zu sagen! Die waren eben alle total paralysiert von dir. Die haben so was vorher noch nie erlebt. Und den einen doofen Kerl kenne ich. Der meckert über alles. Das ist wahrscheinlich seine Krankheit. Den darfst du doch gar nicht ernst nehmen!” Mein Blick beschwört den enttäuschten Mann, die Reaktion der Psychiatriepatienten nicht so wichtig zu nehmen. Mein Herz klopft aufgewühlt. Ich kann Chesters tiefschwarze Depression nicht ertragen. Spüre sein Leid fast schon körperlich. Seine Tränen töten mich. Ich möchte sie ihm auf der Stelle aus dem zauberhaften Gesicht küssen. „Du warst richtig gut, Chaz! Ehrlich! Das war herausragend, wie du dich bewegt und gesungen hast!” versichere ich ihm aus tiefstem Herzen. Insgeheim frage ich mich, ob der Sänger die Meinung von anderen Menschen über seine Kunst tatsächlich so hoch einschätzt. Was er ja in Bezug auf unsere Beziehung so gar nicht tut. Oder ob der Typ jetzt nur von mir gelobt werden will. Vielleicht braucht er das jetzt gerade einfach mal. Das ihn jemand so richtig lobt. Seine Leistung anerkennt. Ich weiß es nicht. Habe keine Ahnung, was in dem Fremden vorgeht.

Chester schluchzt leise. Sieht mich unentwegt hilflos an. „Und du kannst ja wohl nicht abstreiten, dass Kaitleen dein allergrößter Fan ist”, bemerke ich. Obwohl mir das nicht leichtfällt. Ich mag Kaitleen nicht. Ihr offensichtliches Interesse an meinem Mann gefällt mir nicht. Aber ich möchte Chester dringend aufmuntern. Gebannt beobachte ich den seltsam frustrierten Patienten. Ich will wissen, ob meine Worte irgendeine Wirkung zeigen. Ob sie ihm vielleicht guttun. Zu meiner Erleichterung scheinen sie das tatsächlich zu tun. In Chesters enorm depressiven Augen erscheint ein warmer Glanz. Ein zaghaftes Lächeln umspielt seine roten, schmalen Lippen. Er nimmt die linke Hand von seinem Oberschenkel. Hebt sie und streckt zögernd seine Finger nach mir aus. Chester Bennington möchte mich berühren. Mich anfassen. Meine Visage. Das erschreckt mich. So vor all den anderen will ich das nicht. Darum weiche ich instinktiv ein wenig vor ihm zurück. Der Patient registriert mein Zurückweichen sofort. Obwohl es nur minimal ist. Höchstens ein Zucken. Der verunsicherte Sänger lässt seinen Arm enttäuscht wieder sinken. Flüchtig wirft er einen Blick hinüber zu den anderen Menschen in dieser Turnhalle. Die ziemlich weit entfernt von uns ihre Therapiestunde absolvieren. Chaz ist vollkommen klar, warum ich vor ihm zurückgewichen bin. Ich weiß nicht, ob gerade jemand zu uns hinsieht. Kann meine Augen nicht von dem Menschen lösen. Bin noch immer gefesselt. Der gut aussehende Kerl sieht mich wieder an. Studiert aufmerksam mein Gesicht. Bewegt unbehaglich seine Muskeln und Knochen. Die er wohl zu lange nicht bewegt hatte. Sein wunderbarer Mund öffnet sich. Ich würde ihn jetzt gerne küssen. Genau in diesem Augenblick.

„Ich meine... die ganze verfluchte Psychiatrie weiß inzwischen, dass ich aus Phoenix komme... aber... ich weiß gar nichts über dich... Mike Shinoda... ich hab keine Ahnung, wo du... ich will nur... das ist so...”, stammelt Chester völlig verwirrt. Konfus bricht er ab. Ein weiteres Mal. Der Typ wirkt bedauernswert überlastet. Zweifellos ist er todmüde. Weicht schüchtern meinem verwundert forschenden Blick aus. Sieht ratlos zu Boden. Schluchzt leise. Mit verstärkt klopfendem Herzen registriere ich, dass immer mehr Tränen aus seinen geröteten, schattig umrandeten Augen laufen. Seine schönen Wimpern feucht benetzen. Traurig beobachte ich, wie die nassen, salzigen Tropfen sich zunehmend am unteren Rand der Gläser seiner Brille ansammeln. Bis sie schließlich einen Weg an der Fassung vorbei über seine Wangen finden. Mann, das geht mir verflucht tief rein. Dass Chester vor meinen Augen anfängt zu weinen. Dass er dermaßen traurig ist. Mein Hals schnürt sich zu. Das fühlt sich so bitter an. Es tut richtig weh. Womöglich muss ich auch gleich heulen. Kann schon sein. Chaz beachtet seine Tränen gar nicht. Lässt sie einfach über sein Gesicht laufen. Die Feuchtigkeit tropft von seinem kleinen, runden Kinn auf sein Tanktop. Verursacht auf dem hellgrauen Stoff nasse, dunkle Flecken. Es schmerzt mich, dass Chester so extrem niedergeschlagen ist. Das er sogar heulen muss. So etwas Emotionales tun Kerle normalerweise nicht so leicht. Schon gar nicht vor anderen Kerlen. Öffentlich. Weinen ist ein Zugeständnis an die eigene Schwäche. Dazu gehört schon jede Menge Mut. Ich verstehe überhaupt nicht, was mit dem neuen Patienten los ist. Oder was in ihm vorgeht. Oder was ich jetzt machen soll. Damit es ihm vielleicht besser geht. Fühle mich mit der unangenehmen Situation überfordert. Mikey kommt kein bisschen damit zurecht.

Ratlos blicke ich ihn an. „Nein... Chester... das ist doch...”, sage ich hilflos. Habe keine Ahnung, was ich ihm antworten soll. Was er jetzt von mir hören will. Welche Aussage ihn eventuell aufmuntern würde. Mir ist nicht mal klar, was genau er jetzt von mir erwartet. Oder warum er mich sehen wollte. Der depressive Mann holt tief Luft. Guckt mich entschlossen wieder an. „Es tut mir leid, Mike. Ich wollte gar nicht... wollte Orlando das nicht...” „Nein, ist schon gut!” wehre ich sofort ab, „Das ist nicht schlimm, Chester! Mach dir keine Sorgen deswegen!” Nicke ihm freundlich zu, um meine Vergebung zu unterstreichen. Zufrieden registriere ich das neuerliche, zaghafte Lächeln, das sofort hinter seiner Traurigkeit aufblitzt. Chester ist sichtbar erleichtert. Dass ich ihm nicht böse bin. Der gefallene Engel richtet sich auf. Streckt seine Wirbelsäule. Mutig geworden. Er nimmt die schwarze Brille ab. Wischt sich mit den Fingern müde über die Augen. Die Tränen aus dem Gesicht. Verdutzt schaue ich ihn an. Ohne die Brille sieht Bennington anders aus. Habe ich Chester je ohne seine Brille gesehen? Bestimmt habe ich das. Aber in dieser Sekunde erinnere ich mich nicht daran. In diesem Moment sehe ich ihn zum ersten Mal so. Bin vollkommen fasziniert davon, wie zart seine Gesichtszüge sind. Wie herrlich weich. Beinahe schon weiblich. Mit diesen hohen Wangenknochen. Kaum geschwungenen, feinen Augenbrauen. Ausdrucksstarken, dunkelbraunen Augen. Schmale, hellrote Lippen. Die hohe Stirn. Und das kleine Kinn. Die gerade Nase und seine ein wenig abstehenden Ohren sind dagegen eher groß. Augen, spitze Nase und Ohren bilden ein faszinierendes, imaginäres Dreieck in seinem Gesicht. Das macht ihn so attraktiv. Chester hat längst nicht so einen kräftigen, dichten Bartwuchs wie ich. Selbst wenn er es wollte, könnte er sich wohl keinen Bart wie meinen stehenlassen. Nur unten an seinem Kinn, unter seinem Mund und über seiner Oberlippe sprießen dunkle Stoppeln. An seinen Wangen dagegen kaum. Trotzdem sollte er sich dringend rasieren. Ich liebe seine großen, runden Ohren. Von den dunklen Dreadlocks werden sie allerdings fast vollständig verdeckt. Ohne seine Brille sieht Chester noch viel jünger aus. Es würde mich wundern, wenn er schon alt genug wäre, um in einer Bar ein Bier zu bestellen. Oder ohne gefälschten Ausweis in einen Club reinzukommen. Chester Bennington ist auf keinen Fall älter als ich.

Als hätte er meinen gebannten Blick gespürt, streicht der Besondere sich in einer verzweifelten, hilflosen Geste die brünetten Haare aus dem Gesicht. Streichelt sie förmlich hinter seine Ohren. Er berührt sich selbst auf diese Art, um sich zu beruhigen. Sich selbst zu trösten. Vermute ich mal. Und ich bin augenblicklich paralysiert davon, mit wie viel Grazie er das tut. Fuck, das erregt mich total! Wie er sich die Dreadlocks aus dem Gesicht hinter die Ohren streichelt. Seine filigranen Finger bewegen sich sanft, fast liebevoll. Ich spüre diesen Anblick unmittelbar in meinem Unterleib. Heftig. Mein Schwanz zuckt davon. Das ist doch nicht mehr normal! In seiner anderen Hand hält Chester die schwarze Brille. Spielt nervös damit herum. Dreht sie immerzu. Befingert sie unruhig. Klappt die Bügel auf und zu. Ohne auch nur hinzusehen. Der neue Patient schluchzt leise. Verkrampft. Unterdrückt. Im Bemühen, mit dem Weinen aufzuhören. Hilflos weicht er meinem unverändert forschenden Blick aus.

„Bitte... Mike... sag mir das doch einfach mal... wo du herkommst...”, flüstert der traurige Mensch flehend. Während er schüchtern an mir vorbei auf die hintere Wand der Turnhalle sieht. Aus seiner Erstarrung ist er mittlerweile erwacht. Jetzt kann er kaum noch stillstehen. Seine Füße treten nervös auf der Stelle. Sein ganzer Körper ist in zielloser Bewegung. Offensichtlich fühlt er sich nicht wohl. Ich verstehe nicht, warum ihm das plötzlich so wichtig erscheint. Zu wissen, wo ich herkomme. Ich habe keine Ahnung, was Chester dazu drängt, mich ausgerechnet jetzt danach zu fragen. In dieser seltsamen Situation. Gestern in der Gruppentherapie hat er noch behauptet, ich müsste ihm nichts über mich erzählen. Trotzdem antworte ich ihm sofort. „Agoura Hills”, verrate ich Chester. Sein Blick schnellt überrascht zu mir. Sehe ihm sofort an, dass er von meiner Heimatstadt noch nie etwas gehört hat. Das wundert mich nicht. Damit ist er nun wirklich nicht der Erste. „Das ist ein Vorort von Los Angeles”, kläre ich Chester auf. Wie ich es so gut wie immer tun muss. Wann immer ein Gespräch auf meinen Geburtsort kommt. „Du bist ein California-Boy?” fragt Chester lächelnd. Ich bin gefesselt davon, wie sich seine Augen zögernd erhellen. Wie spürbar sich seine tiefe Dunkelheit lichtet. Wie sich hinter seiner umfassenden Traurigkeit langsam das Glück hervor kämpft. Mann, ich möchte ihn so gerne glücklich machen. Ich möchte alles tun, damit er glücklich ist. „Ja, das bin ich”, lächele ich ihn an, „Und du bist ein Arizona-Boy.” Chester nickt grinsend. Sieht mich so zärtlich an, dass mir ganz warm davon wird.

„Und was machst du da so, Mike Shinoda? In Agoura Hills?” will der sensible Künstler neugierig wissen. Während ich ihn fasziniert betrachte, die wundervoll leuchtenden, braunen Augen, seine junge, reine Haut, die kleinen Bartstoppeln in seinem weichen Gesicht, merke ich verwirrt, wie schwer es mir fällt, auf seine Frage eine Antwort zu finden. Na klar habe ich zu Hause irgendwas getan, bevor ich hierherkam. Aber was? Womit habe ich mich früher beschäftigt? Ich erinnere mich nicht. Diese Zeit ist in meinem Gedächtnis rätselhaft verwischt. Es hat mich schlicht nicht interessiert, was um mich herum vorging. Nichts hatte eine Bedeutung. Gar nichts. Mein Leben war absolut belanglos für mich. Warum sich also an irgendwas erinnern? Aber jetzt wartet Chester Bennington sichtbar gespannt auf neue Informationen über Mike Shinoda. Chaz möchte wissen, was für ein Leben ich in Agoura Hills habe. Der Kerl lässt mich nicht aus den Augen. Fragt sich irritiert, warum ich nicht antworte. Studiert aufmerksam mein Gesicht. Versucht zu erraten, was in meinem Kopf vorgeht. Fieberhaft suche ich nach einer Erinnerung. Was war mir damals wichtig? Womit habe ich meine Zeit gefüllt? Gab es überhaupt etwas vor der geschlossenen Psychiatrie? Irgendwas? Ich weiß es nicht. Als ich hierherkam, hatte sich schon lange alles weit von mir entfernt. Es scheint ewig her zu sein, seit mich außer Chester irgendwas interessiert hat. Das beunruhigt mich. Ich glaube nicht, dass es gut für mich ist, wenn ich mein Leben nur auf diesen einen Menschen fokussiere. Den ich kaum kenne. Oder verstehe.

„Du musst es mir nicht sagen, Mikey...”, lenkt Chester verunsichert ein. Weil ich so lange nicht antworte. Wahrscheinlich vermutet er, dass ich ihm nichts über mich verraten will. Aber so ist das gar nicht. Ich kann mich nur einfach nicht erinnern. „Nein... Chaz... das ist schon okay”, beruhige ich meinen zauberhaften Mann schnell. Zwinge mich verstärkt, mich auf mein zu Hause zu konzentrieren. „Ich wohne in Agoura Hills mit meiner Familie... meiner Mom und meinem Dad... und mit meinem jüngeren Bruder... Er heißt Jason... wir nennen ihn alle Jay...”, stammele ich hastig irgendwas zusammen, was ich wahllos aus meinem Gedächtnis krame. Chesters Lächeln paralysiert mich. Macht mich überglücklich. Weil es immer strahlender wird. Zunehmend magischer. Der Sänger freut sich sichtbar, dass ich ihm etwas über mich erzähle. Es macht mich glücklich, dass Bennington sich für mich interessiert. „Ich habe auch einen Bruder”, verrät er mir leise, „Ein Halbbruder, genauer gesagt. Aus einer früheren Beziehung von meinem Dad.” Nochmal wischt er sich mit den Fingern über die feuchten Augen. Mit der Hand über die Wangen. Das Kinn. Um die nassen Spuren abzutrocknen. Schnieft leise. Erleichtert stelle ich fest, dass Chester aufgehört hat zu weinen. Wie gerne würde ich ihm jetzt selbst zärtlich das Gesicht trocken streicheln. Ihm die Tränen von der weichen Haut küssen. „Wohnst du mit deinem Bruder und deinen Eltern in Phoenix?” erkundige ich mich interessiert. Registriere verwundert den dunklen Schatten, der bei meiner Frage schlagartig in Chesters Augen aufblitzt. Es stimmt was nicht mit seiner Familie, vermute ich unwillkürlich. Chester denkt nicht gerne an seine Verwandten. Aber Chaz versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Er lächelt, schüttelt den Kopf und sieht mich liebevoll an. „Nein. Brian ist dreizehn Jahre älter als ich. Er hat schon längst sein eigenes Leben”, erzählt er mir. „Und ich auch”, setzt er noch leiser hinzu. Sieht unbehaglich an mir vorbei. Schließt kurz die Augen und holt tief Luft. Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt nicht weiter nachfragen sollte. Eine Minute lang herrscht irgendwie peinliche Stille zwischen uns. Wir stehen in unserer Sportkleidung voreinander in einer Turnhalle und sehen uns nicht an. Ich bin unsicher, was ich jetzt tun oder sagen soll.

Im nächsten Moment guckt Chester mich wieder an. Der traurige, wütende Schatten in seinen Augen ist verschwunden. Der starke Mann hat sich wieder im Griff. „Früher hat Brian zu Hause immer seine Platten gespielt. Der hat mich mit seiner Musik ganz schön beeinflusst. Wegen ihm mag ich den melodischen Rock aus den 80er Jahren. Foreigner, Rush und so”, erzählt er mir lächelnd. Hebt schüchtern die Schultern. Streckt kurz spöttisch seine Zunge raus. Verzieht das Gesicht auf eine alberne Art. Schüttelt den Kopf und grinst verschmitzt. Als wäre ihm sein altmodischer Musikgeschmack ein bisschen peinlich. Chester ist so liebenswürdig scheu, dass ich vollkommen dahinschmelze. Dringend möchte ich ihn in den Arm nehmen. Möchte diesen Mann küssen dafür, dass er existiert. Dass ich ihn kennenlernen darf. Fühle mich verdammt nochmal gesegnet. Gleichzeitig tut sich was bei mir, als er die Musik seines Bruders erwähnt. Ich weiß nicht, warum das ausgerechnet jetzt passiert. Aber es geschieht. In diesem Moment. Chester Bennington hat das verursacht. Hat etwas Neues in mir geweckt. Schon wieder. Plötzlich erinnere ich mich an etwas. Bilder von früher blitzen unerwartet in meinem Kopf auf. Damit habe ich bestimmt nicht gerechnet. Darum bin ich wirklich überrascht. Als mich eine konkrete Erinnerung aus meiner Zeit vor der Psychiatrie anspringt. Ich liebe Musik, weiß ich schlagartig mit absoluter Sicherheit. Musik interessiert mich brennend. Ich will wissen, wie Musik funktioniert. Schon als kleines Kind habe ich Klavierspielen gelernt. Und später kam noch die Gitarre dazu. Ich höre mir alles an, was mir an Musik begegnet. Und will es sofort selbst ausprobieren. Die einzelnen Musikstile faszinieren mich. Und was man mit ihnen anstellen kann. Wie man sie mixen kann, um einen neuen Sound zu erschaffen. Besonders Hip Hop und Rap haben es mir angetan. Mit meinem Keyboard habe ich pausenlos neue Remixe ausgetüftelt. In meinem Zimmer. Zu Hause. In Agoura Hills.

Verblüfft reiße ich die Augen auf. Starre Chester verwirrt an. Bin total erschlagen von der plötzlich deutlichen Erinnerung. An mein Leben vor der geschlossenen Psychiatrie. Das so weit von mir entfernt war, dass ich ehrlich dachte, es würde niemals zu mir zurückfinden. Hätte möglicherweise gar nicht stattgefunden. Chester scheint zu spüren, dass ich mich an etwas erinnere. Oder zumindest, dass irgendwas mit mir passiert ist. Obwohl er mich offenbar nur unscharf sieht. Alarmiert hebt er die Hand und setzt seine Brille wieder auf. Aufmerksam betrachtet er mich durch die Gläser. „Magst du Musik, Mike Shinoda?” fragt er ganz leise. Vorsichtig. Als wäre die Antwort von größter Wichtigkeit für ihn. Lauernd behält er mich im Auge. Ich bin überwältigt davon, dass Chester einen sechsten Sinn zu haben scheint. Mich durchschauen kann. Obwohl er mich doch gar nicht kennt, vermutet er sofort das Richtige. Irgendwie macht Chaz immer alles richtig mit mir. „Ja... ich liebe Musik...”, krächze ich aufgeregt. Das ist ein bisschen untertrieben. In Wahrheit ist Musik mein Leben. Huste nervös. Chester macht mit mir alles richtig. Und ich mache mit ihm viel zu oft alles falsch. Andauernd. Aber ich will keine blöden Fehler mehr machen. Nicht in Bezug auf diesen empathischen Mann. Chester lacht belustigt. Das ist nach seiner vorherigen Depression so wundervoll, dass es mir warm durch den ganzen Körper fährt. Angenehm. Behaglich. Die helle Sonne scheint wieder. Seine braunen Augen blitzen erfreut auf. Chester Bennington hat ein absolut göttliches Lachen. „Mikey liebt Musik!” jubelt der Sänger begeistert, „Na, das ist doch schon mal was!” Ich bin fasziniert davon, mit welcher Leichtigkeit Herr Bennington seine dunkle Traurigkeit scheinbar überwunden hat. Wie schnell er sich aus der extrem niedergeschlagenen Stimmung freigekämpft hat. Und nur zu gerne bilde ich mir ein, dass ich ihm dabei geholfen habe. Ich. Mike Shinoda. Meine Nähe stimmt den Einzigartigen fröhlich. Das ist so wunderbar, dass ich es gar nicht begreifen kann. Übermütig schlägt er mir auf die Schulter. Knufft neckend meinen Oberarm. Blinzelt mich zweideutig an. Erschrocken weiche ich vor ihm zurück. Habe sofort wieder Angst, dass er mich anderweitig anfassen will. Auf eine peinliche Art womöglich. Öffentlich. Und Chester grinst amüsiert. Weil er das genau weiß. Es macht ihm frustrierend großen Spaß, mich ständig zu provozieren.

„Und was ist denn jetzt mit euch zwei?” meldet sich eine dunkle Stimme neben uns, „Habt ihr nun mal langsam eure Angelegenheiten geklärt?” Mein Kopf dreht sich verschreckt nach links. Orlando steht neben uns. Habe ihn gar nicht kommen sehen. Im Gegensatz zu Chester, der nicht überrascht ist. Chaz hat bestimmt gesehen, dass der Typ sich uns näherte. Hielt es aber nicht für nötig, mich diesbezüglich vorzuwarnen. Das ärgert mich ein bisschen. Der mexikanische Bewegungstherapeut mustert uns prüfend. Sein Blick wandert forschend zwischen Chester und mir hin und her. „Mike liebt Musik!” informiert der Sänger den Therapeuten zufrieden, „Ist das nicht absolut fantastisch?” Was ich ziemlich albern finde. Aber irgendwie auch süß. Orlando betrachtet ihn irritiert. Chesters zusammenhanglose Aussage verwirrt ihn. Sichtbar erstaunt wandert sein Blick zu mir. Der Mexikaner kennt so etwas nicht von mir. Das mich irgendwas interessiert. Bisher hat der Bewegungstherapeut den Patienten Shinoda nur teilnahmslos und gleichgültig erlebt. Ich verstehe, warum er sich jetzt über meine angebliche Liebe zur Musik so sehr wundert. Orlando ist misstrauisch. Weil er mein nur mühsam verstecktes Amüsement registriert. „Deshalb wolltest du Mike sehen? Um ihn zu fragen, ob er Musik mag?” erkundigt er sich spöttisch bei Chester. Verständnislos durchbohrt der Mexikaner mit seinen dunklen Augen den Patienten. Chester lächelt freundlich. Erwidert den stechenden Blick völlig ungerührt. „Ja genau, Orlando. Das ließ mir einfach keine Ruhe mehr. Ich musste Mike unbedingt danach fragen”, behauptet der taffe Kerl cool. Meistens ist er richtig schlagfertig. Herr Bennington verzieht keine Miene. Während ich mir spontan ein Lachen verkneifen muss. Weil seine Behauptung doch total lächerlich ist. Der alberne Patient verspottet den Therapeuten. Ohne dass Orlando das mitkriegt. Zumindest geht der Therapeut nicht darauf ein.

Sein geschulter Blick liegt zunehmend besorgt auf dem Sänger. Orlando bemerkt, dass der junge Mann mit den Dreadlocks geweint hat. Registriert Chazys rot verquollene Augen. Sein viel zu blasses, total übermüdetes Gesicht. Chesters ungesunder Anblick muss Orlando in seiner Rolle als Verantwortlicher alarmieren. „Geht's dir denn inzwischen wieder besser, Chester?” fragt er mitfühlend. „Nein”, erwidert Chaz sofort. Schüttelt den Kopf. Hebt sein rechtes Bein und zieht die Jogginghose ein Stückchen hoch. „Wie soll es mir auch gut gehen, wenn meine Socken nicht zu meinem Outfit passen?” erklärt er vorwurfsvoll. Einfach so. Total unerwartet. Automatisch gucken Orlando und ich nach unten auf Chesters leicht erhobenes Bein. Er trägt schwarze Strümpfe. Die er uns anklagend präsentiert. Schwarze Socken zu weißen Turnschuhen und der hellgrauen Sportkleidung. Eigentlich dachte ich, dass Schwarz zu jedem Outfit passt. Ich verstehe überhaupt nicht, was das jetzt bedeuten soll. Es wundert mich, dass Chester auf solche äußerlichen Dinge offenbar Wert legt. Auch Orlando sieht verwirrt aus. Weil Bennington ihm zur Zeit wirklich rätselhafte Antworten gibt. Ratlos zieht der Mexikaner seine schwarzen, buschigen Augenbrauen zusammen.

Und ich habe plötzlich eine Assoziation vor Augen, die mich vollkommen überrumpelt. „Dafür passen deine Socken aber hervorragend zu deiner Unterhose, Chester”, rutscht mir so schnell heraus, dass ich keine Ahnung habe, wo dieser Satz jetzt eigentlich hergekommen ist. Das war Denken und Sprechen gleichzeitig. Exakt im selben Moment. Dermaßen impulsiv, dass mir keinerlei Zeit blieb, die Sache vorher vielleicht nochmal zu überdenken. So was passiert mir normalerweise nicht. Das passt gar nicht zu mir. Aber Chesters alberne Spontanität scheint irgendwie auf mich abzufärben. Bamm! Der Satz ist raus. Im nächsten Moment beiße ich mir schockiert auf die Lippen. Verdammt! Das war jetzt wirklich eine Offenlegung meiner geheimsten Gedanken. Die ich niemals vorhatte preiszugeben. Meine Stimme war sehr viel schneller als mein Verstand. Das entsetzt mich richtig. Ich habe keine Ahnung, wie mir das passieren konnte. Kann mich nicht erinnern, dass es mir je passiert wäre. Erschrocken starre ich Chester an. Würde am liebsten im Erdboden versinken. Spüre überdeutlich, wie meine Ohren heiß und rot werden. Und mein Gesicht. Fuck! Chester guckt mich überrascht an. Mit einer enorm tiefen Zuneigung in seinen Augen. Die mich vollständig in sich aufsaugt. Augenblicklich besänftigt sein anerkennender Blick meinen Schockzustand. Mike kann nur noch daran denken, wie wunderschön dieser besondere Mensch ist.

Im nächsten Moment fängt er an zu lachen. Chester Bennington lacht. Lauthals. „Wow, Mikey, das war jetzt echt meegaaa geil!” kichert er so dermaßen angetan, dass mir ganz heiß wird. Als hätte ihn plötzlich was gestochen, tanzt der Sänger auf der Stelle herum. Krümmt sich vor Lachen. „Meine Unterhose”, jubelt er begeistert, „Meine Socken... passen hervorragend... zu meiner Unterhose!” Kichernd schnappt er nach Luft. „Na, da kann ich ja jetzt ganz beruhigt sein, nicht wahr, Mike? Dann muss ich mir ja keine Sorgen mehr machen!” stellt er enthusiastisch fest. „Ist das nicht total genial, Orlando?” will er grinsend vom Therapeuten wissen. Der ihn nur alarmiert beobachtet. Und keine Miene verzieht. Es ist mir peinlich, dass Bennington meinen blöden Satz so laut hinausposaunt. Ich würde meinen Ausrutscher am liebsten ungeschehen machen. Aber trotzdem muss ich auch lachen. Weil Chesters Albernheit so extrem ansteckend ist. So ungebremst aus ihm herausplatzt. Bin machtlos dagegen. „Ach, komm schon... Chaz... hör doch auf!” stöhne ich lachend. Bestimmt bin ich knallrot im Gesicht. Chester fängt damit an, mich neckend gegen die Brust zu stupsen. „Das hast du dir gemerkt, was?” muss er mich auch noch hochnehmen, „Welche Farbe meine Unterhose hat. Das weißt du noch ganz genau. Stimmt's, Mike Shinoda!” Anscheinend gefällt ihm das. Dass ich die Farbe seines Slips noch kenne. Chester freut so etwas. Sogar sehr. Ich weiß auch noch ganz genau, wie ich ihm seinen schwarzen Slip herunter geschoben habe. Gestern auf der Parkbank. Unwillkürlich muss ich daran denken. Wie ich Chesters Schwanz ausgepackt und ihn gierig in die Hand genommen habe. Erinnere mich deutlich an das Gefühl seines krausen Schamhaares. Sein Penis war ziemlich klein, warm, samtig und weich. Als ich ihn wichste. Gott im Himmel! Das ist mir mega peinlich. Besonders vor Orlando, unserem mexikanischen Bewegungstherapeuten. Der völlig verwirrt neben uns steht. Uns nur fassungslos im Auge behält. Offensichtlich kann er mit unserem plötzlichen Anfall von Albernheit nichts anfangen.

Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt machen soll. Wie ich aus dieser Situation wieder herauskomme. Wenig erfolgreich wehre ich Chesters neckende Schläge ab. Dieser verrückte Kerl muss mich ständig stupsen und knuffen. „Hör doch bitte auf, Chaz!” bitte ich ihn kichernd, „Komm schon... ist ja gut...” Bin mir nicht sicher, wie ich ihn stoppen kann. Oder ob ich das überhaupt will. Denn dieses gemeinsame Lachen mit Chester Bennington fühlt sich enorm gut an. Insgeheim muss ich das zugeben. Es ist befreiend. Als könnte man sich alle Sorgen einfach so aus der Seele heraus lachen. Ich vermute, dass Chester genau das gerade tut. Und offenbar sind seine Sorgen so zahlreich, dass der Typ sich gar nicht mehr einkriegen kann. „Das ist geil, Mikey, das ist toootaal geil!” teilt er mir pausenlos mit. Hüpft ausgelassen vor mir herum. Stupst mich immer wieder gegen die Brust. Die Arme. In den Bauch hinein. Hilflos versuche ich ihm auszuweichen. Seinen Überfall irgendwie abzuwehren. Stupse ihn meinerseits. Mit dem Zeigefinger immer wieder in seinen wundervoll weichen Bauch. Und lache dabei, wie ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gelacht habe. Definitiv noch nie an diesem Ort. Möglicherweise habe ich niemals in meinem Leben auf diese Weise gelacht. Zusammen mit einem Menschen. Den ich kaum kenne. Diese seltsame Verbundenheit. Fühlt sich an, wie ein warmer Sommerregen. Auf nackter Haut. Oder irgend so was. Es ist merkwürdig aufregend. Obwohl Chester mich immerzu knufft, stupst und verspottet. Und trotz meiner pausenlosen Bitte nicht damit aufhören will.

Schließlich beendet der Therapeut unsere kindische Balgerei. Ein weiteres Mal muss der Störenfried lautstark eingreifen. „Sagt mal, was ist denn in euch gefahren, ihr zwei?” verliert Orlando neben uns hörbar die Geduld, „Mike Shinoda! Chester Bennington! Jetzt beruhigt euch doch bitte mal! Wie alt seid ihr eigentlich? Seid ihr total verrückt geworden?” Strafend schwankt sein strenger Blick zwischen dem Sänger und mir herum. Der gehorsame Mike steht augenblicklich still. „Chester, hör jetzt endlich auf!” ruft der Mexikaner energisch. Weil der ungehorsame Patient im Gegensatz zu mir nicht reagiert. Orlando greift nach Chesters Arm, um ihn zu bändigen. Nur widerwillig kommt der ausgelassen hüpfende Kerl zum Stillstand. Lässt endlich das Stupsen sein. Zieht seinen Arm wahrhaftig angewidert knurrend aus Orlandos Griff. Offensichtlich will er von dem Therapeuten nicht angefasst werden. Orlando lässt ihn los und betrachtet den aufmüpfigen Patienten interessiert. Der in rot Gekleidete wirkt besorgt. Er ist alarmiert. Weiß Chester wohl nicht so recht einzuordnen.

Schließlich steht der Dreadlockträger schwer atmend vor mir. Ignoriert den Mexikaner komplett. Chester Bennington sieht nur noch mich. Absolut hingerissen. Sein vielsagender Blick aus den fantastisch braunen Augen verspricht mir Dinge, die ich mir immerzu heimlich ausmale. Von denen ich insgeheim nicht erwarten kann, dass sie allesamt zwischen uns passieren. Aber jetzt nicht. In dieser Situation auf keinen Fall. Darum löse ich mich mühsam von Chesters erbaulichem Anblick. Sehe Orlando schuldbewusst an. Schnappe nach Luft. Vom vielen heftigen Lachen schmerzt mein Bauch. „Tut mir leid... Das ist mir so rausgerutscht...”, versuche ich eine ziemlich lahme Entschuldigung. „Und woher kennst du bitteschön die Farbe von Chesters Unterhose?” fragt Orlando hörbar verärgert. Ich glaube, der Therapeut fühlt sich ausgeschlossen. Weil er gerade nicht mit Chaz und mir mitlachen konnte. Das nervt ihn wohl mehr, als es sollte. Vielleicht kränkt es ihn auch, wie feindselig Chester sich aus seinem Griff befreit hat.

Aber seine Frage verkrampft mir sämtliche Eingeweide. Schlagartig. Fuck, ich weiß wirklich nicht, was ich dem nervigen Typen jetzt noch gestehen soll. Ich habe ihm ja sowieso schon entschieden zu viel verraten. Total unabsichtlich habe ich mein Wissen offenbart. Das kann ich doch dem Mexikaner unmöglich auch noch sagen. Dass ich gestern auf einer Parkbank Herrn Benningtons wundervollen Penis entblättert und angefasst habe. Dass ich Chaz in einem egoistischen Anfall von Besessenheit unbedingt eine Erektion verpassen wollte. Himmel nochmal! Plötzlich bin ich völlig verwirrt. Absolut ratlos. Die höchst intime Erinnerung stürzt auf mich ein. Mein Körper erstarrt. Beiße mir hilflos auf die Lippen. Damit mir ja nicht noch irgendwas Peinliches herausrutscht. Orlando registriert meine Verwirrung sehr genau. Sein Blick ist extrem aufmerksam. Konzentriert auf zwei merkwürdige Psychiatriepatienten. Der neugierige Arsch wittert schon irgendeinen Skandal, fürchte ich. Misstrauisch schaut er von mir zu meinem neuen Mitpatienten und zurück. Studiert Chester und mich vorwurfsvoll forschend. Wartet spürbar ungehalten auf meine Antwort. Wenn ich könnte, würde ich mich in diesem Moment sehr weit weg beamen. Zusammen mit Chester versteht sich. Ich würde meinen Mann und mich an einen Ort transferieren, an dem wir ungestört all das tun könnten, was der Engel mir in seinen Augen versprochen hat. Doch leider ist mir nur allzu bewusst, dass ich mit dem Sänger in dieser scheiß Turnhalle alles andere als allein bin. Von da hinten gucken sicherlich schon alle aufhorchend zu uns rüber. Der auffordernde Blick des Therapeuten kotzt mich an. Keine Ahnung, was ich jetzt tun soll. Sekunden dehnen sich zu quälenden Stunden.

Bevor meine Lage für mich noch unerträglicher werden kann, eilt Chaz mir ein weiteres Mal zu Hilfe. Mutig, originell und unerschrocken. Chester Bennigton. Dieser wunderschöne Engel. Mit der himmlischen Stimme. Der immer genau dann zur Stelle zu sein scheint, wenn ich aus irgendeinem Grund nicht mehr weiter weiß. Wenn ich irgendwie in Bedrängnis gerate. Um mir beizustehen. Ich kann mir nicht erklären, womit ich das strahlende Himmelsgeschöpf verdient habe. Fuck, ich liebe diesen rätselhaften Menschen! „Ob ich mich wohl gerade im Umkleideraum in Mikes Gesellschaft umgezogen habe!” betont Chester geringschätzig, „Erinnerst du dich daran, Orlando?” Sein Blick ist spöttisch. Der Hohn in seiner schönen Stimme unüberhörbar. Der Mexikaner schenkt sich eine Antwort. Richtet aber seine dunkel glühenden Augen sofort interessiert auf den anderen Patienten. Meine Erleichterung ist unendlich. Als die geballte, spürbar verärgerte Aufmerksamkeit des Bewegungstherapeuten von mir weg zu Mister Bennington wandert. Chester lächelt zum Niederknien. Der Sänger mit den Dreadlocks greift ohne Scheu nach dem Bund seiner hellgrauen Jogginghose. Zieht sich die elastische Sporthose ein Stück herunter. Lüftet mit der anderen Hand auch noch seine Unterhose ein wenig. Um sie aller Welt zu zeigen.

Gott im Himmel! Blitzartig bin ich paralysiert davon. Kann nirgendwo anders mehr hingucken als auf Chesters engen Slip. Auf das, was die U-Hose verhüllt. Und seinen nackten Bauch. Die Haare an seinem Bauchnabel. Und den Ansatz seines dunklen Schamhaares. Chesters helle, zarte Haut. Die ich so verdammt gerne berühren möchte. Auf der Stelle reagiert mein Schwanz. Das ist ziemlich gefährlich hier. Trotzdem kann ich meinen Blick nicht abwenden. „Tut mir ja leid, Orlando. Aber beim Umziehen konnte ich irgendwie nicht verhindern, dass Mike meine Unterhose erblickt hat. Siehst du? Sie ist schwarz. Genau wie Mike gesagt hat!” erklärt Chester dem sichtbar verstärkt alarmierten Therapeuten freundlich. Ich bin mir nicht sicher, ob der Übermütige den Mexikaner gerade erneut neckt. Oder ob Chaz diese seltsam provozierende Aktion tatsächlich ernst meint. Reglos steht er vor uns. Den Bund seiner Jogginghose in der einen, den Stoff seines Slips in der anderen Hand. Der Mann demonstriert die Farbe seiner Unterwäsche. Als wäre das die normalste Sache der Welt. „Gott, Chester!” schimpft Orlando entsetzt, „Zieh dich bitte sofort wieder an! Du musst hier nicht deine Unterhose herumzeigen! Sag mal, geht's noch?” Mit einem Schritt ist er bei dem unartigen Patienten. Fasst ihn abermals heftig am Arm. Um Chaz dazu zu bewegen, seine vorrangig für ihn gelüfteten Hosen augenblicklich loszulassen. Chester kichert amüsiert, gehorcht aber. „Sorry, ey...”, lallt er albern. Als wäre er betrunken. Dabei ist er nur müde. Lässt seinen Slip los und den Gummibund der Jogginghose zurück auf seine Taille schnellen.

Orlando ist sichtbar besorgt. Sieht ihm misstrauisch abschätzend in die Augen. Ich glaube, der Therapeut ist sich nicht sicher, ob Chester nicht vielleicht irgendwelche berauschenden Drogen genommen hat. Das will er wohl unverzüglich überprüfen. Guckt ihn intensiv an. Während er den Sänger fest am Arm gepackt hält. Chester erwidert den argwöhnischen, vorwurfsvoll suchenden Blick freundlich lächelnd. „Ich habe den Eindruck, dir geht es momentan zu gut, Bennington. Ich glaube, dass du deine überschüssige Energie am besten bei der Bewegungstherapie abbauen kannst”, wirft Orlando ihm ernst vor. Chesters fröhliche Albernheit stirbt. Plötzlich wirkt er wieder todmüde. Das tut mir unendlich weh. Unbehaglich windet der Sänger sich im Griff des Therapeuten. Weicht schüchtern dem strafenden Blick aus. Sieht mich hilfesuchend an. Chesters braune, traurige Augen hinter der Brille treffen mich unvorbereitet. Ich kann es nicht ertragen, wie gequält er aussieht. „Nein, das geht nicht!” rufe ich spontan erzürnt, „Chester ist viel zu müde! Er kann jetzt keinen Sport treiben! Er kann ja kaum noch aufrecht stehen! Merkst du das denn nicht, Orlando? Siehst du das nicht, verdammt nochmal?!” Es erstaunt mich, wie energisch ich bin. Noch niemals habe ich auf diese vorwurfsvolle Art mit einem Therapeuten gesprochen.

Dementsprechend überrascht ist auch der Mexikaner. Mustert mich total verblüfft. Braucht aber nur einen Moment, um meine unerwarteten Worte zu verdauen. „Mach dir mal keine Sorgen um deinen neuen Mitpatienten, Mike. Madison und ich wissen sehr genau, in welcher Verfassung sich Herr Bennington befindet. Du kannst davon ausgehen, dass wir wissen, was wir unseren Patienten zumuten können. Und Chester wird sich bei uns mit Sicherheit nicht überanstrengen”, erklärt er mir ruhig. Sein Lächeln ist irgendwie mitleidig. Was mich unglaublich ärgert. Als wäre Mike hier der Blöde. Der keine Ahnung hat. Aufgebracht schnappe ich nach Luft. Suche hastig nach einer deftigen Erwiderung für Orlando. Aber mir fällt so schnell nichts ein. Chester beobachtet mich gerührt lächelnd. Streckt seinen Arm nach mir aus. Streichelt mir beruhigend über die Schulter. „Ist schon gut, Mikey”, flüstert der Besondere liebevoll. Zwinkert mir verschmitzt grienend zu. Sofort vergesse ich alles, was ich Orlando vielleicht an den Kopf knallen wollte. Ich möchte mich nur noch zu Chester hinbeugen. Und ihn leidenschaftlich küssen.

„Also dann kommt jetzt endlich. Ihr habt heute wirklich schon genug Zeit verschwendet”, bemerkt der Therapeut vorwurfsvoll. Ohne länger zu zögern, zieht er Chester an seinem Arm gepackt in Richtung der Gruppe, die sich am anderen Ende der Turnhalle befindet. Der Patient widersetzt sich dieser rauen Behandlung nicht. Gemeinsam gehen wir quer durch die große Halle. Madison und die Patienten schauen uns erwartungsvoll entgegen, als sie uns bemerken. Ich hasse es, dass alle mich anstarren. Frage mich verunsichert, was die anderen von unserer Balgerei und Chesters Unterhosen-Aktion mitgekriegt haben. Schließlich stehen wir neben der kleinen Therapeutin. Endlich lässt Orlando meinen Mann los. Worüber der auch froh zu sein scheint. „Alles okay mit dir, Chester?” will Madison freundlich besorgt wissen. Schaut ihn prüfend an. Er nickt und lächelt. Als wäre nichts gewesen. Trotzdem sieht er müde und krank aus. Die Psychiatrie hat ihm ohne Frage in den letzten dreiundzwanzig Stunden zu viel zugemutet. Ich kapiere nicht, warum die scheiß Therapeuten das so wenig interessiert. „Schön, Chester!” sagt Madison erleichtert, „Hör mal, während der Bewegungstherapie ist es wohl besser, wenn du dein langes Haar zusammenbindest. Und vielleicht kannst du auch deine Brille solange abnehmen.” „Nein, dann sehe ich nichts mehr”, lehnt Chester irritiert ab. „Ich habe ein Haargummi für dich!” meldet sich laut eine weibliche Stimme aus der Gruppe heraus. Noch bevor Chester über sein Haarproblem auch nur nachdenken kann. Blöde Kaitleen muss sich natürlich abermals in den Vordergrund drängen. Fuck, ich mag dieses Weib nicht! Ärgerlich sehe ich mir an, wie Kaitleen sich strahlend dem Sänger nähert und ihm ein hellblaues Haargummi reicht. „Dankeschön, Katie”, sagt Chester melodisch sanft mit seiner tollen Stimme. Er singt es förmlich für sie. Lächelt die Frau dankbar an. Nimmt den kleinen Gummiring entgegen. Warum muss der Kerl nur zu Jedem so verflucht freundlich sein? Ständig verhält der Patient Bennington sich einnehmend liebenswürdig. Ein Stich aus Eifersucht durchbohrt mich. Das doofe Haargummi passt aber kein bisschen zu deinem Outfit, Chester Bennington, denke ich angepisst.

Im nächstem Moment werde ich entschädigt. Als Chester in einer geschickt grazilen Bewegung seine weichen Dreadlocks zusammenfasst und sie mit dem Gummi zu einem Pferdeschwanz zusammenbindet. Die Schönheit des Anblicks fährt mir warm durch den ganzen Leib. Fokussiert sich angenehm in meinen Geschlechtsorganen. Sodass ich wohlig aufseufzen muss. Ob ich will oder nicht. Offenbar hat Chester sich schon öfter mal seine Haare zusammengebunden. Sofort fällt mir auf, wie viel deutlicher sein hübsches Gesicht ohne die verhüllenden Dreadlocks zur Geltung kommt. Fuck, das erregt mich tierisch. Dringend muss ich woanders hingucken. Ziellos wandert mein Blick durch die Gruppe der anderen Patienten. Alle stehen sie dort und gucken sich Chester an. Mein Mann scheint sie auf eine morbide Weise zu faszinieren. Vielleicht deshalb, weil Chaz vorhin auf seine ureigene Art für sie gesungen hat. Seine Stimme hat sie viel mehr beeindruckt, als sie ihm gezeigt haben.

„So, nun gut. Ihr zwei müsst euch erst einmal gründlich aufwärmen. Darum schlage ich vor, dass ihr jetzt zügig ein paar Runden durch die Turnhalle dreht, okay?” nimmt Madison die Leitung der Bewegungstherapie wieder auf. Gelangweilt werfe ich der kleinen Frau einen Blick zu. Joggen? Ernsthaft? Natürlich meint sie es ernst. Chester sieht auch nicht gerade begeistert aus. Lässt sich aber von Orlandos Hand auf seinem Rücken an die Seite der Turnhalle schieben. Mir fällt auf, dass der Mexikaner ihn viel zu oft anfasst. Das gefällt mir ganz und gar nicht. Und Chester scheint diese Berührungen ebenfalls zu verabscheuen. Zwangsläufig schließe ich mich dem Therapeuten-Patienten-Gespann an. Neben Orlando und Chester gehe ich bis zur Wand der Turnhalle. „Drei Runden im flotten Tempo, okay?” fordert die Aufsichtsperson uns auf. Ich nicke und laufe los. Habe das alarmierende Gefühl, dass alle mich seltsam anstarren. Sie kichern und flüstern über mich. Hinter meinem Rücken. So, als würden sie langsam ahnen, dass ich zu Chester Bennington eine intime Beziehung aufgebaut habe. Ich will nicht, dass irgendjemand das denkt. Oder auch nur darüber spekuliert. Ich habe vor Orlando schon viel zu viel preisgegeben. Darum kümmere ich mich nicht um den charismatischen Sänger. Sondern versuche, einen möglichst großen Abstand zu ihm zu erreichen. Außerdem sieht Chester in seiner Sportkleidung dermaßen verlockend aus, dass es mir auf Dauer schwerfällt, seinen geilen Anblick einfach so cool hinzunehmen. Es ist besser, wenn ich ihn nicht mehr allzu oft anschaue. Am besten tue ich so, als wäre Herr Bennington einfach nur irgendein Mitpatient. Der mich nicht weiter interessiert. Die anderen wissen ja, dass Mike Shinoda eigentlich gar nichts interessiert. So soll das auch bleiben. Damit fühle ich mich noch immer am wohlsten. Ich mag es nicht, den Leuten irgendein lächerliches Gesprächsthema zu liefern.

Ziemlich schnell habe ich die erste Runde entlang der Turnhallenwände vollendet. Bin zurück bei Orlando, der am Startpunkt steht und Chaz und mich unentwegt im Auge behält. Das nervt mich. Denn ich brauche seine Aufsicht nun wirklich nicht. Allerdings scheint sein Interesse vorrangig dem anderen Patienten zu gelten. Automatisch folge ich Orlandos unzufriedenem Blick. Bemerke, dass Chester noch nicht mal eine halbe Runde hinter sich gebracht hat. Der Sänger joggt wohl irgendwie. Aber extrem langsam. So, als hätte er alle Zeit der Welt. Offensichtlich hat der Faulpelz nicht vor, sich anzustrengen. Natürlich fällt das auch Orlando auf. „Hey, Mike! Sag ihm bitte mal, dass er ein bisschen schneller werden muss!” ruft der Therapeut mir zu. Als ich an ihm vorbeirenne. Sag ihm das doch selbst, denke ich spontan verärgert, das ist ja wohl deine Aufgabe. Aber ich nicke nur. Beschleunige mein Tempo. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass die Patientengemeinschaft sich aus dem angrenzenden Geräteschuppen Yogamatten holt. Ihre Bewegungstherapie ist also schon in der Entspannungsphase angekommen. Dann kann die Stunde nicht mehr allzu lange dauern. Vorüber ich sehr froh bin. Ich habe keine Lust mehr, in dieser Turnhalle zu sein. So freundlich und modern sie auch gestaltet sein mag. Das bedrohliche Gefühl, dass alle mich irgendwie heimlich anstarren, will einfach nicht verschwinden.

In einem Anfall von Wut renne ich schneller. Schon bald nähere ich mich dem anderen Patienten. Der sich auch aufwärmen soll. Werde langsamer. Betrachte ihn von hinten. Sein brünetter Dreadlock-Pferdeschwanz hüpft beim Joggen. Sein schlanker Körper bewegt sich kräftig. In faszinierender Harmonie. Seine langen Beine arbeiten gemächlich. Ein hüpfender Schritt nach dem anderen. Sein knackiger Hintern bewegt sich auf eine enorm geile Art. Während ich hinter ihm her laufe, wird mir klar, dass ich ohne diesen Menschen nicht mehr sein will. Aber ich habe Angst, dass irgendwer in dieser Halle von meiner drängenden Begierde etwas merkt. Darum halte ich Abstand zu Chester. Als ich ihn kurzentschlossen überhole. „Du sollst ein bisschen schneller werden!” rufe ich ihm flüchtig zu. Ohne ihn dabei richtig anzusehen. Bin schon an dem Mann vorbei. Gebe richtig Gas.

Eine Minute später laufe ich zum zweiten Mal an Orlando vorbei. Der uns noch immer reglos beobachtet. Vor allen Dingen Chester. Der Therapeut sieht mich verstärkt unzufrieden an. Offenbar hört Chaz nicht auf mich. Dem Mexikaner gefällt das nicht. Dass der Patient nicht schneller joggt. Oder was weiß ich. Es ist mir egal. Damit habe ich nichts zu tun. Hebe nur kurz ratlos meine Schultern. Als ich Orlando einen schnellen Blick zuwerfe. Er soll wissen, dass ich meinen Auftrag an Chester erfüllt habe. Schnell renne ich an dem Therapeuten vorbei. Langsam schlägt mein Herz von der Anstrengung schneller. Mir wird richtig warm. Noch eine große Runde. Dann habe ich diese lästige Pflichtaufgabe erfüllt. „Chester! Komm mal bitte her!” höre ich den Mexikaner hinter mir rufen. Ich drehe mich nicht um. Laufe einfach weiter am Rand der Turnhalle entlang. In der Mitte der Halle haben sich inzwischen die übrigen Teilnehmer auf ihren Yogamatten niedergelassen. Zusammen mit Madison vollziehen sie irgendwelche Dehn- und Entspannungsübungen. Es ist besser, wenn ich Chester vorerst nicht mehr zu nahekomme. Jedenfalls nicht, solange wir hier gemeinsam die Bewegungstherapie mitmachen. Es sind einfach entschieden zu viele Augen und neugierige Gehirne anwesend. Die will ich nicht ignorieren. Trotzdem kann ich nicht verhindern, dass ich während meiner letzten Joggingrunde verstärkt an Chester denken muss. Ungewollt erinnere ich mich daran, wie wahnsinnig schön es war, das merkwürdige Tattoo auf seinem Rücken nachzumalen. Wie sehr es mich erregt hat, den warmen Mann zu streicheln. Noch immer frage ich mich, ob Chester von meiner Zärtlichkeit tatsächlich sexuell erregt wurde. Oder ob der rätselhafte Kerl mir womöglich nur irgendwas vorgeschwindelt hat. Ich weiß es nicht. Fühle mich verunsichert. Würde ihm alles zutrauen. Denn ich kenne Chaz einfach noch nicht gut genug, um ihm zweifelsfrei ansehen zu können, ob er geil ist. Mann, daran sollte ich jetzt wirklich nicht denken! Nicht ausgerechnet an Sex. Seit meinem unerwartet intensiven Parkbankerlebnis mit Chester Bennington habe ich meine eigene Sexualität definitiv wiederentdeckt.

Energisch gebe ich Gas und beende meine dritte Hallenrunde im schnellsten Tempo. Orlando steht unverändert allein vor der Wand. Behält wachsam meinen Mann im Auge. Ich kann dem Therapeuten ansehen, dass er nicht zufrieden ist. Automatisch sucht mein Blick den neuen Patienten. Er läuft an der anderen Seite der Halle entlang. Naja. Nach wie vor ist es ein wunderschöner Anblick, diesen gut aussehenden Mann joggen zu sehen. Aber anstrengen tut er sich nicht. Jedenfalls nicht richtig. Chester hat sein Tempo kaum erhöht. Trabt noch immer gemächlich dahin. Gedankenversunken. Ohne etwas zu beachten. Es gefällt mir nicht, wie genervt Orlando meinen Chaz beobachtet. Nach Luft schnappend bleibe ich vor dem Bewegungstherapeuten stehen. „Jetzt lass ihn doch einfach mal in Ruhe!” fordere ich den großen Mann in der roten Sportkleidung mutig auf, „Chester ist hundemüde. Er hat schon seit zwei Nächten nicht geschlafen.” Der Blick des Mexikaners richtet sich erstaunt auf mich. Mustert mich misstrauisch. Tapfer halte ich stand. Weiß auch nicht, warum ich Orlando das jetzt unbedingt sagen musste. Es passierte schneller, als ich darüber nachdenken konnte. Mike Shinoda kann sich nicht bremsen. Handelt komplett unüberlegt. Schon wieder platzen meine Gedanken autonom aus mir heraus. Keine Ahnung, wo das herkommt. Warum sich diese peinlichen Vorfälle zu häufen scheinen. Chester hat das verursacht. Zweifellos. Meine neue Spontanität. Ich bin mir nicht sicher, ob das gut für mich ist. Bisher hatte ich mich immer hervorragend im Griff. Habe lieber zu wenig, als zu viel gesprochen. Und bin ziemlich gut damit gefahren.

Aber jetzt habe ich abermals etwas vorschnell offenbart. Womit ich mich auseinandersetzen muss. Ob ich will oder nicht. Orlando studiert mich argwöhnisch prüfend. „Woher weißt du das denn, Mike?” fragt er mich vorsichtig. Seine dunkelbraunen Augen forschen nach dem Grund meines Mitgefühls für den Mitpatienten. Aber diesen Einblick gewähre ich ihm nicht. „Das ist ja wohl nicht schwer zu erraten!” bemerke ich vorwurfsvoll, „Dazu muss man sich den total übermüdeten Kerl doch nur genau ansehen!” „Du vermutest also nur, dass Chester zwei Nächte lang nicht geschlafen hat?” hakt Orlando ruhig nach. Seine Stimme ist sanft. Behutsam. Er ist mal wieder der verständnisvolle Therapeut. Der auch in ihm steckt. Den er aber normalerweise nicht allzu oft zeigt. Ich habe echt keine Lust, von dem Mexikaner analysiert zu werden. Aber genau das tut der Typ jetzt. Das ist mir vollkommen bewusst. Und ich kann mich seinem Einfluss nicht entziehen. Tief atme ich durch. Das schnelle Joggen war anstrengend. Mein Herz hämmert noch ein bisschen. Mühsam konzentriere ich mich auf das, was ich angerichtet habe. Betreibe Schadensbegrenzung. „Hör mal, Orlando. Ich kenne diesen Chester eigentlich gar nicht. Aber ich habe doch Augen im Kopf. Der Sänger ist müde und kaputt. Der muss sich einfach mal richtig ausruhen”, erkläre ich so unbeteiligt wie möglich. Orlandos tief forschende Augen machen mich wahnsinnig. Aber ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Zeige ihm ein versöhnliches Lächeln.

„Ich habe den Eindruck, dass du Chester schon ziemlich gut kennst. Ihr beiden seid sehr vertraut miteinander”, bemerkt der Therapeut vorsichtig. Als ich empört widersprechen will, stoppt er mich mit einer Handbewegung. Und einem Kopfschütteln. „Das ist nichts Schlimmes, Mike. Ich finde es nett von dir, dass du dich um deinen neuen Mitpatienten sorgst. Aber Chester kommt aus einem völlig anderen Leben als du. Er hat mit Problemen zu kämpfen, mit denen du zum Glück noch nie in Berührung gekommen bist. Von daher halte ich es auf jeden Fall für besser, wenn du dich ihm nicht noch weiter näherst. Lass dich bitte nicht von Herrn Bennington in irgendeiner Form beeinflussen”, muss ich mir von dem Sportler anhören. Spontan möchte ich darüber laut lachen. „Ach, das ist ja komisch, Orlando! Mein Psychologe hat mir genau das Gegenteil geraten!” platzt es spöttisch aus mir heraus. Zu gut erinnere ich mich an Brad Doyles begeisterte, eindringliche Worte, ich solle in Bezug auf Chazy Chaz auf jeden Fall meinem Herzen folgen. Orlando sieht mich verblüfft an. „Was hat dein Psychologe zu dir gesagt, Mike?” will er allen Ernstes alarmiert wissen. Obwohl er doch genau weiß, dass Gespräche zwischen Psychologe und Patient der absoluten Geheimhaltung unterliegen. Naja, ich will mal nicht so sein. Aber ich muss aufpassen, dass ich neugierigem Orlando nicht zu viel verrate. Der ist sowieso schon zu hellhörig und misstrauisch, was Chester und mich angeht. „Doktor Doyle hat gemeint, dass Chester gut für mich ist. Dass er mich weiterbringt”, verrate ich dem Mexikaner lächelnd. Dessen Augen immer größer werden.

„Stimmt das echt?” ruft jemand hinter mir voller Enthusiasmus. Schlägt mich kumpelhaft auf die Schulter. Sodass ich verschreckt zusammenfahre. „Ich bin gut für dich und bringe dich weiter?” Chester taucht neben mir auf. Lächelt mich erfreut an. Sofort paralysiert mich sein wunderschönes Gesicht. Seine wilden Haare sind am Hinterkopf zusammengebunden. Darum sieht man seine Zartheit noch deutlicher. Chester hat seine zweite Hallenrunde beendet. Macht nun Halt bei Orlando und mir. Der Typ ist vom Joggen kein bisschen außer Atem. Richtig angestrengt hat er sich auf keinen Fall. Verwirrt schaue ich ihn an. Das ist mir jetzt unangenehm. Dass er das mitgekriegt hat, was ich Orlando anvertraut habe. Auch der Therapeut sieht Chester nachdenklich an. Und schweigt. Chesters Augen wandern aufgekratzt hin und her. „Redet ihr von mir?” will er ungeduldig wissen, „Habt ihr über mich gesprochen?” „Du musst noch eine Runde laufen, Chester. Bitte jogge weiter. Und diesmal bitte ein bisschen mehr Tempo, Herr Bennington”, fordert Orlando ihn drängend auf. Aber der Patient schüttelt den Kopf. „Och nö, Orlando. Ich kann jetzt nicht mehr. Bin genug herumgejoggt”, meint er nörgelnd. Chester legt seine Hände wie zum Gebet zusammen. Fällt vor dem Therapeuten demütig auf die Knie. „Bitte! Erlasse mir die mühsame dritte Hallenrunde! Ja? Tust du das für mich, allmächtiger Orlando?” Flehend reckt er dem Mexikaner die gefalteten Hände entgegen. Chester Bennington hat überraschend gute Laune. Der junge Mann möchte albern sein. Es geht mal wieder mit ihm durch. Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. Finde ich total witzig. Wie Chaz den nervigen Kerl verarscht. Es imponiert mir, wie wenig Respekt der Sänger vor dem Bediensteten der Psychiatrie zeigt. Obwohl er eigentlich nichts tut, was für Orlando irgendwie beleidigend wäre.

Gespannt schaue ich den Mexikaner an. Um mitzukriegen, wie er auf Chesters Provokation reagiert. Orlando schließt tatsächlich die Augen. Holt tief Luft. Im Bemühen, ruhig zu bleiben, öffnet er seine glühenden Augen langsam. „Steh bitte auf, Bennington”, zischt er. Umfasst mit seiner großen Hand Chesters tätowierten Oberarm. „Ach komm schon, zeig doch Gnade, Orlando”, kichert der neue Patient amüsiert. Lässt sich aber vom Therapeuten widerstandslos zurück auf die Beine ziehen. „So, jetzt hör bitte mal gut zu, Chester”, fängt der behutsam an, betrachtet seinen Schützling eingehend, „Ich habe den Eindruck, dass dir der Sinn deiner Aufgabe noch gar nicht klar ist. Ich jage dich hier nicht durch die Turnhalle, um dich zu ärgern. Es geht nur darum, dass du durch das Joggen deinen Körper aufwärmst. Und deshalb ist es notwendig, dass du dich ein bisschen anstrengst. Wenn deine Muskeln nicht richtig aufgewärmt sind, dann ist das Risiko einer Verletzung beim Sport sehr viel höher.”

Trotz Orlandos Bitte hört Chester nicht zu. Seine Aufmerksamkeit wird von den anderen Patienten abgelenkt. Die in der Mitte der Turnhalle leichte Yogaübungen vollziehen. Ich folge Chesters amüsiertem Blick. Sehe ein paar Mädchen, die sich gerade seltsam verrenken. Und dabei ihre Brüste und Ärsche auf provozierende Art hervorstrecken. In der engen, elastischen Sportkleidung, die sie tragen, ist das schon irgendwie ein erregender Anblick. Das muss ich insgeheim zugeben. Auch wenn mir das bisher bei der Bewegungstherapie nie aufgefallen ist. „Hast du mir zugehört, Chester Bennington?” fragt Orlando hörbar verärgert. Seine Geduld wird vom neuen Patienten stark strapaziert. Chester schaut ihn gleichgültig an. „Ja, ist schon gut”, lenkt er freundlich ein. „Dann lauf jetzt bitte noch eine Runde in hohem Tempo, okay?” seufzt Orlando ungeduldig. Chester nickt und rennt tatsächlich los. „Und du holst dir eine Matte und gesellst dich zu Madison und den anderen, Mike”, weist der Therapeut mich an. Erstaunt schaue ich dem Sänger hinterher. Er läuft richtig schnell. Das habe ich gar nicht erwartet. Es erregt mich, wie stark und geschmeidig Chesters faszinierender Körper sich bewegt. Wie kräftig seine langen Beine sind. Wie sein gebändigtes Haar im Windzug flattert. Sein geiler Po sich beim Laufen wiegt. Chesters Anblick berührt mich sehr viel stärker, als die Weiber bei den Yogaübungen zu beobachten. Das beunruhigt mich irgendwie. Ich weiß gar nicht, was ich davon halten soll. Was das für mich bedeutet.

Kurzentschlossen drehe ich mich um. Mache mich auf den Weg zum Geräteraum. Der direkt an die Turnhalle angrenzt. Er wird nur durch ein großes Rolltor von der Halle abgegrenzt. Welches offensteht. Ich weiß, wo die dünnen Turnmatten liegen. Hole mir eine. Dann gehe ich zurück in die Halle. Um mich der Patientengruppe anzuschließen. Mein Blick sucht automatisch den Besonderen. Ohne dass ich das eigentlich will. Chester rennt noch immer schnell. Mit großen, ausholenden Schritten joggt er am Rand der Turnhalle entlang. Orlando hat ihm wohl noch eine zweite schnelle Runde befohlen. Es fällt mir schwer, meinen Blick von dem strahlenden Engel abzuwenden. Mühsam konzentriere ich mich auf Madison. Die in der Mitte der Halle auf ihrer eigenen Matte sitzt. Anweisungen gibt und die Übungen auch gleich demonstriert. Niemand beachtet mich, als ich meine Matte ziemlich hinten am Rand der Gruppe auf den Boden lege. Setze mich auf die blaue, dünne Turnmatte. Muss mich zwingen, nicht nochmal zu Chester hinzusehen. Er ist gut für mich, überlege ich trotzig, Orlando hat doch keine Ahnung. Seit Chester hier ist, fühle ich mich sehr viel lebendiger. Chester ist der Grund, warum ich mich plötzlich sogar an mein altes Leben erinnern kann. Musik, denke ich mit einem Lächeln, ich möchte wieder damit anfangen, Musik zu machen.

Madison erklärt uns eine weitere Übung, die ich gelangweilt mitturne. Es ist wirklich nicht allzu schwer, was sie hier in der Therapie machen. Das ist höchstens Yoga für blutige Anfänger. Nach noch ein paar Übungen taucht Chester in meinem Blickwinkel auf. Sein Atem geht schwer. Schweiß glänzt auf seiner Stirn. Offensichtlich hat er sich inzwischen beim Joggen aufgewärmt. Der Sänger steht vorne bei der kleinen Therapeutin. In der Hand hält er eine dünne Yogamatte. Die er sich wohl aus dem Geräteraum geholt hat. Madison redet mit ihm. Aber ich kann von hier hinten die Worte nicht verstehen. „Ich helfe ihm!” kreischt Kaitleen plötzlich und steht auf, „Komm zu mir, Chester! Ich kann dir alles zeigen und erklären!” Chester lächelt liebenswürdig. Bewegt sich langsam auf Kaitleen zu. Legt seine Matte wahrhaftig direkt neben die des schrecklich aufdringlichen, vorlauten Mädchens. Mein Magen verkrampft sich. Abermals bin ich quälend eifersüchtig. Ohne es zu wollen. Verärgert schaue ich in eine andere Richtung.            


Chester Charles Bennington

Endlich ist die Bewegungstherapie vorbei. Madison und Orlando mussten mich zum Schluss noch zur Seite nehmen. Um mir den wichtigen Sinn dieser Veranstaltung zu erklären. Von beiden Therapeuten abwechselnd, wurde ich freundlich dazu aufgefordert, die Sache doch beim nächsten Mal bitte ein wenig ernster zu nehmen. Natürlich habe ich ihnen das versprochen. Ob ich es tun werde, steht aber noch nicht fest. Kommt immer auf meine Tagesform an.

War jedenfalls froh, als sie mich schlussendlich entlassen haben. Im Moment bin ich hundemüde. Und gleichzeitig merkwürdig aufgedreht. Mag am Sport liegen. Oder an irgendwas anderem. Als ich den Umkleideraum für Männer gefunden habe, ist niemand mehr dort. Alle anderen Patienten der Therapiestunde sind schon abgehauen. Bin enttäuscht, weil Mike nicht auf mich gewartet hat. Hätte mich sehr gefreut, den süßen Bartträger hier anzutreffen. Würde jetzt gerne ein paar Berührungen mit ihm austauschen. Direkt neben dem Bereich zum Umziehen führt eine weitere Tür zu den Duschen. Das stelle ich fest, als ich neugierig diese unbekannte Tür öffne. Auch die Duschen sind verwaist. Die weißen Kacheln sind nass. Offensichtlich wurde der Raum vor Kurzem benutzt. Mir fällt ein, dass ich zu lange nicht mehr geduscht habe. Fühlt sich jedenfalls so an. Bin von der verdammten Therapie nassgeschwitzt. Klebrig. Muss mich dringend säubern. Kurzentschlossen betrete ich diesen großen, leeren Gemeinschaftsduschraum. Setze die Brille ab. Ziehe mich aus. Stelle mich unter einen warmen, weichen Wasserstrahl. Blöderweise habe ich kein Duschgel. Darum muss das Wasser allein reichen. Es ist angenehm, den Dreck und Schweiß von meiner Haut zu spülen. Löse das Haargummi aus meinen Dreadlocks. Halte mein Gesicht in den wärmenden Strahl. Eine Weile stehe ich einfach so da. Denke an Mike. Frage mich, warum der schüchterne Kerl mir in der Turnhalle ständig aus dem Weg gegangen ist. Zeitweilig wollte er mich noch nicht mal mehr ansehen. Kann die Befürchtungen von Mister Shinoda nicht nachvollziehen. Der verdammt attraktive Mann ist mir ein einziges Rätsel. Erst als ich das Wasser abdrehe fällt mir auf, dass ich kein Handtuch habe. Shit! Verärgert setze ich meine Brille auf. Nackt und klatschnass laufe ich vom Duschbereich zurück in den Umkleideraum.

Während ich mich notdürftig mit meiner verschwitzten Sportkleidung abtrockne, suche ich die langen Schrankreihen ab. Um meinen Spind zu finden. Ich erinnere mich nicht, wo ich meine Klamotten verstaut habe. Deshalb muss ich mehrere Schränke öffnen. Bis ich endlich meine Sachen finde. Stopfe die feuchte Jogginghose, die weißen Turnschuhe und das nasse Tanktop in die Tasche. Die Pfleger Ulrich mir gegeben hat. Danach ziehe ich meine eigenen Klamotten an. Meine schwarzen Socken sind ebenfalls ganz feucht. Das ist widerlich. Das blaue Hemd und die helle Hose trage ich jetzt schon seit ein paar Tagen. Dringend brauche ich etwas Frisches zum Anziehen. Das erinnert mich daran, dass der verfluchte Professor Paulsen ohne meine Erlaubnis meinen Dad angerufen hat. Damit der mir ein Paket schickt. Der Gedanke frustriert mich unglaublich. Schlage spontan heftig mit der Faust gegen die Tür des Spindes. Tue mir dabei ziemlich weh. Das macht mich noch wütender.

Hastig schlüpfe ich in meine Kleidung. Schnüre mir die blauen Chucks an die Füße. Nehme die Tasche und verlasse den Umkleideraum. Ertappe mich bei der flehenden Hoffnung, dass Mike vielleicht draußen auf mich wartet. Sehne mich verdammt nochmal nach dem schwarzen Stachelkopf. Brauche ihn jetzt. Dringend. Finde nach kurzem Herumirren den Ausgang der Turnhalle. Das große Gebäude steht am Rand des Parks. In den ich nun aus der Eingangstür trete. Bin sofort tierisch enttäuscht. Weil Herr Shinoda nicht vor der Halle steht. Fühle mich von ihm verlassen. Schmerzhaft ignoriert. Niemand wartet auf mich. Nie. Die grelle Sonne blendet mich. Es ist wohl ungefähr Mittagszeit. Ich vermute, dass ich jetzt zum Mittagessen gehen soll. Obwohl mir das niemand gesagt hat. Bin ziemlich deprimiert. Total angepisst. Frage mich, warum Mikey nicht auf mich gewartet hat. Fürchte, dass der verflixt gut aussehende Patient mir womöglich konsequent aus dem Weg geht. Weil ich eventuell während der Therapie etwas getan habe. Was ihm nicht gefallen hat. Fange an zu grübeln. Lasse vergangene Situationen in meinem Kopf Revue passieren. Komme zu keinem Ergebnis. Ach, fuck, keine Ahnung, was mit dem komplizierten Halbjapaner los ist. Finde ich scheiße von ihm, dass er schon wieder nicht da ist. Dass er mich einfach so verlassen hat. Mich alleinlässt. Könnte seine beruhigende Nähe jetzt wirklich gut gebrauchen. Sehne mich nach Mike Shinodas besonderen Magie. Frustriert laufe ich los. In die Richtung, die mich wahrscheinlich zum Hauptgebäude der Psychiatrie führt. Niemand sonst ist zu sehen. Kein Mensch weit und breit. Der Park ist wie ausgestorben. Vielleicht sind schon alle beim Mittagessen. Es ist warm und sonnig hier draußen. Darum ist es nicht schlimm, dass meine Haare klatschnass sind. Und das Wasser ständig auf mein Hemd tropft. Auch meine Haut fühlt sich unter der Kleidung feucht an. Macht mir aber nichts aus. Langsam laufe ich über den Parkweg. Zwischen Bäumen und Sträuchern entlang.

„Chester! Hey! Warte mal!” schreit jemand. Erschreckt mich damit. Kommt freudestrahlend auf mich zugerannt. Es ist Kaitleen. Sofort bin ich enttäuscht. Weil es nicht Mike ist. Hinter der blonden Kalifornierin steht ihre schüchterne Freundin Tracy. Die ich auch schon seit gestern kenne. Aus der Gruppentherapie. Mit diesen beiden Mädels habe ich gerade in der Bewegungstherapie diese seltsamen Yogaübungen gemacht. Haben uns gegenseitig Hilfestellung gegeben. Das war lustig. Und körperlich echt nahe. Ich frage mich, ob die heißen Chicks mir hier im Park aufgelauert haben. Der Verdacht amüsiert mich. Fühle mich seltsam geschmeichelt. Weil meine Mitpatientinnen offenbar auf mich gewartet haben. „Hi Kaitleen!” grüße ich die freundliche Blonde mit den blauen Augen. Bin überrascht, als sie mir schnell einen Kuss auf die Wange drückt. Begehrlich schmiegt sie ihren weichen, wohlgeformten Körper an meinen. Ihr Mund knabbert sich vorwitzig durch die nassen Dreads zu meinem Ohr hin. „Sag mal, Chester, hast du nicht Lust, mit Tracy und mir zu kommen?” flüstert sie verblüffend doppeldeutig. Kaitleen kichert nervös. Schaut mich vielversprechend an. Das Herz fragend. Die Augen flehend.

Spontan muss Chester auch kichern. Nervös. Mein Herz stolpert verdutzt. Weil das, was das Mädchen mich da fragt, absolut unerwartet kommt. Und sich zweifellos ziemlich aufregend anhört. Das klingt wie ein geiles Abenteuer. Wie eine zeitweilige Chance zur Flucht. Nach kurzer Überlegung wird mir klar, dass Katies eindeutiges Angebot genau das ist, was ich jetzt haben will. Chester braucht dringend Ablenkung. Will nicht ständig an den abwesenden Mike Shinoda denken. Oder an seinen Dad. Oder daran, dass alles Scheiße ist. Kaitleens pralle Brüste sind sehr weich und warm. So dicht an mir. Alle ihre Rundungen ziehen mich an. Das Mädchen erregt mich. Geilt mich gezielt damit auf, dass sie mich aufreizend ihren ganzen Leib fühlen lässt. Sich wie eine Schlange um mich herum schlängelt. „Was habt ihr beiden Hübschen denn vor?” erkundige ich mich leicht verunsichert. Katies gierige Augen verschlingen mich. „Och, ich weiß auch nicht...”, spielt sie die Unentschlossene, „Einfach mal sehen, was so passiert.” Nochmal küsst sie meine Wange. Steckt mir ihre heiße, nasse Zunge in die Ohrmuschel. „Was meinst du dazu, Chesterlein? Hast du nicht Lust mitzukommen?” drängt sie ungeduldig. Wirft ihrer Freundin einen grienenden Blick zu. Tracy steht hinten auf dem Weg. Beobachtet uns aufmerksam. Ich habe den Verdacht, dass die beiden Mädchen ihren Überfall tatsächlich geplant haben. Vielleicht hat es ihnen gefallen, mit mir zusammen erstaunlich intime Yogaübungen zu machen. Schließlich konnten wir uns dabei so nebenbei fast überall anfassen. Vorzugsweise an delikaten Stellen. Das war schon irgendwie interessant. Beim albernen Herumturnen haben wir uns totgelacht. Wenn wir vorhin nicht gerade unter der strengen Aufsicht der beiden Therapeuten gestanden hätten, wären Kaitleen, Tracy und ich wohl irgendwann schon in der Turnhalle übereinander hergefallen. Das hat mir gefallen. Lächelnd schaue ich die Kleine an. Sie ist hübsch und einnehmend nett zu mir. Von Anfang an gewesen. Das muss man ihr lassen. Ich mag das fremde Mädchen.

„Okay, dann gucken wir mal, was passiert”, beschließe ich nervös kichernd. Bin angetörnt. Die Entscheidung fällt mir leicht. Kaitleen jubelt begeistert. Schlingt sofort besitzergreifend ihren Arm um meine Taille. Schiebt mich eilig neben sich her auf Tracy zu. Deren Augen werden immer größer. Aufgeregt schnappt sie nach Luft. Tracy ist eher schüchtern. Hat bisher fast nichts zu mir gesagt. Sieht aber ebenfalls recht gut aus. Mit ihren flammend roten Haaren. Den vielen Sommersprossen. Und den dunkelblauen Augen. Beide Mädchen haben eine tolle Figur. Das ist mir schon in der Turnhalle aufgefallen. Jetzt tragen sie knappe Jeansshorts. Und enge T-Shirts dazu. Ihre weiblichen Reize stechen mir direkt ins Auge. In Chester Bennington fängt es an zu kribbeln. Bin aufgeregt. Echt motiviert. Frage mich unwillkürlich, wie weit die beiden Patientinnen wohl mit mir gehen wollen. Was genau die geilen Weiber jetzt von mir erwarten. Mein Kopf stellt sich die schärfsten Sachen vor. Wilde, hemmungslose Pornos laufen da ab. Unwillkürlich. Nervös frage ich mich, ob ich Katie und Tracy wohl alle beide erfolgreich befriedigen kann. Bin mir wahrhaftig nicht sicher, ob ich das im Moment problemlos schaffe. Weil ich unverändert groggy bin. Die Anstrengungen der sogenannten Bewegungstherapie haben das nicht gerade gebessert. Ganz im Gegenteil. Andererseits fühle ich mich aber auch geflasht. Bin voller Tatendrang. Mein höchst vertrauter, innerer Zorn verleiht mir wohltuende Energie. Ich beschließe, diese unverhoffte Sache auf mich zukommen zu lassen. Einfach gucken, was passiert. Spontan sein. Insgeheim hoffe ich auf eine geile Episode mit Kaitleen und Tracy. Die ich beide ohne Frage gut leiden kann.

Das blonde Mädchen aus Los Angeles dirigiert mich geradewegs querfeldein. In die Büsche hinein. Tracy folgt uns kichernd auf dem Fuße. Offenbar kennen die beiden abenteuergeilen Chicks ebenfalls einen ungestörten Platz in dieser weitläufigen Parkanlage. Genau wie Mike Shinoda. Prompt muss ich an ihn denken. Ich erinnere mich, wie wir gemeinsam auf seiner versteckten Bank lagen. Der mega aufgeheizte Halbjapaner halb über mir. Wie er mich gestreichelt und voller Leidenschaft geküsst hat. Wie warm und zärtlich seine Hände sind. Wie verflucht gut Mikey sich anfühlt. Nochmal wird mir bewusst, wie sehr ich den Besonderen vermisse. Sehne mich nach ihm. Pausenlos. Frage mich abermals, warum der wankelmütige Kerl nicht auf mich gewartet hat. Er ist einfach ohne mich abgehauen. War Mike wütend wegen irgendwas? Was ich falsch gemacht habe? Wird er mit mir darüber reden? Hoffentlich wird das Gespräch mit Mister Shinoda nicht nochmal so mühsam wie das letzte, grübele ich innerlich stöhnend.

„Da sind wir, mein Freund aus Arizona!” verkündet Kaitleen stolz. Mit einer weitläufigen Handbewegung zeigt sie mir die versteckte, helle Lichtung. Automatisch lasse ich meinen Blick ringsum schweifen. Es ist schön hier, zweifellos. Nichts Besonderes. Aber vor neugierigen Blicken gut verborgen. Eine Wiese. Das Ufer von einem kleinen See. Alte, hohe Bäume. Und grüne, dichte Sträucher. Kaitleen küsst mich nochmal auf die Wange. Auf das Kinn. Den Mundwinkel. Begierig. „Mann, du pikst total, Chester!” beschwert das freche Mädchen sich, „An deinem hübschen Gesicht sind überall harte Bartstoppeln. Du musst dich dringend mal rasieren!” Aufreizend wischt sie sich mit den Fingern über die roten Lippen. Als hätte ich sie verletzt. Der Anblick bewirkt irgendwas in meiner Hose. „Du hast so toll gesungen, Chester”, meldet sich Tracy scheu, die neben ihrer Freundin steht, „Das war absolut ergreifend, wie du diesen Song präsentiert hast. Und deine Stimme ist fantastisch.” Ihre Augen strahlen vor Anerkennung. Freundlich lächele ich sie an. Es ist schön, was die Fremde zu mir sagt. Fühlt sich gut an. „Danke, Tracy. Das ist nett von dir”, erwidere ich. Zwinkere ihr zu. Sie errötet leicht. Ringt nach Luft. Schaut gehemmt in eine andere Richtung. Damit dürfte wohl endgültig klar sein, dass die Initiative für dieses geheime Treffen von dem anderen Mädchen ausgeht. Kaitleen nimmt meine Hand. Zieht mich energisch auf die Wiese. „Komm hierher, Chester Bennington! Setzen wir uns doch!” drängt sie aufgekratzt. Nötigt mich dazu, mich zusammen mit ihr auf die Wiese zu setzen. Sofort mache ich mir deshalb Sorgen. Wegen möglicher, hässlicher Grasflecken oder Erde auf meinen Klamotten. Der Dreck würde eventuell nicht mehr so leicht rausgehen. Und verdammt, ich habe nur die Kleidung, die ich momentan am Körper trage. Aber dieses Risiko muss ich wohl eingehen. Wenn ich relativ bequem mit den Mädels rummachen will. Und das möchte ich auf jeden Fall tun. Schiebe den Gedanken an verschmutzte helle Hosen mühevoll beiseite.

Setze mich neben Kaitleen auf den Boden. Tracy lässt sich auf meiner anderen Seite ins weiche Gras sinken. Beide Mädchen sind mir jetzt auffällig nah. „Woher kennst du meinen Nachnamen?” frage ich Kaitleen. Bin mir ziemlich sicher, in ihrer Gegenwart meinen Familiennamen noch nie genannt zu haben. Die Blonde lacht belustigt. „Der hat sich doch schon längst überall herumgesprochen!” informiert sie mich kichernd. „Du bist eine Berühmtheit in der Psychiatrie, Chester”, schaltet Tracy sich ein, „Schon seit du in der Nacht für alle gesungen hast. Der neue Mann aus Phoenix, der ziemlich laut singen kann.” Tracy klopft mir anerkennend auf die Schulter. Streichelt meinen Oberarm über dem Hemd. Mir war gar nicht bewusst, dass mein betrunkener Auftritt ein derartiges Interesse hervorgerufen hat. Meine nächtliche Ankunft in der geschlossenen Psychiatrie scheint lange her zu sein. Und doch erinnere ich mich. Verschwommen. Wie ich alleine über den unbekannten, scheinbar endlosen Flur gelaufen bin. Lauthals singend. Über meine eigenen Füße stolpernd. Das war der Moment, als ich den wundervollen Halbjapaner zum ersten Mal gesehen habe. Plötzlich stand er vor mir. Lauschte andächtig meinem grölenden Gesang. Der aufmerksame Mann mit den glänzend schwarzen Haaren. Dem flauschigen Bart. Den fantastisch braunen Knopfaugen. Mister Mike Shinoda. Ungewollt mogelt der rätselhafte Besondere sich aufs Neue in meinen deprimierend einsamen Kopf.

„Deine Tattoos sind so toll”, schwärmt Tracy leise, „Darauf fahre ich total ab. So etwas habe ich noch nie gesehen. Diese vielen Farben. Das muss doch total wehgetan haben.” Der weibliche Tattoo-Fan intensiviert sein Streicheln an meinem linken Arm. Malt wohl mein Sternzeichen-Tattoo nach. Obwohl sie es durch das Hemd hindurch gar nicht sehen kann. „Ich mag deine Dreadlocks”, meint Katie. Fährt mir liebevoll mit gespreizten Fingern über den Kopf. Sanft durch mein Haar. „Deine geilen Locken sind ja total nass”, stellt sie flüsternd fest. Zu viele eindeutig fordernde Berührungen. „Hier, ich hab noch dein Gummi”, informiere ich die Blonde verwirrt. Beide Mädchen prusten abrupt los. „Du hast ein Gummi dabei, Herr Bennington?” neckt Kaitleen mega amüsiert. Guckt mich so frivol an, dass mir ganz heiß wird. Der Schweiß bricht mir aus. Krame hektisch in meiner Hosentasche. Um mich abzulenken. Nach dem Haargummi. Fühle seltsame, mir unbekannte Hemmungen in mir. Die mich absolut verunsichern. Frage mich konfus, ob das hier wirklich eine gute Idee ist. Bin mir nicht mehr sicher, ob ich dem gewachsen bin. Chester ist total ausgebrannt. Fühlt sich entsetzlich nüchtern. Vermisse den Alkohol in meinem Blut. In meinem Kopf. Sehne mich nach mentaler Betäubung. Viel. Dringend. Wenn ich betrunken wäre, dann hätte ich jetzt garantiert keine Angst, denke ich frustriert. Zu Hause hat mir Sex mit mehreren Mädchen meistens nur Spaß gemacht. Hinterher konnte ich mich ja sowieso kaum noch an was erinnern. Aber jetzt bin ich eindeutig überfordert. Ausgelaugt. Ich bin so schrecklich müde. Nüchtern. Fuck, ich bin total nüchtern.

„Hast du gerade geduscht, Chester Bennington?” fragt Katie sanft. Lächelt mich liebevoll an. Während ihre Finger zärtlich durch meine nassen Locks fahren. Feucht über mein Gesicht streicheln. „Ja, klar...”, antworte ich abgelenkt. Reiche ihr das hellblaue Haargummi. Was sie dankend entgegennimmt. Und in ihrer Shorts verschwinden lässt. Mein Blick bleibt auf ihrem nackten Oberschenkel kleben. „Bist du noch irgendwo tätowiert?” will Tracy neugierig wissen. Ihre Hand bewegt sich suchend über meinen Körper. Über meinen Arm. Zu meiner Schulter. Langsam fährt sie an meinem Hemdkragen entlang. Mogelt sich tiefer auf meine Brust. Streichelt mein blaues Hemd. Umkreist jeden einzelnen Knopf. Behutsam. Das fühlt sich gut an. Kann ich nicht mehr lange ignorieren. „Ich würde mir gerne noch sehr viel mehr Tattoos stechen lassen”, verrate ich ihr, „Aber das geht leider nicht.” „Warum nicht?” fragt Tracy sofort. Frustriert schnaufend schaue ich das rothaarige Mädel an. Finde ihre Frage rührend naiv. „Weil ich Geld verdienen muss, Tracy. Mit zu vielen Tattoos kriege ich keinen Job.” „Tracys Eltern sind mega reich”, erklärt Kaitleen mir die Naivität ihrer Freundin, „Sie musste noch nie Geld verdienen.” Tracy guckt erstaunt. „Verdienst du denn mit dem Singen nichts, Chester? Du hast doch eine erfolgreiche Band, die bald viele Alben verkauft!” forscht sie ahnungslos. Meine Eingeweide verkrampfen sich. Ich kapiere nicht, warum diese offenbar von Haus aus finanziell verwöhnte Frau davon ausgeht, dass meine Band erfolgreich ist. Sie sagt das, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Kinderleicht zu erreichen. Überhaupt kein Problem. Angesichts der Menge an Arbeit, die ich bisher leider recht erfolglos in meine Band gesteckt habe, ärgert mich Tracys Ignoranz. Sie schmälert den Wert meiner musikalischen Bemühungen. Zweimal muss ich tief durchatmen. Will nicht wütend werden. Sage mir, dass die Frau einfach nur keine Ahnung hat. „Also... bis jetzt kann ich mit Grey Daze noch nicht mal meine Miete bezahlen...”, versichere ich dem dummen Menschen. Tracy wirkt verwirrt. Ist irritierend sprachlos. „Ja, die Menschen sind so engstirnig”, meldet sich Kaitleen, um die angespannte Situation zu retten. „Die geben dir einen Job nicht, nur weil du tätowiert bist. Die sind doch alle blöd. Deine Tattoos sind wunderschön”, bekräftigt sie im Brustton der Überzeugung. Dankbar schaue ich die Blonde an. Möchte sie gerne küssen. Will jetzt nicht mehr nachdenken müssen. Das Schattendasein von Grey Daze frustriert mich zu sehr.

Tracy streichelt noch immer meine Brust. Fühle ihre zärtlichen Finger intensiver. „Dein Hemd ist total nass, Chester”, stellt sie kopfschüttelnd fest, „Ist dir denn nicht kalt?” „Nein”, kichere ich nervös. Wie könnte einem Mann unter der kalifornischen Sonne mit zwei hübschen, willigen Mädels an seiner Seite auch kalt sein? Tracy lächelt verliebt. Wandert mit ihrer Hand sanft an meiner Brust hinab. Zu meinem Bauch. Mein Herz schlägt schneller. Atmen wird mühsamer für mich. Lehne mich ein bisschen zurück. Stütze mich mit der Hand auf der Wiese ab. „Erzähl uns etwas von dir, Chaz”, fordert Kaitleen mich auf. Sie ist noch immer mit meinem Kopf beschäftigt. Unentwegt kämmt sie mit gespreizten Fingern mein Haar. Streichelt liebevoll mein Gesicht. Schaut mich dabei sehnsuchtsvoll an. Die beiden Frauen sind höllisch interessiert. Definitiv. „Das... über mich... gibt’s nichts zu erzählen...”, lehne ich stockend ab. „Oh, das glaube ich nicht!” widersprechen beide Mädels gleichzeitig. „Über Chester Bennington gibt es mit Sicherheit jede Menge Aufregendes zu erzählen!” Katie blitzt mich mit ihren blauen Augen an. „Wie ist es so, in Phoenix zu leben?” horcht sie mich neugierig aus. Ich muss grinsen. „Ich denke mal, dass ist so, wie in jeder anderen amerikanischen Großstadt auch”, erwidere ich spöttisch, „Du kommst doch aus L.A., Kaitleen. Du weißt genau, wie es ist, in der Stadt zu leben.” „Ja, aber Phoenix ist doch ganz anders!” wendet sie allen Ernstes ein. Lachend schüttele ich den Kopf. „Ne, da ist gar nix anders, Süße. Autos und Dreck und Lärm.” Muss prompt an Phoenix denken. Meine weit entfernte Heimatstadt. Vermisse sie trotz allem. Sehr. All meine Lieblingsplätze. Das deprimiert mich. Wie gerne wäre ich jetzt zu Hause. Unverzüglich würde ich ins Studio gehen. Energisch die Jungs zusammentrommeln. Konzentriert am Album arbeiten. Fuck, das muss ich wirklich dringend tun. Träume erfüllen sich nicht von allein.

„Wann genau kommt denn eure erste CD raus?” fragt Tracy mich. Als hätte die fremde Frau meine Überlegungen gehört. Nachdenklich schaue ich sie an. Tracy hat echt viele Sommersprossen auf ihrer kleinen Nase. Ihre Augen leuchten in einem ungewöhnlich dunklen Blau. Chester will jetzt nicht daran erinnert werden, dass er bei der Veröffentlichung des Grey Daze Debüts höchstwahrscheinlich nicht dabei sein darf. Das frustriert ihn total. Macht ihn viel zu wütend. „Schon bald”, antworte ich knapp. Beuge mich kurzentschlossen zu Tracy hin. Küsse die Fremde kurz auf den Mund. Lecke einmal zart über ihre Unterlippe. Ziehe mich zurück. Schaue sie fragend an. Entzückt stelle ich fest, dass das schüchterne Mädchen rot wird. Diesmal wendet sie allerdings ihren Blick nicht ab. Drastisch spüre ich, wie ihre kleine Hand an meinem Bauch mutig in tiefere Gefilde wandert. Prompt hämmert mein Herz los. Als Tracy den Reißverschluss meiner Chino erreicht. Ihr roter Mund ist jetzt leicht geöffnet. Sie atmet schwerer, die Süße. Genau wie ich. „Chester...”, flüstert sie scheu. „In Phoenix ist es doch viel wärmer als in L.A.” Kaitleen beschäftigt sich noch immer mit meiner Heimatstadt. Widerstrebend drehe ich meinen Kopf zu ihr. „Das stimmt nicht. Es ist nicht das ganze Jahr wärmer. Garantiert nicht. Nur im Sommer”, informiere ich sie seufzend. „Wie hältst du das denn aus? Diese Temperaturen über 38 Grad?” will sie wissen. Fasziniert betrachtet Kaitleen aus der Nähe mein Gesicht. Ihr blondes Haar leuchtet in der Sonne. Das Blau ihrer Augen ist sehr viel heller als das von Tracy. Die ertastet gerade wahrhaftig meine Geschlechtsorgane in meiner Chino. Spüre das ziemlich deutlich. Fühlt sich gut an. Ungewollt stöhne ich auf. „Das geht schon... es... ist eine trockene Hitze... auszuhalten... sie kommt aus der Wüste...”, stammele ich abgelenkt. Kaitleens Lächeln wird breiter. Mein ungewolltes Stöhnen amüsiert sie. Außerdem kann sie sehen, was ihre Freundin mit mir anstellt. „Die allermeisten Gebäude sind klimatisiert”, setze ich schnell hinzu.

Ändere nervös meine Sitzposition. Tracys Hand klebt in meinem Schritt. Hört nicht damit auf, mein Paket zu massieren. So viel freche Eigeninitiative habe ich der vermeintlich Schüchternen gar nicht zugetraut. Werfe ihr einen vage gehetzten Blick zu. Den sie nicht bemerkt. Ihre Aufmerksamkeit hat sich auf meinen Unterleib fokussiert. Sie sieht sich genau an, was sie da durch die Hose hindurch knetet. Drehe meinen Kopf zurück zu Kaitleen. „Was habt ihr beiden Süßen denn eigentlich mit mir vor?” muss ich das Girl jetzt einfach fragen. Gerührt lächelt sie mich an. „Wir wollen dir so gerne was Gutes tun, Chester”, wispert sie gespielt verlegen. „Wir wollen dir auch etwas schenken. Weil du uns heute dieses wundervolle Lied geschenkt hast”, erklärt Tracy. Interessiert schaut sie auf. Nimmt ihre Finger aus meinem Schritt. Was mich einerseits erleichtert. Andererseits bedauere ich es. Die beiden Mädchen studieren mich erwartungsvoll. Ich bin verwirrt. Mein Blick wandert ratlos zwischen Kaitleen und Tracy hin und her. Zwei mir bisher unbekannte, hübsche, junge Gesichter. Mehr nicht. Eine Weile herrscht seltsame Stille. Bis Katie die Initiative ergreift. Vorsichtig legt sie mir ihre Hand auf die Brust. Auf mein nasses Hemd. Bewegt zart streichelnd ihre kleinen Finger. Kribbelt sich langsam an mir herunter. Mein Brustbein entlang. Stetig tiefer. Sanft über meinen Bauch. Offenbar will sie da weitermachen, wo Tracy erst vor einer halben Minute aufgehört hat. Unwillkürlich halte ich die Luft an. Als sich ihre Hand vorsichtig zwischen meine Beine schiebt und meine sensiblen Weichteile umfasst, stöhne ich auf. Laut. Automatisch.

„Was wollt ihr mir schenken?” frage ich keuchend. Die beiden Hühner kichern aufgeregt. Schauen sich verschwörerisch an. Das beunruhigt mich. Habe das Gefühl, womöglich irgendwie verarscht zu werden. Alarmiert schaue ich mich auf der Lichtung um. Ob da vielleicht noch mehr hinterhältige Weiber lauern oder so was. Kann in der näheren Umgebung niemanden entdecken. Frage mich paranoid, ob sich jemand irgendwo versteckt hat. Aber Kaitleen massiert gerade ziemlich gefühlvoll mein empfindsames Package. Die Blonde ist dabei energischer als Tracy vorher. Sehr selbstbewusst. Eindeutig erfahrener. Das fühlt sich so verflucht geil an, dass meine paranoiden Bedenken ganz von allein verblassen. Ich werde erregt. Zwangsläufig. Berühre deshalb Kaitleens T-Shirt. Um ihre rechte Brust zu streicheln. Fühlt sich sehr weich an. Wechsele auf die linke Brust. Das Weib hat scheinbar nichts dagegen. Chester darf ihre großen Titties anfassen. „Was wollt ihr mir schenken, Mädels?” frage ich nochmal. Weil die Mädchen nur verschmitzt kichern. Mich neugierig beobachten. Sich konspirativ zuzwinkern. Und mir nicht antworten. Sehe Kaitleen und Tracy belustigt an. Die sind niedlich, die zwei. „Fühlt sich das gut an, Chester Bennington?” will Katie amüsiert wissen. Schmiegt sich anhänglich an meine Seite. Während ihre geschickten Finger mich gezielt bearbeiten. Durch die Hose hindurch ertastet sie gekonnt meinen Schwanz und meine Eier. Massiert gefühlvoll meinen Sack. Ihre andere Hand liegt an meiner Taille. Tätschelt beruhigend meinen Hüftknochen. Aufmerksam studiert sie mein Gesicht. Beide Frauen scheinen irritierend wissbegierig. Sie lechzen danach zu erfahren, was diese intime Berührung wohl bei mir auslöst. „Ja”, gebe ich schnaufend zu. Sofort intensiviert Kaitleen ihre Bemühungen. Entlockt mir damit ein weiteres Stöhnen. Gefühle sammeln sich in meinem Unterleib. Höchst vertrauter Druck baut sich auf. Werde langsam steif. Fühlt sich geil an. „Das wollte ich schon in der Sporthalle machen”, verrät Katie leise, „Als wir so eng geturnt haben. Das war erregend, dich dabei anzufassen, Chester.” Die Frau wirft Tracy einen auffordernden Blick zu. Diese nestelt daraufhin dreist am Knopf meiner Chinohose herum. Will mir den Reißverschluss öffnen.

Irgendwas stimmt nicht. Schlagartig fühle ich mich alarmiert. „Ey, Moment mal... wartet mal kurz...”, keuche ich konfus. Meine innere Stimme spricht verstärkt Warnungen aus. Mein schockierter Verstand klingelt die Sirene. Ein entschieden zu großer Teil von mir scheut abrupt das unkalkulierbare Risiko. Panisch setze ich mich auf. Ziehe schützend die Füße heran. Greife hastig nach Kaitleens Hand zwischen meinen Beinen. Tracys frechen Fingern an meiner Hose. Muss beide Gefahren dringend abwehren. Zum Glück verstehen die Mädchen mich. Lassen mich ohne Widerstand los. Lachend nehmen sie ihre vorwitzigen Gliedmaßen von meinem Körper. Kaitleen und Tracy sitzen rechts und links neben mir auf der Wiese. Betrachten mich unverändert interessiert. Bin erleichtert. Weiß nicht, was mit mir los ist. Was um mich herum passiert. Das muss am fehlenden Alkohol liegen. Verwirrt schaue ich die beiden jungen Frauen an. Diese Menschen sind mir gänzlich fremd. Kenne sie erst seit einem Tag. Flüchtig. Habe nicht den Hauch einer Ahnung davon, was ihre wahre Motivation für dieses seltsame Spiel im Verborgenen ist. Bin mir plötzlich nicht mehr sicher, ob ich es überhaupt mit ihnen spielen will. Verdammte Scheiße nochmal! Wilder Chazy Chaz ist definitiv stocknüchtern. Ich erkenne mich selbst nicht mehr. Meine eigene Panik ist mir fremd. So etwas ist mir noch nie passiert. Zu Hause wäre mir mit Sicherheit scheißegal, ob ich die Chicks kenne, mit denen ich wo auch immer rummache, denke ich frustriert. Besoffener, zugeknallter Bennington würde es einfach genießen. Aber hier ist alles anders. An diesem Ort fühle ich mich nicht sicher. Alarmierend angreifbar. Mein Geist muss all diese Eindrücke und Gefahren vollkommen unbetäubt ertragen. Das ist verdammt ungewohnt für mich.

Nervös wandert mein Blick von den Mädchen weg über die kleine Lichtung. Es ist schön hier, zugegeben. Die Sonne spiegelt sich in dem kleinen See. Die Wiese, auf der wir sitzen, ist saftig und grün. Vögel zwitschern in den hohen Bäumen. Ein scheinbares Idyll. Aber mir will nicht aus dem Kopf, dass ich mich mit den beiden Weibern in einer Grünanlage befinde, die Bestandteil der verfickten geschlossenen Psychiatrie ist. Dieser Scheiß macht mir zunehmend zu schaffen. Habe das bedrohliche Gefühl, dringend vorher etwas über die Chicks erfahren zu müssen. Bevor ich sie auf diese Art an mich heranlasse. Irgendwas. Um sie besser einschätzen zu können. Bevor sie mich womöglich überwältigen. Andererseits finde ich meine eigenen Überlegungen dermaßen idiotisch, dass sie mich stinksauer machen.

„Warum bist du hier, Kaitleen?” wende ich mich verzweifelt an die Blonde auf meiner linken Seite. Ihre Augen weiten sich erstaunt. Ich fürchte, ihr entgeht mein blöder Anfall von verwirrter Panik nicht. Das ist mir unangenehm. Vor den Weibern will ich auf keinen Fall schwach erscheinen. Kaitleen schaut mich aufmerksam an. Lächelt liebevoll. Hebt langsam ihre Hand. Streichelt vorsichtig über meine Wange. „Ich möchte lieb zu dir sein, Chester. Ehrlich. Ich bin hier, weil ich dir etwas Gutes tun will. Das ist der einzige Grund. Du kannst mir vertrauen”, flüstert sie sanft. Deutet auf ihre Freundin. Setzt hinzu: „Tracy ist aus dem gleichen Grund hier wie ich. Wir wollen dich beide nur beschenken. Wir wollen dich glücklich machen.” „Wir haben dich sehr gern, Chester Bennington”, wispert Tracy schüchtern an meiner rechten Seite. Ich schaue sie nicht an. Konzentriere mich ganz auf Kaitleen. Muss unbedingt wissen, ob das Mädel die Wahrheit sagt. Aber ziemlich schnell kapiere ich, dass die Mädchen mich kinderleicht anlügen können. Chester würde es nicht mal merken. Weil er seine Gespielinnen kein bisschen kennt. Das kotzt mich ganz schön an. Ungeduldig schüttele ich den Kopf. „Nein, ich meine doch, warum du hier in der Psychiatrie bist”, erkläre ich ein wenig zu schroff. Besorgt mustert Katie mein Gesicht. Registriert meinen verärgerten Tonfall. Versucht wohl zu erraten, was in meinem irren Schädel los ist. Da steht sie allerdings auf verlorenem Posten. Weil ich das selbst nicht weiß. Habe das Gefühl, jeden Moment durchzudrehen. Plötzlich sehne ich mich wie verrückt nach Mike Shinoda. Der Bärtige würde mich beruhigen. Mit ihm hätte ich diese nervigen Probleme nicht. Es gäbe keinerlei panische Bedenken. Ängstlicher Chester Bennington würde sich mit Mike Shinoda sicher und geborgen fühlen. Das weiß ich aus Erfahrung.

Eine Weile ist es bis auf das ständige Vogelgezwitscher ganz still. Während ich ungeduldig auf eine Antwort warte. Schließlich gibt Kaitleen sich einen spürbaren Ruck. Mutig schaut sie in meine Augen. „Das ist kein schönes Thema, Chester”, gibt sie zögernd zu bedenken. „Ist mir klar!” fauche ich sie an. Habe mich nicht gut im Griff. Es fällt mir schwer, meine aufkochende Wut zu kontrollieren. Das gefällt mir nicht. Ich will das nette Mädchen nicht anfauchen. „Ich leide an Anorexia nervosa”, vertraut Katie mir hastig an. „Das ist eine Essstörung. Man nennt es auch Magersucht”, schiebt sie sofort die Erklärung hinterher. Verunsichert schaut sie mich an. Ich sehe die Verletzlichkeit in ihren strahlend blauen Augen. Bin gerührt. Hebe instinktiv meine Hand. Streichele ihr sanft über die Wange. Wie sie es auch bei mir gemacht hat. „Geht es dir gut?” erkundige ich mich mitfühlend. Bin verwirrt. Finde nicht, dass Kaitleen besonders dünn aussieht. Im Gegenteil. Die Kleine hat eine total geile Figur. Mit allen Rundungen an den richtigen Stellen. Offensichtlich ist sie schon ziemlich lange hier. Was sie auch gleich bestätigt. „Ja, mir geht’s inzwischen wieder ganz gut, Chester. Die haben mir hier echt geholfen. Mein Gewicht ist zur Zeit stabil. Und ich lerne hier vernünftig zu essen”, erzählt sie mir vertrauensvoll. Plötzlich finde ich Kaitleen herzerweichend sympathisch. Ich kann nicht anders. Muss sie einfach küssen. Nähere mich ihr ganz langsam. Ihre blauen Augen weiten sich erwartungsvoll. Auf dem letzten Zentimeter kommt sie mir entgegen. Unsere Lippen treffen sich zögernd. Vorsichtig tasten wir uns aneinander. Unser Kuss ist zuerst behutsam. Aber schon bald will ich dringend in sie eintauchen. Klopfe mit meiner Zunge fragend gegen ihre roten Lippen. Sie erhört mich. Lässt mich zaghaft ein. Während ich Katie sanft mit meiner Zunge küsse, streichelt meine Hand über ihre Schulter. Über ihren nackten Hals und ihr Schlüsselbein. Sie küsst recht gut. Ihre Haut fühlt sich warm an. Ich bin heilfroh, dass das Mädchen mir diese Erklärung gegeben hat. Und keine andere. Auch wenn ich nicht weiß, ob sie die Wahrheit gesagt hat. Eine Anorexie erscheint mir weniger bedrohlich zu sein wie Schizophrenie oder so was. Weiß auch nicht. Kenne mich damit nicht aus. Psychische Erkrankungen haben mich schon immer verwirrt.

„Warum bist du denn hier, Chester?” höre ich Tracy schüchtern hinter mir. Zu meinem Bedauern löst ihre Freundin sich aufhorchend von mir. Guckt mich gespannt an. „Ja genau, was ist dein Grund, Herr Bennington?” hakt sie mega neugierig nach. Seufzend setze ich mich gerade hin. Vom harten Boden tut mein Hintern weh. Mein Steißbein bohrt sich in die Wiese. Strecke daher meine Beine aus. Werfe Tracy einen leicht genervten Blick zu. Weil sie mit ihrer Frage meinen vielversprechenden Kuss mit Kaitleen unterbrochen hat. Der war schön. Hat mir Lust auf mehr gemacht. „Verrate mir erst deine Ausrede, um hier zu sein”, fordere ich Tracy grinsend auf. Kann mir irritiert ansehen, wie sie zusammenzuckt. Unbehaglich meinem Blick ausweicht. Die rothaarige Frau will mir ihre Krankheit nicht offenbaren. Sie schweigt. Sieht mich nicht an. Nachdenklich betrachte ich ihr Gesicht. Tracy hat helle, reine Haut. Eine hübsche Nase. Rote Lippen. Diese Sommersprossen sind echt geil.

Eine Weile ist es still auf der versteckten Lichtung. Langsam dreht mein Kopf durch. Weil das Mädchen mir nicht antwortet. Womöglich ist sie eine total durchgeknallte Psychopathin, fürchte ich verstört. „Tracy hat versucht sich umzubringen”, durchbricht schließlich Kaitleen mit leiser Stimme die Stille. Meine Aufmerksamkeit wandert zum blonden California-Girl. „Verdammt, Katie! Halt die Klappe!” regt Tracy sich auf. Schlägt an mir vorbei nach ihrer Freundin. Es ist ihr peinlich. Tracy wollte nicht, dass ich von ihrem Selbstmordversuch erfahre. Das rührt mich so stark, dass mir ganz heiß wird. Blitzartig wird mir klar, dass diese beiden Mädchen mich genauso wenig kennen wie ich sie. Die wissen eigentlich gar nichts über mich. Diese Erkenntnis beruhigt mich seltsamerweise. Keine Ahnung, wie so etwas funktioniert. Oder warum das in einem abläuft. Es sind nur Gefühle, die ich habe. Spontan. Verwirrte Gedanken. „Wie hat sie es versucht?” frage ich Katie interessiert. „Hör auf! Sei still!” warnt Tracy unglücklich. „Sie hat Tabletten genommen”, verrät mir ihre Freundin trotzdem. Hebt ratlos die Schultern. Lächelt verhalten. Das ist schon okay, denke ich besänftigt. Gedanken an Selbstmord sind mir nun wirklich nicht fremd. Damit fühle ich mich eigenartig vertraut.

Vorsichtig drehe ich mich zu Tracy hin. Fühle mich zufrieden. Finde das Mädchen hübsch. Meine Hand streichelt das unbekannte Gesicht. Fährt sanft durch feines, rotes Haar. „Und deine Begründung, Herr Bennington?” will Tracy schüchtern wissen. Offenbar hat sie nichts dagegen, dass ich sie anfasse. „Bin mit Gras erwischt worden”, gebe ich gleichgültig zu. „Was? So ein Schwachsinn!” kreischt sie abrupt. Die Selbstmörderin ist schlagartig aufgebracht. Sie ist verletzt. Weil sie davon ausgeht, dass ich sie anlüge. Die Kleine hat kein Selbstvertrauen. Ich muss mich um sie kümmern. „Nein, Tracy. Das ist die Wahrheit”, versichere ich ihr sanft. „Du kannst uns ja viel erzählen, Chester! Wegen Gras kommt man doch nicht in die Psychiatrie!” faucht sie ungläubig. Ihre dunkelblauen Augen glitzern feucht. Es rührt mich, dass Tracy vor lauter Frustration anfängt zu weinen. Sofort strecke ich die Hand nach ihr aus. Wische ihr zärtlich die Tränen von der Wange. Streichele über ihr hübsches Gesicht. „Ist doch egal, Tracy. Es ist doch nicht so schlimm, dass du versucht hast dich umzubringen. Das... habe ich auch schon versucht”, berichte ich ihr leise. Überrascht betrachtet sie mich. Scheint mir diesmal zu glauben. Ihre Augen werden größer. Sie schluchzt leise. Unterdrückt. „Ach, Chester...”, seufzt sie ratlos.

Spontan beuge ich mich zu ihr. Weil ich diesem süßen Mädel jetzt dringend näherkommen muss. Unsere gemeinsamen Erfahrungen mit Selbstmordversuchen verbinden uns. Auf eine sehr tröstliche Art. Lege meine Lippen sanft auf ihre. Tracy wehrt sich nicht. Spüre, wie ihre Arme mich scheu umschlingen. Küsse Tracy ganz vorsichtig. Sie öffnet ihre Lippen. Fleht förmlich um meine Zunge. Was ich nicht erwartet habe. Es verblüfft mich, wie gierig sie meinen Kuss entgegennimmt. Wie verschlingend ihre Zunge mit meiner spielt. Die schüchterne Tracy küsst mich, als hätte sie insgeheim schon die ganze Zeit darauf gewartet. Und doch ist sie vorsichtig genug, damit ich meine Brille nicht verliere. Vielleicht hat sie schon öfter einen Brillenträger geküsst. Streichele beruhigend über den Rücken und die Schultern des zärtlichen Mädchens. Mein Herz schlägt schneller. Sie fühlt sich gut an. Bekomme wirklich Lust. Auf mehr. Schließe genüsslich meine Augen. Versinke zunehmend in diesem Kuss mit Tracy. Spüre nebenbei überaus intensiv, wie eine Hand sich frech zwischen meine Oberschenkel mogelt. Schon wieder. Als wäre mein Schwanz ein Magnet. Bin nicht sicher, wessen Hand es ist. Kann auch gerade nicht hingucken. Meine Augen sind fest zu. Bin mit der Rothaarigen beschäftigt. Die unbekannte Hand findet zielstrebig meine Geschlechtsorgane. Drückt sie vorsichtig in der Chino. Massiert sie auf eine vertraute, energisch-gefühlvolle Weise. Das muss Kaitleen sein, vermute ich verdutzt. Die geile Schnecke kann ihre Finger nicht von meinem Schwanz fernhalten. Mein Weener zieht sie magisch an. Das amüsiert mich. Kenne das von den Frauen. Finde es zu geil, um mich zu beschweren.

Mein Arm tastet blind nach dem Mädchen auf meiner anderen Seite. Dem anderen Mädchen. Dem blonden aus Los Angeles. Beide Körper sind mir jetzt erstaunlich nah. Sie schmiegen sich an mich. Fühlen sich warm an. Tröstlich. Meine Hand streichelt über einen Busen, der wohl Katie gehört. Drücke angenehm weiches Fleisch. Das fährt mir sofort in den Unterleib hinein. Kaitleens Titten zu berühren ist definitiv erregend. Automatisch wird der Kuss mit Tracy stürmischer. Umfasse mit der rechten Hand ihren Hinterkopf. Um sie noch näher an mich heranzuziehen. Tauche meine Zunge tief in eine warme, nasse Mundhöhle hinein. Während meine linke Hand die Brüste von Kaitleen liebkost. Tracy erwidert meinen Kuss. Sie lässt sich gierig auf mich ein. Verschlingt mich. Ist gar nicht mehr scheuer als ihre Freundin. Das California-Girl öffnet mutig den Knopf meiner Chino. Zieht langsam den Reißverschluss herunter. Diesmal habe ich seltsamerweise so gar nichts dagegen einzuwenden. Kann das im Gegenteil kaum erwarten. Mein Herz hämmert los. Verblüfft schnappe ich nach Luft. Stöhne in Tracys Kuss hinein. Als ich die massierende Hand deutlicher an meinem Penis spüre. Direkt auf meiner Unterhose. Meine Zunge flattert fahriger in Tracys süßem Mund. Kaitleen bewegt sich. Das Mädchen beugt sich hinab. Zielstrebig. Sodass meine Hand von ihrer Brust gleitet. Fühle stattdessen nur noch ihren Kopf. Fahre blind durch langes, weiches Haar über meinem Schoß. Die andere Hand streichelt Tracys Rücken. Die Selbstmörderin schmiegt sich an mich. Küsst mich voller Leidenschaft. Fährt behutsam mit ihren Händen an meinem Nacken entlang. Das verursacht mir eine Gänsehaut. Unbewusst lehne ich mich ein wenig zurück. Strecke instinktiv mein Becken vor. Damit Kaitleen noch besser an mich herankommt. Nehme meine Hand aus ihrem Haar. Um mich auf dem Boden abzustützen. Ich ahne, was das forsche Mädel vorhat. Angetan lege ich es darauf an. Sie genau dort zu spüren. An meiner intimsten Stelle. Alles in mir verlangt flehend danach. Gierig. Egoistisch.

Chester ist geil geworden. Das Blut fängt von alleine damit an, sich voreilig in meinem erwartungsfrohen Schwanz zu stauen. Ich werde größer und härter. Langsam. Das fühlt sich verflucht gut an. Auch wenn es ein bisschen peinlich ist. Tatsächlich schiebt das blonde Girl mir sorgfältig den Slip runter. Klemmt den Gummibund unter meine Eier. Behutsam befreit sie meinen wachsenden Freund aus seinem Unterhosen-Gefängnis. Beugt sich tief über ihn. Nimmt mich ohne zu zögern in den heißen, feuchten Mund auf. Katie ist extrem vorsichtig. Ich spüre das, ohne es zu sehen. Ihre warme Zunge fängt damit an, sanft über meine enorm empfindsame Eichel zu kreisen. Shit! Autonom klappen meine Augen auf. Ein Stöhnen entringt sich mir. Erschaudere am ganzen Körper. Schnappe aufgeregt nach Luft. Alarmiert. Kann nicht weiter küssen. Geht nicht. Keine Luft. Löse mich hilflos von den süßen Lippen der Rothaarigen. Starre Tracy mit offenem Mund an. Total schockiert. Tracy atmet schwer. Kichert nervös. Sie ist wirklich angetörnt. „Chester...”, flüstert sie verliebt. Es gefällt ihr sehr, mich leidenschaftlich zu küssen. Glaube ich. Ich find's auch toll. Die andere Frau lutscht meinen Schwanz. Und killt mich damit. Stöhne ziemlich laut auf. Kann nicht anders. Mein Herz schlägt so schnell. Ein geiler Schauer zuckt durch meinen gesamten Leib. „Wow, Katie...”, ächze ich vorwurfsvoll. Halte mich zitternd an Tracy fest. Glotze erstaunt auf meinen Unterleib runter. Will sehen, was da unerwartet Wohltuendes passiert. Das fremde Mädchen aus L.A. richtet sich auf. Guckt mich verlegen an. Sie ist verunsichert. Kaitleen hält meinen halbsteifen Penis in ihrer kleinen Hand. Streichelt ihn sehr zurückhaltend.

„Ist das okay für dich, Chester? Geht dir das zu schnell? Magst du das denn?” will sie schuldbewusst von mir wissen. Ratlos sehe ich sie an. Bin seltsam verwirrt. Weiß gar nicht mehr, was hier eigentlich geschieht. Wie ich in diese komische Lage gekommen bin. Mein Blick bewegt sich über die kleine Lichtung. Nach irgendwas suchend. Analysiere im Kopf hastig meine derzeitige Situation. Chester Bennington sitzt mit lang ausgestreckten Beinen zwischen zwei unbekannten Psychiatriepatientinnen. Auf einer Wiese. In einem Park. Beide Weiber wollen mir aus irgendeinem Grund etwas schenken. Mir angeblich was Gutes tun. Tracy küsst ganz ordentlich. Kaitleen hat anscheinend vor, mir einen zu blasen. Und verdammt, diese Aussicht reizt mich gerade enorm. Mir wird bewusst, dass ich schon relativ lange nicht mehr gekommen bin. Darauf habe ich jetzt bemerkenswert große Lust. Obwohl es im Moment auch irgendwie peinlich ist. So entblößt zu werden. Inmitten zwei hübscher Mädchen. Die ich nicht einzuschätzen weiß.

„Oho, wow, du bist ja richtig gut gebaut, Chester Bennington”, kichert Tracy schmeichelhaft beeindruckt. Ich registriere, dass beide Chicks neugierig und aufmerksam meinen Schwanz begutachten. Aufgeregt giggelnd schauen sie sich ihn genau an. Nervös ändere ich meine Sitzposition. Stütze mich mit den Händen auf der Wiese ab. Meine Finger bohren sich ins Gras. Muss mich zwingen, mir nicht instinktiv schützend die Hände in den Schritt zu pressen. Würde mich diesen äußerst privaten Einblicken der Fremden gerne entziehen. Meine Erektion wird prompt schwächer. Weil ich mich unwillkürlich schäme. Kaitleen gibt meinem schrumpfenden Penis einen zärtlichen Kuss. „Ja, der ist wunderschön”, findet sie. Küsst ihn gleich nochmal. Liebevoll. Schleckt zärtlich mit ihrer heißen, nassen Zunge drüber. Zum Glück habe ich gerade geduscht, fährt es mir verlegen durch den Sinn. „Du, Chester”, meint Kaitleen lächelnd und sieht mich an, „Wenn du etwas nicht willst, dann musst du uns das sagen, okay?” Das kluge Mädel zieht aus meiner körperlichen Reaktion wohl ihre logischen Rückschlüsse. „Nein, das ist gut”, schüttele ich peinlich berührt den Kopf, „Das fühlt sich geil an... Katie... ich... mag das gerne... echt...” Kann mir nicht vorstellen, dass es irgendwo auf der Welt einen Kerl gibt, der es nicht genießt, einen geblasen zu kriegen.

Ratlos blicke ich in Kaitleens junges Gesicht. Diese Kleine ist wirklich hübsch. Ihr langes, blondes Haar glänzt in der Sonne. Die hellblauen Augen strahlen. Bin verwirrt. Weiß gar nicht mehr, was ich jetzt machen soll. Was überhaupt von mir erwartet wird. Katies Lächeln wird strahlender. Sie ist erfreut. Die Frau fühlt sich bestätigt. Sofort verliert sie keine Zeit mehr. Beugt sich erneut tatendurstig über mich. Fasst ihn vorsichtig an und steckt ihn in den Mund. Kaitleen bläst mich verblüffend gefühlvoll. An meiner empfindsamsten Stelle spüre ich ihre berauschenden Künste überwältigend intensiv. Ihre weichen Lippen umschließen mich herrlich eng. Sanft leckt sie über meine Eichel. Ihre heiße Zunge fühlt sich auf meinem mit Nervenenden übersäten Fleisch ein bisschen rau an. Feucht. Das macht mich völlig verrückt. Ihre Hand knetet zärtlich meine Hoden. Die andere fährt fest an meinem Schwanz auf und ab. Alles zusammen ist der absolute Hauptgewinn. Davon werde ich enorm aufgegeilt. Unwillkürlich erschaudere ich gurrend. Stöhne ein weiteres Mal auf.

„Wir mögen dich total gerne, Chester!” versichert Tracy mir freundlich. Die Selbstmörderin mit den roten, langen Haaren schlingt ihre Arme aufs Neue um mich. Kommt selig lächelnd näher. Drückt ihre Lippen auf meine. Verwickelt mich in einen zweiten, sehr gefühlvollen Zungenkuss. Ergeben schließe ich die Augen. Nehme mir vor, die zweifellos verfickt geile Sache hier jetzt nur noch zu genießen. Diese rätselhaften Mädchen wollen mir was schenken. Und ich nehme ihr zärtliches Geschenk gerne an. Küsse Tracy mit wachsender Leidenschaft. Lege meine Arme um sie. Drücke den warmen Körper an mich. Das ist schön. Habe das vermisst. Zwischen meinen Beinen wächst es schnell. Werde richtig hart. Zwangsläufig. Die forsche Kaitleen leistet hervorragende Arbeit. Diese Frau legt sich gezielt ins Zeug. Scheint erfahren zu sein. Was erfolgreiche Blowjobs angeht. Verblüfft registriere ich, wie extrem stark meine Empfindungen werden. Meine Erregung steigert sich in rasender Geschwindigkeit. Die geile Lunte in meiner Wirbelsäule wurde angezündet. Das Feuer brennt sich an mir herunter. Unaufhaltsam. Das dauert nicht lange, wenn die Frau auf diese direkte Art weitermacht. Schlagartig ist mir das sonnenklar. Aber verdammt, es fühlt sich verflucht überwältigend an, was sie tut. Und natürlich macht sie genau so weiter.

Mein Herz fängt an zu hämmern. Das Atmen fällt schwerer. Unruhig rutsche ich auf der Wiese herum. Mein gieriger, ausgehungerter Unterleib drängt dem äußerst angenehm warmen, saugenden und leckenden Mund und den streichelnden Händen autonom entgegen. Mein Körper spannt sich. Zittert. Zuckt. Ich seufze immerzu. Stöhne. Ringe nach Luft. Bekomme Schwierigkeiten, mich konzentriert dem Kuss mit Tracy zu widmen. Sorge mich darum, die süße Rothaarige womöglich zu vernachlässigen. Aber Tracy scheint zum Glück kein Problem damit zu haben. Das ich abgelenkt werde. Der Mensch, der sich schon mal umbringen wollte, nimmt mich zunehmend in Beschlag. Ihr runder, weicher Körper klebt an meinem. Sie reibt sich förmlich an mir. Umarmt mich dabei. Streichelt mich überall. Küsst trotz der kratzigen Stoppeln pausenlos mein Gesicht. Ich frage mich, ob die koketten Mädchen diese Arbeitsteilung wohl vorher abgesprochen haben. Vielleicht kann Kaitleen besser blasen und Tracy besser knutschen. Der Gedanke bringt mich zum Lachen. Bin total atemlos. Ächze zufrieden. Verdutzt wird mir klar, dass ich mich im Moment wahrhaftig wohlfühle. Diese lieben Hühner behandeln mich mit zärtlich-liebevoller Freundlichkeit. Sie mögen mich auch körperlich. Das tut mir erstaunlich gut.

Fast unbemerkt drängt Tracy mich zurück. Lehnt sich verstärkt gegen mich. Bis ich keine andere Wahl mehr habe, als mich auf den Rücken zu legen. Plötzlich liege ich im Gras. Genau das wollte die Kleine zweifellos erreichen. Hilflos klappen meine Augen auf. Bin vage alarmiert. Weil ich halt einer gegen zwei bin. Will mich nicht ausgeliefert fühlen. Und doch bin ich es. Ohne Frage. Und zwar mehr, als ich wahrhaben möchte. Stelle fest, dass das auf dem Rücken liegen recht bequem ist. Tracy legt sich hastig dicht neben mich. Auf die Wiese. Schmiegt ihren weichen Körper direkt an meinen. Lächelt mich verschwörerisch an. „Du bist wunderschön, Chester”, schmeichelt sie mir leise, „Ich habe noch nie einen Mann wie dich getroffen.” „Du auch... Tracy...”, keuche ich. Ziemlich schnell knöpft das Weib mir mein blaues Hemd auf. Zieht das Unterhemd hoch. Streichelt meine nackte Brust. Knuddelt sanft meine Nippel. Hingerissen stöhne ich auf. Laut. Hemmungslos. Das Feuer brennt jetzt verdammt heiß in mir. Kann das nicht lange aushalten. Drücke den fremden Körper zärtlichkeitsbedürftig an mich. Genieße die Wärme und Sanftheit ihrer Nähe. Tracy findet konsequent meinen Mund. Legt ihre roten Lippen auf meine. Tastet mit ihrer neugierigen Zunge zwischen meine Lippen. Wollüstig öffne ich mich. Küsse sie stöhnend. Mit erstaunlicher Sanftheit erforscht sie nochmal das Innere meiner Mundhöhle. Ihre harte, heiße Zunge tastet sich zart über meine Lippen. Liebkost meine Zähne. Umspielt meine Zunge mit einer nassen Zärtlichkeit, die mir sämtliche Härchen aufstellt. Ihre Zunge streichelt mich. Ihre Finger liebkosen meine Brust. Meinen Bauch. Mein Herz bumpert wie verrückt. Die Gefühle, die mir geschenkt werden, überwältigen mich. Rauben mir die Kontrolle. Sodass ich wohlig aufstöhnen muss. Mein stetig aufgegeilter Leib windet sich ungesteuert auf der Wiese. Als verstärkt heiße Schauer meine Wirbelsäule hinab kriechen. Und pausenlos in meinem Schwanz explodieren.

Vollständig berauscht spüre ich nur noch, dass Mike mich lutscht, bläst, knabbert, streichelt, wichst, was auch immer. Der Besondere ist nah bei mir. Endlich ist er da. So lange habe ich mich nach ihm gesehnt. Nach dem hier. Mit ihm. Michael. Mike. Shi-no-da. Sehe sein liebes, rundes Gesicht. Den flauschigen, dichten Bart. Sein toll stacheliges, schwarzes Haar. Die süß abstehenden Ohren. Die leuchtend braunen Halbasiatenaugen. Seine roten, erregend vollen Lippen. Schließen sich um mich. Lange halte ich nicht mehr durch. Das ist mal sicher. „Okay... Oooh...”, ächze ich verwirrt. Stöhne endgültig übermannt. Mein angespannter Körper zuckt in gieriger Euphorie. Weiß nicht mehr, was um mich herum passiert. Oder wo ich mich gerade befinde. Spielt auch keine Rolle. Die heftige Geilheit fokussiert sich in meinen inzwischen fast schmerzhaft harten Weichteilen. In rasender Geschwindigkeit. Ich bin fast soweit. Faszinierender Druck baut sich in meinen Lendenwirbeln auf. Kurz vor der Explosion steigert sich meine sexuelle Erregung auf eine Art, die wahrscheinlich sphärischen Ursprungs ist. Mich restlos übermannt. Kann es nicht zurückhalten. Keine Chance. Killt mich. Macht mich alle. Komplett. Weiß nicht, wo das herkommt. Oder was es bedeutet. Ist mir auch egal. „Mmm... Aaaah...”, kommt ziemlich laut aus meiner Kehle. Oder irgendwas anderes. Keine Ahnung. Ich werde ganz steif. Meine Muskeln erstarren. Meine Beine strecken sich. Bis meine Knochen knacken. Mein Körper macht sich lang. Ganz von alleine. Detoniere. Entlade die gewaltig aufgestaute Energie in mehreren heftigen Stößen. Eruptiv schießt es eigenständig aus mir heraus. Das warme Zeug platscht mir auf den Bauch. Auf den Unterleib.

„Ey! Verdammt!” flucht eine weibliche Stimme. „Chester!” beschwert sich jemand vorwurfsvoll. Höre die Stimmen aber nur im Unterbewusstsein. Kriege einfach nicht viel mit, wenn ich gerade ejakuliere. Bin auf meine eigenen Gefühle beschränkt. Geht gar nicht anders. Die sind nämlich verflucht überwältigend endgeil. Genieße jede einzelne der viel zu wenigen Sekunden. Die Ekstase ist im Endeffekt nur ein Augenblick. Danach fühle ich mich angenehm entspannt. Langsam verklingt die körperliche Euphorie. Bebe leicht nach. Die Verspannung lockert sich. Sanftes Wohlbefinden macht sich breit. Eine entspannte Müdigkeit durchdringt mich. Liege im weichen Gras. Stelle mir vor, wie Mikey mich ansieht. Auf diese eine, ganz besondere Art. Die ich wie verrückt an ihm liebe. Von der ich nicht genug kriegen kann. Mikes wunderschönes Gesicht drückt dann diese sonderbare Faszination aus. Er scheint gefesselt von mir. Fast ungläubig. Manchmal, wenn er denkt, ich würde es nicht merken, schaut Mike mich an, als wäre ich das Allerschönste, was er auf der ganzen Welt je gesehen hat. Dieser seltene Blick aus großen, staunenden Augen macht mich wertvoll. Das fühlt sich so ungewohnt an. So gut. Bisweilen gibt der Patient Shinoda mir das absolut berauschende Gefühl, als hätte ich tatsächlich irgendeinen Wert für ihn. Das ist schön. Zu gerne werde ich von Mikey auf diese eine Art angeschaut. Zufrieden breitet sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus. Behaglich. Es ist bequem hier. Ich bin müde. Am liebsten würde ich jetzt einschlafen. Und von Mike Shinoda träumen.

„Weißt du, Chester, du hättest mich ja wenigstens vorher warnen können”, nörgelt Kaitleen anklagend. Ihre Stimme dringt unangenehm schrill in meinen wundervollen Tagtraum ein. Mir wird bewusst, dass ich nicht allein bin. Obwohl ich in meiner Nähe seltsamerweise niemanden mehr fühle. War da nicht gerade noch ein warmer Körper? Nah an meiner Seite? Schlagartig erinnere ich mich an meine zwei Begleiterinnen. Und daran, was gerade zwischen uns passiert ist. Chester war wohl irgendwie kurz weggetreten. Jetzt hat das Weib ihn mit ihrem Gemecker unsanft zurück in die Realität befördert. Nur ungern öffne ich meine Augen. Zögernd. Glotze sofort in Kaitleens und Tracys hübsche Gesichter hinein. Beide Mädchen haben sich aufgerichtet. Sitzen noch immer neben mir auf der Wiese. Berühren mich aber nicht mehr. Beobachten mich nur eingehend. „Das ging ja überraschend schnell, hör mal. Du hattest es wohl bitter nötig, was, Herr Bennington?” bemerkt Tracy unüberhörbar belustigt. Die beiden Chicks fangen an zu kichern. Hastig rücke ich meine verschobene Brille auf den richtigen Platz. Schaue alarmiert an mir herunter. Stütze meinen Oberkörper auf meinen Ellenbogen. Damit ich besser hinsehen kann.

Erst jetzt registriere ich das Taschentuch. Mit dem Katie sich die Hände abwischt. „Warum hast du denn nichts gesagt, Chester? Du hättest mich vorwarnen müssen, das du schon soweit bist. Dann hätte ich besser...”, seufzt sie entschuldigend. „Fuck!” entfährt es mir entsetzt. Als ich das scheiß Sperma auf mir entdecke. Meine Klamotten haben von meinem heftigen Orgasmus wahrhaftig was abgekriegt. Unabsichtlich. Mein Blick schnellt aufgescheucht zu Kaitleen. „Weißt du, Katie, ich hatte da gerade irgendwie was anderes im Kopf, als dich vorzuwarnen. Ich bin doch tatsächlich davon ausgegangen, dass du wüsstest, was passiert, wenn du mir einen bläst.” Meine Stimme ist aufgebracht. Habe mich nicht gut im Griff. Böse funkele ich das dumme Mädchen an. Traurig erwidert sie meinen vernichtenden Blick. „Natürlich wusste ich, was passiert”, erwidert sie hörbar beleidigt, „Ich habe nur nicht so schnell damit gerechnet.” „Ja, Chaz, das kam wirklich überraschend. Kaitleen hat sich total erschreckt”, schaltet Tracy sich ein. Lächelt mich besänftigend an. Streichelt beruhigend über meine Brust.

Im Moment kann ich diese Berührung allerdings nicht ertragen. Außerdem will ich auf keinen Fall noch länger von den Hühnern begutachtet werden. Hektisch stemme ich mich aus der Rückenlage hoch. Sodass Tracys Hand von meiner Brust gleitet. Setze mich auf. Ziehe beschämt die schwarze Unterhose über mein noch immer entblößtes Paket. Ärgere mich über das weiße Sperma in meinem Schamhaar. An meinem Bauch. Auf meiner Chino. Frage mich angepisst, warum das blöde Weib nicht einfach geschluckt hat. Bin deswegen dämlich gekränkt. „Sorry, Katie, ich wollte dich ehrlich nicht erschrecken”, sage ich nur ein bisschen ironisch, „Aber das ist es nun mal, was du mit dem Blasen bei mir auslöst. Ich kann das nicht... verhindern.” Kaitleen lächelt gerührt. „Hat es dir gefallen?” will sie wissen. Ihre blauen Augen betrachten mich liebevoll. „Das war schön, nicht wahr?” fragt auch Tracy neugierig. Ratlos schaue ich von einem Mädchen zum anderen. Die zwei sind nett. Irgendwie kann ich ihnen gar nicht mehr böse sein. „Ja, das war geil”, gebe ich seufzend zu. Alles andere wäre nämlich gelogen. Ich kann den Frauen ansehen, wie sehr meine Anerkennung sie freut. Fühle mich plötzlich verlegen. Weil ich von uns dreien der einzige bin, der gerade einen Orgasmus hatte. „Und was ist mit euch?” erkundige ich mich schüchtern. Ziehe den Reißverschluss meiner Chino hoch. Mache den Knopf zu. „Was meinst du damit, was mit uns ist?” erwidert Kaitleen verwirrt. Sieht mich fragend an. Diese Situation ist mir peinlich. „Ich dachte... ihr wollt vielleicht auch...”, stammele ich echt idiotisch. Weiche ihrem verständnislosen Blick aus. Meine Augen sehen den kleinen Teich am Rande der Lichtung. Ich muss das Sperma dringend abwaschen, bevor es getrocknet ist, fällt mir siedend heiß ein. Die Hühner gackern schon wieder. Das geht mir auf die Nerven.

Darum stehe ich kurzerhand auf. Laufe über die Wiese zum See hin. Das Ufer ist flach und sandig. Das Wasser schlägt seichte Wellen. Keine Ahnung, wie ich mich hier waschen soll. Ärgere mich, dass ich kein Taschentuch oder so was dabei habe. Dass ich daran nicht schon eher gedacht habe. Dass so etwas passieren kann. Wenn man abspritzt. Hocke mich so gut es geht in die Nähe des Wassers. Mache meine Hose wieder auf. Schöpfe kaltes Nass in der hohlen Hand. Versuche, mich irgendwie damit zu säubern. Meinen bespritzten Körper. Auch meine Klamotten. Klappt nicht gut. Und ist bitterkalt. „Das ist wirklich süß von dir, dass du an uns denkst, Chesterlein”, spricht mich plötzlich Kaitleen von der Seite an. Erschrocken sehe ich sie an. Es ist mir ziemlich peinlich, dass die Frau mir so nah beim intimen Waschen zusieht. Trotzdem mache ich damit weiter. Spüle mein Schamhaar. Meinen Unterbauch. Meinen Sack. Die Hosen. Mit eiskaltem Wasser. Will das lästige, klebrige Zeug dringend loswerden. „Aber hier ging es gerade nur um dich, Chester. Mach dir um Tracy und mich keine Sorgen, okay?” Kaitleen streichelt liebevoll durch mein Haar. Das eisige Wasser friert mir beinahe den Schwanz und die Eier ab. Darum ächze ich unbehaglich. Beiße die Zähne zusammen. „Eigentlich wollte ich deinen Erguss mit meinem Taschentuch auffangen”, flüstert das blonde Mädchen lächelnd, „Aber dann bist du schon so schnell gekommen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich habe zu spät reagiert. Tut mir leid, Chester.” Mann, das will ich jetzt wirklich nicht nochmal hören. Wie überraschend schnell ich gekommen bin. Das ist echt peinlich. Würde Kaitleen gerne Vorwürfe machen. Weil sie meinen Saft nicht einfach geschluckt hat. Verkneife mir das aber. Schließlich hat die Süße mir gerade einen geilen Abgang geschenkt. „Leihst du mir dein Taschentuch?” frage ich sie stattdessen. Sie nickt. Kramt ihr Taschentuch nochmal hervor. Reicht es mir. Ich stehe auf. Will mich mit dem kleinen Tuch abtrocknen. Bemerke, dass der Stofffetzen voller Sperma ist. Kann ich nichts mit anfangen. Würde wohl alles nur noch schlimmer machen. Seufzend schließe ich meine Hose. Gebe der blonden Katie ihr vollgewichstes Taschentuch zurück. Sie steckt es in ihre Shorts. Küsse sie in einer plötzlichen Intension auf den blonden Kopf.

„Los doch jetzt! Kommt schon her, Leute! Wir müssen uns beeilen!” ruft Tracy nervös von der Wiese. Mir fällt auf, dass das sommersprossige Girl unruhig herumläuft. Fragend schaue ich Kaitleen an. „Habt ihr es eilig, Tracy und du?” „Wir müssen jetzt unbedingt rasend schnell zum Mittagessen gehen, Chester. Es ist nämlich eigentlich verboten, sich außerhalb der bewilligten Zeiten im Park aufzuhalten”, erklärt sie mir drängend. Auch Kaitleen aus Los Angeles hat plötzlich keine Zeit mehr. Hastig schlingt sie mir ihren Arm um die Hüfte. Eng. Läuft energisch los. Ich habe keine Wahl, als neben ihr her zu stolpern. Tracy kommt ungefragt an meine andere Seite. Schlingt mir ebenfalls den Arm um die Taille. Beide Frauen halten mich fest. Treiben mich damit rigoros vorwärts. Das gefällt mir nicht. Ich will mich nicht beeilen müssen. Ich habe es nicht eilig, zurück in die geschlossene Abteilung zu gehen. Hier draußen zu sein ist schön. Die beiden Mädchen sind nett zu mir. Die warme, frische Sommerluft fühlt sich angenehm an. Ein Hauch von Freiheit. Eine Illusion. Viel lieber würde ich mich noch länger in diesem Park aufhalten. Aber die Patientinnen scheinen auf einmal irgendwas zu fürchten. Sie haben ein schlechtes Gewissen. Weil sie sich unerlaubt herumgetrieben haben. Weil wir drei gerade so was ähnliches wie Sex hatten. Vermute ich mal. Überstürzt nötigen sie mich mit ihren weichen Körpern dem großen Psychiatriegebäude entgegen. Fast möchte ich lachen. Weil es doch schließlich ihre Idee gewesen ist, mir vor dem Mittagessen noch eben schnell einen zu blasen. Das war schön. Hat sich gut angefühlt. Dankbar lege ich den zwei Frauen je einen Arm um die schmalen Schultern.

Kaitleen und Tracy kennen sich auf dem Gelände hervorragend aus. Darum erreichen wir die große Eingangstür viel zu schnell. Die Frauen lassen mich los. Also ziehe ich meine Arme ein. Tracy drückt hektisch auf den Klingelknopf. Während wir auf Einlass warten, schmiegt Kaitleen sich nochmal an mich. „Du darfst darüber nichts verraten, Chester. Auch nicht deinem Psychologen. Das wird hier echt nicht gern gesehen”, flüstert sie verschwörerisch. Verdreht genervt die Augen. Verblüfft betrachte ich sie. „Was meinst du?” frage ich verwirrt. Bin mit meinen Gedanken ganz woanders. Denke zuverlässig an Mike Shinoda. Ertappe mich bei der extrem freudigen Erwartung, den Bartträger gleich im Speisesaal anzutreffen. Will ihn dringend fragen, warum er nach der Bewegungstherapie nicht auf mich gewartet hat. Spöttisch stößt Kaitleen Luft aus. Durchbohrt mich gespielt vorwurfsvoll mit ihren strahlend blauen Augen. „Na, du bist ja witzig, Herr Bennington. Hast du etwa schon vergessen, was wir drei gerade im Park getrieben haben? Tracy hat dich ziemlich leidenschaftlich geküsst. Ich habe dir einen geblasen. Erinnerst du dich daran?” wispert sie. Küsst mich grinsend auf die Wange. Klimpert aufreizend mit den Lidern. Bevor mir eine Antwort einfällt, setzt sie selig lächelnd hinzu: „Das war voll geil mit dir, Chester. Ich liebe deinen Schwanz. Der ist so schön handlich. Passt haargenau in meinen Mund hinein, dein schnuckeliges Teil. Der ist wie für mich gemacht. Das müssen wir bald mal wiederholen. Was meinst du dazu?” Sehnsüchtig, begeistert schmachtet sie mich an. Ich verstehe das seltsame Weib nicht. Ihr Enthusiasmus scheint mir suspekt. Angesichts der Tatsache, dass sie höchstwahrscheinlich keinen Orgasmus erreicht hat. Bezweifele sogar, dass Kaitleen sonderlich sexuell erregt gewesen ist. Mit mir im Park. Beim Blasen meines Schwanzes.

Plötzlich geht die Eingangstür weit auf. Wird abrupt von innen aufgestoßen. Wir erschrecken uns alle. Darum muss ich dem sonderbaren Mädchen zum Glück nicht antworten. Hastig tritt Kaitleen einen Schritt zurück. Von einer Sekunde zur nächsten ist sie um räumlichen Abstand zu mir bemüht. „Da seid ihr ja endlich! Kommt sofort rein!” faucht eine mir unbekannte Frau uns unfreundlich an. Hintereinander betreten Tracy, Kaitleen und ich die geschlossene Abteilung. Jedes Mal ist es extrem frustrierend für mich. Das scheiß Geräusch. Wenn die verdammte Tür hinter mir ins Schloss fällt. Wenn sie sofort hörbar fest einrastet. Und sich nicht mehr öffnen lässt. Aufs Neue bin ich gegen meinen Willen eingesperrt. Das ist nur schwer zu ertragen. „Da seid ihr drei ja endlich!” wiederholt die seltsam aufgeregte Krankenschwester. Die uns geöffnet hat. „Ihr seid schon vermisst worden. Euer kleiner, nicht genehmigter Ausflug hat Aufsehen erregt. Bleibt jetzt bitte erst mal hier stehen. Jemand muss dringend mit euch reden!” befielt sie uns streng. Guckt Tracy, Kaitleen und mich der Reihe nach prüfend an. Als wollte sie sichergehen, dass jeder von uns sie auch richtig verstanden hat. Was ja nun wirklich nicht sehr schwierig ist. Die aufgebrachte Krankenschwester bemerkt, dass wir artig genau das tun, was sie von uns verlangt hat. Schwungvoll dreht sie sich herum. Hastet eiligen Schrittes den Flur entlang. Verschwindet am Ende hinter einer Ecke. Verdutzt schaue ich ihr hinterher. Habe keinen Schimmer, was die Aufregung bedeutet.

„Verdammter Mist!” flucht Tracy verzweifelt, „Wir hätten uns mehr beeilen müssen! Wir hätten das am besten gar nicht riskieren dürfen!” „Ach, komm. Wird schon nicht so schlimm werden”, versucht Kaitleen ihre Freundin zu trösten. Stellt sich dicht neben sie. Streichelt beruhigend über ihren Arm. Meine Augen wenden sich verwirrt den zwei Frauen zu. Die plötzlich panische Nervosität der netten Mädchen ist mir ein Rätsel. Ich meine, was befürchten sie denn nur, was jetzt wohl Schlimmes geschehen könnte? Haben sie vielleicht Angst, dass sie aus der geschlossenen Psychiatrie hinausgeworfen werden? Darüber muss ich lauthals lachen. Warum um alles in der Welt sollte jemand das fürchten? Das wäre ja wohl das Beste, was einem an diesem Ort überhaupt passieren kann! Mein amüsiertes Lachen irritiert die beiden Mädels total. „Das ist nicht lustig, Herr Bennington!” knurrt Tracy verständnislos, „Da gibt es nichts zu Lachen. Nicht im Geringsten. Wir können nämlich richtig großen Stress kriegen.” Ihre blauen Augen taxieren mich verärgert. „Solche Verstöße gegen die Regeln werden ziemlich streng untersucht, Chester. Du darfst uns bitte auf gar keinen Fall verraten. Erzähle niemandem etwas. Wer weiß, was die sonst mit uns vorhaben”, macht Kaitleen sich völlig hirnrissige Gedanken. Das hübsche Gesicht der blonden Kalifornierin fleht mich an, bloß nichts über ihren geilen Blowjob auszuplaudern. Alles, was ich tue, ist, noch lauter zu lachen. Kann irgendwie nicht anders. Finde die Panik der Hühner total lächerlich. Die tun ja ernsthaft so, als würden wir gleich alle drei den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Das ist echt lustig. Ich kapiere nicht, warum die komischen Weiber sich dieses erotische Abenteuer mit mir überhaupt ausgedacht haben. Wenn sie doch die Konsequenzen so sehr fürchten.

Mein Lachen stirbt allerdings. Als nach kurzer Zeit plötzlich Pfleger Ulrich am Ende des Ganges auftaucht. Ausgerechnet. Energisch eilt er direkt auf mich zu. Ullis schwer enttäuschter Gesichtsausdruck verheißt nichts Gutes. Abwartend sehe ich ihm entgegen. „Chester Bennington! Das geht nicht! So läuft das hier nicht!” fährt er mich schon von Weitem wütend an. Viel zu schnell bleibt der Pfleger nah vor mir stehen. Begutachtet mich kopfschüttelnd. Von oben bis unten. Fixiert misstrauisch die dunklen Wasserflecken auf meiner hellen Kleidung. Mir ist nur allzu bewusst, dass ich aussehe, als hätte ich angezogen im See gebadet. Oder mir zumindest gerade in die Hose gepinkelt. Das ist schon für sich allein unangenehm genug. Ulrichs missbilligender Blick nervt mich extrem. Seufzend holt er tief Luft. „Das geht so nicht, Chester Bennnington”, wiederholt er mühsam beherrscht, „Du darfst nicht jede kleine Freiheit, die man dir gewährt, dermaßen eigensinnig ausnutzen. Es gibt hier Regeln, an die du dich bitte auch zu halten hast. Du kennst unsere Hausordnung und die Therapievorschriften sehr genau, mein Freund. Die habe ich dir gestern haarklein erklärt.” Vorwurfsvoll sieht Ulli mich an. Wartet spürbar ungeduldig auf meine Entschuldigung. Mir ist überhaupt nicht klar, wovon der Mann eigentlich redet. „Von welcher Freiheit sprichst du denn?” erkundige ich mich verständnislos. Theatralisch verdreht der ganz in weiß gekleidete Pfleger seine Augen. Das ärgert mich. Gibt mir das Gefühl, dass Ulrich mich für saudumm hält. Mein Herz schlägt härter. Spüre nervös, dass es wahrscheinlich nicht mehr allzu lange dauert. Bis ich richtig wütend werde. Meine Muskeln spannen sich an. Kampfbereit.

„Erzähl mir doch bitte mal, was du nach der Bewegungstherapie getrieben hast. Du durftest allein von der Turnhalle zum Mittagessen gehen. Das habe ich dir bewusst erlaubt, Chester. Eigentlich hätte ich dich nämlich vor der Halle abholen müssen. Ich habe darauf vertraut, dass du geradewegs zum Essen kommst. Aber der Herr hat es vorgezogen zu verschwinden”, labert Ulli mich voll. Sein Blick streift argwöhnisch die beiden Mädchen an meiner Seite. „Was habt ihr drei gemeinsam im Park gemacht? Die Wahrheit bitte!” fordert er unser intimes Geständnis. Kaitleen und Tracy scheinen neben mir zu schrumpfen. Sie antworten nicht. Betretenes Schweigen. Wenn die Situation nicht so beschissen wäre, könnte ich schon wieder lauthals lachen. Aber jetzt ist mir nicht mehr danach. Finde Ulrichs Strafpredigt einfach nur bescheuert. Schließlich sind wir hier alle erwachsen. Und längst keine hormongetriebenen Teenager mehr. Seufzend hole ich Luft. Lasse Ulrich nicht aus den Augen. Lächele ihn besänftigend an. Zwinge mich dazu, meine Wut im Zaum zu halten. „Hör mal, Ulli. Warum regst du dich eigentlich so auf? Es ist doch gar nichts passiert. Orlando und Madison haben mich nach der Therapie aufgehalten. Die wollten noch was mit mir besprechen. Danach bin ich sofort hergekommen. Katie und Tracy habe ich erst eben vor der Eingangstür getroffen”, gebe ich freundlich meine verlangte Erklärung ab. Ulrich schließt für einen Moment resigniert die Augen. Atmet tief ein und aus. Auch dieser Mann muss seine wütende Aggression mühsam kontrollieren. Das entlockt mir ein amüsiertes Grinsen.

Im nächsten Moment sieht Ulli mich wieder an. Vorwurfsvoll. „Ich habe mit Madison gesprochen, Chester. Sie und Orlando haben dich schon vor einer dreiviertel Stunde aus der Therapie entlassen”, seufzt er müde. Offensichtlich glaubt der Kerl mir kein Wort. „Ja, genau”, erwidere ich ungerührt, „Und dann musste ich auch noch duschen und mich umziehen. Du kannst mir vorwerfen, dass ich mich nicht beeilt habe, Ulli. Aber mehr Straftaten habe ich nicht begangen.” Der Blick meines Pflegers ruht jetzt nachdenklich auf mir. Innerlich brüllend, angesichts dieser Ungerechtigkeit, halte ich ihm stand. Bin mir keiner Schuld bewusst. Lasse mir aber nicht anmerken, wie sehr der aufdringliche Typ mich nervt. Pfleger Ulrich hält mich unnötig auf. Und ich will jetzt nicht mehr aufgehalten werden. Nicht dämliche Fragen beantworten müssen. Ich möchte so schnell wie möglich in den Speisesaal. Zu Mike. Sofort. Ganz nahe. Der extrem attraktive Bartträger fehlt mir.

„Was ist mit deiner Kleidung passiert, Chester? Warum bist du so nass und schmutzig?” fragt Ulrich leise. Studiert nochmal argwöhnisch meine Erscheinung. „Bin hingefallen”, erkläre ich gelangweilt, „In eine Pfütze.” Fast muss Ulli spontan lachen. Verkneift es sich aber im letzten Moment. „Und wo ist bitteschön die Tasche mit deiner Sportkleidung?” Spöttisch fixiert er mein Gesicht. Alarmiert starre ich ihn an. Schlagartig fällt mir auf, dass ich die Tasche tatsächlich nicht mehr bei mir trage. Habe die Sportklamotten irgendwo liegen lassen. Ich vermute, dass es auf dieser Lichtung im Park war. Oder habe ich sie schon in der Turnhalle vergessen? Ich weiß es nicht. Erinnere mich nicht. Interessiert mich auch ehrlich nicht die Bohne. „Tut mir leid, Ulli. Ich muss die Tasche irgendwo verloren haben”, zucke ich entschuldigend mit den Schultern. Jetzt platzt das Lachen doch aus ihm heraus. Pleger Ulrich kann es nicht länger zurückhalten. Sein meckerndes Lachen klingt allerdings höchst verzweifelt. „Verdammt, Chester Bennington”, flucht er für seine Position überraschend inbrünstig, „Da vertraue ich dir einmal etwas an! Aber du gehst dermaßen sorglos mit Allem um, dass du die Sachen sofort verlierst! Der gnädige Herr nimmt wohl überhaupt nichts ernst, was?” Hektisch schüttelt Ulli den Kopf. „Das geht so nicht, Bennington! Du sollst dich nicht mit deinen Mitpatientinnen einlassen. Erst gestern haben wir dir genau erklärt, warum du hier bist. Du kennst deine Aufgabe in der Psychiatrie. Du weißt ganz genau, dass enge Verbindungen zwischen den Patienten aus gutem Grund streng verboten sind!” Sein Blick fleht mich an, mich doch bitte endlich zusammenzureißen. „Ich habe keine engen Verbindungen”, erwidere ich leicht ungehalten. Langsam geht der Pfleger mir echt total auf den Sack.

Ulli seufzt nochmal frustriert auf. Starrt mich noch eine Weile fassungslos an. Das ist ziemlich ätzend. Gestresst weiche ich seinem bohrenden Blick aus. Schaue ungeduldig den Flur entlang. Ich muss mich zwingen, hier vor dem Weißgekleideten stehen zu bleiben. Würde am liebsten einfach weggehen. Augenblicklich. Zu Mike Shinoda rennen. In den Speisesaal stürmen. Den schwarzen Stachelkopf zärtlich in meine Arme schließen. Ihn vor allen Idioten leidenschaftlich auf den süßen Mund küssen. Mikey würde mir wahrscheinlich schockiert den Kopf abreißen. Der Gedanke bringt mich zum Schmunzeln. „Und was sagt ihr dazu?” wendet Pfleger Ulrich sich schließlich an Kaitleen und Tracy. Die beiden Mädels zucken zusammen. „Wir sind noch durch den Park spaziert. Es ist so, wie Chester sagt. An der Eingangstür haben wir uns zufällig getroffen”, erklärt Kaitleen ihm mühevoll lächelnd. Ulli seufzt laut. Ratlos. Der Mann ist sichtbar mit seinem Latein am Ende. „Leute, hört mir mal zu! Ihr wisst doch ganz genau, wie das hier läuft. Ihr dürft euch nicht einfach irgendwo verkriechen, um wer weiß was zu treiben. Das ist nicht der Sinn eurer Therapie. Lasst den Quatsch doch einfach mal sein. Das bringt euch doch gar nichts. Hinterher ist das Gejammer nämlich oft sehr groß. Verdammt, ihr habt doch hier noch nicht mal Verhütungsmittel zur Hand! Das ist doch viel zu gefährlich!” bricht es verständnislos aus ihm heraus. Verblüfft kichernd sehe ich ihn an. Mein persönlicher Pfleger grinst nicht mal ansatzweise. Ulli meint das todernst. Das mit den Verhütungsmitteln. Tief atmet er durch. „Also gut, ihr drei. Ihr könnt davon ausgehen, dass für jeden von euch sämtliche Parkspaziergänge in nächster Zeit gestrichen sind”, teilt er uns streng mit. Die drei unartigen, sexbesessenen Patienten nicken mehr oder weniger gleichgültig.

„Ulli, hör mal, ich hab jetzt ehrlich einen Riesenhunger. Ich möchte jetzt unbedingt etwas essen”, bemerke ich grinsend. Gucke ihn vielsagend an. Weil der Typ doch erst gestern so erstaunlich viel wert darauf gelegt hat, dass ich in der geschlossenen Psychiatrie gefälligst etwas esse. Hat mich sogar beim Essen beaufsichtigt, der Knallkopf. „Euch ist wohl klar, das ein detaillierter Bericht über diesen unerlaubten Vorfall an eure Psychologen und Betreuer geht. Das Thema ist also noch lange nicht vom Tisch”, muss der eifrige Pfleger uns auch noch wissen lassen. Keiner von uns reagiert sonderlich auf diese Information. Zögernd macht Ulli eine auffordernde Geste. Den Flur entlang. Der in Richtung Speisesaal führt. Glaube ich. „Na gut, ihr drei. Dann haut schon ab zum Mittagessen”, erlaubt er uns hörbar verärgert, „Ihr habt dafür ohnehin nur noch fünfzehn Minuten Zeit.” Wahrscheinlich kotzt es ihn an, dass er aus Kaitleen, Tracy und mir eigentlich gar nichts herausbekommen hat. Ich finde, dass er dafür schlicht nicht hartnäckig genug war. Bin aber heilfroh darüber, endlich von dem Typen wegzukommen. Möchte jetzt auf der Stelle zu Mike gehen. Sehne mich schon viel zu lange nach dem knuffigen Halbjapaner.

Augenblicklich mache ich mich auf den Weg in die Richtung, in der ich Mike vermute. Laufe schnell. Lasse meinen besorgten Pfleger einfach stehen. „Hey, Chester, warte auf uns!” ruft Kaitleen. Im nächsten Moment sind die beiden anhänglichen Mädchen wieder rechts und links an meiner Seite. „Das hast du toll gemacht, Schatz”, flüstert Katie zufrieden. Lächelt mich verliebt an. „Ja, du bist fantastisch. Ich fand das sehr anregend mit dir, Chester. Das war phänomenal. Noch niemand hat mich so geküsst wie du”, schwärmt Tracy. Küsst mich flüchtig, dankbar auf die Wange. Finde die beiden Mädels noch immer sehr nett. Ihre Verliebtheit schmeichelt mir. Verdanke ihnen einen unbestreitbar geilen Orgasmus. Darum lege ich meine Arme um ihre Schultern. Grinse so vor mich hin. Freue mich auf Mike Shinoda. Während wir über den leeren Flur gemeinsam Richtung Mittagessen laufen.

8. Can not express


Michael Kenji Shinoda

Je länger ich auf Chester warten muss, umso klarer wird mir, dass ich einen großen Fehler gemacht habe. Nach der Bewegungstherapie hätte ich lieber mit ihm zusammen zum Mittagessen laufen sollen. Dann wäre er nämlich jetzt hier. Bei mir. Stattdessen bin ich aber ohne ihn abgehauen. Habe Chester Bennington allein in der Turnhalle zurückgelassen. Und jetzt fürchte ich, dass er vielleicht gar nicht mehr kommt.

Ruhelos sitze ich an meinem Fenstertisch im Speisesaal. Fixiere unglücklich die verdammte Flügeltür. Sie bewegt sich andauernd, schwingt hin und her, aber es kommt niemand mehr herein. Die anderen Patienten gehen nur alle hinaus. Sie verlassen das Esszimmer, die meisten in kleinen Gruppen. Weil sie mit ihrem Mittagessen längst fertig sind. Genau wie ich. Habe alles aufgegessen, aber nichts genossen. Denn diesmal war es wohl das mit Abstand unangenehmste Essen, was ich jemals an diesem Ort zu mir nehmen musste. Nicht eine Minute lang hatte ich meine Ruhe. Weil ich pausenlos von irgendwelchen fremden Menschen belästigt wurde, mit denen ich definitiv nichts zu tun haben will. Aber das hat die gar nicht interessiert, ob ich beim Essen lieber ungestört bin. Die haben sich frech an meinen Tisch gesetzt. Mich voller schadenfroher Neugierde angestarrt. Und mich mit ihren unverschämten Fragen durchlöchert. „Sag mal, Mike, kennst du diesen komischen Neuen näher, diesen Mann aus Phoenix mit dem seltenen Namen?” „Was wollte der denn gerade von dir?” „Es sieht aus, als würdet ihr euch schon ewig kennen!” „Was ist das für ein Kerl, der Neue?” „Stimmt es, dass der zwangsweise hier eingeliefert wurde?” „Hat der wirklich in der Therapie für euch gesungen?” „Kann der echt so gut singen?” „Was weißt du über Chester Bennington?” „Kennst du den schon lange?” „Bis du eng mit dem befreundet?” „Weißt du, warum Chester hier ist?” „Ist es wahr, dass Chester total durchgeknallt ist?” Bla Bla Bla.

Es scheint so, als wäre ausnahmslos jeder Patient, der heute bei der Bewegungstherapie dabei war, plötzlich in heller Aufregung. Und alle, die nicht dabei waren, müssen natürlich unbedingt sofort wissen, was denn da vorhin in der Turnhalle Weltbewegendes passiert ist. Was der denn bloß Seltsames getan hat. Der geheimnisvolle Neue. Aus Phoenix, Arizona. Der angeblich so gut singen kann. Auf einmal scheint sich die ganze Psychiatrie für Chester Bennington zu interessieren. Seine fraglos besondere Faszination hat die Menschen total aufgescheucht. Nur weil er für uns gesungen hat. Einmal. Sie haben nur ein einziges Lied von ihm gehört. Und schon geht Chaz ihnen nicht mehr aus dem Kopf. Das macht mich wütend, obwohl ich es tief drinnen verstehen kann. Weil es ja bei mir ganz genauso gewesen ist, als ich Chester zum ersten Mal singen gehört habe. Aber ich will nicht, dass die fremden, kranken Menschen sich mit ihrer Wissbegier dermaßen auf meinen Mann stürzen. Ich will den Engel nicht mit der ganzen scheiß Psychiatrie teilen müssen. Das macht mich verdammt eifersüchtig. Weil dieser Mann nur mir allein gehört. Mir. Allein. Niemand anderem. Chazy Chaz wurde nur für mich hierher geschickt. Ich habe ihn als erster entdeckt. Wie ein Blitz schlug er in mich ein. Aus heiterem Himmel. Dieser Mann ist es, der mir überraschend gut tut. Und mich weiterbringt. Alles ist viel besser geworden, seit Chester hier ist. Zweifellos sehr viel schwieriger. Aber auch besser. Mike ist endlich aufgewacht. Bin lebendig geworden. Ich brauche ihn so sehr.

Es gefällt mir nicht, dass die anderen mich offenbar mit Chester in Verbindung bringen, nur weil wir in der Turnhalle miteinander gesprochen haben. Es kotzt mich an, dass diese Idioten ihre blöden Fragen nicht direkt an Chester richten. Wenn sie etwas über diesen Mann wissen wollen, dann sollen sie gefälligst auch ihn danach fragen. Und nicht mich. Ich habe doch gar nichts damit zu tun! Verdammt! Es war mehr als mühsam und lästig, die ständig gleichen Fragen abzuschmettern. Den irre nach Skandalen gierenden, fast gänzlich unbekannten Gesichtern immer wieder zu versichern, dass ich überhaupt nichts über Chester Bennington weiß. Weil ich dem neuen Patienten doch schließlich auch erst vor zwei Tagen zum ersten Mal begegnet bin. Ich habe das beunruhigende Gefühl, dass die meisten Patienten mir das nicht geglaubt haben. Es scheint, als würden sie davon ausgehen, dass Chester und ich schon ewig lange die besten Freunde sind. Und möglicherweise sogar mehr als nur Freunde. Das gefällt mir nicht. Ich will nicht, dass über Chester und mich getratscht und spekuliert wird. Und ich will bestimmt nicht von fremden Leuten angesprochen werden. Schon gar nicht beim Essen.

Zum Glück hat sich die Aufregung inzwischen gelegt. Endlich haben sie kapiert, dass sie von Mike nichts über Chester erfahren werden. Die meisten Patienten haben den Speisesaal längst verlassen. Nur ich sitze noch immer hier herum, gemeinsam mit höchstens zehn Nachzüglern, die besonders lange oder die Hilfe des Personals zum Essen brauchen. Beachte sie nicht. Mein Blick fixiert die Eingangstür. Warte auf ihn. Hoffe flehend, dass er endlich hereinkommt. Meine Gedanken kleben an der verfluchten Bewegungstherapie. Bei dem, was ich in der Turnhalle viel zu lange mitansehen musste. Fühle noch immer die schmerzenden Stiche aus Eifersucht. Bin noch immer wütend. Der Sänger hatte enorm viel Spaß, als er zusammen mit Kaitleen und Tracy die Yogaübungen mitgeturnt hat. Pausenlos haben die drei sich gegenseitig an intimen Stellen angefasst und sich dabei totgelacht. Von meinem Platz ganz hinten in der Gruppe konnte ich ihr kindisches Spiel hervorragend beobachten. Ich verstehe nicht, warum Chester sich überhaupt mit den blöden Weibern abgegeben hat. Warum zur Hölle er seine Turnmatte so nah neben die von Kaitleen und Tracy gelegt hat. Die beiden Hühner sind doch total nervig, albern und aufdringlich. Es tut mir weh, dass Chester den verfluchten Mädchen erlaubt hat, ihn derartig intim zu berühren. Jeder hat doch mitgekriegt, was die drei da in Wahrheit getrieben haben. Auch Orlando und Madison konnten das gar nicht übersehen. Niemand hat das überhört. Darum hat es mich auch nicht gewundert, dass sie Chester nach dem Ende der Therapie mit strenger Stimme zu sich beordert haben. Bestimmt haben sie ihm ordentlich die Meinung gesagt. Denn er hat die ganze Zeit nur lauten Blödsinn gemacht und damit die Konzentration der anderen Patienten auf die Yogaübungen nahezu unmöglich gemacht. Ich war echt froh, als ich endlich aus der Turnhalle raus war.

Genau genommen habe ich ja im Umkleideraum sogar noch auf ihn gewartet. Irgendwie. Zumindest so lange, bis die anderen Männer endlich mit dem Umziehen und Duschen fertig waren. Schon in der Umkleide fingen einige damit an mich zu belästigen, indem sie mich hartnäckig nach Chester fragten. So schlimm wie beim Mittagessen war es aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ich konnte ihre Neugier ziemlich schnell abschmettern. Möchte mal wissen, was die doofen Kerle an meinem Chaz überhaupt interessiert. Die spinnen doch, die Wichser! Ich wünschte, sie würden mich alle in Ruhe lassen! Erst als endlich alle gegangen waren und ich die Umkleide für mich allein hatte, habe ich mich langsam umgezogen. Habe kurz überlegt, ob ich noch länger auf Chester warten soll. Aber ich war zu wütend, konnte ihn irgendwie nicht ertragen. Nicht so schnell wieder. Nachdem, was er in der Halle vor aller Augen mit den Weibern abgezogen hatte. Also bin ich gegangen. Ich denke, ich wollte Chester wohl damit bestrafen. Sollte er doch sehen, wie er ohne mich klarkommt. Vielleicht würde er allein nicht mal den Weg zurück zum Psychiatriegebäude finden, dachte ich mit grimmiger Genugtuung. Schließlich kennt der Neue sich kein bisschen hier aus. Aber jetzt weiß ich, dass das ein schwerer Fehler von mir war. Ich hätte ohne ihn nicht gehen dürfen. Hätte auf jeden Fall auf Chester warten müssen. Denn jetzt weiß ich schon wieder nicht, was passiert ist. Wo er ist. Warum es so entsetzlich lange dauert, bis er zum Mittagessen kommt. Frage mich besorgt, ob er sich womöglich tatsächlich im Park verlaufen hat. Mache mir Vorwürfe. Habe deswegen ein verdammt schlechtes Gewissen.

Meine Selbstgeißelung explodiert jedoch abrupt in einem lauten Feuerball, als plötzlich doch noch die Eingangstür aufgeht und Chester hereinkommt. Weil meine Augen sowieso pausenlos angespannt an der Flügeltür hängen, sehe ich ihn augenblicklich. Mike kriegt alles genau mit. Chester kommt entgegen meiner Erwartung nicht allein zum Mittagessen. Ziemlich nah rechts und links von ihm befinden sich Kaitleen und Tracy. Eindeutig in seiner Begleitung. Die Hühner schmiegen sich an meinen Mann. Halten seine schlanke Taille umschlungen. Chester bewegt sich genau in der Mitte der beiden. Wie ein verdammter Weiberheld hat er beide Arme um schmale Mädchenschultern gelegt. Chester Bennington lacht und amüsiert sich noch immer mit den verfluchten Groupies. Schlagartig verkrampfen sich meine Eingeweide in einem schmerzhaften Knoten. Ich weiß nicht, warum ich spontan so entsetzt bin. Eigentlich hätte ich mir so einen Mist doch denken können. Schließlich ist Chester Bennington aus Phoenix, Arizona ja spätestens seit seinem Auftritt ein großer Star, dem die Mädchen nur so zu Füßen liegen. Seit er in der Turnhalle gesungen hat, gibt es in der ganzen scheiß Psychiatrie anscheinend kein anderes Gesprächsthema mehr. Ist doch klar, dass er das Interesse für sich ausnutzt. Wahrscheinlich hat das alles gar nichts zu bedeuten.

Trotzdem bin ich tödlich verletzt. Der Anblick, wie mein Chester noch immer mit diesen Weibern flirtet, tut mir dermaßen weh, dass ich leise stöhnend meinen Blick abwenden muss. Kann mir das keine Sekunde länger ansehen. Jetzt bereue ich es total, dass ich hier im Speiseraum auf Chaz gewartet habe. Sehnsüchtig. Wie ein liebeskranker Volltrottel. Ich wünschte, ich wäre nach dem Essen aufgestanden und gegangen, wie all die anderen. Möchte jetzt viel lieber allein in meinem Zimmer sein. Unbedingt. Ich will mit diesem Scheiß nicht konfrontiert werden. Weiß nicht, warum der Besondere mir so etwas antut. Verstehe ihn nicht. Nach all dem, was wir schon gemeinsam erlebt haben. Wie unglaublich nahe wir uns schon waren. Ich dachte wirklich, es hätte ihm auch irgendwas bedeutet. Dachte, dass ich ihm etwas bedeute. Aber da habe ich mich wohl geirrt. Offensichtlich. Chester hat mich eiskalt angelogen. Dieser Kerl braucht mich nicht die Bohne.

Krampfhaft starre ich aus dem Fenster auf den Garten. Kann aber nicht wirklich was sehen. Vor meinen Augen flimmert es. Alles verschwimmt. Ich bin damit beschäftigt, nicht in Tränen auszubrechen. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Mühsam kämpfe ich mit der riesigen Enttäuschung. Versuche, den heftigen Schmerz des Verrats zu verarbeiten. Gelingt mir aber nicht besonders gut. Höre Kaitleen und Tracy giggeln und möchte mir am liebsten die Ohren zuhalten. Oder den Weibern den Hals umdrehen. Ich wünschte, ich wäre unsichtbar und niemand könnte mich sehen. Will nicht von Chester gesehen werden. Nicht jetzt. Vielleicht sollte ich einfach verschwinden.

Aber der verfluchte Gigolo hat mich längst entdeckt. „Hey, Mikey, da bist du ja!” ruft der besondere Sänger fröhlich. Schockiert fahre ich zu ihm herum. Der gut gelaunte Mann setzt sich ungefragt zu mir an den Tisch. Auf den Holzstuhl direkt neben meinem. Sieht mich mit leuchtenden Augen erfreut an. Er ist aufgeregt. Sein hübsches Gesicht und sein liebevoller Blick fesseln mich. Unwillkürlich. Aber ich kann seine wundervoll tiefgründigen Augen jetzt nicht ertragen. Verstehe nicht, warum Chester so enorm zufrieden aussieht. So befriedigt. Wie der Typ überhaupt glücklich sein kann, wenn meine Welt doch durch seine Schuld in Trümmern liegt. Das kränkt mich total. Ertrage das nicht. Panisch suchen meine Augen ein anderes Ziel, irren hastig an seinem Kopf entlang. Seine brünetten Dreadlocks sind klatschnass. Das Wasser tropft auf sein längst durchnässtes, blaues Hemd. Er trägt es weit offen. Irritiert starre ich auf sein weißes Unterhemd. Die Unterwäsche sieht auch nass aus. Ich kann seine harten Nippel unter der dünnen Baumwolle ahnen. Erinnere mich prompt an das Gefühl seiner kleinen Brustwarzen an meinen Fingern. Registriere, dass sogar auf Chesters hellgrauer Chinohose dunkle Wasserflecken sind. Genau in Höhe seines Schritts. Seine Hose ist schmutzig. Sieht wie Erde aus. Mein Herz stolpert verstört. Kann nicht richtig atmen.

Hektisch hebe ich meinen Blick, drehe mich von ihm weg und schaue aus dem Fenster. Fixiere irgendeinen Punkt da draußen. Ohne etwas zu sehen. Spüre viel zu deutlich seine unmittelbare Anwesenheit. Kann den fremden Patienten nicht länger angucken. Habe das Gefühl, jeden Moment sehr laut schreien zu müssen. Möchte ihn liebend gerne anschreien. „Warum hast du denn nicht auf mich gewartet?” fragt er schüchtern, „Ich habe dich im Umkleideraum total vermisst.” Seine zärtlichen Worte mogeln sich tief in meine gekränkte Seele. Kann nicht fassen, was ich da höre. Verstehe es auch nicht. Weiß nicht, was es bedeutet. Chesters wundervolle Stimme vibriert angenehm in meinen zornig verkrampften Eingeweiden. Legt sich automatisch wie ein heilender Balsam über meine inneren Wunden. Es dauert eine Weile, bis ich ihm antworten kann. „Naja, ich wusste ja nicht, wie lange die dich da noch aufhalten...”, krächze ich erbärmlich, ohne ihn ansehen zu können, „Und ich hatte Hunger, darum...” Räuspere mich. Bin tierisch aufgewühlt. Mein Hals ist zu eng zum Sprechen. Für einen Moment schließe ich die Augen und atme tief durch. Gebe mir einen Ruck. Nervös drehe ich mich wieder um und schaue an seinem hübschen Gesicht vorbei. Sehe, dass Kaitleen und Tracy an den Rollwagen stehen und sich ihr Mittagessen heraussuchen. Chester tut das nicht. Der Typ hat sich nicht mal sein Tablett geholt. Offenbar will er schon wieder nichts essen, was mir Sorgen bereitet. Andererseits ist es mir scheißegal, beschließe ich grimmig. Soll er doch von mir aus verhungern. Mike Shinoda ist verwirrt. Weiß nicht, wie ich mich jetzt ihm gegenüber verhalten soll. Spüre das drängende Bedürfnis, Chester Bennington so richtig zur Sau zu machen. Möchte den zauberhaften Mann brüllend in Grund und Boden stampfen. Frage mich jedoch verunsichert, ob es mir überhaupt zusteht, dem Sänger aus Phoenix wegen der verfluchten Weiber irgendwelche Vorwürfe zu machen.

In diesem Moment beugt der irritierend durchnässte Engel sich lächelnd an mein Ohr. Legt mir vertraulich seinen Arm um die Schultern. Augenblicklich werde ich stocksteif, weil ich nicht will, dass er mich hier so anfasst. Wo jeder es sehen kann. Panisch huscht mein Blick durch den großen Speisesaal. Außer den beiden Weibern sind nur noch wenige Patienten und Pflegekräfte anwesend. Alle halten sich zum Glück ziemlich weit entfernt von uns auf. Trotzdem könnten sie auf dumme Gedanken kommen, wenn sie Chester und mich so vertraulich an unserem Tisch beobachten. Aber jeder scheint mit dem Mittagessen beschäftigt zu sein. Niemand schaut zu uns hin. Glaube ich. Kaitleen und ihre Freundin Tracy haben ihre scheiß Tabletts noch nicht gefunden. Die sind auch nur am Kichern, die blöden Chicks. Angewidert schaue ich woanders hin. Konzentriere mich innerlich auf meinen zauberhaften Mann, auch wenn ich ihn jetzt gerade nicht angucken kann. Weil ich so extrem sauer auf den verfluchten Typen bin. Mich so gekränkt und verarscht fühle. Mit seiner unmittelbaren Nähe, die ich viel zu intensiv spüre, killt Chester mich unweigerlich. Trotz all meiner Bedenken. Obwohl sein schlanker Körper sich nass und irgendwie kalt anfühlt, genieße ich seine Nähe unendlich. Automatisch.

Chesters wunderschönes Gesicht ist jetzt so dicht an meinem Kopf, dass ich seinen warmen Atem auf meiner Haut spüre. Der Mann atmet genau gegen die mega empfindliche Stelle direkt unter meinem Ohr. Sein Arm um meinen Schultern fühlt sich warm und schwer an. Ich spüre seine weichen Dreadlocks an meinem Hals. Eiskaltes Wasser tropft daraus. Unwillkürlich ziehe ich die Schultern hoch und erschaudere. „Du, Mikey, ich muss dir unbedingt was erzählen, das ist der Hammer”, kündigt er geheimnisvoll an. Chaz hat Mühe mit dem Weitersprechen, weil er nervös kichern muss. Ich bin nicht sicher, ob ich das, was er mir erzählen will, überhaupt wissen möchte. Eine dunkle Ahnung erfüllt mich, die mir unbehaglich die Härchen im Nacken aufstellt. Oder vielleicht ist das auch nur wegen dem kalten Wasser aus seinen Dreads. „Du kennst doch Kaitleen...”, wispert Chaz viel zu dicht an meinem Ohr. Plötzlich wünsche ich mir dringend, er würde sofort die Klappe halten und mich stattdessen lieber aufs Ohr küssen. Mir seine warme Zunge tief in den Gehörgang schieben. Irgend so was. Hauptsache, Chester spricht nicht weiter.

Tut er aber doch. Seine wundervollen Lippen sind so nah an meinem Kopf, dass mir trotz des tropfenden Wassers heiß wird. Ich wundere mich, warum die eiskalten Wassertropfen nicht laut zischend kondensieren, wenn sie auf meine glühende Haut treffen. Mein Herz pocht wie verrückt. Eine aufreibende Mischung aus Entsetzen, Liebe, Erregung, Wut, Widerwillen und Nervosität erfüllt mich. Bin nicht sicher, ob ich nicht jeden Moment ohnmächtig werde. Könnte schon passieren. Chester holt tief Luft. „Stell dir vor, Mike, diese blonde Schnecke hat mir doch gerade wahrhaftig einen geblasen!” flüstert der Kerl direkt in mein Ohr hinein. Im nächsten Moment stöhnt er theatralisch auf und schüttelt sich. Chester zieht seinen Arm von meinen Schultern und lehnt sich auf dem weißen Holzstuhl zurück. Frivol grinsend sitzt der junge Mann neben mir, schneidet zweideutige Grimassen und wartet neugierig auf meine Reaktion. Er ist wohl davon ausgegangen, dass er mich mit seiner Behauptung so richtig schockieren kann. Seine glänzenden Augen erforschen amüsiert mein Gesicht, wandern langsam von meinen Augen zu meinen Lippen und wieder zurück.

Mike Shinoda ist aber gar nicht so überrascht, wie Chester Bennington es offenbar erwartet. Wäre in meiner Lage und an diesem Ort wahrscheinlich normal, überrascht zu sein. Oder entgeistert. Aber ich habe den gut aussehenden Sänger mit Kaitleen und Tracy in der Turnhalle gesehen. Viel zu lange und intensiv habe ich sein unmögliches Treiben beobachtet. Konnte irgendwie nicht anders. Und was da angeblich zwischen Chaz und Katie passiert sein soll, das ist ja lediglich die logische Konsequenz daraus, was schon in der Sporthalle anfing. Ihre albernen Yogafummeleien waren eindeutig ein geiles Vorspiel. Das habe ich doch sofort kapiert. Und jetzt haben sie eben tatsächlich ernst gemacht. Chester aus Arizona und Kaitleen aus Kalifornien. Die Frau hat seinen Schwanz gelutscht. Na und? Tief drinnen habe ich das wohl schon lange geahnt. Schon während der Bewegungstherapie lief es darauf hinaus. Kann sein, dass ich auch deswegen so extrem angepisst war. Bin.

Jedenfalls glaube ich ihm jedes Wort. Mein erster Impuls ist, Chester Bennington eine schallende Ohrfeige zu verpassen. Weil er es völlig bedenkenlos zugelassen hat, dass diese fremde Frau ihn auf so eine höchst intime Art berührt. Weil er mich mit diesem Weib eindeutig betrogen hat. Und weil ihm das nicht das Geringste auszumachen scheint. Im Gegenteil. Er sieht aus wie ein arroganter Kerl, der eine überraschend geile Sache erlebt hat und sogar irgendwie stolz darauf ist. Ich fasse es nicht, dass Bennington mir das antut. Dass er so gedankenlos ist. Total ignorant. Und mir dann auch noch völlig harmlos davon erzählt. Es macht mich verrückt, dass der Typ mich jetzt ansieht, als müsste ich ihn dafür beglückwünschen. Als müsste Mike irgendwie davon beeindruckt sein, dass die doofe Schnepfe seinen Mann geblasen hat. Hätte Chaz diesen Scheiß nicht wenigstens für sich behalten können? Was erwartet der Arsch denn jetzt von mir? Ich hätte definitiv in der Halle auf ihn warten müssen, denke ich angefressen, dann hätte Kaitleen ihn sich erst gar nicht auf dem Rückweg schnappen können. Der Dummkopf ist wahrscheinlich freudestrahlend in ihre schlüpfrige Falle gegangen.

Ratlos sehe ich ihn an. Sein feines Gesicht ist wunderschön. Die nassen Dreadlocks kleben an seiner Stirn. Seine braunen Augen hinter der Brille leuchten aufgekratzt. Offensichtlich ist der Mann vor Kurzem tatsächlich befriedigt worden. Schön für ihn. Aber ich weiß ehrlich nicht, wie ich jetzt auf sein Geständnis reagieren soll. Am liebsten möchte ich ihn schlagen. Oft. Feste. Mein Herz zerbricht fast von innen meinen Brustkorb, so hart schlägt es. So wütend bin ich. So verletzt hat er mich. Und gleichzeitig bin ich tieftraurig. Weil Chester das alles ganz anders beurteilt als ich. Weil er es nicht so schlimm findet, sich von irgendeinem fremden Mädchen einen blasen zu lassen. Obwohl er doch mir gehört. Irgendwie. Dachte ich zumindest. Ich dachte, dass Chester und mich etwas verbindet, das wichtiger ist als so was. Ziemlich naiv habe ich geglaubt, dass Bennington solche sexuellen Abenteuer nicht braucht. Weil er doch mich hat. Aber so ist das gar nicht. Schon in der Turnhalle habe ich das gemerkt. Für ihn ist es kein Problem, sich woanders seine Befriedigung zu holen. Obwohl er mir damit das Herz bricht. Den fremden Typen interessiert das gar nicht, wie es mir dabei geht. Sonst hätte er mir bestimmt nichts davon erzählt.

Je länger das angespannte Schweigen zwischen uns anhält, umso blöder wird es. Stocksteif sitze ich auf meinem harten Holzstuhl. Mein Verstand kämpft gegen meine heftigen Gefühle. Während ich krampfhaft versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Das Chaos in meinem Kopf macht mich komplett ratlos. Chester spürt ziemlich schnell, dass etwas nicht stimmt. Dieser seltsame Mann kann mir offenbar ansehen, wie verwirrt und getroffen ich bin. Wie wütend. Obwohl ich keinen Ton sage. Ihn nur schweigend mustere. Auch diesmal ist der Besondere rührend aufmerksam. Sein dreckiges Grinsen stirbt langsam und macht einer hilflosen Besorgnis platz. „Mike?” fragt er verunsichert. Chester hat keine Ahnung, was in mir vorgeht. Hat er denn wirklich erwartet, dass ich ihm für sein Schwanz hinhalten anerkennend auf die Schulter klopfe? Ihn zu seinem Fang beglückwünsche? Womöglich darum beneide? So von Kerl zu Kerl? Spinnt der vielleicht total? Ich bin fassungslos. Denn in Wahrheit möchte ich ihn kräftig ins wunderschöne Gesicht schlagen. Gegen die dünne Brust boxen, bis ihm die Luft wegbleibt. In die untreuen Weichteile hineintreten. Ihm mit einem Schlag die Rippen brechen. Brutal den wohlgeformten Hintern versohlen. Und gleichzeitig möchte ich ihn dringend küssen.

Chester öffnet zögernd den Mund, weil er irgendwas sagen will, als plötzlich Pfleger Patrick energisch an unseren Tisch tritt. „Holst du dir bitte auf der Stelle dein Mittagessen, Bennington?” wendet er sich ungeduldig an den Patienten neben mir, „Die Essenszeit ist gleich vorbei, du musst dich beeilen!” „Nö”, erwidert Chester abgelenkt, „Ich hab keinen Hunger.” Die konzentrierte Aufmerksamkeit des Sängers liegt auf mir. Scheu fragend studiert er mein Gesicht, als könnte er dort Antworten finden. Meine fehlende Reaktion auf das, was er mir gerade anvertraut hat, beunruhigt ihn zunehmend, scheint ihn richtig nervös zu machen. Vielleicht habe ich mit meinem eisigen Schweigen auch viel zu eindeutig reagiert. Kann schon sein. „Chester, das geht nicht!” meint Patrick ärgerlich, „Hol dir jetzt bitte dein Tablett! Du musst etwas essen! Es ist wichtig, dass du regelmäßig Vitamine und Mineralstoffe zu dir nimmst! Gerade in deiner gesundheitlichen Situation!” Die sanft befehlende Stimme des Pflegers duldet keinen Widerspruch. Chester verzieht gequält das Gesicht. Widerwillig dreht er sich auf seinem Stuhl zu Patrick um. „Wenn ich doch keinen Hunger hab...”, mault er genervt. Aber Patrick schüttelt den Kopf und deutet auffordernd auf die Rollwagen an der Seite des Speisesaals. „Beeil dich lieber, Bennington! Du hast sowieso nur noch ein paar Minuten Zeit!” Chester wirft mir einen gehetzten, unglücklichen Blick zu. Überraschend schnell beugt er sich nochmal dicht an mein Ohr, bevor ich erschrocken vor ihm zurückweichen kann. Seine plötzliche Nähe ist mir unangenehm, weil Pfleger Patrick uns misstrauisch beobachtet. „Hör mal, Mike, ich habe die ganze Zeit nur an dich gedacht, ehrlich!” flüstert Chester hörbar verzweifelt.

Im nächsten Moment ist er schon aufgestanden und bewegt sich langsam quer durch den Raum. An den leeren Tischen und Stühlen vorbei, schlängelt er sich zu den Rollwagen hin. Verblüfft schaue ich ihm nach. Mein Herz schlägt noch immer wütend. Bin nicht sicher, ob ich mich nicht gerade verhört habe. Kann dem sonderbaren Typen nur paralysiert hinterher starren. Chester bewegt sich erstaunlich anmutig. Der neue Patient ist so wahnsinnig attraktiv, dass ich schon wieder insgeheim ins Schwärmen gerate, wenn ich ihn nur ansehe. Könnte Chazy Chaz den ganzen Tag lang anschauen. Mike Shinoda wäre höchstwahrscheinlich glücklich damit. Mir fällt auf, dass seine hellgraue Chinohose auch hinten voller dunkler Flecken ist. Genau wie sein sichtbar durchnässtes Hemd. Wasser und Erde wahrscheinlich, vielleicht auch Gras. Unwillkürlich frage ich mich, warum und wo mein Mann so schmutzig geworden ist. Will mir gar nicht vorstellen, wie er sich mit Kaitleen in irgendwelchen Büschen im Park herumgedrückt hat, damit sie ihn möglichst ungestört in ihr großes Maul nehmen kann. Trotzdem habe ich genau diese Bilder vor Augen. Das macht mich total wütend. Geschockt muss ich einsehen, dass Chester Bennington mich mit so einem doofen Scheiß tödlich verletzen kann. Seine Untreue kränkt mich. Obwohl ich das wirklich nicht will. Fühle mich ihm emotional total ausgeliefert. Das gefällt mir nicht. Meine eigene Schwäche macht mich noch zorniger. Auf ihn. Auf mich selbst. Ich glaube ihm nicht, dass er ausgerechnet beim Sex mit dem Weib an mich gedacht haben will. Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Keine Ahnung, warum er mir so viel Mist erzählt. Vielleicht ist der Typ aus Phoenix, Arizona einfach nur verrückt. Ich kenne ihn zu wenig, um das mit Sicherheit ausschließen zu können. Zum Glück hat wenigstens der Pfleger sich entfernt. Patrick steht ein paar Tische weiter und beobachtet Chester aufmerksam. Natürlich muss der Weißgekleidete überprüfen, ob Chaz sich auch folgsam sein Mittagessen holt. Der gut aussehende Patient steht an den Rollwagen und sucht in all den überfüllten Schienen sein Tablett. Könnte ihm den ganzen Tag lang dabei zusehen. Wie konzentriert er sich die vielen Tabletts ansieht und die kleinen Namensschilder liest. Wie grazil er sich hinabbeugt, in die Knie geht, um sich gleich darauf wieder aufzurichten. Das erregt mich irgendwie.

Aber mein gebannter Blick wird abgelenkt. Entgeistert sehe ich, dass Kaitleen und Tracy geradewegs auf meinen Tisch zusteuern. Das kann doch nicht wahr sein, denke ich entsetzt, was wollen die blöden Schnecken von mir? Die Weiber sollen mich in Ruhe lassen, aber echt! Inzwischen habe ich wirklich genug Fragen über Chester nicht beantwortet! Viel zu schnell sind die beiden Mädchen am Fenster angekommen. Unaufgefordert setzen sie sich zu mir an den Tisch, was ich total dreist finde. Ausgerechnet Kaitleen lässt sich auch noch direkt neben mir auf den weißen Holzstuhl plumpsen, auf dem vor einer Minute noch Chester saß. Ihre Freundin Tracy nimmt ihr gegenüber Platz. Beide haben ihr Tablett mitgebracht und fangen unverzüglich an zu essen. Ich will die blonde Kalifornierin mit der großen Klappe nicht sehen. Konnte die fremde Olle noch nie leiden. Finde sie viel zu laut und albern. Aber jetzt, wo ich weiß, dass sie Chester nicht nur begrapscht, sondern sogar gelutscht hat, ist meine Abneigung gegen die Frau noch sehr viel gewaltiger geworden. Genau genommen hasse ich Katie total. Kann die echt nicht leiden. Nicht ohne Grund bin ich ihr bisher immer erfolgreich aus dem Weg gegangen.

Gestresst starre ich aus dem Fenster, damit ich die Kuh nicht angucken muss. Hoffe inständig, ihr durch meine ablehnende Körperhaltung deutlich genug zu demonstrieren, dass ich nicht mit ihr zu sprechen wünsche. Aber blöderweise kapiert das Huhn mich nicht, sondern beugt sich kichernd zu mir hin. „Hey, Mike!” grüßt sie mich freundlich, „Gut, dass ich dich hier treffe.” „Nein... mach das nicht... das ist doch gemein... hör auf, Katie...”, warnt Tracy spöttisch von gegenüber. Aber Kaitleen ist mit ihrem Gesicht schon viel zu dicht an meinem Ohr. In mir sträubt sich alles gegen diese schrecklich anbiedernde Frau. Am liebsten würde ich sie auf der Stelle heftig von mir wegschubsen. Aber ich schlage keine Mädchen. Nie. „Du, Mike, hör mal, du kennst doch Chester Bennington, den neuen Patienten, nicht wahr?” flüstert Kaitleen geheimnisvoll. Nicht schon wieder, denke ich erschlagen. Tracy, die anscheinend trotz der leisen Stimme ihrer Freundin jedes Wort verstanden hat, verdreht geringschätzig die Augen. „Selbstverständlich kennt Mike Chester! Den Sänger aus Phoenix kennt ja wohl inzwischen jeder! So eine doofe Frage, Kaitleen!” Die Blonde lässt sich von diesem vorwurfsvollen Einwurf nicht beirren. Mein Herz schlägt hart. Ich bin widerwillig und zornig. Ich will diesem Mädchen nicht so nah sein. Will gar nicht hören, was sie mir viel zu vertraulich ins Ohr flüstert. Will keine Fragen mehr nicht beantworten. Schon gar nicht über Chaz. Automatisch suchen meine Augen den großen, hellen Saal nach meinem Mann ab. Entdecken ihn noch immer an den Wagen stehend. Anscheinend findet der Patient sein Tablett nicht. Oder er tut extra so, als könnte er sein Mittagessen nicht finden. Einfach deshalb, weil er nichts essen will. So einen Quatsch würde ich ihm zutrauen. Als ob Patrick ihm das jemals durchgehen lassen würde. Sogar auf diese Entfernung ist Bennington ein faszinierender Anblick. Obwohl seine mittlerweile schon zu lange pausenlos getragene Kleidung nass und schmutzig aussieht. Aber der Stoff liegt eng an seinem formvollendeten Körper. Und er trägt sein Hemd offen. Das zieht mich magisch an. Ich möchte hingehen und ihn umarmen. Seine weiche, warme Haut streicheln. Seine schmalen Lippen küssen. Oder dem Arsch eine reinhauen, weil er diese nervige Frau neben mir an sich herangelassen hat. Auf eine Art, wie sie für einen Mann intimer und persönlicher gar nicht sein kann. Ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage bin, Chester diesen Vertrauensbruch jemals zu verzeihen. Fuck, mir wird richtig schlecht, wenn ich mir das konkret vorstelle! Das will ich wirklich nicht sehen. Noch nicht mal imaginär in meinem Kopf.

„Sag mal, Mike, läuft da was zwischen Chester und dir?” fragt Katie neugierig, „Ihr seid ja total vertraut miteinander, oder?” Gelangweilt schaue ich sie an. Mittlerweile ist mir diese Frage schon zu oft gestellt worden, um noch schockiert darüber zu sein. „Nein, da läuft gar nichts”, schüttele ich den Kopf, „So ein Blödsinn! Ich kenne den komischen Typen auch erst seit zwei Tagen.” Keine Ahnung, ob die Frau mir das glaubt. Hoffe es jedenfalls. Stelle mir vor, sie so fest ins Gesicht zu schlagen, bis mindestens ihre Nase anfängt zu bluten. Spüre eine irritierende Erregung dabei. Meine eigenen Gewaltfantasien gefallen mir nicht. So etwas würde ich doch niemals tun, überlege ich verwirrt, Mike würde kein Mädchen verhauen. Im Leben nicht. Kaitleen kommt nochmal näher, pirscht sich aufgeregt direkt vor mein Ohr und atmet laut hinein. Shinoda erstarrt vor Widerwillen. „Zieh dir das mal rein, Mike. Als ich dem vorhin im Park einen geblasen habe, als der gekommen ist, da hat der tatsächlich deinen Namen gestöhnt”, flüstert Kaitleen direkt in meinen Kopf hinein. Sie lehnt sich zurück und sieht mich triumphierend an. Jetzt erkläre mir das mal, fordern ihre strahlend blauen Augen mich auf. „Mike... Mike...”, stöhnt Tracy neckend und bricht in spöttisches Gelächter aus, „Shi-no-da.”

Schlagartig bricht mir aus allen Poren der Schweiß. Habe keinen Schimmer, was mit mir passiert. Aber meine unmittelbare Reaktion ist überraschend heftig. Nicht eine Sekunde lang zweifele ich an Kaitleens Behauptung. Stattdessen macht sich ein unsinniges Glücksgefühl in mir breit. Fühle mich nahezu selig. Vollkommen grundlos, wenn man mal drüber nachdenken würde. Tue ich aber nicht. Kann ich gar nicht. Bin viel zu schockiert. Nervös wische ich mir mit der Hand über die plötzlich feuchte Stirn. Chester hat mir die Wahrheit gesagt, ist der erste Gedanke, der mir spontan durch den Schädel schießt. Der Besondere hat mich doch nicht angelogen. Er hat tatsächlich an mich gedacht. An mich. Obwohl es Katie war, die ihn angefasst hat, waren Chesters Gedanken bei mir. Sonst hätte er doch in so einem Moment nie meinen Namen auf den Lippen gehabt. Verdammte Scheiße, ist der zweite Gedanke, der mich nur Sekunden später anfällt, dieser Idiot hat in so einer Situation meinen Namen gestöhnt. Dummer Chester Bennington lässt sich von einer völlig fremden Patientin einen blasen und ächzt dabei so laut und deutlich meinen Namen, dass alle Welt ihn genau verstehen kann. Er sagt sogar meinen vollen Namen, während er abspritzt. Den Vor- und den Zunamen. Kann sich in den paar Sekunden höchster Euphorie seine geheimsten Gedanken nicht mehr verkneifen, der verfluchte Blödmann. Spinnt der Typ denn total? Wie kann er mich nur dermaßen bloßstellen? Mich in so eine gefährliche und peinliche Situation bringen? Wie soll ich denn das jetzt bitteschön erklären, um Himmels Willen? Hilfloses Entsetzen breitet sich in meinem Magen aus. Tief in mir kämpft das vor impulsiver Rührung angenehm warme Glücksgefühl, das sich autonom in brennende Zuneigung für Chester Bennington verwandelt, gegen meine haltlose Panik an. Mike ist hin und her gerissen zwischen Glückseligkeit und rasender Wut. Ich wünschte, ich könnte auf der Stelle in mein Zimmer rennen. Sofort. Die Tür hinter mir zumachen. Meine Augen schließen und das alles hier nicht mehr erleben müssen. Nicht mehr fühlen müssen. Gar nichts mehr fühlen. Komplett gleichgültig sein. In tröstender Teilnahmslosigkeit versinken. All das ungeschehen machen. Einfach die Zeit zurückdrehen und die letzten zwei Tage komplett auslöschen.

Aber stattdessen wütet in Mike Shinoda ein tosender Sturm aus heftigen Emotionen. In meiner Verwirrung kann ich weder Kaitleen noch Tracy angucken, geschweige denn auch nur eine von beiden tolerieren. Unmöglich. Wünsche die Mädchen unverändert weit weg von mir. Komme gar nicht auf die Idee, dass hinterhältige Kaitleen mich eventuell nur verarschen will. Denke auch nicht darüber nach, warum Tracy überhaupt etwas darüber weiß. Mein Blick heftet sich konfus an den besonderen Menschen, der sich noch immer an der Seite des Saales an den Rollwagen aufhält. Obwohl sein Mittagessen mittlerweile das letzte sein dürfte, was zwischen hundert längst leergefutterten Tabletts auf einem der Wagen steht, tut er noch immer so, als könnte er sein Namensschild nicht finden. Patrick verliert die Geduld und geht sichtbar verärgert zu ihm hin. Der Pfleger hilft Chester entnervt beim Suchen. Natürlich findet er das richtige Tablett in circa zwanzig Sekunden. Die Aufsichtsperson fordert den Patienten streng dazu auf, sich endlich seinem Mittagessen zu widmen. Obwohl ich Patrick akustisch nicht verstehen kann, ist es leicht zu erraten, was er zu Chester sagt. Der Pfleger sieht richtig wütend aus. Zweifellos ist er genervt, versucht aber freundlich zu bleiben. Chester zieht unbeeindruckt sein Tablett aus dem Rollwagen und trägt es vorsichtig quer durch den Saal zu dem Tisch am Fenster, an dem ich ihn aufgewühlt erwarte. Mein Herz hüpft, als unsere Blicke sich treffen. Ich erkenne so erstaunlich viel in dem warmen Braun seiner Augen. Chesters Augen hinter den Gläsern sind ängstlich fragend, besorgt forschend, stark verunsichert, aber auch erfreut, mich zu sehen. Ich glaube, er schaut mich gerne an. Chester lächelt verhalten. Ich finde sein Lächeln wunderschön.

Nur der Platz mir gegenüber ist noch frei, also setzt Chester sich dort hin. Das volle Tablett stellt er achtsam vor sich auf den Tisch. Er lehnt sich auf dem Stuhl zurück und lässt seinen Blick aufmerksam über Katie, Tracy und mich wandern. Ich fürchte, der arme Kerl ahnt nicht mal, was fiese Kaitleen mir gerade indiskret über seine akustischen Begleiterscheinungen beim Orgasmus verraten hat. Tracy hatte recht, das war ganz schön gehässig und gemein. Chester weiß nicht, warum die beiden aufgeregten Mädchen an unserem Tisch beim Essen die ganze Zeit hinterhältig kichern, ihn und mich zweideutig angrinsen und sich gegenseitig spöttische Blicke zuwerfen. Ich will wirklich, dass sie sofort damit aufhören. Kaitleen und Tracy sind schon fast fertig mit dem Mittagessen, während Chester gar nicht erst damit anfängt. Ich wünschte, er würde mehr essen. Chester Bennington ist viel zu dünn. Er sieht unverändert müde aus, aber auch seltsam befriedigt. Liegt bestimmt an seinem tollen Erlebnis mit Kaitleen. Ärgerlich schaue ich auf sein unberührtes Tablett. Der neue Patient hat exakt die gleichen Speisen erhalten, die ich vorhin aufgegessen habe. Auf seinem Plastikteller befindet sich ein Schnitzel, eine Mischung aus Erbsen und Möhren und daneben Bratkartoffeln. Er hat eine Gabel und ein Messer bekommen, beides aus Plastik. Zum Trinken steht ein Tetrapack Milch und eins mit Apfelsaft auf seinem Tablett. Dazu die kleine Flasche Mineralwasser, die zu jedem Essen gereicht wird. Ich bin mir sicher, dass Chesters Mittagessen inzwischen längst kalt ist. Trotzdem fordere ich ihn spontan zum Essen auf: „Du solltest lieber was essen, Chester. Patrick beobachtet dich die ganze Zeit.” Sofort fällt sein Blick auf mich. Einen Moment schaut er mich liebevoll an. Fraglos gefällt ihm, was er sieht. Das kann ich gar nicht richtig verarbeiten. Obwohl ich weiß, dass Bennington mich mag. Zumindest hat er mir das gesagt. Sogar mehrmals. „Ich weiß, dass der Pfleger mich beobachtet”, meint Chester, „Aber das ist mir egal.” Missbilligend ziehe ich die Brauen zusammen. Chesters Augen weiten sich entzückt, was ich nicht einordnen kann. „Du kriegst doch nur wieder Ärger...”, wende ich verständnislos ein. Chaz schüttelt den Kopf. Das auffällig belustigte Verhalten der Weiber hat sein Interesse geweckt.

„Sagt mir lieber mal, was ich in der Zwischenzeit hier verpasst habe. Worüber lacht ihr denn so, Mädels?” will der aufmerksame Mann neugierig wissen. Fragend sieht er die beiden Hühner an, die prompt noch lauter gackern. Katie und Tracy haben ihr Mahl beendet und werfen sich über die Tischplatte hinweg alberne Blicke zu. Plötzlich tut Chester mir fast leid. Die gemeinen Schnepfen machen sich eindeutig über ihn lustig. „Ist doch egal!” winke ich schnell ab, „Lass die doch. Sind halt Mädchen. Die brauchen keinen Grund zum Kichern.” „Ey, du spinnst wohl, Mike!” ruft Kaitleen gespielt empört und verpasst mir einen leichten Schlag gegen den Oberarm. „Geht es hier um mich?” fragt Chester mit verblüffender Intuition, „Habt ihr über mich gesprochen?” „Wir haben uns nur gerade gefragt, ob es hier in der Psychiatrie jemanden gibt, auf den du heimlich ein Auge geworfen hast”, wendet Kaitleen sich im nächsten Moment an Chester. „Auf den ich ein Auge geworfen habe?” wiederholt Chester verwirrt. „Ob du insgeheim vielleicht ununterbrochen an jemanden denkst”, erklärt Tracy und sieht ihn spöttisch an. Die Mädchen betrachten ihn neugierig. Chesters Augen richten sich instinktiv auf mich, und dafür möchte ich ihn augenblicklich küssen. Leidenschaftlich. Auf den zauberhaften Mund. Zwei Sekunden später guckt er verstört Kaitleen an. Ich frage mich, ob er wirklich an mich denkt. Ob Chester vielleicht in mich verliebt ist. Der Gedanke lässt mein Herz schneller schlagen. Nervös wische ich mir nochmal über die feuchte Stirn. Vielleicht sollte ich jetzt lieber sofort aufstehen und abhauen, überlege ich aufgewühlt, bevor das hier noch peinlicher wird. Ich möchte dringend aus diesem verdammten Speisesaal raus. Diese unvorhergesehene Situation geht mir an die Nieren. Andererseits will ich Chester nicht mit den Weibern allein lassen. Wer weiß schon, was die sonst noch mit meinem Mann anstellen.

Der Sänger sieht verunsichert von einem Mädchen zum anderen. Er versteht nicht, was sie überhaupt von ihm wollen. Ich glaube, er fühlt sich irgendwie bedroht. In die Enge getrieben. Zumindest sieht er so aus. Obwohl er nicht aufhört zu lächeln. Chester ist ein freundlicher Mensch. Manchmal ist er viel zu nett zu Leuten, die seine Freundlichkeit gar nicht verdient haben. „Verratet ihr mir, worüber ihr euch amüsiert? Kaitie? Tracy? Was ist denn daran so lustig?” erkundigt er sich zögernd. „Naja, wäre doch ganz schön witzig, Chester, so Liebe auf den ersten Blick und so...”, haucht Tracy und legt ihm die Hand auf die Schulter. Verärgert schaue ich auf die weiblichen Finger. Würde der frechen Rothaarigen jetzt gerne auf der Stelle den Arm abhacken. Ich ertrage es nicht, dass sie ihn anfasst.

„So, und du fängst jetzt bitte endlich an zu essen, Bennington!” meldet sich ein hörbar arg strapazierter Patrick, der unerwartet an unserem Tisch auftaucht. Auffordernd sieht er Chester an, der sofort folgsam nach seinem Plastikbesteck greift und sich eine Gabel mit Bratkartoffeln in den Mund schiebt. Mit Gabel und Messer zerteilt er sein Schnitzel sorgfältig in mundgerechte Stücke. Wortlos um Verzeihung bittend, wirft er dem Pfleger einen Blick zu. Patrick verdreht die Augen und verlässt uns wieder. Das Mittagessen ist eigentlich schon lange vorbei. Bestimmt wirft er uns gleich raus. Ich überlege, wo ich jetzt hin muss, welche Therapie jetzt stattfindet. Aber ich weiß es nicht. Habe mir diese zahlreichen Termine in der Psychiatrie nicht gemerkt. Hat mich nie interessiert, was um mich herum vorgeht. War mir alles total egal. Aber jetzt interessiert es mich umso mehr. Sogar stärker, als mir eigentlich gefällt. Die ungewollte Tischrunde wühlt mich zu sehr auf. Die Weiber nerven mich total. Ich wünschte, sie würden Chester und mich sofort in Ruhe lassen und weggehen. Möchte gerne mit ihm allein sein.

Tun sie aber nicht. Bleiben frech an meinem Tisch sitzen. Kaitleen und Tracy wollen unbedingt ihren Spaß. „Sag doch mal, Chesterlein! Gibt es vielleicht jemanden hier, der dir ganz besonders gut gefällt? Von dem du möglicherweise heimlich träumst?” fragt die blonde Katie quer über den Tisch. Tracy fixiert meinen Mann, der neben ihr sitzt, und kichert amüsiert vor sich hin. Chester kaut widerwillig an den bestimmt kalten Bratkartoffeln. Misstrauisch sieht er die Kalifornierin an. „Nein, Kaitleen. Da gibt es niemanden. Ich bin doch erst seit zwei Tagen hier”, informiert er sie verständnislos. Chester fragt sich, was die Weiber daran so lustig finden. Und ich möchte ihm den Hals umdrehen, weil er selbst es war, der ihnen dieses Amüsement geliefert hat. Indem er die Blonde an sich herangelassen hat, hat er sich ihr ausgeliefert. Wie konnte der Typ nur so dumm sein? Das ist ja wohl kein Orgasmus der Welt wert. Damit blamiert er mich gleichermaßen. Nervös wandert mein Blick durch den Saal. Die anderen Patienten und Pfleger haben den Raum inzwischen verlassen. Alle weißen Holztische sind leer. Nur Katie, Tracy, Chester und ich sind noch hier. Hinten in der Ecke steht Patrick und schaut ungeduldig zu uns hinüber. Ich frage mich, worauf der Pfleger wartet. Ob er wirklich so lange da stehenbleibt, bis Chester sein Mittagessen aufgegessen hat. So zögerlich, wie der Sänger isst, kann das nur noch Stunden dauern.

Chaz greift nach der Flasche, schraubt sie auf und trinkt einen großen Schluck Mineralwasser. „Seid ihr denn in jemanden verliebt?” fragt er die Mädchen lächelnd. Kaitleen und Tracy schütteln einvernehmlich den Kopf. „Nein, Chester, lenk nicht ab, wir haben zuerst gefragt!” beschwert Tracy sich und nimmt endlich ihre Hand von seiner Schulter. „Ihr müsst mir schon verraten, was das bedeuten soll”, verlangt Chaz, trinkt noch einen Schluck, schraubt die Flasche zu und stellt sie auf den Tisch, „Sonst kann ich doch gar nicht mitlachen.” Seine Augen wandern forschend über die zugegebenermaßen hübschen Weiber-Gesichter. Allerdings finde ich den jungen Mann mir gegenüber viel anziehender. Chester Bennington wirkt wie ein Magnet auf mich. Ich kann mich nicht sattsehen an ihm. Fasziniert betrachte ich seine wunderschönen Züge. Diese schmalen Augenbrauen, die große Nase, die roten Lippen. Die braunen Augen hinter der schwarzen Brille wirken leicht nervös. Seine Dreadlocks benässen noch immer sein blaues Hemd. Ich frage mich, ob er nach der Bewegungstherapie geduscht hat. Ob deshalb seine Haare so nass sind. Zu gerne hätte ich ihm beim Duschen zugesehen. Mit ihm allein in dem Gemeinschaftsduschraum gestanden und mir reglos angesehen, wie er sich splitterfasernackt unter den warmen Wasserstrahl stellt. Wie er behutsam seinen nassen, attraktiven Körper einseift. Mit der Hand langsam über seinen eingeschäumten Bauch streichelt. Diese Vorstellung treibt meinen Puls abrupt in die Höhe. Unruhig ändere ich meine Sitzposition.

„Ach, eigentlich nichts Besonderes, mein Freund. Wir haben nur mit Mike darüber gesprochen, was gerade im Park passiert ist”, erwähnt Kaitleen betont beiläufig. Höchst interessiert beobachtet sie Chesters Reaktion. Auch Tracy lässt ihn nicht aus den Augen. Der Patient aus Phoenix ist schlagartig alarmiert. Vor Schreck zuckt er richtiggehend zusammen. Irgendwie ist das süß. Ich frage mich, ob er mir gegenüber mittlerweile ein schlechtes Gewissen hat. Wegen dem, was da im Park passiert ist. Ein bisschen sieht das so aus. Sein Blick streift mich unbehaglich höchstens drei Sekunden lang. „Hör mal, Kaitleen, ich dachte, dass wir darüber nicht reden dürfen. Du hast doch verlangt, dass das unter uns bleiben soll, oder nicht?” wendet er sich irritiert an die blonde Frau. Eigentlich war es mutig von ihm, mir sofort von dem Blowjob zu erzählen, denke ich und bin plötzlich versöhnlich gestimmt. Vielleicht wollte Chaz nur nicht, dass ich durch jemand anderen davon erfahre. Drei Augenpaare beobachten gespannt den neuen Patienten. Das gutmütige Lächeln des Besonderen ist verschwunden. Vielleicht ahnt er, dass die Weiber was Fieses mit ihm vorhaben. Zumindest scheint das Thema ihm auf einmal unangenehm zu sein. „Ach, Chester! Wir sind doch hier unter Freunden!” winkt Kaitleen ab, „Außerdem habe ich Mike doch nur erzählt, dass du vorhin seinen Namen gestöhnt hast.”

Die gehässige Bombe ist geplatzt. Es herrscht Schweigen am Tisch. Nur die Weiber grinsen begeistert. Es gefällt ihnen, dass sie unseren neuen Mitpatienten sichtbar in Verlegenheit bringen. Chesters Augen werden riesengroß. Sein schlanker Körper erstarrt. Ihm bleibt die Luft weg. Nochmal huscht sein Blick instinktiv besorgt zu mir. Er sieht so entsetzt aus, dass er mir fast leidtut. „What the hell...?” entfährt es ihm entgeistert. „Was hab ich?” will er bestürzt wissen. Er weiß es wirklich nicht, verstehe ich sofort, er hat keine Ahnung, was ihm da in diesem Moment von den Lippen gerutscht ist. Womöglich erzählt die blöde Kaitleen aber auch nur Lügen, überlege ich verunsichert. Wer weiß schon, was in einem komplizierten Mädchengehirn vor sich geht. Eigentlich möchte ich jetzt dringend aufstehen und aus dem Speisesaal stürmen. Mich am liebsten irgendwo verkriechen. Nichts mit dieser peinlichen Situation zu tun haben. Obwohl sie für Chester zweifellos noch viel peinlicher ist. Aufgeschreckt mustert er unsere Tischgefährtinnen. „Niemals!” betont er abwehrend, „Das habe ich niemals gestöhnt!” Die Mädels lachen noch lauter. „Mike... Mike... Shi-no-da”, ächzt Tracy zum zweiten Mal neckend. Die Blonde und die Rothaarige brechen in jubelndes Gelächter aus. Tracy stößt Chester gegen den Oberarm. „Das ist doch nicht schlimm, Chester. Du kannst doch ruhig zugeben, dass du in Mike verliebt bist.” Ihre Stimme trieft vor Spott. „Bist du vielleicht schwul, Chester Bennington?” will Kaitleen prustend wissen. Mein Blick hängt noch immer an diesem fantastischen Gesicht fest. Gerührt registriere ich seine gigantische Verlegenheit. „Nein, ich bin nicht schwul”, behauptet Chester leicht ungehalten. Er fühlt sich zu recht verarscht. Die Weiber provozieren ihn bewusst.

Seine Reaktion darauf ist herzerweichend schüchtern. Seine großen, abstehenden Ohren, die durch die nassen Dreadlocks scheinen, färben sich wahrhaftig ein bisschen rot. Diese Situation ist ihm sichtbar extrem peinlich. Das kann ich dem armen Kerl auf ganzer Linie nachfühlen. Es geht doch hier um persönliche Dinge, die niemanden sonst etwas angehen. Nur Chester und mich. Die Weiber verspotten ihn herzlos, ohne mit der Wimper zu zucken. Trotzdem lacht der freundliche Engel wahrhaftig mit. Augenblicklich bin ich nahezu berauscht von dem Geräusch, was Chester von sich gibt. Es ist ein scheues, höchst verwirrtes Lachen, das hörbar zwischen Verlegenheit, Wut und Belustigung schwankt. „Ach, hört doch auf damit! So ein Scheiß! Das denkt ihr euch doch nur aus!” beschuldigt er die Mädchen befangen grinsend. „Nein, das stimmt echt, Chester. Wir haben das doch beide genau gehört, Katie und ich”, versichert Tracy ihm und stößt ihn nochmal gegen den Oberarm. „Das finde ich so was von süß von dir!” schwärmt sie albern kichernd. „Wann soll das denn gewesen sein?” will Chester zweifelnd wissen. Diese Frage hätte er wohl lieber nicht gestellt, denn beide Chicks haben überhaupt kein Problem mit der Antwort. „Na in dem Moment, als du abgespritzt hast, Chester Bennington!” grölen sie wie aus einem Munde. Mein blamierter Mann zuckt nochmal erschrocken zusammen. Sein wundervolles Gesicht verzieht sich gequält. „Das habt ihr total falsch verstanden. Ich habe doch nicht Mike...”, wehrt er sich hilflos, wird aber von Kaitleen unterbrochen: „Während ich dir einen blase, denkst du an Mike Shinoda. Das ist ja echt ein tolles Kompliment für mich, Herr Bennington”, beschwert sie sich gespielt beleidigt. Chester schüttelt den Kopf. „Nein, das stimmt doch gar nicht! Ich habe nicht...”, erwidert er verzweifelt. Doch die Mädchen bestehen darauf, meinen Namen deutlich aus seinem Mund gehört zu haben.

Wenn ich könnte, dann würde ich dem hilflosen, scheuen Engel jetzt gerne helfen. Irgendwas sagen oder tun, um ihm beizustehen. Ihn gegen die doofen Weiber verteidigen. Aber ich kann es nicht. Fühle mich eigenartig entrückt. Tracy war auch dabei, kapiere ich langsam, dieser verdammte Weiberheld hat sich mit beiden Chicks im Park herumgetrieben. Womöglich haben sogar zwei wildfremde Münder ihn gelutscht. Warum zum Teufel hat er das zugelassen? Nach wie vor bin ich tierisch gekränkt. Obwohl es mir auch leidtut, wie sie ihn jetzt damit aufziehen. Ausgerechnet mit seinem intimsten Moment. Mit dem Augenblick, als er am verletzlichsten war. Als er vielleicht meinen Namen gestöhnt hat. Gott im Himmel, denke ich genervt, können die nicht endlich damit aufhören? Nervös wandert mein Blick durch den Speisesaal, fährt ruhelos über leere Tische und Stühle. Pfleger Patrick beobachtet uns noch immer aus der Ferne. Inzwischen sieht die Aufsichtsperson allerdings aus, als wäre sie kurz vor der Explosion.

„Und was sagt Mike Shinoda dazu?” fragt Chester plötzlich. Erschrocken sehe ich zu ihm. Verunsichert guckt er mich an. Unter dem Tisch streckt Chester verstohlen sein Bein aus. Fährt mit seinem Fuß sanft an meinem Schienbein entlang. Ich spüre diese Berührung viel zu deutlich. Über dem Tisch lässt er sich nichts anmerken. Sitzt einfach dort und lächelt mich fragend an. Vielleicht will er mich damit besänftigen. Merkt er denn überhaupt, wie wütend und verletzt ich bin? Tracy und Kaitleen hören endlich auf zu spotten und richten ihre Aufmerksamkeit ebenfalls auf mich. Unwillkürlich rutscht mir das Herz in die Hose. Ich hasse es, auf diese Art im Mittelpunkt zu stehen. Ich habe Angst, dass die Mädchen merken, wie Chester mit seinem Fuß heimlich mein Bein streichelt. Gleichzeitig kann ich nicht genug davon kriegen. Möchte noch sehr viel mehr Zärtlichkeiten mit ihm austauschen. Sehne mich nach seiner warmen Haut, seinen feuchten Küssen. Verdammt, er hat mich in der Hand, registriere ich erschlagen, ich kann diesem sonderbaren Kerl überhaupt nicht lange böse sein. „Hat denn Mike Shinoda gar keine Meinung dazu?” drängt Kaitleen mich grinsend.

In diesem Moment geht lautstark die große Eingangstür auf. Zum Glück werden alle von dem Geräusch abgelenkt. Pfleger Ulrich stürmt nahezu in den Saal. Mit einem Blick hat er seinen Patienten bei uns am Fenstertisch entdeckt und steuert sofort auf ihn zu. Chester seufzt schwer. Unbemerkt zieht er seinen Fuß von meinem Schienbein zurück. Aus der anderen Richtung setzt sich Pfleger Patrick ebenfalls in Bewegung und kommt näher. Obwohl es jetzt unter Garantie Ärger gibt, bin ich heilfroh, nicht mehr antworten zu müssen.


Chester Charles Bennington

Es ist noch nicht mal eine halbe Stunde her, seit ich in diesem Park einen Orgasmus hatte, und schon bereue ich es, mich überhaupt mit den beiden Frauen eingelassen zu haben. Das läuft alles so was von falsch. Mike ist gar nicht amüsiert, als ich ihm von dem Blowjob erzähle. Ich hatte gedacht, dass Herr Shinoda das bestimmt witzig findet. Wollte ihn damit aufmuntern, weil er doch viel zu oft traurig ist. Aber jetzt ist der süße Halbjapaner nur noch trauriger geworden. Und zusätzlich ist er auch noch sauer auf mich. Dass Kaitleen und Tracy spöttisch behaupten, ich hätte im intimsten Moment Mikeys wundervollen Namen gestöhnt, macht die Sache noch viel schlimmer. Ich glaube, dass Mike deswegen extrem angepisst ist. Dabei weiß ich doch noch nicht mal, ob das überhaupt stimmt. Es ist gut möglich, dass die Weiber mich nur verarschen wollen. Es macht ihnen frustrierend großen Spaß, mich dermaßen in Verlegenheit zu bringen. Spätestens jetzt weiß ich mit Sicherheit, dass es ein Riesenfehler von mir war, mit ihnen auf diese Lichtung im Park zu gehen. Ihnen meinen Schwanz zum Blasen zu überlassen. Geiler Orgasmus hin oder her. Katie und Tracy werden nämlich damit nicht aufhören, fürchte ich. Aus dieser Richtung kommt bestimmt noch viel mehr.

Ich habe ein paar kalte Bratkartoffeln gegessen, weil dieser Pfleger mich dazu gezwungen hat. Auch deswegen ist mir schlecht. Es fühlt sich an, als müsste ich bald kotzen. „Du hast ja schon wieder kaum was gegessen, Chester!” bemängelt Ulrich, der vor dem Tisch steht, und mich strafend anguckt. „Der wollte einfach nicht!” muss der andere Pfleger auch noch vorwurfsvoll seinen Senf dazugeben. Beide Männer glotzen mich an, als wäre ich ihr widerspenstiges Sorgenkind. Das geht mir total auf die Nerven. Ich will nicht strafend angestarrt werden. Mit diesem seltsam vertrauten Blick. Als würde ich ja sowieso alles falsch machen. Die Situation ist extrem angespannt. Ich möchte mit Mike allein sein, damit ich ihm diese Sache erklären kann. Ich muss dem Halbjapaner beweisen, dass alles ganz anders ist, als er denkt. Zu gerne hätte ich seine Meinung gehört. Ich will dringend wissen, wie er darüber denkt. Aber mein nerviger Pfleger kam wie immer im falschen Augenblick. Und jetzt werde ich es vielleicht nie erfahren.

Mike steht auf, nimmt sein geleertes Tablett und bringt es folgsam zurück zu diesen Rollwagen an der Seite des Speiseraums. Herr Shinoda braucht keine extra Aufforderung, um einwandfrei zu funktionieren. Nur ich bin immer der Unartige, der Blöde, dem man alles erklären muss. „So, Mädchen, das Mittagessen ist vorbei. Bringt ihr bitte auch eure Tabletts zurück und geht dann in eure Therapien, Kaitleen und Tracy?” fordert der andere Pfleger die albernen Hühner auf. Sie werfen mir einen frivolen Blick zu, kichern noch ein bisschen und gehorchen ihm dann. Ich bin froh, dass die Weiber weggehen. Katie und Tracy möchte ich so bald nicht wiedersehen. Bin ziemlich sauer auf die zwei, weil sie diesen peinlichen Scheiß über mich erzählen. Weil sie ausgerechnet Mike diesen Quatsch erzählt haben. So was passiert eben, wenn man die Menschen, mit denen man es zu tun bekommt, nicht kennt. Außerdem befinden wir uns in der geschlossenen Psychiatrie. Und langsam dämmert mir, dass an diesem merkwürdigen Ort tatsächlich alle verrückt sind. „Du bitte auch, Chester!” seufzt Ulli mit sorgenvollen, blauen Augen. Der andere Typ haut zum Glück ab. Er verlässt den Saal durch die Eingangstür. Ich frage mich, ob er nur wegen mir hiergeblieben ist. Das gefällt mir alles nicht. Ich fühle mich ätzend überwacht. Deprimiert registriere ich, dass auch Mike durch die Tür verschwindet. Der süße Halbjapaner geht, ohne mich auch nur noch einmal anzusehen. Zweifellos ist Shinoda stinksauer auf mich. Meine Stimmung tendiert irgendwo bei Null.

Ich stehe auf und nehme das Plastiktablett mit all dem Essen, was ich kaum angerührt habe. Mir ist übel und ich hätte jetzt ehrlich gerne eine Flasche Bier. Ich würde sie gierig auf Ex austrinken. Ulrich begleitet mich zu den Wagen, wo ich mein Tablett in eine freie Schiene schiebe. „Warum hast du denn schon wieder so gut wie nichts gegessen, Chester?” fragt er irritierend beunruhigt. „Tut mir leid, Ulli. Mir geht’s nicht so gut”, murmele ich abwehrend. „Kann ich dir irgendwie helfen?” will er allen Ernstes wissen. Hol mich hier raus, denke ich impulsiv, sorge dafür, dass ich heute noch nach Hause fahren darf. Oder lösche wenigstens die letzten fünfzehn Jahre meines Lebens aus. Aber ich schüttele nur den Kopf und lächele ihn an. „Nein, ist schon gut. Danke, Ulli, das ist nett von dir.” Meine Worte entlocken ihm ein versöhnliches Lächeln. Er klopft mir tröstend auf die Schulter, was ich überhaupt nicht mag. Leider tun die Leute hier das andauernd. „Das wird schon, Chester. Du schaffst das schon. Halte noch ein bisschen durch. Bald wird es dir viel besser gehen”, will er mir Mut machen. Aber Ulrich weiß ja auch nicht, dass ich es mit Mike Shinoda total verkackt habe. Ständig mache ich alles falsch. Das ist absolut frustrierend.

Ulli verlässt den Speisesaal und fordert mich mit einer Handbewegung auf, ihm zu folgen. Deprimiert gehe ich neben ihm her diesen langen Flur entlang. „Was passiert denn jetzt?” frage ich meinen Pfleger, obwohl mich das gar nicht so sehr interessiert. Ist doch sowieso alles irgendwie der gleiche Scheiß. „Ich bringe dich jetzt zur Kreativtherapie. Die wird dir ganz bestimmt gefallen, Chester. Du bist doch ein sehr kreativer Mensch, nicht wahr?” Ulrich sieht mich lächelnd von der Seite an. „Ich habe schon von deinem famosen Auftritt in der Turnhalle gehört, Herr Bennington. Du hast da ja vorhin richtig großen Eindruck auf dein Publikum gemacht.” Nochmal klopft er auf meine Schulter, diesmal wohl anerkennend. Mein Körper verkrampft sich bei der unliebsamen Berührung. „Ne, das war gar nicht so famos”, winke ich ab. Möchte eigentlich nicht an In Time erinnert werden. Ich fürchte, den schönen Song habe ich nicht gut hingekriegt. Ich war wirklich schlecht in dieser Turnhalle. Weil ich für die unerwartete Performance kein bisschen in Form war. Aber Ulli ist völlig anderer Meinung. „Da habe ich aber was ganz anderes gehört, Chester. Von ergriffen heulenden Patienten war die Rede, von paralysierten Menschen und staunenden Gesichtern”, zählt er lächelnd auf.

Ich weiß, dass er mich nur verarschen will. Ulrich macht sich lustig über mich. Vielleicht will er damit die gedrückte Stimmung zwischen uns auflockern. Für heute bin ich es leid, dass die Menschen mich provozieren. Darum antworte ich nicht darauf. Zum Glück hält der Pfleger die Klappe. Frage mich genervt, wie lang der Weg noch ist, den ich laufen muss. Noch mehr endlose Gänge. Grau und weiß. Nur wenige Pastelltöne. Kaum ein Mensch, dem wir begegnen. Fühle mich erschöpft und würde mich gerne mal ausruhen. Es ist gut möglich, dass ich im Moment sogar auf der Stelle einschlafen könnte. Ich wünschte, ich könnte mich irgendwo hinlegen. Schlaf kann ich wirklich gut gebrauchen. Es fühlt sich an, als hätte ich schon seit Wochen nicht mehr geschlafen. Wenn wenigstens meine Klamotten nicht so nass und schmutzig wären. Ich schaue an mir herunter und bemerke, dass mein Hemd offensteht. Das hatte ich ganz vergessen. Eine Erinnerung springt mich an, wie Tracy mir das Hemd aufknöpft, und ich schließe für einen Augenblick frustriert die Augen. Im Laufen knöpfe ich mein Hemd zu, was bei den zahlreichen, winzigen Knöpfen gar nicht so einfach ist. Diese Fummelei erfordert meine ganze Konzentration.

„So, da sind wir”, meint Ulrich plötzlich, bleibt im selben Moment stehen und erschreckt mich damit. „Was?” frage ich verwirrt. Er lacht leise. Ist amüsiert von mir. „Hier findet die Kreativtherapie statt, Chester. Wie meistens bist du ein bisschen zu spät dran. Geh einfach rein, der Therapeut sagt dir dann schon, was du machen kannst”, fordert er mich auf. Er deutet auf eine der unzähligen geschlossenen Türen. „Okay”, seufze ich. „Nach der Therapie hole ich dich wieder ab”, kündigt mein Aufpasser an, schlägt mir leicht gegen die Schulter und entfernt sich. Ratlos stehe ich dort und sehe ihm nach. Am liebsten würde ich jetzt verschwinden. Mich einfach in Luft auflösen. Die Augen zumachen und weg sein. Unwillkürlich schließe ich die Augen, horche in mich hinein und stehe eine Weile so da. „Worauf wartest du noch, Chester Bennington?” ruft jemand spöttisch von irgendwoher. Als ich die Augen öffne, hat sich nichts verändert. Ich existiere immer noch. Ulrich steht am Ende des Ganges und beobachtet mich. War ja klar, dass der nicht eher abhaut, bis ich folgsam in dieses Zimmer hineingegangen bin.

Frustriert gehe ich zu der Tür und klopfe an. „Herein bitte!” flötet jemand von drinnen irritierend erfreut. Also öffne ich die Tür und trete ein. Der große Raum ist hellerleuchtet. Ich sehe mindestens zwanzig aufgestellte Staffeleien, an denen kreative Patienten stehen. Alle haben Pinsel und eine Farbpalette in den Händen. Der schwarze Stachelkopf zwischen den vielen Leinwänden fällt mir sofort auf. Der Typ entdeckt mich an der Tür stehend und schließt resigniert die Augen. Auch auf die Entfernung kann ich erkennen, wie tief er seufzt. Dieser junge Mann sieht unglaublich gut aus. Mein Herz macht einen erfreuten Hüpfer, als ich kapiere, dass Mike Shinoda ebenfalls an dieser rätselhaften Therapie teilnimmt. Mein erster Impuls ist, zu ihm hinzugehen und ihn an mich zu drücken. Ich möchte ihn gerne auf den geil gestylten Kopf küssen. Seinen wunderschönen Körper streicheln. Aber das würde ihm nicht gefallen. Nicht hier vor allen Leuten. Trotzdem kann ich mich kaum zurückhalten. Zu schön ist es, ihn so schnell und unerwartet wiederzusehen. Meine Hoffnung darauf, die blöd verfahrene Situation zwischen uns in nächster Zukunft irgendwie klären zu können, steigt rapide an.

Ein älterer, dicklicher Mann eilt freudestrahlend auf mich zu, den ich verblüfft betrachte. Er trägt eine dicke, zerrissene, mit Farbe sprenkelte Jeans und ein rot-schwarz-kariertes, gefüttertes Flanellhemd, was für kalifornische Verhältnisse eine recht umfangreiche Bekleidung ist. An seinen Füßen befinden sich graue Turnschuhe, die fast auseinanderfallen. Sein Gesicht ist rund, mit einem braunen Vollbart und langen, brünetten Haaren, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden sind. Sowohl der Bart als auch die Haare auf seinem Kopf sind mit grauen Strähnen durchzogen. Auf seiner Nase sitzt eine lustige Nickelbrille. Ich würde mal sagen, dieser Mensch ist nicht nur in seiner Jugend ein Hippie gewesen. Bestimmt hat er die wilden 70er Jahre noch erlebt und nur bekifft in der Ecke gelegen. Diese Vorstellung amüsiert mich. Der Therapeut ist mir auf Anhieb sympathisch. Freundlich lächele ich ihn an. Er streckt mir eine Hand hin, die ich ergreife und schüttele. „Hallo, du musst Chester sein!” begrüßt er mich begeistert, „Ich bin Noah, dein Therapeut. Willkommen in meiner Kreativtherapie!” „Ja... hallo... schön, hier zu sein...”, erwidere ich ein bisschen verwirrt. Er lässt meine Hand nicht los, sondern führt mich daran durch die Staffeleien zu einem freien Platz. Mein Blick schweift hektisch durch den Raum. Wegen der aufgestellten Leinwände kann ich nicht alle Patienten richtig sehen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Kaitleen oder Tracy sich nicht in diesem Raum aufhalten. Darüber bin ich sehr viel froher, als gut für mich ist.

Noah dirigiert mich zu einer leeren Leinwand, die zu meiner absoluten Freude direkt neben Mikes aufgestellt wurde. Der Halbjapaner sieht mich ausdruckslos an, als ich mich auf den Platz neben ihn begebe. Noch immer lässt der Therapeut meine Hand nicht los. „Hier lassen wir unserer Kreativität freien Lauf, Chester. Die heutige Aufgabe lautet, dass ihr all das zeichnen dürft, was euch gerade durch den Kopf geht. Es gibt also gar keine konkrete Vorgabe”, erklärt er mir lachend. Sein Daumen streichelt über meinen Handrücken, was mich irgendwie irritiert. Aber ich glaube, er ist nur freundlich. Will mir damit Mut machen oder so was. Es fällt mir schwer, nicht pausenlos Mike anzusehen. Der besondere Patient ignoriert mich jetzt. Er steht vor seiner Staffelei, einen kleinen Pinsel in der rechten, die Palette mit den Farben in der linken Hand, schaut auf sein Gemälde und scheint zu überlegen. Neugierig sehe ich mir sein Bild an. Mike hat ein paar schwarze Strichmännchen gemalt, quadratische, kleine Figuren, die ziemlich seltsam aussehen.

„Du darfst also einfach das malen, was dir gerade in den Sinn kommt, okay, Chester? Sei spontan! Folge deinen ersten Impulsen! Banne genau das auf die Leinwand, was du in diesem Moment in deinem Kopf sehen kannst. Verstehst du, was ich damit meine?” redet Noah aufgekratzt auf mich ein. Lächelnd schaue ich ihn an. Seine grünen Augen leuchten warm hinter der Brille. Sie strahlen mich freundlich an. Ich mag diesen Therapeuten. „Ja, das verstehe ich”, antworte ich mit einem Nicken. „Hier geht es nicht darum, besonders schön oder sorgfältig zu malen, Chester. Wir möchten einfach nur völlig zwanglos unsere Gefühle und Gedanken ausdrücken. Wir übertragen unsere Emotionen in die Bilder hinein. Du kannst dabei gar nichts falsch machen, okay?” plappert Noah, während er mich wohlwollend betrachtet. Sein Daumen streichelt unaufhörlich meinen Handrücken. Ich bin heilfroh, dass der Therapeut mich nicht dieser fremden Patientengruppe vorstellt. Oder ich nochmal irgendwas über Phoenix erzählen muss. Allein dafür hat Noah bei mir schon einen Stein im Brett.

„Und noch etwas, Chester. Hier bei uns gibt es keine Tabus. Es gibt nichts, was irgendwie peinlich oder verboten wäre, okay? Jedes einzelne Bild ist ein persönliches Kunstwerk, dass ohne Bewertung seine volle Berechtigung hat. Selbstverständlich verteile ich hier keine Noten. Und du musst dein Gemälde auch niemandem erklären, wenn du das nicht willst. Niemand wird dich nach der Bedeutung fragen, wenn du darüber nicht sprechen möchtest, okay?” Noah sieht mich lächelnd an. Ich erwidere sein Lächeln und nicke. „Hier sind verschiedene Pinsel und Farben. Du kannst dir nehmen, was immer du möchtest. Und jetzt wünsche ich dir viel Spaß, Chester. Wenn du eine Frage hast oder mich brauchst, dann findest du mich irgendwo in diesem Zimmer, okay?” erklärt er lachend. Ich nicke nochmal. „Sei impulsiv, Chester! Folge deinen Gefühlen!” fordert er mich nochmal auf, zwinkert mich heiter an, lässt meine Hand los und geht davon.

Einen Moment stehe ich ratlos dort und gucke auf die große, leere Leinwand, die vor mir auf der Staffelei steht. Am unteren Rand liegen auf der Ablage ein paar Pinsel und eine ovale Farbpalette mit verschiedenen Ölfarben. Ich habe echt keine Ahnung, was ich jetzt auf die Leinwand bannen soll. Aber die Aufgabe gefällt mir. Ich mag es, zu zeichnen. Habe ich zu Hause auch schon getan. Spontan irgendwas gemalt, was mir gerade so im Kopf herumging. Häufig habe ich versucht, die verfluchte Dunkelheit mit den Gemälden zu vertreiben. Mich meistens erfolgreich im Malen versteckt. Fast immer war ich dann selbst überrascht, was dabei herauskam. Vorsichtig schaue ich zu Mike hinüber. Der wunderschöne Halbjapaner steht unverändert neben mir. Höchstens zwei Meter von mir entfernt. Er ist inzwischen ganz in sein Gemälde vertieft. Mit erstaunlicher Anmut führt er den Pinsel über die Leinwand und malt neue schwarze Striche. Seine Zeichnung ist absolut formvollendet, total symmetrisch korrekt. Mike Shinoda sieht aus, als hätte er das schon sein ganzes Leben lang gemacht, so geschickt und routiniert stellt er sich dabei an. Offenbar ist dieses Metier ihm höchst vertraut. Mike liebt Musik. Das habe ich erst heute von ihm erfahren. Aber das Zeichnen gefällt ihm auch. Das sieht man ihm sofort an.

Ich frage mich, ob er das bei sich zu Hause in Agoura Hills auch gemacht hat. Ob er wie ich allein in seinem Zimmer gesessen und total weggetreten irgendwas gezeichnet hat. Ob er schon mal so verzweifelt wie ich gewesen ist. Ob er sich je dermaßen verloren gefühlt hat. Ich nehme mir vor, ihn irgendwann mal danach zu fragen. Vielleicht erinnert er sich daran, dass er gerne malt. Ich will unbedingt, dass der Mann sich erinnert. Ich glaube, dass Mike Shinoda vergessen hatte, was ihm gefällt. Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, in dieser Nacht auf dem Flur, da sah er aus, als wäre er gerade aus einem tiefen Traum erwacht. Und ich habe das Gefühl, dass ich ihn dringend aufwecken muss. Fasziniert betrachte ich sein hübsches Gesicht. Den seidig glänzenden, gut gepflegten Bart, die pechschwarzen, sorgfältig gestylten Haare, die dichten, breiten Augenbrauen. Konzentriert führt er den Pinsel über die Leinwand. Er ist total vertieft. Seine Zunge lugt ein winziges Stückchen zwischen seinen fantastisch vollen Lippen hervor. Das erregt mich total.

Plötzlich dreht Mike den Kopf und sieht mich an. Wahrscheinlich hat er meinen sehnsuchtsvollen Blick gespürt. Augenblicklich verliere ich mich in seinen großen, braunen Augen. Sie ziehen mich magisch an. Ich möchte hingehen und ihn küssen. Auf der Stelle. Aber ich bewege mich nicht. Ich versuche abzuschätzen, ob der Besondere noch immer wütend auf mich ist. Ob er es mir noch übelnimmt, dass ich mit den Weibern auf dieser versteckten Lichtung im Park gewesen bin. Ich wünschte, Mikey hätte nie etwas davon erfahren. Definitiv hätte ich ihm nichts davon erzählen dürfen.

Mike wirft einen prüfenden Blick auf meine gänzlich leere Leinwand und fängt an zu grienen. „Ist da nichts los in deinem Kopf, Chester?” fragt er spöttisch. „Was? Wieso?” entgegne ich verwirrt. Mike lacht und deutet mit dem Pinsel auf meine Staffelei. „Herrscht gähnende Leere in deinem Quadratschädel, was?” neckt er mich grinsend. Irritiert schaue ich auf die große, weiße Fläche vor mir. Sie ist völlig unberührt. Ich bin erleichtert, weil Herr Shinoda entgegen meiner Befürchtung fröhlich gestimmt zu sein scheint. Vielleicht hat er mir längst verziehen, hoffe ich unwillkürlich. Schmunzelnd sehe ich ihn an. Er ist so verdammt wunderschön. Am liebsten würde ich jetzt über seine fantastischen Wangen streicheln. Zärtlich durch seinen dichten Bart kraulen. Die süße, runde Stupsnase in den Mund nehmen. Mit meiner Zunge über seine dunkelroten Lippen lecken. „Und was hast du für merkwürdige Strichmännchen im Kopf?” erkundige ich mich lächelnd und deute auf sein Gemälde. Er sieht sich sein Werk kurz an. Dann dreht sein gut aussehendes Gesicht sich wieder zu mir. „Das sind die vielen emsigen Gedanken, die in meinem schlauen Gehirn arbeiten”, erklärt er kichernd.

Augenblicklich paralysiert es mich, wenn er lacht. Das tut er nämlich nicht oft. Mike lacht viel zu selten. Meistens ist er irgendwie traurig. Oder gleichgültig. Höchst angenehm fährt sein überraschendes Lachen durch meinen Körper. Es erwärmt mich von Innen heraus. Behaglich ziehe ich die Schultern hoch und schüttele mich. „Ich habe ja noch gar nicht angefangen...”, erkläre ich gutmütig. „Dann solltest du das vielleicht mal tun, Chester Bennington?” schlägt Mikey vor. Ich liebe es, wie er meinen Namen ausspricht. Mit wie viel erstaunlicher Zuneigung er das tut. Seine wundervolle Stimme ist sanft. Ich mag den Klang seiner Worte. Die Töne sind so harmonisch, eine faszinierende Folge von akustischen Harmonien. Er spricht, als würde er ein Lied singen. Ich würde gerne mal mit Herrn Shinoda Musik machen, überlege ich und spüre verdutzt, dass allein die Vorstellung davon mich schon erregt. Mit Sicherheit würden wir zusammen echt tolle Songs zustande bringen. Lächelnd greife ich nach einem der kleineren Pinsel und sehe auf meine Staffelei. Ich habe keinen Plan, was ich zeichnen soll. In mir ist alles ruhig. Das liegt zweifellos daran, weil der Besondere neben mir steht und seine Magie ausströmt, die mich zuverlässig besänftigt.

„Oder du versteckst dich irgendwo im Park und lässt dir von irgendwem einen blasen”, murmelt Mike gedankenverloren vor sich hin. „Bennington”, setzt er noch verächtlich hinzu. Aufgeschreckt fahre ich zu ihm herum. Der Mann beachtet mich nicht. Ist scheinbar in seine Malerei vertieft. Hat er das gerade wirklich gesagt? Oder habe ich Halluzinationen? Höre ich vielleicht schon wieder böse Stimmen? Meine Eingeweide verkrampfen sich unbehaglich. Verwirrt lege ich den Pinsel zurück auf die Ablage. Misstrauisch beobachte ich den Patienten, der neben mir mit seiner Leinwand beschäftigt ist. „Ähm... Hast du was gesagt?” erkundige ich mich vorsichtig, als ich die Ungewissheit nicht länger ertrage. Mike dreht ganz langsam den wundervollen Kopf und schaut mich eine Weile nachdenklich an. Sein neckisches Grinsen ist verschwunden. In seinen Augen ist jetzt nur noch Gleichgültigkeit. Das zwingt mich fast in die Knie. Dieser kalte Ausdruck in seinen braunen Augen. Diese gut versteckte Verachtung. „Nein, Chester, ich habe nur laut gedacht”, sagt er leise, hebt uninteressiert die Schultern und wendet sich wieder seiner Staffelei zu.

Mike hat die Farbpalette auf die Ablage gelegt. Mir fällt auf, dass er den Pinsel jetzt viel heftiger über das Papier führt. Seine schwarzen Striche sind schnell und pointiert. Das sieht unglaublich professionell aus, was er da macht. Als hätte der Typ noch nie etwas anderes getan, als zu zeichnen. Shinoda ist stinksauer, kapiere ich bestürzt. Der Patient ist noch immer extrem wütend auf mich. Ich fürchte, ich habe ihn zu tief verletzt. Und das wollte ich wirklich niemals tun. Hilflos beobachte ich den attraktiven Halbjapaner. Auf seiner Leinwand entstehen noch mehr merkwürdige Männchen in einer von geraden Strichen dominierten Welt. Doch mein Blick hängt an dem besonderen Menschen, der sie mit sehr geübter Hand malt. Mike Shinoda trägt ein graues T-Shirt, auf dem ab der Mitte seiner Brust bis zum unteren Saum fünf silber-graue Streifen zu sehen sind. Seine eng anliegende, dunkelblaue Jeans betont seine schlanken, kräftigen Beine. An seinen Füßen sind grau-weiße Sneakers. Zufrieden registriere ich, dass seine legere, sexy Kleidung perfekt zueinanderpasst.

Im Moment macht mir allerdings seine feindselige Stimmung zu große Sorgen. Ich kann diese unselige Sache nicht zwischen uns stehenlassen. Mit einem schnellen Rundumblick überprüfe ich, ob irgendwer zu uns hinsieht. Das scheint nicht der Fall zu sein. Schließlich beuge ich mich leicht zu meinem Nachbar. „Es tut mir leid, Mike. Ich wollte das nicht”, flüstere ich ihm vorsichtig zu. Er fährt so schnell zu mir herum, dass ich erschrocken zusammenzucke. „Nein, Chester! Lass das sein! Hör bloß auf mit dem Scheiß!” zischt er so impulsiv, dass er selbst überrascht wirkt. Einen Moment lang starren wir uns einander verstört an. Fünf Sekunden später fürchtet er, in seinem Zorn zu laut geworden zu sein. Nervös huscht sein Blick durch das Zimmer, ob jemand seinen spontanen Ausbruch mitgekriegt hat oder unsere Auseinandersetzung neugierig belauscht. Aber die anderen Patienten sind scheinbar alle in ihre Zeichnungen vertieft. Durch die vielen aufgestellten Staffeleien können wir Künstler uns auch gegenseitig kaum richtig sehen.

Mike wendet sich an mich. Seine braunen Augen funkeln verhängnisvoll. „Natürlich wolltest du das, Bennington! Sonst hättest du es nicht getan!” blafft er mich angepisst an, versucht aber, dabei etwas leiser zu sein. Ich werde von seinen zusammengezogenen Augenbrauen abgelenkt. Als er das merkt, entspannt sich sein Gesicht augenblicklich. „Außerdem brauchst du dich bei mir für gar nichts zu entschuldigen. Du kannst schließlich tun und lassen, was immer du willst. Tu doch nicht so, als hätte ich irgendwelche Ansprüche auf dich”, regt Mikey sich flüsternd auf. Er spricht schnell, weil er so aufgeregt ist, aber leise, weil er keine Aufmerksamkeit erregen will. „Es tut mir leid”, wiederhole ich verzweifelt, „Ich wollte dich damit nicht...” „Sei still, Chester!” unterbricht er mich gereizt, „Lass es einfach gut sein!” Seine Augen flehen mich an, die Klappe zu halten.

Auch diesmal lässt er mich abblitzen. Der Feigling will diese blöde Sache zwischen uns stehenlassen. Das kann ich nicht akzeptieren. Ich will nicht, dass es zwischen Mike und mir solche unausgesprochenen Feindseligkeiten gibt. Das ist totale Scheiße, das gefällt mir kein bisschen. Es nervt mich, dass er mich bei echt wichtigen Gesprächen andauernd abblockt. Das gibt mir das Gefühl, als wäre ihm dieses Thema nicht wichtig genug, um sich damit zu beschäftigen. Als wäre er ganz zufrieden damit, mich zu hassen. Ich mag es nicht, wie er mich ansieht. Als hätte ich in seinen Augen auf ganzer Linie versagt. Das kann ich kaum aushalten. „Nein, Mike, du musst mir jetzt mal zuhören! Ich habe das doch nur gemacht, weil...”, fange ich an und werde augenblicklich von ihm unterbrochen: „Es interessiert mich gar nicht, warum du das gemacht hast! Ist mir doch scheißegal, von wem du dich lutschen lässt, Chester!” Mike kommt einen Schritt näher, damit ich ihn auch gut verstehen kann. Seine schönen, großen Augen durchbohren mich. „Du kannst deinen Bennington-Schwanz von mir aus überall reinstecken!” knurrt er mit bemerkenswerter Obszönität, die eigentlich gar nicht zu ihm passt.

Ich spüre, wie er mich langsam wütend macht. Das gefällt mir nicht, denn ich will nicht wütend werden. Mein Herz schlägt härter, weil mich Shinodas Sturheit so ärgert. Der Typ behauptet, dass ihm all das völlig egal wäre. Seine enorm emotionalen Reaktionen vermitteln mir aber genau das Gegenteil. Mike ist zornig und verletzt. Ich frage mich, warum er sich über diesen im Grunde unwichtigen Mist wohl dermaßen aufregt. Warum es ihn so sehr stört, dass ich mit Kaitleen ziemlich intim war. Mir kommt der Verdacht, dass er vielleicht in Wahrheit nur eifersüchtig auf Katie ist. „Versetz dich doch mal in meine Lage, Mike! Du bist es doch, der bisher jedes Mal mittendrin aufgehört hat oder plötzlich weggerannt ist!” erkläre ich ihm ärgerlich und mache einen Schritt auf ihn zu, „Weißt du, ich bin auch nur ein Mann. Ich kann so was auch nicht so einfach verpacken.”

Jetzt steht er genau vor mir und fixiert mich hasserfüllt. Mike hat noch seinen Pinsel in der Hand. Er sieht aus, als würde er mir den Pinsel gerade liebend gerne ins Auge stechen. Zum Glück habe ich meine Brille auf, denke ich verstört. „Was redest du für einen Scheiß, Chester Bennington!” blafft er entgeistert, „Jetzt tu doch bloß nicht so, als hättest du mit mir schon jemals irgendwas gefühlt!” Seine Stimme überschlägt sich fast, so aufgebracht ist er. Es fällt ihm schwer, leise zu sprechen. Nervös huscht sein Blick nochmal durch den Raum, ob sich irgendwer inzwischen für uns interessiert. Sieht aber nicht so aus.

Ich kann nicht fassen, was der Kerl mir da an den Kopf geknallt hat. „Wie bitte?” fauche ich entsetzt zurück. Mir fehlen echt die Worte. Die ganze Welt scheint sich plötzlich verkehrt herum zu drehen. Hätte ich doch bloß nicht damit angefangen, fährt es mir ärgerlich durch den Sinn, Shinoda ist definitiv völlig durchgeknallt. Das wird so langsam richtig absurd mit dem. Mike wirft mir wahrhaftig vor, mit ihm nie etwas gefühlt zu haben. Und ich habe wirklich keine Ahnung, wie er auf so einen Schwachsinn überhaupt kommt. Das verletzt mich total, dass er so von mir denkt. Als hätte er mir noch nie ein Wort, eine Reaktion oder eine Geste geglaubt. Als wäre Herr Shinoda tief drinnen davon überzeugt, dass ich nichts als ein verlogener Dreckskerl bin. Verdammt, das ist mir jetzt echt zu heftig! Ich kann das nicht ertragen, dass Mike so einen miesen Eindruck von mir hat. Und ich verstehe wirklich überhaupt nichts mehr.

Ratlos starre ich ihn an. Mein Herz pocht hart und schnell. Aufgewühlt schnappe ich nach Luft. Mike steht so nah vor mir, dass ich mich nur ein wenig vorbeugen müsste, um ihn auf seine fantastischen Lippen zu küssen. Das möchte ich jetzt dringend tun. Ihn irgendwie zum Schweigen bringen. Ich möchte herausfinden, ob er seine Gehässigkeiten auch so meint, wie sie impulsiv aus ihm hervor preschen. Oder ob er so etwas vielleicht nur deswegen sagt, weil ich ihn so stark gekränkt habe. Ich versuche, in seinen Augen die Wahrheit zu finden. Mike erwidert meinen Blick mit grimmiger Entschlossenheit. Seine großen, runden Augen funkeln in ihrem schönsten Braun. Er atmet fast so schwer wie ich. Nervös leckt er sich über die Lippen, was ich total aufregend finde, als ich es sehe.

„Nein, Mike, nicht doch! Das ist nicht...”, fange ich hilflos an, als wir plötzlich von Noah unterbrochen werden. Unerwartet taucht der freundliche Therapeut hinter einer der hohen Staffeleien auf. Sein nettes Gesicht sieht ein bisschen besorgt aus. Unwillkürlich frage ich mich, wie viel von unserem ziemlich persönlichen Gespräch er wohl mitgekriegt hat. „Gibt es hier ein Problem zwischen euch, Jungs?” erkundigt Noah sich behutsam. Fragend schaut er zwischen Mike und mir hin und her. Am liebsten möchte ich ihm alles erzählen. Ich würde ihn gerne um Rat fragen. Seine Meinung dazu einholen, was ich jetzt tun soll. Wie es sein kann, dass dieser Patient mich dermaßen falsch beurteilt. Obwohl ich doch dachte, dass es zwischen Mike und mir etwas ganz Besonderes gibt. Dass wir irgendwie auf einer Wellenlänge liegen. Aber jetzt glaube ich, dass all das vielleicht nur eine große Lüge war. Die magische Vertrautheit. Das unerwartet tröstliche Gefühl, endlich mal verstanden zu werden. Die beruhigende Nähe. Es ist gut möglich, dass ich an diesem fürchterlichen Ort in Wahrheit ganz allein bin. Ich weiß nicht, ob ich das überlebe, wenn Mike mich gar nicht leiden kann. Keine Ahnung, warum der gut aussehende Halbjapaner so etwas zu mir gesagt hat. Warum dieser fremde Mann, obwohl er mich tief drinnen anscheinend hasst, mit seinen Worten und den zärtlichen Berührungen trotzdem bei mir den Eindruck erweckt hat, mich sehr wohl zu mögen.

„Ich weiß nicht... ist schon gut...”, stammle ich maßlos deprimiert. Ich kenne ihn gar nicht, grübele ich traurig, ich habe keinen Schimmer davon, wer er wirklich ist oder was in ihm vorgeht. „Mike?” fragt Noah und schaut ihn an. Mike schüttelt den Kopf und wendet sich ab. Der Patient geht zurück an seine Staffelei und malt sein großes Bild weiter. Er taucht seinen Pinsel in die Farbe und bewegt ihn heftig und schnell über die Leinwand. Als wäre gar nichts passiert.

Noah sieht mich irritiert an. „Was war denn hier los, Chester?” erkundigt er sich sanft. Seine grünen Augen hinter der Nickelbrille gucken sorgenvoll. „Ich weiß nicht...”, wiederhole ich hilflos. Noah schaut auf meine Leinwand und registriert ihre Unberührtheit. „Weißt du nicht, was du zeichnen sollst?” fragt er ruhig. „Doch... ich fange jetzt an...”, erwidere ich und greife mir spontan einen der Pinsel. „Denk bitte daran, dass es keine Bewertungen gibt, Chester. Du kannst deinen Gefühlen beim Malen völlig freien Lauf lassen, okay?” meint der Therapeut und lächelt mich liebenswürdig an. Ich nicke und versuche ein Lächeln, kriege es aber nicht hin. In meinem extrem verwirrten Kopf ist es entschieden zu laut. Die Dunkelheit schlägt zu. Dringend muss ich mich ablenken. Darum konzentriere ich mich notgedrungen auf die von Noah gestellte Aufgabe.

Mein Pinsel taucht sich von selbst in die schwarze Farbe. Bewegt sich dann automatisch über die weiße, gähnende Leere auf der großen Leinwand vor mir. Überraschend schnell habe ich einige Umrisse gezeichnet. In ständiger Folge holt mein Pinsel sich Farbe und streicht damit über das Papier. Mit der Zeit wird mein Motiv immer klarer erkennbar. Es ist ein vergrämter, hagerer Mann mit faltigem Gesicht, leicht nach vorne gebeugt, der den Kopf traurig gesenkt hält. Alles an ihm drückt Resignation aus. Die eiskalte, dunkle Depression hat ihn in ihren Klauen. Seine Augen und sein Mund sind fest geschlossen. Als wollte er die Umgebung ausblenden. Vielleicht kommt sie aber auch nur nicht mehr an ihn heran. Seine Nase ist relativ groß. Der Mann ist noch nicht alt, sieht aber total verzweifelt aus. Sein dürrer, ausgezehrter Oberkörper ist nackt. Mein Pinsel holt sich noch andere Ölfarben und bewegt sich autonom über die Leinwand. Der depressive Mann trägt eine extrem schwere Last auf seinen Schultern, die er kaum stemmen kann. Es könnte vielleicht eine graue, nackte, sehr fette Frau sein, die ihre Knie fest auf seinen Schädel drückt und ihn damit in die defensive, gebeugte Haltung zwingt. Eventuell ist es aber auch nur dieses unvorstellbar schwere, undefinierbare Etwas, das ihn beinahe erdrückt. Es könnte der dunkle Dämon sein, den er pausenlos, in jeder einzelnen Sekunde seines Lebens mit sich herumschleppen muss. An manchen Tagen spürt er ihn kaum. Und dann wieder, so wie jetzt gerade, ist der fette Dämon so unfassbar schwer, dass er ihn kaum noch tragen kann. Auf meinem Bild ist der ausgemergelte Mann nahe daran, unter der riesigen, erdrückenden Last zusammenzubrechen. Genau so sieht mein Leben aus. So fühle ich mich momentan. Die verfluchte Dunkelheit hängt mir spürbar im Nacken. Und so sieht man es plötzlich auch auf meiner Leinwand.

Als mein spontanes Gemälde fertig ist, stehe ich reglos dort, den Pinsel noch in der Hand, und schaue es verwirrt an. Ich habe keine Ahnung, wo genau dieses bedrohliche Bild plötzlich hergekommen ist. Es scheint wahrhaftig aus den Tiefen meiner schwarzen Seele entsprungen zu sein. „So, liebe Leute, das war's mal wieder für heute! Bitte wascht noch eure Pinsel aus, bevor ihr geht! Wie immer könnt ihr eure Werke zum Trocknen einfach auf den Staffeleien stehenlassen” ruft der Therapeut von irgendwoher und holt mich damit aus meiner merkwürdigen Erstarrung. Irritiert gucke ich mich um. Ich habe gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen ist. So sehr war ich in meine impulsive Malerei vertieft. Irgendwie war das erholsam.

Aber jetzt knallt die Realität aufs Neue ungebremst in meinen Schädel rein. Frustriert schaue ich auf Mikes Gemälde. Mein Nachbar scheint sein Werk ebenfalls vollendet zu haben. Die quadratischen Männchen bewegen sich in einer abstrakten, von geraden Linien dominierten Welt. Das sieht ganz schön professionell aus, was der Besondere da gezeichnet hat. Ohne Frage hat Herr Shinoda ein riesiges Talent dafür. Erst jetzt fällt mir auf, dass Mikey mich ansieht. Unerwartet treffen sich unsere eingeschüchterten Blicke. Mike sieht traurig aus. Seine faszinierenden Augen erforschen bang mein ratloses Gesicht. Er räuspert sich nervös. „Du bist Linkshänder?” fragt er ganz leise. Verwirrt schaue ich auf den Pinsel in meiner linken Hand. „Ähm... ja”, bestätige ich nickend. Fragend studiere ich ihn, will instinktiv herausfinden, ob er noch immer so dermaßen wütend auf mich ist. Ob Mike Shinoda mich unverändert für einen verlogenen und verachtenswerten Scheißkerl hält. Aber zu meiner Verwirrung finde ich in dem wunderschönen, runden und bärtigen Gesicht des Halbjapaners keinerlei Wut mehr. Nur noch – Traurigkeit? Besorgnis? Bedauern? Etwa Zuneigung? Das verstehe ich nicht. Ich weiß nicht, was Mike Shinodas Meinung über mich in der Zwischenzeit geändert haben könnte. Aber vielleicht stimmt das auch gar nicht, überlege ich verunsichert, sicher hasst der Typ mich in Wahrheit immer noch. Ich kenne diesen fremden Patienten der geschlossenen Psychiatrie nicht. Anscheinend habe ich ja alles völlig falsch verstanden, was in den letzten zwei Tagen zwischen uns passiert ist. Das deprimiert mich so sehr, dass ich frustriert aufstöhnen muss.

„Na, Chester, wie sieht es aus?” spricht mich der Therapeut freundlich an, der plötzlich neben mir auftaucht. Neugierig schaut er sich mein enorm düsteres Gemälde an. Sein heiteres Lächeln verblasst langsam und macht einer irgendwie erschrockenen Besorgnis platz. Ein paar Minuten ist er ganz still, während er mein Bild sehr sorgfältig betrachtet. Die anderen Patienten im Atelier waschen wohl ihre Pinsel aus. Ein paar unterhalten sich leise dabei. Andere verlassen schon das Zimmer. Die Kreativtherapie ist zu Ende. Plötzlich will ich dringend aus diesem Raum raus. Ich wünschte, ich hätte dieses Bild nicht gemalt. Auf einmal scheint es mir entschieden zu persönlich zu sein, viel zu offensichtlich. Ich will nicht, dass jeder sieht, dass mit mir was nicht stimmt. Chester hat sich hinreißen lassen. Einfach spontan seinen inneren Impulsen gehorcht. Ohne darüber nachzudenken. Mike hat mich zu stark schockiert. Der Besondere hat mich dermaßen verletzt, dass ich jetzt nicht mehr weiß, ob ich diese Verwundung überhaupt überlebe. Panisch taxiere ich ihn. Er steht überraschend nah neben mir und betrachtet meine Zeichnung, genau wie der Therapeut auf meiner anderen Seite. „Chester...”, murmelt Mikey erschüttert. Der attraktive Mann sieht mich nicht an. Er ist ganz in den Anblick meines Motivs vertieft. Es sieht so aus, als würde mein Bild ihn erschrecken. Möchte mal wissen, was genau der Halbjapaner eigentlich darin sieht. Es ist doch nichts als ein blödes Gemälde.

Instinktive Wut kommt in mir hoch, die ich nicht einordnen kann. Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll. Fühle mich frustrierend hilflos. Wünschte, ich könnte einfach verschwinden. „Das ist schön, Chester”, bemerkt Noah sanft. Sachte lächelt er mich an. Abrupt blase ich spöttisch Luft aus. „Nein, das ist alles andere als schön!” platzt es widerspenstig aus mir heraus. Im nächsten Moment tut mir das schon leid. Ich mag diesen Therapeuten und will auf keinen Fall unfreundlich zu ihm sein. Aber Noah lächelt verständnisvoll und nickt. „Natürlich nicht”, stimmt er mir zu, „Ich meine damit, dass du das wirklich schön eingefangen hast. Deine Zeichnung ist erstaunlich ausdrucksstark. Man wird davon tief berührt.” Ich muss grinsen, weil er doch vorhin so oft betont hat, dass es keine Bewertungen für die Gemälde geben würde. Fühle mich unangenehm aufgewühlt. Bin frustriert. Ich sehe Mike an, weil ich dringend will, dass er mich beruhigt. Ich möchte von Shinoda zärtlich berührt werden. Der besondere Patient soll mir auf der Stelle versichern, dass alles nur ein dummer Irrtum war. Er muss mir jetzt unbedingt zeigen, dass er mich gut leiden kann. Doch Mike dreht sich weg. Der künstlerisch begabte junge Mann taucht seinen Pinsel in das metallene Gefäß mit Terpentin, das unter jeder Staffelei befestigt ist, wäscht ihn aus und legt ihn zurück auf die Ablage. Danach geht er einfach davon. Mike verlässt das Zimmer. Ohne mich nochmal anzusehen. Ohne noch irgendwas zu mir zu sagen. Kein einziges Wort mehr. Fassungslos schaue ich ihm nach. Das fühlt sich an, als hätte der süße Halbjapaner mich für immer verlassen. Als hätte Michael Shinoda innerlich irgendeinen Schlussstrich gezogen. Ich ertrage das nicht. Kann das nicht aushalten. Ein entsetztes Stöhnen entringt sich meiner Kehle, bevor ich es aufhalten kann.

„Möchtest du darüber reden, Chester?” flüstert Noah beinahe flehend. Das freundliche, bärtige Gesicht mit der runden Nickelbrille studiert mich sorgenvoll. Es gefällt mir nicht, wie viel Mitleid in seinen grünen Augen steckt. Das gibt mir das Gefühl, als hätte ich dem Therapeuten mit meiner düsteren Zeichnung entschieden zu viel Privates von mir offenbart. Vielleicht hat Noah auch gemerkt, dass zwischen Mike Shinoda und mir irgendwas kaputtgegangen ist. Womöglich ahnt der Studierte sogar, dass da mal irgendwas zwischen Mike und mir war. Das gefällt mir ganz und gar nicht. „Nein!” wehre ich entschieden ab. Noah nickt nachdenklich, während er mich aufmerksam betrachtet. Nervös schiebe ich meine Brille zurecht. Ich muss diesen scheiß Pinsel loswerden. Hektisch tauche ich ihn in das Terpentin, so wie Mike es gerade auch gemacht hat, wasche ihn aus und lege ihn zurück auf die Ablage. Ich möchte jetzt dringend gehen. Aber ich will auch nicht unhöflich sein. Eine Weile stehe ich einfach so dort und lasse mich von dem freundlichen Therapeuten abschätzen. „Wie geht es dir, Chester? Wie gefällt es dir hier?” will Noah behutsam wissen. Seine grünen Augen erforschen interessiert mein Gesicht. Ich mag es nicht, wie er mich analysiert. „Mir geht’s gut”, wehre ich ihn seufzend ab, ohne ihn anzusehen, „Das ist schon okay hier...” „Schwachsinn!” erwidert er so überzeugt, dass ich erschrocken zusammenzucke. Verunsichert schaue ich ihn an. Sein Lächeln ist verschwunden. „Es geht dir überhaupt nicht gut, Chester Bennington!” hat Noah zweifelsfrei festgestellt. „Und du hast gesagt, du würdest meine Malerei nicht bewerten!” blaffe ich ihn verärgert an.

In diesem Moment tritt Ulrich durch die Tür, die Mike beim Rausgehen offen gelassen hat. Mein Pfleger findet mich und kommt sofort auf mich zu. Ich wünschte, er würde mein ziemlich entlarvendes Gemälde jetzt nicht sehen. Aber natürlich sieht Ulli es sich sofort neugierig an. Eine Weile steht er neben dem Therapeuten und glotzt verblüfft den hageren Mann mit der fetten, tonnenschweren Last auf den schmalen Schultern an. „Hast du das gemalt, Chester?” fragt er vorsichtig. „Nein, das war der Therapeut!” behaupte ich grimmig. Es ist unfair, dass jeder sich mein Bild ansieht und es sofort mit meiner persönlichen Situation in Verbindung bringt. Ich will nicht, dass alle denken, ich wäre ein kranker, depressiver Psychopath. Pfleger Ulrich schaut irritiert den Therapeuten an. Noah lacht verdutzt auf und schüttelt den Kopf. „Wo muss ich jetzt hin, Ulli?” frage ich meinen aufdringlichen Pfleger schnell, bevor die beiden Männer noch anfangen über mein Gemälde oder meine psychische Verfassung zu diskutieren. „Chester hat ein wirklich großes Talent fürs Zeichnen!” bemerkt Noah anerkennend und grinst zufrieden. Zu meinem Erstaunen nickt Ulrich zustimmend. „Ja, tatsächlich. Und Herr Bennington kann auch richtig gut singen”, erwähnt der Weißgekleidete hörbar beeindruckt. „Oh ja, davon habe ich auch schon gehört!” meint Noah lächelnd. Beide Typen sehen mich an, als würde mein angebliches Talent ihnen imponieren. Ich bin nicht sicher, ob die undurchsichtigen Kerle mich nicht gerade verspotten, darum sage ich gar nichts dazu. „Muss ich jetzt nicht irgendwo hin, Ulli?” dränge ich ihn ungeduldig. Beschwichtigend hebt er die Hände. „Du hast jetzt Freizeit, Chester. Ich kann dir nochmal die Gemeinschaftsräume zeigen, in denen du dich während deiner freien Zeit aufhalten kannst. Wenn du möchtest, kannst du aber auch in dein Zimmer gehen”, erklärt er mir ruhig. Ich glaube nicht, dass ich es jetzt allein in meinem deprimierenden Zimmer aushalten kann. Ich fühle mich bedrohlich eingesperrt. Möchte dringend an die frische Luft. Der strenge Geruch des Terpentins verursacht mir langsam Kopfschmerzen.

„Darf ich in den Park gehen?” frage ich Ulli flehend. Fassungslos taxiert er mich. „Sag mal, ist das dein Ernst, Bennington?” fragt er so, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Das ärgert mich, und ich weiche genervt seinem bohrenden Blick aus. Nervös trete ich auf der Stelle und schiebe nochmal meine Brille zurecht. „Ach, komm schon, Ulli. Ich will doch nur in den scheiß Park raus...”, quengele ich frustriert. „Damit du dich nochmal mit Kaitleen und Tracy treffen kannst? Auf gar keinen Fall, Chester! Das kannst du ehrlich für die nächsten paar Wochen komplett abhaken!” informiert Pfleger Ulrich mich im Brustton der Überzeugung. „Was war denn da im Park?” will Noah neugierig wissen und betrachtet mich schmunzelnd. Gestresst weiche ich seinem Blick aus. Es stimmt nicht, was Ulrich mir blöderweise unterstellt. Weder Kaitleen noch Tracy will ich jemals wiedersehen. In Gedanken bin ich bestimmt nicht auf dieser Lichtung und liege mit zwei unbekannten Schnepfen im Gras.

Es ist ein anderer Ort, nach dem ich mich verwirrend heftig sehne. Jemand anders erfüllt ungesteuert meine Gedanken. In Wahrheit sehe ich mich auf der gut versteckten Parkbank, die ich an meinem ersten Tag hier kennengelernt habe. Als ich zum ersten Mal mit Mike Shinoda allein war. Als wir uns zum ersten Mal berührt haben. Obwohl ich es wahrscheinlich besser wissen sollte, kann ich mich nicht so leicht damit abfinden, den besonderen Patienten wegen eines einzigen beschissenen Fehlers verloren zu haben. Da ist ein Hauch von widersinniger Hoffnung in mir, dass Mike vielleicht an unserer Parkbank auf mich wartet. „Komm mit, mein Freund. Ich zeige dir den Gemeinschaftsraum. Da wirst du schon was finden, womit du dir die Zeit vertreiben kannst. Und zwar etwas, das weit weniger schädlich und verboten für dich ist”, bemerkt Ulli ziemlich arrogant, ohne auf die Frage des Therapeuten einzugehen.
 

9. To the point I've regressed


Michael Kenji Shinoda

Vier Quadratmeter. Mein Zimmer ist nur vier Quadratmeter groß. Jeder Zentimeter davon ist von jeher sinnvoll genutzt worden. Und mir höchst vertraut. Seit gefühlten Ewigkeiten wohne ich hier. Der Raum ist praktisch eingerichtet. Aber nicht schön. Es gibt keinerlei Dekorationen oder Bilder an den Wänden. Nichts als triste Möbelstücke. Ich kenne den Tisch, den Sessel, das Bett, den Schrank und das Fenster, an dem ich stehe, zur Genüge. Meine Augen schauen hinaus. Registrieren die Sonne draußen, die schon tief am Himmel steht. Ich sehe den Park und hinten die große Wiese, auf der sich viele Menschen aufhalten. Einige treiben irgendeine Sportart mit einem Ball. Andere sitzen gemeinsam im Gras. Es ist später Nachmittag. In der Psychiatrie ist dies die Tageszeit, zu der die wenigsten Therapien stattfinden. Folglich haben die meisten Patienten jetzt Freizeit. Genau wie ich. Bisher habe ich meine freie Zeit ausschließlich in diesem Raum verbracht. Damit war ich vollends zufrieden. Innerhalb dieser vier Wände habe ich meine Ruhe. Niemand stört mich hier. Nichts kommt an mich heran. Ich bin mir selbst immer genug gewesen. Alles war dunkel und ruhig in mir. Es gab keine Aufregung. Denn nichts war wichtig genug, um darüber nachzudenken.

Leider funktioniert das seit zwei Tagen nicht mehr. Genauer gesagt seit dem Augenblick, als dieser Kerl sich in meine Seele gesungen hat. Damit hat er mich schlagartig aus mir selbst herausgerissen. Seitdem ist alles anders. Meine kleine Welt ist sehr viel komplizierter geworden. Definitiv nervenaufreibender. Blöderweise ist es vorrangig mein eigener Kopf, der mir einen Strich durch die Rechnung macht. In meinem verwirrten Schädel ist es entschieden zu laut. Schon wieder. Ich habe meine innere Ruhe verloren. Der schützende Panzer um mich herum ist zerbrochen. Dieser fremde Typ hat ihn kinderleicht kaputtgemacht. Innerhalb von Sekunden hat der das geschafft. Schneller, als ich es begreifen kann. Und nun bin ich meiner Umwelt hilflos ausgeliefert. So fühlt es sich jedenfalls an. Das gefällt mir nicht. Zum zweiten Mal, seit sie mir dieses Zimmer als sicheren Rückzugsort zugewiesen haben, bedroht mich das unangenehme Gefühl, dass mir jeden Moment die Decke auf den Kopf fällt. Die Wände kommen erdrückend auf mich zu. Die undurchdringliche Stille in diesem Raum wird unerträglich. Weil durch die absolute Geräuschlosigkeit der Lärm in meinem Kopf nur lauter wird. Die tosenden Gedanken erscheinen noch intensiver. Allumfassender. Das verwirrende Chaos in mir hebt sich störend aus der äußerlichen Ruhe meines Zimmers hervor.

Hilflos stehe ich am Fenster und starre hinaus. Immerzu stelle ich mir Chester vor, der sich jetzt gerade in diesem Park aufhält. Er ist gar nicht so weit entfernt von mir. Hat sich in irgendeinem Gebüsch versteckt. In einer verborgenen Ecke der Grünanlage. Die ich von hier nicht sehen kann. Chester genießt es, an der frischen Luft zu sein. Er mag es nicht, im Gebäude der Psychiatrie eingesperrt zu werden. Mit Sicherheit verbringt der Patient Bennington seine spärliche Freizeit draußen. Bestimmt ist er mit irgendeinem Mädchen zusammen. Oder mit einem anderen Kerl. Oder mit mehreren. Auch wenn ich vermute, dass Chester aus Phoenix von Kaitleen und Tracy vorerst genug hat, so fällt es dem berühmten Casanova mit Sicherheit nicht schwer, andere Freiwillige zu finden. Schließlich interessiert sich doch die ganze Station für den Sänger mit der tollen Stimme. Mein Kopf tut weh. Meine Seele schmerzt. Pausenlos sehe ich meinen Mann mit irgendwem in einem Gebüsch rummachen. Und warum sollte er auch nicht? Ich selbst war es doch, der es ihm erlaubt hat. Bei unserem Streit vorhin in der Kreativtherapie habe ich Chester bewilligt, seinen Bennington-Schwanz überall reinzustecken. Ich war entsetzlich wütend auf den verdammten Kerl. Er hat mich so sauer gemacht. In meinem aufbrausenden Zorn habe ich Dinge zu ihm gesagt, die ich in Wahrheit gar nicht meine. Aber das kann er ja nicht wissen. Bestimmt denkt er jetzt, dass es mir egal wäre. Und tobt sich deshalb erst richtig aus. Diese Vermutung tut mir weh.

Es ärgert mich extrem, dass ich diese Bilder in meinem Kopf nicht loswerde. Eigentlich will ich gar nicht daran denken. Will mir nicht pausenlos diesen Scheiß vorstellen. Ich will nicht so abhängig von Chester sein. Aber die schmerzende Vorstellung hat sich autonom in meinem Gehirn festgekrallt. Immerfort sticht sie bösartig auf meine Seele ein. Auch wenn mir das nicht gefällt, so muss ich langsam einsehen, dass ich da alleine nicht herausfinden kann. Ich stecke in meinem eigenen Kopf fest. Und es scheint keinen Ausweg zu geben. Meine Gedanken drehen sich andauernd im Kreis. Ich schaffe es nicht mehr, in meinem vertrauten Zimmer die Ruhe zu finden, die ich hier gesucht habe. Und nach der ich mich dringend sehne. Stattdessen werde ich in diesem deprimierenden Raum nur immer ruheloser. Das ärgert mich. Unzufrieden drehe ich mich vom Fenster weg. Laufe eine Weile meine vier Quadratmeter ab. Vom Fenster zum Bett zum Schrank zum Sessel zum Tisch. Dann wieder zum Fenster. Meine Füße bewegen sich schnell. Sind aggressiv. Weil das Zimmer so beengt ist, muss ich pausenlos im Kreis herumlaufen. In der Bewegung suche ich intuitiv Erleichterung. Ich versuche, mich richtig anzustrengen. Bringt aber auch nix. Das merke ich ziemlich schnell. Sinnlos herumzulaufen bringt mich in Wahrheit keinen einzigen Schritt weiter. Es fällt mir schwer, diese erschreckende Tatsache zu akzeptieren, dass ich an meinem bisherigen Rückzugsort keine tröstende Ruhe mehr finde. Verdammt! Ich muss aus dieser frustrierenden, viel zu engen Kammer raus. So wenig mir das auch behagt.

Einem plötzlichen Impuls folgend, öffne ich die Tür und trete hinaus auf den Flur. Ich verlasse die Sicherheit meiner persönlich zugewiesenen vier Quadratmeter. Und schließe die Tür hinter mir. Normalerweise mache ich so etwas nicht freiwillig. Unvorhergesehene Dinge können geschehen, wenn man sich aus seinem Zimmer wagt. Es könnte passieren, dass ich nochmal verletzt werde, wenn ich mich mit anderen Menschen einlasse. Wer weiß schon, was mir widerfährt, wenn ich Chester Bennington das nächste Mal begegne. Womöglich überlebe ich das gar nicht. Diese Ungewissheit ist total nervenaufreibend. Extrem gefährlich. Sie macht mir eine Heidenangst. Aber im Moment scheine ich keine andere Wahl zu haben. In der abgelegenen Stille meines Raumes dreht mein Kopf durch. Etwas stimmt nicht mit mir. Ständig sehe ich Chester in diesem Park mit irgendwem. Die Vorstellung macht mich rasend eifersüchtig. Obwohl ich das gar nicht will.

Ich weiß noch nicht mal, ob der Besondere überhaupt noch mit mir sprechen wird. Oder mich wiedersehen will. Vielleicht hat der fremde Patient endgültig genug von mir und meinen impulsiven, viel zu emotionalen Launen. Das würde mich nicht wundern. Denn ich war nicht nett zu ihm. Schon wieder nicht. Erst vorhin in der Therapie habe ich ihn ziemlich herbe angeschnauzt. Konnte mich einfach nicht beherrschen. Das hätte ich nicht tun dürfen. Nicht so öffentlich. Mit Sicherheit haben alle in diesem Zeichenraum genau mitgekriegt, worüber Chester und ich uns gestritten haben. Das war definitiv falsch. Auch wenn ich einen guten Grund habe, wegen ihm total angepisst zu sein. Schließlich hurt der verfluchte Kerl mit anderen Patienten herum. Die er gar nicht kennt. Das macht mich schlicht verrückt. Die Situation zwischen uns ist vollkommen ungeklärt. Am liebsten würde ich den verhängnisvollen Engel einfach vergessen. Geht aber nicht. Schaffe ich nicht. Trotz alledem verweilen meine Gedanken hartnäckig bei Chester Bennington. Ob ich das will oder nicht. Pausenlos sehe ich sein wunderschönes Gesicht vor mir. Seinen perfekten Körper. Sein magisches Lächeln. Chazy Chaz ist unaufhörlich in meinem Gehirn. Dagegen bin ich völlig machtlos.

Während ich nervös über den zum Glück menschenleeren Flur gehe, hängen meine Gedanken an Chesters Gemälde fest. Dieses enorm düstere und bedrohliche Bild, das er in der Kreativtherapie gemalt hat, will mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Das Motiv hat mich ganz schön schockiert. Der hagere Mann auf dem Bild hat zweifellos eine erschreckende Ähnlichkeit mit Chester. Eine ältere, leidende, gequälte Variante von ihm. Und diese hässliche, erdrückende Last, die er auf seinen Schultern tragen muss, erscheint mir Chesters ureigener Dämon zu sein. Ich weiß nicht, warum mir spontan dieser Gedanke kam, als ich Chesters Gemälde betrachtet habe. Aus irgendeinem Grund hatte ich sofort das Gefühl, dass ich ihm helfen muss. Dass der Mensch, der dieses Ölbild gemalt hat, meine Hilfe dringend braucht. Ich will Chester Bennington von seiner schweren Last befreien. Will die bösen Gespenster aus seinem Leben verjagen. Das ist schon wieder so ein neues Gefühl, das ich nicht erklären kann. Keine Ahnung, was das überhaupt bedeutet. Vielleicht ist auch alles ganz anders. Womöglich interpretiere ich da etwas hinein, was es in Wahrheit gar nicht gibt. Ich weiß es nicht. Kenne den fremden Kerl zu wenig. Fest steht, dass ich alleine sein beängstigendes Gemälde nicht entschlüsseln kann. Ich muss Chester nach der Bedeutung fragen. Da gibt es keine Alternative. Es hat mich unerwartet tief erschüttert, dass mein Mann ausgerechnet dieses Motiv gemalt hat, kurz nachdem wir uns so hässlich gestritten hatten. Das gibt mir das quälende Gefühl, als wäre es meine Schuld, dass er so etwas extrem Bedrohliches auf die Leinwand gebannt hat. So etwas Düsteres. Und Trauriges. Ich weiß auch nicht. Fühle mich jedenfalls schlecht deswegen. Ich muss das dringend klären, denn ich fürchte, sonst finde ich keine Ruhe mehr. Verdammt! Dieser rätselhafte Mann raubt mir den letzten Nerv. So kenne ich mich gar nicht. Was zur Hölle ist nur los mit mir? Was macht der Fremde mit mir? Welche Macht hat er über mich? Das gefällt mir alles nicht.

Meine Füße laufen über den harten Steinboden. Ich fasse es nicht, was ich hier tue. Jetzt irre ich schon wie aufgescheucht durch die geschlossene Station. Mein Körper bewegt sich schnell. Eilige, gleichmäßige Schritte. Sämtliche Bereiche und Abteilungen der Psychiatrie laufe ich ab, die mir zugänglich sind. Genauso wie diese gruseligen Patienten, die ständig wie Zombies allein durch die Flure wandern, weil sie anscheinend pausenlos in Bewegung sein müssen. Meine Augen huschen unruhig durch die Gegend. Bin alarmiert. Panisch auf der Suche nach irgendeiner Ablenkung. Ich muss das quälende Getöse in meinem Kopf dringend loswerden. Meine Beine bewegen sich autonom. Ein hastiger Schritt nach dem anderen. Es scheint, als könnte ich sie nie mehr aufhalten. Ich befinde mich auf der Flucht vor mir selbst. So etwas habe ich bisher noch nie gemacht. Niemals bin ich ziellos durch die Psychiatrie gelaufen. Und ich sollte es auch echt nicht. Das ist voll creepy! Keine Ahnung, was ich mir überhaupt davon verspreche. Ich weiß nur, dass ich die Stille und Eintönigkeit in meinem Zimmer nicht länger aushalten kann. Die körperliche Bewegung lenkt mich aber längst nicht genug von meinen rotierenden Gedanken ab. Die triste Umgebung vermag mich nicht zu beruhigen.

Nervös laufe ich in den Gängen herum, angespannt und aufmerksam Ausschau haltend. Offenbar hoffe ich irgendwas zu finden. Dabei weiß ich noch nicht mal, wonach ich eigentlich konkret suche. Die wenigen Menschen, denen ich auf meinem einsamen Weg begegne, ignoriere ich geflissentlich. Will ich nichts mit zu tun haben. Sämtliche Pflegekräfte wundern sich unübersehbar darüber, mich hier anzutreffen. Und ich weiß auch warum: Während der Freizeit habe ich mich bisher noch niemals außerhalb meines Zimmers aufgehalten. Zum Glück spricht mich niemand an. Je länger ich über meine spontane und seltsam emotionale Wanderung nachgrübele, umso weniger kapiere ich mein sinnloses Herumlaufen. Plötzlich fällt mir ein möglicher Grund ein. Zwei Sekunden später bin ich stinksauer. Verdammt nochmal! Mike Shinoda wird einen Teufel tun und in jeder Ecke nach Chester Bennington suchen! Nein, auf keinen Fall! Zum Verrecken nicht! Weder hat der untreue Typ es verdient, dass ich nach ihm suche, noch will ich ihm so eine beängstigende Macht über mich geben. Außerdem ist der Arsch doch sowieso draußen im Park. Und hat just in diesem Moment höchstwahrscheinlich Sex mit irgendwem, der dafür schon Schlange gestanden hat.

Schlagartig extrem verärgert, bleibe ich abrupt stehen. Meine Gedanken überschlagen sich förmlich. Das geht nicht. Ich mache mich doch komplett zum Idioten, schimpfe ich mit mir. Dringend muss ich jetzt damit aufhören. Verwirrt und extrem aufgewühlt fällt mein Blick auf die Tür, an der ich nur zufällig angehalten habe. Jemand hat mit schwarzer Farbe in großen Buchstaben das Wort Bibliothek auf die weiße Tür gemalt. Mir ist bekannt, dass in der geschlossenen Psychiatrie ein paar Bücher angeboten werden, die die Patienten lesen dürfen, falls sie das tun wollen. Aber ich habe diese Bibliothek noch nie besucht oder auch nur in Anspruch genommen. Bislang hatte ich kein Bedürfnis danach, ein Buch zu lesen. Hat mich einfach nicht interessiert. Es scheint Jahre her zu sein, seit ich überhaupt etwas gelesen habe. Aber jetzt erscheint es mir plötzlich wie eine gute Idee. Womöglich kann das Lesen einer Geschichte meine innere Unruhe bekämpfen. Vielleicht lenkt es mich sogar von meinen quälenden Gedanken an Chester ab.

Zielstrebig mache ich zwei weitere Schritte und drücke die Klinke hinunter. Die Tür ist nicht abgeschlossen. Also trete ich schnell ein und mache die Tür hinter mir zu. Im nächsten Moment stehe ich dort und schaue mich nervös um. Ich kenne diesen Raum nicht. Jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern, jemals hier gewesen zu sein. Die Bibliothek der geschlossenen Psychiatrie ist nicht allzu groß, aber relativ hell. Durch die großen Fenster scheint die Nachmittagssonne hinein. Ein hastiger Rundumblick offenbart mir, dass sich entgegen meiner Erwartung offenkundig niemand in dieser Einrichtung aufhält. Anscheinend ist unter den Patienten der Psychiatrie das Interesse am Lesen nicht allzu groß. Das verwirrt mich, weil das ganze Zimmer vollgestopft mit hohen Regalen ist, in denen verschiedene Bücher stehen. Aber es gibt niemanden, der die Bücher verleiht. Keiner passt auf das Eigentum der Psychiatrie auf. Eventuell darf man sich einfach ein Buch nehmen, wenn man es lesen will, überlege ich. Keinen Schimmer, wie das hier genau funktioniert. Es ist gut möglich, dass mir das am Anfang mal jemand erklärt hat. Als ich hier ankam. Aber auch die Bibliothek war mir zu diesem Zeitpunkt herzlich gleichgültig. Ich habe mir das einfach nicht gemerkt. Es wundert mich, dass die vielen Bücher in diesem Raum völlig unbewacht sind. Aber vielleicht werden sie ja trotzdem nicht geklaut. Keine Ahnung. Ist mir auch egal. Ich bin heilfroh, dass niemand hier ist. So kann ich mir in aller Ruhe ein Buch aussuchen. Falls ich überhaupt etwas finde, was mir halbwegs zusagt. Das muss sich erst noch herausstellen.

Interessiert gehe ich an den hohen Regalen entlang und schaue mir aufmerksam die vielen Buchrücken an. Ich lese die Titel, wofür ich meinen Kopf zur Seite drehen muss. Die meisten Titel sind mir unbekannt. Auch die Autoren sagen mir fast alle nichts. Es scheint sich überwiegend um Romane zu handeln. Konzentriert beschäftige ich mich mit der Suche nach geeignetem Lesestoff. Ab und zu nehme ich ein Buch heraus und lese die Rückseite oder den Klappentext, um etwas über den Inhalt zu erfahren. Jedoch weckt keine Geschichte mein näheres Interesse. Also stelle ich alle Bücher wieder zurück ins Regal. Auf diese Weise gelange ich im Laufe der Zeit beinahe unbemerkt in den hintersten Winkel der kleinen Bibliothek. Dieser Bereich des Raumes war zuvor von den hohen Regalen verdeckt. Abgelenkt hebe ich den Kopf und sehe mich um. Zu meiner Verblüffung finde ich eine winzige Leseecke, die aus einem Sofa, einem Sessel, zwei Stühlen und ziemlich vielen, quadratischen Deko-Kissen besteht. Die Möbelstücke sind bunt zusammengewürfelt worden. Sie sehen alt und zerschlissen aus, was mich wundert, wo doch die Bibliothek so selten besucht zu werden scheint.

Der grelle Blitz trifft mich wie aus heiterem Himmel. Als ich urplötzlich registriere, dass auf dem Sofa jemand liegt. Fast fällt mir vor Schreck das Buch aus der Hand. Das ich gerade herausgeholt hatte. Im letzten Moment kann ich es auffangen. Bevor es lautstark auf dem Boden aufschlägt. Mit zitternden Fingern stelle ich das Buch zurück ins Regal. Das kann doch wohl nicht wahr sein, denke ich matt, das glaube ich jetzt nicht. Ansonsten ist mein Körper völlig reglos. Bin schlagartig versteinert. Fassungslos. Ungläubig fixiere ich eine Weile die gut versteckte Leseecke. Langsam muss ich einsehen, dass es wahr ist. Das hier passiert wirklich. Kein Zweifel mehr.

Chester Bennington liegt ausgestreckt auf diesem Sofa. Der bezaubernde Sänger aus Phoenix schläft. Tief. Eigentlich sollte mich das nicht wundern. Dass er schläft, meine ich. Schließlich war der arme Kerl doch schon den ganzen Tag lang unübersehbar todmüde. Trotzdem fühle ich mich wie vor den Kopf geschlagen. Ein plötzlicher Donnerschlag hat mich ereilt. Heftig. Hat mich in zwei Sekunden zur Salzsäule erstarren lassen. Weil ich hier ehrlich nicht mit Chester gerechnet habe. Im Gegenteil. In den letzten zehn Minuten hatte ich es mit Hilfe der Bücher endlich geschafft, den Mann aus meinem Schädel zu verbannen. Die komplett unerwartete Situation überfordert mich auf eine Art, die ich nicht kenne. Ich verstehe nicht, warum der Typ ausgerechnet hier liegt. Hier schläft. Auf diesem Sofa. In der menschenleeren Bibliothek der Psychiatrie. Die ich heute zum ersten Mal in meinem Leben betreten habe. Ich begreife nicht, wie das überhaupt möglich sein kann, dass ich Chester in diesem Raum treffe. Den Besonderen plötzlich wiedersehe. Den fantastischen Engel finde. Obwohl ich gar nicht nach ihm gesucht habe. Trotzdem taucht der Mann plötzlich auf. Wie eine überraschende Erscheinung. An so einem seltsamen, gut versteckten Ort. Wo wir zur Zeit wahrhaftig für uns allein sind. Unwillkürlich frage ich mich, ob da womöglich irgendwelche überirdischen Mächte am Werk sind, die ihn und mich zuverlässig wieder zusammenführen. Egal, was zwischen uns passiert ist. Egal, wie viele bösen Wörter da vorher gewechselt wurden. Oder wie heftig wir uns gestritten haben. Ich will erfahren, ob hier eventuell das gnädige Schicksal zuschlägt. Aber ich weiß es nicht. Spüre es nur.

Mein Herz fängt von alleine an zu hämmern, als ich mich dem schlafenden Sänger vorsichtig nähere. Automatisch hängt mein Blick an dem besonderen Menschen fest. Meine Augen können sich nicht mehr von der vertrauten Gestalt wegbewegen. Dieser wahnsinnig attraktive Körper. Alles an Chester Bennington scheint perfekt zu sein. Sphärisch. Kann mich niemals sattsehen an dem Mann. Auch in hundert Jahren nicht. Jeden schlanken, feingliedrigen Zentimeter von ihm sauge ich wie süchtig in mich auf. Wie etwas ellenlang Vermisstes. In diesem Augenblick wird mir klar, wie stark ich mich nach Chester Bennington gesehnt habe. Und zwar unaufhörlich. Die ganze Zeit lang. Seit ich ihn nach der Kreativtherapie zurückgelassen habe. Fuck, ich habe wahrhaftig nach dem Kerl gesucht! Ich bin auf der Station herumgelaufen, um Chester zu finden. In Wahrheit war das der einzige Grund für meine fragwürdige Wanderung. Mikey sollte sich da gar nichts vormachen!

Extrem aufgeregt stehe ich dort und schaue ihn an. Betrachte ihn sehr ausführlich, während mein Herz wie verrückt pocht. Fühle eine eigenartige Glückseligkeit in mir aufkommen, die ich nicht verstehe. Und die mir auch vollkommen unsinnig erscheint. Aber in diesem Moment hat nichts anderes noch irgendeinen Wert für mich. Nichts kann mich von dem Mann auf dem Sofa ablenken. Die Umgebung verblasst neben seiner unfassbaren Perfektion. Vollständig. Ich sehe ihn an und fühle mich beileibe zufrieden damit. Schlagartig scheint alles gut zu sein.

Chester Bennington liegt ausgestreckt auf der Seite, mit dem Rücken zur Lehne des Sofas gewandt. Seine langen Beine sind nur ganz leicht angewinkelt. Seine linke Hand liegt an seinem Bauch, die Finger ruhen geknickt auf dem Sofa. Der rechte Arm ist angewinkelt, die Hand liegt vor seinem hübschen Gesicht auf dem Polster, die Finger zeigen geknickt nach oben. Sein Kopf ruht mir zugewandt, die Wange auf ein kleines, blaues Deko-Kissen gedrückt. Chester Bennington schläft tief. Sein Atem geht ruhig. Sein schlanker Brustkorb bewegt sich gleichmäßig in langen Atemzügen. Seine Augen sind fest geschlossen. Die Lider zucken, vielleicht in einem Traum. Zum Schlafen hat Chester seine Brille abgenommen. Als ich es bemerke, schaue ich mich sofort danach um. Ich entdecke die schwarze Brille nicht weit von seinem Kopf entfernt. Der Besitzer hat die Bügel zusammengeklappt und das Teil mangels brauchbarer Alternativen auf das Bücherregal neben dem Sofa abgelegt. Chester trägt unverändert seine graue Chinohose. Die rätselhaften Wasserflecken darauf scheinen mittlerweile getrocknet zu sein. Der helle, glatte Stoff sieht aber noch immer schmutzig und zerknittert aus. An seinen Füßen befinden sich seine blauen Chucks, die er nicht ausgezogen hat, als er sich auf das Sofa legte.

Dafür hat Chester aber etwas anderes ausgezogen. Wovon ich hellauf begeistert bin. Absolut hingerissen sauge ich den fantastischen Anblick in mich auf. Einen größeren Gefallen hätte der wunderschöne Engel mir gar nicht tun können. Außer vielleicht, wenn er sich völlig nackt zum Schlafen hingelegt hätte. Bei der Vorstellung steigt mein Puls abrupt an. Reiß dich zusammen, Mike!, mahne ich mich, als die Erregung mich plötzlich zu überschwemmen droht. Nein, natürlich liegt Chester nicht nackt in der Bibliothek. Aber der neue Patient hat ein Kleidungsstück weniger an. Etwas fehlt an seinem faszinierenden Körper. Und zwar ist es sein blaues Hemd mit dem komischen Schmetterlingskragen und den vielen, kleinen, blauen Knöpfen. Der Typ trägt lediglich sein weißes Unterhemd. Der weiche Stoff ist unten aus dem Bund seiner Chino gerutscht und offenbart ein winziges Stückchen seines nackten Bauches. Diesen Umstand finde ich total aufregend. Unwillkürlich frage ich mich, warum er wohl sein Hemd ausgezogen hat. Und wo er es hingelegt hat. Denn obwohl ich mich danach umsehe, kann ich das blaue Hemd nirgendwo sehen.

Chester Bennington liegt im Unterhemd, mit Chino und Chucks auf dem Sofa in der Psychiatrie-Bücherei und schläft. Ich stehe reglos dort, betrachte meinen unbewusst sehnlichst vermissten Mann und fühle mich so zufrieden, wie schon sehr lange nicht mehr. Obwohl ich mir dessen verwirrend sicher war, treibt der untreue Gigolo sich an diesem späten Nachmittag nicht draußen im Park herum. Bennington hat nicht gerade wieder verbotenen Sex mit irgendwem. Stattdessen war der in letzter Zeit offensichtlich zu stark beanspruchte Patient todmüde. Chester hat sich zum Schlafen hingelegt. Allein. Keine Ahnung, wie der gewitzte Kerl diesen versteckten Ort hier gefunden hat. Oder wie er auf die absurde Idee gekommen ist, sich auf dieses alte, zerschlissene und bestimmt nicht sehr bequeme Sofa zu legen. Jedenfalls ist der Kerl wahrhaftig eingeschlafen. Chester betrügt mich nicht aufs Neue. Er schläft einfach nur. Augenblicklich bin ich mit dem fremden Mann versöhnt. Fühle mich sonderbar glücklich. Das scheint allein durch seine unverhoffte Anwesenheit verursacht zu werden. Chester gibt mir das irrationale Gefühl, dass jetzt alles gut ist. Je länger ich ihn ansehe, umso ruhiger wird es in meinem aufgescheuchten Kopf. Endlich werde ich von dem lärmenden Chaos in meinem Schädel befreit. Ganz von selbst. Er vermag das. Chester Bennington. Der kann so was. Weil dieser unbekannte Sänger aus Phoenix zweifellos ein magisches Wesen ist.

Langsam, wie ferngelenkt bewege ich mich zu dem Sessel und schiebe ihn geräuschlos ein Stückchen näher an das Sofa heran. Instinktiv möchte ich dem Kerl so nah wie möglich sein. Im nächsten Moment setze ich mich hin, um ihn in aller Ruhe anzuschauen. Stundenlang könnte ich diesen Menschen beim Schlafen beobachten. Der junge Mann braucht seinen Schlaf. Dringend. Chester hat heute so entsetzlich erschöpft ausgesehen. Es freut mich, dass er sich jetzt endlich mal ausruht. Darum will ich ihn auf keinen Fall aufwecken. Meine Augen liegen ganz ruhig auf ihm. Sein Anblick verursacht mir ein angenehm warmes Gefühl im Bauch. Voller Zuneigung betrachte ich sein wahnsinnig hübsches Gesicht. Jede Einzelheit präge ich mir genau ein. Die helle, reine Haut. Die zwei winzigen Leberflecken. Die schmalen Brauen. Die geschlossenen Augen. Die dunklen Wimpern. Die gerade, spitze Nase. Die hohen Wangenknochen. Die verführerisch roten Lippen. Mittlerweile trägt Chester dunkle Koteletten. Obwohl sie noch recht stoppelig sind. Auch um seinen Mund herum und an seinem Kinn sprießt sein spärlicher Bart. Er sollte sich bald mal rasieren. So, wie er sich hingelegt hat, kann ich nur sein linkes, großes Ohr zwischen den Haarsträhnen sehen. Auf dem rechten Ohr liegt sein Kopf. Seine brünetten Dreadlocks sind über das kleine Kissen verteilt. Auch die gewollt gefilzten Haare scheinen inzwischen getrocknet zu sein.

Sein Atem geht unverändert tief und gleichmäßig. Sein schöner Mund mit den schmalen, hellroten Lippen steht zum Luftholen ein Stückchen offen. Eine glänzende Speichelspur führt von seinem Mundwinkel über sein kleines Kinn und hat auf dem blauen Kissen einen nassen Fleck verursacht. Chester sabbert beim Schlafen das Kissen voll. Das ist so herzerweichend niedlich, dass mir unwillkürlich richtig heiß wird. Ein seliges Lächeln breitet sich ungesteuert auf meinem Gesicht aus. Möglicherweise ist die Zeit stehengeblieben. Denn ich merke längst nicht mehr, ob sie vergeht. Chazy Chaz ist nah bei mir. Mein Engel liegt direkt vor mir auf dem Sofa. Wir sind wahrhaftig allein in dieser seltsamen Bibliothek. Alles andere ist unwichtig geworden. Eine lange Zeit sitze ich einfach so dort und sehe ihn an. Alles ist friedlich und ruhig. Auch innerhalb meines Schädels. Ich höre seine leisen Atemzüge. Sonst nichts. Beobachte seine unglaubliche Ästhetik. Das regelmäßige Heben und Senken seines Brustkorbs. Damit fühle ich mich wunschlos glücklich. Für immer könnte das so bleiben. Mike Shinoda hätte überhaupt nichts dagegen.

Aber irgendwann fällt mir auf, dass die unwillkürlichen Bewegungen seiner Augen hinter den fest geschlossenen Lidern heftiger werden. Chester scheint irgendwas zu träumen. Davon werde ich sofort paralysiert. Zu gerne würde ich wissen, was genau er gerade träumt. Ob es vielleicht etwas mit mir zu tun hat. Leider scheint es kein schöner Traum zu sein. Denn Chester verliert zunehmend seine tiefenentspannte Ruhe. Das finde ich sehr schade. Mit Bedauern beobachte ich, wie seine geknickten Finger nervös zu zucken anfangen. Seine Beine bewegen sich unbewusst. Erstaunlich stark tritt er ein paarmal aus. Chester kämpft gegen irgendwas. Offenbar will er sich etwas vom Leibe halten. Der fest schlafende Mann stöhnt unbehaglich. Sein Atem beschleunigt sich. Mit Sicherheit schlägt auch sein Puls schneller. Seine Rippen unter der Unterwäsche bewegen sich in hastigen, heftigen Atemzügen. Sein hübsches Gesicht verzieht sich gequält. Seine Lippen formen ein paarmal das deutliche Wort „Nein”. Das alarmiert mich. Mit verstärkt klopfendem Herzen registriere ich jede einzelne seiner vegetativen Bewegungen. Der intensiv träumende Mann scheint sich extrem unwohl zu fühlen. Das betrübt mich. Aber ich weiß nicht, was ich jetzt am besten machen soll.

Bevor ich mich entscheiden kann, ob ich ihn vielleicht lieber aufwecken soll, reißt er schon urplötzlich seine Augen weit auf. Mit einem Schlag scheint Chester hellwach zu sein. Seine Hände tasten instinktiv nach Halt. Überstürzt richtet er sich auf. Schwenkt die Beine über die Kante der Couch. Aufgescheucht sitzt er auf dem Sofa. Seine Augen hasten verwirrt, höchst alarmiert durch die nähere Umgebung. Sein Kopf bewegt sich suchend in alle Richtungen. Es sieht so aus, als hätte der Typ keine Ahnung, wo er sich überhaupt befindet. Als hätte er vergessen, dass er in die Bibliothek gegangen ist, um hier zu schlafen.

Zwei Sekunden später entdeckt Chester mich. Kein Kunststück, befinde ich mich doch direkt vor ihm auf dem Sessel. Sichtbar schockiert zuckt der irrational aufgeschreckte Mann zusammen. Völlig verdutzt sitzt der Sänger vor mir. Den Rücken angelehnt. Die Füße nebeneinander auf dem Boden aufgesetzt. Seine Hände reiben sich nervös vor seinem Bauch aneinander. Die Finger verhaken und lösen sich wieder. Eine Weile ist es bis auf sein hastiges Nach-Luft-ringen ganz still. Beidseitig heftig erschrocken, starren wir einander reglos an. Während Chester mich entsetzt fixiert, kneift er hilflos die Augen zusammen. Das irritiert mich. Bis mir plötzlich einfällt, dass der halbblinde Mann mich ohne Brille nicht deutlich sehen kann. Bennington atmet zu schnell. Sein schlanker Körper zittert nervös. Sein wunderschönes Gesicht drückt Panik aus. Der Kerl ist misstrauisch. Irgendwie richtig verstört. Nur mühsam schafft er es, sich langsam zu beruhigen. Ohne Frage hat sein vorheriger Traum ihn in helle Aufregung versetzt. Es muss ein ziemlich schlimmer Albtraum gewesen sein, überlege ich traurig. Das tut mir so leid, dass ich ihn spontan in den Arm nehmen und trösten möchte. Aber ich weiß nicht, ob ihm das jetzt recht wäre. Darum bewege ich mich nicht von meinem Sessel weg.

Unsere Blicke hängen aneinander fest. Hilflos versinke ich in dem faszinierend tiefgründigen Braun seiner wundervollen Augen. Der Sänger braucht eine irritierend lange Zeit, bis er die neue, für ihn fraglos gänzlich unerwartete Situation richtig verstanden hat. „Mike?” fragt er schließlich unsicher. Ich fasse es nicht, dass er tatsächlich nachfragen muss. Chester sitzt gerade mal knapp einen Meter von mir entfernt. Der irre Typ befindet sich mir direkt gegenüber. Es ist doch schlicht unmöglich, dass er mich auf diese kurze Distanz nicht erkennen kann. „Nein, ich bin jemand ganz anderes”, erwidere ich spöttisch, „Von wem sprichst du da, Chester? Ich kenne gar keinen Mike.” Voller Hohn mustere ich ihn. Auf seinem panisch verstörten Gesicht erscheint zögernd ein so maßlos erleichtertes Lächeln, dass ich augenblicklich dahinschmelze. Zweifelsfrei hat Chester meine Stimme erkannt. Obwohl er mich ohne seine Brille offenbar tatsächlich nicht deutlich sieht. Mein Mann kennt meine Stimme. Dabei hat er sie doch in den zwei Tagen, die er erst hier ist, nur ein paarmal gehört. Chazy Chaz hat sich den charakteristischen Klang meiner Stimme gemerkt. Es wundert mich nicht, dass der unleugbar gigantisch talentierte Sänger ein gutes, sehr musikalisches Gehör hat. Bemerkenswert aufmerksam ist er ja sowieso jedes Mal, wenn wir uns begegnen.

Meine spöttische Erwiderung reicht ihm als Beweis, dass ich es bin, der vor ihm auf dem Sessel sitzt. Diese Erkenntnis scheint ihn dermaßen zu begeistern, dass der seltsame Kerl sich plötzlich kaum noch beherrschen kann. Sein vorher recht misstrauisches Gesicht erstrahlt förmlich vor Glück. „Wow... Mikey...”, keucht er aufgeregt. Chester fängt damit an, aufgekratzt auf dem Sofa herumzuhampeln. Sein schlanker Körper bewegt sich ruhelos hin und her. Seine Hände klopfen auf das Polster der Couch. Streichen dann nervös über seine Oberschenkel. Seine Füße trampeln vor Freude auf dem Boden herum. Ich bin total gerührt davon, wie leuchtend sein wunderschönes Lächeln wird. Wie hell seine braunen Augen erstrahlen. Mit wie viel erstaunlicher Leidenschaft sich Chester seiner gewaltigen Erleichterung und Freude hingibt. Ich kann das gar nicht so schnell verarbeiten. Wie allumfassend dieser fremde Mann sich über meine für ihn zweifellos überraschende Anwesenheit freut. Das kann doch nicht sein, denke ich verblüfft, dass Chaz sich dermaßen freut mich zu sehen. Schließlich ist die Situation zwischen uns doch in Wahrheit total angespannt. Nach der Zeichenstunde haben wir uns irgendwie im Zorn getrennt. Ich bin schon wieder ziemlich unfreundlich mit ihm umgegangen. Habe ihm böse, unüberlegte Dinge an den Kopf geknallt. Er hat mich vor Kurzem eiskalt mit Kaitleen und Tracy betrogen. Erst vorhin in der Therapie haben wir uns heftig gestritten. Chester und ich sind richtig angepisst aufeinander losgegangen. Nichts davon konnten wir bisher auch nur annähernd aufarbeiten. Geschweige denn klären.

Und vielleicht will ich das ja auch gar nicht, überlege ich mit neu erwachender Wut. Eigentlich bin ich ja noch immer stinksauer auf diesen gedankenlosen Kerl. Sein fieser Verrat tut mir unverändert weh. Womöglich wäre es viel besser für mich, wenn ich jetzt auf der Stelle aufstehe und die komische Bibliothek verlasse. Ich sollte mich einfach von ihm fernhalten. Dann kann er mich auch nicht mehr verletzen. Aber verdammt, der Engel sieht so unglaublich gut aus, denke ich erschlagen, ich habe ihn wirklich vermisst. Nervös klemme ich mir die unruhigen Finger unter die Oberschenkel. Ein heftiger Widerwillen kommt in mir auf, mich aufs Neue mit Chester auseinandersetzen zu müssen. Eigentlich will ich mich nicht mit ihm streiten. Andererseits will ich den betrügerischen Casanova aber auch nicht so leicht davonkommen lassen. Dabei weiß ich doch noch nicht mal, ob mein gekränkter Standpunkt überhaupt berechtigt ist. Schließlich kennen wir uns erst seit zwei mickrigen Tagen.

Unschlüssig sitze ich auf meinem unbequemen Sessel. Behalte den neuen Patienten sorgfältig im Auge. Ich möchte alles mitkriegen, was mit ihm passiert. Keine seiner Reaktionen soll mir entgehen. Ich will wissen, ob seine Untreue ihm inzwischen ehrlich leidtut. Ob er es mittlerweile vielleicht bedauert, mir das angetan zu haben. Zum Glück kann man Herrn Bennington seine rührend starken Emotionen relativ leicht ansehen. Nach der ersten, spontan riesigen Freunde über meine unerwartete Präsenz scheint bei dem Sänger aus Phoenix die Erinnerung zögernd zurückzukehren. Offenbar wird ihm der ungeklärte Status unserer Beziehung langsam auch bewusst. Falls man bei dem, was zwischen uns läuft, überhaupt von Beziehung sprechen kann. Chesters impulsive, extrem freudige Bewegungen auf dem Sofa hören zusehends auf. Seine Füße stehen still auf dem Boden. Der gut aussehende Typ lehnt sich zurück. Schützend verschränkt er seine Arme vor der schlanken Brust. Sein hell strahlendes Lächeln verblasst mit der Zeit zu purer, hilfloser Unsicherheit. Chester wirkt zunehmend verschüchtert, als er mich forschend betrachtet.

„Wow... Mike... das ist so... ich... weiß gar nicht...”, stammelt er ratlos. Anscheinend fehlen ihm die Worte. Genauso hat er reagiert, als ich in der Sporthalle plötzlich vor ihm stand. Als er viel zu lange seine Augen nicht öffnen wollte. Chester weiß nicht, was er sagen soll. Darum stottert er abgehackt irgendwelchen Unsinn daher. Irgendwie ist das süß. Ungewollt gerührt, lächele ich ihn an. Noch immer kann er mich nicht richtig sehen. Ohne seine Brille bleibt seine Sicht verschwommen. Darum kneift er pausenlos die Augen zusammen. Als würde das irgendwas helfen. Ich frage mich, warum der dumme Kerl sich nicht einfach seine Brille vom Regal holt und sie aufsetzt. Aber sein hübsches Gesicht gefällt mir ohne das schwarze Gestell. So kann ich seine wunderschönen Augen viel besser erkennen. Darum sage ich erst mal nichts dazu.

Voller sonderbarer Zuneigung, die ich angesichts unserer Situation selbst nicht kapiere, beobachte ich meinen zauberhaften Mann. Interessiert versuche ich, sein Verhalten genauestens zu analysieren. Automatisch ziehe ich Vergleiche zu der Situation heute Vormittag in der Turnhalle. Ich glaube zu erkennen, dass Chester sehr wohl bewusst ist, dass er etwas falsch gemacht hat. Der Typ weiß ganz genau, warum ich wütend auf ihn bin. Und er findet meine Wut sogar berechtigt. Chester Bennington hat ein schlechtes Gewissen. Darum ist er jetzt mir gegenüber so niedlich eingeschüchtert. In der Bewegungstherapie hat er Orlando entgegen unserer vorherigen Abmachung verraten, dass er mich sehen will. Und heute Mittag hat er sich von Kaitleen wahrhaftig einen blasen lassen. Aber obwohl Chester sich in der Schwere seiner Vergehen eindeutig drastisch steigert, kann ich ihm in diesem Moment kaum noch böse sein. Der junge Mann wirkt so hilflos scheu auf mich, dass ich innerhalb von Sekunden zu seinem Wachs werde. Automatisch. Dagegen bin ich völlig machtlos.

Auf einmal schnellt seine Hand nach oben an sein Gesicht. Chester hat die Feuchtigkeit an seinem Kinn gespürt. Verlegen wischt er sich die im Schlaf unbewusst ausgelaufene Spucke von der Haut. Seine Finger kratzen über die Bartstoppeln an seinem Kinn. Ein wenig angewidert betrachtet er seine feuchten Finger. Danach wischt er sie gründlich an seiner hellen Hose ab. „Mikey...”, flüstert er liebevoll, „Das tut mir leid, Mann. Ich habe mich vollgesabbert...” Sein Blick fällt prüfend auf das kleine Deko-Kissen neben sich. Seufzend bemerkt er den dunklen, nassen Fleck seines Speichels. „Fuck, Mann... Mike... ich habe alles total vollgesabbert... Mensch...”, stammelt Chester betrübt. Zögernd sieht er mich wieder an und verdreht beschämt die Augen. Ratlos hebt er seine schmalen Schultern. „Tut mir leid, Mike...”, wiederholt er leise. Diese Sache ist ihm sichtbar unangenehm. Obwohl er doch nun wirklich nichts dafür kann. Das Sabbern im Schlaf ist im Moment eindeutig sein geringstes Verbrechen.

Chesters schüchterne Verlegenheit erwärmt mein Herz auf eine Art, der ich nichts entgegenzusetzen habe. Gerührt muss ich lachen. Mir wird von Innen ganz warm. Das amüsierte Lachen platzt unerwartet aus mir heraus. Ganz tief aus meinem Bauch. Es fühlt sich enorm gut an. Chester sieht mich irritiert an. Im nächsten Moment lacht er spontan mit, während seine Finger noch länger über sein Kinn reiben. „Tut mir leid, dass du das sehen musstest...”, kichert er peinlich berührt. Chester Bennington aus Phoenix, Arizona ist ein Mensch, der problemlos über sich selbst lachen kann. Diese Eigenschaft macht ihn unglaublich sympathisch. Aber er entschuldigt sich entschieden zu oft. Ich gewinne den Eindruck, als wäre der junge Mann es reichlich gewöhnt, sich pausenlos entschuldigen zu müssen. Auch für die allerkleinsten und bedeutungslosesten Vergehen.

„Ist schon gut, Chaz”, lache ich gutmütig, „Ich habe mir das gerne angesehen. Irgendwie war das ganz schön süß.” Im nächsten Augenblick erschrecke ich mich. Über meine eigenen Worte. Weil ich schon wieder sehr viel ehrlicher zu ihm war, als ich eigentlich sein will. Abermals ist mir etwas unbedacht herausgerutscht. Denken und Sprechen gleichzeitig. Das scheint mir langsam zur Gewohnheit zu werden. Zumindest, wenn Chester in meiner Nähe ist. Meine spontane Aussage ist zweifellos ziemlich merkwürdig. Wenn man sie mal genauer betrachtet. Leider fällt mir das erst jetzt auf. Wo ich sie schon gemacht habe. Verunsichert gucke ich Chester an. Er sitzt jetzt ganz ruhig auf dem Sofa. Die Finger seiner linken Hand reiben nachdenklich über sein kleines Kinn. Die rechte Hand liegt neben seinen Schenkeln. Seine warmen Augen liegen liebevoll auf mir. Voller Zuneigung. Er lächelt verhalten, während er leise kichert. „Wow, Mike...”, flüstert der Sänger sonderbar beeindruckt, „Das ist richtig geil.” Darauf weiß ich nichts zu sagen. Sehe ihn nur an, und mein Herz beginnt schneller zu schlagen. „Ach nein... Chaz... das... ich meinte doch nicht...”, versuche ich beschämt etwas zu retten, was längst nicht mehr zu retten ist. Man kann keine Wörter zurücknehmen, die man einmal ausgesprochen hat. Und schon hat sich das Blatt gewendet. Jetzt bin ich es, der hilflos irgendwelchen Unsinn daher stottert.

Chesters Lächeln wird noch strahlender. Er nimmt die Hand von seinem stoppeligen Kinn. Legt sie stattdessen beruhigend auf mein Knie. Chester sitzt so nah vor mir, dass er sich nur minimal vorbeugen muss, um meine Beine zu erreichen. Zärtlich streicheln seine Finger über mein rechtes Kniegelenk. Augenblicklich paralysiert mich diese Berührung. Mike will auf der Stelle noch sehr viel mehr davon. Erstarrt sitze ich dort. Glotze ihn nur verwirrt an. „So etwas machst du oft, Mikey. Du sagst geile Sachen zu mir”, flüstert Chester zärtlich. Beobachtet mich aufmerksam. „Du überraschst mich. Das gefällt mir”, setzt er leise hinzu. Sein Gesicht wird eine frivole Grimasse. Während er mir zweideutig zuzwinkert. Ich habe das Gefühl, dass der Kerl mich verspottet. Darum schiebe ich seine Hand ärgerlich von meinem Knie. Bevor ich darüber nachdenken kann. Sofort zieht er seinen Arm ein. Lehnt sich wieder zurück. Studiert mich verunsichert. Chester schlägt seine langen Beine übereinander. Verstohlen gähnend reibt er sich mit den Fingern über die vom Schlaf verklebten Augen. Im nächsten Moment sitzt er reglos dort. Spürbar irritiert betrachtet er mich. Noch immer kneift er dabei die Augen zusammen, um seine sicherlich verschwommene Sicht zu schärfen. Das macht er instinktiv. Obwohl es ihm bestimmt nicht hilft. Eine Weile ist es ganz still. Schon bereue ich es, seine freundliche Hand von meinem Knie verscheucht zu haben. Ich wünschte, er würde mich sofort nochmal anfassen.

„Wie lange sitzt du denn schon hier?” will Chester schließlich neugierig wissen. „Eine Weile”, antworte ich ausweichend. Ich habe ehrlich keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen ist, seit ich den neuen Patienten überraschend auf diesem Sofa vorgefunden habe. Ich weiß nur, dass es wirklich zauberhaft ist, meinen wahnsinnig attraktiven Menschen anzusehen. Damit fühle ich mich enorm wohl. Kann ich problemlos stundenlang machen. „Hast du mich beim Schlafen beobachtet, Mister Shinoda?” erkundigt der Sänger aus Phoenix sich schmunzelnd. Während ich unbedacht nicke und spontan mit „Ja klar” antworte, fällt mir plötzlich auf, wie zweifelhaft dieses Verhalten in Wahrheit ist. Jemanden heimlich beim Schlafen zu beobachten ist fraglos seltsam. Chester muss mich ja langsam für völlig bescheuert halten. Vor Schreck entgleisen mir meine Gesichtszüge. Unbehaglich schaue ich ihn an und registriere sein vielsagendes Lächeln. Es gefällt mir nicht, wie der hinterhältige Typ mich wiederholt in eine Position drängt, in der auf einmal ich der Schuldige werde. Denn eigentlich ist er es doch, der mir hier noch so einiges erklären muss. Chester ist es, der so richtig Scheiße gebaut hat. Nicht ich. Ich auf keinen Fall.

„Nein, Chester! So ist das gar nicht! Ich habe doch nicht...”, starte ich intuitiv einen neuen Versuch, meine Blamage abzuwehren. Aber auch diesmal ist es blöderweise zu spät. Der Sänger lacht schon über mich. Lauthals. Meine Spanner-Ambitionen amüsieren ihn frustrierend bombastisch. Bennington löst seine übereinandergeschlagenen Beine und stellt sie nebeneinander auf den Boden. Aufgekratzt schwankt er mit dem Oberkörper vor und zurück. Klatscht jubelnd in die Hände. „Das ist klasse, Mikey!” ruft er wirklich angetan, „Fuck, das ist so was von geil! Du killst mich total, Sweetie!” Sein schlanker Leib bewegt sich erneut heftig auf dem Sofa. Nervös rutscht er auf dem Polster hin und her. Trampelt mit den Füßen herum. Als hätte ihn was gestochen. Obwohl ich sein übermütiges Lachen eigentlich sehr mag, ärgert es mich in diesem Moment enorm. Weil der ausgelassene Kerl sich eindeutig über mich lustig macht. „Hör sofort auf!” knurre ich angepisst, „Lass das sein! Krieg dich wieder ein, verdammt!” Chester schnappt kichernd nach Luft. Verdreht theatralisch die Augen. Stößt grinsend ein „Oh, oh” aus. Und reagiert ansonsten kaum. Noch immer ist er hellauf begeistert. Stampft mit den Füßen auf und kugelt sich auf dem Sofa herum. Das macht mich echt sauer. Mein Gegner gibt mir das Gefühl, dass er mich überhaupt nicht ernst nimmt. Dass ich deshalb meiner aufbrausenden Wut noch viel mehr Nachdruck verleihen muss. Der dreiste Kerl soll endlich kapieren, das ich das alles echt nicht lustig finde. Überhaupt hat er doch gar keinen Grund zu lachen. Nachdem er mich vor Kurzem dermaßen schlimm verletzt hat.

Plötzlich bin ich so extrem wütend auf den fremden Mann, dass mein Gehirn wahrscheinlich kurz aussetzt. Zweifellos handele ich vollkommen spontan. Restlos unüberlegt. Blitzschnell beuge ich mich vor. Während ich gleichzeitig mit dem rechten Arm aushole. Im nächsten Moment verpasse ich Chester Bennington einen harten, komplett ungezielten Schlag gegen seinen schmächtigen Körper. Keine Ahnung, wo genau ich ihn eigentlich treffen will. Im Grunde will ich ihn ja nicht einmal schlagen. Ich weiß mir in dieser Sekunde nur schlicht nicht mehr anders zu helfen. Fühle meinen Stolz von ihm erniedrigt. Mein Ehre unerträglich gekränkt. Weiß nicht wohin mit meinem aufbrausenden Zorn. Mike explodiert einfach.

Zufällig landet mein Schlag direkt auf seinem linken Oberschenkel. Weil er den Oberkörper gerade zurücklehnt. Und seine Hände zustimmend aufeinander klatschen. Als meine Faust mit Wucht auf seinen schlanken Schenkel trifft, bin ich baff, wie überraschend hart der Untergrund ist. Genaugenommen ist er so hart, dass ich mir bei dem Schlag selbst ziemlich wehtue. Irgendwie hatte ich mit weichem Fleisch, Sehnen und Muskeln gerechnet. Fühle aber nur den steinharten Knochen. Meine zur Faust geknickten Finger treffen seinen Oberschenkelknochen mit solcher Brutalität, dass Chester augenblicklich aufhört zu Lachen. Stattdessen stöhnt er schmerzerfüllt auf. Und zwar in einer so erschreckenden Lautstärke, dass es einem Schrei gleichkommt. Und ich sofort beunruhigt bin. Tatsächlich läuft beim unwillkürlich lautstarken Stöhnen vegetativ Spucke aus seinem Mund. Die unbeachtet auf sein Unterhemd tropft. Seine braunen Augen weiten sich mega entsetzt. Ungläubig starrt er mich an. Seine Hände schnellen instinktiv schützend zu der getroffenen Stelle. Um weitere Schläge abzuwehren.

Aber ich habe meine Hand schon zurückgezogen. Reibe mir verwirrt die schmerzenden Knöchel. Scheiße! Das war sehr viel härter, als ich erwartet hatte. Unabsichtlich habe ich mit voller Gewalt zugeschlagen. Auf der Stelle ist mir klar, dass ich meinem Mann gerade extrem wehgetan habe. Das lag definitiv nicht in meiner Absicht. Das war kein Vorsatz. Ist mir aus Versehen passiert. Eigentlich wollte ich nur, dass er aufhört zu lachen. Nun, das zumindest habe ich geschafft. Chester taxiert mich fassungslos. Während er panisch rückwärts von mir wegrobbt. Hastig bewegt er seinen schlanken Körper über die Sitzfläche des Sofas. Zweifellos will er schnellstmöglich Abstand zu mir gewinnen. Weil er Angst vor weiteren Schlägen hat. Der Blödmann geht tatsächlich davon aus, dass ich ihn jetzt plötzlich richtig brutal verprügeln will, verstehe ich entgeistert. Wie um alles in der Welt kommt er denn nur auf so einen Unsinn? Das würde ich doch niemals tun! Es kränkt mich, dass Chester mich so einschätzt. Mein kurzer Wutanfall ist längst vorbei. Jetzt tut es mir nur noch leid, dass ich die Kontrolle über mich verloren und den Typen so feste geschlagen habe. Kann aber meine impulsive Gewalttat dummerweise ebenfalls nicht ungeschehen machen.

Hilflos beobachte ich den sichtbar extrem Verstörten. Weil die Couch nicht sehr groß ist, wird Chesters Flucht schnell von der hinteren Seitenlehne gestoppt. Schon kauert der neue Patient in der Ecke des alten Sofas. Sein rechtes Bein liegt ausgestreckt auf der Sitzfläche. Das verletzte Bein ist an der Kante angewinkelt. Der linke Fuß steht auf dem Boden. Mit verzerrtem Gesicht reibt er sich den brutal getroffenen Oberschenkel. Offenbar habe ich meinem Mann mit nur einem unüberlegten Schlag tatsächlich ziemlich großen Schmerz zugefügt. Shit! Das wollte ich ganz bestimmt nicht. Das ging so schnell, dass ich es selbst kaum mitgekriegt habe.

Bestürzt registriere ich die nassen, in der Sonne glitzernden Tränen, die sich unwillkürlich in Chesters wunderschönen Augen ansammeln. Mit einer schnellen, oberflächlichen Handbewegung wischt er sie weg. „Fuck... Mike... das... wird ein fetter, blauer Fleck... mindestens...”, murmelt er vor sich hin. Ohne mich anzusehen. Nachdenklich studiert er sein angewinkeltes Bein. Noch immer sitze ich konfus auf meinem Sessel. Ratlos folge ich seinem Blick. Auf dem hellen Stoff der Chino kann man überhaupt nichts sehen. Nicht mal den Abdruck meiner Faust. Obwohl ich ihn mit ganzer Wucht getroffen habe. Plötzlich bin ich heilfroh, dass da kein Blut durchsickert. Oder so was. Und dass ich dem Mann scheinbar wenigstens nicht den Knochen gebrochen habe. Meine eigene, unbeherrschte Brutalität verstört mich sehr viel mehr, als ich erwartet hätte. Ich weiß gar nicht mehr, was in mich gefahren ist. Welchen Grund ich gesehen habe, um diesen besonderen Menschen dermaßen hart zu schlagen. So etwas tue ich normalerweise gar nicht. Gewalt widerstrebt mir total. Ich bin alles andere als ein brutaler Schläger. Mike Shinoda schlägt niemanden. Das ist mega dumm und total armselig. Zeugt fraglos von fehlendem Verstand. Sinnlosen Prügeleien bin ich bis jetzt grundsätzlich aus dem Weg gegangen. Bislang habe ich immer einen extra großen Bogen um jegliche gewalttätige Auseinandersetzung gemacht. Ich habe ehrlich keine Ahnung, warum ich gerade dermaßen ausgeklinkt bin. Es entsetzt mich, dass ich zu so einer impulsiven Brutalität wahrhaftig fähig bin. Das hätte ich von mir selbst niemals erwartet. Der neue Patient ist schuld daran. Bennington verursacht das. Dieser Gedanke macht mich sehr viel nervöser, als ich verarbeiten kann.

Gott im Himmel! Es war ja nur ein einziger, verfluchter Schlag, versuche ich mich zu beruhigen. Aber fuck, mein Faustschlag war so hart, in dieser einen Sekunde so unbedingt gewollt, dass ich ihn jetzt unverzeihlich finde. Mein eigenes Verhalten verwirrt mich total. Meine Gewalttätigkeit, ausgerechnet gegen Chester, erschreckt mich auf eine Art, mit der ich nicht umgehen kann. Hilflos schaue ich meinen geschlagenen Engel an. Und was ich da sehe, ist noch sehr viel verwirrender für mich. Noch unglaublicher. Mike Shinoda ist schlicht fassungslos. Der Boden löst sich unter meinen Füßen auf. Die Umgebung verschwimmt. Mein Herz fängt an zu rasen. Konfus ringe ich nach Luft. Chester Bennington scheint wahrhaftig gar nicht wütend auf mich zu sein. Der Besondere sitzt hinten auf dem Sofa. Sieht mich eingeschüchtert an. Als unsere Blicke sich treffen, erscheint auf seinem wundervoll zarten Gesicht ein zaghaftes Lächeln.  


Chester Charles Bennington

Mein linker Oberschenkel pocht schmerzhaft. Mein Bein fühlt sich kaputt an. Ich habe keine Ahnung, ob ich damit je wieder laufen kann. Ratlos sitze ich auf diesem unbequemen, durchgesessenen Sofa. Den Rücken fest in die hintere Ecke gepresst. Behalte aufmerksam den unberechenbaren Mann im Auge. Der mir diesen heftigen, unerwarteten Schmerz zugefügt hat. Mikey hat mich geschlagen, als ich am allerwenigsten damit gerechnet habe. Ich dachte wirklich, zwischen uns wäre längst wieder alles in Ordnung. Denn kurz vorher hat er mir doch gestanden, dass er mich wer weiß wie lange beim Schlafen beobachtet hat. Der komische Kerl hat mir versichert, wie süß er es findet, wenn ich im Schlaf das Kissen vollsabbere. Ich meine, Mann ey!, so etwas sagt man doch nicht einfach so. Wenn es gar nicht wahr wäre, dann würde man so etwas doch gar nicht erst behaupten. Und erst recht nicht tun. Das suggeriert mir doch eindeutig, dass Mike Shinoda mich gut leiden kann. Darüber habe ich mich mega gefreut. Als er mir diese Dinge gestand. Es gefällt mir, dass er mich sogar ansehen will, wenn ich schlafe. Und dass ihm das peinliche Sabbern gar nichts ausmacht. Als Mike mir offenbarte, wie süß er mich findet, wurde mir ganz warm. In diesem Moment wollte ich ihn dringend küssen. Da war ich sehr kurz davor, das einfach zu tun.

Aber plötzlich hat er ausgeholt. Und mir mit voller Wucht seine steinharte Faust auf den Schenkel geknallt. Und ich dachte echt, das war's jetzt, mein Bein ist für immer und ewig total im Eimer. So unfassbar heftig war der Schmerz, dass ich bunte Sterne aufblitzen sah. Um ein Haar wäre ich ohnmächtig geworden. Ich verstehe diesen fremden Patienten einfach nicht. Habe keinen blassen Schimmer davon, was in seinem hübschen Schädel passiert. Ich weiß weder, warum er mich dermaßen brutal geschlagen hat, noch, was er jetzt von mir erwartet. Nun gut, auch wenn mir das nicht gefällt, so muss ich mich wohl damit abfinden, dass Mister Shinoda noch immer mächtig angepisst ist. Wahrscheinlich wegen der Ereignisse des vergangenen Tages. Aber das hätte er mir doch auch einfach sagen können. Da musste er mir doch nicht gleich meinen verdammten linken Oberschenkel zertrümmern.

Fuck! Das tut wirklich verflucht weh. Meine Augen tränen immerzu. Darum wische ich mir mit den Fingern hastig über das nasse Gesicht. Ächzend hebe ich das linke Bein neben das rechte. Was schon vor mir auf der Sitzfläche liegt. Es tut weh, das verletzte Bein geradezubiegen. Darum bewege ich mich ganz langsam. Jetzt sitze ich seitlich, mit lang ausgestreckten Beinen auf dem Sofa. Mein Hintern spürt die metallenen, harten, ausgeleierten Sprungfedern der alten Couch. Mein Rücken ist halb in die Ecke, halb gegen die Seitenlehne gepresst. Stöhnend reibe ich die brutal getroffene Stelle an meinem Schenkel. Während ich unentwegt Mike Shinoda ansehe. Der ausgesprochen ansehnliche Halbjapaner hat sich nicht von seinem merkwürdigen Sessel wegbewegt. Auf dem saß er schon, als ich vorhin plötzlich aufgewacht bin. Damit hatte ich bestimmt nicht gerechnet. Dass der schon wieder wie aus dem Nichts auftaucht. Hat mich aber total gefreut. Ihn nach der Kreativtherapie so schnell wiederzusehen. Jetzt bin ich mir allerdings nicht mehr so sicher, ob das gut ist. Keine Ahnung, wie lange der seltsame Typ da schon sitzt. Oder aus welchem Grund er sich überhaupt da hingesetzt hat. Aber das ist jetzt auch mein geringstes Problem.

Der gigantische Schmerz verebbt nur quälend langsam. Zu sehen ist da gar nichts. Der Stoff meiner hellgrauen Chino ist unversehrt. Fühlt sich kühl und glatt an. Keine Spur von einer Schwellung. Oder so was. Ich versuche zu lächeln. Weil ich Mike dringend besänftigen muss. Ich habe Angst, dass er plötzlich brutal auf mich losgeht. Dieser harmlos aussehende Mann hat bemerkenswert viel Kraft in seinen Fäusten. Die möchte ich wirklich nicht nochmal zu spüren kriegen. Kein einziges Mal mehr. In seinen schönen, großen Mandelaugen kann ich seine Absichten nicht erkennen. Auf die Entfernung wird das noch viel schwieriger. Weil ich blöderweise meine Brille nicht auf habe. Deshalb sehe ich ihn nur unscharf. Ich erinnere mich nicht, wo ich die Brille vor dem Schlafen hingelegt habe. In der näheren Umgebung kann ich das Teil nicht entdecken. Ich müsste viel näher an Mike heran, um ihn deutlicher erkennen zu können. Aber das scheint mir im Moment entschieden zu gefährlich zu sein. Lieber bleibe ich erst mal außerhalb seiner Reichweite. Und ich habe auch keine Lust aufzustehen, bevor ich nicht weiß, was gewalttätiger Shinoda noch mit mir vorhat. Auf keinen Fall darf ich ihm jetzt den Rücken zukehren.

Nervös spüre ich meine schwelende Panik vor dem unbekannten Mitpatienten. Verdammter Mist! Mein Kopf ist nahe daran durchzudrehen. Die Gedanken wirbeln in meinem Schädel herum. Warum nur ist er zu mir in die Bibliothek gekommen, während ich geschlafen habe? Will der fremde Typ mich denn wahrhaftig brutal verprügeln? Weil ich ein paar Minuten lang mit Katie im Park war? Weil die blonde Schnecke mir total flüchtig und oberflächlich einen geblasen hat? Wegen so einem verfickten Scheiß? Das kann doch unmöglich Michaels Ernst sein. Was zur Hölle stimmt nicht mit diesem zauberhaften, unberechenbaren Kerl?

Und was läuft überhaupt bei mir verkehrt? Warum bin ich Shinoda eigentlich gar nicht böse? Fuck! Ich sollte ihm meinerseits kräftig die Fresse polieren. Aber stattdessen sehne ich mich nur pausenlos wie verrückt danach, dass der Besondere sofort zu mir aufs Sofa kommt. Und mich leidenschaftlich küsst. Mann, ich möchte ehrlich nicht von ihm geschlagen werden. Auf keinen Fall will ich mich mit dem gut aussehenden Halbjapaner prügeln. Viel lieber möchte ich ihn so lange und allumfassend streicheln, bis ihm sämtliche Sinne schwinden. Ich wünsche mir dringend, dass er mich zärtlich berührt. Will von ihm gierig verschlungen werden. Die Vorstellung lässt mein Herz schneller schlagen. Blöd nur, dass ich so gar keine Ahnung habe, was zur Zeit in seinem perfekt gestylten Schädel vorgeht. Verunsichert lächele ich ihn an. Weil ich ansonsten schlicht keinen Plan habe. Eine Weile ist es unangenehm still in dieser seltsamen Bücherei. Unsere ratlosen Blicke hängen irgendwie aneinander fest. Ich glaube, Mike ist nervös. Sein attraktiver Körper bewegt sich ruhelos auf seinem Sessel. Ich habe keinen Schimmer, was jetzt passiert. Das beunruhigt mich immens.

„Shit, das... tut mir total leid, Chester”, erklärt der schwarze Stachelkopf plötzlich reumütig in die angespannte Stille hinein, „Ey, das... hör mal, du... ich... wollte das ehrlich nicht...” Mit so etwas habe ich im Augenblick echt zuletzt gerechnet. Völlig verblüfft starre ich ihn an. Die schöne, mir angenehm vertraute Stimme des Bärtigen hört sich beunruhigend rau an. Sie klingt gepresst. Als wäre sein Hals zugeschnürt. Als wäre er kurz davor, in Tränen auszubrechen. „Ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte”, versichert der Mann mir hörbar deprimiert. Ich wünschte, ich könnte sein hübsches, rundes Gesicht deutlicher sehen. Dann würde ich vielleicht besser verstehen, was er mir damit eigentlich konkret sagen will.

„Hey, Mikey... nein... das ist schon gut...”, will ich ihn spontan beruhigen. Aber er schüttelt entschieden den ansehnlichen Kopf. „Fuck, Chester! Das ist überhaupt nicht gut! Das ist kein bisschen gut!” widerspricht er heftig, „Ich hätte das auf keinen Fall tun dürfen! Ich hätte dich nicht schlagen dürfen!” Er macht eine Pause, in der er seufzend tief einatmet. „Und das wollte ich auch gar nicht. So etwas tue ich sonst nicht. Ich weiß auch nicht, warum ich das gemacht habe. Irgendwie sind mir plötzlich die Sicherungen durchgebrannt.” Nochmal dieses tiefe Seufzen. „Es tut mir ehrlich leid, Chester!” wiederholt er flehend. Seine großen, schönen Augen bitten wahrscheinlich um Vergebung. Leider sehe ich sie nicht klar genug, um das mit Sicherheit sagen zu können. Auf einmal muss ich mir mühsam ein Grinsen verkneifen, weil Mikeys riesengroßes Schuldbewusstsein mich aus irgendeinem Grund amüsiert. Aber ich will den Mann nicht nochmal mit irgendwas verärgern. Unter keinen Umständen. Deshalb erscheint mir Lachen im Moment keine gute Idee zu sein.

Mein linker Oberschenkel schmerzt noch immer wie Sau. Das ständige Reiben meiner Chino an der getroffenen Stelle bringt überhaupt nichts. Deshalb höre ich damit auf. Lege meine Hände neben meine Hüften auf das Sofa. „Warum hast du das denn bloß gemacht, Mike? Wenn du das doch gar nicht wolltest”, muss ich ihn einfach leise fragen. Der Bärtige verdreht die Augen und holt theatralisch tief Luft. „Mann, ich weiß es doch nicht, Chester!” blafft er mich ungeduldig an, „Ich hab dir doch schon erklärt, dass ich es selbst nicht weiß!” Diese Antwort befriedigt mich nicht die Bohne. Und am liebsten würde ich ihm das auch sofort sagen. Aber ich beiße mir auf die Lippen. Verkneife mir eine patzige Antwort. Weil ich auf keinen Fall will, dass dem sonderbaren Typen so etwas nochmal passiert. Dass er plötzlich ohne ersichtlichen Grund anfängt mich zu schlagen. So mit voller Wucht. Der ist echt krank, denke ich geringschätzig. Als Mike auf einmal in einer beschwichtigenden Geste seine Hände hebt. „Tut mir leid”, entschuldigt er sich schon wieder, „Ich wollte dich nicht so anfahren, Chaz.” Mit einem Verständnis, dass ich in Wahrheit gar nicht aufbringe, lächele ich ihn an. Nicke leicht. Offenbar ist sein Nervenkostüm zur Zeit extrem labil. Mister Shinoda scheint beim kleinsten Anlass komplett aus der Haut zu fahren. Das verstehe ich nicht. Und es gefällt mir auch nicht. Aber ich kann es nicht ändern. Darum sage ich jetzt lieber mal gar nichts mehr dazu.

Eine Weile ist es wieder angespannt still in diesem Zimmer. Ich versuche abzuschätzen, was jetzt mit Mike passiert. Aber ich weiß es nicht. Sehe ihn nicht deutlich genug, um alles richtig mitzukriegen, was er da auf seinem Sessel macht. Er scheint wohl zu grübeln. Weicht meinem Blick aus. Seufzt schwer. Nervös reibe ich meine Hände aneinander. Überlege, ob ich jetzt nicht lieber aufstehen und den Raum verlassen sollte. Aber irgendwas hält mich bei diesem Menschen fest. In mir lebt noch immer die Hoffnung, dass wir unsere nervigen Streitigkeiten irgendwie bereinigen können. Wie bekloppt sehne ich mich nach seiner zärtlichen Berührung. Aber im Augenblick scheinen wir von so einem Punkt meilenweit entfernt zu sein. Das betrübt mich unendlich.

„Du hast mir so wehgetan, Chester”, flüstert Mike unerwartet in meine Gedanken hinein. Im nächsten Moment verstummt er wieder. Der Mann schaut mich nicht an. Sondern betrachtet schüchtern den Fußboden. Etwas krampft sich in mir zusammen. „Das tut mir leid, Mike”, versichere ich ihm leise. Meine es ehrlich. Shinoda hebt den Kopf. Betrachtet mich traurig. „Warum hast du das nur gemacht?” will er drängend wissen, „Ich habe gedacht, das du... naja... das du so was nicht nötig hast... weil doch... das mit uns...” Mike gerät ins Stottern. Bricht verlegen ab und guckt wieder auf den Boden. Mir wird ganz heiß. Weil ich mich wahrhaftig schuldig fühle. Und weil ich diesen Mann so unglaublich zauberhaft finde. Es überwältigt mich, wie scheu er auf einmal ist. Ich habe nicht mal vermutet, dass seine Gefühle für mich wahrhaftig so stark sind. Dass er in unsere lockere Beziehung so viel Seltsames hineininterpretiert. Damit weiß ich gar nicht umzugehen. „Ach nein, Mike. Hör mal, das bedeutet doch gar nichts. Ich weiß auch nicht, warum ich das gemacht habe. Die Olle war plötzlich da, und... naja, da bin ich halt mit ihr mit und hab sie machen lassen. Das war doch total unwichtig, echt!” rede ich betont gleichgültig daher. In dem Bemühen, ihn irgendwie zu überzeugen. Shinoda hebt den Kopf. Betrachtet mich misstrauisch. Ich habe das Gefühl, dass er mir kein Wort glaubt.

Shit, jetzt will ich ihn wirklich dringend deutlicher sehen. Ich muss unbedingt wissen, wie er reagiert. Nervös schaue ich mich in der näheren Umgebung um, ob ich meine Brille irgendwo sehe. Aber mein Blick ist zu verschwommen. Ich müsste schon aufstehen und herumlaufen, um das verdammte Gestell zu finden. Aber ich glaube nicht, dass ich mit meinem schmerzhaft pochenden Bein zur Zeit überhaupt auftreten kann. Außerdem will ich mich auf Mike konzentrieren. Das hier erscheint mir plötzlich enorm wichtig zu sein. Fuck, ich weiß echt nicht mehr, wo ich die Brille hingelegt habe. Das passiert mir andauernd, so ein Scheiß.

„Sie liegt auf dem Bücherregal, Chester”, seufzt Mike. Mein Blick schnellt abgelenkt zu ihm. Vage lächelt er mich an. „Was?” frage ich verdutzt. „Du hast sie auf das Regal gelegt”, wiederholt er. Lacht leise. Dieses zauberhafte Geräusch fährt mir sofort in die Eingeweide hinein. Diese warmen, amüsierten Töne. Mike Shinodas überraschendes Lachen ist so wunderbar, dass ich sofort mitlachen muss. „Mann, ich verlege das Teil andauernd”, beschwere ich mich kichernd. Mit einem warmen Gefühl im Bauch beobachte ich, wie Mike langsam aufsteht und mir hilfsbereit meine Brille holt. Offenkundig hatte ich sie auf dem Regal neben dem Sofa deponiert. Bevor ich mich zum Schlafen auf dieses unbequeme Möbelstück gelegt habe. Daran erinnere ich mich nicht.

Aber das ist jetzt auch nicht wichtig. Denn Mikey ist so nett, mir meine unverzichtbaren Gläser zu holen. Der seltsame Typ lächelt mich liebevoll an. Schlagartig scheint alles wieder gut zu sein. Das kann ich gar nicht so schnell kapieren, was hier passiert. Seine Stimmungen wechseln so schnell, dass ich nicht mehr mitkomme. Total erstaunt nehme ich die schwarze Brille entgegen. Die Mike mir lächelnd hinhält. „Danke, du bist echt mein Sichtretter”, sage ich sanft. Er grinst belustigt. Eigentlich möchte ich ihn dringend festhalten. Impulsiv möchte ich ihn zu mir auf das Sofa ziehen. Damit ich ihn gierig küssen kann. Ich will ihn anfassen. Mit meiner Hand über seine nackte Haut streicheln. Seine überwältigenden Zärtlichkeiten spüren.

Aber es ist zu spät. Meine Chance ist vertan. Denn er hat sich schon von mir abgewandt. Der Patient geht zurück zu seinem Sessel. Setzt sich wieder hin. Das ärgert mich. Mein Bedürfnis, ihm körperlich näherzukommen, explodiert förmlich in mir. Ohne nachzudenken, rutsche ich vorsichtig in seine Richtung. So unauffällig wie möglich. Als wäre er ein Magnet. Der mich unwiderstehlich anzieht. Ja. Zweifellos ist Mike Shinoda ein verdammter Magnet für mich. Den pochenden Schmerz in meinem geprellten Schenkel ignoriere ich. Obwohl er echt heftig ist. Und durch die Bewegung noch schlimmer wird. Ich muss die Zähne zusammenbeißen. Um nicht gequält aufzustöhnen. Ziemlich schnell sitze ich direkt vor Shinodas Sessel. Auf der Kante des Sofas. Meine Beine stehen auf dem Laminat. Unsere Knie berühren sich fast. Ich tue aber so, als würde ich das gar nicht bemerken. Sorgfältig putze ich meine Brille am unteren Saum meines Unterhemdes. Danach setze ich sie auf. Endlich sehe ich den faszinierenden Typen wieder glasklar. Darüber bin ich enorm froh. Mike hat mich die ganze Zeit aufmerksam beobachtet. Jetzt lächelt er amüsiert. Seine braunen Augen leuchten warm. Das erleichtert mich so sehr, dass ich ungewollt wohlig aufseufze.

„Erkläre mir bitte, warum du das gemacht hast, Chester. Warum hast du Kaitleen an dich herangelassen? Und was hat Tracy damit zu tun?” fragt er beherrscht, aber frustrierend eindringlich. Seine Augen erforschen wissbegierig mein Gesicht. Er versteht es wirklich nicht. Das irritiert mich. Weil er doch schließlich auch nur ein Kerl ist. Er müsste doch wirklich wissen, wie so etwas manchmal läuft. Es nervt mich, dass er sich noch immer an dieser unseligen Episode festhält. Am liebsten würde ich diesen doofen Mist schon längst komplett vergessen. „Ach, komm schon, Mikey. Du weißt doch, wie das ist”, wehre ich ihn leicht ungehalten ab. Sein Lächeln verblasst. Als er Luft holt und den Kopf schüttelt. „Nein, das weiß ich nicht, Bennington. Ich lasse nämlich keine wildfremden Weiber meinen Schwanz lutschen!” erklärt er mit einer Heftigkeit, die mich alarmiert. Ich will nicht, dass er nochmal wütend wird. Das kann ich wirklich nicht ertragen. „Tut mir leid!” betone ich hastig, „Das ist eben einfach passiert. Ich kann es doch nicht mehr ändern, Herrgott!” Mikes braune Mandelaugen durchbohren mich. Er klagt mich auf eine Weise an, die ich nur schwer akzeptieren kann. Mein Herz beginnt ein wütendes Klopfen. Der Patient macht mich schon wieder sauer. Obwohl ich das gar nicht will. „Weißt du, das ist so ähnlich gewesen, wie bei dir vorhin. Als du mich geschlagen hast, obwohl du das doch gar nicht wolltest!” erwähne ich mit einem grimmigen Grinsen. Damit habe ich ihn getroffen. Denn er schnappt nach Luft. Sieht mich entgeistert an. So schnell fällt ihm keine passende Erwiderung ein. Das befriedigt mich auf eine dumme Art.

Eine Weile taxieren wir uns gegenseitig in aggressiver Kampfbereitschaft. Mit der Zeit versinke ich in seinen fantastischen Augen. Dagegen kann ich gar nichts tun. Dieses tiefgründige Braun verschlingt mich. Ich glaube darin zu erkennen, dass der Besondere eigentlich gar nicht wütend auf mich ist. Michael Shinoda ist nur traurig. Und tief verletzt. Das rührt mich so sehr, dass mir mal wieder heiß wird. Nervös reibe ich meine feuchten Hände über meine Knie. Mike und ich sitzen jetzt so nah voreinander, dass ich ihn kinderleicht berühren könnte. Aber ich weiß nicht, wie er auf so eine Annäherung reagieren würde. Ich habe Angst, dass er nochmal ausholt und mich schlägt. Darum fasse ich ihn nicht an.

„Wow, Chester, das war jetzt aber echt ein fieser Vergleich”, krächzt er außer Fassung, „Das ging jetzt total unter die Gürtellinie.” Vielleicht hat er recht, denke ich konfus. Eventuell sind Schlagen und Schwanzblasen doch zwei paar Schuhe. Obwohl ich nicht kapiere, was genau er mir damit sagen will, habe ich doch das drängende Bedürfnis, ihn zu beschwichtigen. „Hör mal, Mike, das ist doch alles ganz anders, als du denkst. Kaitleen oder Tracy bedeuten mir doch gar nichts. Die waren nur zufällig da. Die haben mir das überraschend angeboten. Und da habe ich das eben mitgenommen. Ich habe da gar nicht drüber nachgedacht. Das war sowieso nur eine Sache von Minuten. Ehrlich! Niemand bedeutet mir irgendwas”, erkläre ich ihm hastig. Augenblicklich verengen sich seine großen Augen zu gekränkten Schlitzen. „Du bedeutest mir was”, verbessere ich mich eilig. Der attraktive Halbjapaner bläst spöttisch Luft aus. Schüttelt den Kopf. „Das sagst du doch jetzt nur so”, beschuldigt er mich, „In Wahrheit hast du dich mit beiden Weibern amüsiert. Sonst hättest du nicht auch noch im Speisesaal mit ihnen geflirtet. Und schon vorher in der Sporthalle hast du die total auffällig angebaggert.”

Aha, überlege ich aufhorchend, langsam kommen wir der Sache wohl näher. Ich bin verwirrt. Weil Mike offenbar schon während der Bewegungstherapie angefressen war. Das habe ich nicht mal geahnt. Dass der Patient meine albernen Spielereien mit den Chicks von Anfang an so ernst genommen hat. Ich wusste nicht mal, dass er mich in der Turnhalle vermutlich die ganze Zeit beobachtet hat. Irgendwie schmeichelt mir das. Dieses rätselhaft große Interesse an mir, das er pausenlos an den Tag legt. So etwas habe ich noch nie gespürt. Noch niemals hat mich jemand dermaßen intensiv wahrgenommen, wie Mike Shinoda es praktiziert. Das war schon ganz am Anfang so. Seit dem ersten Moment unserer Begegnung, als er mich bei meiner Ankunft hier auf dem nächtlichen Flur singen gehört hat, interessiert er sich mit dieser staunenden Intensität für mich. Der faszinierende Mann macht mich auf eine Art besonders, die ich nicht begreifen kann.

Plötzlich kann ich mich nicht länger zurückhalten. Zögerlich lege ich ihm meine linke Hand aufs rechte Knie. Sanft streicheln meine Finger über sein hartes Kniegelenk. Dabei behalte ich ihn angespannt im Auge. Um genau mitzukriegen, wie er darauf reagiert. Aber er scheint meine Berührung kaum wahrzunehmen. Sein Blick liegt unverändert forschend auf mir. Ein wenig verärgert vielleicht. Aber hauptsächlich tief gekränkt. „Also warst du wahrhaftig mit beiden Mädchen zusammen im Park?” horcht er mich neugierig aus. In Gedanken stöhne ich gestresst auf, reiße mich jedoch zusammen. „Ja doch, Mike. Die haben mich beide auf dem Weg zurück ins Haus abgefangen. Ich glaube, die hatten das vorher gründlich geplant.” „Du hast sie ja auch beim Yoga kräftig dazu ermutigt!” blafft Mikey ärgerlich. Seufzend nicke ich. „Das stimmt, du hast wohl recht. Tut mir ehrlich leid, Mike. Ich habe das nicht bewusst getan. Das Yogageturne war für mich einfach nur ziemlich witzig. Ich fand das amüsant mit denen. Und ich habe bestimmt nicht damit gerechnet, dass die Hühner mir danach im Park auflauern.”

Mit einiger Genugtuung registriere ich, dass mein Gegenüber grinsen muss, es aber mühsam unterdrückt. „Du findest das witzig, wenn wildfremde Weiber dich öffentlich am Schwanz und an den Eiern anpacken?” erkundigt er sich verständnislos. Als ich so schnell keine Antwort finde, spricht er weiter: „Gott nochmal, Chester! Das hat die ganze Sporthalle mitgekriegt, was ihr da getrieben habt! Ihr habt euch ja praktisch gegenseitig aufgegeilt, Kaitleen, Tracy und du!” Mike sieht richtig angewidert aus. Seine altmodische Prüderie überrascht und amüsiert mich enorm. Aber ich lasse mir wohlweislich nichts anmerken. „Das tut mir leid”, wiederhole ich kleinlaut, „Die haben mich irgendwie total kirre gemacht.”

Nochmal bläst er spöttisch Luft aus. „Du hättest deine Turnmatte gar nicht erst so nah neben ihre legen sollen”, meint der Halbjapaner arrogant und lehnt sich selbstbewusst im Sessel zurück, „Dann hättest du das alles ganz leicht vermeiden können, Bennington.” „Wäre es dir lieber gewesen, wenn ich meine scheiß Matte direkt neben deine gelegt hätte?” rutscht mir provozierend heraus, bevor ich mich bremsen kann. Absolut entzückt darf ich mir ansehen, wie Mikeys zuckersüß abstehende Ohren sich rot färben. Ärgerlich schüttelt er den Kopf, sagt aber nichts. „Das wolltest du nicht, Shinoda! Tausendmal hast du vorher verlangt, dass ich dir in der Sporthalle ja nicht zu nahekommen darf!” werfe ich ihm lauthals vor. Empört verdreht er die Augen. „Das ist aber noch lange kein Grund, sich sofort an irgendwelche fremden Weiber ranzumachen”, setzt er wütend dagegen. „Mann, ich habe mich nicht an die rangemacht! Die waren einfach zufällig da und gut ist!” erwidere ich gereizt. „Nein gesagt hast du aber auch nicht!” knurrt er, muss aber plötzlich dabei grinsen, was ich berauscht zur Kenntnis nehme. „Ich möchte dich mal sehen, ob du nein sagen kannst, wenn zwei hübsche Mädchen dir plötzlich anbieten dir einen zu blasen!” werfe ich ihm an den Kopf.

Mühevoll unterdrücke ich das brodelnde Kichern in mir. Mein Herz schlägt schneller. Eine seltsam prickelnde Mischung aus Wut und Erregung kommt in mir auf. Diese neuerliche Auseinandersetzung mit Mister Shinoda wird zweifellos immer spannender, je länger sie andauert. Das fasziniert mich total. Wie seine wundervollen Asiatenaugen zunehmend amüsiert glitzern. Wie offensichtlich Mike versucht ernst zu bleiben, weil er doch unverändert angepisst ist, aber trotzdem kaum noch gegen seine eigene, unaufhörlich ansteigende Belustigung ankommt. Denn im Grunde ist die ganze Geschichte doch auch total lächerlich. Finde ich jedenfalls. So ein Scheiß ist es gar nicht wert, um sich deswegen gegenseitig an die Kehle zu springen. Und schon gar nicht sollten der Besondere und ich es zwei blöden Chicks, die wir nicht mal kennen, erlauben, sich zwischen uns zu drängen. Dafür ist das, was uns verbindet, viel zu wertvoll. Entschieden zu einzigartig. Besonders. So empfinde ich das. Obwohl ich nicht weiß, ob Mike genauso darüber denkt, will ich nicht, dass das zwischen uns kaputtgeht. Was immer das auch ist. Seine Nähe tut mir gut. Dieser rätselhafte Kerl vermag mich zu beruhigen. Allein durch seine Anwesenheit. Ich will nicht wieder allein sein. Ich kann es nicht länger ertragen, einsam zu sein. Von allen ignoriert zu werden. Das ist total uncool.

„Du findest Kaitleen und Tracy hübsch?” fragt der Bärtige mit einem höhnischen Grinsen. Nachdenklich kratzt er sich mit den Fingern durch seinen tollen Bart. Was mich sofort paralysiert. Zu gerne würde ich jetzt selbst durch seinen dunklen, dichten Bart kraulen. Unwillkürlich wird mein Streicheln an seinem Kniegelenk intensiver. Noch immer ignoriert er meine zärtliche Berührung geflissentlich. Oder vielleicht bemerkt er sie tatsächlich nicht. Keine Ahnung. „Na klar sind die beiden Mädels hübsch”, gebe ich gleichgültig zu. Mikeys Augen blinzeln spöttisch. Während er mich unentwegt im Auge behält. „Findest du das etwa nicht?” frage ich erstaunt. Der Bärtige überlegt ziemlich lange. Der Typ scheint unschlüssig zu sein. „Ja, die sehen ganz okay aus”, stimmt er endlich vage zu. Was mir ein zufriedenes Lächeln entlockt. „Allerdings ist das für mich noch lange kein Grund, zwei mir unbekannte Psychiatriepatientinnen meinen Schwanz blasen zu lassen!” setzt er heftig hinzu. Das Lächeln rutscht mir wieder vom Gesicht. „Verdammt, Chester! Das ist doch was total Intimes! Für mich sogar das Intimste überhaupt! Da lässt man doch nicht einfach so irgendwen ran!” schnauzt Shinoda anklagend. Ein paar Sekunden lang verzieht sich sein hübsches Gesicht wahrhaftig angewidert. Seine blitzenden Augen degradieren mich zu einem sexsüchtigen Perversling.

Verdutzt betrachte ich ihn. Langsam frage ich mich argwöhnisch, ob ich es bei dem Menschen auf dem Sessel vor mir überhaupt mit einem normalen Kerl zu tun habe. Ich meine, einen geblasen zu kriegen ist doch einfach nur mega geil. Es gibt kaum etwas, was ich noch erregender finde. Oder was mich schneller zum Orgasmus bringen kann. Natürlich muss ein Minimum an Vertrauen vorhanden sein, das ist schon klar. Aber sonst? Wenn mir jemand diesen Dienst anbietet, dann bin ich nur selten abgeneigt. Solange die gegenseitigen Sympathiepunkte ausreichen. Irgendwas rät mir allerdings dringend davon ab, Michael Shinodas Männlichkeit jetzt auch nur andeutungsweise anzuzweifeln. Lieber zwinge ich mich dazu, über seine in meinen Augen arg übertriebene Prüderie hinwegzusehen.

„Ähm... nein... die haben mich nicht beide geblasen”, stelle ich vorsichtig richtig. Sofort wird sein Blick schärfer. So, als würde er mir nicht glauben. „Und warum wusste Tracy dann ebenfalls alles über diese Geschichte?” hakt er misstrauisch nach. Seine braunen Augen durchbohren mich. Auf der Suche nach der letzten Wahrheit. Eigentlich habe ich gar keine Lust, dem neugierigen Typen jetzt auch noch Einzelheiten zu verraten. Aber er lässt mir keine Wahl, denke ich. Seufzend nehme ich zusätzlich die andere Hand und lege sie um sein rechtes Kniegelenk. Mit beiden Händen gleichzeitig streichele ich sanft über seinen Knochen. Während ich seinen strafenden Blick schuldbewusst lächelnd erwidere. „Nur Kaitleen hatte ihn im Mund... na ja... das weißt du doch schon, Mike. Die Pute hat dir das beim Mittagessen doch sofort erzählt, nicht wahr?” Er nickt zögernd. Noch immer sitzt er ganz aufrecht vor mir, den Rücken fest gegen die Lehne des Sessels gedrückt. „Und was ist mit Tracy? War die dabei, oder was?” muss er unbedingt wissen. „Ja... die hat uns zugeguckt...”, lüge ich ein bisschen. Weil es mir im Moment nicht sehr ratsam erscheint, Mike auch noch etwas von meiner ziemlich innigen Knutscherei mit der Rothaarigen zu erzählen.

In seinem enorm anziehenden Halbjapanergesicht taucht erneut dieses spöttische Grinsen auf. „Und das hat dir nichts ausgemacht, Chester? Das die euch zugeguckt hat?” fragt er fassungslos. Offenbar kennt dieser verklemmte Kerl sich mit gemeinschaftlichem Sex nicht aus. Vielleicht lehnt er so etwas sogar komplett ab. Was ich nicht begreifen kann. Aber auch darauf gehe ich jetzt besser nicht ein.„Hör mal, Mike. Ich glaube, du verstehst das alles vollkommen falsch. Ich war mit den beiden Mädchen vielleicht insgesamt zehn Minuten auf dieser Lichtung. Das Blasen hat höchstens drei Minuten gedauert. Das war doch nur eine total unbedeutende, flüchtige Angelegenheit. Und ich werde diese Patientinnen auch bestimmt nicht nochmal an mich ranlassen”, versichere ich ihm wahrheitsgemäß. „Bitte glaube mir das, Mikey!” setze ich flehend hinzu.

Zu meiner Verblüffung erhellen sich seine fantastischen Augen. Mike sieht blitzartig glücklich aus, wenn auch nur einen Moment lang. Obwohl ich den Grund dafür nicht genau kapiere, wird mir sofort warm. Weil ich spüre, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Und ich bin ehrlich heilfroh, dass Shinoda meine Beteuerung nicht anzuzweifeln scheint. Mutig geworden, verlasse ich sein wohlgeformtes Kniegelenk. Streichele mit beiden Handflächen ein Stückchen seinen Schenkel hinauf. Und vorsichtshalber gleich wieder hinunter. Eigentlich möchte ich jetzt schon viel höher streicheln. Zwischen seine Beine gelangen. Halte mich aber bewusst davon ab.

Seine blaue Jeans fühlt sich ein bisschen rau und warm an. Zu gerne würde ich sie ihm ausziehen. Danach auch das T-Shirt. Und seine Unterwäsche. Ganz langsam und genüsslich möchte ich den Besonderen entkleiden. Die Vorstellung beschleunigt augenblicklich meinen Pulsschlag. Meine Finger zittern ein bisschen. Darum reibe ich sie intensiv über seine Hose. Während ich ihn fragend mustere. Er erwidert meinen Blick. Sitzt reglos auf dem Sessel. Sieht mich pausenlos an. Ich glaube ihm anzumerken, dass er meine Zärtlichkeit sehr wohl registriert. Obwohl er unverändert so tut, als würde er sie gar nicht bemerken. „Ehrlich, Mikey, ich... habe dabei die ganze Zeit nur an dich gedacht... das war nicht gelogen...”, flüstere ich atemlos. „Hast du echt meinen Namen gestöhnt, als du gekommen bist, Chaz?” fragt er lächelnd. Ich bin derart froh und gebannt, weil er lächelt, dass mir nichts als die Wahrheit einfällt. „Ich habe intensiv an dich gedacht, als ich gekommen bin, Mike Shinoda. Ich weiß nicht, was ich in den paar Sekunden gestöhnt habe. Es kann schon gut sein, dass das dein Name war.”

Verblüfft lacht Mike auf. Vielleicht, weil ich so überraschend ehrlich zu ihm bin. Oder weil es ihm doch schmeichelt. Dass ich an ihn gedacht habe. Plötzlich erinnere ich mich deutlich an das überwältigend geile Gefühl auf dieser Lichtung. Als ich im Gras lag. Und dachte, es wären Mikes volle Lippen, die mich so liebevoll bearbeiten. Fuck, das war wirklich total erregend. Auf einmal will ich dringend, dass der Patient das jetzt bei mir macht. Verflucht, dieser Kerl darf alles mit mir machen! Was immer er auch will! Abrupt bumpert mein Herz los. Meine Lungen werden enger. Aufgeregt schnappe ich nach Luft. Mir fällt auf, dass Mikes Atem auch irgendwie schwerer geworden ist. Sein Brustkorb bewegt sich tiefer unter dem grauen T-Shirt mit den silber-grauen Streifen. Obwohl er versucht, sich nichts anmerken zu lassen, ändert er nervös seine Sitzposition. Ich achte darauf, dass meine Hände nicht von seinem Bein rutschen. Streiche weiter an der unteren Hälfte seines Schenkels und seinem Knie entlang. Dann an seinem Schienbein herunter. Und wieder hinauf. Lächelnd stelle ich mir vor, dass der ansehnliche Mann eventuell auch gerade an Sex mit mir denkt. Diese Möglichkeit gefällt mir außerordentlich.

„Ich habe dir gerne beim Schlafen zugeschaut, Chester”, eröffnet Mike mir unerwartet offenherzig, „Das könnte ich den ganzen Tag lang machen. Du warst so... friedlich.” Seine Augen glühen in ihrem schönsten Braun. „Ähm... ist schon irgendwie komisch, dass wir uns ausgerechnet hier treffen... wo wir allein sind...”, bemerke ich zögernd. Ich möchte auf keinen Fall zu plump vorgehen. Aber er soll schon langsam merken, dass ich jetzt von ihm angefasst werden will. Einfach irgendwelche Berührungen von ihm brauche. Dringend. Meine Hände tasten sich vorsichtig weiter an ihm hinauf. Jedes Mal nur ein winziges Stückchen. Näher an seinen Schritt heran. Und dann wieder hinunter. Ganz sanft und liebevoll. Ich komme seinem verlockenden Schwanz nur quälend langsam näher. Aber ich muss mich zurückhalten. Denn ich will ihn nicht verschrecken. Oder womöglich nochmal verärgern. Nein, bloß nicht. Das muss ich zwingend vermeiden.

„Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, dich hier in der Bibliothek auf das Sofa zu legen?” erkundigt er sich kopfschüttelnd. Nervös rutsche ich auf dem Sofa hin und her. Mein Herz schlägt zu schnell. Mein Blutdruck steigt spürbar an. Dummerweise wird dadurch das pochende Stechen in meinem brutal geprellten Oberschenkel schlimmer. Wahrscheinlich sollte ich das Bein lieber kühlen. Anstatt es ungesteuert von innen heraus mit zunehmender Hitze zu versorgen. Ich sollte wohl schnellstmöglich einen Eisbeutel drauflegen. Das würde die verdammten Schmerzen sicher verringern. Aber erstens habe ich keinen blöden Eisbeutel. Und zweitens bin ich gegen die steigende Hitze in meinem Körper völlig machtlos. Mit seiner unmittelbaren Nähe sorgt Mister Shinoda dafür, dass mir langsam richtig heiß wird. Ungeduldig schiebe ich meine Hände an seinem geilen Schenkel hinauf. Dazu muss ich mich ein Stückchen zu ihm hinbeugen. Mein Herz beschleunigt seine Arbeit nochmal.

Fast sind meine Finger schon an seinen Weichteilen angekommen, als er mich plötzlich stoppt. Mike greift überstürzt nach meinen Händen und hält sie fest. Schiebt sie sanft aber energisch von seinem Bein weg. Als ich ihn fragend ansehe, schüttelt er ganz leicht den Kopf. Offensichtlich möchte er jetzt nicht von mir berührt werden. Das kann ich kaum akzeptieren. Seufzend ziehe ich meine Hände ein und lehne mich auf dem Sofa zurück. Echt keine Ahnung, was ich jetzt tun soll. Fühle mich sonderbar erregt. Verdammt! „Warum hast du dich nicht einfach in dein Bett schlafen gelegt, Chester?” will er hartnäckig wissen, „Das ist tagsüber zwar verboten, aber du hättest das ja trotzdem tun können.” Für einen Moment schließe ich resigniert die Augen. „Ich wollte nicht allein in meinem Zimmer sein”, erzähle ich ihm seufzend, „Nach der Therapie hat Ulli mich in diesen Gemeinschaftsraum geschleppt. Aber da drin war es mir zu voll und hektisch. Alle wollten irgendwas von mir. Also habe ich meinen Pfleger nach einer Alternative gefragt. Ich habe eine Bibliothek erwähnt. Weil ich dachte, dass es in so einem Zimmer mit Büchern womöglich nicht so laut ist. Ich habe so getan, als wollte ich mir ein Buch zum Lesen ausleihen. Zum Glück ist der Pfleger dann abgehauen. Und ich konnte mich hier hinlegen.” „Du wolltest dir gar kein Buch ausleihen?” fragt der Halbjapaner vorwurfsvoll grinsend. „Nein, ich wollte einfach nur schlafen”, gebe ich schulterzuckend zu. „Mann, ich war todmüde, Mikey!” versichere ich ihm verzweifelt. „Ja, ich weiß”, nickt er zustimmend, „Das habe ich dir doch heute schon den ganzen Tag lang angemerkt.”

Ratlos sitze ich auf dem Sofa. Schaue ihn sehnsuchtsvoll an. Shinoda sieht so unglaublich gut aus, dass ich mich kaum zurückhalten kann. Will dringend sexuell motiviert über ihn herfallen. Andererseits scheint mir das irgendwie bedenklich zu sein. Denn immerhin hatte ich ja heute schon einen Orgasmus. In dieser Beziehung sollte ich mal langsam befriedigt sein. Zumindest für den restlichen Tag. Bin ich aber nicht. Kein bisschen. Ich kann nicht genug von dem Kerl bekommen. Das mit ihm ist nämlich nochmal ganz anders. Als es mit irgendeinem Mädchen wäre. Mike Shinoda kann mir sämtliche Sinne rauben. Auf eine neue, verdammt aufregende Art. Und ich möchte das jetzt wirklich fühlen. Ich will mich ihm ganz nah fühlen. Ich möchte sicher sein, dass ich an diesem frustrierenden Ort nicht allein bin. Aber ich habe keinen blassen Schimmer davon, was er denkt. Oder was er jetzt von mir erwartet. Also sitze ich einfach so dort. Ich bin tierisch nervös. Kann deshalb kaum stillsitzen. Aufgewühlt kaue ich an meinen abgebissenen Fingernägeln herum. Während ich ihn ratlos betrachte. Das passiert automatisch. Unbewusst. Kann das einfach nicht sein lassen.

Seine Augen liegen wohlwollend auf mir. Irgendwie gutmütig. Aber da ist auch ein Hauch Mitleid. Der mir so gar nicht gefallen will. „Du hast so schön geschlafen, Chester. Ich glaube, das war richtig tief. Aber dann bist du plötzlich aufgewacht. Nein, du bist panisch hochgeschreckt. Du hattest einen bösen Albtraum, nicht wahr?” tastet der viel zu neugierige Patient sich behutsam an meine Psyche heran. Schlagartig verkrampft sich alles in mir. Als ich an meinen Albtraum erinnert werde. Der mich vorhin so grausam des erholsamen Schlafes beraubt hat. Es waren genau die gleichen Visionen, die ich seit den Ereignissen in meiner Kindheit immer wieder mal träume. Viel zu oft verfolgt mich dieser verfluchte Dreck im Schlaf. Und nicht nur im Schlaf. Nein, nein, darüber möchte ich jetzt wirklich nicht sprechen. Noch nicht mal mit dem süßen Bartträger. „Und wie bist du in die Bibliothek geraten, Mister Shinoda? Läufst du oft in der geschlossenen Psychiatrie herum und suchst nach Leuten, die du beim Schlafen beobachten kannst?” necke ich ihn betont locker. Insgeheim bete ich darum, dass er meinen hektischen Themenwechsel einfach akzeptiert.

Eine Weile ist es ganz still. Mike fixiert mich nachdenklich. Seine Augen wandern intensiv über mein Gesicht. Scheinen sich jede Einzelheit genau einzuprägen. Das macht mich nervös. Wie er mich ansieht. Als würde er versuchen, mich zu analysieren. Irgendwie unter meine Oberfläche zu gelangen. Bis auf den Grund meiner schwarzen Seele. Als ich die Intensität seiner dunklen Augen nicht mehr aushalte, weiche ich kurzerhand seinem Blick aus. Starre verkrampft aus dem Fenster. Das gefällt mir nicht, wie Mike höchst interessiert versucht, mich zu verstehen. Ich will nicht von ihm therapiert werden. Von niemandem eigentlich.

„Nein, ich bin nur zufällig hier”, verrät er mir ruhig. Heilfroh, dass er nicht nochmal nach meinem Traum fragt, schaue ich ihn wieder an. „Zufällig?” lächele ich vielsagend. „Ich hab es in meinem Zimmer nicht mehr ausgehalten, Chester. Du hast mich... so sehr verletzt, und...” Er bricht ab und seufzt tief. „Tut mir leid”, erwidere ich schon automatisch. Aber er schüttelt den Kopf. Es war gar nicht seine Absicht, dass ich mich schon wieder bei ihm entschuldigen muss. „Nein, das meine ich jetzt nicht...”, wehrt er ab und hebt ratlos die Hände. „Unser Streit in der Kreativtherapie hat mir leidgetan. Ich habe da Sachen zu dir gesagt, die ich gar nicht so gemeint habe, Chaz.” „Du hast behauptet, dass ich mit dir nie etwas fühlen würde”, fällt mir krächzend ein. Allein bei der Erinnerung daran wird mir schon übel. Weil das ein Vorwurf ist, den ich kaum hinnehmen, geschweige denn verarbeiten kann. Forschend schaue ich Mike an, um mitzukriegen, wie er das gemeint hat. „Das tut mir leid, Chester”, seufzt er hilflos, „Ich habe das nicht so gemeint. Und ich weiß auch, dass das nicht stimmt.” „Das stimmt auch nicht!” betone ich heftig, „Fuck, Mike, ich bin kein gefühlloser Eisklotz oder so was! Ich bin kein fieser Lügner, der dir ständig nur irgendwas vorspielt!”

Ungewollt ist meine Stimme viel lauter geworden. Weil mich sein ungerechtfertigter Vorwurf noch im Nachhinein so wütend macht. Und tief verletzt. Mikes schöne Mandelaugen weiten sich erschrocken. Hastig richtet er sich auf. Beugt sich weit zu mir hin. Trotzdem erreicht er mich noch nicht. Weil ich mich auf dem Sofa weit zurückgelehnt habe. Der Bärtige muss ganz an die Kante des Sessels rutschen. Was er kurzentschlossen energisch tut. Unsere Beine berühren sich dabei. Die Knie treffen aufeinander. Er schiebt seine Beine neben meine. Bis seine Knie an den Rand des Sofas stoßen. Ich kann es gar nicht fassen, als er mir näher kommt. Als der Kerl tatsächlich meine beiden Schultern umfasst. Zärtlich an meinen nackten Oberarmen auf und ab streichelt. Unwillkürlich höre ich auf an den Nägeln zu kauen. Meine Arme fallen einfach herunter. Wie ferngelenkt rücke ich näher an ihn heran. Komme ihm entgegen. Weil ich von dieser Berührung nicht genug kriegen kann. Seine Hände sind warm auf meiner tätowierten Haut. Seine Zärtlichkeit fährt mir ungesteuert als heißer Schauder durch den gesamten Leib. Ich muss mich zwingen, meine Hände neben meinen Hüften liegenzulassen. „Nein, Chester, ich weiß doch, dass das nicht so ist. Ich habe das im Zorn gesagt, hörst du? Ich bin ehrlich total sauer gewesen auf dich”, beteuert er fast verzweifelt. „Ja, ich weiß, dass du sauer warst”, grinse ich atemlos, „Das hast du mir zur Genüge gezeigt, Shinoda.”

Vielleicht zwanzig Sekunden lang sehen wir uns intensiv an. Ich werde paralysiert von seinen außergewöhnlich dichten, breiten, dunklen Augenbrauen. Den fantastisch langen Wimpern. Dem glühenden Blick seiner braunen Augen. Der mir seine beginnende Erregung zu offenbaren scheint. Seine ausgeprägten Lippen ziehen mich magisch an. Ich bin verflucht nahe daran, ihn zu küssen. Als er den Blick abwendet und ihn auf meine Schultern richtet. „Sag mal, wo ist denn eigentlich dein blaues Hemd geblieben, Chaz? Warum sitzt du hier lediglich im Unterhemd?” will er tadelnd wissen. Hör doch auf, denke ich spöttisch, in Wahrheit gefällt es dir, wenn ich nur Unterwäsche trage. „Mein Hemd ist total schmutzig gewesen. Ich habe versucht es zu waschen. Dabei wurde es erst richtig nass. Darum habe ich es zum Trocknen in meinem Zimmer aufgehängt”, informiere ich ihn gelangweilt. „Und dein Pfleger Ulrich hat dir einfach so erlaubt, auf der Station im Unterhemd herumzulaufen?” grinst Mike amüsiert. „Tja, der hatte wohl keine Wahl. Ich hab nun mal keine anderen Klamotten”, seufze ich angefressen. Sein Blick wird schon wieder mitleidig. Was mir gar nicht gefällt. „Mann, Chester! Deine sämtliche Kleidung ist mittlerweile nass und schmutzig geworden!” wirft der sorgfältig gepflegte und perfekt gestylte Bärtige mir mit Blick auf meine hellgraue Hose vor. Verärgert sehe ich mir die dunklen Flecken an den Knien meiner Chino an. Definitiv war es keine gute Idee von mir, mich mit den hellen Klamotten durch die Büsche im Park zu zwängen. Mich auf diese Wiese zu legen, war klamottentechnisch gesehen ein großer Fehler. Aber passiert ist nun mal passiert.

„Das werde ich wieder waschen”, winke ich gespielt gleichgültig ab. Leider habe ich keine Ahnung, wie oder ob man Grasflecken wieder aus dem Baumwollstoff herauskriegt. Mike lacht abrupt auf. Zu meinem Bedauern nimmt er seine Finger von meinen Oberarmen weg. Er lehnt sich weit zurück. Betrachtet mich aufmerksam. Frustriert sehe ich ihn an. Wollte gerne noch länger von ihm gestreichelt werden. Noch intensiver. „Nein, Chaz, du musst deine Klamotten hier nicht selbst waschen!” kichert der junge Mann belustigt, „Das macht doch die Wäscherei des Krankenhauses. Hat dir das etwa noch niemand erklärt?” Verwundert mustert er mich. Als wäre ich ein bisschen dumm. Was mich unglaublich nervt. „Klar weiß ich das”, lüge ich spontan großspurig, „Aber ich kann nicht auf meine Kleidung warten, bis die Wäscherei die fertig gewaschen hat. Darum mache ich das selber.” Mike sieht mich derart gerührt an, dass mir abermals ganz heiß wird. In seinen wunderschönen Augen steckt plötzlich so viel Zuneigung, dass ich ihn auf der Stelle leidenschaftlich küssen möchte. Von mal zu mal wird es schwieriger für mich, mich diesbezüglich zurückzuhalten.

Nervös streichen meine Hände über das Polster des Sofas. Es fühlt sich glatt an. Ich kann die ausgeleierten, kreisrunden Sprungfedern unter dem Stoff fühlen. Eine Weile herrscht ein seltsames Schweigen in der Bibliothek. „Es tut mir leid, dass ich dich in der Kreativtherapie so unfreundlich angepflaumt habe”, flüstert der Besondere plötzlich betrübt. Verdutzt sehe ich ihn an. „Ist doch schon gut, Mikey”, beteuere ich ihm beschwichtigend. Er schüttelt gedankenversunken den Kopf. Zu meiner Verwirrung muss der Patient sich spürbar einen Ruck geben. „Das düstere Ölbild, Chester”, flüstert er ohne jeglichen Zusammenhang, „Dein mega depressives Gemälde. Das du vorhin gemalt hast. Bei Noah in der Therapiestunde. Dieser hagere Mann. Mit der tonnenschweren Last auf seinen Schultern. Ich finde das extrem bedrohlich. Das hat mich total...”

Ein greller Blitz verknotet unerwartet meinen Magen. Entsetzt reiße ich die Augen auf. Hastig unterbreche ich ihn: „Dein Gemälde ist ja mal total professionell geworden, Mike. Das hat mich ehrlich beeindruckt. Wie routiniert du gemalt hast. Diese völlige Symmetrie in deinen Zeichenstrichen. Das kannst du absolut perfekt.” Der freundliche Halbjapaner lächelt geschmeichelt. Doch seine Augen bleiben deprimiert. „Hast du dein Bild wegen mir gemalt, Chester? Weil wir uns vorher so hässlich gestritten hatten?” muss er dringend erfahren. Erleichtert registriere ich, dass er mich nicht nach der Bedeutung meines impulsiven Werkes gefragt hat. Bemüht gelassen, schüttele ich den Kopf. „Nein, Mike, so ein Quatsch! Du hast doch gar nichts mit dem Bild zu tun!” kann ich ihm guten Gewissens nahelegen. Seine Augen blinzeln zweifelnd. So ganz scheint er noch nicht überzeugt zu sein. Das macht mich enorm nervös.

„Aber dein Ölbild ist ohne Frage echt der Hammer! Da kann ich nur noch staunen, wie leicht du das hingekriegt hast, Mister Shinoda. Die Perfektion der Proportionen. Die Grazie der Symmetrie. Ohne Scheiß, Mike, das ist oberstes Niveau!” schwärme ich schnell. Um beim harmloseren Thema zu bleiben. Zu meiner Freude muss Mikey sofort wieder schmunzeln. Lacht dann sogar leise vor sich hin. „Das sollte dich nicht wundern, Chester. Und ein Kunststück ist das auch nicht. Schließlich studiere ich das”, verrät er mir leichthin. Der Typ erwähnt das nur so nebenher. Als wäre so eine Ausbildung gar nichts Besonderes. „Du studierst das?” frage ich verblüfft nach. Er lacht lauter. Was mich extrem erleichtert. Außerdem ist sein Lachen wunderschön. Ich habe keine Lust, mich jetzt mit den Dämonen zu beschäftigen, die dummerweise sichtbar für alle in meinem Gemälde versteckt sind. Viel lieber möchte ich mit Michael Shinoda Spaß haben. Schließlich sind wir hier in diesem Raum unverhofft ganz allein. Das sollten wir eigentlich ausnutzen, finde ich. Meine Hand legt sich von selbst nochmal an seinen Schenkel. Der mir nun sehr nah ist. Noch immer hockt Mike ganz am Rand seines Sessels. So dicht bei mir, wie es in dieser Position möglich ist. Seine Beine lehnen sich gegen meine. Seine Knie stoßen gegen die untere Kante der Fläche, auf der ich sitze. Dringend möchte ich seinen verlockenden Körper zu mir hinüber auf das Sofa ziehen.

„Ich studiere Illustration und Grafikdesign am Art Center College of Design in Pasadena”, erwähnt der Halbjapaner beiläufig. Für den Schwarzhaarigen scheint sein spezielles Studium wahrhaftig keine große Sache zu sein. Für mich allerdings schon. Deshalb starre ich ihn ziemlich blöde an. „Wow!” fällt mir dazu nur ein. Nochmal lacht er belustigt. „Naja... Das Art Center in Pasadena ist eine der führenden Grafik- und Industriedesign-Schulen weltweit. Darum lag es für mich nahe, mich dort einzuschreiben.” „Na klar”, stimme ich schwer beeindruckt zu. Mike lacht spöttisch. Schlägt mich sanft gegen den Oberarm. „Ach, komm schon, Chester. Nach der High School studiert doch jeder irgendwas. Und ich habe schon immer gerne gezeichnet, also...”

Plötzlich bricht er ab. Sieht mich leicht verunsichert an. „Du studierst doch sicher auch, Bennington? Ich tippe mal auf Musik oder Gesang”, rät er lächelnd. Als wäre der Besuch einer Hochschule für ihn schlicht eine Selbstverständlichkeit. Seine Eltern sind reich, denke ich nur vage neidisch, er musste sich noch nie Gedanken über sein Auskommen machen. „Nein. Dafür fehlt mir das Geld”, gebe ich offen zu. Daraufhin sieht Mike viel bestürzter aus, als mir gefallen könnte. „Ich habe mich nie an der Arizona State University eingeschrieben. Weil ich es mir nicht leisten kann”, erzähle ich ihm grienend, aus einem plötzlich drängenden Impuls heraus, ihn aufmuntern zu wollen, „Aber ich habe mich trotzdem in den Bus gesetzt und bin zur ASU in Tempe gefahren. In Bezug auf die Studentenzahlen ist das mittlerweile fast die größte Universität in den USA. Da fanden die Vorlesungen vor 200 bis 500 Leuten statt. Außer bei der fortgeschrittenen Philosophie. Wo es nur 10 Zuhörer gab. Also habe ich mich einfach dazugesetzt und zugehört. Ich glaube, der Philosoph wusste es. Aber er hat ein Auge zugedrückt. Weil er meine Anwesenheit genossen hat.” Lächelnd schaue ich den Besonderen an. Warte darauf, dass er amüsiert zu lachen anfängt. Weil doch meine verzweifelten Studienversuche im Nachhinein ziemlich lächerlich sind.

Aber offenbar findet der Mann vor mir meine Story gar nicht lustig. Mike mustert mich misstrauisch. Wahrscheinlich vermutet er, dass ich ihm irgendwelchen Scheiß erzählt habe. Dabei ist das die reine Wahrheit gewesen. So ist das eben, wenn man kein Geld hat, Shinoda, fährt es mir ein bisschen angesäuert durch den Kopf. „Und... hat dein Bruder auch nicht studiert?” will er zaghaft wissen. Ich grinse und schüttele den Kopf. „Ne. Brian ist Polizist geworden. Genau wie mein Dad”, teile ich ihm mit. Weil das unangenehme Thema mich unweigerlich nervös macht, rutsche ich schon wieder ruhelos auf dem Sofa herum. Meine Hand ist an Mikeys Bein. Und will da auch nicht weggehen. Unermüdlich streicheln meine Finger über seine raue Jeans. Es frustriert mich, wie hartnäckig er meine drängender werdende Berührung ignoriert. „Dein Vater ist Polizist?” fragt der Typ erstaunt. Keine Ahnung, warum ihn das überrascht. Ist doch nun wirklich kein ausgefallener Beruf. Oder so was. „Ja, das... ist er...”, krächze ich widerwillig. Will dem Bärtigen aus irgendeinem Grund jetzt nicht verraten, dass mein Vater sich auf die Aufklärung von Kindesmissbrauchsfällen spezialisiert hat. Will noch nicht einmal daran denken. Dringend möchte ich das Thema wechseln. Mir ist gar nicht klar, wie wir plötzlich bei meinem Dad gelandet sind.

„Hast du ein gutes Verhältnis zu deinem Vater, Chester?” tastet Shinoda sich sorgsam an mich heran. Seine Miene ist sanft und liebevoll. Seine Augen alarmiert. Offenbar spürt er, dass bei mir da irgendwas im Argen liegt. Das gefällt mir kein bisschen. „Nein... hör mal, Mike. Mein Vater ist fast nie zu Hause gewesen. Ich war... der hat auf seiner Arbeit andauernd Doppelschichten übernommen. Und... naja... der hat in seinem Job ziemlich viel Dreck gesehen. Darum war der psychisch nicht sehr stabil... und... ich... kenne meinen Dad eigentlich kaum...” Es fällt mir verdammt schwer, darüber zu reden. Dass Mike mich die ganze Zeit mitleidig analysiert, macht die Sache nicht einfacher. Aufmerksam studiert der Kerl mein Gesicht. Registriert deutlich meine hypernervöse Hampelei. Trotzig ziehe ich meine Hand von seinem Schenkel. Fünf Sekunden später stecke ich mir die Finger instinktiv in den Mund. Um heftigst an meinen Nägeln zu kauen. Obwohl da mittlerweile kaum noch Nägel vorhanden sind. Meine Zähne kauen hauptsächlich auf den überreizten Fingerspitzen herum. Das tut weh. Wenn ich feste zubeiße. Aber es beruhigt mich irgendwie. Hat es schon immer. Kauen oder singen. Pausenlos. Nichts anderes.

„Wo war denn deine Mutter damals?” will der Mann, der direkt vor mir auf einem alten Sessel sitzt, verständnislos wissen. Seine wundervoll runden Augen liegen behutsam auf mir. Voller Zuneigung und Mitgefühl. Zweifellos interessiert der fremde Typ sich brennend für meine Lebensgeschichte. Eigentlich sollte mir das schmeicheln. Nicht ignoriert zu werden, sollte mich erfreuen. Tut es aber in diesem Moment nicht. Zur Zeit fühle ich mich nur extrem bedroht von dem unbekannten Kerl. Der da verflucht tief in meine Seele einzudringen droht. Eigentlich möchte ich spätestens jetzt kein einziges Wort mehr zu ihm sagen. Funktioniert aber nicht. Die Sätze stehlen sich irgendwie von selbst zwischen meinen Lippen hervor. Ich rede viel schneller, als ich denken kann. So, als hätte Michael Shinoda aus Agoura Hills einen versteckten Schalter bei mir betätigt. Der mich daran hindert, einfach die Klappe zu halten. Was definitiv besser für mich wäre. Und auch für ihn.

Aber stattdessen nehme ich nur die Finger aus dem Mund. Hole Luft. „Meine Mom ist eine engagierte Krankenschwester. Sie hat auch immer ziemlich viel gearbeitet. Trotzdem sind wir ganz früher mal eine tolle Familie gewesen. Aber meine Eltern haben sich scheiden lassen. Als ich elf Jahre alt war”, berichte ich Mike mit nervig zugeschnürter Kehle, „Danach habe ich bei meinem Vater gewohnt. Weil der das Sorgerecht hatte. Aber... naja... ich glaube, Lee Russell Bennington hat sich auf seiner Polizeiwache viel wohler gefühlt als zu Hause. Mein Dad konnte mit mir gar nichts anfangen. Der hat sich nicht für mich interessiert. Zwei meiner Geschwister waren schon ausgezogen. Meine andere Schwester war nie zu Hause. Also bin ich fast immer alleine gewesen. Ich war dünn und ambivalent. In der Schule haben sie mich deshalb wie eine Puppe herumgeschubst. Ich konnte mit niemandem reden. In meiner Kindheit und Jugend habe ich ständig nur alle gehasst. Ich wollte meine Familie umbringen. Oder weglaufen. Oder mich selbst umbringen. Keine Ahnung, Mike. Ich war halt ein wütendes, einsames Kind.”

Ein verzweifeltes Stöhnen kommt aus meiner Kehle. Bevor ich es aufhalten kann. Komplett ungewollt. Es schmerzt heftig in meinem Magen. Mein verletztes Bein tut gemein weh. Ich möchte jetzt nicht noch länger darüber sprechen. Fühle mich maßlos erschöpft. Weiß nicht, warum diese Informationen aus mir heraus wollten. Keinen Schimmer, warum ich ausgerechnet dem Besonderen das alles erzählt habe. Ist doch eigentlich nur blöder Mist, denke ich ärgerlich. Das ist längst Vergangenheit. Meine Kindheit ist doch ewig her. Schon lange vorbei. Normalerweise kräht da kein Hahn mehr nach. Ich will jetzt eine Flasche Bier haben, denke ich mit unfassbarer Begierde. Am allerliebsten ein kühles Corona. Ich würde mit meinem Feuerzeug schnell den Kronkorken absprengen. Dann würde ich den glatten Flaschenhals an meine ausgedörrten Lippen setzen. Den Kopf weit zurückbeugen. Mir das herrliche, bitter-fruchtige Getränk süchtig in den Hals schütten. Hastig schlucken. Als gäbe es kein Morgen. Die ganze Flasche Corona in einem Zug leertrinken. Und dann die nächste köpfen. Nebenher langsam eine Flasche Jack leeren. Ich will spüren, wie der Alkohol mir die Sinne vernebelt. Und den Schmerz lindert. Zuverlässig. Mein Verlangen ist plötzlich so groß, dass ich glaube den Verstand zu verlieren.

„Du hast auch noch Schwestern?” horcht Mike mich mit sanfter Stimme aus. Sein hübsches Gesicht sieht auf einmal traurig und besorgt aus. Es irritiert mich, wie sehr ihn meine Geschichte mitzunehmen scheint. Wie verwirrend stark er offenbar davon berührt wird. Das verstehe ich nicht. Ich kenne es nicht, dass sich jemand für meine Vergangenheit interessiert. Das ist mir irgendwie suspekt. „Ja. Zwei Halbschwestern”, bestätige ich schroff, „Die sind beide älter als ich.” Mike guckt mich betrübt an. Seufzt komisch gequält. Seine auffallend großen, rund-ovalen Mandelaugen schwimmen zunehmend im Mitgefühl. Der junge Mann versinkt förmlich in seiner eventuell grenzenlosen Anteilnahme. Ich gewinne den irritierenden Eindruck, dass nicht mehr viel fehlt, damit der Kerl anfängt zu weinen. Das gefällt mir nicht. Ich mag es nicht, das der jetzt wegen mir deprimiert ist. So etwas habe ich nicht beabsichtigt.

Schlagartig stresst es mich total, dass ich mein dummes Maul nicht halten konnte. Ich hätte auf seine persönlichen Fragen einfach nicht antworten sollen. Fuck! Prompt wandern meine Finger zurück in meinen Mund. Meine Zähne fangen an zu kauen. Ohne dass ich das selbst richtig mitkriege. Ratlos betrachte ich den fantastischen Mitpatienten. Mike ist so verdammt atemberaubend. Sieht so verlockend gut aus. Möchte den Besonderen auf der Stelle glücklich machen. Ich will sein elektrisierendes Lachen hören. Geilen Spaß mit ihm haben. Vor allem will ich nicht bedauert werden. Von niemandem. Erst recht nicht von Shinoda.

„Das tut mir so leid für dich, Chester”, flüstert der halbe Japaner extrem erschüttert, „Ich finde es unglaublich schade, dass du keine schöne Kindheit hattest.” Er beugt sich weit vor. Rutscht noch näher an den Rand des Sessels. Auf mich zu. Streckt seine Arme nach mir aus. Mein Körper erstarrt. Als Mike mir zärtlich die Dreadlocks hinter die Ohren streichelt. Seine Finger fahren zart an meinen Schläfen entlang. Berühren kaum meine Haut. Der Kerl fasst mich so behutsam an, dass ich sofort eine Gänsehaut kriege. Weil alle meine Nervenenden sich unwillkürlich auf diese sanfte Berührung sensibilisieren. Verblüfft seufze ich auf, als ein geiler Schauer vom Kopf aus quer durch meine Wirbelsäule in meinen Unterleib schießt.

„Mann, das tut mir entsetzlich leid, Chaz”, wiederholt der Schwarzhaarige noch einmal, „Es ist so schrecklich, dass du als Kind dermaßen einsam und unglücklich warst. Ich würde dir so sehr wünschen, dass du glücklich hättest aufwachsen können.” Seine bildschönen Augen ertrinken im Mitgefühl. Sein gigantisches Mitleid ist unüberhörbar. Es ärgert mich, dass er mich emotional so intensiv beweint. Seine übertriebene Empathie nervt. Ich will kein bedauernswertes Opfer mehr sein. Das bin ich viel zu lange gewesen. Instinktive Wut kommt in mir hoch. Die ich nur schwer im Zaum halten kann. Acht Sekunden lang schließe ich die Augen. Atme tief durch. Will mich kontrollieren. Mir ist ja klar, dass der Kerl es eigentlich nur gut meint. Trotzdem kann ich sein astronomisches Mitgefühl kaum ertragen.

Im nächsten Moment reiße ich die Augen wieder auf. Sehe Mikes hübsche Visage direkt vor meiner. „Tut mir ehrlich leid, dass du das durchmachen musstest, Chaz”, flüstert er ein weiteres Mal, „Das muss entsetzlich für dich gewesen sein.” Damit schürt der großen Anteil nehmende Patient unabsichtlich meinen Zorn. Hektisch huschen meine Augen über den bedrohlichen Mann. Auf der intuitiven Suche nach einem Ausweg fällt mein Blick zufällig auf Mikes Handgelenke. Weil er gerade damit anfängt, tröstend mein Gesicht zu streicheln. Der stressig empathische Kerl ist mir jetzt sehr nahe. Seine Beine reiben gegen meine, wenn er sich bewegt. Was ich deutlich wahrnehme. Werde jedoch jählings von etwas anderem abgelenkt. Auf der Innenseite seiner Handgelenke entdecke ich plötzlich etwas, das mir augenblicklich sämtliche Härchen aufstellt. Vor Schreck. Chester ist jäh schockiert. Möglicherweise klinkt irgendwas in mir aus. Eine hässliche Erinnerung ploppt auf. Abrupt. Weiß auch nicht, was genau mit mir passiert.

Ohne nachzudenken, grapsche ich nach seiner Hand. Ich packe den Mann so schnell, dass er sich total erschreckt. Gar nicht reagieren kann. Energisch halte ich ihm sein Gelenk dicht vor die Augen. „Und was ist mit dir, Shinoda? Hä? Du bist ja wohl offensichtlich auch nicht immer so glücklich gewesen, wie du mir hier weismachen willst, oder?!” knurre ich den besonderen Patienten genervt an. Im ersten Moment weiß er überhaupt nicht, was ich auf einmal von ihm will. Er fragt sich mit Sicherheit, wo meine plötzliche Aggressivität herkommt. Oder was sie bedeuten soll. Bestimmt ist er sich keiner Schuld bewusst, der arme Kerl. Schon tut es mir leid, dass ich so unbeherrscht war. Trotzdem kann ich ihn noch nicht loslassen. Weil ich jetzt unbedingt wissen will, was da mit Mike passiert ist. Ich muss zwingend erfahren, wo die dünnen, schneeweißen Narben an seinen Handgelenken herkommen. Ob es überhaupt das ist, was ich mit unweigerlich heftig schmerzendem Magen vermute.

Shinoda schaut auf sein Gelenk und schluckt unbehaglich. „Du tust mir weh, Chester”, bemängelt er gepresst. Verwirrt lockere ich meinen Griff um seinen Knochen ein wenig. Ohne ihn jedoch freizugeben. „Du bist früher auch nicht immer so wunschlos glücklich gewesen, nicht wahr, Mike?” verlange ich ungeduldig nach einer Erklärung. Bemühe mich krampfhaft, etwas ruhiger zu werden. Meinen aufbrausenden Zorn herunterzuschrauben. Forschend fixiere ich seine braunen Augen. Auf der Suche nach der Wahrheit. Der verstörte Typ weicht meinem fragenden Blick aus. Was mich unglaublich provoziert. „Nein, das stimmt nicht Chester. So war das bei mir nicht”, beteuert er leise. Es nervt mich, dass er mir ausweichen will. Schließlich war ich gerade erst vor ein paar Minuten noch unbegreiflich ehrlich zu ihm. Ich habe dem seltsamen Mann, den ich kaum kenne, total persönliche Sachen über meine Familie und Kindheit anvertraut. Im Gegenzug will der Patient mir anscheinend noch nicht mal seine im Grunde eindeutigen Narben erklären. Das finde ich extrem unfair. Kann ich nicht akzeptieren.

Blitzschnell packe ich auch sein anderes Handgelenk. Um es ihm anklagend zu zeigen. Ich bin zu schnell, als dass er sich mir entziehen oder mich abwehren könnte. Schon halte ihm seine Hände mit den Handflächen nach oben dicht vor die wundervollen Augen. Beide Gelenke ziert die gleiche, hauchdünne Narbe. Im Grunde ist es nichts weiter, als ein kaum sichtbarer, senkrechter Strich auf seiner Haut. Alles in allem sieht der total harmlos aus. Die beiden Verletzungen sind offenbar professionell geklammert worden. Inzwischen sind sie erstaunlich gut verheilt. Aber das kann mich nicht täuschen. Denn ich weiß nur zu genau, was das bedeuten kann. Wie grausam es aussah. Als die Wunden noch frisch waren. Welche blutige Sauerei er damit verursacht hat. Wie gefährlich das für ihn war. Lebensgefährlich. Shinodas Narben erinnern mich viel zu deutlich an eine frühere Freundin von mir. Die genau an den gleichen verfluchten Schnittwunden gestorben ist. Noch bevor sie achtzehn Jahre alt war.

„Sag es mir, Mike”, fordere ich den Halbjapaner lauthals auf, „Du musst mir das jetzt sagen! Du kannst nicht mich bemitleiden und selbst dein Leben beenden wollen!” Meine Augen taxieren ihn. Verwirrt realisiere ich den panischen Schrecken, mit dem der sichtbar arg verstörte Bartträger mich ansieht. Offensichtlich mache ich ihm weitaus mehr Angst, als eigentlich in meiner Absicht liegt. Das tut mir sofort leid. Und ich fahre drei Gänge herunter. „Bitte sag's mir, Mikey! Erkläre mir das doch mal. Bitte sei jetzt ehrlich zu mir, ja? Tust du das für mich, bitte?” fordere ich ihn so behutsam wie möglich auf. Der Kerl guckt mich nur an. Antwortet nicht. Kein Ton kommt über seine wundervollen Lippen. Der Patient ist zur Salzsäule erstarrt.

Also muss ich wohl oder übel weitersprechen. „Du, hör mal, Mike. Ich bin doch auch total ehrlich zu dir gewesen. Ich habe vorher noch nie über meine Kindheit gesprochen. Mit niemandem, hörst du? Das habe ich nur dir erzählt. Weil ich dir total vertraue, Mike Shinoda. Weil du was ganz Besonderes für mich bist. Aber jetzt musst du mir unbedingt alles sagen, okay? Bitte!” rede ich flehend auf ihn ein. Meine Stimme ist sanft. Er soll keine Angst vor mir haben. Aber der Mann muss mich unbedingt ernst nehmen. Ich will nicht, dass Mike mich für einen kranken und schwachen Psycho mit schrecklicher Kindheit hält. Das ertrage ich einfach nicht. Der seltsame Typ muss mir jetzt zwingend von seinen eigenen Dämonen erzählen. Damit nicht nur ich der zweifelhafte, angeknackste Psychiatriepatient von uns beiden bin. In diesem Moment scheint mir das von existenzieller Wichtigkeit zu sein. Da gibt es keine Alternative.

Nervös sitze ich auf dem Sofa. Mein Herz pocht schnell. Meine Beine treten unruhig auf der Stelle. Der Mann hockt direkt vor mir auf seinem Sessel. Schon wieder sind wir uns verwirrend nah. Unverdrossen halte ich ihm seine beiden, vor unbestimmt langer Zeit höchstwahrscheinlich von ihm selbst schwer verletzten Handgelenke vor die Augen. Obwohl er sie sich längst nicht mehr ansieht. Stattdessen erforscht Mike mein Gesicht. Akribisch wandern seine tollen Augen über meine Visage. Betrachten mit eigentümlicher Ruhe jeden einzelnen Zentimeter. Er ist total gebannt. Restlos vertieft. Absolut fasziniert. Maßlos staunend. Als würde er mich zum ersten Mal sehen. Als hätte er plötzlich alle Zeit der Welt. Dabei sitze ich hier kumulativ auf heißen Kohlen. Weil ich jetzt dringend die Wahrheit von ihm hören muss. Ratlos schaue ich ihn meinerseits an. Er ist unglaublich schön. Ich liebe sein rundes Gesicht. Will ihn immerzu anschauen. Die asiatische Seite seiner Herkunft ist nicht zu übersehen. Mike Shinoda hat eine ganz besondere Ausstrahlung. Da ist etwas, an dem ich mich nicht sattsehen kann. Seine ureigene Mischung ist unbestreitbar magisch. Die pechschwarzen, gewollt stacheligen Haare. Die dunklen, dichten Brauen. Die einzigartige Stupsnase. Sein ausgeprägter Mund. Sein faszinierender Anblick lässt mein Herz noch schneller rasen. Gleichzeitig frustriert es mich mehr, als ich im Moment verpacken kann, dass der sture Typ mir nicht antwortet. Extrem aufgeregt warte ich auf seine scheiß Erklärung. Ich will die Wahrheit von ihm hören. Aber der Mann spricht einfach nicht mit mir.

Hilflos fange ich damit an, mit meinen Daumen genau über seine dünnen Narben zu streicheln. Während ich seine Handgelenke weiter umschlossen halte. Meine Berührung ist beabsichtigt. Ich streiche direkt auf den weißen Strichen entlang. Will ihm damit eine Reaktion entlocken. Aber der Patient beachtet das gar nicht. Offensichtlich will der verdammte Kerl nicht mit mir reden. Auch wenn ich es wahrscheinlich besser sollte, kann ich sein unfaires Schweigen nicht hinnehmen. „Hör doch mal, Mike. Ich habe dir das alles nicht erzählt, damit du mich deswegen bedauerst. Ich ertrage dein Mitleid nicht, verstehst du? Ich will nicht, dass du denkst, meine Kindheit hätte mich irgendwie... kaputtgemacht”, seufze ich frustriert. Als ich die angespannte Stille nicht länger ertrage. Unermüdlich suche ich in seinem asiatischen Gesicht nach Antworten. Während ich mit meinen Daumen zart seine Gelenke berühre.

Endlich scheint der Fremde aus seiner rätselhaften Starre aufzuwachen. Er löst sich widerstrebend aus seinen tiefen Gedanken. Sein gebannter Blick wandert zögernd von meinem Mund zu meinen Augen. „Aber das tue ich doch gar nicht, Chester. Ich bemitleide dich nicht. Und ich glaube auch nicht, dass du kaputt bist. Es tut mir nur eben leid, dass du es früher so furchtbar schwer hattest”, gibt er eine lachhafte Rechtfertigung ab. Die sich selbst widerspricht. „Bitte rede mit mir, Mike Shinoda. Erzähle mir, woher deine Narben stammen”, flehe ich ihn verzweifelt an. Meine Stimme zittert. Genauso, wie mein ganzer restlicher Körper. Pausenlos bin ich in vegetativ zitternder Bewegung. Vor Nervosität wird mir schon wieder ganz heiß. Sodass meine Hände blöd schwitzig werden. Mit denen ich ihn gepackt halte. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich in diese unangenehme Lage geraten bin. Eigentlich möchte ich den fremden Kerl schon lange loslassen. Will gar nicht mehr wissen, warum seine Pulsadern aufgeschnitten waren. Andererseits bleibt das penetrante Gefühl, dass ich das zwingend von ihm erfahren muss. Keine Ahnung, was plötzlich mit mir los ist. Ich fühle mich extrem verwirrt. Irgendwie restlos diesem gut aussehenden Kerl ausgeliefert. Was mir auf eine merkwürdige Art zweifellos gut gefällt. Und mich zur exakt selben Zeit wahnsinnig macht.

Überwältigt nehme ich die nassen Tränen wahr. Die sich wie in Zeitlupe in Mikes mich noch immer bestaunenden Augen ansammeln. Endlich hat er sich dazu entschlossen, mit mir zu sprechen. Der fremde Patient weiht mich in seine persönlichen Dämonen ein. Darüber bin ich dermaßen froh, dass ich unwillkürlich entzückt aufstöhne. „Bei mir war das anders, Chester. Das ist nicht so wie bei dir gewesen. Ich war gar nicht wütend. Oder einsam. Oder was weiß ich was. Niemand hat mich schlecht behandelt”, erzählt er so zaghaft, dass ich meine Ohren spitzen muss, um ihn verstehen zu können.

Ich will den Bärtigen unbedingt richtig verstehen. Darum lasse ich seine Gelenke los. Richte meine ganze Konzentration auf seine zu lang ersehnten Worte. Er zieht seine Arme ein. Legt die Hände auf seinen Schoß. Sieht mich die ganze Zeit deprimiert an. „Ich kann dir ehrlich nicht sagen, warum oder wann genau das angefangen hat, Chester. Irgendwie hat sich alles von mir entfernt. Die ganze Welt um mich herum hat sich aufgelöst. Ich habe mich in mich selbst zurückgezogen. Nichts hatte noch eine Bedeutung oder einen Wert für mich. Das ist so schleichend passiert, dass ich es nicht mal realisiert habe.” Mike wirft einen flüchtigen Blick auf seine Handgelenke in seinem Schoß. Sieht sofort wieder mich an. „Ich habe das nicht gemacht, weil ich mich bewusst umbringen wollte. Ich hatte nur einfach das Gefühl, dass Sterben genauso belanglos wie Leben wäre. Verstehst du, was ich damit meine, Chaz?”

Fragend wartet er auf meine Antwort. Während sich unbemerkt zwei Tränen aus seinen Augen stehlen. Fasziniert beobachte ich, wie die nassen Tropfen über seine runden Wangen laufen. Um sich schließlich in seinem dichten Bart zu verfangen. Mike beachtet die Tränen nicht. Vielleicht spürt er sie nicht mal. Fraglos verunsichert, forscht er nach meinem Verständnis. Also nicke ich. Lächele beruhigend. Auch wenn ich die rätselhafte Beschreibung seiner damaligen Lebenssituation nicht hundertprozentig nachvollziehen kann. So kommt mir sein Gefühl der absoluten Gleichgültigkeit doch ziemlich bekannt vor. „Ja, das verstehe ich total, Mike. Ich habe mich früher doch auch so gefühlt”, versichere ich ihm automatisch. Setze ein tröstendes Lächeln auf.

„Im Laufe der Zeit habe ich alles komplett vergessen, Chester. Ich habe wahrhaftig mein ganzes Leben vergessen. Kannst du dir das vorstellen?” murmelt der Stachelige nachdenklich. Auf einmal wirkt er verwirrt. Als könnte er das, was damals mit ihm passiert ist, im Nachhinein selbst kaum glauben. Geschweige denn auch nur ansatzweise verstehen. Shinodas dunkle Augen versinken erneut in meinem offenbar unwiderstehlichen Anblick. Anscheinend fällt ihm das Weitersprechen extrem schwer. Darum zieht der Typ sich nochmal in seinen eigenen, sorgfältig gestylten Kopf zurück. Gerührt betrachte ich seine Schönheit. Lasse ihm ein bisschen Zeit. Als er nach einer Weile weiterhin schweigt, helfe ich ihm sanft nach. „Was hast du getan, Mikey?” flüstere ich vorsichtig. Ich möchte dringend, dass er sich konkret daran erinnert. An seine eigene Tat. Dass er sie ausspricht. Jetzt und hier. Das scheint mir exorbitant wichtig zu sein. Vom ersten Augenblick unserer Begegnung an habe ich instinktiv geahnt, dass Mike Shinoda in einem rätselhaften Traum gefangen war. Vor zwei Tagen hat mein Gesang ihn aus seiner Apathie gerissen. Jetzt muss ich ihn unbedingt noch weiter aufwecken. Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass das Erinnern enorm wichtig für diesen Patienten ist. Auch wenn ich meine komische Intuition selbst nicht erklären kann. Oder auch nur verstehen. Abgesehen davon weiß der Kerl inzwischen beunruhigend viel über mich. Sodass ich das drängende Bedürfnis verspüre, im Gegenzug einige seiner Schwächen kennenzulernen.

„Ich habe es mit Rasierklingen gemacht, Chester. Das Wasser in der Badewanne war herrlich warm. Ich habe sie bis zum Rand gefüllt. Dann habe ich mich ausgezogen. Und mich hineingelegt. Vorher habe ich noch die Klingen aus meinem Rasierer geholt. In dieser Wanne war es angenehm. Alles war egal. Es spielte keine Rolle. Chaz, ich weiß nicht genau, was dann passiert ist. An diesen Moment erinnere ich mich nicht. Aber ich muss mich an beiden Handgelenken ziemlich tief geschnitten haben. An beiden Seiten war es nur ein einziger Schnitt. Ich weiß noch, wie ich dachte, dass ich dringend senkrecht schneiden muss. Um alles richtig zu machen. Dass ich tief schneiden muss. Wie schön das Blut aussieht, das da aus mir rauskommt. Ich habe es mir lange angesehen. Es kam jede Menge Blut, Chester. Ich glaube, als meine Eltern mich fanden, war das ganze Wasser schon dunkelrot.”

Der traurige Patient verstummt. Schluchzt leise. Sieht mich hilflos an. Aus seinen Augen laufen noch mehr Tränen. Seine Wangen hinunter. In seinen Bart hinein. In diesem Augenblick scheint er so verletzlich zu sein, dass ich ihn dringend in den Arm nehmen möchte. Ich will ihn vor der ganzen grausamen Welt beschützen. Die Geschichte seines Suizidversuchs geht mir viel tiefer rein, als ich erwartet hatte. Im Grunde erzählt Shinoda mir nur exakt das, was ich schon beim ersten Anblick seiner eindeutigen Narben geahnt habe. Aber das jetzt tatsächlich aus seinem maßlos deprimierten, wunderschönen Mund zu hören, entsetzt mich völlig unvorbereitet. Ihn weinen zu sehen tötet mich.

„Gott, Mike!” entfährt es mir fassungslos, „Mach so etwas nie wieder, hörst du?” Panisch greife ich nach seinen Händen. Fange damit an, wie verrückt die hellen Striche auf seinen Gelenken zu küssen. Meine Lippen können seinen schnellen Puls spüren. Während ich seine zarte Haut küsse. Und wie irre ablecke. „Ich will nicht, dass du nochmal versuchst dich umzubringen, Mike! Tu mir das bitte nicht an! Ich will dich nicht verlieren, verstehst du?! Versprichst du mir das, Mikey?” spreche ich überstürzt und ungefiltert genau das aus, was mir unweigerlich wie Messerstiche durch die Seele schießt. Mike lächelt unter seinen Tränen. Mein panischer Überfall amüsiert ihn. Was mich erleichtert. Auf jeden Fall möchte ich ihn aufmuntern. Er soll nicht traurig sein. Definitiv war das jetzt genug Drama für einen Tag, beschließe ich konfus.

Kurzerhand lege ich behutsam seine Hände zurück auf seinen Schoß. Beuge mich weit zu ihm hin. Küsse und lecke ihm spontan die Feuchtigkeit aus dem wunderschönen, einmaligen Halbjapanergesicht. „Du machst das nicht nochmal, oder? Mike Shinoda? So etwas Dummes wirst du nicht nochmal versuchen. Oder?” Meine Seele schreit bei dem Gedanken, ihn zu verlieren. Mein Mund fleht ihn an. Will nicht stillstehen. Während ich ihn unentwegt küsse. Und mit meiner heißen Zunge über seine weiche Haut fahre. Sein Bart kitzelt in meinem Gesicht. Als ich mich begierig an ihn schmiege. Eilig quäle ich mich hoch. Will aufstehen. Muss aufstehen. Um noch näher an den Typen heranzukommen. Noch besser. Dabei muss ich mich auf seinen Oberschenkeln abstützen. Damit ich nicht das Gleichgewicht verliere. Und gegen ihn falle. Weil beim Auftreten mein verletztes Bein so stark schmerzt. Mich blöderweise kaum tragen will. Unwillkürlich gerate ich ins Taumeln. Aber Mike hat schon seine Arme um mich geschlungen. Zieht mich überraschend heftig zu sich hin. „Ich will dich auch nicht verlieren, Chester... Ich habe Angst, dass du mich bald satt hast... Es tut mir weh, wenn du mit anderen rummachst...”, stammelt er aufgewühlt. Zieht mich verzweifelt an sich heran.

Der zielstrebige Kerl lässt mir keine andere Wahl, als mich rittlings auf seinen Schoß zu setzen. Mit ihm zusammen auf dem Sessel. Energisch zwingt er meinen Körper in die von ihm dringend verlangte Position. Seine Arme sind wie eiserne Klammern um meinen Rücken gelegt. Panisch fängt er an mein Gesicht zu küssen. Wobei er um meine Brille einen geschickten Bogen macht. Wow, Mikey hat was gelernt, denke ich verwirrt. „Ich bereue es, dass ich dich in der Therapie so böse angeschnauzt habe, Chester. Es tut mir leid, dass ich dich so oft beschimpfe und wegschubse. Ich wollte dich gerade auch bestimmt nicht bemitleiden, Chaz. Aber das hat mich mega schwer erschüttert, was du mir über deine Kindheit erzählt hast. Und es hat mich verflucht tief verletzt, als du mit Kaitleen und Tracy...” „Das ist doch jetzt vorbei, Mike. Reden wir nicht mehr davon”, unterbreche ich ihn eilig. Weil ich diese lästigen Themen mittlerweile total satthabe. Viel lieber möchte ich jetzt zärtlich mit ihm sein. Will den Kerl dringend spüren. Es fühlt sich verdammt gut an, rittlings auf Shinodas Schoß zu sitzen. Mit dem Mann meiner Träume auf einem alten Sessel zu hocken. So dicht beieinander, dass ich seinen Körper fühle. Er hält mich fest umschlungen. Ganz nah zu sich herangezogen. Meine Knie stoßen rechts und links hinter ihm an die Rücklehne des Sessels. Unsere Hüften berühren sich schon beinahe. Auch wenn mein geprellter Oberschenkel in dieser stark geknickten Position ganz schön wehtut, so genieße ich seine unmittelbare Nähe doch unendlich.

Mike küsst noch eine Weile mein Gesicht. Sieht mich dann liebevoll an. Ohne seinen Griff um meinen Rücken zu lockern. „Du hast mich gerettet, mein Engel”, flüstert er emotional stark berührt, „Du hast mich aus meinem inneren Gefängnis befreit. Ich hatte mich da selbst eingesperrt. Ohne es auch nur zu merken. Aber du hast mich herausgeholt, Chaz. Du bist das gewesen. Chester Bennington. Nur du allein. Niemand anderes konnte das.” Zum Dank küsst er nochmal meine Lippen. Meinen Mundwinkel. Mein Kinn. Dann meine Nase. Sein wundervoll geformter Mund mit den schön geschwungenen, vollen Lippen fühlt sich sehr weich und warm an. Sein Atem streichelt über meine Haut. Der Mann ist überraschend behutsam. Angesichts der gierigen Dringlichkeit, mit der er mich zu sich hingezogen hat. „Wir sind schon zwei komische Psychiatriepatienten, Mike Shinoda”, kichere ich hilflos. Weil seine spürbar gigantische Dankbarkeit mich ziemlich verlegen macht. Mir war gar nicht bewusst, dass er mich wahrhaftig als seinen Retter betrachtet. Er bezeichnet mich als seinen Engel, heilige Scheiße! Ich glaube auch gar nicht, dass ich dieser zugewiesenen Rolle überhaupt gerecht werden kann. Aber darüber will ich jetzt nicht nachdenken. Denn es ist schlicht überwältigend, diesen besonderen Kerl so nah bei mir zu haben, dass ich seine Wärme spüren kann.

Endlich löst er seinen Klammergriff um meinen Rücken. Stattdessen streichelt er mit beiden Händen sorgsam über meine nackten Oberarme. Seine Handflächen sind warm. Fühlen sich ein bisschen rau an. Aber ich genieße es wie verrückt, von ihm berührt zu werden. Erst recht auf der unbekleideten Haut. Auch wenn es erst mal nur die Arme sind. In Gedanken bin ich automatisch schon viel weiter. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Meine Hände fangen an seinen Rücken zu streicheln. Zärtlich über sein weiches T-Shirt. Erwartungsvoll betrachte ich meinen zauberhaften Kerl. „Ich liebe deine Tattoos”, erklärt er mir hingerissen. Malt die Fische mit den Fingern nach. „Ich mag die vielen bunten Farben. Und die exakt gezeichneten Motive. Die sind toll. So schöne Tattoos habe ich vorher noch nie gesehen. Du bist etwas ganz besonderes, Chester Bennington.”

Zweifelsfrei machen meine persönlichen Tattoos mich einzigartig. Das ist mit ein Grund, warum ich sie mir habe stechen lassen. Aber vor allem stehe ich extrem auf den Schmerz und die Freude beim Tätowieren. Jedes meiner Bilder hat eine wichtige Bedeutung für mich. So wird das immer sein. Irgendwann werde ich meinen ganzen Körper mit Tattoos bedeckt haben, überlege ich selig lächelnd. Es ist wohl fraglich, ob Mike das dann auch noch so gut gefallen wird. Der Gedanke lässt mich belustigt lachen. „Ich mag deine Fische, Chaz. Die sind einfach nur wunderschön”, meint Mikey liebenswürdig. Streichelt mit beiden Händen sanft an meinen bunten Bizeps entlang. Plötzlich bin ich heilfroh, dass ich mein Hemd ausgezogen habe. Weil ich ihn dadurch direkt auf der nackten Haut spüren kann.

„Was ist dein Sternzeichen?” frage ich den freundlichen Mann neugierig. „Ich bin ein Wassermann”, verrät er mir und lächelt bezaubernd, „Mein Geburtstag ist der 11. Februar 1977.” Himmel, er ist wahrhaftig fast ein ganzes Jahr jünger als ich, fährt es mir verblüfft durch den Kopf. „Wann ist dein Geburtstag, Chester?” will der junge Typ natürlich prompt wissen. „Am 20. März”, antworte ich wahrheitsgemäß. Küsse hastig seine hohe Stirn. Lasse aus irgendeinem Grund bewusst mein Geburtsjahr weg. Hoffe idiotisch, dass er nicht nachfragt. Tut er auch nicht. Dafür bin ich ihm dankbar. Meine Hand streichelt sich von seinem Rücken an seinem breiten Brustkorb entlang nach vorne. Sanft streiche ich zwischen uns über seine Brust. Erfühle dabei seine harten Rippen. Ich nehme seinen Herzschlag wahr. Der sich unter meiner Berührung eindeutig beschleunigt. „Chaz... das ist schön...”, murmelt Mike fasziniert. Seine Augen leuchten in ihrem bezauberndsten Braun. Ohne Frage gefällt es ihm, was wir hier machen. In Gedanken stimme ich aus vollstem Herzen zu. Meine Augen verschlingen ihn förmlich. Dieser Kerl ist so verdammt atemberaubend.

Langsam beuge ich mich zu ihm. Küsse ihn vorsichtig. Mache mir kurz Sorgen. Weil ich vorhin noch tief geschlafen habe. Und deshalb mein Atem zur Zeit bestimmt nicht allzu frisch ist. Aber Mike scheint das zum Glück nicht zu stören. Vielleicht ist es auch gar nicht so schlimm, wie ich befürchte. Meine Zunge klopft sanft bei ihm an. Kann mich nicht zurückhalten. Überraschend schnell öffnet er seine vollen Lippen für mich. Er ist ungeduldig. Als hätte er insgeheim schon die ganze Zeit darauf gewartet. Innerhalb von Sekunden versinken wir in einem gierigen, fantastischen Zungenkuss. Das fährt mir sofort geil durch alle Nervenbahnen. Allerdings bleiben wir behutsam genug, damit meine Brille unbeschadet an ihrem Platz bleibt. Meine linke Hand umfasst seinen warmen Nacken. Liebkost ihn. Während meine rechte Hand in dem engen Raum zwischen unseren Körpern weiter zärtlich seinen Brustkorb streichelt. Ich erfühle seine harten Nippel unter dem T-Shirt. Mike schließt die Augen und erschaudert. Während er mich leidenschaftlich küsst.

Nach einer Weile öffnet er seine Augen wieder. Unterbricht unseren geilen Kuss. Um nach Luft zu schnappen. Sein Herz schlägt jetzt hart und schnell unter meinen Fingern. Unser Kuss hat ihn erregt. Seine Hände haben sich an meinen Armen festgekrallt. „Mann, Chester”, keucht er verwirrt, „Ich kann dir das gar nicht richtig erklären. Aber ich will, dass du das weißt.” Erstaunt betrachte ich ihn. Warte verdutzt auf seine überraschende Offenbarung. Mike atmet ganz tief. „Als ich dich vorhin plötzlich hier gefunden habe, das war... Dir beim Schlafen zuzusehen, Chaz, das hat mich total glücklich gemacht. Du kannst dir das gar nicht vorstellen. Es war so friedlich, dich nur anzusehen. Ehrlich, das könnte ich den ganzen Tag lang machen. Da war alles in Ordnung, echt. Ich weiß auch nicht, was das bedeutet. Aber du bist extrem wichtig für mich, Chester. Ich will nicht, dass das kaputtgeht, hörst du?”

In seiner Stimme taucht eine wirre Panik auf. Die mir gar nicht gefällt. Unbestreitbar ist es schmeichelhaft, was der Besondere mir da erzählt. Darum lächele ich ihn liebenswürdig an. Selbstverständlich will ich auch nicht, dass da zwischen uns irgendwas kaputtgeht. Ganz sicher nicht. Er ist mindestens ebenso wichtig für mich. Aber Shinodas Geständnis drängt mich auch in eine seltsame Position hinein. Der Mann setzt mich fraglos unter Druck. Damit kann ich nicht gut umgehen. Konnte ich noch nie.

„Du bist so unfassbar schön, Chester. Ich kann das gar nicht richtig verarbeiten. Ich weiß gar nicht, was du mit mir gemacht hast”, murmelt Mike in seinen wundervollen Bart hinein. Seine glänzenden Augen verschlingen mich förmlich. So hingerissen ist er von dem, was er in mir sieht. Seine Hände streicheln pausenlos an meinen Armen entlang. Offenbar hat der Mann seine vorherige Traurigkeit überwunden. Ich habe ihm alle Tränen aus dem Gesicht geküsst. Jetzt scheint er nur noch glücklich zu sein. Darüber bin ich sehr froh. Es erwärmt mich von Innen, wenn es Mike Shinoda gut geht. Dann geht’s mir auch gut.

Trotzdem fühle ich mich langsam ein bisschen unwohl. Irgendwie wird mir das zu viel. Wie der Typ mich auf diesen unerreichbaren Sockel erhebt. Auf dem ich fraglos niemals bestehen kann. Und wo ich auch mit absoluter Sicherheit nicht hingehöre. „Ist schon gut, Mikey. Ich liebe dich auch”, sage ich hastig. Lüge ihn damit nicht an. „Gott, ich liebe dich mehr als alles andere, Chester”, bekräftigt er atemlos, „So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich weiß gar nicht, was mit mir passiert. Ich verstehe das nicht. Du hast mich vollkommen umgekrempelt.” Ratlos wandern seine Augen über meine Visage. Fasziniert. Mike ist total verliebt. Das sieht man ihm an. „Dich schlafen zu sehen, war für mich das Paradies auf Erden, Chaz”, wispert er voller Zuneigung.

Nervös ändere ich meine auf Dauer recht unbequeme Sitzposition. Unverändert hocke ich mit gespreizten Beinen ihm zugewandt auf seinem Schoß. Neben seinen Schenkeln sind meine Beine dermaßen angewinkelt, dass sie mir langsam einschlafen. Auch fürchte ich insgeheim, dass ich dem Typen eventuell zu schwer bin. Obwohl er sich mit keiner Geste darüber beschwert. Im Gegenteil. Der attraktive Halbjapaner scheint meine direkte Nähe nur zu genießen. Meine Hand, die zwischen unseren Körpern an seiner Brust beschäftigt ist, streichelt sich behutsam an ihm hinunter. Ich möchte nicht, dass der Besondere mir noch mehr so übertrieben emotionale Dinge gesteht. Die offenbar grenzenlose Gewalt seiner Gefühle kapiere ich nicht. Weiß auch nichts darauf zu erwidern. Viel lieber will ich ihm jetzt etwas Gutes tun. Dummerweise habe ich den offenbar Sensiblen mit Kaitleen und Tracy tief verletzt. Das tut mir unvermindert leid. Irgendwie möchte ich das wiedergutmachen.

Weil ich weiß, wie sehr Mister Shinoda darauf abfährt, wenn ich für ihn singe, fange ich spontan einen Song an, der mir schon seit Jahren im Kopf herumspukt. Mikey hat in den letzten Minuten pausenlos vom Schlafen geredet. Dadurch hat sich der alte Text unweigerlich zurück in mein Gehirn gedrängt. Mit dem Singen will ich den überschwänglichen Patienten zweifellos zum Schweigen bringen. Seine starken Emotionen überfordern mich. Machen mich tierisch nervös. Dringend muss ich mich beruhigen. Und Singen ist dazu bestens geeignet. Aber das ist nicht der einzige Grund. Ich möchte den Mann auch glücklich machen. Mir ist bekannt, dass es ihn glücklich macht. Er liebt es total, wenn ich für ihn singe. Darum ist es wirklich kein Wunder, dass mir das auf Anhieb gelingt.

„Caught up against the wall again. Tied and chained to the ball again. It never seems to amaze my mind. So I just sleep, sleep, sleep. Please don't wake me 'til the morning after. Wake me 'til the morning after”, singe ich zurückhaltend. Mit sanfter, melodischer Stimme. Kaum habe ich die ersten Wörter von mir gegeben, da weiten sich Mikeys braune Mandelaugen auch schon überrascht. Auf der Stelle ist er paralysiert. Der Patient ist begeistert. Sein Enthusiasmus legt sich herrlich warm über meine verwundete Seele. Der Süße erstarrt spürbar unter mir. Hört mir aufmerksam zu. Ist restlos gebannt. Sein uneingeschränktes Interesse an meinem Gesang macht mich dermaßen glücklich, dass mein Herz echte Freudensprünge vollführt. Unwillkürlich rücke ich noch ein bisschen näher an den Zauberer heran. Achte aber darauf, dass meine Hand noch genügend Platz hat, um langsam an ihm hinab zu seinem Bauch zu streicheln. Im Takt der imaginären Musik in meinem Kopf liebkosen alle meine Finger den Besonderen. Gleichzeitig an seinem empfindlichen Nacken und an seinem Oberkörper. Mike sitzt ganz still. Beobachtet mein Gesicht. Hört mir intensiv zu. Scheint meine körperliche Performance extrem zu genießen. Ich empfinde das mindestens ebenso stark. Es ist ein Moment unglaublicher Nähe zwischen uns.

„Cut and bruised by the fall again. Lick my wounds like a dog again. Is that a light at the end of the tunnel that I see. I see. Please let it be. But don't wake me 'til the morning after. Wake me 'til the morning after”, singe ich. Unser ständiger Blickkontakt verwandelt sich schleichend in das loderndste Feuer. Mikes Arme fallen hinab. Landen neben ihm auf dem Sessel. Wo er die zitternden Finger zunehmend in das Polster krallt. Während ich leise, aber intensiv singe, mogelt sich meine Hand unverdrossen an seinem Bauch herunter. Zärtlich wandert sie am unteren Saum unter sein T-Shirt. Stelle erfreut fest, dass der Mann kein Unterhemd trägt. Erreiche unverhofft mühelos seine nackte Haut. Er atmet scharf ein, als meine Hand sich auf der warmen Haut wieder nach oben bewegt. Langsam. Liebevoll. Umkreise unter dem T-Shirt seine erregenden Nippel. Die sich unter meiner Berührung sofort aufrichten. Gezielt streichen meine Finger über seine erstaunlich behaarte Brust. Kraulen ihn sanft. Seinen weichen Bauch. Ertaste seinen Bauchnabel. Dann am Bund seiner Jeans entlang.

Je näher ich seinem verlockenden Schritt komme, umso nervöser wird der Bärtige. Sein Atem beschleunigt sich stetig. Die Bewegungen seines Brustkorbs werden spürbar kräftiger. Mike öffnet unwillkürlich den Mund ein Stückchen. Um besser Luft zu kriegen. Starrt mich panisch an. Der Typ ist sichtbar alarmiert. Er hält mich jedoch nicht auf. Als ich gezielt am Reißverschluss seiner Jeans entlang streichele. Darüber bin ich sehr froh. Denn ich will das hier unbedingt fortführen. Ich finde die Situation total spannend. Das ist unglaublich erregend. Mein eigenes Herz pocht wie verrückt. Zwischen den gesungenen Zeilen schnappe ich aufgeregt nach Luft. Meine Hand ist tief zwischen unseren Unterleibern versteckt. Ertastet behutsam Herrn Shinodas überraschend ausgeprägten Geschlechtsorgane in seiner blauen Jeanshose. Die ich mehr als deutlich fühlen kann. Der Mann fängt an zu zittern. Seufzt ganz leise. Seine Reaktion und die ungesteuerten Geräusche, die er von sich gibt, geilen mich enorm auf. Kontinuierlich wird es schwieriger für mich, den zum Singen zwingend erforderlichen Sauerstoff aufzubringen. Trotzdem mache ich ohne längere Pause weiter. Weil ich es nämlich gewohnt bin, auch unter komplizierten Umständen meine Songs zu singen.

„Wake me 'til the morning after. I'm so tied. There has got to be an end to the pain I feel when I'm awake and alive. Alive. Alive. Alive and not dreaming.” Meine Stimme ist ganz leise, sanft, behutsam. Mein Gesicht bewegt sich dicht vor seinem. Wir hören nicht auf uns anzusehen. Unsere heißer werdenden Blicke hängen mittlerweile gierig aneinander fest. Meine verschiedenen, ständig wechselnden Tonhöhen umschmeicheln Mike Shinoda. Liebkosen ihn zärtlich. Versprechen ihm liebevoll schon mal diese Sache. Die ich ihm jetzt dringend schenken möchte. „Caught up against the wall again. Tied and chained to the ball again. It never seems to amaze my mind. So I just sleep, sleep, sleep. Please don't wake me 'til the morning after. Wake me 'til the morning after.” Der Einfall kommt mir, während ich auf seinen Oberschenkeln sitze. Und nur für ihn allein Morning After singe. Okay, das tue ich auch für mich. Fuck, ich liebe das Singen total! Die vertrauten Wörter und Harmonien. Die warm aus meiner Kehle strömen. Die spürbare Luft in meinen Lungen. Das Vibrieren tief in meinem Bauch. Die Aussage des Textes. Der mir auch nach all diesen Jahren noch immer direkt aus der Seele spricht. Das beruhigt mich auf eine Art, wie es sonst nichts vermag. In meinem Kopf spielt leise die passende Musik. In dieser ungeplanten Situation ist meine Melodie eine ruhige, zarte, sehr melodische. Die Oktaven tanzen zart auf meiner Zunge. Meine Lunge und meine Stimmbänder werden dabei kaum beansprucht. Das gefällt mir jetzt so.

Obwohl ich mir diesen Song ursprünglich ganz anders vorstelle. Vom Gefühl her klingt er sehr viel lauter. Schneller. Rockiger. Weitaus aggressiver. Morning After ist noch kein Grey Daze Song geworden. Das Lied wurde bisher noch nicht mal realisiert. Ich habe es noch nie öffentlich auf einer Bühne gesungen. Und ich bin mir auch gar nicht sicher, ob ich es den Jungs überhaupt je anbieten werde. Als ich diesen Text schrieb, war ich erst vierzehn Jahre alt. Mittlerweile scheint er mir nicht mehr besonders originell zu sein. Irgendwie weltfremd. So nerd-mäßig. Und ein bisschen wehleidig. Aber trotzdem mag ich den Song noch immer sehr. Ich kann mich voll und ganz mit ihm identifizieren. Und für diese spezielle, innige und unvorhergesehene Situation mit Mikey erscheint er mir im Augenblick absolut passend.

„Wake me 'til the morning after. I'm so tied. There has got to be an end to the pain I feel when I'm awake and alive. Alive. Alive. Alive and not dreaming”, wiederhole ich zärtlich. Und verstumme. Atemlos lächele ich ihn an. Mit irre klopfendem Herzen. Schmunzelnd registriere ich, wie uneingeschränkt mein Gesang und meine intime Berührung ihn erhitzt haben. Wie meine Zärtlichkeit ihn unvermindert erregt. Der schnuckelige Bartträger ist absolut entflammt. Durch mich. Meine Finger. Meine Stimme. Das signalisiert er mir mit jeder Faser seines Seins. Und schmeichelt mir damit enorm. „Mann, Chester, das war ganz und gar fantastisch. Gott, ich liebe deine wunderbare Stimme so sehr”, schwärmt er hingerissen, „So etwas habe ich noch nie gehört. Deine Songs sind so herrlich emotional. So unglaublich persönlich. Das berührt mich total tief.” „Danke, Mike. Ich liebe es, für dich zu singen”, gestehe ich ihm ehrlich. Der Stachelige sieht mich ergriffen an. Er hebt seine Hände. Streichelt mir damit die Haare aus dem Gesicht. Ehrfürchtig berührt er meine Wangen. Meine Schläfen. Kämmt dann sorgfältig mit den Fingern durch die Dreadlocks. „Aber warum nur sind deine Songs immer so herzerweichend traurig?” fragt er vorsichtig. Lässt mich nicht aus den Augen. Forscht nach der ultimativen Antwort. „Weil ich traurig bin”, antworte ich spontan. Schneller, als ich denken kann. Seine Augen verengen sich besorgt. Er zieht die tollen Brauen zusammen. Was mich durchweg begeistert. Auf seiner Stirn entstehen dabei diese geilen Falten. „Du muss jetzt nicht mehr traurig sein, Chester Bennington”, wispert Mike Shinoda bedeutungsvoll, „Du hast jetzt mich. Ich will für dich da sein, Chaz. Ich will dafür sorgen, dass du nicht länger traurig bist. Du bist jetzt nicht mehr alleine, hörst du?”

Shit, seine Wörter berühren mich sehr viel tiefer, als ich im Moment verpacken kann. Oder begreifen. Darauf bin ich nicht vorbereitet. Langsam wird mir das zu heftig, was er mir da alles in den ohnehin schon verwirrten Kopf pflanzt. Nervös konzentriere ich mich auf seinen fantastischen Körper. Unruhig bewegt er sich unter mir. Ringt zischend nach Luft. Als ich vorsichtig den Knopf seiner Jeans öffne. Den Reißverschluss behutsam herunterziehe. „Chaz...”, stöhnt er. Küsst fahrig mein Gesicht. Seine Hände fallen herunter. Streichen hektisch außen an meinen Unterschenkeln entlang. Meine Hand schiebt sich zärtlich in seinen Hosenschlitz. Als ich meine Finger sanft auf seiner Unterhose bewege und gezielt seinen Intimbereich ertaste, spüre ich überdeutlich das heiße Blut, dass sich zögernd in meinem Schwanz zu stauen beginnt. Mann, das fühlt sich enorm gut an. Ich kann selbst kaum noch ruhig auf ihm sitzenbleiben. Mike Shinoda macht mich auf eine Art glücklich, die mir vollkommen unbekannt ist. Darum singe ich so gerne für ihn. Weil dieser Kerl meinen Gesang ohne Ausnahme zu würdigen weiß. Weil meine Stimme ihm sehr viel besser gefällt, als ich überhaupt kapieren kann. Oder jemals erlebt habe. Seine staunende Anerkennung verleiht mir einen Wert, den ich bisher noch nie bei mir selbst wahrgenommen habe. Das fühlt sich verflucht gut an.

Im Augenblick ist es allerdings wohl eher meine körperliche Nähe und meine höchst intime Berührung, die ihn langsam hart werden lässt. Und nicht nur ihn. Dieser Mann geilt mich auf eine Weise auf, die ich nicht kenne. Und kaum erfassen kann. Das macht mich unglaublich an, so nah, direkt und deutlich zu fühlen, wie sein großer Schwanz unter dem dünnen Stoff seiner Boxershorts steif wird. „Himmel, Chester, das...”, krächzt er überwältigt. Wirft den Kopf nach hinten und stöhnt laut auf. Sein wohlgeformter Körper erschaudert spürbar unter mir. Seine Finger krallen sich in meine Unterschenkel. Nervös ändere ich nochmal meine Position. Blöderweise wird es mit steigendem Puls schwieriger, den schlimmer pochenden Schmerz in meinem von Shinodas Wut verletzten Oberschenkel zu ignorieren. Meine stark angewinkelten Beine sind eingeschlafen. Kribbeln unangenehm. Die scharfen Ränder der Schaftabschlusskante meiner Chucks bohren sich in meine Knöchel. Bequem ist was anderes. Andererseits ist das hier viel zu geil, um es abzubrechen. Fuck, nein! Das will ich auf gar keinen Fall. Trotz allem fühle ich mich erstaunlich wohl auf Mister Shinodas fantastischen Beinen. Seine direkte Nähe genieße ich unendlich. Trotzdem muss ich mir langsam was anderes einfallen lassen.

Unruhig küsse ich Mikey nochmal leidenschaftlich auf den weichen Mund. Er drängt mir entgegen. Erwidert meinen Kuss voller erwachender Wollust. Unsere Zungen spielen heftiger miteinander. Langsam ist meine Brille im Weg. Das Gestell wird beim Küssen leicht auf meiner Nase herum geschoben. Meine Hand steckt zwischen unseren Unterleibern. Die andere streichelt an Mikes warmem, weichem Hals entlang. Ich kann spüren, wie seine Härchen sich aufstellen. Der heiß entfachte Typ kriegt eine Gänsehaut davon. Das erregt mich enorm. Mein Schwanz fühlt sich in meiner Chino mittlerweile ziemlich prall an. Es drängt mich, ihn auszupacken und heftig zu wichsen. Allein der Gedanke killt mich schon. Ringe beim Küssen aufgeregt nach Luft. Zwinge mich erneut, mich uneingeschränkt auf den fremden Mann zu konzentrieren. Fahre mit meiner Hand zärtlich über seine Boxershorts. Regelmäßig an seiner verblüffend groß gewordenen Erektion auf und ab. Sauge sanft an Mikeys Lippen. Ziehe mich dann ein wenig zurück. Nehme meine Hand von seinem Hals. Schiebe meine Brille zurecht. Prüfend blicke ich in sein aufgelöstes Gesicht. In unserer beidseitigen Erregung erscheint er mir noch viel unwiderstehlicher. Mein Herz überschlägt sich fast. Mein Atem geht tief. Meine Hände zittern.

Auch Mike atmet schwer. Der Halbjapaner hat die Augen halb geschlossen. Betrachtet mich selig lächelnd. „Fuck Chaz...”, seufzt er fasziniert, „Das fühlt sich verdammt gut an... was du da machst...” Zustimmend grinse ich ihn an. Kraule zärtlich durch seinen weichen, dichten Bart. Während meine andere Hand durch die Boxershorts seinen Penis liebkost. Dringend möchte ich ihn richtig in die Hand nehmen. Komplett unbekleidet. Seinen nackten, steifen Schwanz anfassen. Die konkrete Vorstellung tötet mich. Aber ich bin mir unsicher. Ob ich ihn einfach so auspacken darf. Ob der Kerl das überhaupt will. Oder ob ihm das zu schnell gehen würde. Ratlos intensiviere ich meine Berührung an seinem intimsten Körperteil. Mikey stöhnt auf. Ringt zitternd nach Luft. „Aber... Chester... warte mal...”, seufzt er widerstrebend. Er versucht, mit seiner Hand zwischen uns zu gelangen. Offenbar will er mich plötzlich aufhalten. Der Patient hat auf einmal seltsame Bedenken bekommen. Das verstehe ich nicht. Kann ich auch jetzt nicht akzeptieren.

Kurzerhand schiebe ich seine Shorts runter. Umfasse seinen Penis mit der ganzen Hand. Wow, Mikes kleiner Freund ist echt hart und ziemlich groß! Die Haut fühlt sich heiß und samtig an. Das schwere, prall gestaute Organ pocht an meinen Fingern. Zuckt ganz leicht. Ihn in der Hand zu haben, geilt mich extrem auf. Zischend ziehe ich Luft ein. Erschaudere heftig. „Nicht, Chester! Das geht nicht! Wenn jetzt jemand hereinkommt”, stöhnt der Bärtige alarmiert. Eilig drängt seine Hand sich zwischen uns. Umfasst mein Gelenk. Um mich zu stoppen. Panisch sieht er sich in der Bibliothek um. Als würde da schon längst jemand stehen und uns beobachten. Aber ich weiß, dass da niemand ist. Und ich weiß auch, dass ich das hier auf keinen Fall vorzeitig beenden möchte. Ich habe mir fest vorgenommen, dem Besonderen einen wenigstens so geilen Abgang zu verschaffen, wie ich ihn heute Mittag mit Kaitleen erlebt habe. Und vorher werde ich bestimmt nicht aufgeben.

Kurzentschlossen erhebe ich mich von seinem Schoß. Das ist mühsamer als gedacht. Weil meine Beine eingeschlafen sind. Und meine Prellung böse wehtut. Ziehe meine Hand aus Mikes Griff. Stütze mich auf der Lehne ab. Klettere ächzend von dem Sessel. Der halbe Japaner sieht mich verwirrt an. Hält mich jedoch nicht auf. Ich muss grinsen. Weil der Typ so eindeutig enttäuscht aussieht. In Wahrheit will er nämlich gar nicht, dass ich aufhöre. Der junge Mann ist genauso entflammt wie ich. Mindestens. Er muss nur seine Panik überwinden. Ich glaube, der Bärtige hat Angst, von jemandem entdeckt zu werden. Dass plötzlich irgendwer in die Bibliothek reinkommt. Und ihn in einer peinlichen Lage erwischt. Das, was wir hier tun, ist doch in der scheiß Psychiatrie mit Sicherheit schon wieder streng verboten. Diese mögliche Gefahr hemmt ihn. Aber er hat auch Angst davor, dass das hier wirklich passiert. Er fürchtet seine eigene Sexualität. Wahrhaftig. Zweifellos ist Mister Shinoda entschieden zu schüchtern. Das finde ich so cute, dass ich ihn am liebsten in den Arm nehmen würde. Ihm gut zusprechen. Dem Verunsicherten leise Mut machen. Verständnisvoll sein.

Aber das schaffe ich jetzt nicht mehr. Denn dazu bin ich inzwischen definitiv selbst schon viel zu geil geworden. Ich bin ungeduldig. Mein eigener Körper drängt mich zu handeln. Entzückend verwirrt beobachtet der süße California-Boy, wie ich mühevoll von dem Sessel klettere. Verkneife mir dabei ein schmerzerfülltes Stöhnen. Instinktiv greife ich mir an meinen zu Brei geschlagenen Oberschenkel. Reibe mit der Hand über die zu hart getroffene Stelle. Obwohl das gar nix bringt. Keinerlei Erleichterung. „Tut es noch sehr weh?” will der Kerl mit dem bemerkenswert kräftigen Faustschlag besorgt wissen. „Nein, das geht. Ist schon gut, Mike”, lüge ich hastig. Weil ich ihn nicht noch mehr beunruhigen will. Der Schwarzhaarige seufzt deprimiert. „Das tut mir so leid, Chester. Ich wollte dich ganz bestimmt nicht schlagen. Vorhin habe ich total die Kontrolle über mich verloren. Ich kann mir das gar nicht erklären. So etwas passiert mir sonst nicht. Normalerweise habe ich mich immer ausreichend im Griff”, beteuert er mir spürbar geknickt. Das gefällt mir gar nicht, was er da sagt. Weil ich dringend will, dass er jetzt gleich die Beherrschung verliert. Mit mir. Durch das, was ich mit ihm vorhabe. Ich will es schaffen, dass Shinoda seine sämtliche Selbstkontrolle an mich abgibt. Diese schwierige Herausforderung reizt mich plötzlich enorm.

Spontan klettere ich zurück auf seinen Sessel. Blitzschnell spreize ich die Beine. Setze meine Knie dicht neben seine Oberschenkel auf die Sitzfläche. Provozierend beuge ich ihm meinen Unterleib entgegen. Sodass er die eindeutige Beule in meiner Chino nicht übersehen kann. „Siehst du das, Mikey? Ich tue nicht nur so. Es ist nicht wahr, dass ich mit dir nie etwas fühle. Das hast du mir doch vorgeworfen, nicht wahr? Du hast dich beschwert, dass ich mit dir keine Erektion kriege. Aber das stimmt nicht. Ich bin kein beschissener Lügner, der dir ständig nur irgendwas vorspielt.” Meine atemlose Anklage schwankt zwischen Spott und einer Kränkung, die sehr viel tiefer geht, als ich wahrhaben will. Verdutzt registriere ich, wie stark es mich aufgeilt, breitbeinig vor diesem Mann zu knien. Vor seinen staunenden Augen meinen Körper zu strecken. Mich ihm frivol zu präsentieren. Zu erleben, wie irritiert und paralysiert er sofort auf meinen Schwanz starrt. Sein Mund öffnet sich. Weil er so krampfhaft nach Luft schnappt. Seine tollen Mandelaugen werden ganz groß. „Nein... das... bereue ich, Chaz...”, stottert er keuchend. Hastig streichelt er mit beiden Händen über meine Taille. Um mich zu beschwichtigen. „Ich habe das nicht so gemeint, Chester. Ich... glaube dir doch... Es tut mir ehrlich leid, dass ich dir das vorgeworfen habe”, beteuert er schuldbewusst. Irgendwie fasziniert es mich, wie er sich pausenlos bei mir entschuldigt. So etwas kenne ich gar nicht. So eine unterschwellige Wertschätzung.

Seine Hände streicheln mein Unterhemd hoch. Den Stoff aus dem Weg. Bewegen sich in einer entschuldigenden Geste sanft über meine nackte Haut. Zärtlich an meinen Hüftknochen auf und ab. „Ich kann sehr wohl etwas fühlen, Mike Shinoda!” ächze ich mühsam. Fühle seine Berührung verdammt intensiv. Stöhne auf. Weil mich ein ziemlich geiler Wirbelsturm erfasst. Das mächtige Gefühl fokussiert sich in meinem Unterleib. Tobt heiß durch mein empfindsames Glied. Quer durch meine zuckenden Eier. Und ich muss mich wirklich zurückhalten, um mich nicht auf der Stelle für ihn nackig zu machen. Überstürzt schnappe ich mir Mikes rechte Hand. Drücke sie heftig gegen meine harte Erektion. Die eng in die Hose gepresst ist. Gierig zwinge ich ihn dazu, mit seiner Hand schnell und intensiv über meinen Schwanz zu streicheln. Das fühlt sich so gut an, dass ich mich kaum noch beherrschen kann. „Siehst du das?” stöhne ich triumphierend, „Kannst du das fühlen, Mikey?” „Ja, doch, Chaz”, erwidert er leise. Der Mann klingt verwirrt. Aber auch angetan. Ich sehe, wie er zittert und nach Luft ringt. Als seine Hand unter meiner energischen Führung durch die Hose hindurch gezielt meinen Penis reibt. Seine andere Hand streichelt weiterhin meine nackte Taille unter meinem Unterhemd. Dann bewegt sie sich behutsam nach hinten zu meinem Arsch. Den sie liebevoll anfängt zu kneten. All das macht mich völlig verrückt. Panisch ringe ich nach Luft. Mein Herz könnte jeden Moment explodieren. Oder so was. In dieser knienden Position befindet sich mein Unterleib ziemlich nah vor seiner Brust. Mike kann nicht aufhören, fasziniert auf meinen Schwanz zu starren. Was mich unglaublich erregt. Am liebsten würde ich mir jetzt vor seinen Augen einen runterholen. Automatisch stelle ich mir vor, wie mein Sperma ungehindert auf sein T-Shirt spritzt. Unweigerlich erbebend, schließe ich die Augen. Atme verkrampft tief durch.

Nur noch mühevoll kann ich an meinem ursprünglichen Plan festhalten. Aber ich muss das hier jetzt stoppen. Sonst komme ich gleich. Und das wäre entschieden zu früh. Außerdem habe ich echt keine Lust, nochmal meinen Slip und die Chino zu versauen. Mit letzter Willenskraft lasse ich ihn los. Ziehe mich langsam von ihm zurück. Rückwärts schiebe ich mich vom Sessel hinunter. Sodass seine Hände von meinem Körper ablassen müssen. Mike sitzt ratlos dort. Unübersehbar aufgegeilt. Rutscht nervös auf dem Polster hin und her. Beobachtet mich abermals sichtbar verwirrt. Ich glaube, er weiß überhaupt nicht, was jetzt auf ihn zukommt. Oder was ich mit ihm vorhabe. „Es tut mir leid, Chester”, bekräftigt er atemlos, „Bitte sei nicht böse auf mich.” Himmel, er entschuldigt sich schon wieder. Und er denkt wahrhaftig, ich würde mich zurückziehen, weil ich sauer auf ihn wäre. Dabei bin ich das nun wirklich nicht. Zumindest nicht in diesem Moment. Ganz im Gegenteil. Ich möchte den Süßen nur noch küssen. Ihn vollständig in mich aufsaugen. Aber ich besinne mich darauf, ihm etwas Gutes zu tun. Heute Abend soll mal er im Mittelpunkt stehen. Das ist nur fair. Nachdem, was ich ihm angetan habe. In meinen Augen hat der traurige Patient eine geile Aufmunterung dringend nötig.

„Ich bin dir nicht böse, Shinoda”, versichere ich ihm. Lächele beruhigend, als er mich unglücklich taxiert. Unbeirrt rutsche ich von dem Sessel herunter. Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, dränge ich mich zwischen seine Knie. Sanft aber bestimmt nötige ich ihn dazu, seine attraktiven Beine ein Stückchen für mich zu öffnen. Damit ich mich dazwischen stellen kann. Er gehorcht. Öffnet irritiert die Schenkel für mich. Beobachtet mich aufmerksam. Der halbe Japaner ist sichtbar angespannt. „Komm her, Mikey”, flüstere ich liebenswürdig, als ich richtig vor seinem sitzenden Körper platziert bin, „Komm hierher zu mir!” Auffordernd strecke ich meine Hände nach ihm aus. Wie ferngelenkt ergreift er sie. Seine Handflächen sind genauso schwitzig und zitterig wie meine. Der fremde Patient lässt sich folgsam von mir in meine Richtung ziehen. Er rutscht mir auf dem Polster entgegen. Und muss dabei seine Beine noch weiter für mich spreizen. Das ist so geil, dass ich unwillkürlich überwältigt aufstöhne. Als Mike ganz nah am Rand seines Sitzmöbels hockt, lasse ich ihn los. Seine Beine sind jetzt weit geöffnet. Meine Wenigkeit befindet sich dazwischen. Es ist schlicht zuckersüß, wie ängstlich Michael mich ansieht. Wie unterwürfig er plötzlich scheint. So erstaunlich vertrauensvoll. Aber auch ein wenig auf der Hut.

Achtsam gehe ich in die Knie. Ganz sachte. Um ihn nicht zu erschrecken. Abermals weiten sich seine wundervoll braunen Augen zu einzigartiger Größe. Mit einer Mischung aus aufkommender Panik und heftiger Erregung beobachtet er gespannt jede meiner Regungen. Meine Knie treffen auf das harte Linoleum. Als ich mich auf dem Boden der Bibliothek niederlasse. Meine Hände streicheln sich liebevoll an Mikes muskulösen Oberschenkeln hinauf. Geradewegs zu seinem Schritt hin. Der sich jetzt bequem in meiner Reichweite befindet. Seine dunkelblaue Boxershorts ist in der Zwischenzeit von allein zurück über seinen noch immer vollständig erigierten Penis gerutscht. Behutsam massiere ich mit beiden Händen das empfindliche Organ. Spiele ein wenig mit seinen wohlgeformten Eiern. Entlocke ihm damit ein unterdrücktes Stöhnen. „Chaz... nein... tu das nicht...”, seufzt er absolut hingerissen. Seine Bitte hört sich so entzückend gegensätzlich an, dass ich amüsiert kichern muss. Shinodas Augen verengen sich misstrauisch. Weil er eventuell den völlig fälschlichen Eindruck gewinnt, ich würde mich über ihn lustig machen. „Wow, Mikey... Mann, du... geilst mich total auf... ich... bin restlos fasziniert von dir... ehrlich...”, stottere ich schnell. Um seine unbegründeten Zweifel zu zerstreuen. Augenblicklich entspannt sich seine Miene wieder. Was mich erleichtert. Seine schönen Augen leuchten aufgeregt. Zärtlich betrachtet er mich. „Du faszinierst mich auch, Chester Bennington”, keucht er liebenswürdig. „Du hast keine Ahnung, wie sehr”, setzt er nach einer kurzen Pause seltsam nachdenklich hinzu.

Aber schon im nächsten Moment richtet sich sein Blick flehend auf meine Hände. Die durch die Shorts hindurch sanft seine Geschlechtsorgane liebkosen. Mein Herz schlägt so hart und schnell, dass mir das Atmen schwerfällt. Mühevoll konzentriert, beobachte ich Mikes Gesicht, während ich zögernd, sehr vorsichtig seine Unterhose herunter schiebe und seine Erektion umfasse. Die ganze Zeit erwarte ich angespannt, dass er plötzlich in Panik gerät und mich aufhält. Zu meiner Verwunderung tut er das aber nicht. Schüttelt nur hilflos den Kopf. „Nein... Chester...”, flüstert er erschlagen, „Mach das nicht... bitte... wenn jetzt jemand reinkommt...” Mittlerweile hört sich das aber für mich immer eindeutiger so an, als würde der Typ selbst nicht mehr wollen, dass ich aufhöre. Zumindest ist der arme Kerl anscheinend hin und hergerissen zwischen seiner Angst und seiner eigenen Begierde. Darüber möchte ich lauthals lachen. Verkneife mir das aber. Um ihn nicht zu kränken. Stattdessen pirsche ich mich sorgsam näher an ihn heran. Schiebe meinen aufgeputschten Leib behutsam weiter zwischen seine gespreizten Beine. Meine Hände halten seinen steifen Penis fest. Streicheln sanft an ihm auf und ab. Während ich das Teil neugierig ganz genau studiere.

Im langsam schwindenden Sonnenlicht, das durch die großen Fenster in die Bibliothek scheint, sieht Mike Shinodas ausgeprägte Erektion wunderschön aus. Ich bin ehrlich fasziniert von der formschönen Gestalt und makellosen Ästhetik seines Sexualorgans. Fast beneide ich den auffallend gut gebauten Halbjapaner. Denn Seiner ist um einiges größer als Meiner. Weil aber an diesem besonderen Menschen ohnehin alles perfekt ist, bin ich im Grunde gar nicht so sehr verwundert darüber, dass diese Tatsache auch für den Mikey zwischen seinen Beinen gilt. Sein krauses Schamhaar ist schwarz und auffallend dicht. Auch diesbezüglich hat der Kerl mehr als ich zu bieten. Im Gegensatz zu mir ist Mister Shinoda nicht beschnitten worden. Darum kann ich seine Vorhaut zart über seiner Eichel vor und wieder zurückschieben. Zweifellos gefällt ihm das enorm. Sein Atem wird kontinuierlich lauter. Seufzend ringt er nach Luft. Sein Brustkorb bewegt sich in kräftiger werdenden Atemzügen. Sein perfekter Körper erschaudert immerzu. Seine langen Beine zittern angespannt. Rechts und links neben meiner Hüfte. „Nicht... Chaz... hör auf...”, stammelt er noch immer, „Das ist zu gefährlich... wenn jemand reinkommt...”

Gerührt betrachte ich den ängstlichen Besonderen. Ohne damit aufzuhören, ihn intensiv zu streicheln. Der junge Mann sieht schlicht überwältigend aus. Den ganzen Tag lang könnte ich ihn anschauen. Besonders in diesem Zustand möchte ich ihn stundenlang beobachten. Er hat die Augen genüsslich ein wenig geschlossen. Seine pechschwarzen Pupillen sind stark erweitert. Spiegeln seine sexuelle Erregung. „Hier kommt niemand rein, Mike”, beruhige ich ihn, „Und wenn doch, dann merken wir das rechtzeitig. Ich höre dann sofort auf, okay?” In Wahrheit zweifele ich wohl zu recht daran, dass wir es in unserer versteckten, von der Eingangstür weit abgelegenen Ecke früh genug merken würden, sollte plötzlich überraschend jemand die Bücherei der geschlossenen Psychiatrie betreten. Hoffe nur, den Patienten mit meinem Hinweis irgendwie zu beschwichtigen.

Funktioniert aber leider nicht restlos. Der Bartträger guckt mich unzufrieden an. Zweifelnd. Schwankend zwischen seiner erwachten Wollust und einer Panik, die er offenbar nicht überwinden kann. Zusätzlich scheint es dem Mann ein bisschen peinlich zu sein, dass ich mir seine fraglos beeindruckende Erektion beim Streicheln so intensiv anschaue. Ich glaube, der schüchterne Kerl schämt sich vor mir. Gleichzeitig ist er aber viel zu aufgegeilt, schon entschieden zu gierig geworden, um sich mir jetzt noch entziehen zu können. Das macht mich verdammt glücklich. „Ist schon gut, Mike”, rede ich ihm bedachtsam zu, „Das geht schon in Ordnung. Kein Mensch kommt in dieses komische Bücherzimmer. In der geschlossenen Psychiatrie will niemand irgendwelche komischen Bücher lesen. Das kannst du mir echt glauben. Pfleger Ulrich hat mir das nämlich versichert. Und der muss das ja wohl wissen. Aus diesem Grund bin ich doch vorhin hier reingegangen. Damit ich hier ungestört schlafen kann.”

Auf Shinodas aufgelöstem Gesicht erscheint ein gerührtes Lächeln. Wobei seine Augen selig aufblitzen. Es lässt den schwarzen Stachelkopf derart zauberhaft erstrahlen, dass ich davon augenblicklich paralysiert werde. „Ja, du hast tief geschlafen, Chester Bennington”, bestätigt er voller Zuneigung, „Und ich habe dich hier gefunden.” „Darf ich dir einen blasen, Mike Shinoda?” kann ich mich plötzlich nicht länger bremsen. Diese Situation macht mich tierisch an. Meine gegenwärtige Position zwischen seinen gespreizten Beinen, so unglaublich nah an seinem nackten Schwanz, ist total spannend. Das ist unfassbar erregend. Mein Herz pocht schnell. Mein elektrisierter Körper verlangt dringend nach Taten. Flehend fokussiere ich mich auf den magischen Mann. Beobachte höchst erwartungsvoll seine Reaktion. Verdutzt wird mir klar, dass ich wirklich keinerlei Ahnung habe, wie er auf meinen dreisten Vorschlag reagieren wird. Ich meine, Fuck, wir kennen uns erst seit zwei mickrigen Tagen. Und er hat ja vorhin noch verärgert betont, dass er da niemand Fremden ranlassen würde. Ein frustrierend großer Teil von mir rechnet angstbesetzt damit, dass Mike Shinoda plötzlich aufspringt. Und laut schreiend davonläuft. Schließlich ist es doch normalerweise seine Art, ohne Vorwarnung vor mir wegzulaufen. Das macht mich ganz schön nervös. Unermüdlich streicheln meine zitternden Hände über sein Glied. Spielen achtsam mit seinen Hoden herum.

Unsere Blicke treffen sich. Verharren ineinander. Halten sich automatisch aneinander fest. Der Typ starrt mich total verblüfft an. Er ist völlig baff. Zehn Sekunden lang herrscht bleierne Stille im Raum. Im nächsten Moment stößt der erregte Mann plötzlich ein sonderbares Knurren aus. Es ist ein lautstarkes Keuchen. Das ich in dieser Form noch niemals gehört habe. Und auch bestimmt nicht erwartet. Schon gar nicht vom scheuen Halbjapaner. Augenblicklich schießt der Klang mir kochend heiß durch meine sämtlichen Nervenbahnen. Quer durch den ganzen aufgeregten Körper. Knallt direkt volle Kanne in meinen Schritt rein. Explodiert wollüstig in meinen ohnehin langsam überspannten Geschlechtsorganen. So wahnsinnig mega geil ist dieses gänzlich überraschende Geräusch, dass ich es kaum verarbeiten kann. „Ohhahh Chaaaz...”, knurrt Mike übermannt, „Wooooww Maaannn...” Schockiert ringt der Patient nach Luft. Er öffnet seinen fantastischen Mund. Leckt sich mit der Zunge begehrlich über die eigenen, formschönen Lippen. Das ist dermaßen erregend anzusehen, dass ich unbedingt meine linke Hand von seinem Schwanz lösen muss und die Finger stattdessen hastig zwischen meine eigenen Schenkel schiebe. Unauffällig rücke ich meine drückende Erektion in der Chino zurecht. Stimuliere mich bei dieser Gelegenheit heimlich ein wenig. Stöhne dabei laut auf. Weil sich das so verflucht gut anfühlt. Mein zuckender Leib erschaudert heftigst. Geht einfach nicht anders.

Mikes braune, halbasiatische Mandelaugen verwandeln sich in triebhafte Saugnäpfe. Die mich voller Gier verschlingen. „Du killst mich, Chester”, beschwert er sich erschlagen, „Du machst mich total alle... Bennington... echt!” „Darf ich, Mike?” lasse ich nicht locker. „Darf ich dir bitte einen blasen?” wiederhole ich flehend. Mein Puls überschlägt sich. Schweren Herzens ziehe ich meine Hand zwischen meinen eigenen Beinen hervor. Lege die Finger vorsichtig zurück um seinen harten Penis. Wo ich mit meinem Streicheln pausenlos fortfahre. Schiebe mich auf den Knien noch näher an ihn heran. Bringe mich vorsorglich in die richtige Position. Mittlerweile bin ich tierisch ungeduldig geworden. Behalte ihn nervös im Auge. Alle seine vielsagenden Regungen will ich unverfälscht mitkriegen. Der besondere Patient fängt damit an, noch lauter zu stöhnen. Angespannt zittert er am ganzen attraktiven Körper. In einer Mischung aus Panik und Gier fixiert er meinen Mund. Mikey antwortet mir nicht. Und treibt mich damit in den Wahnsinn. Ein paar Augenblicke lang weiß ich gar nicht mehr, was ich jetzt machen soll. Endlich fasse ich einen hilflos impulsiven Entschluss. Shinodas in meinem Verständnis eindeutig beträchtlich enthusiastische Reaktionen nehme ich kurzentschlossen als Bestätigung. Denn ich kann jetzt schlicht nicht noch länger warten. Kann keine Rücksicht mehr auf seine nervige Unentschlossenheit nehmen. Halte meine Untätigkeit nicht länger aus. Geht nicht. Keine Chance.

Bemüht langsam beuge ich mich über ihn. Senke meinen Kopf behutsam zu ihm hinab. Lecke sanft über seine rosarote Eichel. Kreise liebevoll am Rand entlang. Dann quer über die Spitze. Küsse ihn. Streiche mit meinen Lippen zart über die extrem empfindliche Haut. Mike schmeckt sehr warm. Und ein bisschen salzig. Er ist vollkommen glatt. Augenblicklich wird sein Atem unkontrollierter. Klingt noch verspannter. Der fremde Typ keucht. Schnappt zischelnd nach Luft. „Chaz...”, stöhnt er leise, „Chazy Chaz...” Seine schöne Stimme hört sich so wundervoll verliebt an, dass mir ganz heiß wird. Das überwältigt mich. Seine Finger streichen fahrig über meinen Kopf. Umfassen meinen Schädel. Wuscheln unkontrolliert durch meine Dreadlocks. Die seinen Schoß berühren. Als ich mich noch tiefer über ihn beuge. Meine linke Hand hält seinen vollständig erigierten Penis in der richtigen Position. Damit ich ihn vorsichtig in den Mund nehmen kann. Das mache ich ganz behutsam. Öffne meinen Mund so weit es geht. Senke mich zögerlich über ihm ab. Schiebe das schwere Glied dabei vorsichtig tief in meine Mundhöhle hinein. Shit, der ist tatsächlich ganz schön groß! In diesem Moment scheint das Teil mir sogar riesig zu sein. Es fällt mir schwerer als erwartet, den harten Schwanz vollständig in mich aufzunehmen. Meine Lippen dabei fest um ihn zu schließen. Ich schaffe nur höchstens zwei Drittel seiner Länge. Bevor die große Eichel mir plötzlich komplett die Luftröhre zustopft. Keuchend muss ich mich wieder ein Stückchen zurückziehen. Es wird zum Drahtseilakt. Die Balance zu finden. Zwischen Mikeys höchstmöglichem Genuss und meinem ungehinderten Weiteratmen.

Schließlich finde ich die perfekte Höhe zum Blasen für mich. Ich weiß genau, dass es sich im Endeffekt sowieso hauptsächlich um den oberen Teil einer jeden Erektion dreht. An der Spitze befinden sich die gebündelten Nervenenden. Und genau dort kann man jedem Mann die allertollsten Glücksgefühle schenken. Darum macht es mir keine Sorgen, dass ich Shinodas großen Schwanz nicht vollständig in mich reinstecken kann. Stattdessen konzentriere ich mich instinktiv auf seine extrem sensible Eichel. An dem Rest des Schaftes fährt meine Hand liebevoll auf und ab. Der Teil in meinem Mund ist angenehm warm. Gespannt. Erstaunlich prall. Mikes wunderschöner Penis vibriert zwischen meinen Lippen. In den dicken Adern am Penisschaft pocht es. Das Organ scheint lebendig zu sein. Es arbeitet spürbar unter der dünnen Haut. Trotzdem fühlt es sich unverändert faszinierend samtig an. So ein Glied ist extrem empfindlich. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Darum bin ich vorsichtig.

Meine nasse Zunge kreist liebevoll über seiner Spitze. Nimmt schon nach erstaunlich kurzer Zeit den leichten Geschmack von Sperma wahr. Ich schließe genüsslich die Augen. Konzentriere mich auf meine selbst gestellte Aufgabe. Das ist toll, wie der Halbjapaner mir vertraut. Wie er sich trotz seiner Angst zuversichtlich in meine Hände begibt. Wie er es mir als Fremden erlaubt, ihn derart intim anzufassen. Das fühlt sich verwirrend verantwortungsvoll an. Macht mich auf irgendeine Art verdammt glücklich. Unbestreitbar ist es extrem erregend, dem Besonderen einen zu blasen. Ehrlich gesagt habe ich das noch nie bei jemandem gemacht. Chester hatte noch niemals einen fremden Schwanz im Mund. Auch den eigenen nicht. Denn dazu bräuchte ich eine körperliche Beweglichkeit, über die ich leider nicht verfüge. Okay, zugegeben, versucht habe ich Autofellatio schon mal. Einmal. Nur so aus Begierde und Neugier. Klappte aber nicht. Habe ich nicht nochmal versucht.

Jetzt mache ich es bei Shinoda einfach genauso, wie es auch mir selbst am besten gefallen würde. Zum Glück scheint das hervorragend zu funktionieren. Seine sexuelle Erregung steigert sich in einer Geschwindigkeit, die mich ehrlich überrascht. Seine zitternden Finger krallen sich zunehmend überwältigt um meinen Schädel. Mike hält sich an mir fest. Unterstützt unbewusst die Bewegungen meines Kopfes. „Wow, Chaz...”, ächzt er wiederholt. „Wow, Chester... was machst du nur... mit mir... Wow... Chazy Chaz.... das ist so was von geil...”, stammelt er hochbeglückt. Seine entrückte Stimme spiegelt seinen uneingeschränkten Enthusiasmus. Den ich noch nie von ihm gehört habe. Und der mich unerwartet tief berührt.

Neugierig öffne ich meine Augen. Schiele zu ihm hinauf. Während meine Zunge konstant über seine Eichel leckt. Immer zart kreisend am sensiblen Rand entlang. Und meine Hand ausdauernd am Penisschaft auf und ab fährt. Der Oberkörper des besonderen Patienten ist auf dem Sessel nach hinten zurückgefallen. Seinen perfekt gestylten Kopf hat er gegen die Lehne gedrückt. Inzwischen liegt er fast auf dem alten Polster. Sodass er nur noch so eben mit seinen ausgestreckten Händen meinen Kopf umfassen kann. Sein Unterleib befindet sich unverändert ganz am Rand des Sitzmöbels. Direkt vor mir. Wo ich ihn nur allzu gerne verwöhne. Es schmeichelt mir enorm, dass der Mann mir in dieser Sache blind vertraut. Obwohl er mich doch kaum kennt. Voller inniger Zuneigung betrachte ich ihn. Ohne mit meiner Tätigkeit zu pausieren. Er bemerkt meinen sehnsüchtigen Blick nicht. Denn seine Augen sind lustvoll geschlossen. Sein Mund steht offen. Er leckt sich gierig über die Lippen. Atmet schwer. Sein ganzer Körper zittert. Die Beine spannen sich fester um meine Hüften. „Wow... Chazy... Chaz... geil...”, stöhnt er lauter. Erschaudert heftig. Selig lutsche ich an seinem Schwanz. Intensiviere meine Berührungen. Fühle mich so zufrieden und bestätigt wie schon lange nicht mehr. Ein paar Minuten lausche ich noch beglückt den geilen Geräuschen und schmeichelnden Wörtern, die Mister Shinoda in steigender Ekstase von sich gibt. Mir ist völlig klar, dass er sich ziemlich rasch dem Höhepunkt nähert. Und es erstaunt mich, wie erfolgreich ich tatsächlich bin. Das macht mich richtig stolz. Schmeichelt meinem Ego enorm. Denn schließlich ist das hier ja eine Premiere für mich.

„Chester... warte... ich komm jetzt gleich...”, seufzt der Kerl entrückt in seinen perfekt gepflegten Bart hinein. „Shit, ich komme wirklich...”, keucht er seltsam verwirrt. Aufhorchend beuge ich mich über ihn. Schiebe ihn ausreichend tief in meinen Mund hinein. Weil ich mir schon ganz am Anfang vorgenommen habe, all das aufzunehmen, was der Mann zu bieten hat. Mikes Finger krallen sich so fest um meinen Schädel, kratzen über meine Kopfhaut und zerren dabei an meinen Dreadlocks, dass er mir damit wehtut. Sein gut aussehender Körper streckt sich. Seine Beine quetschen förmlich meine Hüften zusammen. So unglaublich angespannt ist auch er, kurz bevor er abspritzt. „Fuck, Chaz...”, stöhnt Mike ergeben. Zuckt heftig zusammen. Im nächsten Moment schießt mir warme, salzige Flüssigkeit in den Rachen. Obwohl ich darauf vorbereitet war, fühlt es sich trotzdem höchst ungewohnt an. Habe so etwas ja auch noch nie erlebt. Nicht aus meiner derzeitigen Position. Hastig bemühe ich mich zu schlucken. Als schon der nächsten Schwall auf den ersten folgt. Und dann kommt noch einer. Und füllt meinen Mund komplett aus. Mike stöhnt laut in rasender Verzückung. Und ich schaffe es nicht wirklich, die Menge des zähflüssigen Samens schnell genug zu schlucken, der dem Mann überraschend druckvoll aus dem Körper geschossen kommt. Weil ich aber das Kämpfen seit zu vielen Jahren reichlich gewohnt bin, schlage mich recht tapfer.

10. If anger's a gift


Michael Kenji Shinoda

Fuck, ich bin... Ich weiß nicht, was ich bin... Oder wo ich bin. Irgendwie anders. Gibt es mich noch? Existiere ich? Oder habe ich mich längst aufgelöst? Ich weiß es nicht. Das ist nicht... Ich habe das noch nie erlebt. Das ist vollkommen neu für mich, wie ich mich jetzt fühle. Wie ich mich gefühlt habe. Als Chester seine weichen Lippen fest um meinen Schwanz schloss. Seine heiße Zunge über meine Eichel leckte. Seine warmen Finger an mir auf und ab fuhren. Das hat mich restlos... zerfasert. Chester hat mich gekillt. Bin ich gestorben? Womöglich bin ich tatsächlich den kleinen Tod gestorben. Und wenn das so ist, dann will ich das immer wieder haben. Will mich ohne Ende in diesem Mann verlieren. Ich bin... absolut berauscht davon. Wie zärtlich Chester zu mir war. Mit wie viel Behutsamkeit er mich behandelt hat. So viel eindeutig spürbare Zuneigung. Nahezu ehrfürchtig fasste er mich an. Und doch waren seine Zärtlichkeiten so dermaßen intensiv, so unmittelbar spürbar, dass mir alle Sinne schwanden.

Rasend schnell wurde das heftiger für mich. Richtig heftig. Es steigerte sich viel schneller, als ich begreifen kann. Oder jemals erlebt habe. Waren das Minuten? Oder sind wir schon seit Stunden hier? Keine Ahnung. Alles in mir hat sich automatisch auf diese neuen Empfindungen fokussiert. Ausschließlich. Nichts anderes habe ich noch wahrgenommen. Nichts blieb noch von mir übrig. Nur noch Chesters Berührung. Seine Liebe für mich. Nur noch er und ich. Ich. Mein Schwanz. Mein Körper. Meine eigene Geilheit. Eine Explosion der Begierde. Ein Feuerwerk. So viele gereizte Nervenenden. Nur noch empfängliche Nervenenden. Nichts anderes mehr. Unglaubliche Gier. Nach immer noch mehr verlangend. Beschränkt auf das Gefühl. Bis sich alles in reines Wohlbefinden auflöste. Abrupte Detonationen der mächtigsten Euphorie in mir.

Bis gerade eben habe ich nicht mal geahnt, dass ich so viel fühlen kann. Auf so eine Art. Wie das sein kann. Dass ich überhaupt dazu fähig bin. Das war total anders als sonst. Definitiv. Anders als irgendwas sonst. Irgendwann sonst. Das... Ich habe so etwas noch nie gefühlt. Nicht so. Nicht auf diese Art. Nicht so... allmächtig. Allumfassend. So verflucht überwältigend gewaltig. Das war eine geile Premiere für mich. Vor Chester hat mir noch nie jemand einen geblasen. Bin immer davor zurückgeschreckt. Weil es so peinlich intim ist. Ich hätte nie gedacht, dass es auf diese Weise geschehen würde. An so einem seltsamen Ort. Mit einem nahezu fremden Mann. Das hätte ich mir niemals vorstellen können. Hätte es eigentlich nie zugelassen.

Aber als Chester es mir plötzlich anbot, da konnte ich nicht mehr widerstehen. Da war ich schon unfassbar scharf auf ihn. Der schlaue Kerl hat mich sorgsam darauf vorbereitet. Unermüdlich hat er darauf hingearbeitet. Mit seiner Stimme. Seinem geilen Körper. Bestimmt hatte er das schon lange geplant. Chaz wollte das unbedingt tun. Alle meine Vorbehalte haben sich einfach in Luft aufgelöst. Er hat mich Lügen gestraft. Dass ich nie einen Fremden an mich heranlassen würde. Hat all meine Bedenken mit einem Lächeln vernichtet. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich in einen warmen Mund gekommen. Das war fantastisch. Sehr viel besser als alles, was ich bisher in dieser Richtung erlebt habe. Das war der Overkill.

Und jetzt fühle ich mich nur noch wohl. Ich bin glücklich. Magisch erschöpft. Restlos befriedigt. Auf eine höchst angenehme Art ermüdet. Mein Herzschlag beruhigt sich langsam. Meine Atmung normalisiert sich. Mein ganzer Körper bebt leicht nach. Die Nerven zittern überreizt. Das fühlt sich so verflucht geil an. Lässt mich seufzen. Wohlig erschaudern. Die Augen genüsslich geschlossen.

Liege halbwegs auf dem Sessel. Den Kopf tief an das Rückenpolster gelehnt. Die Beine weit gespreizt. Dazwischen kniet Chester auf dem Fußboden. Sein Gesicht ist peinlich nah an meinem nackten Unterleib. Das weiß ich, ohne es zu sehen. Ich fühle es. Seine zärtliche Hand bewegt sich nicht mehr. Umfasst aber noch immer meinen Schwanz. Der langsam anfängt seine Standfestigkeit zu verlieren. Meine Arme recken sich lang ausgestreckt. Meine Hände halten seinen wunderschönen Kopf. Umfassen noch immer den runden Schädel. Meine Finger gleiten liebevoll, unendlich dankbar durch weiches, gewollt verfilztes Haar. Nur zögernd öffne ich die Augen. Möchte eigentlich noch viel länger in dieser komplett entrückten Zauberwelt verweilen. Es ist so verdammt schön hier. Nie habe ich mich wohler gefühlt. Bin nie glücklicher gewesen. Aber etwas drängt mich ihn anzuschauen. Muss ihn dringend sehen. Chester Bennington. Aus Phoenix, Arizona. Ich will meinen Engel betrachten. Dieses rätselhafte, magische Wesen. Das mir nach all diesen Wundern wahrhaftig noch eine neue, unbekannte Welt eröffnet hat. Mich mit seiner fraglos ziemlich erfahrenen Zärtlichkeit in metaphysische Sphären geführt hat. Von denen ich bis gerade eben noch nie etwas gehört hatte. Geschweige denn sie jemals betreten durfte.

Meine Augen klappen auf. Sehen ihn dankbar an. Unsere Blicke treffen sich sofort. Offenbar hat er mich die ganze Zeit beobachtet. Was mir ein bisschen peinlich ist. Der Brünette hat sich aufgerichtet. Lächelt mich zufrieden an. Hinter der schwarzen Brille blitzen seine dunklen Augen amüsiert. Der junge Mann ist sichtbar stolz auf seine Leistung. Es freut ihn diebisch, dass ich wahrhaftig erstaunlich kräftig abgespritzt habe. Mit Karacho tief in seinen feuchten Rachen hinein. Offenbar hat er meinen Samen fast vollständig heruntergeschluckt. Das ist mir ein wenig unangenehm. Andererseits bin ich froh, mit meiner Wichse nicht alles versaut zu haben. Chesters linke Hand hält locker meinen Penis fest. Der stetig kleiner und weicher wird. Mit den Fingern der rechten Hand wischt er sich Reste meines Saftes vom Kinn. Und seinen Lippen.

„Himmel, Chaz... das war... total...”, krächze ich hilflos. Bin schon wieder überwältigt von dem Unglaublichen, was er mit mir angestellt hat. Geblendet von seiner unmittelbaren Schönheit. Chesters magisches Lächeln wird noch strahlender. Die schmalen Mundwinkel biegen sich nach oben. Sein zartes Gesicht erblüht vor Zufriedenheit. Augenblicklich werde ich davon paralysiert. Mit seinem Lächeln kann dieser Mensch zweifellos Berge versetzen. Seine braunen Augen leuchten warm. Er ist voller Zuneigung zu mir. Was ich im Grunde gar nicht begreifen kann. „Das war schön, Mikey”, flüstert der Kerl mächtig angetan. Nickt anerkennend. „Das hast du gut gemacht, Mike Shinoda.” Aufreizend steckt er seine klebrigen Finger zwischen seine roten Lippen. Saugt daran. Leckt sie genüsslich ab. Das ist so erregend anzusehen, dass mein gerade erst beruhigtes Herz aufgeregt hüpft. „Nein... ich... habe doch gar nichts gemacht”, wehre ich verlegen ab, „Du warst es, der das richtig gut gemacht hat, Chester Bennington.” Der Gelobte grinst zweideutig. Verdreht frivol die Augen. Wackelt auf seine typische, enorm niedliche Art mit dem Kopf. Den ich noch immer leicht umfasst halte. Meine Finger streicheln zärtlich durch sein seidiges, langes Haar. „Wir haben das wohl beide gut gemacht, was, Mikey?” kichert Chester belustigt. Zwinkert mir flirtend zu.

Seine unglaubliche Liebenswürdigkeit erschlägt mich. Seine magische Attraktivität. Auf der Stelle möchte ich den Mann in den Arm nehmen dafür, dass er hier bei mir ist. Möchte ihn dafür küssen, dass er zu mir gekommen ist. In die verdammte geschlossene Psychiatrie. In der ich bis vorgestern irgendwie verloren war. Ich möchte ihm mit ganzer Seele danken dafür. Dass ich es erleben darf, diesen seltsamen Kerl kennenzulernen. Dass er mich aus meiner dunklen, stillen Teilnahmslosigkeit gerettet hat. Für seine pure Existenz. Voll mit Seligkeit betrachte ich ihn. Kann mich einfach nicht an ihm sattsehen.

Bennington wischt sich das stoppelige Gesicht ab. Leckt mein Sperma von seinen Fingern. Er atmet schwer. Schüttelt sich. Mir fällt auf, dass sein wohlproportionierter Körper zittert. Der Typ ist seltsam angespannt. Shit, das geilt mich schon wieder total auf, wie provozierend er meinen Samen schlabbert. Als hätte der Typ nie etwas Köstlicheres probiert. Meine streichelnden Finger verlassen sein seidiges Haar. Unruhig richte ich mich auf. Ausweichend fällt mein Blick hinab auf meinen Schoß. Der Bund meiner dunkelblauen Boxershorts ist noch immer unter meinen Sack geklemmt. Meine Sexualorgane liegen völlig frei. Plötzlich ist mir das peinlich. Obwohl das total idiotisch ist. Schließlich hat der Kerl mir gerade einen geblasen. Dabei hat er mich überaus neugierig studiert. Chester Bennington hat längst alles direkt aus der Nähe gesehen, was es bei mir zu sehen gibt. In voller geiler Größe. Der Brünette folgt meinem Blick. Inzwischen bin ich total schlaff geworden. Es verblüfft mich, wie wenig Wichse ich auf mir entdecken kann. Nur ein paar weiße Spritzer auf meinem Bauch. In meinem Schamhaar. Chester sieht es auch. Sofort streckt er seinen Finger und wischt es ab. Steckt sich den Finger in den Mund. Grunzt begeistert. Ich fasse es nicht. Dass mein tüchtiger Mann tatsächlich so gut wie alles heruntergeschluckt hat, was eben aus mir heraus gespritzt kam. Denn mein Orgasmus hat sich angefühlt, als würde ich mindestens tausend Liter Sperma ejakulieren.

Chester putzt und leckt mich noch ein bisschen sauber. Der Patient ist rührend fürsorglich zu mir. Noch immer hält er meinen schlaffen Penis fest. Als wollte er ihn nie mehr loslassen. Seine andere Hand streichelt sanft meine nackte Taille. Unter dem T-Shirt. Chaz arbeitet behutsam. Aber sehr gründlich. Seine heiße, nasse Zunge kitzelt auf meinem nackten Unterbauch. Sein Gesicht ist zu nah an meinem Intimbereich. Ich fühle mich ihm ausgeliefert. Nackt. Langsam macht mich das nervös. Ich weiß nicht, wie lange ich diese seltsame Situation noch aushalten kann.

Kurzentschlossen greife ich nach meiner Boxershorts. Chester lässt endlich meinen Schwanz los. Verlegen ziehe ich den Bund meiner Unterhose über mein entblößtes Geschlecht. Will mich schamvoll bedecken. Tauche unwillkürlich aus meiner mentalen Betäubung auf. Das eben Passierte wird mir zunehmend bewusst. Himmel, ich bin so verdammt froh, dass niemand in die Bibliothek geplatzt ist. Wenn mich jemand dabei überrascht hätte, wie der fremde Kerl gerade meinen Penis bläst, womöglich jemand vom Pflegepersonal, dann wäre ich unter Garantie vor Scham gestorben. Abgesehen davon hätte das so richtig großen Ärger gegeben. „Du schmeckst fantastisch, Mikey”, informiert Chester mich liebenswürdig, „Nie habe ich was Geileres geschluckt.” Seine Hand liebkost gezielt die nackte Haut an meiner Taille. Die andere fährt jetzt sanft über meinen bekleideten Oberschenkel. Gerührt schaue ich ihn an. Er fixiert mich atemlos lächelnd. Seine tollen Augen glänzen erregt. Verschlingen mich gierig. Verwirrt ziehe ich mir den Reißverschluss meiner Hose hoch. Schließe den Knopf meiner Jeans. Meine Hand hebt sich von allein. Streichelt abermals über seinen runden Schädel. Fasziniert durch seine weichen Dreadlocks. Kann nicht aufhören ihn anzufassen. Er ist so wunderschön.

„Das war mein erstes Mal, Chaz”, muss ich ihm einfach gestehen. Seine Augen weiten sich abrupt erschrocken. „Was?... Dein... erstes Mal?... Nein!... Im Ernst?” stottert er alarmiert. Starrt mich schockiert an. Seine unerwartet fassungslose Reaktion irritiert mich nur so lange, bis mir klar wird, dass der in sexuellen Dingen wohl überdurchschnittlich erfahrene Kerl jetzt offenbar denkt, ich wäre eine unangetastete Jungfrau. Meine potentielle Unerfahrenheit erschreckt ihn. „Ja, mir wurde noch nie einer geblasen”, konkretisiere ich mein Geständnis verwundert. Behalte ihn konzentriert im Auge. Um seine seltsame Reaktion genau mitzukriegen. Bennington bläst wahrhaftig erleichtert Luft aus. Heilfroh schließt er die Augen. Lächelt zufrieden. Atmet auf. Verstimmt frage ich mich, was der komische Typ denn daran so schlimm fände, wenn ich tatsächlich noch völlig unberührt wäre. Ob mich meine sexuelle Unerfahrenheit in seinen Augen irgendwie herabsetzen würde. Missgelaunt ziehe ich meine Hand von seinem Kopf weg.

Der Sänger aus Phoenix kniet direkt vor dem alten Sessel. Auf dem ich sitze. Er befindet sich genau zwischen meinen geöffneten Beinen. Auf dem harten Linoleum tun ihm wohl langsam die Knie weh. Denn er ändert unbehaglich seine Position. Seine Augen klappen auf. Chester lächelt mich mit einer absurden Mischung aus Erleichterung und Nervosität an. Seine langen Arme schlingen sich rechts und links von ihm besitzergreifend um meine Schenkel. Die Finger kneten unruhig mein Fleisch. „Das war auch für mich das erste Mal, Mike Shinoda”, flüstert er drängend. Ringt nach Luft. Schüttelt sich. Sein schmächtiger Körper zittert angespannt. Chesters Blick aus seinen braunen Augen scheint wie Feuer zu brennen. Dieser besondere Mensch fesselt mich auf eine nie gekannte Weise. Aber ich glaube ihm nicht. Weil es schlicht unmöglich ist, dass der geschickte Kerl bislang noch nie einen Schwanz im Mund hatte. Dafür hat er sich gerade entschieden zu professionell verhalten. Fuck, Chazy Chaz hat mich so unfassbar intensiv zum Höhepunkt geleckt, dass ich es nicht mal kapieren kann. Dass ich kaum damit klarkam, während es passierte. Mit seinen intimen Künsten hat der talentierte Sänger mich restlos überwältigt. Aus diesem Grund steht für mich zweifelsfrei fest, dass der Arizona-Boy schon vorher sehr genau wusste, was er mit meinem Penis anstellen muss, um mich größtmöglich zu beglücken. Der Blowjob bei mir kann unmöglich sein erster gewesen sein. Frage mich verständnislos, warum Chester das Gefühl hat, mir diesen Quatsch erzählen zu müssen. Vielleicht denkt er, das würde mir gefallen, wenn ich sein erster Mann gewesen wäre. Okay, würde es auch. Leider glaube ich ihm kein Wort. Aber obwohl er mich eindeutig anlügt, kann ich dem Süßen nicht böse sein. Möchte mich jetzt auch nicht mit ihm streiten. Dazu fühle ich mich viel zu wohl. Ich bin herrlich erschöpft. Rundweg befriedigt. Mein gesamter Körper kribbelt vor Wohlbehagen. Das hat er mir geschenkt. Chester Bennington.

Lächelnd hebe ich nochmal meine Hand. Streichele ihm die langen Locken hinter die leicht abstehenden Ohren. Sofort reckt er mir liebebedürftig sein hübsches Gesicht entgegen. „Na, für das erste Mal hast du dich aber gar nicht so blöd angestellt, Bennington”, necke ich ihn sarkastisch. „Danke schön, Mikey!” Er lächelt geschmeichelt. Weil er meinen beißenden Spott anscheinend gar nicht wahrnimmt. Etwas lenkt ihn von meinen Worten ab. Verwundert studiere ich ihn. Mir fällt auf, wie unruhig Chester ist. Nervös ändert er nochmal seine Position auf dem harten Fußboden. Offenbar fühlt er sich nicht mehr sehr wohl da unten.

Meine Ahnung wird bestätigt, als er plötzlich beide Hände auf meine Schenkel setzt, um sich mühsam daran hochzustemmen. Ächzend will Chester auf die Beine kommen. Sein Gesicht verzieht sich dabei schmerzerfüllt. „Was ist los, Chaz?” frage ich alarmiert. Beunruhigt von seinen unerwartet gequälten Bemühungen. Es ist seine Prellung, fällt mir im nächsten Moment siedend heiß ein. Sein Bein tut ihm verflucht weh. Weil ich ihn vorhin so brutal geschlagen habe. Weil ich mich nicht besser im Griff hatte. Und meine erschreckend gewaltbereite Faust irgendwie auf seinem dünnen Oberschenkel gelandet ist. Das tut mir unendlich leid. Vor Reue zieht sich alles in mir zusammen. Im spontanen Bemühen, irgendwas wieder gutmachen zu wollen, greife ich hastig nach Chesters wohlgeformtem Körper. Finde keinen richtigen Halt. Packe ihn schließlich am Unterhemd und am Bund seiner Chino, um ihm beim Aufstehen zu helfen. Reiße dabei unabsichtlich am weißen Stoff seiner Unterwäsche. Chester kichert belustigt zwischen großem Schmerz und kindlicher Albernheit. Seine Beine knicken pausenlos ein. Können ihn scheinbar nicht tragen. Er taumelt. Muss sich an mir festhalten, um nicht hinzufallen. Eilig beuge ich mich vor. Komme ihm hastig entgegen, um ihm beizustehen.

„Warte, Chaz! Pass auf! Ich helfe dir!” rufe ich konfus. Verstört von seiner unerwarteten Instabilität. „Nein... warte mal... ist schon gut, Mike... meine Beine sind nur eingeschlafen...”, lacht Chester amüsiert. Aber er tut nur so. Denn sein Gesicht sieht beunruhigend gequält aus. „Du hast Schmerzen, Chaz!” stelle ich besorgt fest. Dränge mich im Sitzen automatisch gegen seinen wundervollen Körper. Fühle sofort die Wärme, die er ausstrahlt. Halte ihn irgendwo fest. Während er sich schwankend auf meine Schultern stützt. „Fuck, meine Knie tun weh”, jammert der Sänger kichernd, „Scheiß harter Fußboden.” Er steht nun direkt vor mir. Verdreht die Augen. Zwinkert mir liebevoll zu. Seine Tapferkeit rührt mich. Ich werde erschlagen von der schlicht unbegreiflichen Tatsache, dass der fremde junge Mann mir meinen unverzeihlichen Faustschlag nicht übelnimmt. Mein Engel erwähnt meine unbegreifliche Brutalität gegen ihn noch nicht mal mehr. Längst hat er mir verziehen. Selig betrachte ich ihn. Erkenne abermals seine magische Anziehungskraft. Möchte mir seinen fantastischen Anblick für immer einprägen. „Chester... oh Mann... Chazy Chaz...”, seufze ich hingerissen. Weil ich von seiner Gutmütigkeit so überwältigt bin. Mir fehlen die Worte, um mich erneut bei ihm zu entschuldigen. Aber das scheint auch gar nicht notwendig zu sein.

Chester stößt in einer Mischung aus Schmerzempfinden, Ungeduld und großem Amüsement ein albernes Jauchzen aus. Blitzschnell beugt er sich zu mir hinab. Packt mich energisch an den Armen. Zieht mich ruckartig aus dem Sessel hoch. Auf so etwas war ich nicht gefasst. Darum kann ich nicht so schnell reagieren. Kann seine plötzliche Entschlossenheit nicht abwehren. Ich bin total verblüfft, wie stark der dünne Typ sein kann, wenn er etwas unbedingt will. Chester schafft es fast mühelos mich aufzurichten. Auf einmal stehen wir beide zwischen Sessel und Sofa. Haltlos schwankend. Dicht aneinander geklammert. Im nächsten Moment zieht der Kerl mich erstaunlich kräftig rückwärts mit sich. Sodass wir beide Richtung Couch fallen. „Nein, Chester! Lass mich los! Was soll das?!” kreische ich erschrocken. Es schockiert mich total, als wir durch seine Schuld das Gleichgewicht verlieren. Ich habe nicht damit gerechnet, dass Chester Bennington seine verblüffend zielstrebige und überaus starke Willens- und Körperkraft gegen mich einsetzt. Mir gar keine Wahl lässt. Keine Möglichkeit, ihm zu entkommen. Der neue Patient hat genau das hier beabsichtigt. Jäh lässt der Verrückte sich schräg nach hinten auf das Sofa fallen. Lacht auch noch dabei. „Chester! Pass doch auf!” schreie ich verwirrt. Erschrocken greife ich sein Unterhemd noch fester. Mein Reflex hält ihn fest. Damit er sich beim Sturz nicht verletzt. Aber der bekloppte Kerl hat mich schon an den Schulterblättern gepackt. Zieht mich einfach mit sich. Lässt mir keine Chance zur Gegenwehr. Keine Zeit. Das geht alles viel zu schnell für wirksame Gegenmaßnahmen.

Nur zwei Sekunden später knallt der dumme Patient rücklings auf das spürbar durchgesessene Sofa. Die ausgeleierten Sprungfedern können seinen Aufprall kaum abfangen. Unwillkürlich stöhnt er schmerzerfüllt auf. Als sein Leib auf das harte Polster trifft. Im nächsten Moment lande ich ziemlich heftig auf Chesters schmächtigem Körper. Obwohl ich das wirklich will, kann ich es nicht verhindern. Ich stelle fest, dass meine Reflexe frustrierend langsam sind. Mein Gewicht presst dem armen Kerl abrupt die Luft aus den Lungen. Chester ächzt erdrückt. Ringt instinktiv nach Atem. Schockiert stütze ich mich hastig mit dem Ellbogen links neben ihm auf dem Polster ab. „Chester, verdammt!” knurre ich verärgert. Will mich panisch sofort wieder aufrichten. So schnell wie möglich von ihm herunterkriechen. Um ihn nicht länger zu erdrücken. Aber der verrückte Patient hält mich fest. Fixiert mich und schüttelt den Kopf. Bennington hat gerade keine Luft zum Sprechen. Aber der Besondere sieht mich so dermaßen flehend an, dass ich wie ferngelenkt auf ihm liegenbleibe. Er lässt keinen Zweifel, dass er das dringend so will. Auch wenn ich seinen Wunsch nicht verstehe. Chester möchte gerne unter mir auf dem Sofa liegen. Vielleicht wollte er das schon die ganze Zeit. Womöglich hat er nur auf den passenden Moment gewartet.

Verwirrt schaue ich auf ihn hinunter. Der talentierte Sänger liegt jetzt auf ganzer Länge unter mir. Er ringt nach Luft. Sein dünner Körper zittert angespannt. „Fuck... Mikey... scheiß hartes Sofa... verdammt...”, stöhnt Chester atemlos zwischen Schmerz und Belustigung. Lacht tatsächlich amüsiert. Hört sich dabei glücklich an. Mir ist schon klar, warum er so zufrieden ist. Seine rätselhafte Aktion ist ihm gelungen. Vor einer Minute saß ich noch ahnungslos auf dem Sessel. Gefangen in meiner wohligen Entspannung. Nach dem fantastisch gewaltigen Orgasmus. Im nächsten Moment hat Chester mich plötzlich mitgerissen. Der hinterhältige Typ hat mich total überrumpelt. Ich verstehe gar nicht, was das bedeuten soll. Was genau er eigentlich von mir will. Warum er mich nicht einfach gefragt hat, ob ich mit ihm auf dem Sofa liegen will. Das wäre doch viel leichter gewesen. Aber Chester hat lieber diesen fraglos heftigen Schmerz des Aufpralls auf sich genommen. Das unkalkulierbare Risiko, sich richtig doll wehzutun.

Dicht übereinander liegen wir ausgestreckt auf dem alten Möbelstück. Schauen uns intensiv an. Forschen im Gesicht des anderen nach einer Reaktion, einer Erklärung. Chesters braune Augen hinter den Gläsern fesseln mich. Verschlingen mich in ihrer faszinierend rätselhaften Tiefgründigkeit. Es ist ganz still in der Bibliothek. Während wir uns aufmerksam ansehen. Wir atmen nur. Bewegen uns gar nicht. Chesters schlanker Körper strahlt eine angenehme Hitze aus. Je länger ich auf ihm liege, umso wohler fühle ich mich. Automatisch. Ich genieße seine unmittelbare Nähe unendlich. Registriere ihn deutlicher mit der Zeit. Erfasse jeden sehnigen Zentimeter von meinem zauberhaften Mann. Fühle jeden seiner tiefen Atemzüge. Kann seinen schnellen, kräftigen Herzschlag an meiner Brust spüren. Bin unweigerlich gebannt. Nehme ihn noch intensiver wahr. Seine starken Muskeln zittern in ihrer Anspannung. Der Kerl bebt unter mir. Fasziniert studiere ich ihn. Chester Bennington ist unfassbar wunderschön. Dieses feine Gesicht. Der attraktive Körper. Von diesem Menschen kann ich nicht genug kriegen. Er ist verflucht wichtig für mich. Kann ihm gar nicht nah genug sein. Möchte ihn immer in meiner Nähe haben. Nichts anderes macht mich mehr lebendig. Chester darf mich nie verlassen.

„Du spinnst total, Chaz, dich einfach rückwärts fallenzulassen. Dabei hättest du dich ernsthaft verletzen können”, muss ich ihm besorgt vorwerfen, „Du hättest dir wehtun können.” Chester lacht. Er will etwas erwidern, ringt aber nur nach Luft. Weil ich zu schwer auf seiner Lunge liege. Erschrocken ändere ich meine Position ein wenig, stütze mich mehr ab, damit er besser atmen kann. Sofort nimmt er einen tiefen Atemzug. Seine Augen blitzen amüsiert in der langsam einsetzenden Dämmerung. „Das ist nett, Mikey. Aber es kommt zu spät. Ich hab mir nämlich schon wehgetan. Das kannst du mir echt glauben”, gesteht Chester seufzend. Der Dummkopf verzieht geplagt das Gesicht. Stöhnend bewegt er seine linke Hand über die Seite seiner Hüfte. Wenn er könnte, dann würde er sich wahrscheinlich eher seinen Hintern reiben. Auf dem er beim Sturz eindeutig viel zu hart gelandet ist. Oder seinen Rücken. Aber mein Gewicht liegt schwer auf ihm. Drückt seinen perfekten Körper tief in das abgewetzte Polster hinein. Unsere Hüften liegen direkt aufeinander, sodass ich deutlich seine harte Erektion spüre. Chester ist unvermindert erregt. Irgendwie macht mich das glücklich. Weiß auch nicht warum.

„Ich habe nicht daran gedacht, wie durchgesessen das blöde Sofa ist”, kichert Chester hilflos, „Bin voll auf die harten Bretter unter den Federn geknallt.” Seine Augen verdrehen sich auf diese neckende, niedliche Art. „Du bist so ein Spinner”, lache ich gerührt, „Warum hast du das nur gemacht, Chaz?” Interessiert warte ich auf seine Antwort. Streichele ihm mit beiden Händen zärtlich die wilden Haare aus dem Gesicht. Chesters Arme heben sich. Behutsam legt er sie um meinen breiten Rücken. Als wollte er sich an mir festhalten. „Weil ich mit dir auf dem Sofa liegen will, Mike Shinoda”, flüstert er. Seine schöne Stimme klingt beinahe ängstlich. Ergeben erwartet er meine Reaktion. Vor Zuneigung wird mir ganz warm. Ich kann nicht anders, als ihn auf seine hohe Stirn zu küssen. Meine Finger streicheln sanft seine Schläfen, kämmen fasziniert durch seine Dreads. „Du meinst wohl, du willst unter mir auf dem Sofa liegen, Chester Bennington”, necke ich ihn. Unwillkürlich bewege ich mich. Drücke meine Hüfte gegen seine. Augenblicklich entweicht ihm ein unterdrücktes Stöhnen. Sein schlanker Leib erzittert. Zweifelsohne gefällt es ihm enorm, wenn ich auf diese Art seinen Schwanz stimuliere. Er ist noch nicht gekommen, wird mir erst in diesem Moment bewusst. Chester hat mir völlig uneigennützig einen geblasen. Und jetzt steht er da mit seiner Erregung. Im wahrsten Sinne des Wortes. Bei diesen Gedanken muss ich ein wenig schadenfroh lachen. Obwohl das gemein von mir ist.

„Hey, Chaz, du hättest mich doch einfach fragen können, ob ich mich mit dir auf das Sofa lege”, weise ich ihn spöttisch hin. Er schüttelt den Kopf. „Nein, du hättest nein sagen können”, wendet er scheu ein. Würgt meine verständnislose Erwiderung ab, indem er schnell weiterspricht, „Und ich wollte das unbedingt, Mike. Ich wollte das schon, seit ich aufgewacht bin und dich plötzlich auf dem Sessel sitzen sah.” Chester meint es ernst. Und ich fühle mich geschmeichelt davon, dass der Typ mich von Anfang an so sehr gewollt hat. Meine Zärtlichkeit wird intensiver. Meine Finger streicheln seine hohen Wangenknochen. Sein stoppeliges Kinn. Küsse nochmal seine wunderschöne Stirn. Seine formvollendete Nase. „Ich hätte nicht nein gesagt, Chaz”, versichere ich ihm ehrlich. Er lächelt schüchtern. „Das Risiko war mir zu groß, Mikey”, gesteht er leise. „Ich weiß nie, was in deinem Kopf vorgeht, Shinoda”, setzt er nachdenklich hinzu. „Ach, Chester”, seufze ich spontan, „Das weiß ich noch nicht mal selbst.” Der Tätowierte sieht mich verdutzt an. Lacht keuchend. Windet sich beengt unter mir.

Im nächsten Moment reckt Chaz sich in einer überraschend schnellen Bewegung zu mir hoch. Seine Lippen treffen mich gewollt hart. Seine Zunge drängt zielstrebig zwischen meine Lippen. Als wir uns küssen, erzittert sein Körper in einem neuen Schauder. Der Sänger umfasst energisch meinen Schädel. Drückt mich konsequent mit sich herunter. Bis sein Hinterkopf wieder auf der harten Sitzfläche des Sofas liegt. Bennington küsst mich gierig. Absolut verlangend. Seine Finger streichen wild durch mein gestyltes Haar. Über meinen empfindlichen Nacken. Der entflammte Typ windet sich frivol unter mir. Und ich habe keine Chance zur Gegenwehr. Unwillkürlich beginnt mein Herz kräftiger zu schlagen. Mein Puls und meine Atmung beschleunigen sich von allein. Von Chesters lichterloh brennenden Leidenschaft werde ich komplett mitgerissen. Insgeheim beunruhigt es mich, wie kinderleicht er mich übermannt. Mit all seiner erstaunlich starken Energie zeigt der junge Mann mir, wie sehr er mich will.

Eine Weile küssen wir uns ziemlich energisch. Unsere Zungen spielen wild miteinander. Umkreisen sich lauernd. Zarte Lippen werden eingesaugt. Abgeleckt. Als wollten wir uns gegenseitig verzehren. Ich kann nicht genug von ihm kriegen. Chester Bennington schmeckt so sehr nach meinem eigenen Sperma, dass ich davon total angemacht werde. Pausenlos habe ich das geile Bild vor Augen. Wie zärtlich er mich geblasen hat. Wie seine Lippen sich um meinen Schwanz schlossen. Seine Zunge mich liebkoste. Chaz schmeckt so intensiv, dass ich es gar nicht fassen kann, wie sehr mich das antörnt. Das habe ich noch nie erlebt. Hätte es nie erwartet. Sein Geschmack ist die pure Geilheit. Mein Herz hämmert schnell. Inmitten der gierigen Küsse ringe ich nach Luft. Mein Schwanz reagiert ein bisschen. Was mich angesichts der Tatsache, dass ich gerade erst ziemlich heftig in Chesters Mund gekommen bin, ehrlich verblüfft. Der Sänger schlingt seine tollen, langen Beine besitzergreifend um mich. Seine Arme umfassen mich. Die Finger fahren hektisch an meiner Wirbelsäule entlang. Schieben unten mein T-Shirt hoch. Gelangen auf meine nackte Haut. Er stöhnt und streichelt mich hastig. Ich kann genau spüren, wie kraftvoll sein Herz hämmert. Sein knochiger Brustkorb bewegt sich schnell in tiefen Atemzügen. Der sexuell erregte Kerl schnappt nach Luft. Unbewusst gibt er extrem geile Geräusche von sich. Die mir unweigerlich heiß durch den Körper toben. Um sich autonom in meinem Unterleib zu fokussieren.

Trotzdem liege ich relativ ruhig auf ihm. Habe mit beiden Händen seinen Kopf umfasst. Streiche zärtlich durch sein langes Haar. Hingerissen von seiner Schönheit, küsse ich den Engel immerzu. Nehme ihn so deutlich wahr wie noch nie. Seinen gesamten, aufgeputscht erzitternden Leib genieße ich so drastisch, dass es mich völlig baff überwältigt. „Mike...”, seufzt Chester verzückt, „Shi-no-da.” Der Mann stößt und reibt stürmisch seinen harten Schwanz gegen mich. Ächzt dabei genussvoll. Windet sich wollüstig unter mir. Chazy Chaz verliert spürbar die Kontrolle über sich. Und ich bin davon restlos begeistert. Seine bedingungslose Hemmungslosigkeit fasziniert mich. Er küsst mich heftiger. Mit rasend schnell wachsender Begierde. Dabei bewegt er sich so zügellos unkontrolliert gegen mein Gesicht, dass ihm die Brille hart von der Nase rutscht. „Fuck... Mike... warte kurz...”, stöhnt Chester genervt. In einer heftigen, ungeduldigen Bewegung reißt er sich die Brille herunter. Schleudert sie völlig achtlos weg. Irgendwo über seinem Kopf landet das schwarze Gestell zum Glück auf dem Sofa.

Diese kurze Unterbrechung reicht mir, um meine eigenen Gedanken zu ordnen. Meine betäubten Sinne kehren jäh alarmiert zurück. Mein Blick streift nervös die großen Fenster. Hinter denen die Sonne inzwischen nur noch als dunkelroter, tief am Himmel stehender Feuerball scheint. Mist, es ist schon Abend geworden, denke ich schlagartig ernüchtert. Bald wird jemand vom Personal nach uns suchen. Sicher kommt jeden Moment Ulrich in die Bibliothek, um nach Chester zu sehen, erwarte ich abrupt extrem gestresst. Der Pfleger wird den Patienten zum Abendessen abholen. Um dafür zu sorgen, dass sein schwieriger Schutzbefohlener etwas isst. Wir sind in diesem Zimmer schon viel zu lange allein, das kann nicht noch länger gut gehen, rasen die Gedanken aufgescheucht in meinem Kopf herum. Vor Unbehagen verkrampfen sich meine Innereien. Die Erwartung der nahenden Katastrophe tötet gnadenlos jedes Gefühl der sexuellen Erregung in mir. Ich will nicht, dass uns irgendwer so sieht. Uns in unserer intimen, peinlichen Lage überrascht. In dieser überaus innigen Umarmung. Die stark erhitzten Körper total ineinander verschlungen. Chester Bennington und Mike Shinoda. Dicht übereinander auf dem Sofa liegend. Sich gegenseitig kopflos aufgeilend. Verdammt! Noch entlarvender geht es ja fast gar nicht mehr.

Außer, wenn wir nackt wären vielleicht. Der Gedanke verwirrt mich. Die konkrete Vorstellung löst irgendwas in mir aus. Was ich nicht sofort verstehe. Erst nach drei konfusen Sekunden dämmert mir, dass das Bild mir so dermaßen gut gefällt, mich unerwartet so stark sexuell erregt, dass ich sofort in Panik gerate. Obwohl Chester und ich gegenwärtig nicht unbekleidet sind, bleibt meine Angst bestehen. Das muss ich unbedingt verhindern, dass uns irgendwer so zu sehen bekommt. Das würde doch sofort der neueste Skandal in der ganzen verfluchten Psychiatrie werden. Die lästernden Mäuler würden nicht mehr stillstehen. Panisch blicke ich mich in der Bibliothek um. Die vielen hohen Regale. Unzählbare Bücher. Die Tür kann ich von hier aus nicht sehen. Plötzlich weiß ich jedoch mit schockierender Gewissheit, dass sie jeden Moment aufgehen wird. Mir ist gar nicht so schnell klar, was ich jetzt machen soll. Fühle mich nur blitzartig extrem bedroht. Liege noch immer auf meinem verführerischen Mann. Liebe ihn so sehr. Spüre ihn so erstaunlich intensiv. Dass mir davon ganz schwindelig wird.

Konfus sehe ich ihn an. Schaue hilflos auf ihn hinunter. Von meinen panischen Gedanken ahnt Chester nichts. Dem Unbedarften ist scheinbar nicht mal bewusst, wie gefährlich die Situation ist, in der wir uns momentan befinden. Seine braunen Augen glänzen lustvoll in der Dämmerung. Sein Mund steht ein Stückchen offen. Weil er so besser atmen kann. Zwischen den verlockenden Lippen blitzen seine weißen Zähne hervor. „Mein Mikey...”, seufzt er hingerissen, „Mike Shi-no-da.” Sein magisches Lächeln ist voll mit unverhüllter Hingabe zu mir. Die ich echt nicht begreifen kann. Ohne seine schwarze Brille sieht der talentierte Sänger viel jünger aus. Beinahe schon kindlich. Sein Gesicht ist so zart. Sehr weiblich. Mit weichen Konturen. Enorm fein geschnitten. Einfach wunderschön. Seine brünetten Dreadlocks sind um seinen Kopf herum auf dem Sofa ausgebreitet. Chester ist so bedingungslos in seinen sexuellen Gefühlen versunken, dass er meinen jähen Stimmungsumschwung nicht bemerkt. Der Mann ist hemmungslos geil. Zu stark auf sich selbst fixiert. Unverzüglich will er mich weiter gierig küssen. Ruhelos drängt er sich gegen mich. Mit Leib und Seele heftig verlangend.

Aber obwohl ich es ehrlich liebend gerne würde, kann ich jetzt nicht einfach so weitermachen, als wäre gar nichts passiert. Meine schlagartig aufgekommene Panik davor, dass jeden Augenblick die Tür aufgeht und irgendjemand uns hier findet, ist entschieden zu groß. Mühevoll und innerlich sehr viel stärker bedauernd, als ich mir selbst eingestehen will, weiche ich Chesters heißblütigen Lippen aus. Taxiere ihn warnend. Schüttele leicht den Kopf. Zuerst kapiert der hellauf entflammte Kerl meine plötzliche Weigerung ihn zu küssen gar nicht. Mein Empfinden unserer derzeitigen Situation hat sich so dermaßen abrupt verändert, dass er meine entgegengesetzten Handlungen so schnell nicht verstehen kann. Verwirrt vermutet er, dass ich nur mit ihm spielen will. Chester denkt wahrhaftig, ich würde mich ihm lediglich aus mädchenhafter Scheu oder kindischem Übermut entziehen. Für ihn hat sich nichts geändert. Im Gegenteil. Ohne seine Brille will er erst richtig loslegen.

„Mikey... was machst du denn...?” seufzt er fragend, tatsächlich ahnungslos. Hilflos kichernd versucht er hartnäckig, meine Lippen mit seinen einzufangen. Seine Hände drücken sich gegen mein Kreuz, um sich daran hochzuziehen. Er will mich festhalten. Will mich für sich einnehmen. Im Liegen strengt Bennington sich richtig an. Der Mann hebt seinen Kopf weit hoch. Spitzt die irritiert lachenden Lippen. Folgt erstaunlich kraftvoll meinen ständig zurückweichenden Bewegungen. Ich spüre die geschmeidigen Kontraktionen seiner geilen Bauchmuskeln. Davon bin ich ungewollt beeindruckt. Das erregt mich. Wie dringend der Typ mich küssen will. Wie enorm scharf er auf mich ist. Das schmeichelt mir. Chesters auf mich fixierte Begierde kann ich gar nicht verarbeiten. Will ihn dringend küssen. Darf es aber nicht mehr. Meine Vernunft spricht dagegen. Schaffe es kaum noch ihm auszuweichen.

„Ach, Mike... komm schon, ey... bitte nicht... hör nicht auf, Mikey... küss mich... ja?” Seine atemlose Stimme wird ungeduldig. Unser vermeintliches Spiel macht ihm keinen Spaß. Vielleicht spürt er auch irgendwie, dass etwas nicht stimmt. Chester weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll. Also lacht er. Fixiert mich aber flehend. Sein schlanker, vor Aufregung glühender Körper windet sich begehrlich unter mir. Alle seine angespannten Muskeln zucken. Der Typ zittert an sämtlichen Gliedmaßen. Sein Herz pocht hart und schnell in seiner Brust. Mittlerweile schwitzt er unter mir. Zwischen dem Lachen zieht er hektisch ringend Luft ein. Auf der instinktiven Suche nach mehr Stimulation, nach letztendlicher Befriedigung, bäumt sein animalischer Leib sich mir unkontrolliert entgegen. Er reibt seine empfindsame Erektion an mir. Was ihn unweigerlich stöhnen lässt. „Mike! Bitte, Mann... komm schon, Shinoda... küss mich doch... bitte...”, drängt er verzweifelt. Der Sänger kann meine jähe Verweigerung nicht akzeptieren. Seine Finger bohren sich härter in meine Schultern. Vielleicht dämmert ihm langsam, dass dies hier eigentlich kein Spiel ist. Dass ich es ernst meine damit, nicht weitermachen zu wollen. Das gefällt ihm nicht. Sein Lachen wird ein ungestümes Schnaufen. Ich glaube, Chester ist kurz davor, meinen Kopf zu packen. Um ihn gewaltsam für sich festzuhalten. Damit er mich endlich weiter küssen kann. Der aufgeregte Patient will mich zum Küssen zwingen. Er will sich sexuell motiviert noch sehr viel intensiver mit mir auf dem Sofa wälzen. Chester giert nach seinem Höhepunkt. Das merke ich ihm an. Sein Gebaren spricht eine deutliche Sprache. Allein sein wilder Blick verrät es mir eindeutig.

Und verdammt, es ist fantastisch mit ihm. Schöner, als es je gewesen ist. Nur zu gerne würde ich weitermachen. Ich gönne ihm seinen Orgasmus. Zumal er ja mir schon einen geschenkt hat. Aber es geht trotzdem nicht. Nicht jetzt. Ich kann das einfach nicht. Meine Panik vor Entdeckung ist entschieden zu groß. Das Risiko steigt. Die Zeit arbeitet gegen uns. Unermüdlich drehe ich meinen Kopf weg. Weiche ihm mühsam aus. Anstatt mit ihm zu sprechen, hoffe ich nur, dass er es irgendwann von allein versteht. Keine Ahnung, warum ich schon wieder so feige bin. Warum mir diese Worte einfach nicht über die Lippen wollen. Mit meinem sinnlosen Theater erreiche ich nur, dass Chester noch nervöser wird. Der verwirrte Mann versteht nicht, was ich von ihm will. Es ist ihm ein Rätsel, warum ich mich plötzlich so abweisend verhalte. Bennington kann meine unerwartete Verweigerung nicht einordnen. Der Kerl mit den Dreadlocks stöhnt ungeduldig. Stets unbehaglicher. Ziemlich schnell verwandelt sich sein Stöhnen immer deutlicher in ein genervtes Knurren. Alarmiert wird mir bewusst, dass ich ihm jetzt endlich die Wahrheit sagen muss. Mike Shinoda darf nicht noch länger auf diese unfaire Art mit Chester Bennington spielen. Mein Engel kann schließlich keine Gedanken lesen. Ich darf nicht weiterhin so ein fieser Feigling sein.

Kurzentschlossen nehme ich meinen ganzen Mut zusammen. „Chester, nicht! Lass das jetzt! Hör auf!” bitte ich ihn schließlich vorsichtig. Meine Stimme ist leise. Sie zittert. Ich fürchte wahrhaftig seinen Zorn. Mir ist klar, dass mein mächtig aufgegeilter Mann über den plötzlichen Abbruch unserer Intimitäten nicht begeistert sein wird. Mit klopfendem Herzen warte ich auf seine Reaktion. Die ich nicht einschätzen kann. Behalte ihn konzentriert im Auge. Um alles richtig mitzukriegen, was er macht. Ich habe viel mehr Angst davor, als ich mir eingestehen will, dass der unberechenbare Patient womöglich einen seiner höchst aggressiven Wutanfälle kriegt. Dass er eventuell sogar gewalttätig auf mich losgeht. So wie vor zwei Tagen beim Frühstück. Als er mir grundlos sein volles Tablett entgegen geschleudert hat. Nun hat er allerdings einen verständlichen Grund, um wütend auf mich zu werden. Verspannt liege ich auf ihm. Schaue ihn an. Bewege mich nicht.

Trotz meiner zaghaften Stimme hat Chester mich genau verstanden. Sichtbar verstört zuckt er zusammen. Augenblicklich stoppt er alle willkürlichen Bewegungen. Der junge Mann erstarrt unter mir. Im ersten Moment schockiert. Sein erhitzter, unterdessen verschwitzter Körper wird stocksteif. Nur seine Muskeln erzittern vegetativ. Sein Herz hämmert unverdrossen weiter. Der Sänger aus Phoenix reißt völlig verständnislos die Augen auf. Holt tief Luft. Hält sie an. Ungläubig taxiert er mich. Sein dunkler Blick ist ein tosender Wirbelsturm. Der mich zu verschlingen droht. Instinktiv möchte ich ihm ausweichen. Mich ihm irgendwie entziehen. Mich vor dem gefährlichen Tornado in Sicherheit bringen. So schnell wie möglich. Aber Chester hat mich gefesselt. Hält mich felsenfest. Ich bin zu keiner Regung fähig. Plötzlich ist es totenstill in der Bibliothek. Die bleierne, extrem bedrohliche Stille fühlt sich an wie Ewigkeiten. In Wahrheit sind es wohl nur ein paar Sekunden. Chester bläst langsam Luft aus. Atmet schwer. Gestresst erwarte ich seine Antwort. Mein Engel gibt sie mir anders, als ich hätte ahnen können.

Meine Bitte aufzuhören entringt ihm nach den erstarrten Schrecksekunden ein mega frustriertes Fauchen. Damit habe ich nicht gerechnet. Das Geräusch kommt so tief aus seiner Kehle, scheinbar direkt aus seiner Seele, dass es mich total schockiert. Unwillkürlich will ich seitlich von ihm herunterrutschen. Aber der Kerl hält mich fest. Er hat noch immer die langen Arme um meinen Rücken gelegt. Die Beine um mich geschlungen. Seine Finger bohren sich fast schmerzhaft in meine Schultern. „Mike... nein!” knurrt Chester Bennington warnend, „Shinoda... nicht!” Im nächsten Augenblick beißt er sich nervös in die schmalen Lippen. Starrt mich beschwörend an. Sein stummes Flehen, jetzt auf keinen Fall aufzuhören, geht mir verflucht tief rein. Der neue Patient ist extrem gestresst. Sein schlanker Körper bebt unvermindert. Chester vibriert an sämtlichen Nervenenden.

Während ich ihn eingehend betrachte, tut der arme Kerl mir plötzlich leid. In seiner spürbar fortgeschrittenen Erregung ist er seinem eigenen Körper hilflos ausgeliefert. Ich kann mir gut vorstellen, wie unangenehm diese Lage für ihn sein muss. Habe das ja selbst schon erlebt. Wenn man im Zustand höchster Geilheit nicht abspritzen darf. Das ist echt quälend. Kann sogar richtig schmerzhaft werden. Meine voreilige Angst vor Chesters potentieller Aggressivität verflüchtigt sich. Stattdessen erblüht meine Zuneigung zu ihm. Liebevoll streiche ich ihm über den runden Schädel. Sanft durch sein langes, weiches Haar. Mein Mann sieht gar nicht so wütend aus, wie er sich gerade angehört hat. Eher wirkt er verzweifelt. Kleine Schweißtropfen haben sich auf seiner Nase und seiner hohen Stirn gebildet. Im Laufe unserer wilden Knutscherei ist ihm direkt unter meinem Körper sehr heiß geworden. Ich fühle mich selbst erhitzt. Definitiv bin ich durch Chester erregt worden. Sogar stärker, als ich wahrhaben will. Aber trotzdem habe ich mich noch vollständig unter Kontrolle.

„Du, Chaz... hör mal...”, flüstere ich vorsichtig. Liebevoll beuge ich mich zu ihm hinab. Bis dicht an sein Ohr. Chester verkrampft sich spürbar unter mir. Widerwillig. In dunkler Vorahnung. Als wollte er das, was ich ihm sagen will, auf keinen Fall hören. Sein schlanker Körper liegt jetzt relativ ruhig auf der Couch. Unter meinem Gewicht spüre ich ihn deutlich. Der Sänger holt schwerfällig Luft. Hinter seinen knochigen Rippen rast unvermindert sein Herz. „Soll ich dir schnell einen runterholen?” frage ich ihn sanft. Vertraulich. Voller Verständnis. In der allerbesten Absicht. Noch nie habe ich einem anderen Mann einen runtergeholt. Stelle mir das jedoch nicht allzu schwer vor. Die Aussicht, es für Chester Bennington zu tun, reizt mich enorm. Allein die konkrete Vorstellung, meinen geilen Mann bis zum Orgasmus zu wichsen, ist total aufregend. Insgeheim habe ich in den letzten zwei Tagen schon mal davon fantasiert. Allein. Nachts. In meinem Bett. Aber jetzt, wo ich ihn wahrhaftig danach gefragt habe und meinen spontanen Mut selbst nicht fassen kann, reagiert der Kerl ganz anders, als ich es mir wünschen würde. Seine Reaktion ist nicht mal annähernd so, wie ich es mir in meinen geilen Fantasien erträumt habe. Der unbekannte Sänger aus Phoenix ist kein bisschen erfreut über mein gut gemeintes Angebot. Mein teilnahmsvolles Mitgefühl weckt keine Dankbarkeit in ihm. Im Gegenteil. Seine schönen Augen verengen sich zu wütenden Schlitzen.

„Was? Du willst mir schnell einen runterholen?” wiederholt er entgeistert. Sein Körper versteift sich ablehnend noch mehr. Alle seine Muskeln werden ganz hart. Augenblicklich spüre ich das. Und es irritiert mich enorm. „Nein... Chester... das hat sich jetzt blöd angehört...”, will ich hastig einen Fehler wieder ausbügeln, den ich in Wahrheit gar nicht verstehe. Ich weiß nicht, was an meinem fürsorglichen Angebot ihn spürbar so stark entsetzt. Habe keinen Schimmer davon, was der fremde Typ von mir erwartet. Oder was in seinem unergründlichen Schädel vor sich geht. Chester Bennington schüttelt sich unbehaglich. Verzieht fassungslos das Gesicht. Weicht widerstrebend meinem Blick aus. Mein Mann wirkt tatsächlich abgestoßen. Er scheint Abscheu für mich zu empfinden. Das kränkt mich enorm. Als wäre ich ihm plötzlich zu schwer geworden, schiebt er mich angewidert von sich weg. Seine Hände stemmen sich von unten gegen meine Schultern. „Geh runter, Mike! Geh schon!” schnauft er ungeduldig. Obwohl er mich damit heftig vor den Kopf stößt, gehorche ich ihm sofort. Bedachtsam rutsche ich seitlich von ihm herunter. Lege mich dicht neben ihn und die Rückenlehne auf die unbequeme Sitzfläche des Sofas.

Zu meinem Schrecken bewegt Chester sich überstürzt von mir weg. Der Typ richtet sich auf. Schiebt sich hastig von der Couch herunter. Ohne mich anzusehen. Eilig will er aufstehen. Dreht sich um. Stellt seine Füße schnell auf den Boden vor dem Möbelstück. Offensichtlich will mein Engel mich verlassen. Wortlos. Das macht mir plötzlich eine Heidenangst. Wenn er jetzt geht, dann sehe ich ihn nie wieder, stechen die schockierten Gedanken abrupt auf meine Seele ein. Unbedingt muss ich ihn festhalten. Will diesen Menschen bei mir behalten. Hektisch richte ich mich auf dem Sofa auf. Greife panisch nach ihm. Bekomme ihn am Unterhemd zu fassen. Halte ihn daran fest. „Nein, warte doch! Wo willst du denn hin?” rufe ich verzweifelt. Ich verstehe gar nicht, was los ist. Warum er auf einmal vor mir flüchten will. Das kapiere ich nicht. Ich weiß nicht, was ihn so sehr abgestoßen hat, dass er unbedingt gehen muss. Chester wehrt mich verärgert ab. Knurrt widerspenstig. Weicht meinem fragenden Blick aus. Der Kerl ist genervt. Kräftig zerrt er an seinem Hemd, um sich zu befreien. Der weiße Stoff reißt beinahe. So energisch zieht Chaz in die entgegengesetzte Richtung. „Lass mich los, Mike!” verlangt er warnend. Aber das kann ich nicht. Kann meinen Engel jetzt nicht loslassen. Unmöglich. Geht auf keinen Fall. Ich darf ihn nicht gehenlassen. Nicht so. Nicht, bevor ich weiß, was eigentlich passiert ist.

Chester Bennington ist wild entschlossen. Und schon fast aufgestanden. Sein schmächtiger Körper schwankt auf unsicheren Beinen. Wütend zerrt er an seinem Unterhemd. Sodass die feine Baumwolle um ein Haar zerreißt. Hastig erhebe ich mich weiter auf dem Sofa. Rutsche auf den Knien über das harte Polster. Blitzschnell zu ihm hin. Er dreht mir den Rücken zu. Strebt unbeirrt aus meiner Reichweite. Unschlüssig, wo ich den Mann am besten packen kann, greife ich spontan nach dem Bund seiner Chino. Hake meine Finger da hinten bei ihm rein. Zerre ihn an der Hose heftig zurück. Weil ich den Menschen dringend aufhalten muss. Weil er schlicht nicht gehen darf. Chester gerät durch mein energisches Ziehen ins Ungleichgewicht. „Verdammt, Mike! Lass mich sofort los!” wiederholt er drohend. Aber ich höre nicht auf ihn. Gehorche ihm nicht. Im Gegenteil. Zerre ihn auf dem Sofa kniend gewaltsam zu mir hin. Chester stolpert rückwärts auf mich zu. Sobald er in meiner Reichweite ist, umschlinge ich mit den Armen von hinten panisch seinen Körper. Lege meine Hände auf seine Brust. Auf seinen Bauch. Halte den Engel felsenfest. Als würde mein Leben davon abhängen. Mein Gesicht legt sich auf seinen Rücken. Sofort spüre ich die Hitze seines Körpers. Sein weiches, nassgeschwitztes Unterhemd an meiner Wange. Atme tief seinen betörenden Duft in mich ein. Diese Aktion hat höchstens eine Minute gedauert. Aber jetzt bin ich plötzlich euphorisch. Weil es mir gelungen ist ihn aufzuhalten. Weil ich schnell genug reagiert habe. Geistesgegenwärtig war. Weil ich doch gute Reflexe haben kann. Wenn es darauf ankommt. Nie wieder werde ich ihn loslassen. Verwirrt schwanke ich zwischen Seligkeit und unverminderter Panik, den Sänger aus Phoenix zu verlieren.

„Nein, Chaz. Du darfst nicht gehen. Du kannst jetzt nicht einfach so abhauen”, krächze ich flehend. Ich kann nur seine Rückseite sehen. Er steht unruhig dicht vor mir. Am Rand des Sofas. Kniend halte ich seinen schlanken Körper umfasst. Ich spüre, wie heftig er atmet. Höre mit meinem Ohr an seinem Rücken seinen schnell pochenden Herzschlag. Sein erhitzter Körper zittert angespannt. „Du musst hierbleiben, musst bei mir bleiben, Chester Bennington”, verlange ich kläglich. Obwohl er es unermüdlich versucht, gelingt es ihm nicht, sich von mir zu befreien. Halte ihn hartnäckig umklammert. Gebe trotz seiner aggressiven Gegenwehr nicht nach. Der zornige Typ stöhnt gestresst. Chester ist total genervt. „Ich muss überhaupt nichts, Mike”, zischt er aufgebracht. Das tut mir weh. Ich verstehe nicht, warum er so wütend auf mich ist. Es macht mich verrückt, dass der sture Arsch nicht mit mir redet. Mir nicht erklären will, was eigentlich passiert ist. Ich habe keine Ahnung, was in ihm vorgeht.

Noch immer versucht er, sich von mir zu lösen. Zwar scheinen seine Kräfte nachzulassen. Aber ich habe große Angst, dass ihm das plötzlich gelingen könnte. Ich fürchte, dass Chester sich vielleicht auf einmal von mir losreißt. Und dann einfach abhaut. Mich allein in der bekloppten Bibliothek zurücklässt. Unwissend. Völlig ratlos. Der Gedanke gefällt mir nicht. Ich mag es nicht, wie abweisend Bennington mich behandelt. Als hätte ich ihm etwas Schlimmes angetan. Dabei bin ich mir keiner Schuld bewusst. In dieser instabilen Position kann ich ihn nicht ewig festhalten. Meine Knie auf dem Sofa bieten mir nicht genug Stabilität. Ich brauche einen neuen Plan. Kurzerhand erhebe ich mich. Schiebe meine Beine von der Couch. Stehe sorgsam auf. Ohne den Mann dabei freizugeben. Mache mich innerlich bereit. Fokussiere meine Kräfte darauf, ihn gewaltsam zurück auf das Sofa zu holen. Meine Arme haben unverändert seine Brust und seinen Bauch umschlungen. Ziehe ihn ruckartig mit mir nach hinten. Seine Finger bohren sich abrupt tief in mein Fleisch. „Mike, was soll das?! Shit! Was machst du denn?! Fuck!” flucht Chester verwirrt. Er ist angepisst. Mein Vorhaben behagt ihm nicht. Er kann sich meiner Entschlossenheit aber nicht widersetzen. Obwohl der Sänger es kräftig versucht. Unermüdlich will er meine Arme von seinem Körper reißen. Will sich aus meinem Klammergriff herauswinden. Wir kämpfen miteinander. Wobei ich zum Glück die besseren Karten habe. Mein Mann ist zum Rangeln zu erregt. Erschöpft. Irritiert vielleicht. Aufgebracht. Abgelenkt. Keine Ahnung.

Überraschend schnell gelingt es mir, seinen zornig gewaltbereiten Körper unfreiwillig zurück auf das Sofa zu befördern. Ziehe meinen Mann gnadenlos mit. Lasse mich mutig mit ihm nach hinten fallen. Genauso, wie er es vorhin auch mit mir gemacht hat. Weil er doch so dringend mit mir auf dem Sofa liegen wollte. Ich begreife nicht, warum er das jetzt plötzlich nicht mehr will. Schon im nächsten Moment befinde ich mich wieder auf der ausgeleierten Sitzfläche. Irgendwo zwischen sitzend und liegend. Mein Hinterkopf fällt gegen die Rückenlehne des alten Möbelstücks. Halte meinen wunderschönen Engel unvermindert fest umschlungen. Meine Arme seitlich gegen seinen schmalen Körper gepresst. Die Hände auf seiner knochigen Brust.

Chester ist direkt vor mir. Sitzt oder liegt auf meinem Schoß. Abgewandt von mir. Er bewegt sich nervös auf meinen Oberschenkeln. Hampelt widerspenstig herum. Ich bin froh, dass er so wenig wiegt. Und zur Zeit aus irgendeinem Grund nicht genug Kraft hat. Um sich meinem starken Willen zu entziehen. Trotzig vermeidet er es, mir noch näherzukommen, als ich ihn schon zwinge zu sein. Es tut mir weh, wie auffallend wenig er mich anfassen will. Seine Hände liegen neben seinen Hüften auf dem Sofa. Die Finger hat er zornig in das Polster gekrallt. Unsere Beine sind lang ausgestreckt. Seine Füße dicht neben meinen auf dem Boden. Chester stößt von außen mit seinen Chucks gegen meine Sneakers. Das macht er richtig aggressiv. Als wollte er mich mit Gewalt wegtreten. Sein Hinterkopf liegt schwer auf meinem Schlüsselbein. Die brünetten Dreadlocks kitzeln mein Gesicht. Bennington fühlt sich eindeutig nicht wohl auf meinem Schoß. Sein nervöser Körper sträubt sich gegen meine Berührung. Der ganze Mann ist alarmiert angespannt. Der Härtegrad seiner Wut ist offensichtlich. Trotzdem genieße ich es, den bockig Widerspenstigen so nah auf mir zu spüren. Bin heilfroh, ihn gegen seinen Willen überwältigt und an seiner überstürzten Flucht gehindert zu haben. Mein Engel ist nicht hinausgegangen. Er ist hier bei mir. Das bedeutet, dass ich noch eine Chance habe. Vorsichtshalber presse ich ihn an mich. Lasse dem Arizona-Boy keine Möglichkeit aufzustehen. Meine Arme um seinem schlanken Körper sind wie eiserne Klammern.

Den wild Kämpfenden gewaltsam festzuhalten ist auf Dauer extrem anstrengend. Darum erleichtert es mich, als Chester seinen Fluchtversuch schließlich aufgibt. Letztendlich hört er auf gegen meine Füße zu treten. Der Sänger lehnt sich erschöpft nach hinten. Gegen meine Brust. Atmet schwer. Er braucht noch eine Weile. Um sich halbwegs zu beruhigen. Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt tun oder sagen soll. Das feindselige Schweigen zwischen uns ist richtig blöd. Hilflos wandert mein Blick zum Fenster. Draußen ist die Sonne fast untergegangen. Es wird zunehmend dunkel in dem komischen Zimmer. Mit den hohen Bücherregalen. Den vielen Büchern. Der gut versteckten Leseecke. Bald werde ich Chester kaum noch sehen können. Nur noch fühlen. Die komplizierte Stille erdrückt mich. Ich wünschte, mein Mann würde etwas sagen. Mir einfach erklären, was ich jetzt machen soll.

In dem hilflosen Bemühen, den fühlbar aufgeregten Herrn Bennington zu besänftigen, fange ich zögernd damit an seine Brust zu streicheln. Meine Finger bewegen sich vorsichtig über sein Unterhemd. Tastend. Sachte fragend. Chester windet sich ablehnend auf meinem Schoß. Ich spüre, wie wenig er meine Zärtlichkeit mag. Das macht mich ganz schön fertig.

„Hör auf, Shinoda! Lass das sein! Du musst mir keinen Gefallen tun! Ich will nicht, dass du mir einen runterholst!” Chesters schöne Stimme durchschneidet wie ein scharfes Messer die angespannte Stille. „Hast du das denn immer noch nicht kapiert?” faucht er verständnislos. Seine aggressiven Worte tun mir fast körperlich weh. Meine Finger auf seiner Brust kommen automatisch zum Stillstand. Krallen sich unwillkürlich fester in die weiche Baumwolle seiner Unterwäsche. „Ich will dir doch gar keinen runterholen, Bennington”, entgegne ich maßlos gekränkt. Chester bläst höhnisch Luft aus. „Ach nein? Aber das hast du doch gerade gesagt! Das war doch deine Frage, oder, Mike? Ob du mir schnell einen runterholen sollst? Oder habe ich mich da verhört?” Seine Stimme trieft vor beißendem Spott. Aber ich kann heraushören, wie verletzt er in Wahrheit ist. Das verstehe ich nicht. Ich weiß nicht, was an meinem gut gemeinten Angebot ihn so sehr vor den Kopf stößt. „Das hast du falsch verstanden”, behaupte ich in dem Bemühen, die verfahrene Situation irgendwie zu entschärfen. Der Sänger lacht laut auf. Hört sich jedoch höchst verzweifelt an. „Was gibt es denn daran falsch zu verstehen, verdammt!?” „Ich habe das nicht so gemeint, Chester”, beteuere ich hilflos. Sein Lachen wird noch lauter. Beinahe hysterisch. „Doch, das hast du so gemeint, Mike. Daran gibt es gar nichts anders zu meinen.” Aufgebracht schnappt er nach Luft.

Ich habe keinen Schimmer, was ich noch sagen soll. Fühle mich vollkommen ratlos. Darum ist es nochmal eine Weile still um uns. An meinen Fingern spüre ich Chesters erregten Herzschlag. Sein Brustkorb bewegt sich mit jedem tiefen Atemzug. Spüre seinen erhitzten, aufgewühlten Körper. Dicht an meiner Vorderseite. Trage sein Gewicht auf meinen Oberschenkeln. Nie habe ich ihn weniger verstanden. Als in diesem Augenblick.

„Aber ich bin ja selber schuld”, lenkt Chester zu meiner Überraschung plötzlich leiser ein, „Ich habe dich dazu gezwungen, mit mir auf dem Sofa zu liegen. Ich dachte, dass dir das gefallen würde, blöd wie ich bin.” „Aber das gefällt mir doch, Chester!” erwidere ich verdattert. Er schüttelt den Kopf. „Nein, offensichtlich magst du das überhaupt nicht, Mike Shinoda”, glaubt er zu wissen. Mein Mann hört sich so dermaßen enttäuscht an, dass es mir schlicht das Herz zerreißt. „Doch, Chaz, natürlich mag ich es, mit dir auf dem Sofa zu liegen. Ich... finde das wunderschön mit dir. Wie kommst du nur darauf, dass mir das nicht gefallen hätte?” will ich total verwirrt wissen. Lausche angespannt auf seine Antwort. Fühle mich komplett missverstanden. Kapiere eigentlich gar nichts mehr. „Mann, hör doch auf, Mike!” knurrt er aufs Neue verärgert, „Sei doch wenigstens ehrlich zu mir.” Ich wünschte, ich könnte jetzt sein hübsches Gesicht sehen. Dann würde ich vielleicht besser verstehen, was gerade in ihm vorgeht. Aber Chester sitzt auf meinem Schoß. Abgewandt von mir. Er dreht sich nicht um. Vermeidet auffällig jeden Blickkontakt. Darum sehe ich ihn nur von schräg hinten. Außerdem macht das schwindende Tageslicht ein Erkennen noch schwieriger.

„Ich verstehe dich nicht, Chaz”, gebe ich verunsichert zu. Hoffe inständig, dass er nicht noch wütender auf mich wird. Warte darauf, dass er mir eine Erklärung gibt, die ich begreifen kann. In einer grotesken Mischung aus Verdruss, Wut, Hilflosigkeit, Aggressivität und Spott stöhnt Chester auf. „Dafür verstehe ich dich umso besser, Mike!” knurrt er angefressen, „Tut mir leid, dass ich dich gerade gezwungen habe. Ich hatte nun mal den Eindruck, dass du es auch genießen würdest.” Danach schweigt er abermals. Langsam macht der verstockte Mann mich völlig verrückt. Ich ertrage seine rätselhafte Feindseligkeit nicht. Der verdammte Kerl muss mir jetzt endlich verraten, was überhaupt los ist.

Aber gerade, als ich mich endlich dazu durchgerungen habe, ihn dazu aufzufordern, fragt Chester plötzlich allen Ernstes: „Was willst du denn jetzt noch von mir, Shinoda? Was soll ich auf deinen Beinen? Warum hältst du mich hier fest?” Chester Bennington ist vollkommen verständnislos. Schockiert muss ich einsehen, dass er es tatsächlich nicht versteht. Das fühlt sich an, wie ein unerwarteter Schlag ins Gesicht. Weil ich dachte, dass er wenigstens das langsam begriffen hätte. Wo ich ihm doch erst vorhin noch so unfassbar viel über meine Gefühle für ihn verraten habe. Chester in einem Anfall von Vertraulichkeit sogar gestanden habe, wie lebenswichtig er für mich ist. Wie haltlos besessen ich ihn liebe. Wie unglaublich dankbar ich ihm bin. Als wir gemeinsam auf dem Sessel saßen. Er mit dem Gesicht zu mir. Da gab es plötzlich diese unerwartete Nähe zwischen uns. Die mich total überwältigt hat. Das Gefühl der engen Verbundenheit hat mich emotional hinweggefegt. Da hatte ich auf einmal das unwiderstehliche Bedürfnis, diesem Menschen einfach sofort all das zu erzählen, was mir schon seit seinem nächtlichen Auftauchen auf dem Flur der Psychiatrie wie Feuer auf der Seele brennt. Als er auf meinem Schoß saß. Mich liebevoll ansah. Allein für mich so wundervoll gesungen und mich zärtlich berührt hat. Da habe ich tatsächlich geglaubt, dass mit ihm und mir jetzt endlich alles gut wäre. Dass es besser nicht mehr werden könnte.

Aber jetzt hat die Atmosphäre zwischen uns sich schon wieder grundlegend verändert. Er guckt mich nicht mehr liebevoll an. Chester Bennington sitzt nicht mehr freiwillig auf meinem Schoß. Aus irgendeinem Grund gefällt es meinem Mann plötzlich nicht mehr, mir körperlich so nah zu sein. Langsam dämmert mir, dass meine unüberlegte Offenheit ihm gegenüber vielleicht ein riesengroßer Fehler von mir war. Den ich nicht wiedergutmachen kann. Dass ich womöglich schon vor einer halben Stunde alles kaputtgemacht habe. Als ich ihm wahrhaftig blauäugig mein Herz ausgeschüttet habe. Denn jetzt habe ich das schreckliche Gefühl, dass Chester mit meiner gigantischen Liebe für ihn gar nichts anfangen kann. Der fremde Kerl kapiert sie noch nicht einmal. Mit der Gewalt meiner heftigen Emotionen ist Bennington restlos überfordert. Diese Erkenntnis ist ein brutaler Schlag. Mitten ins Herz hinein. Es zerreißt mich innerlich. Zerfetzt mich in tausend Teile. Das ist absolut niederschmetternd für mich. Mit dieser schmerzhaften Vermutung muss ich erst mal klarkommen.

„Ich will, dass du hierbleibst, Chaz”, erkläre ich ihm so beherrscht wie möglich. Schlucke unbehaglich. Habe Mühe damit, nicht völlig die Fassung zu verlieren. Nochmal bläst er spöttisch Luft aus. „Aber wieso denn, Mikey? Vor zwei Minuten wolltest du mich doch noch dringend loswerden. Du wolltest es so leicht wie möglich hinter dich bringen. Indem du mir mal eben auf die Schnelle einen runterholst. Du wolltest mich auf elegante Weise abhaken. Mir notgedrungen einen Gefallen tun. Damit ich endlich Ruhe gebe, nicht wahr? Mich endlich wieder einkriege. Damit du nicht noch länger mit mir geilem Idioten deine Zeit verplempern musst, richtig?” Chester lacht in schmerzvoller Verbitterung.

Im ersten Moment verstehe ich gar nicht, was er mir eigentlich sagen will. Seine unerwartete Anschuldigung wirbelt wie spitze Dolche in meinem Gehirn herum. Fühle mich gigantisch vor den Kopf geschlagen. Durchweg missverstanden. Muss diese verwirrende Aussage erst gründlich in meinem Kopf analysieren. Nur langsam ergeben Chesters anklagende Sätze einen Sinn für mich. Das Wort schnell hat ihn mega verletzt, geht mir am Ende ein Licht auf. Dadurch kam mein ganzer Vorschlag völlig falsch bei ihm an. Habe ich wirklich schnell gesagt?, frage ich mich verunsichert. Ich erinnere mich nicht. Fühle mich seltsam verwirrt. Emotional taub. Meine neuen, erschreckenden Erkenntnisse über meine fraglos extrem komplizierte Beziehung zu Chester Bennington erschüttern mich heftiger, als ich verarbeiten kann.

„Aber mach dir keine Sorgen, Mikey. Ich kann dich schon verstehen”, behauptet Chester auf einmal gespielt gleichgültig, „Du hast wahrscheinlich nur wieder Angst, dass plötzlich jemand hier reinkommen und uns überraschen könnte. Denn das willst du ja nicht, oder?, Mike, dass irgendwer dich dabei erwischt, wie du mit mir auf dem Sofa rummachst. Davor hast du echt Panik. Du musst unbedingt verhindern, dass das jemand sieht, wie du mich verbotenerweise küsst, richtig? Stimmt doch, nicht wahr, Shinoda?” Chester schnauft verächtlich. Der schlanke Körper schüttelt sich vor Abscheu. Seine wundervolle Stimme klingt total frustriert. In dieser Tonlage habe ich sie noch nie gehört. Da klingt so viel Wut und Schmerz mit. Obwohl der Kerl so tut, als würde ihm das alles gar nichts ausmachen, so spüre ich doch deutlich, wie verletzt er ist. Wie stark es ihn in Wahrheit kränkt, dass ich vor anderen Menschen nicht zu ihm stehen will. Das Schlimmste daran ist, dass mein enttäuschter Engel mit jedem verbitterten Wort recht hat. Das stimmt alles, was er mir vorwirft. Trotzdem hat er mich vollkommen falsch verstanden.

„Nein, das ist nicht wahr, Chaz!” beteuere ich verzweifelt. Unwillkürlich wird mein Griff um seinen Brustkorb enger. „Himmel, Mike!” stöhnt Chester kopfschüttelnd. Unbehaglich bewegt er sich erneut auf meinen Oberschenkeln. Im Bedürfnis, sich mir irgendwie zu entziehen, hampelt er auf meinen Beinen herum. Instinktiv presse ich mich von hinten an seinen heißen, verschwitzten, zitternden Leib. „Weißt du, du musst mir keinen runterholen, um mir das begreiflich zu machen, Mike. Das habe ich schon lange kapiert”, blafft der Sänger geringschätzig. Das tut mir richtig weh. Wie feindselig er ist. Wie hasserfüllt er mich behandelt. Ich bin beileibe am Boden zerstört. Fühle mich ungerecht behandelt. Kann die deutliche Anklage des Fremden nicht so ohne Weiteres stehenlassen. Aber wie zur Hölle soll ich sie widerlegen? Wo er doch mit jedem einzelnen Satz so beschissen richtig liegt.

„Nein, Chester! Das stimmt so nicht. Ich will dich nicht loswerden. Ich finde das total geil mit dir auf dem Sofa. Das ist absolut berauschend, wie du mich küsst. Wie du mich anfasst. Du hast mich total überwältigt. Ich habe das noch nie...”, rede ich getrieben los. „Aber?” unterbricht er mich voller Hohn. Aufgewühlt ringe ich nach Luft. In meinem verstörten Kopf herrscht plötzlich so ein Chaos, dass ich die wirren Gedanken kaum noch einfangen kann. Total konfus spreche ich weiter: „Ich habe das gut gemeint, Chaz. Ich wollte dir etwas Gutes tun. Du siehst doch selbst, wie dunkel es schon geworden ist. Jeden Moment kommt dein Pfleger hier rein und holt dich zum Abendessen ab. Das muss dir doch auch klar sein, dass Ulli herkommt. Der weiß doch genau, dass du in der Bibliothek bist. Verstehst du das, Chester? Ich wollte dir damit nur helfen.” Bennington bricht in ein Lachen aus, das irgendwo zwischen Verzweiflung, Wut und Belustigung liegt. „Im Ernst, Shinoda? Du willst mir helfen, indem du mir schnell einen runterholst?” kichert der Tätowierte fassungslos.

Langsam nervt es mich, dass er ständig auf dem blöden Adjektiv schnell herumreitet. Denn ich habe diesem Wort gar keine Bedeutung beigemessen. Ich bin nicht mal sicher, ob ich es überhaupt verwendet habe. „Verdammt, Chester!” entfährt es mir ungeduldig, „Ich dachte eben, dass es beschissen für dich wäre, wenn dein Pfleger reinkommt, bevor du abgespritzt hast!” Chesters Lachen wird sofort noch lauter. Der spöttische Patient krümmt sich förmlich. Hält sich den Bauch fest. Sein ganzer Körper schüttelt sich vor Hohn. Obwohl es mich ärgert, dass er mich so hämisch auslacht, bin ich hauptsächlich erleichtert. Weil sein Grad an Belustigung in all seiner Wut hörbar zunimmt. Der Sänger aus Phoenix ist kumulativ amüsiert. Beinahe schon ausgelassen bewegt sich sein sehniger Körper auf meinem Schoß. Sodass es schwieriger wird ihn festzuhalten. Der Kerl tritt mit den Füßen auf dem Boden herum. Schlägt mit den Händen heftig auf das Polster. Dabei berühren seine Finger ein paarmal unabsichtlich meine Schenkel.

„Wow, Mikey! Dann muss ich dir ja richtig dankbar sein, ey. Weil du dir Gedanken um meinen Orgasmus gemacht hast”, prustet Chester voller Ironie, „Das ist aber mächtig nett von dir, Shinoda. Du bist erstaunlich aufmerksam, hör mal.” „Chester...”, beschwere ich mich pikiert. Weil er sich hemmungslos über mich lustig macht. Weil der Typ auf meinen Beinen so stark zappelt, dass ich ihn kaum noch festhalten kann. Durch seine unkontrolliert heftigen Bewegungen rutschen meine Hände mit der Zeit irgendwie an seiner Brust hinab. In die Richtung seines Unterleibes. Möglicherweise will ich ihn auch stoppen. Vielleicht will ich den offenbar völlig Durchgeknallten auf diese Art bändigen. Keine Ahnung, was genau ich eigentlich vorhabe. Eventuell will ich den Patienten einfach frech auspacken. Ihm verdammt nochmal einen runterholen. Damit er endlich still ist. Damit er aufhört, mich boshaft zu verspotten. Ich will meinem Engel seine spürbar nervöse Anspannung wegnehmen. Seinen tosenden Zorn besänftigen. Will ihm unvermindert etwas Gutes tun. Den Frustrierten restlos beglücken. Meinen Mann zärtlich befriedigen. Damit Chester Bennington mich endlich wieder lieb hat.

Aber kaum spüre ich seine harte Erektion an meinen Fingerspitzen, da schreit Chester auch schon los: „Nein! Hör auf! Fass mich nicht an!” Schockiert ziehe ich meine Hände hastig zurück. Total verwirrt lasse ich ihn für ein paar Sekunden los. Im selben Moment ist Chester schon aufgesprungen. Der Kerl stürzt panisch davon. Stößt sich förmlich von mir ab. Flüchtet so energisch aus meiner Reichweite, dass ich die Welt nicht mehr verstehe. Extrem erschüttert bleibe ich auf dem Sofa zurück. Etwas unfassbar Schlimmes ist passiert, weiß ich augenblicklich. Aber ich habe keinen blassen Schimmer was.

„Chester? Bist du noch hier?” ruft jemand laut vom Eingang her. Pfleger Ulrich durchbricht mit seiner vorschriftsmäßig schneeweißen Dienstkleidung die Dämmerung in der Bibliothek. Plötzlich steht der eifrige Aufpasser im Zimmer. Ich wusste es, dass der jeden Moment hier auftaucht, denke ich unwillkürlich. Siehst du, Chaz, mir war klar, dass wir es nicht merken würden, wenn die beschissene Tür aufgeht. Spüre bei dem Gedanken, dass ich mit meinen vorausschauenden Befürchtungen recht hatte, keinerlei Genugtuung.

Verwundert sondiert Ulli die seltsame Situation. Chester hat sich so panisch überstürzt von mir und dem Sofa wegbewegt, dass er seinen eigenen Vorwärtsdrang gar nicht richtig kontrollieren kann. Nach ein paar hektischen Schritten stolpert er lautstark gegen das Bücherregal. Instinktiv seinen Kopf schützend, dreht er sich im letzten Moment zur Seite. Stößt sich stattdessen herbe die Schulter an den Brettern zwischen dem Holzgestell. Wenn das Regal nicht an der Decke und am Fußboden festgeschraubt wäre, dann hätte der taumelnde Mann es mit absoluter Sicherheit umgerissen. Aber das Hindernis steht felsenfest im Raum. Chester knallt mit Wucht dagegen. Ächzt schmerzerfüllt auf. Verliert sein Gleichgewicht. Stürzt seitwärts zu Boden. Bei dem reflexhaften Versuch, sich irgendwo festzuhalten, reißt er ein paar Bücher heraus. Die hintereinander laut auf der Erde aufschlagen. Nicht weit vor Ullis Füßen bleibt Chester liegen. Der Pfleger macht erschrocken einen Schritt rückwärts. Während er seinen stürmischen Patienten verdutzt beobachtet. Vor lauter Schreck und dem drängenden Bedürfnis, Chester aufzufangen, ihm irgendwie zu helfen, bin ich auch aufgesprungen. Ohne es zu merken. Jetzt stehe ich ratlos vor dem Sofa. Ein weiteres Mal weiß ich nicht, was ich jetzt tun soll. Wie ich mich in dieser blöden Konstellation verhalten muss, um Ulrich etwas zu erklären, was ich selbst nicht mal ansatzweise verstehe. Ich habe wirklich keine Idee.

„Was ist hier los? Was macht ihr zwei denn hier? Chester? Mike? Was bedeutet das?” will der entgeisterte Mann ungehalten wissen. Alarmiert schaut er von Chaz zu mir. Ulrich versucht zu erraten, was die unartigen Patienten ganz allein in diesem Raum getrieben haben. Der gestürzte Sänger beeilt sich aufzustehen. Hält sich am Regal fest. Zieht sich geschickt daran hoch. Steht im nächsten Moment auf seinen langen Beinen. „Tut mir leid, Ulli. Ich bin total blöde gestolpert”, erklärt er liebenswürdig. Ohne seinen Pfleger anzusehen. Chester dreht sich weg. Fängt damit an, langsam die heruntergefallenen Bücher aufzuheben. Sorgfältig stellt er sie einzeln zurück in das Regal. Achtet dabei sogar auf die alphabetische Reihenfolge der Autoren. „Erzähl mir nicht so einen Quatsch, Bennington”, beschwert Ulli sich angefressen. Dabei hat Chester sich bei ihm entschuldigt. Und bislang noch gar keinen Quatsch erzählt. Trotzdem sieht der Pfleger den neuen Patienten böse strafend an. Der Tätowierte ist konzentriert mit den Büchern beschäftigt. Beachtet den Neuankömmling nicht.

Eine Minute später dreht Ulrich sich um. Zielstrebig geht der Pfleger zum Lichtschalter an der Wand. Ich vermute, der Schalter ist neben der Tür. Ulli will die mittlerweile verhängnisvoll dunkle Bibliothek ausleuchten. Abrupt geht das grelle Neonlicht an. Blendet meine Augen. Ich fühle mich erschöpft. Irgendwie deprimiert. Hilflos setze ich mich zurück auf die Couch. Beobachte meinen auffallend attraktiven Mann dabei, wie er gewissenhaft die von ihm verursachte Unordnung aufräumt. Bin aufs Neue von seinem sexy Körper und der Grazie seiner Bewegungen fasziniert. Ich möchte wissen, was gerade mit Chester passiert ist. Warum er plötzlich dermaßen in Panik geraten ist. Als ich ihn anfassen wollte. Warum er mein ehrlich gut gemeintes Angebot, ihn mit der Hand zu befriedigen, in den vollkommen falschen Hals gekriegt hat.

Seufzend versuche ich, mich daran zu erinnern, wie fantastisch es zwischen uns war. Als Chester mich zartfühlend geblasen hat. Wie unfassbar wohl ich mich dabei gefühlt habe. Als wir gemeinsam auf dem Sessel saßen. Als mein Engel allein für mich gesungen hat. Mich mit so viel Hingabe gestreichelt hat. Welche nie gekannten Gefühle der neue Patient in mir wecken kann. Mit seinen kundigen Lippen und Fingern erst vor so kurzer Zeit in mir geweckt hat. Da war doch so eine magische Anziehungskraft zwischen uns. Eine ganz besondere Nähe. Als wären wir sphärische Seelenverwandte. Auf dem Sessel habe ich wirklich geglaubt, zwischen Chazy Chaz und mir könnte endlich nichts mehr schiefgehen. Aber jetzt ist schon wieder alles anders. Nur eine halbe Stunde später habe ich das Gefühl, dass der fremde Typ von mir genervt ist. Dass Chester am liebsten gar nichts mehr mit mir zu tun haben will. Besorgt frage ich mich, ob ich das überhaupt ertragen kann. Ob ich hier in der Psychiatrie überleben kann. Falls Chester Bennington mich verlässt. Ob ich ohne ihn eigentlich noch leben will.

„Sofort raus mit der Sprache, Jungs! Was machst du hier, Mike? Und Chester, wolltest du dir in der Bibliothek nicht lediglich ein Buch ausleihen?” quengelt Pfleger Ulrich ungeduldig. Offensichtlich gefällt es dem Bediensteten der Psychiatrie kein bisschen, dass er die überraschende und völlig unklare Situation nicht einschätzen kann. Der Weißgekleidete steht wieder neben dem Regal. Studiert seinen Schützling missbilligend. Im hellen Neonlicht. Chester hat alle herausgefallenen Bücher zurück auf ihren Platz einsortiert. Charmant sieht er seinen persönlichen Pfleger an. „Sag mal, Ulli, hast du denn eigentlich nie Feierabend?” erkundigt er sich freundlich lächelnd. Was irgendwie ziemlich dreist ist. Von seiner besorgniserregenden Panikattacke, die ihn so jäh aufgelöst von meinem Schoß herunter getrieben hat, ist Chester nichts mehr anzumerken. Der unbekannte Sänger aus Phoenix hat sich erstaunlich schnell wieder im Griff.

„Wo ist deine Brille, Bennington?” erwidert Ulrich scharf. Ohne auf die provozierende Frage einzugehen. Der Angesprochene greift sich verblüfft an die Nase. Als müsste er überprüfen, ob das Gestell noch da ist. Dabei kann Chaz doch ohne seine Brille kaum was deutlich sehen. Der Kurzsichtige muss schon längst gemerkt haben, dass er die Gläser nicht trägt. Prompt habe ich die erregenden Bilder vor Augen. Wie ich wollüstig auf meinem wunderbaren Mann liege. Und er mich so leidenschaftlich küsst, dass ihm dabei die Brille von der Nase rutscht. Mit wie viel Ungeduld er sich das lästig gewordene Teil aus dem Gesicht gerissen und es weggeschleudert hat. In einer einzigen, eleganten Bewegung. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen. Zu genau diesem Punkt. Und diesmal alles richtig machen.

Betrübt schaue ich mich nach der schwarzen Brille um. Sie liegt noch immer am Ende des Sofas. Genau dort, wo der Besitzer sie vorhin hingeworfen hat. Die Bügel sind aufgeklappt. Im Sitzen strecke ich mich danach. Nehme das leichte Plastikgestell. „Sie ist hier, Chester”, informiere ich ihn. Halte ihm milde lächelnd sein Eigentum hin. Wie oft werde ich Bennington seine Brille wohl noch zurückgeben?, frage ich mich vage amüsiert. Der seltsame Kerl steht am Regal. Sieht mich unschlüssig an. Bewegt sich nicht. Ich fasse es nicht, dass er erst überlegen muss, ob er die Brille von mir annehmen will. Plötzlich möchte ich sehr laut schreien. „Wie kommt deine Brille auf das Sofa, Bennington?” nervt Pfleger Ulrich voller Argwohn. Seine forschenden Augen wandern zu mir. „Wie lange hältst du dich schon in der Bibliothek auf, Shinoda?” will er wissen. Ich habe keine Lust, dem unerwünschten Kerl zu antworten. Weiche stur seinem fragenden Blick aus. Schweige. Auch Chester antwortet nicht. Betretene Stille. Andauernd. Was den Pfleger noch wütender macht. „Was zum Teufel habt ihr beiden denn hier drin getrieben?” fährt es nach einer Weile entgeistert aus ihm heraus. Unweigerlich macht es mich nervös, dass der Angestellte der Psychiatrie eigenständig neugierige Schlüsse zieht, die fatalerweise geradewegs in die richtige Richtung laufen.

„Mike hat mir ein tolles Buch vorgelesen”, behauptet Chester auf einmal grinsend. Endlich kommt der Sänger näher. Holt seine Sehhilfe bei mir ab. Er nimmt die schwarze Brille. Bleibt direkt vor mir stehen. Putzt die beiden Gläser gründlich mit dem unteren Saum seiner Unterwäsche. Ich kann meinen Blick nicht von ihm abwenden. Mir fällt auf, dass Chesters Unterhemd ziemlich ausgeleiert an seinem Oberkörper hängt. Das ist allein meine Schuld. Ich habe das verursacht. Als ich so brutal an dem weißen Stoff gezerrt habe. Wobei er beinahe zerrissen ist. Ich verstehe gar nicht mehr, wie es dazu kommen konnte. Keine Ahnung, was in diesem Moment zwischen Chester und mir passiert ist. „Ach so, dabei hast du also deine Brille verloren? Als Mike dir etwas vorgelesen hat? Ja klar, das ergibt Sinn”, bemerkt Ulrich sarkastisch. Voller Hohn taxiert er den Brillenträger. Chester beachtet seinen Pfleger nicht. Mein rätselhafter Mann schaut mich dermaßen intensiv an, dass mir plötzlich heiß wird. Da ist ein fremder Ausdruck in den brauen Augen. Den ich bei Chaz noch nie gesehen habe. Er beunruhigt mich irgendwie. Aber ich kann ihn nicht entschlüsseln.

Ulli mag es zweifellos gar nicht, wenn er ignoriert wird. Aufgebracht schnappt er nach Luft. „Erzähl mir keine Märchen, Bennington”, regt die Aufsichtsperson sich auf. Der Typ kommt verärgert drei Schritte auf das Sofa zu. Im nächsten Augenblick ist der Schatten in Chesters Pupillen verschwunden. Der Sänger grinst belustigt. Guckt mich pausenlos an. Unsere Blicke hängen aneinander fest. Der charmante Kerl mit den tiefgründigen Augen, den bunten Tattoos und den wilden Dreadlocks zwinkert mir verschwörerisch zu. Gelassen setzt er seine Brille auf. Ich bin total verwirrt. Weil da gerade irgendwas Bedrohliches in ihm war. Weil Chester mir wahrhaftig zugezwinkert hat. Weil der zornige junge Mann lächelt. Anscheinend hat seine Laune sich auf einmal gebessert. Ich verstehe zwar nicht warum, bin darüber aber sehr froh. Erleichtert lächele ich den faszinierendsten Menschen an, den ich bisher kennenlernen durfte. Aber aus dem ich ehrlich nicht schlau werden kann.

„Sagt mal, Jungs, läuft da etwa irgendwas zwischen euch?” will der indiskrete Pfleger plötzlich alarmiert wissen. Ullis dunkle Stimme klingt drohend. Was mich auf der Stelle einschüchtert. Der Sänger aus Phoenix hat damit allerdings kein Problem. Ungerührt charmant lächelnd wirft er dem Bediensteten einen Blick zu. „Was meinst du denn damit, Ulli?” erkundigt er sich harmlos. Der freche Patient spielt bewusst den Ahnungslosen. Pfleger Ulrich verdreht genervt die Augen. „Du weißt ganz genau, was ich damit meine, Bennington. Vermutlich ward ihr zwei für eine lange Zeit in diesem Raum allein. Habt ihr hier in der Bibliothek miteinander rumgemacht, Mike und du?” knurrt er seinen Schutzbefohlenen ärgerlich an. Chester schlägt sich gespielt entsetzt die Hand vor den Mund. „Oh, Mann, Ulli! Wie kommst du nur auf so was? Was genau willst du denn damit sagen?” provoziert er seinen Pfleger noch mehr. Ulrich reißt in einer theatralischen Geste die Hände hoch. „Du machst mich wahnsinnig, Chester Bennington!” blafft er mega gestresst. „Mike Shinoda kann total exzellent vorlesen. Das war spannend”, erwidert Chester freundlich. Der Kerl in der weißen Kleidung taxiert den widerspenstigen Patienten böse. Für einen Moment sieht es so aus, als würde er Chester am liebsten schlagen. Als wollte er den Sänger mit Gewalt bestrafen. Für dessen Unverfrorenheit. Dabei ist Chaz doch gar nicht unverschämt. Er sagt nur einfach nicht die Wahrheit. Chester weigert sich, seinen neugierigen Pfleger in unser Geheimnis einzuweihen. Unser intimes Bibliotheksabenteuer. Darüber bin ich verdammt froh. Ich will nicht, dass der scheiß Pfleger oder sonst wer etwas darüber erfährt. Das gehört nur uns allein. Chester und mir. Für mich war es eine gänzlich neue, schlicht überwältigende Erfahrung. Die mir niemand wieder wegnehmen kann. Auf einmal erfüllt mich eine komische Mischung aus Glück, Traurigkeit und Nostalgie. So, als wäre etwas absolut Berauschendes zu Ende. Etwas, was ich in dieser Form nie wieder erleben werde. Das aber so derart bedeutend war, das es sich wie ein ewiges Geschenk anfühlt.

„Und was sagst du dazu, Mike Shinoda?” wendet der entnervte Pfleger sich grob an mich. Nur mühsam kann ich mich von Chesters fesselnden Augen losreißen. Sehe zögernd Ulli an. Zucke lässig mit den Schultern. „Was Chester sagt stimmt. Ich habe ihm etwas vorgelesen”, behaupte ich ruhig. Bin verblüfft, wie leicht mir diese dreiste Lüge von den Lippen geht. Ulrich verdreht noch einmal ärgerlich die Augen. „Und welches Buch war das, hm?” will er herausfordernd von mir wissen. Er will mich aufs Glatteis führen, der Arsch. Will mich ziemlich plump der Unwahrheit überführen. Aber ich habe in meinem Leben schon genug Bücher gelesen, um jetzt nicht in Verlegenheit zu geraten. „Wir haben Gefährliche Liebschaften von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos gelesen”, antworte ich. Wie aus der Pistole geschossen. Dabei handelt es sich um eins meiner Lieblingsbücher. Keine Ahnung, warum es mir ausgerechnet in diesem Moment als erstes eingefallen ist. Das war vollkommen spontan. Denken und Sprechen gleichzeitig.

Sofort prustet Chester enorm belustigt los. Offenbar hat mein Mann den berühmten Briefroman der Weltliteratur auch schon gelesen. Er scheint zu wissen, dass es darin hauptsächlich um Sex geht. Als meine Augen ihn verdutzt treffen, wirft der alberne Sänger mir einen dermaßen schlüpfrigen Blick zu, dass ich augenblicklich rot werde. Fuck! Das Blut steigt mir spürbar ins Gesicht. Meine Ohren werden ganz heiß. Chester registriert meine Verlegenheit deutlich. Lacht noch lauter. Jubelnd krümmt er sich. Der Typ hält sich wahrhaftig vor Lachen den Bauch fest. Seine langen Dreadlocks fallen ihm ins Gesicht. Irritiert betrachte ich ihn. Einerseits freut es mich, dass der Zornige unverhofft so fröhlich ist. Andererseits ist mir bewusst, dass der Arizona-Boy mich ein weiteres Mal hemmungslos auslacht.

„Du bist gut, Mikey! Du bist soooo gut!” teilt Chester mir beeindruckt mit, „Ständig sagst du so geile Sachen... total unerwartet... und wie das dann immer aus dir rauskommt... so ohne mit der Wimper zu zucken... Das ist einmalig, Shinoda! Du bist so geil, verflucht!” Der süße Brillenträger ist hellauf begeistert. Seine Augen leuchten mich auf eine derart anbetende Art an, dass ich beinahe glauben könnte, Chester Bennington wäre irgendwie in mich verliebt. Unsere Blicke verhaken sich schon wieder. Von allein. Der Tätowierte und ich verschmelzen autonom in seltsam einträchtiger Verbundenheit. Unwillkürlich fängt mein Herz ein voreilig beglücktes Klopfen an. Himmel, er ist so verflucht wunderschön, denke ich nicht zum ersten Mal. Betrachte den Besonderen unweigerlich paralysiert. Noch immer steht Chester direkt vor mir. Ich sehe sein verliebtes Lächeln. Sein mega hübsches Gesicht. In allen perfekten Einzelheiten. Die magischen Augen hinter den Gläsern. Alles andere verschwimmt zunehmend in meiner Wahrnehmung. Von diesem einzigartigen Menschen werde ich restlos gefesselt. Rasend schnell passiert das. Ich bin gebannt. In Euphorie erstarrt. Aber nur so lange, bis Pfleger Ulrich sich unüberhörbar angepisst zu Wort meldet. Das hat nur Sekunden gedauert. Oder vielleicht sind es auch Stunden gewesen.

„Das reicht mir jetzt endgültig, Jungs!” kläfft Ulli ungeduldig, „Ich lass mich nicht noch länger von euch verarschen, okay? Ihr werdet schon sehen, was euch das bringt.” Seine wütende Drohung klingt irgendwie hilflos. Als wüsste der Typ in Wahrheit gar nicht so genau, was er jetzt eigentlich mit uns anstellen soll. Auf welche Weise er uns am wirkungsvollsten bestrafen könnte. Trotzdem bin ich besorgt. Weil ich nicht abschätzen kann, was der Pfleger damit meint. Was genau er womöglich mit uns vorhat. Verunsichert schaue ich Ulrich an. Dessen Blick liegt sichtbar unzufrieden auf seinem Mündel. Chester bemerkt den vielsagenden Blick nicht. Weil seine tollen Augen mich aufmerksam studieren. Völlig ungerührt. Man könnte meinen, der Sänger hätte die jähzornige Drohung seines Pflegers noch nicht einmal gehört. Damit kommt der Weißgekleidete so gar nicht zurecht. Definitiv mag Ulli es kein bisschen, wenn Chester ihn ignoriert.

„Bennington, verdammt!” herrscht der Bedienstete seinen Schutzbefohlenen wütend an, „Hörst du mir mal zu, oder was?!” Ulrichs Stimme ist schrill. Vor Fassungslosigkeit überschlägt sie sich nahezu. Der Typ ist todmüde, verstehe ich plötzlich, als ich den aufgebrachten Mann erstaunt betrachte. Darum hat der Pfleger sich heute Abend nicht mehr gut genug im Griff. Der arme Kerl musste sich schon den ganzen Tag lang um Chester Bennington kümmern. Ulli betreut den neuen Patienten schon, seit der vor zwei Tagen in der geschlossenen Psychiatrie aufgetaucht ist. Offensichtlich ist diese Aufgabe nicht einfach.

Chester löst sich von meinem Anblick. Langsam wendet er sich Ulrich zu. „Ist das nicht fantastisch, Ulli?” fragt er den entgeisterten Mann freundlich, „Ist Mike nicht absolut sagenhaft?” Chaz spricht noch immer von meinen unüberlegten Bemerkungen. Aber die interessieren den Pfleger nicht die Bohne. Seufzend holt er Luft. „Hör gut zu, Chester. Ich habe eine wichtige Anweisung für dich. Du gehst jetzt geradewegs zum Abendessen. Hast du das verstanden? Du gehst nirgendwo anders hin, ist das klar? Sondern auf direktem Weg in den Speisesaal, okay, Bennington?” Ulli klingt resigniert. Sein Mündel strahlt ihn liebenswürdig an. „Ja, ich gehe mit Mikey zum Abendessen”, stimmt er gut gelaunt zu. Aber Ulrich schüttelt den Kopf. Und Chesters Strahlen stirbt. „Nein, du gehst allein, Chester. Mike bleibt bitte noch einen Moment bei mir. Ich möchte kurz mit ihm reden.” Diese überraschende Ankündigung gefällt dem Arizona-Boy nicht. Abrupt alarmiert fixiert er seinen Pfleger. Mich macht Ullis Wunsch auf der Stelle nervös. Irritiert grübele ich darüber nach, was um alles in der Welt der fremde Kerl denn bloß von mir will. Das kann nicht gut sein, befürchte ich misstrauisch. Der will mich bestimmt aushorchen, der Wichser. Er denkt wohl, ich verrate ihm alles, wenn Chaz nicht dabei ist.

„Aber du...”, murmelt Ulrich nachdenklich. Während er abschätzend Chesters Garderobe betrachtet. Prüfend fasst er das weiße Unterhemd an. Reibt den weichen Baumwollstoff zwischen seinen Fingern. Augenblicklich wird der Sänger stocksteif. Sein schönes Gesicht wird abweisend. Es ist offensichtlich, dass der neue Patient von seinem Pfleger nicht angefasst werden. Ulli merkt das aber gar nicht. Oder es interessiert ihn einfach nicht. Missbilligend zupft er an Chesters Unterhemd herum. „Ich möchte, dass du zuerst in dein Zimmer gehst und dir dein Hemd anziehst, Bennington. Das dürfte in der Zwischenzeit sicher getrocknet sein. Geh also von hier aus sofort in deinen Raum und zieh dir bitte das Hemd über. Danach begibst du dich auf direktem Weg zum Abendessen. Okay? Hast du das verstanden, Chester?” Noch so ein müder, unzufriedener Blick auf den Unartigen.

Chester ist sichtbar gestresst. Weil der fremde Mann ihn an der Kleidung festhält. Das mag er scheinbar überhaupt nicht. Außerdem frustriert es ihn sehr, dass sein Pfleger mit mir sprechen will, ohne dass er dabei sein darf. „Was soll das bedeuten, Ulli? Warum willst du mit Mike reden? Worüber denn?” begehrt der Brünette ärgerlich zu wissen. Ulrich sieht ihn bedeutungsvoll an. Beschwichtigend hebt er die Hände. „Nur keine Aufregung, Chester. Ich möchte mit Mike lediglich etwas besprechen. Danach schicke ich ihn sofort zu dir in den Speisesaal.” Leicht amüsiert studiert er den Tätowierten. „Du wirst doch wohl noch ein paar Minuten ohne deinen Mikey auskommen, nicht wahr, Bennington?” spöttelt er blöde herum. Chester schenkt ihm eine wütende Grimasse. Antwortet jedoch nicht. Ulli wirft mir einen kurzen Blick zu. Dann richtet sich seine Aufmerksamkeit zurück auf seinen Patienten.

„Also, ist das jetzt klar, Chester Bennington? Gehst du in dein Zimmer, ziehst dein Hemd an und isst danach schnurstracks dein Abendbrot?” will er sich noch einmal vergewissern. „Ja, das mach ich”, bestätigt Chaz angefressen. „Hast du mich richtig verstanden?” hakt Ulrich wahrhaftig nochmal nach. Endlich lässt er das weiße Unterhemd los. Der Träger geht hastig einen Schritt zurück. „Ja, das habe ich verstanden, Ulli. Ich bin ja nicht blöd”, knurrt er genervt. Der Pfleger sieht ihn eindringlich an. „Und tust du das auch, was ich dir gesagt habe?” will er ernst wissen. Chester nickt. Macht noch einen Schritt rückwärts. „Ja doch, Ulli. Schon gut. Mach dir keine Sorgen”, bestätigt er ungehalten. „Okay, dann geh jetzt bitte, Chester. In einer viertel Stunde werde ich nachsehen kommen, ob du im Speisesaal sitzt. Also erledige bitte auch, was von dir verlangt wird”, muss der Pfleger unbedingt betonen. Es irritiert mich, wie stark der Typ an Chesters Gehorsam zweifelt. Scheinbar hat er schon schlechte Erfahrungen mit einem widerborstigen Sänger aus Phoenix gemacht, überlege ich nervös. Die Aussicht, allein mit dem Pfleger sprechen zu müssen, behagt mir nicht.

Chester wirft mir noch einen verstörenden Blick zu, bevor er geht. Seine Augen scheinen seltsam leer hinter der Brille. Da ist ein höchst deprimierter Ausdruck in dem tiefen Dunkelbraun. Ein kaum versteckter Hilfeschrei. Augenblicklich bin ich beunruhigt. Im nächsten Augenblick hat mein Mann sich schon umgedreht. Mit schnellen Schritten verschwindet er hinter den hohen Bücherregalen. Obwohl ich lausche, kann ich nicht hören, wie hinter ihm die Tür zugeht. Ist er schon weg? Bin ich tatsächlich mit diesem blöden Pfleger allein in der verdammten Bibliothek? Was hat der fremde Typ mit mir vor? Ich kann die Situation nicht einschätzen. Das macht mich ganz hibbelig. Unruhig sitze ich auf dem Sofa. Sehe den Angestellten der geschlossenen Psychiatrie an. Habe keinen blassen Schimmer, was Pfleger Ulrich jetzt von mir erwartet. Aufsässig nehme ich mir vor, auf keinen Fall mit ihm über Chester zu sprechen. Der Kerl in den weißen Klamotten schaut mich eine Weile unzufrieden an.

„Was soll das, Mister Shinoda?” fragt er dann plötzlich. Damit bringt er mich ziemlich aus der Fassung. Ich versuche aber verbissen, mir nichts anmerken zu lassen. „Was denn?” erkundige ich mich so freundlich wie möglich. Ulrich seufzt schwer. „Hör mal, Mike. Ich halte dich für einen sehr vernünftigen jungen Mann. Ich glaube, dass man mit dir über alles problemlos sprechen kann”, schmeichelt Ulli unerwartet. Damit entlockt er mir ein verwirrtes Nicken. Die blauen Augen des jungen Pflegers werden streng. „Du weißt doch genauso gut wie ich, dass du Chester nichts vorgelesen hast”, knallt der Typ mir mühevoll beherrscht an den Kopf. Dazu fällt mir nichts ein. Glotze ihn nur blöde an. Ulrich kommt bedachtsam auf mich zu. „Ich will dir ja gar keinen Vorwurf machen, Mike. Ich kann auch verstehen, wenn Chester dich anzieht. Diese Wirkung scheint der junge Mann ja auf erstaunlich viele Patienten zu haben. Mit seinem Gesang und seinem Aussehen ist Bennington natürlich interessant für euch. Aber ich mache mir Sorgen um dich, Mike. Weil diese enge Verbindung nicht gut für dich sein kann”, redet der Pfleger vorsichtig auf mich ein. Vor Widerwillen verkrampfen sich abrupt meine Eingeweide. So etwas will ich nicht hören. Das ist nicht wahr, fangen die Gedanken in meinem Kopf unweigerlich zu protestieren an. Chester ist gut für mich. Sogar magisch gut. Der Sänger aus Phoenix ist der einzige Mensch hier, der mich aus meiner Teilnahmslosigkeit retten konnte. Mein Engel ist der einzige, der mich weiterbringen kann.

„Warum sagst du so was?” krächze ich verständnislos. Ulrich kommt noch näher. Der dreiste Kerl setzt sich tatsächlich neben mich aufs Sofa. Widerborstig rutsche ich ein Stück von ihm weg. Bevor mir einfällt, wie unhöflich das von mir ist. Er tut so, als würde er mein Wegrutschen nicht bemerken. „Mike, hör doch mal”, fängt er sanft an. Betrachtet mich seltsam wohlwollend. „Wir vom Personal haben deine Entwicklung bemerkt. Auch mir ist aufgefallen, wie überraschend positiv du dich in den letzten zwei Tagen verändert hast. Das ist nicht unbemerkt geblieben, dass du plötzlich aus deiner Apathie erwacht bist, Mister Shinoda. Und ich erkenne an, dass es vielleicht dein neuer Mitpatient Chester Bennington war, der bei dir zum ersten Mal nach sehr langer Zeit so etwas wie Interesse wecken konnte...” „Es war Chester!” rutscht mir energisch heraus. Bevor ich mich bremsen kann. Oder auch nur darüber nachdenken. Im nächsten Moment bereue ich es, mich vor dem Pfleger dermaßen geoutet zu haben. Weil ich gar nicht will, dass Ulrich diese Zusammenhänge versteht. Der doofe Typ ist nicht mal mein Psychologe, denke ich widerspenstig. Was will der fremde Kerl überhaupt von mir? Der soll mich gefälligst in Ruhe lassen!

„Ja, okay, es war Chester”, gibt Ulli zu, hängt aber sofort seine durchweg unwillkommene Meinung hinten dran, „Aber ich halte es für überaus bedenklich, wenn du aus falsch gepolter Dankbarkeit eine dermaßen innige Beziehung zu Bennington eingehst, Mike. Ich glaube, dass du sehr wohl weißt, warum Derartiges in der Psychiatrie verboten ist.” Was quatscht der Idiot nur für eine Scheiße, fährt es mir fassungslos durch den Kopf. Während ich ihn die ganze Zeit entnervt ansehe. Der engagierte Pfleger ist in seinem Element. Ulli wirkt auf mich, als wäre ihm diese Sache enorm wichtig. Er fixiert mich so konzentriert, als wollte er unbedingt sichergehen, dass ich seine bekloppte Predigt auch ja richtig verstehe. „Du bist hierher gebracht worden, Mike Shinoda, weil du bei uns in der abgeschlossenen Psychiatrie die beste Chance hast, dich vollständig auf deine eigene Situation zu besinnen. Wir bieten dir den perfekten Rahmen, um zu dir selbst zurückzufinden, Mike. Du musst deine begrenzte Zeit hier nutzen, um dich intensiv mit deinem Leben zu beschäftigen. Deinen persönlichen Möglichkeiten. Deinen Wünschen und Vorstellungen, wie du deine Zukunft gestalten willst...” „Ja, ich weiß, das tue ich ja auch”, unterbreche ich seinen Redefluss ungehalten. Der Pfleger hebt zweifelnd die Augenbrauen. Guckt mich vielsagend an. „Leider habe ich nicht den Eindruck, dass du das zur Zeit machst, Mike. Ich glaube eher, dass du dich kopfüber in eine fragwürdige Affäre mit Chester Bennington gestürzt hast.” „So ein Schwachsinn! Chaz und ich haben keine, ...was?, ...fragwürdige Affäre!” entgegne ich wütend.

Mein Herz klopft härter vor Unbehagen. Weil dieser Kerl sich entschieden zu weit vorwagt. Weil der Bedienstete sich in private Sachen einmischt, die ihn einen Scheiß angehen. Ich kann nicht glauben, dass Ulrich sich offenbar tatsächlich anmaßt, auch nur irgendwas über Chester und mich zu wissen. Meine Augen warnen ihn autonom. Sofort damit aufzuhören. Verdutzt stelle ich fest, dass Ulli meinen Blick wahrhaftig deuten kann. „Okay, Mike”, lenkt er ein, „Ich möchte aber, dass du etwas über Chester weißt. Bevor du noch mehr wertvolle Zeit in etwas investierst, was nicht gutgehen kann.” Obwohl ich echt nicht hören möchte, was er mir über meinen Mann verraten will, spricht der Typ in der weißen Dienstkleidung unbeirrt weiter: „Du musst wissen, Mike, dass Chester noch meilenweit davon entfernt ist, seine Zeit hier bei uns als das zu erkennen, was sie ist. Nämlich seine letzte Chance, sein Leben in den Griff zu bekommen.” „Was hat das denn mit mir zu tun?” fährt es entgeistert aus mir heraus. Ich kann es nicht ertragen, wenn Ulrich jetzt auch noch versucht, mir Chester auszureden. Das geht wirklich zu weit. Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob der verdammte Pfleger nicht seine Vorschriften bricht, indem er mir etwas über Bennington erzählt. Bestimmt darf er mir über einen anderen Patienten gar nichts verraten. Er wirft mir vor, mich nicht an die Spielregeln der Psychiatrie zu halten. Aber er hält sich selber nicht dran, denke ich ärgerlich.

Im Bedürfnis, dem unangenehmen Gespräch zu entkommen, stehe ich entschlossen auf. „Ich möchte auch eigentlich gar nicht mit dir darüber sprechen, Ulli”, stelle ich entschieden klar. Am liebsten würde ich jetzt einfach hinausgehen. Den stressigen Mann allein hier sitzenlassen. Aber so ein bockiges Verhalten erscheint mir zu kindisch. Darum zwinge ich mich dazu, vor dem Sofa stehenzubleiben. Ihn weiter anzuschauen. Ulrich sieht besorgt aus. Betrachtet mich eine Weile nachdenklich. Ich frage mich, wo Chester jetzt wohl ist. Schon seit er hinausgegangen ist vermisse ich ihn. Ich möchte wissen, ob der Tätowierte die Anweisungen seines Pflegers brav befolgt hat. Ob er sich sein Hemd angezogen hat. Zum Abendessen gegangen ist. Ich möchte meinen Mann dringend im Speisesaal wiedersehen. Es scheint mir enorm wichtig zu sein, dass wir ausführlich miteinander reden. So bald wie möglich. Ich habe das beunruhigende Gefühl, dass Chaz dringend Hilfe braucht. Und wir schon wieder einiges klären müssen. Keine Ahnung, warum zwischen uns jedes Mal so viel schief geht. Es frustriert mich, dass ich pausenlos so viele Fehler mache, wenn ich mit diesem besonderen Menschen zusammen bin.

„Hör mal zu, Mike. Dein Freund Bennington hat sich erst heute Mittag im Park mit zwei Patientinnen vergnügt”, muss Ulrich mir plötzlich unbedingt vor den Kopf knallen. Neugierig studiert er meine Reaktion. Anscheinend geht der Wichser davon aus, dass ich von Chesters erotischem Seitensprung noch nichts wusste. Und jetzt erwartet der Pfleger wohl, dass ich vor Eifersucht komplett ausklinke. Aber den Gefallen tue ich ihm nicht. Stattdessen setze ich ein selbstbewusstes Gesicht auf. „Na und? Warum erzählst du mir das, Ulli? Was Chester macht, geht mich doch gar nichts an. Ich verstehe nicht, was du mir damit überhaupt sagen willst”, rede ich cool daher. Ulrich steht vom Sofa auf. Bestimmt will er mit mir auf gleicher Höhe sein. Seine blauen Augen durchbohren mich förmlich. „Ich möchte, dass du begreifst, dass du deine kostbare Zeit, deine Kraft und deine Gefühle in den falschen Menschen investierst. Chester Bennington kann mit Beziehungen dieser Art nicht umgehen, Mike. Das zeigt uns seine gesamte Lebensgeschichte. Außerdem befindet sich der junge Mann gegenwärtig in einer dermaßen problembeladenen Situation, dass du mit ihm nur verlieren kannst. Seine Labilität und sein Unverständnis lassen keinerlei ernsthafte Bindungen zu. Chester braucht seine ganze Energie ohne Frage ausschließlich für sich selbst. Er hat noch sehr schwierige und langwierige Aufgaben vor sich”, versucht Ulli mir zu erklären.

Seine eindringlichen Worte fliegen allerdings nutzlos an mir vorbei. Der eifrige Pfleger registriert meinen zweifelnden, zunehmend verärgerten Blick. Kurzerhand packt er meinen Arm. Sieht mich beschwörend an. „Du bist nach so langer Zeit des emotionalen Stillstands endlich auf einem richtig guten Weg, Mike Shinoda. Ich möchte nicht, dass du dir von deinem komplizierten Mitpatienten alle positiven Ansätze zerstören lässt. Du musst dich jetzt dringend auf dein eigenes Leben konzentrieren, Mike. Es ist entschieden zu gefährlich für dich, wenn du dich auch noch mit fremden Schwierigkeiten belädst.”    


Chester Charles Bennington

Ich finde mein Zimmer nicht und drehe langsam durch. Wie ein Idiot irre ich durch die endlosen Gänge der geschlossenen Abteilung. Meine Füße laufen schnell. Aber immer in die falsche Richtung. Versuche mich zu orientieren. Kann es aber nicht. Bin zu verwirrt. Zu aufgewühlt. Meine Gedanken stehen nicht still. Ich bin total abgelenkt von dem, was in der Bibliothek passiert ist. Das war echt heftig. Eigentlich möchte ich gar nicht mehr daran denken. Aber meine Gedanken haben wie so oft ihr beschissenes Eigenleben. Sie verwandeln sich hartnäckig in teuflische Stimmen in meinem Kopf. Die mir diese Scheiße einflüstern wollen. Ich bin es nicht wert, von jemandem geliebt zu werden. Ich bin viel zu kaputt, um diese Zuneigung zu verdienen.

Mike hat mir seine Gefühle anvertraut. Der Besondere hat seine ganze sensible Seele vor mir ausgebreitet. Ich gehe davon aus, dass der Fremde ehrlich zu mir war. Der Mann empfindet das alles tatsächlich so. Jetzt muss ich erst mal damit klarkommen, was Shinoda mir verraten hat. Wie unglaublich gern er mich hat. Wie astronomisch dankbar er mir ist. Was er alles Sonderbares von mir denkt. Das muss ich erst mal verarbeiten. Aber fuck, ich komme kein bisschen damit klar. Unauslöschlich habe ich das Gefühl, für diesen zauberhaften Menschen nicht gut genug zu sein. Dass ich nichts von dem erfüllen kann, was er von mir erwartet. Dass nichts von dem die Wahrheit ist, was er in mir zu sehen glaubt.

Das fing ja schon damit an, dass ich komplett ausgerastet bin, als er mir plötzlich einen runterholen wollte. Schnell. Nach meinem überraschend erfolgreichen Blowjob bin ich so verflucht geil auf Shinoda gewesen. Habe mit dem Süßen heftig auf der Couch rumgeknutscht. Das war schön. Wahnsinnig erregend. Längst war ich an einem Punkt angelangt, an dem ich liebend gerne in meine Unterhose ejakulieren wollte. Mann, das hätte definitiv nicht mehr lange gedauert. Ich konnte mich kaum noch zurückhalten. Die ganze Zeit dachte ich, dass Mike es auch genießt. Mit mir auf dem Sofa zu liegen. Direkt über mir. Eng umschlungen. Mich in meiner sexuellen Erregung zu erleben. Ich habe mich ihm hingegeben. Und dann hört er plötzlich mitten drin auf. Will mir schnell einen runterholen. Will die vermeintlich lästige Sache beschleunigen. Mich auf elegante Art loswerden. Der Typ hätte mir genauso gut ins Gesicht spucken können.

In diesem Moment ist etwas in mir ausgeklinkt. Habe ihn total übel angeschnauzt. Konnte ihn kaum noch ertragen. Aber jetzt fürchte ich, dass Mikey das vielleicht tatsächlich nur gut gemeint hat. Wer weiß schon, was in seinem hübschen Kopf vorgeht. Vielleicht habe ich ihn falsch verstanden. Kann schon sein. Doch in dieser Situation fand ich mit seinem direkten Angebot lediglich alle meine inneren Gewissheiten bestätigt. Dass ich eben doch nicht dazu tauge, für Mike Shinoda ein auch nur irgendwie wertvoller Freund zu sein. Es wundert mich nicht, dass der Bärtige das inzwischen auch gemerkt hat. War ja nur eine Frage der Zeit. Bis er das kapiert. Es hat seine Richtigkeit, wenn er mich loswerden will. Weil das alles nur eine große Illusion gewesen ist. Diese innige Verbundenheit mit dem fremden Halbjapaner. Die unfassbar mächtige Geilheit, die ausschließlich Shinoda in mir hervorkitzeln kann. Das tröstliche Gefühl, ausgerechnet an diesem frustrierenden Ort endlich jemanden gefunden zu haben. Ich habe mir da kurzzeitig etwas vorgemacht. Es ist nämlich gar nicht möglich, dass ich plötzlich nicht mehr allein sein soll. Ich bin doch immer alleine gewesen. Jetzt weiß ich, dass das aus gutem Grund so ist. Weil ich nämlich alles und jeden um mich herum unweigerlich zerstöre.

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen, Chester?” Die fremde Stimme lässt mich erschrocken zusammenfahren. Eine Krankenschwester, die ich vorher noch nie gesehen habe, taucht plötzlich vor mir auf. In den stupiden Gängen wurden die grellen Neonröhren eingeschaltet. Das helle Licht tut meinen Augen weh. Verwirrt schaue ich die Frau an. Frage mich, wo sie hergekommen ist. „Was?” fährt es konfus aus mir heraus. Sie lächelt beruhigend. „Ich habe Sie schon eine Weile beobachtet, Chester. Sie scheinen sich verirrt zu haben”, erklärt sie mit freundlicher Stimme. Ja, ich habe mich total verirrt, denke ich bitter. „Tut mir leid. Ich finde mein Zimmer nicht”, verrate ich der Schwester leise. Obwohl das zweifellos armselig ist. Die Frau in den weißen Klamotten nickt verständig. „Kommen Sie mit, Chester. Ich zeige Ihnen ihr Zimmer. Aber bedenken Sie bitte, dass es jetzt Zeit für das Abendessen ist. Sie müssen sich also zum Speisesaal begeben”, spricht sie mit sanfter Stimme. „Ja, ich weiß. Ich muss nur eben etwas aus meinem Zimmer holen. Danach gehe ich sofort zum Essen.” Meine Stimme ist freundlich. Ich bin der Fremden dankbar. Lächele diese sympathische Krankenschwester an. Die mein Lächeln erwidert.

Die Frau geht vor mir her. Ich folge ihr. Grübele sinnlos darüber nach, ob alle Bediensteten der Psychiatrie wissen, in welchem der vielen Räume ich untergebracht wurde. Ob sie diese Informationen über alle Patienten erhalten. Ob sie so etwas auswendig lernen müssen. Frage mich erstaunt, wie die Pflegekräfte sich diesen ganzen Kram wohl merken können. Schneller als erwartet öffnet die Schwester eine Tür. Sie schaltet das Licht ein. Ich erkenne mein Zimmer. Keine dieser deprimierenden Kammern ist jemals abgeschlossen. Das macht mich nervös. Weil ich mir vorstelle, wie jemand Unbefugtes in meinen Sachen herumwühlt. Mir womöglich irgendwas klaut. Wenn ich nicht anwesend bin. Aber bis jetzt besitze ich ja gar keine Sachen hier. Also kann mir das eigentlich egal sein. Vorerst. Mein Hemd ist jedenfalls noch da. Es hängt über dem Sessel. Wo ich es zum Trocknen hingehängt hatte. Ich gehe hin und nehme es mir. Ulrich hatte recht, die blaue Baumwolle ist mittlerweile trocken. Es gefällt mir nicht, dass Ulli ohne mich mit Mike spricht. Der Arsch hat mich einfach weggeschickt. Bestimmt wird mein Pfleger den Besonderen vor mir warnen. Er wird dem süßen Bartträger erklären, wie überaus gefährlich ich für ihn bin. Ulrich wird Mister Shinoda die blind verliebten Augen öffnen. Und verdammt, er hätte mit jedem Wort recht. Das kotzt mich total an.

Wütend ziehe ich mein zerknittertes Hemd an. Drehe mich um. Zu meiner Irritation steht die Krankenschwester in der Tür. Beobachtet mich lächelnd. Ich weiß nicht, warum die Angestellte nicht längst gegangen ist. Die hilfsbereite Frau erklärt es mir. „Kommen Sie, Chester. Ich zeige Ihnen den Weg zum Speisesaal”, bietet sie freundlich an. Das nervt mich. Denn ich will jetzt echt nicht in den Speisesaal gehen. Momentan kann ich viele Menschen um mich herum nicht ertragen. Und ich will unter Garantie nichts essen. An diesem ätzenden Ort werde ich viel zu oft zum Essen gezwungen. Das ist total lästig. Zu Hause habe ich längst nicht so viel zu mir genommen. Da war meine Nahrung meistens nur flüssiger Natur. Der Gedanke an meine viel zu weit entfernte Heimat frustriert mich enorm. Ich möchte jetzt ehrlich eine Flasche Bier haben. Dringend muss ich eine rauchen. Vielleicht einen Joint, der manchmal alles ein bisschen leichter macht. Ich bin so übervoll mit quälenden Gedanken, dass ich dringend einen Song schreiben will. Oder ein verrücktes Bild malen. Aber ich habe ja noch nicht mal einen Stift. Oder ein Stück Papier. Das macht mich verrückt.

Während ich mit bebenden Fingern mein Hemd zuknöpfe, verlasse ich mein Zimmer. Schließe die Tür. Laufe nochmal hinter dieser Krankenschwester her. Schaue dabei auf ihren wiegenden Hintern. Sie trägt eine enge, weiße Stoffhose. Ihr Arsch sieht rund und verlockend aus. Plötzlich will ich den dringend anfassen. Aber natürlich tue ich es nicht. Nur in Gedanken. Stelle mir vor, mit dieser fremden Frau zu vögeln. Frage mich, wo sie wohl am liebsten berührt werden will. Denke darüber nach, was ihr besonders gut gefallen würde. Ob sie es richtig hart mag. Fühle mich noch immer erregt. Mein Schwanz pocht. Prompt muss ich an Mike Shinoda denken. Wie geil es war, ihm einen zu blasen. Den Besonderen dabei zu beobachten, wie er völlig wegdriftet. Die mächtige Wollust in seinem hübschen Gesicht. Die erregten Geräusche, die er ungesteuert von sich gibt. Wie er sich begehrlich über die eigenen Lippen leckt. Den perfekten Körper windet. Seine Augen genüsslich geschlossen hat. Mein Glied reagiert sofort auf diese erotischen Erinnerungen. Ich bin unvermindert steif. Eine Mischung aus heftiger Geilheit und wütender Erregung. Frage mich besorgt, ob das jemals wieder weggeht. Sehne mich nach einem gigantischen Orgasmus.

Plötzlich bleibt die Schwester stehen. Deutet auf einen der Gänge. „So, Chester, jetzt müssen Sie nur noch ein paar Schritte hier entlang, dann gehen Sie direkt auf den Speisesaal zu”, informiert sie mich hilfsbereit. Lächelt mich freundlich an. Ich lächele auch. Bin ein wenig atemlos. „Ja, okay, danke schön”, erwidere ich artig. Die junge Frau nickt. Geht in die entgegengesetzte Richtung davon. Fixiere ihren knackigen Arsch. Bis sie hinter einer Ecke verschwindet. Vom langen Laufen tut mein Bein weh. Die Stelle an meinem Oberschenkel, auf die Shinoda grundlos seine Faust gedonnert hat, brennt wie Feuer. Ärgerlich reibe ich mit der Hand über meine Chino. Als könnte ich den Schmerz damit lindern. Das ist irgendein blöder Reflex. Bin tierisch genervt. Drehe mich um. Humpele langsam Richtung Abendessen. Ich habe keine Ahnung, wie ich Mike gleich begegnen soll. Wenn ich den Besonderen im Speisesaal treffe. Das ist unglaublich intensiv mit dem. So gegensätzlich meiner eigenen Wahrnehmung von mir, dass ich es nicht kapieren kann. Fühle mich total verwirrt. Kann gar nicht mehr abschätzen, was der attraktive Halbjapaner von mir denkt. Oder erwartet. Oder ob er mich überhaupt nochmal sehen will. Vielleicht redet Ulli ihm das gerade erfolgreich aus. Ein paar Minuten lang schien alles perfekt zu sein. Und jetzt ist es schon wieder total blöd. Die Situation zwischen Mike und mir ist völlig undurchsichtig. Ich verstehe das alles nicht. Weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Wahrscheinlich ist sowieso schon alles kaputt. Ich bin so ein kranker Wichser.

Nur ungern erinnere ich mich an die beschissene Katastrophe, die mir in der Bibliothek passiert ist. Als der Schwarzhaarige mich gezwungen hat, auf seinem Schoß zu sitzen. Und ich so voller Zorn war, dass ich seine Nähe nicht ertragen konnte. Seine Fingerspitzen an meiner Erektion haben mich wahrhaftig schlagartig in grelle Panik versetzt. Obwohl ich nicht mal nackt war. Und alles irgendwie doch ganz anders war. Fuck! Was stimmt nicht mit mir? Ich bin vollkommen verkorkst. Meine Eingeweide verkrampfen sich. Vom vielen Denken tut mein Kopf weh. Habe das bedrohliche Gefühl, jeden Moment den Verstand zu verlieren.

Zögernd öffne ich die breite Flügeltür. Betrete widerwillig den hell erleuchteten Speisesaal. Der riesige Raum ist voller Menschen. Fast alle Tische und Stühle sind besetzt. Alle reden miteinander. Es ist viel zu laut hier drin. Ich sehe einige Pflegekräfte. Zwischen unzählbaren Patienten. Jeder scheint mit dem Abendessen beschäftigt zu sein. Zu viele Augenpaare richten sich neugierig auf mich. Als ich nervös zu den Rollwagen an der Seite gehe. „Hey, Chester, komm her, setz dich zu uns!” ruft mir jemand zu. „Komm hierher, Chester!” „Hier bei uns ist noch ein Platz frei!” halten andere dagegen. Ich beachte das nicht. Will mich nicht zu jemandem an den Tisch setzen. Möchte meine Ruhe haben. Oder mit dem verrückten Schädel gegen die nächste Wand rennen.

„Hey Chesterlein! Wo ist denn dein Liebling? Hast du deinen Mike Mike Shi-no-da gar nicht mitgebracht?” erkenne ich die spöttische Stimme von Kaitleen. Zusammen mit Tracy sitzt das California-Girl an einem Tisch in der Nähe. Das vorlaute Mädchen kriegt eine frivole Grimasse von mir. Hämisch grinsend erwidert sie das. Tracy sieht mich grotesk sehnsüchtig an. Ich will mich jetzt nicht mit den Weibern beschäftigen müssen. Zum Glück wenden sie sich nach ein paar Spötteleien wieder ihrem Essen zu.

Angespannt konzentriere ich mich darauf, in den vier Rollwagen mein Abendessen zu finden. Die Wagen sind fast leer. Weil die anderen Patienten ihre Tabletts schon herausgenommen haben. Nach zehn Sekunden habe ich mein Namensschild entdeckt. Notgedrungen ziehe ich das volle Tablett aus der mittleren Schiene des zweiten Wagens. Heute gibt es nur ein kaltes Abendessen in der geschlossenen Psychiatrie. Ich sehe vier Brotscheiben auf einem Teller. Ein Plastikmesser. Zwei kleine Plastikschalen. Mit Erdnussbutter. Und Frischkäse. Ein roter Apfel. Eine Banane. Eine Flasche Wasser. Ein Tetrapack mit Apfelsaft. Frustriert stehe ich da. Mit meinem blauen Tablett. Hebe zögernd den Blick. Zwinge mich dazu, akribisch den vollbesetzten Essbereich der Station zu überblicken. Muss einen relativ ungestörten Platz für mich finden. Muss dringend Mister Mike Shinoda finden. Verdammt! Trotz all dem extrem verstörenden Chaos in meinem Kopf vermisse ich den schnuckeligen Halbjapaner unendlich. Obwohl ich sicher bin, dass er nichts mehr von mir wissen will, spätestens, nachdem Pfleger Ulli ihn bearbeitet hat, drängt es mich gigantisch zu diesem Menschen hin. Leider kann ich ihn in der erwartungsvoll glotzenden Menschenmenge nicht finden. Mikey ist noch nicht hier. Womöglich kommt er auch gar nicht. Weil der Bartträger mir aus dem Weg geht. Weil er sich vielleicht vor mir versteckt. Das kann ich nicht ändern. „Chester, sing etwas für uns!” fordert mich irgendwer flehend auf. Andere stimmen zu. Fremde Patienten rufen mir hartnäckig zu, dass ich für sie singen soll. Mich zu ihnen an den Tisch setzen soll. Ich schüttele nur den Kopf. Lächele bedauernd in rätselhaft enttäuschte Gesichter. Da liegt zu viel Getuschel in der Luft.

Steuere mit aufgewühlt hämmerndem Herzen einen leeren Tisch ganz hinten in der Ecke des Saals an. Stelle mein volles Tablett auf der weißen Tischplatte ab. Lasse mich auf einen der vier weißen Holzstühle sinken. Hoffentlich kommt jetzt keiner auf die Idee, sich zu mir setzen zu wollen. Eine Weile sitze ich einfach so da. Versuche meine tosenden Gedanken zu ordnen. Gelingt mir nicht mal ansatzweise. Zu viele verwirrende Ereignisse. Zu viel Irrsinn in meinem Schädel. Mit Mikey habe ich die Kontrolle verloren. Alles falsch gemacht. Das tue ich immer. Ich muss dringend aufhören zu denken. Lustlos nehme ich das Plastikmesser. Streiche Erdnussbutter auf eine der Brotscheiben. Mein Magen rebelliert. Ich bin nicht sicher, ob ich überhaupt etwas runter kriege. Oder ob ich nicht gleich kotzen muss. Hinter meinem Rücken wird das Stimmengewirr wieder lauter. Zum Glück wendet sich die allgemeine Aufmerksamkeit von mir ab. Meine quälende Sehnsucht drängt mich dazu, mich umzudrehen. Die Eingangstür im Auge zu behalten. Damit ich es sofort sehen kann, wenn der schwarze Stachelkopf hereinkommt. Aber ein zu großer Teil von mir rechnet fest damit, dass Shinoda mich ignoriert. Falls der Typ überhaupt zum Abendessen auftaucht. Fühle mich beschissen labil. Akute Down-Phase. Bin nicht sicher, ob ich das momentan ertrage. Ob ich es wegstecken kann. Wenn Mike so tut, als würde er mich nicht kennen. Sich irgendwo anders hinsetzt. Ohne mich zu beachten. Der Kerl wird mir einfach aus dem Weg gehen. Weil er nicht mit mir gesehen werden will. Weil er nach meinem Ausraster in der Bibliothek die Schnauze voll von mir hat. Das könnte ich verstehen. Würde mir aber trotzdem verflucht wehtun. Fühle mich stressig sensibel. Seit ich hier bin, geht mir alles viel zu sehr unter die Haut. Ohne die gewohnte Betäubung meiner Sinne bin ich so verdammt angreifbar. Das kotzt mich total an. Dieses bedrohliche Gefühl des Ausgeliefertseins macht mich richtig sauer. Meine Sucht nach den Substanzen, die meine Situation erfahrungsgemäß erträglicher machen würden, bringt mich beinahe um. Nur mühsam widerstehe ich dem impulsiven Drang, mein beladenes Tablett zu packen und es mit voller Wucht gegen die graue Wand vor meinen Augen zu schmettern. Wütend nehme ich die Scheibe Brot mit Erdnussbutter. Beiße angewidert ein Stück ab. Kaue aggressiv.

„Ist hier noch ein Platz frei?” Die unerwartete Stimme hinter mir schnürt mir abrupt die Kehle zu. Das Brot rutscht mir trocken in die Luftröhre. Reflexartig huste ich mir fast die Lunge aus dem Leib. „Hey, sei vorsichtig, Chester. Iss langsam”, mahnt die vertraute Stimme behutsam. Jemand stellt sein Tablett neben meins auf den Tisch. Klopft mir beruhigend auf den Rücken. Während ich mich verkrampft hustend unwillkürlich zusammenkrümme. Ein Arm taucht in meinem Blickfeld auf. Eine Hand greift an mir vorbei nach der Flasche Wasser. Die auf meinem Tablett steht. Der Mann schraubt die Flasche geschickt auf. Hält sie mir hin. „Hier, nimm einen Schluck, Chaz. Das hilft”, fordert er mich vage amüsiert auf. Schlagartig bin ich komplett verwirrt. Meine Gedanken laufen Amok. Er ist hier, denke ich konfus, shit, Mikey ist wahrhaftig zu mir gekommen. Geradewegs an meinen Tisch. Vor aller Augen. So schnell und plötzlich steht der Besondere neben mir, dass ich es nicht verarbeiten kann. Aus dem Nichts taucht er auf. Das macht der immer so. Mike Shinoda hat die Gabe, sich unbemerkt an mich heranzuschleichen.

In meinem aufgescheuchten Kopf läuft alles durcheinander. Das tosende Chaos lähmt mich total. Weiß gar nicht, was ich machen soll. Der Husten schüttelt mich. Tut meinem Hals weh. Meiner Lunge. Spucke beim Husten ungewollt ein paar Brotkrumen über den Tisch. Das ist mir peinlich. Der Mann steht neben meinem Stuhl. Hält mir geduldig das Getränk hin. Als der heftige Hustenreiz endlich nachlässt, nehme ich die Flasche von ihm an. Trinke einen großen Schluck kühles Wasser. Der angenehm lindernd meine Speiseröhre herunterläuft. Michael Shinoda spricht noch mit mir, grübele ich alarmiert. Der rätselhafte Halbjapaner ignoriert mich nicht. Damit habe ich nicht gerechnet. Fühle mich restlos überfahren. Einen Moment lang bin ich nicht sicher, ob das gut oder schlecht ist, dass Mike neben mir steht. Sich wider jeder Erwartung an meinen Tisch setzen will. Ich schwanke zwischen dem heftigen Bedürfnis, den Stacheligen zu küssen und der absoluten Gewissheit, dass es für alle Beteiligten sehr viel besser wäre, wenn ich ihm jetzt einfach sage er soll sich verpissen. Bin komplett verwirrt. Halte mich an der Flasche fest. Trinke gierig das Wasser aus. Viel zu schnell ist die verdammte Flasche leer. Kann mich nicht überwinden Mike anzusehen. Stelle die leere Flasche mit zitternden Händen zurück auf mein Tablett.

„Ist hier noch frei, Chester?” fragt der Kerl nach einer Weile noch einmal. Diesmal klingt er eindeutig ängstlich. Mein Zögern verunsichert ihn. Was mir sofort leidtut. Es rührt mich, dass der Besondere offenbar Angst davor hat, dass ich ihn abweise. Trotz aller warnenden Bedenken schaue ich zu ihm auf. Augenblicklich versinke ich in seinen scheu fragenden Knopfaugen. In diesem herrlichen Braun ist so verdammt viel Unerklärliches versteckt. Möchte den Typ den ganzen Tag lang ansehen. Sein Anblick beruhigt mich auf magische Art. Aber im Moment sind die Dämonen stärker. Es wäre besser ihn wegzuschicken, schreit die zornige Stimme in meinem Kopf. Du musst diese seltsame Sache jetzt und hier beenden. Sonst machst du ihn nur kaputt. Mit deinem verfickten Irrsinn. Der nie aufhören wird. Der immer nur schlimmer werden wird. Du bist es nicht wert, dass dieser ahnungslose Mensch seine Gefühle in dich investiert. Und das weißt du auch genau, Chester Bennington. Ja, verflucht nochmal. Das weiß ich nur zu gut.

„Siehst du hier jemanden am Tisch sitzen, Mike Shinoda?” frage ich ihn provozierend. Meine Augen fordern ihn auf, so schnell wie möglich wegzulaufen. So weit weg von mir, wie es nur geht. Sich sofort vor mir in Sicherheit zu bringen. Mikey zuckt zusammen. Sieht mich irritiert an. Der abweisende Tonfall meiner Stimme und mein mega unfreundlicher Blick verstören ihn. „Ich sehe dich, Chester Bennington”, flüstert er beinahe. Dieser besondere Klang. Harmonisch. Mein Name tanzt auf seiner Zunge. Das stellt mir die Härchen auf. So erregend ist seine schöne Stimme. So voller Zuneigung. Ich fasse es nicht, dass er vor den ganzen Pflegern und Patienten auf diese Art mit mir spricht. Als würde er mich wie verrückt lieben. Als wäre ihm egal, was andere sehen oder denken. So etwas hat der halbe Japaner noch nie getan. Nicht vor all diesen Zeugen. Das muss ich sofort stoppen. Was hier abläuft ist nicht gut. Das kann nicht gut enden. „Nein, du siehst nicht mich”, entgegne ich warnend, „Du siehst nur das, was du sehen willst, Mike Shinoda.”

Ich hasse es, zu ihm aufsehen zu müssen. Darum stehe ich kurzerhand auf. Der Besondere weicht nicht vor mir zurück. Obwohl ich ihn so böse fixiere. Obwohl mein Blick ihn eindeutig wegschickt. Schon stehen wir dicht voreinander. Eine Weile schauen wir uns intensiv an. Ich bin echt von der Rolle. Schwanke heftigst zwischen Wut und Geilheit. Verwirrung und Erleichterung. Weil der Kerl wahrhaftig zu mir gekommen ist. Das kapiere ich gar nicht. Habe keine Ahnung, was hier überhaupt passiert. Der Bartträger sieht mich beunruhigt an. Fragend. Zieht besorgt die Augenbrauen zusammen. Sein Blick gefällt mir nicht. Obwohl ich die beiden Falten auf seiner Stirn vergöttere. Aber da ist was in seinen Augen. Was mich unbedingt verstehen will. Was flehend versucht, das rätselhafte Individuum Chester Bennington zu entschlüsseln. Ich ertrage seinen forschenden Blick nicht. Dieses heftige Verlangen mich zu begreifen. Ich habe Angst, dass er meinen Schutzpanzer knackt. Dass er es schafft, hinter die Fassade zu blicken. Denn dann würde er merken, wie zerstört ich bin. Wie hilflos. Innerlich zerrissen. Das darf ich nicht zulassen. Am liebsten würde ich Shinoda ins Gesicht schlagen.

„Dann erzähl mir doch etwas von dir, Chester Bennington”, fordert der Halbjapaner mich nach einer Ewigkeit behutsam auf. Seine Miene entspannt sich. Seelenruhig dreht er sich von mir weg. Wählt den Platz gegenüber von meinem. Schiebt sein volles Tablett vor sich her über den Tisch. Setzt sich hin. Wie angewurzelt stehe ich da. Ich fasse es nicht, dass er sich einfach frech an meinen Tisch gesetzt hat. Obwohl der Dämon in mir ihn drohend aufgefordert hat zu verschwinden. Obwohl dieser scheiß Speisesaal voller Leute ist, die ihn und mich unter Garantie beobachten. Trotzdem lässt Mikey sich nicht beirren. Lässt sich nicht abweisen. Das beeindruckt mich. Bewirkt irgendwas in mir. Was ich noch nicht verstehe. Automatisch falle ich zurück auf meinen Stuhl. Starre konfus den fremden Typen mir gegenüber am Tisch an. „Was willst du?” frage ich verwirrt. Er sieht mich lächelnd an. Nimmt sein Plastikmesser. Fängt damit an, sein Brot mit Frischkäse zu bestreichen. Mikeys Lächeln ist so wunderschön, dass ich davon unweigerlich paralysiert werde. „Erzähl mir von deiner Band, Chester”, schlägt das dreiste Knopfauge vor. Lächelt mich aufmunternd an. „Warum sollte ich?” entgegne ich abweisend.

Mein Kopf ist so verwirrt, dass ich keinen klaren Gedanken fassen kann. Ein Teil von mir will ihn dringend fühlen. Sehnt sich danach, ihn zu küssen und anzufassen. Der andere Teil von mir will ihn bösartig ins wundervolle Gesicht spucken. Ihm kräftig eine reinhauen. Damit er endlich begreift, dass es entschieden besser für ihn ist, wenn er geht. Sofort. Und nicht wiederkommt. Aber ich will den Besonderen nicht verlieren. Will nicht allein sein. Habe Angst vor der Einsamkeit. Meine Eingeweide ziehen sich krampfhaft zusammen. Mein Magen schmerzt. Panisch versuche ich, meine extreme Aufregung herunterzuschrauben. Meine stürmische Verwirrung zu entwirren. Mich irgendwie in den Griff zu kriegen. Gelingt mir nicht. Jeder Millimeter von mir ist höchst alarmiert. Hilflos sitze ich auf diesem harten Stuhl. Bewege meinen Körper wahllos. In angespannter Habachtstellung. Meine Beine und Arme zappeln blöde herum. Betrachte den rätselhaften Mann.

Plötzlich springt mich eine böse Erinnerung an. Komm her, Chester! Wie ich auf seinem Schoß sitze. Seine Hände auf meiner Brust. Setz dich auf meinen Schoß, Chester! Wie sie langsam an mir heruntergleiten. Es waren andere Beine, auf denen ich saß. Ich war sieben Jahre alt. Die Situation war exakt die gleiche. Ich wollte das nicht. Habe mich unwohl gefühlt. Ein älterer Freund der Familie. Den ich eigentlich sehr mochte. Ich hatte ihm zwei ganze Folgen von Popeye vorgeführt. Die ich alle auswendig konnte. Wort für Wort. Er hatte bis zum Schluss zugehört. Er war interessiert. Aufmerksam. Anerkennend. Fand mich höchst unterhaltsam. Alle fanden mich höchst unterhaltend. Früher mal. Als ich noch ein Kind war. Ich mag dich gern, Chester! Komm her! Setz dich auf meinen Schoß! Das bleibt unser Geheimnis, hörst du?

„Ganz ruhig, Chaz”, flüstert der Mann sanft, der mir gegenüber am Tisch sitzt, „Sei ganz ruhig. Alles ist gut.” Braune, große Augen studieren mich schüchtern. Mike Shinoda irrt sich gewaltig. Denn momentan ist gar nichts gut. Ich bin echt am Ausklinken. Verdammt nah am Overkill. „Was?” keuche ich verwirrt. Starre ihn an, als könnte er mir irgendwie helfen. Der schwarze Stachelkopf sieht besorgt aus. Muss mich dringend davon ablenken, was ungesteuert in meinem Schädel abläuft. Meine linke Hand liegt auf dem Tisch. Instinktiv nach Erlösung gierend, fangen meine Finger damit an, aggressiv auf die hölzerne Tischplatte zu klopfen. Das beruhigt mich. Ich weiß das. Konzentriere mich eisern auf den Takt von Jane Says. Dieser herrliche Song. Fucking Jane's Addiction. Ich liebe diese Band. Total. Im Kopf singe ich den geilen Text mit. Wort für Wort für Wort. Rhythmus und Wörter. Das erfüllt mich. Lindert den Schmerz. Muss mich zunehmend zurückhalten, um die vertrauten Zeilen nicht laut herauszubrüllen.

Mikey sieht sich das eine Weile an. Der süße Halbjapaner wirkt verstärkt beunruhigt. Er versucht dahinter zu kommen, was meine nervöse Trommelei bedeutet. Fuck, er merkt, dass irgendwas mit mir nicht stimmt. Das gefällt mir nicht. Ich will nicht so schwach sein. Das ist total scheiße. Aber ich weiß nicht, wie ich da gegensteuern kann. Meine Wut steigert sich. Die wirren Aggressionen kochen in mir. Unwillkürlich schlagen meine Finger noch kräftiger auf die harte Tischplatte ein. Mittlerweile habe ich Jane Says mental schon fast zwei Mal gesungen. Als der Bärtige plötzlich seine Hand ausstreckt. Und sie sanft über meine heftig trommelnden Finger legt. Augenblicklich kommt der aggressive Rhythmus zum Stillstand. Jane's Addiction verstummt abrupt in mir.

„Ganz ruhig”, flüstert Shinoda behutsam, „Sei ganz ruhig, Chazy Chaz.” Der gutaussehende Typ lächelt mich besänftigend an. „Es ist doch alles in Ordnung”, behauptet er leise. Der junge Mann ist konzentriert. Sein Blick noch immer auf der Suche nach Erklärungen. Er sehnt sich nach Antworten. Die ich ihm nicht geben kann. Fühle mich extrem verwirrt. Aber auch schlagartig beschwichtigt. Mikes Hand liegt bewegungslos auf meiner. Erstaunt registriere ich, dass seine Berührung vollkommen ausreicht, um meinen Kopf zu beruhigen. Um mein aufgewühlt und zornig pochendes Herz zu trösten. Irritiert schaue ich den Zauberer an. Ich hatte vergessen, welch sonderbare Wirkung dieser besondere Mensch auf mich hat. Dass Mike Shinoda es immer wieder schafft, mir Ruhe zu schenken. Davon bin ich sofort gefesselt. Wie liebevoll er mich anlächelt. Das scheint stärker als die Dunkelheit zu sein. Es fühlt sich an, wie ein Licht am Ende des Tunnels.

„Erzähl mir lieber etwas von dir”, fordert der Schwarzhaarige mich zum zweiten Mal auf. „Warum sollte ich?” erwidere ich ungehalten. Ich bin mir nicht sicher, ob das gut ist. Dass Shinoda diese Macht über mich hat. Das ist mir ganz schön unheimlich. Außerdem verblüfft es mich, dass er seine Hand auf meine gelegt hat. Hier im vollbesetzten Speisesaal. Vor all diesen neugierigen Augenpaaren. Die bestimmt alle zugucken. So etwas macht der scheue Kerl normalerweise nicht. Er verhält sich anders als sonst. Das ist total verwirrend.

Im nächsten Moment zieht Mikey seine Hand wieder weg. Beißt von seinem Brot ab. Kaut genüsslich. „Du hast behauptet, dass ich dich nicht richtig sehe. Darum musst du mir jetzt etwas über dich verraten, Chester. Damit ich dich besser sehen lerne”, erläutert er betont locker. Seine Augen lassen mich nicht los. Er fokussiert sich auf mich. Auf das, was mit mir los ist. Der Fremde möchte mich wirklich gerne verstehen. Das rührt mich. Dieses schüchterne Interesse. Die süße Naivität. Diese bedingungslose Zuneigung zu jemandem wie mir. Der so etwas definitiv nicht verdient hat. Shinoda hat keine blasse Ahnung, worauf er sich einlässt. „Das ist doch alles nur blöder Scheiß”, wehre ich ihn ärgerlich ab, „Das braucht dich echt nicht zu interessieren, Mike.” In Wahrheit schmeichelt es mir, dass dieser Fremde mich sehen lernen will. Das hört sich irgendwie schön an. Und eigentlich will ich ja auch über ihn alles wissen. Ich fühle mich enorm zu diesem Menschen hingezogen. Weiß nicht warum. Kann ich nicht erklären. Mikey grinst. Schüttelt den geil gestylten Kopf. „Ach, komm schon, Chaz. Jetzt sei nicht so feige. Erzähl mir was”, bleibt er hartnäckig. Spöttisch verdrehe ich die Augen. Sage gar nichts. Presse die Lippen aufeinander. Vor Aufregung hämmert mein Herz. Weil hier gerade irgendwas passiert. Mit dem ich nicht gerechnet habe. Mike Shinoda dringt zu mir durch.

Der Typ überlegt eine kurze Weile. „Wann hast du gemerkt, dass du so fantastisch singen kannst?” will er neugierig wissen. Schon in seiner ersten Frage steckt dieses unüberhörbare Kompliment. Das mir unwillkürlich die verkrampften Eingeweide wärmt. Obwohl es mich angenehm ablenkt, lasse ich mich nur ungern auf dieses Gespräch ein. Weil mir nicht klar ist, wohin das möglicherweise führen wird. „Ich hab einfach gern gesungen”, winke ich genervt ab, „Seit ich denken kann, habe ich alles mitgesungen, was im Radio lief. Ich konnte alle Texte blitzschnell auswendig.” „Wow”, staunt der Halbjapaner, „Und wann hast du deine Band gegründet?” „Ich habe in verschiedenen Bands gesungen. Seit ich ein Teenager war”, verrate ich ihm knapp. Schaue ausweichend auf mein Tablett. Denke darüber nach, ob ich noch etwas essen soll. Eigentlich habe ich Hunger. Andererseits ist mir zu schlecht, um was runter zu kriegen. Sehe wieder den Besonderen an. Mike hat seine erste Scheibe Brot schon aufgegessen. Jetzt schmiert er Erdnussbutter auf die zweite. „Wie kamst du auf die Idee, Grey Daze zu gründen? Wie lange gibt es euch schon? Sind die anderen Bandmitglieder Schulfreunde von dir?” horcht er mich wissbegierig aus. Das Thema gefällt mir nicht. Es erinnert mich daran, wie hilflos ich derzeit in der geschlossenen Psychiatrie bin. Total handlungsunfähig gemacht worden. Bösartig getrennt von meinem Leben in Phoenix. Wo ich gerade dabei war, mir etwas Sinnvolles aufzubauen. Das macht mich wütend. Weil einfach alles, was Grey Daze und mein Leben zu Hause angeht, so beschissen ungeklärt zurückgeblieben ist.

„Nein... Mike... das ist nicht... warte mal... ich habe Grey Daze nicht gegründet...”, verbessere ich den Neugierigen entnervt. Taxiere ihn unzufrieden. Weil er mich mit seinen sinnlosen Fragen noch mehr verwirrt. Sichtbar verschreckt fängt Mikey meinen warnenden Blick auf. Meine drohenden Augen schüchtern ihn ein. Dieses seichte Geplauder scheint dem Typen rätselhaft wichtig zu sein. Es ist rührend, wie sehr Shinoda anscheinend fürchtet, dass ich ihm irgendwie entgleite. Dass ich ihn mit seinen Fragen auflaufen lasse. Womöglich damit anfange, mich ihm komplett zu verweigern. Es ist ein gutes Gefühl, den Kerl so im Griff zu haben. Diese Macht über ihn zu haben, befriedigt mich auf eine dumme, egoistische Art. Böse starre ich ihn an. Stelle ein weiteres Mal fest, wie verdammt wunderschön dieser Mann ist. Von seinem einmaligen Anblick werde ich regelrecht verzaubert. Trotzdem schwanke ich unverändert heftig zwischen dem Bedürfnis, ihm so nah wie möglich zu sein und der unabwendbaren Gewissheit, dass es besser wäre ihn auf der Stelle sehr weit wegzujagen.

Einige Zeit ist es still. Während wir uns gegenseitig stumm studieren. Das stärker werdende Gefühl, dass der Kerl irgendwie meine Gedanken lesen kann, verstört mich enorm. Nervös hampele ich auf meinem Stuhl herum. Etwas warnt mich, dass ich mich schnell in Sicherheit bringen muss. Mike Shinoda scheint zu spüren, wie nahe ich daran bin, aufzustehen und wegzulaufen.

„Ich habe auch eine Band, Chester!” wirft er plötzlich hastig in den Raum. Mike klingt verzweifelt. Und fest entschlossen. Ich glaube, mit dieser spontanen, unerwarteten Behauptung will der Typ mich dringend festhalten. Merkwürdigerweise hat er damit auf ganzer Linie Erfolg. Verdattert reiße ich die Augen auf. Damit habe ich nicht gerechnet. Dass Mikey eine Band hat. Bin nicht sicher, ob er mich anlügt. Aber selbst wenn, der clevere Halbjapaner hat unbewusst den richtigen Schalter bei mir gedrückt. Etwas passiert mit mir. Unwillkürlich. Eine Erinnerung taucht in meinem konfusen Gehirn auf. Es ist gut, wenn er sich daran erinnert, denke ich. Schlagartig fühle ich mich seltsam zufrieden. Mike muss sich an sein früheres Leben erinnern. Damit er dahin zurückfinden kann. Der Patient ist hier, damit er in seine alte, offenbar super harmonische Welt zurückkehren kann. Michael Shinoda aus Agoura Hills war so dermaßen verloren, dass er sogar versucht hat sich umzubringen. Hat sich in der Badewanne die Pulsadern aufgeschnitten, der apathische junge Mann. Wenn ich ihm dabei helfen will zurückzufinden, dann muss ich dafür sorgen, dass ihm seine Vergangenheit wieder einfällt. Irritiert spüre ich, dass es mich beruhigt, mich auf den fremden Kerl an meinem Tisch zu konzentrieren. Dass es mich wahrhaftig von den fast unvermindert böse lärmenden Dämonen in meinem irren Schädel ablenken kann. Und wahrlich, in diesem Moment ersehne ich nichts auf der ganzen verdammten Welt mehr.

„Echt?” frage ich ihn verdutzt. Auf einmal bin ich ehrlich interessiert. Worüber der Bärtige sich mächtig zu freuen scheint. Sofort stürzt er sich eifrig auf das neue Thema. „Ja, ich habe ehrlich eine Band, Chester. Wir heißen Xero. Also... früher mal Super Xero. Aber das Super haben wir schon ziemlich schnell weggelassen...” Mikey grinst verlegen. „Was macht ihr für Musik?” ermutige ich ihn, mir alles über seine Band zu erzählen. „Och... wir mixen so rum... Rock mit Hip-Hop... Soul mit Metal... Rap mit Pop... was uns gerade so einfällt...”, erklärt der Musiker vage. Was er macht, ist nicht neu, aber ungewöhnlich. So richtig verstehe ich ihn nicht. Kapiere nicht recht, was für eine Art von Musik das sein soll, die er da fabriziert. Nicke aber so zustimmend, als wäre ich vollkommen mit ihm einer Meinung. „Das ist toll”, versichere ich dem Bartträger lächelnd. Betrachte das wundervoll runde Gesicht. Da tut sich was bei ihm. Das ist faszinierend. Shinodas große Augen fangen an zu leuchten. So enorm begeistert ist er von dem, wovon er gerade spricht. Das fühlt sich erfrischend an. Den Gestylten dermaßen enthusiastisch zu erleben. Davon werde ich unweigerlich gebannt.

„Weißt du, Chaz, ich liebe Musik. Ehrlich. Total. Ich liebe jede Art von Musik. Mit sechs hat meine Mom mich schon zum Klavierunterricht angemeldet, weil ich so scharf auf die verschiedenen Töne war.” Mikey kichert verschmitzt. „Ein echtes Wunderkind also”, necke ich ihn. Obwohl ich von seinem frühen Talent insgeheim beeindruckt bin. Außerdem bin ich neidisch auf seinen Klavierunterricht. Denn meine Mom hat mich nie irgendwo angemeldet. Hat die wahrscheinlich nicht die Bohne interessiert, ob ich ein Instrument lerne oder nicht. Meine Familie ist nicht musikalisch. Meine Mom war die meiste Zeit meines Lebens nur die abwesende Krankenschwester. Die nach der Scheidung meiner Eltern noch nicht mal mehr für mich sorgen wollte. Sie hat mich einfach im Stich gelassen. Hat mich zu meinem labilen Dad abgeschoben. Der sich nie um mich gekümmert hat. Aber daran will ich jetzt bestimmt nicht denken. Das zieht mich sofort wieder total runter. Fuck, es ist so verflucht leicht, darin zu versinken. Armes, armes Ich. Aber ich will nicht so jämmerlich sein.

Verbissen konzentriere ich mich auf den gerade hellauf begeisterten Mitpatienten. Der mir gegenüber am Tisch sitzt. Hoffe inständig darauf, dass seine spürbar selige Zufriedenheit mit der Zeit auf mich abfärbt. Könnte doch sein, dass das möglich ist. Dass der magische Zauberer es irgendwie schafft, mich aus der gegenwärtig verflucht kalten Dunkelheit zu retten. Zu viele schmerzende Erinnerungen in meinem Schädel. Zu viele unverarbeitete Gefühle. Mein Leben hat da entschieden zu viel Dreck in mir angesammelt. Meine Dämonen tanzen mit Vorliebe darin herum. Wirbeln pausenlos alles wieder auf, die verfluchten Wichser.

„Und Xero kennt sich also schon seit der Schule?” erkundige ich mich drängend bei dem wohl in der Erinnerung an die Klavierstunden in seiner Kindheit versonnen lächelnden Bartträger. Ich will jetzt unbedingt, dass der Typ weiterspricht. Mike soll gegen meine Depressionen anreden. Der Kerl soll meine akute Down-Phase für mich beenden. Mit Worten dagegen ankämpfen. Weil ich das offenbar zur Zeit allein nicht schaffen kann. Der fremde Patient muss meinen wirren Schädel mit positivem Inhalt füllen. Sofort. In diesem Moment scheint das lebenserhaltend für mich zu sein. Zum Glück tut der Besondere mir den Gefallen. Mit Sicherheit ahnt er nicht mal, was er da konkret für mich macht. Aber er scheint es irgendwie zu spüren. Dass es mir hilft, wenn er mit mir redet. Dafür bin ich ihm spontan extrem dankbar. Augenblicklich habe ich das Gefühl, dass Mister Mike Shinoda aus Agoura Hills in Kalifornien für Chester Bennington genauso lebenswichtig ist, wie der verdammte Sauerstoff zum Atmen.

„Tja ich... als erstes habe ich klassisches Klavier spielen gelernt. Später dann auch Gitarre. Mich hat schon immer alles interessiert, was mit Klängen und Tönen zusammenhängt. Im Grunde mag ich jede Art von Musik. Aber hör mal, Chaz, Hip-Hop und Rap, das sind meine wahren Ikonen. Wow Mann, Public Enemy, Dr. Dre, Run DMC, Grandmaster Flash, die haben mich total beeinflusst. Das wurde damals echt mein Style. Wie besessen habe ich meine Rap-Skills geschult. Und bestimmt tausend Tags an die Mauern von Agoura Hills gesprayt.” Auch diese Erinnerung bringt den Süßen zum Schmunzeln. Das erwärmt mein Herz. Der faszinierende Kerl ist voll in seinem Element. Gebannt beobachte ich ihn. „Ich liebe Graffiti. Damit kann ich mich zeichnerisch austoben, verstehst du?!” erzählt Mikey weiter, „Das war damals aufregend für mich. Ich wollte unbedingt alles selbst ausprobieren, was meine Lieblingsbands und -künstler so gemacht haben. Dafür habe ich mir als Teenager ein Yamaha-Keyboard gekauft. Zu Hause in meinem Zimmer habe ich verschiedene Songs zusammengemixt und neue Beats dazu programmiert. Nur um zu sehen, was dabei herauskommt. Das fasziniert mich total, Chester. Was man mit den Tonleitern und Akkorden, den Beats und Drums alles machen kann. Das ist richtig toll. Praktisch grenzenlos. Das musst du dir unbedingt mal anhören”, schwärmt der Stachelige. Und merkt scheinbar gar nicht, dass er dabei von einer Zukunft spricht, die noch gar nicht existiert. In Gedanken führt er mir schon längst seine Mixe auf dem Keyboard vor. Und ist dabei total glücklich. Das erwärmt mich stärker von innen, als ich erwartet hatte. Mike Shinoda dabei zu beobachten, wie er von Musik spricht, ist definitiv aufbauend. Seine Begeisterung ist absolut ansteckend. Das legt sich wie ein heilender Schleier über meine schmerzende Seele. Dankbar lächele ich ihn an. Sehe kurz hinab auf meinen Teller. Kurzentschlossen nehme ich mein Brot und beiße ab.

„Auf der High School habe ich Brad kennengelernt”, berichtet Mikey mit leuchtenden Augen, während er an seinem Abendessen kaut, „In Agoura Hills sind wir praktisch Nachbarn, weißt du. Brad Delson ist ein absolut fantastischer Gitarrist. Musikalisch steht der besonders auf Hip-Hop und Rock. Die Musik hat uns zusammengeführt. Wir haben wie verrückt herum experimentiert. Brad brachte Rob Bourdon als Schlagzeuger in unsere Band, der ein echter Funk Fan ist.” „Also macht ihr... was? So eine Art Rap-Hip-Hop-Rock-Funk Sache, oder was?” bemerke ich ein bisschen spöttisch. Mike grinst breit und betont nicht ohne Stolz: „Wir machen alles, Chester Bennington. Bei uns gibt es keine Grenzen. Wir sind echt nach allen Seiten offen. Musik ist nämlich grenzenlos. Da ist viel mehr möglich, als man gemeinhin glaubt. Bei Xero bringt jeder seinen eigenen Einfluss in die Band mit rein. Auch Electro spielt eine große Rolle. Brad und ich hören total gerne Electro-Pop Bands wie New Order oder Depeche Mode. Was die mit ihren Synthesizern machen ist fantastisch.”

Plötzlich klingelt was bei mir. Es ist gut möglich, dass auch meine Augen anfangen zu leuchten, als ich überraschend den Namen Depeche Mode höre. „Mann, Mike, in der Grundschule habe ich mir immer so sehr gewünscht, dass die mich abholen würden”, gestehe ich meinem Gegenüber spontaner, als ich darüber nachdenken kann, „Als Kind habe ich mir sehnlichst vorgestellt, dass Depeche Mode mit ihrem Hubschrauber auf dem Schulhof landen und mich mit auf Tour nehmen.” Meine geheimsten Gedanken sind schneller draußen, als ich sie bewusst steuern oder einfangen kann. Im nächsten Moment fürchte ich, dass der Besondere mich wegen meiner naiven Kinderträume auslacht. Ich weiß ja, dass meine Rockstar-Ambitionen im Allgemeinen nur auf Spott und Mitleid treffen. Das habe ich schon oft genug erlebt. Angespannt schaue ich den Bärtigen an.

Zu meiner Erleichterung lächelt er nur gerührt. „Also wolltest du schon immer ein berühmter Rockstar werden, Chester Bennington?” fragt er zwischen leichtem Spott und großer Bewunderung. „Ja, das wollte ich”, bestätige ich im Brustton der Überzeugung, „Genau das ist es, was ich will. Das habe ich von Klein auf jedes Mal geantwortet, wenn ich danach gefragt wurde, was ich einmal werden will. Ich will ein berühmter Rockstar werden, Mike Shinoda.” Meine Stimme ist voll mit aggressivem Trotz. Weil ich davon ausgehe, dass auch der Patient mich diesbezüglich ohnehin nicht ernst nehmen wird. Schließlich tut das ja niemand. Noch nie. Wie jeder andere wird auch dieser Kerl mich höchstens verspotten. Doch der fantastische halbe Japaner lächelt nur warm. Liebevoll. Sichtbar gerührt von meinem niemals endenden Kindertraum. Meine wild entschlossene Energie, die ich in meine Ziele stecke und die ich zweifellos gerade ausstrahle, scheint ihm zu gefallen. Shinodas Lächeln ist so wundervoll, dass ich es nicht oft genug sehen kann. Nicht intensiv genug genießen kann. Sein Aussehen paralysiert mich unweigerlich. Da ist so viel seltsame Hochachtung in diesem Lächeln. So viel wunderliche Zuneigung zu mir. Es fühlt sich an, als könnte dieses Lächeln alle meine Dämonen einfach hinwegfegen. Wenn ich es nur lange und gründlich genug ansehe. Automatisch davon besessen, sauge ich den tröstlichen Anblick gierig in mich auf.

„Du schaffst das ganz bestimmt, Chester Bennington. Mit deiner einmaligen Stimme und deiner inneren Kraft kann das gar nicht anders laufen”, flüstert der Kerl liebenswürdig. Auf einmal denke ich, dass er damit eventuell sogar recht haben könnte. Irgendwie. Ein anderer Mensch glaubt daran, dass ich es schaffen werde. Heilige Scheiße! Ich kann es absolut nicht verarbeiten, dass da plötzlich jemand vor mir sitzt, der an mich glaubt. Ernsthaft. Diese unerwartete Situation ist völlig neu für mich. So etwas habe ich noch nie erlebt. Weiß gar nicht, wie ich darauf reagieren soll. Das macht mich total verlegen. Vor Freude über Mikeys überraschende Anerkennung wird mir ganz heiß. Nervös streiche ich mir durch die Dreads. Wahllos mit den Fingern über das verschwitzte Gesicht. Es kann sein, dass meine Ohren rot werden. Das ist mir peinlich. Darum wechsele ich schnell das Thema.

„Bist du mit Xero schon aufgetreten, Mike?” fordere ich meinen Tischgefährten hektisch zum Weitersprechen auf. Fahre mir nochmal nervös mit den Fingern durch die langen Haare. Rücke auf der Nase meine Brille zurecht. Obwohl sie gar nicht verrutscht war. Der Musiker gerät ein wenig ins Stottern. „Nein... wir... zu dieser Zeit haben wir eigentlich nur gejammt... Ich habe zu Robs Schlagzeug gerappt, und... Brad spielte Gitarre dazu...”, windet er sich. „Aber ich war ja auch noch nicht fertig, Chaz. Xero ist noch nicht vollständig”, betont er eilig. Lächelnd nicke ich ihm zu. Mache eine auffordernde Handbewegung. Seine Erlaubnis, um seine Bandgeschichte fortzuführen. Was er augenblicklich tut. „Nach der High School haben wir alle angefangen zu studieren. Am Art Center in Pasadena habe ich Joseph Hahn kennengelernt. Joe ist ein Meister an den Turntables. Mischt Musik wie ich, sampelt und scratcht für sein Leben gern. Gemeinsam haben wir verschiedene Stile zusammengemixt, programmiert und Beats produziert. Ich habe ihn in die Band geholt, als DJ von Xero.” „Wow, das ist cool”, fällt mir dazu nur ein. Was Mike mir erzählt, hört sich interessant an. Auch wenn ich nicht kapiere, auf was für eine Art von Musik seine Genre-Mixtur eigentlich hinauslaufen soll.

Zu meiner Überraschung ist der Hip-Hop-Enthusiast noch immer nicht fertig mit der Entstehungsgeschichte seiner Band. „Brad studiert an der UCLA Kommunikationswissenschaften mit der Spezialisierung auf Business und Verwaltung. Der ist richtig gut darin, Chester. Ich glaube, Brad Delson wird sein Studium mit besonderer Auszeichnung bestehen”, berichtet Mikey mir aufgeregt. Er ist voller Bewunderung für seinen mega schlauen Freund. „Schön für ihn”, rutscht mir unbedacht heraus. Im nächsten Augenblick tut mir mein hochnäsiger Tonfall schon leid. Unruhig blicke ich auf mein Tablett. Shit, mein Wasser ist leer. Von der Schnitte mit Erdnussbutter habe ich totalen Durst gekriegt. Außerdem ist mir tierisch heiß. Einen Moment lang überlege ich, ob ich aufstehen und in diesen Vorratsraum laufen soll, den Ulli mir gezeigt hat. Um mir eine neue Flasche Wasser zu holen. Falls ich den doofen Raum überhaupt finden würde. Woran ich ernsthaft zweifele. Außerdem ist Laufen anstrengend. Mein Bein tut verdammt weh. Nach dem verfluchten Kampf mit meinen Depressionen fühle ich mich ausgelaugt. Darum beschließe ich, dass der Weg in die Vorratskammer mir jetzt zu weit ist. Das macht mich ganz schön sauer. Ärgerlich nehme ich das Tetrapack Apfelsaft von meinem Tablett. Fummele ungeduldig den Plastikstrohhalm aus der durchsichtigen Plastikfolie. Stecke den Strohhalm in das Tetrapack rein. Trinke sauren Apfelsaft aus dem Karton.

Zögernd schaue ich zu Mike hin. Der Typ betrachtet mich gedankenversunken. Als unsere Blicke sich treffen, besinnt er sich und spricht weiter: „Brad ist Mitglied der Phi Beta Kappa Society. Das ist die älteste und angesehenste Studentenverbindung in den USA. Er teilt sich ein Zimmer mit David Farrell, der Phoenix genannt wird und unser Bassist geworden ist. Als Sänger habe ich meinen alten Freund Mark Wakefield engagiert. Naja... ich rappe und Mark singt. Weißt du, wir jammen andauernd und schreiben mit Sicherheit viel mehr Songs, als wir jemals spielen werden, Chaz. Aber wir treten höchstens mal auf Partys auf.” Der musikalische Schwarzhaarige verstummt. Sieht mich zufrieden an. Kaut an seinem Essen. Trinkt Wasser aus der Flasche. Eine Weile ist es still, während ich darauf warte, dass er mir noch mehr Bandmitglieder vorstellt. Doch Mikey sagt nichts mehr. Der redselige Mann wartet auf meine Reaktion.

Als mir das plötzlich abrupt klar wird, verschlucke ich mich fast am Apfelsaft. „Oh... ja... ähm... Deine Band Xero besteht ja aus echt ungewöhnlich vielen Leuten...”, stammele ich verwirrt. Um zu demonstrieren, dass ich meinem Tischgefährten aufmerksam zugehört habe. Der gestylte Stachelkopf nickt lächelnd. „Ja, wir sind zu sechst”, stimmt er zu. Ich bin erstaunt. „Und jeder von euch bringt seine eigenen Ideen in die Band mit rein? Ernsthaft, Mike? Wie soll das funktionieren? Wie könnt ihr euch da jemals einigen?” frage ich ehrlich verblüfft. „Ich meine... Grey Daze sind nur vier Leute. Und wir können uns schon viel zu oft nicht einig werden. Andauernd kriegen wir uns in die Haare. Streiten blöde rum. Wegen jedem kleinen Scheiß”, erläutere ich kopfschüttelnd. Shinoda lacht belustigt. Was ich sofort intensivst zur Kenntnis nehme. Ich spüre, dass mir jedes Lachen oder Lächeln von diesem Menschen enorm gut tut. Die zornige Dunkelheit in mir scheint sich langsam zu lichten. Das erleichtert mich unglaublich. Fühlt sich verdammt gut an. Darüber bin ich dermaßen froh, dass ich den Besonderen nur noch hingerissen fixieren kann. „Wie ich schon sagte, Chester. Wir sind nach allen Seiten offen”, wiederholt Mike gelassen.

Mann, dieser Kerl ist einfach nur bezaubernd. Es freut mich, dass der Patient sich so deutlich an seine Band erinnert hat. Seine Musik könnte doch für ihn ein Grund sein, um gesund zu werden und zurück nach Hause zu gehen, überlege ich zufrieden. Fünf Sekunden später erschreckt mich diese Überlegung. Weil ich das starke Gefühl habe, den seltsamen Typen an meinem Tisch noch sehr viel länger in meinem Leben zu brauchen. Womöglich brauche ich Shinoda sogar für immer. Das alarmiert mich irgendwie. Dieser Gedanke verwirrt mich ungemein.

Mike ist die ganze Zeit sehr aufmerksam. Er scheint mir meinen Schrecken sofort anzumerken. Der Zauberer spürt meine Verwirrung. Auch wenn er nicht wissen kann, woher meine Panik kommt, so will er mich doch augenblicklich aufs Neue beruhigen. „Und jetzt bist du dran, Chester Bennington”, fordert er mich milde lächelnd auf, „Erzähl mir die Geschichte von Grey Daze.” Das kleine Tetrapack ist viel zu schnell leer. Ich habe den ganzen Apfelsaft ausgetrunken. Darum stelle ich den Karton zurück auf das Tablett. „Ach... das ist lange nicht so spektakulär...”, winke ich bescheiden ab. Weil mir im Gegensatz zur aufregenden Bandgeschichte von Xero das Zusammenfinden von Grey Daze total banal erscheint. Die Band ist ja nicht mal meine Idee gewesen. Aber der halbe Japaner bleibt hartnäckig. „Nein, Chaz, weigern gilt nicht! Ich habe dir alles über Xero erzählt. Jetzt will ich auch die Grey Daze Story hören!” quengelt er ein bisschen. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. Es gefällt mir, wie unermüdlich und brennend er sich für mich interessiert. Obwohl mir noch immer bewusst ist, dass er das definitiv nicht tun sollte. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Verbindung zu mir ehrlich nicht gut für diesen Menschen sein kann. So auf Dauer gesehen. Wo ich doch immer alles kaputtmache. Unschlüssig betrachte ich ihn. Während wir nochmal eine Weile schweigen.

Schließlich seufzt Mike Shinoda theatralisch. „Ach, komm schon, Bennington! Raus mit der Sprache! Wie ist das mit Grey Daze?” drängt er ungeduldig, „Wie habt ihr zusammengefunden? Kennt ihr euch auch schon aus der High School?” Der junge Mann nimmt erneut das Pastikmesser von seinem Tablett. Sorgfältig macht er sich auch noch die restlichen zwei Scheiben Brot zurecht. Mit Erdnussbutter und Frischkäse. Bis die kleinen Schälchen leer sind. Mit sichtbarem Appetit beißt er ab. Mein Magen rebelliert schon von der einen Scheibe Brot. Ich bin sicher, keinen Bissen mehr herunterzukriegen. „Chaz, komm schon! Jetzt sei nicht so unfair! Bitte erzähl's mir! Bitte!” verlegt der Bartträger sich aufs Betteln. Also tue ich ihm den Gefallen. Weil ich dem Besonderen gar nichts ausschlagen kann. Einen Moment lang ordne ich meine Gedanken. Konzentriere mich. Dann lege ich los.

„Der Schlagzeuger Sean Dowdell hat die Band gegründet. Zusammen mit seinem Freund, dem Bassisten Jonathan Krause. Zu einem Zeitpunkt, als ich beide noch gar nicht kannte. Die sind älter als ich, Mike. Und die Band hieß da auch noch anders, Sean Dowdell and his Friends. Wir sind über einen gemeinsamen Freund in Kontakt gekommen. Sean hat lange einen Sänger für seine Band gesucht. Und dieser Freund hat mich für den offenen Posten vorgeschlagen. Der hatte mich schon mal woanders singen gehört. Nach einem Vorsingen hat Sean mich genommen. Also habe ich bei Sean Dowdell and his Friends gesungen. Unser Gitarrist hieß Steve Mitchell. Wir haben nur ein kleines Demotape rausgebracht. So Post-Grunge Zeugs. War aber absolut nicht erfolgreich. Danach haben wir uns in Grey Daze umbenannt. Naja, wir haben halt trotzdem immer weitergemacht. Mittlerweile haben wir unser erstes Album so gut wie fertiggestellt. Jonathan und Steve sind aber inzwischen ausgestiegen. Der Bassist Jonathan wurde durch Jason Barnes und später durch Mace Beyers ersetzt. Die Gitarre spielt jetzt Bobby Benish. Wie das eben so läuft. Du siehst, das ist nicht so spannend. Wir hatten nur ein paar Umbesetzungen und so”, erzähle ich seufzend. Der Halbjapaner hängt förmlich an meinen Lippen. Er sieht mich so dermaßen beeindruckt an, dass ich unbedingt was klarstellen muss.

„Hör mal, Mike, das ist nicht nur ein großer Spaß. Die Band ist vor allem verdammt viel Arbeit. Man muss sich da nämlich richtig doll reinhängen, wenn man auf diesem Markt etwas erreichen will. Grey Daze kämpft pausenlos um Anerkennung. Wir jagen jedem kleinsten Auftritt hinterher. Manchmal sind die Bühnen so winzig, das da kaum unsere Ausrüstung drauf passt. Oder es sind nur wenige bis gar keine Zuschauer da. Oder die beachten uns gar nicht. Wir sind noch immer auf der Suche nach einem richtigen Plattenvertrag. Darum müssen wir unser erstes Album selbst finanzieren. Jeden Tag gibt es Stress wegen irgendwas. Der übliche Band-Scheiß eben”, berichte ich meinem Mitpatienten lustlos. Muss mich anstrengen, um mich von dem Gedanken an meine weit entfernte Band nicht allzu sehr frustrieren zu lassen. Habe das bedrohliche Gefühl, dass ohne mich in Phoenix bald alles kaputtgehen wird.

Mike sieht mich schmunzelnd an. „Ja, aber du liebst diese Arbeit, Chester Bennington. Du hängst dich da für dein Leben gern voll rein. Weil das nämlich genau das ist, was du tun willst”, betont er triumphierend. Unwillkürlich beiße ich mir auf die Lippen. Weil er recht hat. „Ja, das will ich tun”, gebe ich zu, „Für Grey Daze bin ich hoch motiviert. Die Band ist das Wichtigste für mich, Mike. Ich will unbedingt, dass wir mit unserer Musik was erreichen.” Shinoda nickt verständig. „Sind die anderen Bandmitglieder alle älter als du?” will er erstaunt wissen. Ich nicke. „Ja, sind sie”, bestätige ich dem Wissbegierigen, „Ich war gerade erst vierzehn, als ich zu ihnen kam, und ich kannte keinen von ihnen. Zu diesem Zeitpunkt haben die anderen Jungs alle schon angefangen zu studieren.” Mein Gegenüber lächelt zufrieden. „Aber inzwischen sind sie bestimmt deine Freunde, Chaz. Ihr habt zusammen ein Album erschaffen. Trotz all der Schwierigkeiten. Es gibt euch noch immer”, stellt er anerkennend fest. „Ja”, erwidere ich leise. „Mit Umbesetzungen und vielen Unterbrechungen”, schränke ich gleich darauf ein. Der Kerl lächelt zum Anbeten.

Nach einer kurzen Pause beschließe ich spontan, dem süßen Halbjapaner noch mehr zu erzählen. „Das war eine aufregende Anfangszeit für mich, Mikey. Zum ersten Mal fühlte ich mich irgendwo dazugehörig. Ich war echt motiviert. Ich dachte, dass ich das Beste wäre, was der Band passieren konnte. Aber nach ein paar Tagen bei Sean Dowdell and his Friends habe ich mich böse mit ihrem Manager gestritten. Ich weiß nicht mehr warum. Irgendwas Bescheuertes wahrscheinlich. Unser Streit hat sich jedenfalls total hochgeschaukelt. Letztendlich habe ich mich mit dem Typen total heftig geprügelt. Schon am nächsten Tag haben sie mich aus der Band rausgeworfen”, beichte ich meinem Mitpatienten grienend. Verdutzt starrt Mike mich an. Im nächsten Moment bricht er in ein belustigtes Lachen aus. „Na na, schäm dich, so ein wilder kleiner Chester Bennington”, tadelt er mich neckend. „Ich bin wirklich wild gewesen”, gebe ich ohne Umschweife zu, „Ich war richtig wütend. Und die meiste Zeit war ich mächtig auf Droge.”

Der letzte Satz ist mir unüberlegt rausgerutscht. Worüber ich mich sofort ärgere. Eigentlich wollte ich dem Besonderen nichts über meinen Drogenkonsum erzählen. Das ist immer so eine Sache. Ein unkalkulierbares Risiko. Weil die meisten Leute darauf nur mit Abneigung oder Mitleid reagieren. Bei dem Bärtigen scheint das nicht anders zu laufen. Seine großen Augen füllen sich augenblicklich mit Mitgefühl. Kaum dass ich den verfluchten Satz gesprochen habe. „Nein... das ist nicht...”, verbessere ich mich hastig. Dabei ist es schon längst zu spät. Mein Herz hämmert los. Nervös klemme ich mir die zitternden Finger unter die Oberschenkel. Schwanke unwillkürlich mit dem Oberkörper vor und zurück, um mich zu beruhigen. Eine Weile ist es ganz still. Während ich ihn hilflos anstarre. Sein hübsches Gesicht bleibt sanft. Zu meiner Verwirrung sieht der Typ nicht überrascht aus.

„Schon gut, Chester. Ich wusste schon längst, dass du Drogen nimmst”, eröffnet Shinoda mir etwas, mit dem ich ehrlich nicht gerechnet habe. Und mit dem ich definitiv nicht gut umgehen kann. „Was? Wieso denn?” blaffe ich ihn ärgerlich an. Der Kerl zuckt zusammen. Studiert mich aufmerksam. Verunsichert sucht er nach den richtigen Worten. „Ich weiß das schon, seit wir in dem Umkleideraum waren. In der Bewegungstherapie. Da hast du so verbissen nach einem Handy gesucht. Erinnerst du dich?” erwähnt er langsam und extrem vorsichtig. Mein Herz klopft schnell vor Wut und Unbehagen. Ich will nicht, dass der Besondere mich für einen kaputten Junkie hält. Das kann ich echt nicht ertragen. „Ja, ich erinnere mich”, knurre ich angefressen. Mike hebt beschwichtigend die Hände. „Deine kopflose Besessenheit hat mich an einen Freund von mir erinnert, der Heroin genommen hat”, knallt er mir an den Kopf. Seine Stimme ist behutsam. Aber unerbittlich. Ich fasse es nicht, dass der Fremde mich so kinderleicht entlarven konnte. Es macht mich wahnsinnig, dass ich wahrhaftig so ein beschissen offenes Buch für ihn bin. Ein Feuerwerk aus Emotionen explodiert in mir. Unweigerlich. Ich weiß gar nicht mehr wohin mit meinem impulsiven Zorn. Nervös und alarmiert schnappe ich nach Luft. Starre ihn aufgebracht an.

Mikey behält mich konzentriert im Auge. „Ganz ruhig, Chester”, meint er sanft, wählt seine Worte mit Bedacht, „Das ist doch nicht deine Schuld. Hör mal, Chaz, ich mache dir das bestimmt nicht zum Vorwurf. Und ich verachte dich deswegen auch nicht. Drogensucht ist eine Krankheit. Wie jede andere auch. Dadurch bist du doch nicht weniger wert. Und wenn jemand einen Grund hat, um sich von diesem Zeug Hilfe zu versprechen, dann bist es doch wohl du. Himmel, Chester, das ist doch die logische Konsequenz gewesen. Bei deiner schwierigen Lebensgeschichte. Und deiner schlimmen Kindheit.” Gutmütig sieht Shinoda mich an. Zögernd wagt er ein aufmunterndes Lächeln.

Fuck, ich fasse es nicht, dass der Kerl jetzt von meiner scheiß Kindheit anfängt. Ich möchte den Bärtigen gerne dafür schlagen, dass er ausgerechnet diese Zusammenhänge zieht. Dieses beschissene Klischee. Drohend fixiere ich ihn. Seine braunen Augen fesseln mich ungewollt. Mike sieht mich verunsichert an. Der Typ ist sichtbar besorgt. Bittet um Entschuldigung. Er hofft darauf, dass ich ihm seine unwillkommene Erkenntnis nicht übelnehme. Und eigentlich darf ich das ja auch gar nicht. Denn es ist nun mal eine Tatsache, dass ich ein verfickter Junkie bin. Kann ich nix dran ändern, verdammt. Trotzdem fühle ich mich vor dem Besonderen herabgesetzt. Fühle mich ihm unterlegen. Weil der Kerl nun einen typischen Grund hat, um auf mich herabzusehen. Ich bin überzeugt davon, dass er das tut. Meine Erfahrung lehrt mich diese Gewissheit. Denn das ist niemals anders gewesen. Es spielt keine Rolle, ob Mikey das Gegenteil behauptet. Die neue Situation zwischen uns gefällt mir kein bisschen. Obwohl mein Mitpatient in Wahrheit nicht mal einen Bruchteil über mein Leben mit seinen dunklen Dämonen weiß, so verfügt er doch nach meinem Empfinden schon jetzt über entschieden zu viel Wissen. Das macht mich unglaublich wütend. Ich will nicht so schwach sein. Ich will nicht der mit der schrecklichen Kindheit sein, der aus Verzweiflung zu bösen Drogen gegriffen hat. Das fühlt sich total scheiße an. Total jämmerlich. So will ich nicht sein. So sehe ich mich nicht, verflucht nochmal.

„Bist du mit Grey Daze schon oft aufgetreten?” fragt Mike plötzlich hastig. Der eindeutig das unangenehme Thema wechseln will. Der Besondere spürt die drohende Detonation. Will sie augenblicklich entschärfen. Davon werde ich völlig erschlagen. Von seiner Liebenswürdigkeit. Seiner unverständlichen Geduld mit mir. Fassungslos sehe ich ihn an. Es dauert eine Weile, bis ich reagieren kann. Bis mir klar wird, dass ich keine Ahnung habe, was ich jetzt anderes tun soll. Also nehme ich sein erstaunlich empathisches Angebot an. Ratlos lasse ich mich auf seinen Themenwechsel ein. „Ja... ähm... ich meine... geht so... wir... nehmen echt jedes Angebot an... nutzen jede Möglichkeit...”, gebe ich verwirrt zu. Mikes Lächeln ist widersprüchlich geworden. Ich verstehe es nicht. Kann es nicht entschlüsseln. Das macht mich total nervös.

„Stehst du gerne auf der Bühne, Chester Bennington?” will er allen Ernstes wissen. „Mixt du gerne Musikstile zusammen, die eigentlich inkompatibel sind, Mike Shinoda?” antworte ich spontan mit einer längst beantworteten Gegenfrage. Der Schwarzhaarige nickt. Lacht amüsiert. Im Moment kann ich sein Amüsement nicht teilen. Ich bin viel zu aufgewühlt. Meine Seele tobt vor Wut. Das macht mir zu schaffen. „Und was ist mit Xero? Hattet ihr schon viele Gigs?” frage ich ihn gleich darauf herausfordernd. „Nein”, lächelt er schulterzuckend, „Naja... wir haben schon ein Demotape und so... aber... wir jammen eigentlich hauptsächlich. Oder spielen mal auf Partys bei Freunden. Oder in der Uni.” „Willst du denn auftreten?” erkundige ich mich. Erstaunt darüber, wie wenig Ehrgeiz seine Band zu haben scheint. „Klar will ich das!” ruft er sofort energisch über den Tisch, „Live spielen ist doch das Geilste. Aber krieg mal Auftritte als unbekannte Band!” Dieses Phänomen ist mir höchst vertraut. Darum muss ich zu meiner eigenen Überraschung grinsen. Obwohl es eigentlich alles andere als lustig ist. „Ja, die gibt's fast nie”, stimme ich aus reichlicher Erfahrung zu. „Aber Grey Daze tritt doch auf!” wendet Mike irritiert ein. Abwinkend verdrehe ich die Augen. „Grey Daze kriegst du nur auf Bühnen im Umkreis von Phoenix zu sehen. Wir spielen in Clubs und Kneipen. Wenn's hoch kommt mal auf einem Festival”, sage ich so, als wären unsere Live-Auftritte nicht der Rede wert. Obwohl es, wenn ich ehrlich bin, so unbedeutend nun auch wieder nicht ist. Bei zwei oder drei Konzerten sind wir richtig gut angekommen. Die Leute waren begeistert von uns. Wir mussten sogar schon mal Zugaben und Autogramme geben. Das war bisher das Highlight meiner Rockstar-Karriere. Daran erinnere ich mich gerne. Wie ich auf nackten Titties unterschrieben habe. Obwohl ich es vor dem neugierigen Halbjapaner jetzt nicht erwähnen will.

Aber es ist ganz egal, ob ich meine Band klein mache. Shinoda sieht das sowieso völlig anders. „Wow, das ist doch super toll, Chester!” schwärmt er angetan, „Grey Daze zeigt sich wenigstens auf den Bühnen. Eure Songs sind fantastisch. Deine Stimme ist einmalig. Deine Präsenz beim Singen ist unübersehbar, Chester. Dadurch werdet ihr unter Garantie bald richtig bekannt werden. Ihr bringt bald ein Album heraus, Mann. Davon sind wir mit Xero leider noch ziemlich weit entfernt.” Seine schönen Augen strahlen schon wieder. Sein ganzes wundervolles Gesicht drückt reine Zuversicht aus. Das berührt mich ganz tief drinnen. Ob ich will oder nicht. Scheint stärker als mein Zorn zu sein. Davon kann ich nie genug sehen. Das besänftigt mich auf der Stelle. Auf eine untrüglich magische Art.

Gebannt starre ich den Besonderen über den Tisch hinweg an. Will ihm dringend näherkommen. Muss ihn jetzt berühren. Ich kann mich nicht länger zurückhalten. Mein Bein streckt sich von allein in seine Richtung. Rutsche auf meinem Stuhl hinab. Um irgendwie an ihn heranzukommen. „Du bist so ein fantastischer Performer, Chester Bennington. Und deine Stimme überragt mit Abstand alles, was ich jemals gehört habe. Das kann auf Dauer gar nicht unbemerkt bleiben”, wiederholt Mike Shinoda im Brustton der Überzeugung. Damit schmeichelt der Typ mir auf seine unvergleichlich tröstliche Weise. Ein Lächeln erscheint auf meinem wütenden Gesicht. Lindert langsam den inneren Schmerz. Mein Fuß streicht an Shinodas Unterschenkel entlang. Unter dem Tisch. Dankbar. Voller Zuneigung zu dem fremden Kerl. Der mich aufbauen kann wie kein anderer. Ein paar Sekunden lang versinke ich in seinen tollen japanischen Knopfaugen. Dieses unergründliche Braun. Da steckt so viel unerklärliche Liebe drin.

Im nächsten Moment zieht der Mann überstürzt seinen Fuß weg. Sodass meine gierig tastenden Chucks unter dem Tisch plötzlich ins Leere laufen. „Und du isst schon wieder nichts, Chester Bennington?” Die vorwurfsvolle Frage platzt unangenehm und gänzlich unwillkommen in meine Gehörgänge rein. Mein Blick wendet sich genervt nach rechts oben. Pfleger Ulrich steht neben dem Tisch. Der natürlich überprüfen muss, ob ich beim Abendessen sitze. Was ich tue, verdammt nochmal! Was will der Wichser nur ständig von mir? Gelangweilt ziehe ich meine Beine ein. Setze mich wieder gerade hin. „Ich habe eine ganze Scheibe Brot mit Erdnussbutter gegessen!” betone ich laut. Zeige demonstrierend auf mein Tablett. Um meine Aussage mit Tatsachen zu belegen. Ulli sieht nicht mal hin. „Und du meinst ernsthaft, das wäre genug Abendessen für dich?” erkundigt er sich spöttisch.

Der bringt mich echt zum Ausrasten, der Typ. Zur Zeit bin ich sowieso reichlich labil. Mein Zorn war gerade erst besänftigt. Jetzt bricht die Wut unwillkürlich wieder hoch. Spontan greife ich nach der Banane. Fange aggressiv damit an sie zu schälen. Ulrich hebt die Augenbrauen. Grinse ihn überlegen an. Sein Blick wandert unzufrieden zu Mike hin. Der sich unbehaglich über sein Tablett beugt. „Nimm dir ein Beispiel an Shinoda. Der hat sein Essen schon fast auf”, muss der Nervige unbedingt bemerken. Statt eines Beispiels nehme ich lieber die Banane. Schiebe mir die längliche Frucht aufreizend zwischen die Lippen. Lecke ein wenig daran herum. Knabbere zärtlich. Als hätte ich einen köstlichen Schwanz im Mund. Das amüsiert mich total. Fühle mich schlagartig aufgekratzt. Eine Mischung aus Wut und Erleichterung. Irgendwas ist gut gegangen. Auch wenn ich nicht kapiere was genau. So fühle ich mich doch, als wäre ich nochmal davongekommen.

Mike wirft mir einen flüchtigen Blick zu. Als er sieht, wie ich mit der Banane Liebe mache, zuckt er erschrocken zusammen. „Gott, Chester, nein!” platzt es fassungslos aus ihm heraus. Trotzdem kann er seine tollen Augen nicht abwenden. Nervös fängt Mikey an zu husten. Das finde ich total lustig. Darum grinse ich ihn zweideutig an. „Was soll das, Bennington? Was zur Hölle machst du da?” beschwert der Pfleger sich genervt. Ulrich starrt mich entgeistert an. Mein schlüpfriges Spiel mit der gelben, langen Frucht erregt seinen Unmut. „Ich blase... ähm... esse eine Banane...”, antworte ich kichernd, „Du willst doch, dass ich etwas schlecke... esse. Nicht wahr, Ulli?” Die eindeutige Assoziation zu meinem Blowjob für Mister Shinoda in der Bibliothek finde ich wahnsinnig witzig. Auf einmal möchte ich mich ausschütten vor Lachen. Fühle mich angenehm besänftigt. Mikes Anwesenheit mir gegenüber am Tisch beruhigt mich. Schaue ihn so gerne an. Das war wunderschön mit Mikey. Ich will das nochmal haben. So oft und intensiv wie möglich. Ich liebe diesen gut gepflegten, stacheligen Kerl. Meine Zunge bewegt sich zärtlich über den oberen Teil der Banane. Meine Lippen saugen genüsslich. Beobachte dabei vergnügt den extrem gut gebauten Halbjapaner.

Vor Verlegenheit ist Mike ziemlich rot im Gesicht geworden. Seine wundervollen Ohren leuchten dunkel. Aufgeregt fixiert er meinen Mund. Seine Zunge bewegt sich unbewusst über seine vollen Lippen. „Oh... Mann... Chaz...”, wispert er hilflos. Ich glaube, der heiße Typ sieht genau die gleichen Bilder wie ich. Stellt sie sich vor. Mit seinem wundervollen Gehirn. Mikey erinnert sich deutlich. An meinen ersten Blowjob. Shinoda schwankt sichtbar zwischen sexueller Erregung und schüchternem Amüsement. Das finde ich so faszinierend, dass mir vor Zuneigung ganz warm wird. Seltsame Zufriedenheit erfüllt mich. Plötzlich ist da Ruhe in mir. Die ich schon ewig nicht mehr empfunden habe. Endlich scheint es mir halbwegs gut zu gehen. Die Dämonen schweigen. Temporär besiegt. Einen fantastischen Moment lang fühle ich mich frei. „Chazy... Chazy... Chaz...”, seufzt der Besondere ganz leise. Er ist scheu. Atemlos. Kaum hörbar. Diese persönlichen Worte sind nur für mich bestimmt. Mike singt meinen Namen. Seine glänzenden Augen sind auf meine Lippen fokussiert. Das erregte Braun verspricht mir noch viel mehr sexuelle Abenteuer. Ich kann kaum glauben, dass der Mann so mit mir spricht. Mich auf diese Art ansieht. Hier. Im vollbesetzten Speisesaal. Es überwältigt mich, dass der fremde Patient den anwesenden Pfleger neben mir nicht beachtet. So etwas hat der halbe Japaner noch nie gemacht. Das ist unfassbar, dass Shinoda sich offenbar wahrhaftig nach diesen intimen Dingen sehnt. Mit mir. Zweifelsfrei hat es ihm gefallen, als ich ihm einen geblasen habe. Das macht mich auf eine Weise glücklich, die ich nicht verstehe. Ich bin stolz auf mich. Definitiv. Das passiert nicht oft. In der mega geilen Erinnerung verbunden, grinsen die unartigen Patienten sich über den Tisch hinweg gegenseitig an. Während meine Lippen und meine Zunge ausführlich die Banane liebkosen.

Nur der prüde Pfleger findet mein geiles Spiel nicht lustig. „Ha ha, Chester Bennington. Sehr witzig. Du bist ja so erwachsen”, tadelt der Kerl mich abfällig. Herzhaft beiße ich den oberen Teil der Banane ab. Kaue sorgfältig. Vor Belustigung möchte ich lauthals losprusten. Weil Mike genau in diesem Moment verschreckt zusammenzuckt. Zu gerne würde ich jetzt die schmutzigen Gedanken des attraktiven Stacheligen sehen. Ich glaube, er denkt genau das Gleiche wie ich. „Hast du schon rausgekriegt, was Mike und ich in der Bibliothek getrieben haben?” frage ich Ulrich provozierend. Gelassen schaue ich zu ihm hoch. „Hast du Mike danach gefragt, Ulli? Hat er es dir erzählt? Findest du deshalb die Banane nicht witzig?” erkundige ich mich cool. Ganz bewusst gebe ich meinem Pfleger diesen nur wenig versteckten Hinweis auf unsere heimlichen Aktivitäten. Weil der weiß gekleidete Mann mir auf die Nerven geht. Mit seiner Neugierde. Mit seiner ständigen Überwachung. Und Einmischung. Ich möchte diesen Pfleger dringend schockieren. Zu meiner Genugtuung gelingt mir das sogar. Meine impulsive Aktion wird ein voller Erfolg. Als Ulli endlich begreift, werden seine blauen Augen vor Entsetzen immer größer. Der offenbar verwirrte Typ ist sichtbar fassungslos. Komplett entgeistert wandert sein Blick zwischen Mike und mir hin und her. Soll er doch denken, was er will.

11. Then I guess I've been blessed


Michael Kenji Shinoda

„Tja... also... das... ist mein Zimmer...”, erkläre ich nicht sehr intelligent. Schließlich kann Chester sich denken, wo wir sind. Er sieht es ja selbst, wo die Tür hinführt, die ich gerade weit geöffnet habe. Spätestens jetzt weiß er, was ich ihm zeigen wollte. Das macht mich total nervös. Weil ich ihn zum ersten Mal hierher mitnehme. Es ist aufregend, mit Chester Bennington allein zu sein. Ihm diesen Ort zu zeigen ist speziell. Irgendwie persönlich. Auch wenn es nur mein zugewiesener Raum in der geschlossenen Psychiatrie ist. Es gibt hier keinerlei delikate Dinge von mir. Chesters Zimmer sieht mit Sicherheit genauso aus. Trotzdem fühlt es sich an, als würde ich ihm private Einblicke gewähren.

„Wow, Mike, dein Zimmer! Das ist cool!” meint Chester angetan. Der Sänger steht direkt neben mir. In der offenen Tür. Von der Schwelle aus wandert sein Blick interessiert über meine vier Quadratmeter. Ich folge seinem Beispiel. Sehe mir mit klopfendem Herzen den Schrank an. Das Bett. Den Tisch und den Sessel. Die offenen Vorhänge rechts und links am Fenster. Es ist ein trister Anblick. Ich habe das alles schon zu oft gesehen. Zu viele Stunden habe ich allein in diesem kleinen Raum verbracht. Jedes Detail kenne ich so dermaßen auswendig, dass es mich nur noch langweilt. „Ach... nö... ich sehe hier nichts Cooles...”, murmele ich angeödet. Meine Augen richten sich wie ferngelenkt auf ihn. Weil er mich tausendmal mehr interessiert. Viel lieber schaue ich mir den besonderen Menschen an meiner Seite an. Chester Bennington ist sehr viel schöner. So viel spannender. Der Typ spürt meinen sehnsuchtsvollen Blick. Sein attraktives Gesicht dreht sich zu mir. Er lächelt auf diese unnachahmliche, schelmisch amüsierte Weise. Ich liebe auch dieses Lächeln an ihm. Es bedeutet, dass es Chazy Chaz heute viel besser geht. Der Patient scheint wahrhaftig mit sich im Reinen zu sein. Das macht mich richtig glücklich.

Einige Zeit ist es still. Weil keiner von uns etwas sagt. Ich werde von Chesters Schönheit paralysiert. Seinem gewitzten Lächeln. Von den braunen Augen hinter der schwarzen Brille. Er betrachtet mich aufmerksam. Seine dunklen Augen sind so tiefgründig, dass ich darin versinke. Seine brünetten Dreadlocks fallen ihm auf die Schultern. Ich weiß genau, wie weich sie sich anfühlen. Möchte ihn gerne anfassen. Kann mich plötzlich kaum noch zurückhalten. „Du hast doch bestimmt genau das gleiche Zimmer, oder?” frage ich schnell. Bevor das Schweigen peinlich wird. Oder ich unkontrolliert über ihn herfalle. Sein magisches Lächeln gewinnt an Intensität. „Ja, habe ich”, gibt er offenherzig zu, „Aber ich meine gar nicht das Zimmer.” Schmunzelnd wartet er darauf, dass diese rätselhafte Information zu mir durchringt. Fragend ziehe ich die Augenbrauen zusammen. Chesters Blick huscht sofort auf meine Stirn. „Was meinst du denn dann?” erkundige ich mich irritiert. Betrachte ihn forschend. Der Patient wackelt belustigt mit dem Kopf. Verzieht neckend das Gesicht. „Weißt du das wirklich nicht, Mikey?” fragt er vorwurfsvoll. Ratlos verneine ich. Chester stöhnt theatralisch auf. Nervös fängt er damit an auf der Stelle zu treten. Hampelt ungeduldig mit den langen Armen herum. Sein Grinsen wird spöttisch. „Überlege doch mal, Mister Shinoda! Das ist hier genau die Stelle, wo...?” fordert mein Mann mich drängend heraus. Offenbar ist ihm diese Sache sehr wichtig. Gespannt wartet er darauf, dass bei mir endlich der Groschen fällt.

Gerührt betrachte ich ihn. Seine momentane Verfassung lenkt mich ab. Eine Welle der brennenden Zuneigung durchflutet mich. Darum kann ich im Moment nicht richtig nachdenken. Ich bin so unglaublich froh, dass er hier bei mir ist. Chester Bennington ist ungeduldig. Aufgeregt. Steht auf heißen Kohlen. Der junge Mann befindet sich gerade hundertprozentig in der Gegenwart. Seine Seele sprüht förmlich vor Lebendigkeit. Seit Kurzem weiß ich, wie kostbar diese Momente mit ihm sind. Diese Augenblicke, wenn er so hell strahlt, dass er damit seine ganze Umgebung erleuchtet. Chester kann so etwas. Es liegt in seiner Natur. Seine ungebremste Leidenschaft ist ansteckend. Aber bei Mister Bennington ist dieser Zustand leider nicht selbstverständlich. Vor ein paar Stunden sah das nämlich ganz anders aus. Da ist genau das Gegenteil mit ihm passiert. Nur ungern denke ich daran zurück. Gestern beim Abendessen war der Sänger aus Phoenix so weit weg von mir, dass ich ihn kaum noch erreichen konnte. Obwohl wir gemeinsam an einem Tisch saßen, war Chester irgendwo anders. Wo es ihm definitiv nicht gefallen hat. Er war so sehr in seiner persönlichen Hölle gefangen, dass er um ein Haar darin verschwunden wäre. So hat es sich jedenfalls für mich angefühlt. Das war schrecklich. Seine Dunkelheit hat mir Angst gemacht. Ich habe keine Ahnung, was da eigentlich konkret mit ihm los war. Ich weiß nur, dass Chester noch eine andere, pechschwarze Seite hat. Wo kaum noch Leben herrscht. Ich fürchte, dass könnte vielleicht der Grund sein, warum er hier ist. Es macht mich traurig, dass mein Mann manchmal so sehr kämpfen muss. Ich weiß nicht, was die Ursache dafür ist. Oder wie ich ihm helfen kann. Gestern beim Abendessen habe ich instinktiv versucht dagegen anzureden. Wusste mir echt nicht anders zu helfen. Irgendwie hat das sogar funktioniert. Mit dem Thema Musik bin ich halbwegs zu ihm durchgedrungen. Glaube ich jedenfalls. Auch wenn ich nicht sicher bin. Das mit Chester ist so dermaßen neu für mich, dass ich mir eigentlich bei gar nichts sicher bin. Aber seit dem Frühstück ist mein Engel wieder bei mir. Er scheint sich über Nacht freigekämpft zu haben. Deswegen bin ich so dermaßen stolz auf ihn, dass ich fast platze. Möchte ihn küssen vor Glück. Erstaunlich starker Chazy Chaz!

Der Tätowierte wartet unverändert auf eine Antwort von mir. Die ich ihm nicht geben kann. Ich kapiere nicht, wovon er spricht. Keine Ahnung, was in unserer langweiligen Umgebung cool sein soll. Das ist doch nur die blöde Psychiatrie. Als der Brünette einsehen muss, dass mir dazu nichts mehr einfallen wird, taxiert er mich vielsagend. „Mann, Mikey!” tadelt er mich enttäuscht. Im nächsten Moment fängt er leise an zu singen: „ What's in the eye, can you tell me. Watching the time pass me by. There's so much locked up inside.” Unwillkürlich bin ich gebannt. Meine Nackenhaare stellen sich auf. Ich erschaudere. Wohlig. Weil Chesters engelsgleicher Gesang ungehindert in meine Seele vordringt. Das tut er immer. Von dem Augenblick an, als ich seine Stimme zum ersten Mal hörte, hat sie mich kinderleicht durchdrungen. Alle meine selbst erbauten Schutzpanzer hat sie einfach ignoriert. Das ist mit exakt diesen Wörtern passiert. Denn es ist der erste Song, den Chester Bennington aus Phoenix, Arizona jemals für mich gesungen hat. Der Text ist so bedeutend für mich, dass ich ihn bestimmt niemals vergessen werde. Automatisch habe ich unsere erste Begegnung vor Augen. Langsam dämmert mir, was Chester gerade cool findet. „Don't go too fast, my friend. Or you'll loose controll”, singt der enorm talentierte Kerl. „What's in the eye that I can not catch. Is me I want to know why it's so hard to let goooo”, dringt die pure akustische Harmonie in meine höchst empfänglichen Gehörgänge ein. Breitet sich wohlig warm in meinem Körper aus. Während der Engel für mich singt, beobachtet er neugierig meine Reaktion darauf. Chester bemerkt meine Paralyse. Ahnt mein ungefähres Verstehen. Seine schönen Augen glitzern amüsiert. Ich bedauere es, als er den Song kichernd abbricht. Stattdessen deutet er auf den Steinboden zu unseren Füßen.

„Ey, Shinoda, das ist doch hier genau die Stelle, an der ich dich zum ersten Mal gesehen habe!” erinnert der Mitpatient mich vorwurfsvoll. Vielsagend sieht er mich an. „Du hast hier gestanden. Hast mich ziemlich blöde angestarrt. In deinem komischen Pyjama...”, lacht er, noch immer höchst belustigt. An diese nächtliche Situation erinnere ich mich deutlich. Womöglich war sie sogar die wichtigste meines ganzen Lebens. Könnte doch sein. Energisch deute ich auf die Wand gegenüber meiner Zimmertür. „Und du warst da drüben, Bennington. Hast besoffen lauthals herumgelallt. Du hast mitten in der Nacht die ganze Station aufgeweckt. Mit deinem seltsamen Schmetterlingskragen!” entgegne ich verlegen kichernd. Wende mich ihm zu und nestele nervös an seinem Hemdkragen herum. Chester knufft mich, damit ich damit aufhöre. „Du hast hier gestanden, als hätte dich ein Blitz getroffen, Shinoda. Du hast mich so gebannt angestarrt, als wäre ich ein Alien”, macht er sich über mich lustig. Dazu fällt mir keine Erwiderung ein. Weil der Typ schlichtweg recht hat. Ratlos sehe ich ihn an. „Du hast mir ernsthaft zugehört, Shinoda”, setzt er nach einer Minute verwundert hinzu. „Ja, ich habe dir zugehört”, bekräftige ich, „Deine Stimme hat mich aufgeweckt, Chaz.” Ich glaube er weiß, dass er mich aus einem sehr tiefen Schlaf geweckt hat. Aus dem mich niemand sonst wecken konnte. Chester ist klar, was er für mich getan hat. Das habe ich ihm schon erklärt. Wie dankbar ich ihm dafür bin, brauche ich nicht zu wiederholen.

Eine Weile schauen wir uns einvernehmlich an. Da gibt es diese Verbindung zwischen uns. Dieses wortlose Verstehen. So etwas habe ich nie zuvor gefühlt. Mein Herz beginnt zu hämmern. Weil der Sänger aus Phoenix so unglaublich gut aussieht. Weil ich ihn so gerne betrachte. Meine Sehnsucht danach, ihn anzufassen, steigt rapide an. Bennington legt den Kopf schief. „Weißt du, Mike Shinoda... Dich zu treffen war mit Abstand das Allercoolste, was ich...”, flüstert er plötzlich. Abrupt stockt mir der Atem. Die gigantische Liebe in seinen Worten trifft mich unvorbereitet. Entsetzt starre ich ihn an. Meine entgleiste Miene verunsichert ihn. Verlegen bricht er ab. Weicht verwirrt meinem Blick aus. Schaut gehemmt zu Boden. Gerät schüchtern ins Stottern. „Ich meine... das ist schon cool gewesen... als du hier gestanden... und mir zugehört hast... in der Nacht, als ich ankam... das hat mir echt gefallen... es... war was Besonderes... naja...” Ich bin völlig hingerissen von dem, was mein Engel da sagt. Mir wird ganz warm. Mein Herz hämmert wie verrückt. Ich liebe es, wenn Chester derart verlegen wird. Wenn er so absolut liebenswürdig ist, dass man ihn nur noch knuddeln möchte. Der Brünette malt mit seinen Chucks süß scheu geometrische Formen auf den Steinboden des Flurs. Konzentriert sich ausweichend auf seine Schuhspitze. Lächelt versonnen vor sich hin. Vielleicht in der Erinnerung an unsere erste Begegnung. Die nicht nur für ihn etwas Besonderes war. Seine Dreads fallen ihm ins Gesicht. Ich kann nicht anders, als meine Hand zu heben und sie ihm zärtlich hinter die Ohren zu streicheln. „Ja, das war cool”, flüstere ich zustimmend.

Chester Bennington ist wohl das Wichtigste, was mir jemals passiert ist. Ohne ihn wäre ich mit Sicherheit noch immer in der Teilnahmslosigkeit gefangen. Ich weiß, wie sich so etwas anfühlt. Ich war selbst für eine lange Zeit dort. Vielleicht fühle ich mich deshalb so sehr zu ihm hingezogen. Obwohl ich ihn oft nicht verstehe, so scheint der Sänger aus Phoenix mir doch seltsam vertraut. Es fühlt sich an, als würden wir zusammengehören. Egal was noch passiert. Sanft streichele ich ihm die verfilzten Locken hinter die großen, leicht abstehenden Ohren. Berühre mit den Fingerspitzen seine Wange. Seine Haut fühlt sich warm an. Weich. Ein bisschen kratzig. Wegen der vielen Bartstoppeln. Chester sollte sich bald mal rasieren. Der neue Patient scheint meine behutsame Zärtlichkeit sehr zu genießen. Seine Augen schließen sich behaglich. Er hebt den Kopf ein wenig. Neigt ihn vertrauensvoll meiner Hand entgegen. „Das ist schön, Mikey”, schnurrt er zufrieden. Während ich ihn streichele, betrachte ich betört sein hübsches Gesicht. Kann gar nicht fassen, dass er hier bei mir ist. So richtig. Mit Leib und Seele. Gestern Abend dachte ich ehrlich, ich hätte ihn verloren. Da hat nicht viel gefehlt.

Chester lächelt mit geschlossenen Augen. Kostet sichtbar meine liebkosenden Finger aus. Der Arizona-Boy scheint sich mit sich selbst versöhnt zu haben. Er wirkt friedlich. Chester ist wieder Chester. Nicht mehr dieser andere Kerl. Den ich vor ein paar Stunden kennenlernen musste. Zu meinem hilflosen Schrecken. Gestern beim Abendessen war Bennington mir absolut fremd. Irgendwas gefährlich Hässliches lief in seinem Kopf ab. Das hat ihn regelrecht in Panik versetzt. Es war so verdammt schwer zu ihm durchzudringen. Unermüdlich habe ich es versucht. Habe einfach immer weiter geredet. Pausenlos in der bewussten Gefahr, dass er mich wegjagt oder davonläuft. Die ganze Zeit war Chester kurz davor aufzugeben. Das habe ich deutlich gespürt. Mit der Geschichte meiner Band Xero habe ich den Sänger zum Glück irgendwie erreicht. Keine Ahnung, warum mir ausgerechnet in dieser mega angespannten Situation meine Band eingefallen ist. Hatte seit Ewigkeiten nicht mehr an Xero gedacht. Aber Musik ist eben magisch. Seitdem verspüre ich eine große Lust dazu, zusammen mit den Jungs wieder Musik zu machen. Zu Hause. Vermisse tatsächlich meine Freunde in L.A. Aber vorerst ist das alles noch weit weg. Im Moment bleibt mir nur Chester Bennington. Heute scheint der Tätowierte wieder okay zu sein. Mit ganzer Seele hoffe ich, dass das so bleibt. Ich habe große Angst, dass er womöglich irgendwann von seinen bösen Dämonen besiegt wird.

Voller drängender Zuneigung betrachte ich ihn. Meine Finger streicheln sanft über sein zartes Gesicht. Über die dünnen Brauen. Die große, spitze Nase. Die schmalen Lippen. „Chester...”, murmele ich flehend. Zögernd öffnet er die Augen. Sieht mich fragend an. „Ich bin für dich da...”, versichere ich ihm inständig, „Ich... will für dich da sein, Chaz...” Seine Augen verengen sich. Irgendwas gefällt ihm nicht. Vielleicht mag er es nicht, wenn ich ihm das Gefühl gebe, dass ich ihn für schwach halte. Dabei stimmt das doch gar nicht. Im Gegenteil. Seit ich ihn gestern in seinem inneren Kampf erlebt habe, finde ich ihn außergewöhnlich stark. Er macht einen Schritt zurück. Entzieht sich damit gewollt meinen zärtlichen Fingern. „Ach, komm schon, Spike Minoda!” spottet er, indem er meinen Namen verdreht, „In Wahrheit bist du nur scharf auf mich!” Chester Bennington macht emotional einen Rückzieher. Plötzlich ist er um Abstand bemüht. Der Kerl wechselt energisch das Thema. Vielleicht wird ihm das jetzt einfach zu heftig. Der sensible Sänger scheint mit der Wucht meiner Zuneigung überfordert zu sein. Ich muss aufpassen, dass ich ihn nicht zu sehr bedränge. Mist, das wird schwierig. Wo doch meine Liebe zu ihm so gewaltig ist.

„Du willst mich gerne flachlegen!” behauptet Chester grinsend. Knufft mich spielerisch in die Rippen. „Nicht wahr, Mikey? Das stimmt doch, oder? Du bist total geil auf mich!” fordert er mich neckend heraus. Der Tätowierte ist ruhelos. Nervös tritt er wieder auf der Stelle herum. Schlenkert mit den Armen in unkontrolliertem Bewegungsdrang. Mister Bennington ist hellwach. Aufgekratzt. So ist er schon seit dem Frühstück. Pausenlos hat er Witze gerissen. Albern mit unserem Essen herumgespielt. Dem Kerl gefällt es ungeheuerlich, mich zu provozieren. Seine braunen Augen hinter der Brille leuchten vor Vergnügen. Seine strahlende Energie sieht so schön aus, dass ich ihn gebannt fixiere. Ich weiß ganz genau, was mit ihm los ist. Mittlerweile kenne ich das zur Genüge von ihm. Der verrückte Sänger möchte viel lieber albern sein. Das Kind will jetzt keine tiefgreifenden Gespräche mit mir führen. Will nicht mit meinen Gefühlen konfrontiert werden. Er weicht der Ernsthaftigkeit des Lebens mit Albernheiten aus. Ich glaube, das ist typisch für ihn. Innerlich seufzend lasse ich mich darauf ein. Habe ja eh keine Wahl.

„Nein, du bist mächtig scharf auf mich, Bennington”, entgegne ich, „Das ist der einzige Grund, warum du mitgekommen bist.” Wenn er wüsste, dass er mit seiner Vermutung durchaus recht hat, dann würde er mich wohl noch lauter verspotten. Obwohl Sex nicht der Grund ist, warum ich ihn mitgenommen habe, kann ich es kaum erwarten ihn zu fühlen. Der Arizona-Boy freut sich sichtbar, dass ich sein kindisches Spiel mitspiele. Für so etwas ist er gerne zu haben. Lachend schüttelt er den Kopf. „Nein, ich wusste doch gar nicht, was du mir zeigen wolltest”, beschwert er sich, „Du hast doch ein Rätsel daraus gemacht, Mikey. Aber du hast genau gewusst, wo wir hingehen! Du zeigst mir dein Zimmer nur, damit du mich in dein cooles Bett kriegst! Richtig? Richtig?” Der Sänger wirft einen neugierigen Blick durch die offen stehende Tür. Begutachtet mein vorschriftsmäßig akkurat gemachtes Bett. „Du willst mit mir deine sorgfältig gefalteten Laken zerwühlen! Nicht wahr, Shinoda? Gib's zu! Stimmt doch, oder? Hä? Hä?” jubelt er förmlich. Tanzt begeistert auf der Stelle herum. Wackelt mit dem runden Schädel. Lässt seine Dreadlocks fliegen. Grinst mich belustigt an. Knufft mich abermals in den Bauch. „Hä? Habe ich recht? Bist du schon hart, Spike?” fragt er in der klaren Absicht, mich zu ärgern und in Verlegenheit zu bringen. Mit beidem hat er Erfolg. Sein Zeigefinger bohrt sich wiederholt in meinen Bauch. Das ist unangenehm.

Gezwungen fange ich an zu lachen. „Chaz... hör auf...”, quengele ich hilflos. Wehre ihn mit den Händen ab. Drehe mich halbwegs von ihm weg. Aber der alberne Junge lässt sich nicht so leicht abschütteln. Kichernd folgt er meinen Bewegungen. Knufft mich mit wachsender Begeisterung. „Ich habe dich durchschaut, Spike Minoda!” prahlt er breit grinsend. Er schlägt mich leicht gegen die Brust. Bohrt den Finger in meinen Bauch. Das gefällt mir nicht. „Ja, du hast mich durchschaut, Bennington”, kapituliere ich notgedrungen. Ich will unbedingt, dass er mit dem nervigen Knuffen aufhört. Und ich weiß genau, was er hören will. Meine Kapitulation zeigt Wirkung. Augenblicklich hört der irre Typ auf mich zu attackieren. Das Kind ist zufrieden. Hat erreicht, was es wollte.

Mit einem warmen Gefühl im Bauch sehe ich mir an, wie mein Mann jubelnd auf der Stelle tanzt. In stolzer Siegerpose reckt er die Fäuste in die Luft. Blinzelt mich belustigt an. Davon kann ich nicht genug haben. Obwohl sein Triumph irgendwie auf meine Kosten geht. Aber es ist einfach wundervoll, wenn Chazy Chaz so fröhlich ist. Der Engel kann die ganze Welt erstrahlen lassen. Da steckt echte Leidenschaft dahinter. Seine Emotionen sind echt. Das Glück platzt einfach aus ihm heraus. Das kann ich mir nicht intensiv genug anschauen. Kann es nicht deutlich genug fühlen. Jede einzelne Sekunde davon möchte ich für immer konservieren. „Ich wusste es!” ruft er triumphierend, „Typisch Mike Shinoda!” Chester verzieht frivol das Gesicht. Leckt sich neckisch über die Lippen. Klimpert flirtend mit seinen tollen Augen. Streicht sich aufreizend über die Brust. Greift sich provozierend in den Schritt. Sein sexy Benehmen törnt mich mehr an, als ich jemals zugeben würde. Auf der Stelle möchte ich ihn küssen. Heftig. Will mit meinen Fingern über seine nackte Haut streicheln. Liebevoll seine Tattoos erkunden.

Aber genau in dem Moment, als ich mich endlich zum Küssen durchgerungen habe, werde ich abgelenkt. Aus den Augenwinkeln registriere ich plötzlich Schwester Grace, die gerade hinten im Gang um die Ecke biegt. Schlagartig bin ich alarmiert. Patientenbesuche auf fremden Zimmern sind in der Psychiatrie verboten. Auch mit dieser Vorschrift wollen sie wohl verhindern, dass wir ungestört miteinander rummachen können. Allerdings habe ich nicht vor, mich an die unsinnigen Verbote zu halten. Bin erstaunt über meinen eigenen Mut. Meinen ungewohnten Ungehorsam. Zweifellos ist der neue Patient schuld daran. Sie wird Chester sofort wegschicken, denke ich ärgerlich. Das darf auf keinen Fall passieren. Dazu ist das, was ich vorhabe, viel zu wichtig. Entschieden zu aufregend. Zum Glück hat die Frau ihre Aufmerksamkeit auf eine Akte gerichtet, die sie aufgeschlagen vor sich herträgt. Bevor Grace uns entdecken kann, zische ich schon „Pssst!” Versetze dem tanzenden Chester impulsiv einen derart heftigen Stoß in den Rücken, dass er haltlos in mein Zimmer hinein stolpert. „Ey... Wow... Mike...”, ächzt er überrascht. Während er große Mühe hat nicht hinzufallen.

Zwei Sekunden später hat Schwester Grace mich gesehen. Verdutzt lässt sie ihre Akte sinken. Steuert sofort direkt auf mich zu. „Mike?” ruft sie fragend in meine Richtung, „Mike Shinoda?” Hastig greife ich nach der Türklinke. Ziehe eilig die Tür zu, bis sie ins Schloss fällt. Mann, das war knapp! Jetzt kann ich nur noch hoffen, dass mein unerlaubter Besucher sich in meinem Zimmer ruhig verhält. „Äh... ja?” keuche ich atemlos. Mein Herz hämmert zu schnell. Gerade wollte ich noch meinen fantastischen Engel küssen. Jetzt gehe ich der weißgekleideten Pflegerin schnell ein paar Schritte entgegen, um von meiner Zimmertür wegzukommen. Meine Situation hat sich grundlegend geändert. Damit muss ich erst mal klarkommen. Setze ein harmloses Lächeln auf. „Ist was, Schwester Grace?” erkundige ich mich freundlich. Ihre Miene ist misstrauisch. Vielleicht auch besorgt. „Haben Sie jetzt keine Therapiestunde, Mike?” will Grace verwundert wissen. Sobald wir voreinander stehenbleiben, studiert sie forschend mein Gesicht. „Nein, unser Therapeut hat sich krankgemeldet. Darum fällt die Gesprächstherapie heute Vormittag aus”, informiere ich die Angestellte wahrheitsgemäß. Die Frau nickt nachdenklich. Wirft einen unzufriedenen Blick in die Richtung meiner Zimmertür. Wo ich gerade hergekommen bin.

„Und Sie wollen sich also jetzt schon wieder allein in Ihrem Zimmer verstecken, Mike?” will Grace leicht tadelnd wissen. Was mich unglaublich ärgert. Die doofe Kuh geht das schließlich gar nichts an, wo ich meine unverhofft freie Zeit verbringe. Es ist mein gutes Recht, in den Pausen meinen privaten Raum aufzusuchen. Das tue ich schon, seit sie mich hierher gebracht haben. Ich bin so sauer, dass ich nicht antworten kann. „Gehen Sie doch lieber mal zu den anderen in den Gemeinschaftsraum! Versuchen Sie das doch mal!” fordert Grace mich mitfühlend auf, „Sie sollten sich wirklich nicht immer von ihren Mitpatienten abschotten, Mike Shinoda.” Offenbar hat diese Krankenschwester noch nichts von den fantastischen Fortschritten gehört, die ich laut meines Psychologen Brad Doyle in den letzten Tagen gemacht habe. Schwester Grace kennt mich nicht anders als teilnahmslos und isoliert. Soll mir recht sein, denke ich innerlich grinsend. Wenn Grace wüsste, wer in meinem Zimmer auf mich wartet, würde ihr Gesicht ganz anders aussehen. „Och... nö... ich möchte jetzt lieber allein sein”, lehne ich zaghaft ab. Blicke schüchtern zu Boden. Die Frau mustert mich unzufrieden. „Nun gut, Mike, wenn Sie Ruhe brauchen, dann dürfen Sie sich selbstverständlich in Ihr Zimmer zurückziehen”, seufzt sie, „Aber kommen Sie nachher bitte pünktlich zum Mittagessen, ja?” „Natürlich, Schwester Grace”, bestätige ich folgsam.

Chester würde mich wahrscheinlich auslachen. Weil ich so langweilig vor der Pflegerin kusche. Der verrückte Sänger würde es wohl eher darauf anlegen, die Frau mit irgendwas aus der Fassung zu bringen. Manchmal scheint das seine Lieblingsbeschäftigung zu sein. Wie gestern Pfleger Ulli mit der Banane. Der Gedanke bringt mich zum Schmunzeln. Grace sieht mich überrascht an. Mir fällt ein, dass sie mich vielleicht noch nie lächeln gesehen hat. „Geht es Ihnen gut, Mike? Sie wirken heute so ...fröhlich”, bemerkt sie verunsichert. Ich nicke. Hebe den Kopf und gucke die Pflegerin an. „Ja, es geht mir gut, Schwester Grace. Mit mir ist alles in Ordnung”, beruhige ich sie sanft. Lächele entschuldigend. Die Arme wirkt verstärkt besorgt. Nickt aber zögernd. „In zwei Stunden gibt es Mittagessen, Mike”, informiert sie mich überflüssigerweise, „Bitte vergessen Sie das nicht.” „Ja, okay”, bestätige ich. Sie nickt mir nochmal zu. Dann setzt die ahnungslose Krankenschwester ihren Weg über den Flur endlich fort. Erneut vertieft sie sich beschäftigt in ihre Akte. Vorsichtshalber schaue ich ihr nach. Bis sie am Ende des Ganges um die Ecke verschwindet.

Erst als Schwester Grace weg ist, laufe ich zurück zu meinem Zimmer. Schnell. Ich bin aufgeregt. Fühle mich lebendig. Euphorisch. Als hätte ich einen unerwarteten Sieg errungen. Kann es nicht erwarten meinen Mann zu sehen. Hastig öffne ich die Tür. Trete ein und lasse die Tür gleich hinter mir ins Schloss fallen. Ärgere mich darüber, dass man die scheiß Tür nicht verriegeln kann. Mein Blick sucht den Vermissten. Der Raum ist unverändert. Alles steht an seinem gewohnten Platz. Aber das Zimmer ist leer. Mein Mitpatient Bennington ist nirgendwo zu sehen. Im ersten Moment bin ich schockiert. Frage mich, wie der Kerl aus der Stube entkommen konnte. Ohne dass ich es bemerkt habe. Auf keinen Fall ist er über den Flur abgehauen. Das hätte ich gesehen. Bleibt nur noch das Fenster. Ich weiß genau, dass man das Fenster nicht öffnen kann. Habe das oft genug probiert. Unwillkürlich untersuchen meine Augen die Glasscheibe. Ich fürchte, dass Chester die Scheibe womöglich eingeschlagen hat. Doch das Glas ist unversehrt. Vielleicht ist es auch Panzerglas. Das man gar nicht so leicht kaputtkriegt. Würde mich an diesem sonderbaren Ort nicht wundern. Ich bin total verwirrt. Ziehe ernsthaft in Erwägung, dass ich mir den Mann vielleicht nur eingebildet habe. Dass er in Wahrheit gar nicht mit mir mitgekommen ist. Als ich ihn nach dem Frühstück darum bat. Diese Möglichkeit beunruhigt mich extrem. Ich will keine gruseligen Wahnvorstellungen haben. Nicht mehr zwischen Fantasie und Wirklichkeit unterscheiden zu können, scheint mir in höchstem Maße bedrohlich zu sein. Ich weiß genau, dass viele andere Patienten der geschlossenen Psychiatrie genau dieses Problem haben. Mein Herz schlägt schnell. Mein Körper vibriert vor Aufregung.

„Chester?” rufe ich panisch. Fünf Sekunden lang ist es totenstill. Plötzlich höre ich ein leises Geräusch. Aus meinem Schrank ertönt ein zaghaftes Klopfen. Ist er da drin?, überlege ich konfus. Warum ist er im Schrank? Wie ist er da reingekommen? Was will er denn nur da drin? Ist das jetzt wirklich die Realität? Oder bilde ich mir das nur ein? Für ein paar Augenblicke bin ich wie gelähmt. Das Klopfen wird lauter. „Mike?” ertönt Chesters gedämpfte Stimme. Wahrhaftig aus dem Inneren meines Kleiderschrankes. „Mach doch mal auf, ey!” werde ich hörbar gestresst aufgefordert. Pure Erleichterung explodiert in mir. Als befreites Lachen platzt sie jäh aus mir heraus. Mit schnellen Schritten gehe ich zu dem Möbelstück. Reiße belustigt die beiden Türen auf. Bennington hat sich hinter meine Jeans verkrochen. Die an der Stange sorgfältig aufgereiht auf den vielen Bügeln hängen. Der Typ hockt da höchst beengt. Sein schlanker Körper ist dicht an die Rückseite des Schrankes gequetscht. Genervt blinzelt er in die plötzliche Helligkeit. „Fuck, Mann, das ist total eng hier drin!” beschwert er sich ärgerlich, „Ich habe die scheiß Tür von Innen gar nicht mehr aufgekriegt!” „Was machst du denn da drin, Chaz?” will ich kichernd von ihm wissen. Sehe amüsiert dabei zu, wie mein Engel knurrend seine langen Arme und Beine entknotet und umständlich zwischen meinen Kleidungsstücken hervorkriecht. „Naja... ich dachte, ich verstecke mich besser mal... falls diese nervige Krankenschwester reinkommt...”, erklärt der Brünette achselzuckend, „Das war die einzige Möglichkeit, Mike.” Seine vorausschauende Vorsicht überrascht mich. Tatsächlich wäre es vorhin gut möglich gewesen, dass Schwester Grace einen argwöhnischen Blick in mein Zimmer geworfen hätte. Es wundert mich nur, dass Chester Bennington aus Phoenix, Arizona an so etwas überhaupt denkt. „Das hier ist doch anscheinend schon wieder total verboten, oder? Ich darf gar nicht in deinem Zimmer sein. Sonst hättest du mich nicht so panisch vor dieser Pflegerin versteckt”, bemerkt er spöttisch.

Ungeschickt stolpert der Kerl aus dem Schrank. Zum Glück scheint der Sänger nicht sauer zu sein. Weil ich ihm doch vorhin diesen brutalen Stoß in den Rücken verpasst habe. Davon wäre er fast hingefallen. Das hat mir ein bisschen Sorgen gemacht. Aber Chester lächelt nur liebenswürdig. Der junge Mann ist so wunderschön, dass ich ihn immerzu ansehen muss. „Ich bin dein heimlicher Geliebter im Wäscheschrank, Mikey”, lacht er belustigt, „Das wollte ich schon immer mal sein.” Vergnügt steht er vor mir. Blinzelt mich flirtend an. Im nächsten Moment wird ihm klar, dass er Geliebter gesagt hat. Genau aus diesem Grund grinse ich bedeutungsvoll. Es ist süß, wie verlegen ihn das macht. Sein Blick richtet sich scheu zu Boden. „Ähm... Ich... finde es ziemlich cool, dass du mich mit in dein Zimmer nimmst. So was tust du doch eigentlich gar nicht, oder? Nicht wahr, Mike Shinoda? Du machst keine verbotenen Dinge”, wirft er zaghaft in den Raum. Der Typ hat recht. Bisher habe ich nie etwas getan, was nicht erlaubt war. Jedenfalls nicht, bevor er hier ankam. Seit der Engel bei mir ist, ist sowieso alles völlig anders. „Ach, Chaz, mit dir zusammen habe ich schon jede Menge Verbotenes getan”, seufze ich spontan schuldbewusst. Chester lacht verblüfft auf. Verdreht vieldeutig die Augen. „Ja, das hast du, Shinoda!” fährt es zustimmend aus ihm heraus, „Und das ist so was von geil gewesen!” Heilige Scheiße, ja, denke ich. Als ich mich blitzartig an den Blowjob erinnere, den Chester mir gestern in der Bibliothek gegeben hat. An das unbeschreibliche Gefühl, dass ich hatte, als ich in seinen feuchten Mund gekommen bin. Gott im Himmel, Himmel, Himmel! Das war definitiv jenseits von Allem, was ich jemals erlebt hatte. Verdammt!, denke ich nur noch. Weil allein die konkrete Erinnerung daran mich noch immer komplett überwältigt.

Bestimmt sehe ich gerade irgendwie entgeistert aus. Meine entrückte Miene verunsichert Chester jedenfalls. Seine hohe Stirn legt sich besorgt in Falten. „Ist es das, Mikey?” fragt er beinahe ängstlich, „Ist das auch für dich geil... mit mir?” Ich kann ihm seine Zweifel nicht übelnehmen. Denn ich habe mich oft seltsam verhalten, wenn wir intim waren. Bin plötzlich weggelaufen. Oder habe die Sache vorzeitig beendet. Es gab viele Missverständnisse zwischen uns. Chester kann gar nicht wissen, wie unbegreiflich das jedes Mal für mich gewesen ist. Woher soll er auch nur ahnen, dass ich absolut scharf darauf bin, ihn aufs Neue zu spüren? Eine warme Welle der Rührung erfasst mich. Ich kann nicht anders, als meine Hand zu heben und ihm zärtlich über den Kopf zu streicheln. Sanft fahren meine Finger durch sein gewollt verfilztes Haar. Spielen behutsam mit den langen Dreadlocks. „Ja, das ist es, Chazy Chaz. Das ist sogar mehr als geil für mich. Mit dir”, versichere ich ihm. Seine Mimik entspannt sich. Der Tätowierte scheint meine vorsichtige Berührung auch diesmal sehr zu genießen. Sein Kopf neigt sich bedürftig meiner streichelnden Hand entgegen.

Eine Weile ist es ganz still. Ich streichele seinen runden Schädel. Spüre sein seidiges Haar. Das ist fantastisch. Ich glaube, ich könnte das den ganzen Tag lang machen. Ich fühle mich ihm so nah. Möchte mich diesem Menschen für immer so nahe fühlen. Chaz schließt behaglich die Augen. Der Typ steht völlig bewegungslos vor mir. Sein Atem geht ruhig. Ich beobachte ihn. Nehme seinen Anblick wie hungernd in mich auf. Will mir jeden faszinierenden Zentimeter genau einprägen. Möglicherweise bleibt die Zeit mal wieder stehen. So etwas ist denkbar, wenn ich mit Chester Bennington allein in meinem Zimmer bin.

„Und was machen wir jetzt?” flüstert er irgendwann in die Stille hinein. Seine Augen öffnen sich nur zögernd. Vorsichtig fragend schaut er mich an. „Warum zeigst du mir dein Versteck, Mike Shinoda?” will er lächelnd von mir wissen. Seine Augen hinter den Brillengläsern leuchten in schlüpfriger Vorfreude. Zweifellos vermutet er, dass ich ihn wegen Sex hierher eingeladen habe. Tatsächlich sehne ich mich wie verrückt danach. Das tue ich seit unserer intimen Parkbankepisode. Aber es ist nicht der eigentliche Grund, warum Chester hier ist. De facto habe ich das nur am Rande bedacht. Es war ein gänzlich impulsiver Einfall. Mein Herz schlägt schneller. Ich habe Angst, dass der Patient mich nochmal falsch versteht. Es ist gut möglich, dass Chester wütend auf mich wird, wenn er den Grund seines Hierseins erfährt. Wenn ihm klarwird, welche Idee ihn hierher geführt hat. Trotzdem muss ich ihm jetzt beichten, was mir spontan durch den Kopf gegangen ist. Als er vorhin in seinem zerknitterten Hemd und der schmutzigen Chino zum Frühstück auftauchte. Behutsam ziehe ich meine Finger aus seinen Dreadlocks. „Weißt du... Chaz... ich wollte...”, fange ich hilflos an. Mein Herz überschlägt sich fast. Mein Atem geht verkrampft. Chesters braune Augen verengen sich. Aufmerksam fixiert er mein Gesicht. Offensichtlich hat mein Engel keinen blassen Schimmer davon, was jetzt kommt.

Fuck, warum fällt es mir so schwer, einfach geradeheraus mit der Sprache herauszurücken? Warum habe ich plötzlich so große Angst davor, dass der Kerl mich missversteht? Vielleicht ist mir die hässliche Szene gestern in der Bibliothek noch allzu gegenwärtig. Als ich ihn mit der Hand befriedigen wollte. Und er deswegen stinksauer wurde. Später an dem Abend war seine Verfassung dann noch sehr viel schlimmer. Vielleicht war das alles meine Schuld. Ich will nicht, dass Chester nochmal zornig wird. Oder eventuell sogar depressiv. Alles, nur das nicht. Unbehaglich weiche ich seinem forschenden Blick aus. Sehe haltlos zum Fenster hin. Draußen scheint die kalifornische Sonne. Die hohen Palmen wiegen sich im leichten Wind. Ich weiß echt nicht, was ich jetzt machen soll. Auf einmal ist die Stille bleischwer. „Mike? Was ist denn?” höre ich Chesters sanfte Stimme. Die Töne sind so harmonisch. Sie schmeicheln meinen Ohren. Der Sänger klingt verunsichert. Besorgt. Hilflos schaue ich ihn an. Mein Mann wirkt angespannt. „Hast du Angst, Mike?” will er vorsichtig wissen. Es erstaunt mich, wie gut der Typ mich schon einschätzen kann. Schließlich kennen wir uns doch erst seit ein paar Tagen.

Mit meinem dummen Zögern tue ich ihm keinen Gefallen. Je länger mein Schweigen andauert, umso nervöser wird Chester. Unruhig fängt er an auf der Stelle zu treten. Seine Arme bewegen sich unkontrolliert. Die Augen werden misstrauische Schlitze. Ungläubig schüttelt er den attraktiven Kopf. Macht langsam zwei Schritte rückwärts von mir weg. „Nein, Mike...”, krächzt er fassungslos, „Nein... nicht... bitte...” Verwirrt betrachte ich ihn. Mir ist nicht klar, was das jetzt soll. Keine Ahnung, was er überhaupt meint. Nur träge dämmert mir, dass Chester fürchtet, dass ich mich von ihm abwenden will. Bennington vermutet, dass ich ihm jetzt sagen will, dass alles zwischen uns aus ist. Dass ich seit dem gestrigen Abend kein Interesse mehr an ihm habe. Den komplett Verrückten nicht länger ertragen kann. Was auch immer. Mein Engel sieht schockiert aus. Fasziniert registriere ich seine Reaktion auf etwas, was gar nicht ausgesprochen wurde. Was nur in seinem Kopf passiert. Ich darf ihn nicht länger so verunsichern. Es ist gemein von mir, ihn in diesem gänzlich falschen Glauben leiden zu lassen. Trotzdem gefällt es mir irgendwie, wie sehr er gerade fürchtet, dass ich ihn wegschicke. Bin total gefangen in meiner morbiden Faszination. „Shinoda ...Was?” fleht er beinahe.

Kurzentschlossen gebe ich mir einen Ruck. „Ich will dir ein paar Sachen von mir anbieten, Chester Bennington”, eröffne ich ihm. So schnell wie möglich. Damit ich es mir nicht im letzten Moment nochmal anders überlege. Womöglich doch wieder feige einen Rückzieher mache. Und die Worte dann gar nicht mehr raus wollen. Gespannt erwarte ich seine Reaktion. Behalte den rätselhaften Mann genau im Auge. Ich möchte ihn dringend richtig verstehen. Es darf nicht wieder alles falsch laufen zwischen uns. Chesters hübsches Gesicht verzieht sich in angewiderter Verwirrung. „Was für Sachen?” horcht er verständnislos nach. Der Tätowierte kann mit meinem gut gemeinten Angebot nichts anfangen. Der dumme Kerl kapiert gar nicht, wovon ich spreche. Shit, jetzt passiert genau das, was ich die ganze Zeit befürchtet habe. Chester wird wütend. Der Typ fühlt sich provoziert. Seine dunklen Augen durchbohren mich. Es wird neue, gefährliche Missverständnisse zwischen uns geben. Die womöglich in weiteren Katastrophen enden. Unwillkürlich steigt Panik in mir hoch. Mein Herz hämmert so schnell, dass ich nach Luft ringen muss.

„Nein, Chester, warte! Du darfst das nicht falsch verstehen! Ich dachte nur, dass du vielleicht etwas von mir anziehen könntest. Nur solange, bis du deine eigenen Klamotten hast...”, rufe ich hastig gegen den drohenden Streit an. Dann habe ich plötzlich alles gesagt. Fühle mich leer. Stehe nur noch dort. In meinem Zimmer. Sehe ihn erschöpft an. Atme ringend. Weiß nicht weiter. Habe das Gefühl, zum tausendsten Mal alles falsch zu machen. Das ist echt frustrierend. Vorhin beim Frühstück schien es mir noch eine gute Idee zu sein, dem inzwischen zerrupft aussehenden Sänger ein paar saubere Sachen zum Anziehen anzubieten. Aber jetzt fürchte ich, dass ich den Sensiblen damit nur ein weiteres Mal vor den Kopf stoße. Verstört warte ich darauf, dass er anfängt mich anzuschnauzen. Dass mein Mitpatient beleidigt klarstellt, dass es mich einen Scheiß angeht, wie er herumläuft. Mir vorwirft, mich ungerechtfertigterweise in seinen Privatkram einzumischen. Meine Augen erforschen ängstlich sein Gesicht. So sehr erwarte ich seine stürmische Wut, dass es mich völlig lahmlegt, als diese ausbleibt.

Stattdessen sieht Chester Bennington verwirrt aus. Total verdutzt. Sein Kopf dreht sich verblüfft zur Seite. Sein Blick erkundet mit neuem Interesse meinen offen stehenden Kleiderschrank. Aufmerksam wandern seine Augen über meine Hosen und Hemden, die ordentlich darin aufgehängt wurden. Über meine sorgfältig gefalteten Shirts in den Regalfächern auf der anderen Seite. Chesters Miene entspannt sich zusehends. Was ich im ersten Moment nicht zuordnen kann. Fühle mich sonderbar verwirrt. Höchstwahrscheinlich sehe ich gerade irgendwie bescheuert aus. Denn als der Brillenträger mich wieder ansieht, platzt spontan ein Lachen aus ihm heraus. Irgendwo zwischen Erleichterung, Belustigung, Unsicherheit und Besorgnis. „Boah ey, Shinoda, du killst mich, Mann! Was ist denn daran jetzt so schlimm gewesen? Komm schon, Mikey! Denkst du etwa, ich reiß dir den Kopf ab, weil du mir deine Klamotten leihen willst?” prustet er völlig verständnislos. Trotz seiner Reaktion bin ich unverändert alarmiert. „Bitte versteh das nicht falsch, Chester! Ich will damit nicht andeuten, dass deine Klamotten dreckig sind oder so was...”, versichere ich ihm hastig. Will damit verhindern, dass der Sensible sich provoziert fühlt. Aber sein Lachen wird nur noch lauter. Seine dunklen Augen blitzen amüsiert im Gegenlicht des Fensters. „Meine Klamotten sind aber dreckig, Shinoda!” gibt er ohne Umschweife zu. Seine Hand deutet unbefangen auf die dunklen Flecken auf seiner hellgrauen Chino. „Guck dir den Scheiß doch an, Mike! Ich habe versucht das zu waschen. Aber der Mist geht gar nicht mehr richtig raus...”, ärgert er sich. Sieht unzufrieden an sich hinab. Reibt mit den Fingern sinnlos auf dem Stoff seiner Hose herum.

„Ich will dich damit nicht kritisieren, Chaz”, beteuere ich verzweifelt. Chaz lässt das Schubbern sein. Richtet sich auf. Legt den Kopf schief und sieht mich an. Ein paar Sekunden ist es still. Während wir uns gegenseitig abschätzend studieren. „Wovor hast du denn Angst, um Himmels Willen?” flüstert Chester ratlos. „Vor deiner Wut”, antworte ich schneller, als ich denken kann. Im nächsten Moment schlage ich mir erschrocken vor den Mund. Weil ich das eigentlich gar nicht verraten wollte. Weil mich das ganz schön schwach macht. Der Brünette sieht plötzlich gequält aus. Sein Körper windet sich. Als hätte ich ihn geschlagen. Unwohl weicht er meinem schockierten Blick aus. Dreht sich halbwegs von mir weg. Tritt ruhelos auf der Stelle. „Glaub mir, Mike, du hast mich noch nie wütend erlebt”, wispert er so leise, dass ich ihn kaum verstehen kann. Etwas passiert mit mir. Als ich ihn irritiert beobachte. Es rührt mich stark, wie sehr ich diesen seltsamen Kerl verunsichern kann. Damit habe ich nicht gerechnet. Irgendwie ist alles ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Ich weiß gar nicht, wie ich jetzt reagieren soll. „Nein... das ist nicht...”, winke ich hilflos ab. Chester schließt abwehrend die Augen. Und ich verstumme ratlos. Beobachte, wie er isoliert dasteht. Emotional total abgeschottet. Mitten in meinem Zimmer. Ich bin so froh, dass er hier ist. Bei mir. Chazy Chaz sieht so schön aus. Ich möchte ihm viel näherkommen. Aber zwischen uns ist es auf einmal wieder so seltsam. Ich habe keine Ahnung, wie wir an diesen Punkt gelangt sind. Zwei Minuten lang herrscht betretenes Schweigen.

Plötzlich reißt der Patient die dunklen Augen wieder auf. „Du willst mir echt deine Klamotten leihen, Shinoda? Im Ernst?” fragt er im deutlichen Bedürfnis, das unangenehme Schweigen zu beenden. Er wechselt einfach das Thema. Heilfroh darüber nicke ich eifrig. „Ja, ich dachte nur... weil du diese Sachen jetzt schon die ganze Zeit anhast...”, erkläre ich scheu. Deute vage auf seine Garderobe. Sein Lächeln zwingt mich fast in die Knie. Weil es mich so sehr erleichtert. Weil es ohne jeden Vorwurf ist. Weil es so verdammt zauberhaft leuchtet. Weil Chester Bennington damit emotional zu mir zurückkommt. „Ja... Fuck, Mann! Das ist total ätzend, Mike. Ich habe nichts zum Anziehen hier. Nur das Zeug, das ich zufällig anhatte, als sie mich gewaltsam herbrachten”, erläutert er verstimmt. Das habe ich ja sowieso schon geahnt. Weil es schlicht offensichtlich ist. Viel mehr interessiert mich der Grund dafür. „Du, sag mal, Chester... Warum hast du denn eigentlich gar nichts hierher mitgenommen?” frage ich vorsichtig. Bin nicht sicher, ob ich ihm damit nicht vielleicht zu nahetrete. Der Typ wirft den Kopf zurück. Verdreht angewidert die Augen. „Das ist total Scheiße gelaufen, Mikey. Es blieb mir keine Zeit, um was mitzunehmen. Das ging alles viel zu schnell. Die haben mich regelrecht entführt”, erzählt er mir deutlich verärgert.

Ich verstehe nicht genau, wie das bei ihm abgelaufen ist. Als die Polizei ihn zwangsweise hier einsperrte. Es ist mir ein unverständliches Rätsel, warum der Brünette keinen Koffer mitnehmen durfte. Das wäre ja wohl das Mindeste gewesen. Aber ich habe das Gefühl, dass ich lieber nicht weiter nachfragen sollte. Es ist nicht zu übersehen, dass Chester dieses Thema nicht gefällt. Der neue Patient ist noch immer stinksauer über seine unwillkommene Einlieferung in die geschlossene Psychiatrie. Ich will nicht, dass mein Mann doch noch wütend ist. Viel lieber möchte ich ihn fröhlich und zufrieden haben. Ich bin heilfroh, dass er meine Einmischung in seine Angelegenheiten so gut aufgenommen hat. Darum dränge ich meine Neugierde zurück. Lasse es schweren Herzens gut sein.

„Also dann... Such dir einfach was aus, Chaz!” fordere ich ihn stattdessen gutmütig auf. Mache eine einladende Handbewegung zu meinem Kleiderschrank hin. Sofort erhellt sich sein hübsches Gesicht. Manchmal kann man ihn so kinderleicht glücklich machen. Das ist wirklich erstaunlich. Chester fixiert mich grinsend. „Ach, komm, Shinoda! Du willst ja nur, dass ich mich ausziehe. Nicht wahr? Ich soll mich für dich nackig machen. Stimmt doch, oder, Mikey?” neckt er mich spöttisch. Klimpert flirtend mit den Augen. Streckt mir frivol die Zunge raus. Und schon geht sein Lieblingsspiel von Vorne los. Er liebt es, wenn er mich verlegen machen kann. Ich kann fühlen, wie meine Wangen sich rot färben. Und dass allein der Gedanke an einen nackten Chester mich schon erregt. Ich habe den Besonderen noch nie komplett unbekleidet gesehen. Naja, nur pausenlos in meinen Träumen. Nicht in der Realität. Und ich möchte gerade nichts lieber als genau das. Meine plötzlich heftig drängende Begierde kommt mir seltsam vor. Seit ich mit Bennington auf der Parkbank lag, scheint mein Bedürfnis nach Sex unnatürlich stark zu sein. Als hätte ich etwas nachzuholen. Das beunruhigt mich. Mit mir stimmt doch was nicht. Ich bin extrem geil auf diesen Kerl. Und genieße es auch noch.

Der Tätowierte bemerkt meine verwirrte Verlegenheit. Triumphierend lacht er auf. „Mann, du bist so süß, wenn du rot wirst, Shinoda!” muss er unbedingt erwähnen. „Ach, halt doch die Klappe, Bennington!” erwidere ich leicht angefressen. Irgendwie muss ich ja mein Gesicht wahren. Insgeheim gefällt es mir enorm, dass dieser fantastische Sänger mich süß findet. Ich will unbedingt, dass er mich mag. Nur - so unter Kerlen ist das irgendwie merkwürdig. Männer sind nicht süß. Niemals. Das setzt unsere Ehre hinab. Schließlich will ich kein schüchternes Mädchen sein. Chester Bennington stört das allerdings nicht die Bohne. Ich glaube nicht, dass der Brünette jemals über so etwas nachdenkt. Er neckt mich noch ein bisschen. Flirtet mit mir. Streicht sich aufreizend durch die langen Dreadlocks. Heiß über den ansehnlichen Leib. „Das gefällt dir, Mikey! Das gefällt dir!” nimmt er mich pausenlos hoch. Laut lachend. Fasziniert betrachte ich ihn. Es ist fantastisch, den Besonderen so ausgelassen zu erleben. Immer wieder. Seine positive Energie erwärmt mich von Innen. Auch wenn sein Spott andauernd auf meine Kosten geht. Der wohlgeformte Körper tanzt neckisch auf der Stelle herum. Der pubertierende Junge ist mal wieder ansteckend albern. Nach ein paar Minuten ungehemmter Freude wendet er sich endlich meinem Kleiderschrank zu. Neugierig inspiziert er den umfangreichen Inhalt. Mein dummes Herz schlägt abermals schneller. Weil ich weiß, dass Chester sich jetzt tatsächlich ausziehen wird. Ich kann es nicht erwarten, meinen singenden Engel nackt zu sehen. Damit hat er vollkommen recht. Aber zugeben werde ich das bestimmt nicht.  


Chester Charles Bennington

Das ist total lustig mit Mikey. Er lässt sich so wunderbar verarschen. Wird zuverlässig verlegen, der Süße, wenn ich ihn mit sexuellen Themen auf den Arm nehme. Das gefällt mir. Ich liebe es, wenn seine tollen Ohren sich rot färben. Seine zauberhaften Wangen zart rosa werden. Genieße es, wie offensichtlich der Typ mich will. Das ist überwältigend. Schon seit Ewigkeiten hatte ich nicht mehr so viel Spaß. Kann mich nicht erinnern, wann ich je so viel gelacht habe.

Ich stehe vor Mikes Kleiderschrank. In seinem persönlichen Ruheraum. In der geschossenen Psychiatrie. Sein Zimmer sieht genauso trostlos aus wie meins. Exakt die gleichen Möbelstücke. Sonst nichts. Die Türen des Schrankes stehen weit offen. Mein Herz klopft schnell. Fühle mich aufgewühlt. Weil ich es nicht fassen kann, dass dieser fremde Kerl mir seine Klamotten leihen will. Wahrhaftig. Dass Mike Shinoda dermaßen aufmerksam ist. So unerwartet fürsorglich zu mir. So etwas bin ich nicht gewohnt. Das berührt mich stärker, als ich kapieren kann. Beim Frühstück meinte der halbe Japaner geheimnisvoll, er wollte mir was zeigen. Der süße Stachelkopf fragte mich schüchtern, ob ich mit ihm mitkommen würde. Mann, klar wollte ich das! Ich würde überall mit ihm hingehen. Ohne zu zögern. Ich war überraschend neugierig darauf, was er mir wohl zeigen würde. Hatte wirklich keine Ahnung. Das war erfrischend. Diese gespannte Neugierde. Habe ich lange nicht mehr gefühlt.

Zum Glück ist irgendeine Therapie ausgefallen. Deshalb konnten wir direkt nach dem Essen hierher gehen. Es ist der Ort, an dem ich den Besonderen zum ersten Mal gesehen habe. Als der Patient nachts aus seinem Zimmer kam. Um mir beim Singen zuzuhören. Das bedeutet mir irgendwas. Ich weiß sogar noch, dass der erste Song, den ich für ihn gesungen habe, What's in the eye war. Kann mich deutlich an diese seltsame Situation erinnern. Was angesichts der Tatsache, dass ich in dieser Nacht ziemlich betrunken war, zweifellos bemerkenswert ist. Seitdem ist der Halbjapaner immer wichtiger für mich geworden.

Nun sehe ich mir interessiert seine Sachen an. Registriere die tadellose Ordnung in seinem Schrank. Die ausnahmslos hochwertige Qualität seiner sauber duftenden Kleidung. Ich kann gar nicht fassen, dass ich endlich aus diesen dreckigen Klamotten rauskomme. Die Chino und das Hemd trage ich definitiv schon zu lange. Meine Socken und die Unterwäsche fühlen sich allmählich unangenehm an. Der Gedanke an frische Kleidung macht mich euphorisch. Ich liebe es, wenn ich gut aussehe. Normalerweise lege ich viel wert auf meine Garderobe. Nicht mal in der scheiß Psychiatrie will ich ungepflegt sein. Meine äußere Erscheinung ist mir überall extrem wichtig. In meinen schmutzigen, zerknitterten Sachen herumlaufen zu müssen, wurde jeden Tag unerträglicher. Und verdammt, ich habe keinen blassen Schimmer, ob oder wann mein Dad endlich das angeblich von diesem Professor Paulsen für mich angeforderte Paket abschicken wird. Womöglich wird mein Daddy das niemals tun. Die Chancen, dass der vielbeschäftigte Polizist aus Phoenix, Arizona es einfach vergisst, stehen verflucht gut. Darum weiß ich gar nicht, wie ich Mister Shinoda für seine überraschende Fürsorge danken soll. Habe das Gefühl, die unerklärliche Aufmerksamkeit des attraktiven Halbjapaners nicht verdient zu haben. Ich habe nichts getan, um mir seine Kleidung zu verdienen. Im Gegenteil.

Kann gut verstehen, warum er dachte, dass ich deswegen angepisst wäre. Schließlich war ich gestern Abend ein ziemliches Arschloch. Ich habe Mike Shinoda nicht gut behandelt. Bin ein echter Wichser gewesen. Widerlicher Widerling. Leider passiert es mir viel zu oft, dass die Dämonen mich in diesen anderen Kerl verwandeln. Kann ich nix gegen tun. Muss ich irgendwie mit klarkommen. Ich glaube, dass ich mich gestern trotz allem noch relativ gut im Griff hatte. Das ist schon mal sehr viel schlimmer gewesen. Es gab Zeiten, da war ich nur noch voller Hass. Die ganze Nacht lang habe ich gegen die schwarze Dunkelheit gekämpft. Höchst vertraute, beschissen anhängliche Depressionen. Mit dem Sonnenaufgang wurde es dann endlich besser. Die Tabletten, die Ulli mir heute Morgen gegeben hat, scheinen zum Glück ganz gut zu wirken. Ich zwinge mich dazu, nicht länger darüber nachzudenken. Will das nur noch hinter mir lassen. Kann nur hoffen, dass die Dunkelheit mich vorerst in Ruhe lässt. Shinodas Nähe beruhigt mich. Das törnt mich total an. Ich bin ziemlich scharf auf den Besonderen.

Lenke mich ab, indem ich mir was aus seinem Kleiderschrank aussuche. Diese unerwartete Aufgabe beflügelt mich. Ich liebe es, in geilen Klamotten zu wühlen. Kann ich in Phoenix den ganzen Tag lang machen. Von einem Modeladen zum nächsten pilgern. Auch wenn ich mir die allermeisten Sachen gar nicht leisten kann. Mikeys unfassbare Großzügigkeit rührt mich. Der Schwarzhaarige besitzt eine beneidenswert umfangreiche Garderobe. Es macht mir Spaß, darin herumzusuchen. Der California-Boy hat richtig schöne Klamotten. Ich hoffe seine Sachen passen mir. Von der Statur her müsste es ungefähr hinkommen. Mit dem klugen Hintergedanken, eine robuste Hose für mich zu wählen, greife ich mir eine seiner dunkelblauen Jeans. Sie hängt akkurat auf einem der vielen Bügel, von dem ich sie herunterziehen muss. Halte mir die Hose prüfend vor den Unterkörper. Drehe mich zu dem edlen Spender um.

Bin überrascht. Mike steht wahrhaftig am Fenster. Gedankenverloren schaut er hinaus. Ich habe gar nicht gemerkt, dass der Typ zum Fenster gegangen ist. Naja, ich habe den Guten vorhin ein bisschen geneckt. Dass er mich nackt sehen will und so was. Ich glaube wirklich, dass er das dringend will. Konnte nicht widerstehen ihn damit aufzuziehen. Aber deshalb muss der Kerl doch jetzt nicht so demonstrativ weggucken. Im Gegenteil, die baldige Aussicht, von dem Besonderen beim Umziehen beobachtet zu werden, macht mich sehr viel stärker an, als ich erwartet hätte. Ich habe auch überhaupt nichts dagegen, ihm nochmal näherzukommen. So körperlich gesehen. „Ähm... Mike?” rufe ich irritiert in seine Richtung. Nur zögerlich dreht er sich zu mir um. Mister Shinoda tut lustig desinteressiert. Dabei weiß ich doch ganz genau, wie gerne er mich ansieht. Seine normalerweise spürbare Faszination finde ich ziemlich schmeichelhaft. „Was meinst du?” frage ich ihn. Deute mit den Augen an mir hinab. Er betrachtet nachdenklich die von mir ausgewählte Jeans. Legt abwägend den attraktiven Kopf schief. Auch heute hat Mikey seine schwarzen, faszinierend dichten Haare auf diese perfekt stachelige Art geformt. Als ich ihn zum ersten Mal sah, war sein Haar völlig ungestylt. Nur verstrubbelt vom Schlafen. Seitdem gibt er sich jeden Morgen so viel Mühe mit seinem Aussehen. Es würde mir gefallen, wenn ich ihn dazu motiviert hätte. Aber vielleicht hat er das auch schon immer so gemacht. Was weiß denn schon ich. Es kleidet ihn jedenfalls ganz hervorragend.

„Ja, die ist klasse”, stimmt er zu, „Die wird dir super stehen, Chaz.” Dieser verflixt gut aussehende Mann besitzt so viele Jeanshosen, dass er es nicht mal merken würde, wenn eine fehlt. Darum habe ich auch kein schlechtes Gewissen, ihm jetzt eine wegzunehmen. Es amüsiert mich, wie auffallend cool er mich im Auge behält. Mike bewegt sich nicht vom Fenster weg. Lehnt sich nur mit dem Hintern an das Fensterbrett. Sieht betont beiläufig zu mir hin. Der schüchterne Bartträger spielt wahrhaftig den Gelangweilten. Ich könnte wetten, dass ihm sein Herz in Wahrheit bis zum Hals schlägt. Nun ja, meins tut es jedenfalls. Plötzlich verspüre ich einen tierischen Bock darauf, mich für ihn auszuziehen. Vollständig. Die Situation macht mich sonderbar scharf. Das hat eindeutig was extrem Erotisches. So etwas habe ich noch nie erlebt. Wusste gar nicht, dass ich so exhibitionistisch veranlagt bin.

Kurzentschlossen gehe ich in die Knie. Binde behäbig die langen Schnürsenkel meiner Chucks los. Lege die Jeans solange neben mich auf die Erde. Der Fußboden besteht aus dem gleichen grauen Linoleum wie in meinem Zimmer. „Meinst du, sie passt mir?” erkundige ich mich. Ohne den scheuen Halbjapaner anzusehen. „Ich denke schon. Meine Klamotten müssten dir passen. Du bist doch ungefähr so groß wie ich...”, antwortet er träge. Aber seine Stimme klingt rau. Ich glaube herauszuhören, wie nervös der Kerl insgeheim ist. Das gefällt mir. Mike Shinoda scheint ein bisschen atemlos zu sein. Der Kontext ist eindeutig spannend. „Wie groß bist du?” frage ich ihn neugierig. „1,80 m”, informiert er mich gelangweilt. Ich kann nicht fassen, dass der Typ tatsächlich zwei Zentimeter größer ist als ich. Das ist mir bisher gar nicht aufgefallen. „Ja, das passt”, behaupte ich schnell. Will mich wegen der paar Zentimeter nicht zu viel ärgern. Will ihm das aber auch nicht auf die Nase binden. Dumme männliche Eitelkeit. Zum Glück fragt er mich nicht danach. Hoffentlich bekommt der wankelmütige Mitpatient nicht wieder Angst, dass plötzlich unerwartet jemand hereinkommt. Automatisch fällt mein Blick auf seine fest geschlossene Zimmertür. Unwillkürlich hoffe ich, dass die verdammte Tür gefälligst auch zubleibt. Fuck, jetzt fange ich schon genauso an wie er!

Kopfschüttelnd wende ich mich wieder den Chucks zu. Löse die Schnürsenkel. Schlüpfe schnell aus den Schuhen. Hastig ziehe ich auch die Strümpfe aus. Stopfe sie eilig tief in die Schuhe hinein. Mann, ich brauche wirklich dringend neue Socken. „Du... Mike... sag mal... kannst du mir vielleicht auch ein Paar Socken leihen?” frage ich den unverändert am Fenster Stehenden. Während ich vor dem Schrank auf dem Boden hocke. Schenke ihm einen unterwürfigen Augenaufschlag. Wie erhofft findet er das amüsant. Ich liebe sein schüchternes Lachen über alles. Wenn er mich witzig findet. Aber nicht so prollig laut auflachen will. Das ist unbezahlbar. Macht den Einzigartigen noch wunderschöner. Eine warme Welle aus Wohlbehagen durchflutet mich. Mike nickt gutmütig. Stößt sich vom Fensterbrett ab. Kommt gemächlich auf mich zu. „Hör mal, ich leihe dir alles, was du brauchst, Chester Bennington. Du musst mich dafür nicht anbetteln”, bietet er liebenswürdig an. Auf der Stelle möchte ich ihn küssen. Bleibe jedoch auf dem Boden hocken. Beobachte den Mitpatienten. Es ist sonderbar, wie stark er mich erregen kann. Wie scharf ich darauf bin, dass er mich anfasst. Hätte nie gedacht, dass mir so was mal mit einem anderen Kerl passiert. Hatte keinen Schimmer, dass ich für Männer überhaupt etwas empfinden könnte.

Mike geht zu den Schubladen. Auf der anderen Seite seines tadellos aufgeräumten Kleiderschrankes. Zielstrebig zieht er die unterste auf. „Hier kannst du dir Socken aussuchen”, erklärt er mir freigiebig. Deutet auf die offene Schublade. Die proppevoll mit Strümpfen ist. Die meisten davon sind dunkelblau oder schwarz. Ich kann nicht glauben, wie ordentlich die Socken da paarweise eingeräumt worden sind. Bei mir zu Hause sieht das anders aus. Krieche schwerfällig hin. Nehme ein schwarzes Paar heraus. Mikey steht jetzt direkt neben mir. Ich muss mich zurückhalten, um ihn nicht anzufassen. Es drängt mich, seine muskulösen, langen Beine zu streicheln. Der Typ schiebt die Sochen-Schublade wieder zu. Öffnet dafür eine, die sich genau darüber befindet. „Hier findest du neue Unterwäsche, Chester”, krächzt er so leise, dass ich ihn kaum verstehen kann. Räuspert sich nervös. Auch diese Schublade ist tadellos aufgeräumt. Als hätte er seine Unterwäsche da mit einem Lineal rein sortiert. Ich frage mich, wie viel Zeit der Typ wohl darauf verwendet, um seinen Schrank einzuräumen.

Schmunzelnd schaue ich zu ihm hoch. Schüchtern sieht er auf mich herab. Shinoda ist verunsichert. Seine abstehenden Ohren sind knallrot geworden. Auch seine runden Wangen haben eine sehr gesunde Farbe. Das sieht so schnuckelig aus, dass ich mich kaum noch beherrschen kann. Tief atme ich ein und aus. Um mich zu beruhigen. Nur mit größter Mühe kann ich mich davon abhalten, den Süßen nochmal zu necken. Vor lauter Nervosität möchte ich ihn so richtig doll verarschen. Irgendwas sagen oder tun, das ihn noch sehr viel mehr in Verlegenheit bringt. Den Kerl auf ganzer Linie beschämen. Aber ich muss verdammt vorsichtig sein. Will den Sensiblen nicht erschrecken. Bloß nichts falsch machen. Auf keinen Fall darf ich es übertreiben. Wenn er jetzt plötzlich wegläuft. Das könnte ich nicht ertragen.

Blöd nur, dass ich selber auf einmal so aufgeregt bin. Eigentlich sollte ich das längst nicht mehr sein. Nicht mit Mike Shinoda aus Agoura Hills in Los Angeles, Kalifornien. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass wir zusammen allein sind. Wir werden nicht zum ersten Mal Sex haben. In den paar Tagen, die wir uns jetzt kennen, ist schon ganz schön viel gelaufen zwischen uns. Trotzdem fühlt es sich mit dem Kerl jedes Mal so an, als wäre es unser erstes Mal. Das ist total seltsam. Wie spannend das mit ihm ist. Wenn er mir so nah ist. Ich kann es nicht erwarten ihn zu berühren. Fühle mich enorm angemacht von diesem zauberhaften Menschen.

Shinoda ist inzwischen schon viel mutiger geworden. Zögernd streckt er die Hand nach mir aus. Seine Finger streicheln sachte über meinen Kopf. Spielen liebevoll mit meinem langen Haar. Die zärtliche Berührung verursacht mir auf der Stelle eine Gänsehaut. Fährt mir ungebremst zwischen die Beine. Ich fasse das nicht. „Dein Pfleger hat mich vor dir gewarnt, Chester Bennington”, erzählt Mike mir plötzlich leise. „Das habe ich mir schon gedacht”, erwidere ich seufzend. Seine Aussage überrascht mich nicht. Weil ich damit tatsächlich schon gerechnet habe. Obwohl diese Information mich nervt, versuche ich es locker zu nehmen. „Was genau hat Ulli denn gesagt?” frage ich nun doch neugierig. Mit der Zeit wird es unbequem, so mit geknickten Gliedmaßen auf dem Boden zu hocken. Meine Beine schlafen langsam ein. Entweder muss ich jetzt aufstehen. Oder mich auf die Erde setzen. „Du hast es dir schon gedacht? Gibt es denn einen Grund, um mich vor dir zu warnen?” will Mike verblüfft wissen. „Kommt drauf an, was Ulli gesagt hat”, entgegne ich spöttisch. Entknote meine langen Beine. Setze mich mit dem Hintern auf das kalte Linoleum. Achte darauf, dass Mikes Hand auf meinem Kopf bleiben kann. Es fühlt sich nämlich verflixt gut an, wie er durch meine Dreads streichelt. Da ist so viel Zuneigung in dieser Berührung. „Ulli ist der Meinung, dass wir eine fragwürdige Affäre haben”, erfahre ich von dem Bartträger. Das ist so absurd, dass das Lachen spontan laut aus mir heraus prustet. „Fragwürdige Affäre? Im Ernst? Wo hat der das denn her?” lache ich entgeistert.

Shinoda übergeht meinen Einwurf. „Dein Pfleger meint, ich würde nur aus falsch gepolter Dankbarkeit so eine innige Beziehung zu dir eingehen”, berichtet er mir. Das Lachen bleibt mir im Hals stecken. Meine Kehle schnürt sich zu. Was ich gar nicht zuordnen kann. „Stimmt das denn?” erkundige ich mich. Verwirrend furchtsam. Mit rauer Stimme. Sehe betroffen zu ihm hoch. Sein Blick liegt auf dem Fenster. Irgendwo in der Ferne. Der Typ wirkt nachdenklich. „Ich hoffe nicht.” Mike zuckt ratlos mit den Schultern. „Dein Pfleger sagte mir auch, dass du noch meilenweit davon entfernt bist zu erkennen, dass dein Aufenthalt hier deine letzte Chance ist, um dein Leben in den Griff zu bekommen”, haut der Kerl mir gedankenversunken um die Ohren. Verstört zucke ich zusammen. So etwas möchte ich echt nicht hören. Das macht mich stinksauer. Ich ertrage es nicht, dass blöder Ulrich sich derart in meinen Kram einmischt. Ich dachte eigentlich, dass der mich pflegen soll. Und nicht vor Mitpatienten runtermachen. Erbost dreht mein Kopf sich ruckartig zu Mike hin. Seine Finger gleiten dabei zwangsläufig aus meinem Haar. Was ich sofort bedauere.

„So ein Schwachsinn!” entfährt es mir wütend, „Der scheiß Pfleger hat doch keine Ahnung! Der kennt mich doch gar nicht! Ich hatte mein Leben sehr wohl im Griff, bevor sie mich gegen meinen Willen herbrachten!” Aufgewühlt schnappe ich nach Luft. Die braunen Knopfaugen beobachten mich jetzt wachsam. Der Patient steht direkt neben mir. Schaut auf mich herunter. Wie ich auf dem Fußboden sitze. „Fuck, Mike! Ich arbeite hart für meinen Lebensunterhalt. Ich kann für mich allein sorgen. Die blödesten Jobs habe ich schon angenommen. Nur damit Geld reinkommt. Ich tue verdammt nochmal alles, was in meiner Macht steht, damit Grey Daze Erfolg hat. Pausenlos reiße ich mir den Arsch dafür auf. Jeden einzelnen beschissenen Tag lang!” ereifere ich mich viel zu leidenschaftlich. Mein Herz schlägt hart. Weil mir das so nahegeht. Weiß auch nicht, warum es mir so viel ausmacht, was Pfleger Ulrich von mir denkt. Erst nach zwanzig Sekunden kapiere ich, dass der Pfleger mir scheißegal ist. Ich bin so dermaßen von der Rolle, weil ich nicht will, dass Mike Shinoda schlecht von mir denkt. Das kann ich nicht ertragen. Alles dreht sich hier um den Halbjapaner. Immer tut es das. Der fremde Kerl aus Agoura Hills bringt meine Gefühle pausenlos zum Kochen. In jede mögliche Richtung. Diese Sache verwirrt mich. Das gefällt mir nicht.

„Keine Sorge, Chester Bennington”, versichert der Schwarzhaarige mir amüsiert, „Ich habe deinem Pfleger sowieso nicht geglaubt.” „Der spinnt doch total, so einen Mist zu erzählen! Warum sagt der so was? Was hat das überhaupt mit dir zu tun?” knurre ich herbe angepisst. Der Bärtige übergeht auch diesen Einwand. „Ulli hat mir erzählt, dass du dich mit zwei Patientinnen vergnügt hast”, spricht er weiter, „Er dachte wohl, dass mich das stören würde. Er hat mich gewarnt, dass ich mich mit dir auf den falschen Menschen einlasse. Weil du mit Beziehungen angeblich nicht umgehen kannst. Weil du labil und ohne jedes Verständnis bist.”

Die großen, runden Augen des Stacheligen studieren mich neugierig. Obwohl er behauptet hat, meinem redseligen Krankenpfleger nicht geglaubt zu haben, will der Kerl offenkundig herausfinden, ob Ulli nicht vielleicht doch recht hat. Ob da nicht möglicherweise ein Fünkchen Wahrheit in Ulrichs Warnungen steckt. Shinodas spürbare Unsicherheit in diesem Punkt bohrt sich abrupt tief in meine Seele hinein. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich dagegen anreden kann, was da über mich behauptet wurde. Die unerfreulichen Worte lösen sich in meinem verwirrten Schädel auf. Shit, das wird mir jetzt echt zu heftig! Ich bin nicht sicher, ob ich noch mehr von diesen Provokationen verpacken kann. Ohne komplett auszurasten. Ich kann mir nicht erklären, warum mein Pfleger mich auf diese Weise sieht. Oder warum er tatsächlich das Gefühl hatte, den Besonderen vor mir warnen zu müssen.

Plötzlich kann ich es nicht länger hinnehmen, dass ich auf dem Boden sitze. Zu dem an mir zweifelnden Typen aufsehen muss. Der mich bedrohlich abschätzend mustert. Hastig ziehe ich meine langen Beine heran. Mike wird nervös vor dem Schrank. Beobachtet mich konzentriert. Seine tollen Augen weiten sich erschrocken. Als ich mich mit Schwung aufrichte. Und auf die Beine springe. Im nächsten Moment stehe ich direkt vor ihm. Sehe ihn vielsagend an. „Hilfst du mir beim Ausziehen, Mike Shinoda?” frage ich den verdutzten Mann schneller, als ich überlegen kann. Die spontane Frage entspringt meinem enorm starken Bedürfnis, den Mitpatienten irgendwie zum Schweigen zu bringen. Der Halbjapaner soll mir auf keinen Fall noch mehr erzählen. Weil es mich stärker kränkt als es sollte, was der weißgekleidete Angestellte, der immerzu auf mich aufpassen soll, mir anhängt. Aber vielleicht ist das nicht die ganze Wahrheit. Eventuell kann ich einfach nicht noch länger darauf warten, dass der attraktive Mann vor mir mich endlich anfasst. Ich will Mike Shinoda fühlen. Schnell. Der Zauberer soll meine verwirrten, böse aufgescheuchten Gedanken mit überaus gigantischen Gefühlen zum Teufel jagen. Ich weiß, dass Mike das kann. Nur er vermag diese mega geilen Gefühle in mir zu wecken. Ich will die nochmal haben.

Zum Glück klappt mein jäher Themenwechsel sofort. Weil Mikey in abrupter Verlegenheit erneut seine Farbe wechselt. Der mittlerweile vertraute, zuckersüße Anblick lenkt mich sofort von Ulrichs niederträchtigen Ergüssen ab. Genau darauf hatte ich insgeheim flehend gehofft. Auch wenn das wohl nur in meinem Unterbewusstsein ablief. Manchmal kapiere ich eben erst später, warum ich irgendwas getan habe. Meine impulsiven Handlungen sind oft schneller als mein Verstand. Stört mich aber nicht besonders. Schon gar nicht, wenn das Ergebnis so erfreulich ist wie das hier. Es gefällt mir, dass meine Spontanität schon ein bisschen auf Mikey abgefärbt hat. Ich liebe es, wenn er überraschende Dinge sagt oder tut.

Jetzt ist er allerdings zu verlegen dazu. Meine dreiste Frage verschlägt ihm verblüfft die Sprache. Einige Minuten lang schauen wir uns nur an. Bei steigender Spannung. Ich versuche, ihm mit meinen Augen mein Anliegen schmackhaft zu machen. „Ich soll dir beim Ausziehen helfen?” wiederholt er nach einer Weile irritiert. „Würdest du das tun?” erkundige ich mich. Der gestylte Stachelkopf atmet tief ein. Leckt sich unbewusst über die Lippen. Lächelt scheu sein schönstes Lächeln. „Chazy Chaz...”, flüstert er erwartungsvoll. Das finde ich so geil, dass ich seufzen muss. Mein Puls beschleunigt sich. Überdeutlich spüre ich das unwillkürliche Kribbeln in meinen Weichteilen. Es ist erstaunlich, wie schnell dieser Kerl mich erregen kann. So etwas kenne ich nicht. Da reicht schon das flirtende Kopfkino, um mich heiß zu machen.

Das Schönste daran ist, dass der attraktive Halbjapaner unübersehbar genauso reagiert. Was ich eigentlich gar nicht begreife. Was Mike Shinoda ausgerechnet an Chester Bennington so unwiderstehlich findet, ist mir ein Rätsel. Wo doch fast alles an mir höchstens Durchschnitt ist. Mikey schüttelt den Kopf über mich. „Oh Mann, Chester, du bist so...”, sagt er hilflos. Bricht ab, ohne den Satz zu beenden. „Was bin ich?” drängt es mich zu wissen. Der Typ überlegt eine Weile. „...unergründlich”, flüstert er schließlich. Mit diesem Wort kann ich nicht viel anfangen. Mir ist schleierhaft, warum halber Japaner mich ausgerechnet mit diesem Adjektiv beschreibt. Oder was das bedeuten soll. „Bitte, Mike. Zieh mich einfach aus... ja?” fordere ich ihn ungeduldig auf. Stehe auf heißen Kohlen. Trampele sinnlos auf der Stelle herum. Spiele hektisch mit meinen eigenen Fingern. Weil ich so ruhelos bin. Ich kann nicht kontrollieren, was andere Menschen über mich denken oder sagen. Aber wenn ich Sex habe, dann ist alles wunderbar einfach und einleuchtend.

Positive Nervosität überflutet mich. Möchte mir die Kleider vom Leib reißen. Über Mike herfallen. Ihn verdammt nochmal vögeln. Halte mich aber zurück. Weil mir dieses Spiel gefällt. Es ist enorm spannend zu erleben, wie heftig der Schüchterne auf mich reagiert. Wie ungebremst er auf mich abfährt, davon kann ich nicht genug kriegen. Mike Shinoda sieht schlicht wunderschön aus, wenn er sich auf etwas freut. Seine braunen, runden Knopfaugen glänzen in aufgeregter Erwartung. Als er nun langsam die Hände hebt, zittern seine Finger ein bisschen. Achtsam fängt er damit an, mir das blaue Hemd aufzuknöpfen. Von oben nach unten. Sofort fallen meine Arme an meinen Seiten herab. Bleiben völlig unbenutzt dort hängen. „Ist er ein kleiner Junge? Muss Daddy ihm beim Ausziehen helfen?” neckt der halbe Japaner mich plötzlich. Mit hörbar enger Kehle. Während seine geschickten Finger sorgsam einen kleinen Knopf nach dem anderen öffnen. Sein Atem geht mindestens so schwer wie meiner. Wahrscheinlich läuft auch sein Kopfkino auf Hochtouren. Das ist ganz schön erregend. Hätte ich nicht gedacht. "Ja, bitte hilf mir, Daddy", flüstere ich angetan.

Selig betrachte ich sein faszinierendes Gesicht. Das mir jetzt so nah ist, dass ich mich nur noch ein Stückchen vorbeugen müsste, um ihn zu küssen. Tue das aber nicht. Bleibe einfach so ruhig wie möglich stehen. Lasse ihn machen. Begebe mich vertrauensvoll in Mikeys Hände. Schaue ihn dabei intensiv an. Sauge den Anblick gierig in mich auf. Die akkurat geschnittenen, kräftigen, schwarzen Haare. Die hart gegelt nach oben und den Seiten hin abstehen. Die hohe, glatte Stirn. Seine schwarzen, dichten Augenbrauen sind wie zwei breite, nur leicht geschwungene Balken über seinen fantastischen braunen Knopfaugen. Diese besonderen Augen. Mit den dichten Wimpern. Und der deutlich japanischen Form. Die zweifelsfrei seine Herkunft offenbart. In Shinodas außergewöhnlichen Augen kann ich mich kinderleicht verlieren.

Zur Zeit sind sie auf die vielen kleinen Knöpfe meines Hemdes fixiert. Seine schlanken Finger arbeiten langsam und sorgfältig. Als würde er jeden einzelnen Knopf genießen, den er öffnen darf. Das amüsiert mich. Mein Blick fällt auf seine lustige, runde Stupsnase. Dann auf seinen schönen Mund. Die vollen, roten Lippen sind unwillkürlich ein Stückchen geöffnet. Damit er besser Luft kriegt. Mikes Oberlippe hat diese einmalige, besonders schwungvolle Form. Plötzlich möchte ich da dringend reinbeißen. Halte mich aber zurück. Konzentriere mich auf sein Gesicht. Sein dunkelbrauner Bart ist kurz geschnitten und perfekt getrimmt worden. Obwohl sein Bartwuchs weitaus dichter ist als meiner, gibt es an seinem Kinn rechts und links zwei Stellen, wo weniger Bart wächst. Das sieht hinreißend aus. Ich möchte mit meinem Finger über diese fast nackten Stellen fahren. Seine warme Haut ergründen. Fasziniert sehe ich mir an, wie Mikeys wundervoller Bart unten an seinen beiden Wangen entlang bis zu seinen Ohren verläuft. Mein Herz klopft schnell, als ich ausgiebig seine großen, runden Ohren betrachte. Sie stehen genau so weit von seinem Kopf ab, dass es total süß aussieht. Auch in die Ohren möchte ich gerne beißen. Keine Ahnung warum.

Mike hat mein Hemd bis zum letzten Knopf ganz unten aufgeknöpft. Fängt damit an es mir auszuziehen. Automatisch hebe ich meine Arme, um ihm dabei zu helfen. Behutsam zieht der Typ mir das blaue Oberhemd aus. Es ist schmutzig geworden und mittlerweile total zerknittert. Weil ich es nicht bügeln konnte. So ein dreckiges Hemd trage ich normalerweise nicht. Darum bin ich froh es loszuwerden. Außerdem ist es tierisch geil, von diesem zärtlichen Mann entkleidet zu werden. Er behandelt mich mit so viel Hingabe. Mike lässt mein Hemd achtlos auf den Boden fallen. Er lächelt mich auf eine Weise an, dass ich unwillkürlich dahinschmelze. Seine Zunge fährt über seine Lippen. „Daddy hilft dir, kleiner Chester-Boy”, flüstert er mit einer Liebenswürdigkeit, die mich fast erschlägt. „Hilf mir, Daddy”, krächze ich verloren.

Meine Seele zieht sich zusammen. Weil mich irgendwas daran komplett zerlegt. Vielleicht ist es die plötzliche Gewissheit, dass der Mann mir jetzt sämtliche Entscheidungslast abnimmt. Keine Ahnung. Krampfhaft konzentriere ich mich auf den zauberhaften Kerl vor mir. Der mit seinen beiden Händen zärtlich an meinen nackten Oberarmen entlangfährt. Mit seinen Fingern malt er sanft meine Tattoos nach. „Ich liebe deine bunten Fische, Chaz”, offenbart er nicht zum ersten Mal, „Die sind wunderschön.” Ein Lächeln erscheint auf meinem Gesicht. „Ich liebe die auch”, versichere ich dem Knopfäugigen. „Hast du noch mehr Tattoos? Ich meine, außer den sechs Armen auf deinem Rücken?” will Mikey neugierig wissen. „Guck doch mal nach”, fordere ich ihn ungeduldig auf. Das hier geht mir ein bisschen zu langsam. Ich will, dass er mich schneller auszieht. Meine Erregung drängt mich dazu, die Sache zu beschleunigen. Sie heftiger anzugehen. Shinoda lacht amüsiert. Sieht mich bedeutungsvoll an. „Na, na, ist er etwa ungehorsam?” spielt er den strengen Vater. „Nein, Daddy”, kommt es entschuldigend aus mir heraus. Der Typ lacht belustigt. Streichelt mir liebevoll ein paar Locken aus der Stirn. „Du bist mein kleiner Chester-Boy”, erklärt er mir freundlich. Weil ihm diese seltsame Rollenverteilung anscheinend gefällt.

Fühle mich irritiert. Ich muss zugeben, das hat was. Mich ihm auf diese Art auszuliefern. Es fühlt sich erstaunlich befreiend an, ihm die Kontrolle zu überlassen. Außerdem würde ich dem fremden Kerl mein Leben anvertrauen. Ich weiß nicht, was genau diesen komischen Typen derart vertrauenswürdig für mich macht. Denn eigentlich kenne ich ihn ja kaum. Aber da existiert was, was ihn mit mir verbindet. Irgendwas Unsichtbares. Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass Mike Shinoda enorm wichtig für mich ist. Ich glaube, dass er in meinem Leben eine unerklärlich tragende Rolle spielt.

Tatkräftig greift der Mann sich den Bund meines Unterhemdes. Zieht mir das Hemd mit einem kräftigen Ruck nach oben. Und dann direkt weiter über den Kopf. Hastig hebe ich meine Arme. Damit er mir das Unterhemd ausziehen kann. Lasse die Arme danach wieder sinken. Schneller als erwartet stehe ich mit freiem Oberkörper in Mikes Zimmer. Der Typ befindet sich direkt vor mir. Wirft mein Unterhemd zu dem Hemd auf den Boden. Wohlwollend betrachtet er meine nackte Brust. Sein Blick bleibt lange auf meinen Nippeln kleben. Ich behalte seinen tollen Mund im Auge. Es törnt mich total an, wie seine Zunge aufgeregt über das zarte Rot fährt. Mike schnappt nach Luft. Sieht mir dann in die Augen. „Du bist wunderschön, Chester-Boy”, schmeichelt er mir angetan. Meine Augen fahren unzufrieden über sein dunkelblaues T-Shirt. „Darf ich dich ausziehen, Daddy?” kann ich mich nicht bremsen. Der Schwarzhaarige stutzt. Schaut irritiert an sich herab. Seine verblüffte Reaktion schlägt mich vor den Kopf. Dachte der Kerl denn wirklich, ich wäre der einzige, der heute seine Klamotten verliert? Wie hat er sich das vorgestellt? Auf einmal bin ich verwirrt.

Nach einiger Zeit ratlosen Schweigens halte ich es nicht länger aus. „Warum bin ich hier, Mike?” muss ich ihn einfach fragen. Halbjapaner hebt den Kopf. Guckt mich verlegen an. „Ich will dir ein paar Klamotten leihen, Chaz. Ich dachte, du könntest welche gebrauchen, weil du doch schon seit Tagen...” „Ja, ich weiß”, unterbreche ich ihn ungehalten, „Aber ich dachte eigentlich, wir wären schon ein paar Schritte weiter.” Mein Gegenüber kneift verwundert die Augen zusammen. Dann seufzt er: „Ich weiß nicht, Chester. Ich kann dir auch nicht sagen, was hier abläuft. Das ist alles total neu für mich. Ich begreife das nicht, glaub mir.” „Dann lass es uns einfach tun”, dränge ich ihn fassungslos. Weil ich des Nachdenkens müde bin. „Okay, Chester”, stimmt der Zauberer nach kurzem Zögern zu, „Lass es uns tun.” Mutig streckt er den Rücken. Stellt sich gerade vor mich hin. Lässt die Arme sinken. Präsentiert mir vertrauensvoll seinen wohlgeformten Körper. Seine stumme Aufforderung an mich ihn auszuziehen. Ich muss mal eben nach Luft schnappen, weil es mich abrupt enorm aufgeilt, wie hingebungsvoll sich Herr Shinoda auch diesmal in meine Hände begibt. Er bemerkt meine Aufregung. Kann sie gar nicht übersehen. Grinst belustigt. „Bist du etwa nervös, Chester-Boy?” neckt er mich zärtlich. „Ja, genau wie du, Daddy”, erwidere ich atemlos. Was gibt es daran schon zu begreifen, denke ich verständnislos. Zwei Kerle sind geil aufeinander. Die normalste Sache der Welt. Das muss man nicht kapieren. Der eigene Körper sagt einem schon deutlich genug, was zu tun ist. Ganz von allein. Da muss man doch nur noch handeln.

Und das tue ich jetzt. Greife ein bisschen hastig nach Mikeys teurer aussehendem T-Shirt. Ziehe ihm die weiche Baumwolle blöd ungeschickt nach oben. Dann über den schwarzen Stachelkopf. Der Typ hebt folgsam seine Arme für mich. Nimmt sie danach wieder herunter. Beiläufig werfe ich sein T-Shirt neben mich auf den Boden. Auch heute trägt der California-Boy kein Unterhemd. Was in den meisten Gegenden von Kalifornien auch gar nicht nötig ist. Im heißen Arizona erst recht nicht. Trotzdem mag ich die praktischen Dinger gerne. Meine Tattoos sind gut zu sehen, wenn ich nur ein Unterhemd trage. Dass Mike keins anhat freut mich, weil er so schneller entblößt ist als vermutet. Noch nie habe ich Shinodas nackten Oberkörper gesehen. Das ist absolut wohlgestaltetes Neuland. Aufmerksam schaue ich ihn mir an. Studiere jeden attraktiven Zentimeter davon. Gestern konnte ich seine dichte Brustbehaarung nur fühlen. Heute kann ich sie sehen. Hätte nie gedacht, dass mich etwas derart Maskulines so scharf machen kann. Das ist wirklich amüsant. Ich kann nicht widerstehen, mit meinen Fingern ein bisschen durch sein krauses, dunkles Haar zu kraulen. Als ich seine beiden kleinen Brustwarzen berühre, zieht Mikey verblüfft die Luft ein. Sein breiter Brustkorb bewegt sich. Die Rippen spannen beim Atmen die samtweiche Haut. Es ist geil, wie augenblicklich sich seine süßen Nippel bei meiner Berührung zusammenziehen.

„Du bist ungehorsam, Boy!” tadelt der mutig Gewordene mich plötzlich streng, „Ich bin derjenige, der dich ausziehen darf!” „Ja, Daddy”, erwidere ich untertänig, „Es tut mir leid.” Sehe nervös dabei zu, wie Mike sich ein wenig stürmisch an meiner Chino zu schaffen macht. Seine Finger öffnen zittrig den Knopf. Ziehen dann hastig den Reißverschluss hinunter. Im nächsten Moment packt er den Bund an meinen Hüften. Reißt mir die Hose förmlich nach unten. Dazu muss er in die Knie gehen. Was er in einer beeindruckend eleganten Bewegung tut. Der Kerl lässt die Hose los und kniet vor mir. Sein Gesicht befindet sich aufregend nahe an meinem Schritt. Ich kann hören, wie er leise seufzt. Während er sich interessiert meine Unterhose ansieht. Das erregende Geräusch fährt mir geradewegs zwischen die Beine. Ich glaube, dass ich bald hart werde. Das fühlt sich verflucht gut an. Diese Sache ist erstaunlich anregend. Mein Herz hämmert heftig zwischen meinen Rippen. Mein Atem geht schwer. Mein Körper fängt an zu zittern. Es gefällt mir, wie der Mann mich ansieht. Da ist so viel Faszination in seinen Augen. Gleichzeitig registriere ich seine unverkennbar ansteigende Begierde. Kann seinen Atem hören. Er greift wieder zu. Zupft auffordernd an dem hellgrauen Stoff. Bis ich folgsam meine Beine anhebe. Einen nach dem anderen. Damit er mir die Chino von den nackten Füßen zerren kann. Auch dabei stellt er sich trotz seiner Eile geschickt an. Mikey legt die zerknüllte Hose zu meinen anderen Klamotten auf den Boden vor dem Schrank. Dann kniet er noch eine Weile dort. Betrachtet eingehend meine nackten Schenkel. Ich bin erstaunt, wie sehr es mich aufgeilt, in Unterhose vor ihm zu stehen. Seinen begierigen Blick auf mir zu fühlen ist enorm erregend. Ich kann mich nicht bremsen. Streichele ihm über den runden Kopf. Meine Finger fahren begeistert durch sein hart gestyltes Haar. Ertasten die unzähligen, pechschwarzen Stacheln. Es fühlt sich klebrig an. Ist es aber nicht. Mike Shinoda benutzt ein hochwertiges Stylinggel.

„Wow, Chester! Das ist total hot!” entfährt es dem Patienten überrascht. Träge sehe ich zu ihm hinunter. Kann mir schon denken, was er meint. Der Styling-Experte hat das Tattoo entdeckt, was ich erst seit Kurzem in Höhe meiner rechten Wade trage. Amüsiert schaue ich zu, wie der Halbjapaner mit seinem Finger sanft an dem nach oben geschlängelten Drachen entlangfährt. „Was bedeutet das?” fragt er fast ehrfürchtig. „Ich bin im Jahr des Drachen geboren”, erkläre ich ihm wahrheitsgemäß. Irgendwann werde ich viele Drachen auf meiner Haut tragen. Dieser hier ist nur mein erster. Der Typ gerät wahrhaftig ins Schwärmen. „Das ist fantastisch, Chaz. So exakt gezeichnet. Sieh dir nur die leuchtenden Farben an. Dieses helle Grün... Das Rot an den Schuppen... Und der gelbe Schwanz...”, zählt er beeindruckt auf. Lächelnd beobachte ich seine ungebremste Faszination für meinen tief gestochenen Körperschmuck.

Unwillkürlich muss ich daran denken, dass ich zu diesem Tattoo von Samantha inspiriert wurde. Das Mädchen, das ich einmal heiraten werde, trägt genau den gleichen Drachen auf ihrer bestimmt seidigen Haut. Ihrer ist nur mindestens 42 mal kleiner. Und befindet sich oberhalb ihres knackigen Hinterns. Sie zeigte ihn mir an unserem letzten Abend. Als wir nach dem erfolgreichen Grey Daze Konzert Backstage zusammensaßen. Wir hatten angeregt über Tattoos geredet. Ich wollte schon immer ein Drachen-Tattoo. Es symbolisiert mein chinesisches Geburtsjahr. Nach dem Gespräch mit Sam war es für mich selbstverständlich, dass ich genau den gleichen wie sie haben wollte. Irgendwas passiert mit mir. Die Erinnerung an Samantha deprimiert mich. Ihr wunderschönes Bild vor meinem inneren Auge zu sehen tut weh. Weil ich keine Ahnung habe, ob ich überhaupt noch eine Chance bei dem Mädchen habe. Wenn sie erfährt, dass ich in der geschlossenen Psychiatrie eingesperrt wurde, wird sie mich wohl nicht wiedersehen wollen. Das ertrage ich jetzt nicht. Meine Eingeweide ziehen sich schmerzhaft zusammen. Hilflos schaue ich zu dem Mitpatienten runter. Der Kerl betrachtet noch immer den bunten Drachen auf meinem rechten Unterschenkel. Mikey scheint von dem Tattoo richtig gebannt zu sein. Nicht zu fassen, dass er sich jetzt die Zeit dafür nimmt. In dieser Situation.

Ungeduldig nehme ich meine Finger aus seinem Haar. Fange an auf der Stelle zu treten. Hampele ein bisschen unruhig herum. Bis der Halbjapaner fragend zu mir hochsieht. Mein verstörter Gesichtsausdruck alarmiert ihn augenblicklich. „Ist alles okay, Chaz?” will er besorgt wissen. Seine zielsichere Empathie erstaunt mich. „Bitte, Daddy, darf ich dir bitte die Jeans ausziehen?” frage ich ihn überstürzt. Meine Stimme klingt verzweifelter, als ich es beabsichtigt habe. Das lässt Mikey sofort aufhorchen. In einer kräftigen Bewegung kommt er aus der knienden Position hoch. Im nächsten Moment steht der Schwarzhaarige wieder direkt vor mir. Aufmerksam suchend wandern seine Augen über mein Gesicht. „Alles okay mit dir, Chester Bennington?” wiederholt er sachte. Ich will jetzt bestimmt nicht mit ihm über Samantha oder sonst was sprechen. Es nervt mich, dass diese quälenden Gedanken meine geile Stimmung zerstören wollen. Das darf ich auf keinen Fall zulassen. Dazu hat dieses aufregende Spiel mit dem Besonderen entschieden zu vielversprechend angefangen.

Aus diesem Grund setze ich mein verführerischstes Lächeln auf. „Daddy hat Chester-Boy ziemlich geil gemacht. Er möchte jetzt gerne Daddys Unterhose sehen”, erkläre ich ziemlich albern. Zwinkere ihm flirtend zu. Fahre mit meiner Zunge frivol über meine Lippen. Zum Glück geht meine Rechnung auf. Denn Mikey fängt an zu lachen. Der unwissende Kerl klingt erleichtert. „Du hast recht, sorry”, wispert er entschuldigend. Küsst mich flüchtig auf die Stirn. „Ich bin für dich da”, muss er unbedingt nochmal klarstellen. Was mich mehr aufwühlt, als ich wahrhaben will. Obwohl er diesen Satz immerzu wiederholt, kann ich ihn einfach nicht kapieren. Mike stellt sich aufrecht hin. Der junge Mann ist bereit. „Sieh dir meine U-Hose an, Boy”, fordert er mich schroff auf. Es klingt wie ein strenger Befehl. Aber es gelingt dem entflammten Halbjapaner nicht ganz, in seiner Stimme die eigene Begierde zu unterdrücken. In Wirklichkeit ist er mächtig scharf auf unser Spiel. Der Typ ist geil auf mich. Es macht ihm richtig Spaß, mein Daddy zu sein. Das ist so herzzerreißend liebenswürdig, dass es mich augenblicklich mit ihm versöhnt.

Ein wohliger Schauer durchläuft mich. Als ich langsam die Knöpfe seiner Jeans öffne. Noch nie habe ich einen anderen Kerl ausgezogen. Hätte niemals vermutet, dass diese Tätigkeit so aufregend sein kann. Ist sie aber. Mein Herz fängt von allein ein schnelles Pochen an. Meine Lippen öffnen sich seufzend. Als ich dem Mitpatienten genüsslich die Beinkleider herunterziehe. Heute trägt der Califonia-Boy eine exakt passende, weinrote Boxershorts. Zu gerne würde ich ihm die qualitativ hochwertige Unterwäsche sofort ausziehen. Sehne mich plötzlich absurd stark nach seinem nackten Schwanz. Zu deutlich erinnere ich mich an die hinreißende Perfektion seines großen Gliedes. Nur mühevoll halte ich mich zurück. Das hier geht nur langsam vorwärts. So gesehen ist es unser erstes Mal. So etwas haben wir noch nie gemacht. Noch nie haben wir uns gegenseitig ausgezogen. Wir sollten nichts überstürzen. Ich will nicht, dass Shinoda einen schlechten Eindruck von mir gewinnt. Oder womöglich Angst kriegt. Ich möchte verdammt nochmal nichts falsch machen. Könnte es nicht verpacken, wenn der Kerl jetzt plötzlich davonläuft. Und mich stehenlässt.

Aber offenbar hat der Süße das nicht vor. Ich kann spüren, dass es ihn erregt, als ich interessiert seinen tollen Körper studiere. Auf mich hat dieser Vorgang eine ähnliche Wirkung. Entgegenkommend hebt er seine Füße. Damit ich die Jeans unbeholfen von seinen Füßen ziehen kann. Mir fällt auf, dass ich ihm zuerst noch die Sneakers ausziehen muss. Sonst kriege ich die hautenge Jeans nicht herunter. Mit bebenden Fingern löse ich die Schnürsenkel seiner Schuhe. Rupfe ihm einzeln die dunkelblauen Turnschuhe von den Füßen. Die genau zu seinem T-Shirt passen. Wie ich nebenbei zufrieden bemerke. Das Ausziehen der Turnschuhe ist mühsamer als vermutet. Aber Mike unterstützt mich dabei. Mein Daddy ist geduldig mit mir. Hilft mit, bis ich die Schuhe entfernt habe. Zerre ihm danach auch noch die schwarzen Strümpfe herunter. Natürlich hat gepflegter Shinoda gänzlich frische Socken an. Bei ihm gibt es keinerlei Geruchsbelästigung. Ziehe ihm letztendlich die Jeans von den auffallend schönen Füßen. Lege auch die Jeans und die Socken auf den Kleiderstapel vor dem Schrank. Die Sneakers stelle ich neben meine Chucks. Angetan betrachte ich Mikeys wohlgeformte Zehen. Mit den sorgfältig kurz geschnittenen Nägeln. Die dichte Behaarung an seinen Unterschenkeln. Die starken Muskeln seiner nackten Oberschenkel. Den verlockenden Inhalt seiner Boxershorts.

Ein paar Minuten später stehe ich wieder vor dem besonderen Mann. Diese Aktion war anstrengender, als ich erwartet hatte. Und viel erregender. Mein Herz klopft schnell. Ich ringe nach Luft. Ratlos gucke ich Mike an. Der meinen Blick reglos erwidert. Fast unbemerkt werden wir beide paralysiert. Verwirrend lange stehen wir einfach nur dort. Sagen gar nichts. Sehen uns gegenseitig tief in die Augen. Zwei fast nackte Kerle. Lediglich in Unterhosen. In irgendeinem Zimmer der geschlossenen Psychiatrie. Irgendwo im Bundesstaat Kalifornien. Vereinigte Staaten von Amerika. Sein Blick bannt mich. Ich liebe diese faszinierend runden, dunklen Knopfaugen. Die sind ganz besonders. In dem glänzenden Braun ist so viel versteckt. Das werde ich wohl niemals ganz entschlüsseln können. Aber genau dieses Wissen macht den Besitzer so interessant für mich. Glaube ich.

Jetzt kann ich in seinen Augen deutlich die angespannte Erwartungshaltung sehen. Seine betörte Freude auf das, was vielleicht noch kommen wird. Seine innere Ungeduld. Die kribbelnde Nervosität. Die ich mindestens genauso stark empfinde. Die Stille im Raum knistert so laut, dass die ganze Psychiatrie es eigentlich hören müsste. Ich hatte keine Ahnung, dass gemeinsames Schweigen mit jemandem dermaßen aufregend sein kann. Dass man dabei so viel fühlen kann. So erstaunlich viel sehen. Shinoda holt hörbar Luft. Erschaudert. Der attraktive Körper schüttelt sich wohlig. Seine spürbar ansteigende Erregung wirkt auf mich wie ein extrem gut gemachter Porno. Der mit der Zeit unwillkürlich meine eigene Geilheit in die Höhe schraubt. Das geschieht ganz behutsam. Ohne dass wir uns bewegen. Ohne dass es uns auch nur bewusst wird. Allein dadurch, dass wir uns intensiv fixieren. Die ungesteuerten sexuellen Fantasien, was zwischen Mike Shinoda und Chester Bennington in allernächster Zukunft womöglich passieren wird, laufen selbstständig Amok. Fuck, das ist einfach unglaublich! Die uneingeschränkte Macht der Suggestion.

Überdeutlich kann ich spüren, wie sich das Blut langsam in meinen Schwellkörpern zu stauen beginnt. Restlos überrumpelt stöhne ich auf. Mein Körper erschaudert. So etwas habe ich noch nie erlebt. Da sind doch magische Kräfte am Werk! Wohlige Wellen aus zarter Wollust durchfluten mich sanft. In mächtig ansteigenden Wellen. Ich fange ernsthaft an mich zu fragen, ob ich allein durch diese seltsame Situation einen Orgasmus erreichen könnte. Ob dieser fremde Mann aus Agoura Hills, Los Angeles, Kalifornien wahrhaftig die verblüffende Macht dazu besitzt, mich allein durch seine unmittelbare Anwesenheit kommen zu lassen. Nur durch diesen Blick seiner feurigen Halbjapaneraugen. Das ist so überraschend und verwirrend. So unfassbar witzig, dass ich tierisch nervös lachen muss. Mann, ich liebe es, wenn der Besondere mich überrascht. Jetzt gerade überrascht er mich so gewaltig, dass ich es kaum verarbeiten kann. Dabei steht der Typ nur schweigend vor mir. Innerlich jedoch bebt er vor sexueller Erregung. Die wachsenden Umrisse seines Schwanzes unter dem Stoff seiner Boxershorts sprechen eine deutliche Sprache. Als ich seine Erektion bemerke, gehe ich deswegen fast in die Knie. Meine Beine geben nach. Noch nie hat mich etwas stärker aufgegeilt. Mein Lachen ist reinster Stressabbau. Allerdings tönt eher ein schnaufendes Keuchen aus mir heraus. Inzwischen ringen wir beide nach Luft. Unsere Körper zittern in nervöser Anspannung. Mikeys gierig gewordene Augen haben sich auf meinen schwarzen Slip fokussiert. Mir dämmert, dass er gebannt die Konturen meiner wachsenden Erektion beobachtet. Es erschlägt mich, wie sehr es mich aufgeilt, dass der Kerl sich diesen in höchstem Maße intimen körperlichen Vorgang so interessiert ansieht.

Mike Shinoda ist es, der das fassungslos faszinierte Schweigen nach einer enorm spannenden Ewigkeit beendet. „Du bist ein unartiger Chester-Boy!” tadelt der Typ mich plötzlich atemlos, „Was fällt dir eigentlich ein? Wer hat dir das erlaubt?” Seine Stimme durchschneidet jäh die laut knisternde Stille im Raum. Seine Augen huschen mega aufgeregt zwischen meinem erigierten Schwanz und meinem Gesicht hin und her. Daddy demonstriert mir unmissverständlich, was genau ihn stört. Im ersten Moment bin ich heftig vor den Kopf geschlagen. Mächtig verwirrt. Völlig baff pruste ich spontan laut heraus. Auch diesmal ist mein nervös belustigtes Lachen nur ein erregtes Schnaufen. „Was?” keuche ich fassungslos.

Ziemlich irritiert muss ich registrieren, dass der Mann vor mir nicht mitlacht. Mit strenger, unzufriedener Miene macht er einen energischen Schritt auf mich zu. Seine Hand hebt sich schneller, als ich reagieren kann. Mike Shinoda packt meine Haare brutal am Hinterkopf. Bevor ich ihn abwehren kann. Lange bevor ich auch nur kapiere was los ist. Ruckartig zieht er meinen Kopf zu sich hin. Zerrt an den Dreads. Sodass es wehtut. „Wer hat dir das erlaubt, Boy?” wiederholt er anklagend. Seine schöne Stimme klingt überdeutlich. Er spricht artikuliert. Der Typ will sichergehen, dass ich ihn richtig verstehe. Aber ich begreife gar nichts. Ärgerlich starrt der Bartträger mich an. Ich fühle mich total überfahren. Das glühende Funkeln in Shinodas Augen schüchtert mich sehr viel mehr ein, als mir lieb ist. Gleichzeitig verspüre ich aber auch verblüfft eine ungewohnt pochende Erregung in mir. Überraschend eindeutig wird sie durch meine zweifellos erniedrigende Position ausgelöst. Das habe ich nicht erwartet. Noch niemals habe ich so ein sexuelles Spiel gespielt. Darum habe ich keine Ahnung, was ich machen soll. „Tut mir leid, Daddy”, krächze ich völlig hilflos. „Das ist ungehorsam von ihm! Er muss bestraft werden!” kündigt der Schwarzhaarige böse lächelnd an. Seine Finger zerren so feste an meinem Haar, dass ich unwillkürlich aufstöhne. Mein Stöhnen ist eine neuartige Mischung aus Schmerz und Lust. Die mich komplett verdutzt. Diesen Laut habe ich definitiv noch nie von mir gehört. Hatte keinen Schimmer, wie sich so etwas anfühlen kann.

Im nächsten Moment legt Mike Shinoda seine andere Hand herbe zwischen meine Beine. Umfasst auf geradem Wege zielstrebig mein angeschwollenes Paket. Gleich darauf massiert er meine Sexualorgane auf eine dermaßen angenehme Weise, dass ich nur noch perplex aufstöhnen kann. Die unerwartete, nie zuvor gefühlte Mischung aus Schmerz und Lust überwältigt mich blitzschnell. Der halbe Japaner facht das glimmende Feuer in mir auf eine derart energische Weise an, dass ich ihm nichts entgegensetzen kann. Bin ihm schutzlos ausgeliefert. Drängende Begierde erfasst mich. Schlagartig. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich noch niemals so laut gestöhnt habe. „Wow... Mike... das ist... ja!...” Der Typ lächelt zufrieden. Shinoda ist tatsächlich stolz auf sich. Ohne Frage ist er das zu recht.

Seine unerbittlichen Finger halten meinen Kopf so gewaltsam fest, dass ich mich nicht bewegen kann. Keinen Millimeter. Ich kann meinen Meister nur noch staunend betrachten. Seine braunen Augen brennen lichterloh. In diesem entfesselten Zustand habe ich den Besonderen noch nie erlebt. Noch niemals glühte so eine rohe Wildheit in dem ansonsten eher schüchternen Menschen. Niemals ist er derart ungebremst gewesen. Noch nicht mal damals auf der Parkbank. Mein vernebeltes Gehirn zieht unwillkürlich diesen Vergleich. Mit mir auf der versteckten Bank hatte es den Stacheligen irgendwie übermannt. Im Park war er der brandneuen Situation hilflos ausgeliefert. Er hatte sich seinen eigenen Begierden überlassen, als er stürmisch über mich herfiel. Auf der Parkbank hatte Mikey kopflos seiner brennenden Wollust gehorcht. Aber diesmal ist das völlig anders. Hier in seinem Zimmer hat der erstaunliche Mann spürbar alles im Griff. Mike Shinoda kontrolliert diese Situation. Einschließlich sich selbst. Das erschlägt mich nahezu. Wie unglaublich stark er ist. Wie dominant er sein kann. Niemals hätte ich so etwas von dem verunsicherten Knopfauge erwartet. Noch nicht mal annähernd. Es verwirrt mich extrem, dass es mir wahrhaftig nichts ausmacht, dem Kerl unterlegen zu sein. Ich verstehe nicht, warum ich mich in meiner von ihm unterdrückten Rolle so wohlfühle.

Seine Hand streichelt jetzt zärtlicher meinen Schritt. Ertastet neugierig meinen höchst empfänglichen Penis. Seine Finger klimpern liebevoll mit meinen Eiern. Spielen mit meinem Sack. Fahren gezielt an den teilweise erstarrten Weichteilen entlang. Obwohl die Baumwolle meines Slips noch dazwischen ist, explodiert seine Berührung in mir. Ich kann nicht verarbeiten, wie extrem meine Empfindung ist. Wie geradewegs und gewaltig er mich stimuliert. Ich fürchte ich komm gleich. „Boah... Mike... das ist... total...”, kommt verwirrt stammelnd aus mir heraus. Während ich heftigst erschaudere. Habe keinen Schimmer, wie ich mich ausdrücken soll. Mit welchen Wörtern ich beschreiben könnte, was ich gerade Unglaubliches fühle. Keuchend schnappe ich nach Luft. Mein Herz schlägt so schnell, dass es sicher bald meinen Brustkorb sprengen wird. Mikey zerrt lächelnd an meinen Dreads. Entlockt mir damit ein weiteres hemmungsloses Stöhnen. Meine Augen flehen ihn ergeben an. Bloß nicht damit aufzuhören. Meine Hand tastet sich blind in seine Richtung. Die Fingerspitzen streichen hektisch über seinen nackten Oberschenkel. Im kopflos drängenden Bedürfnis ihn zu berühren. Seine Haut fühlt sich warm an. Weich. Sein Bein ist erregend muskulös. „Wer hat dir erlaubt mich anzufassen, Chester-Boy?” knurrt der Mann tadelnd. Erschrocken ziehe ich meine Hand von seinem Bein weg.

Plötzlich huscht eine rätselhafte Ungewissheit durch Daddys anklagenden Blick. Bevor ich ihn aufhalten kann, hat der Typ mich schon losgelassen. Mike macht einen Schritt rückwärts. Der Kerl bewegt sich von mir weg. Das ist genau das Gegenteil von dem, was ich gerade unbedingt will. Verwirrt richte ich mich auf. Mikey hadert mit sich. „Du, sag mal, ist das eigentlich okay für dich, Chaz?” erkundigt der Halbjapaner sich verunsichert. „Was meinst du denn jetzt?” erwidere ich atemlos. Ich bin leicht ungehalten. Wegen der unwillkommenen Unterbrechung. Mein Körper erschaudert von allein. Drängt mich heftig nach mehr Stimulanzen. Aber mein Partner zögert. Der junge Mann schaut mich prüfend an. „Was wir hier machen. Ich möchte nichts tun, was dir nicht recht ist, Chester. Du musst mir sagen, wenn du etwas nicht willst, okay? Ich kann nicht wissen, ob ich zu weit gehe”, erklärt der Kalifornier mir fürsorglich. Ich bin gerührt. Obwohl ich seine typische Zurückhaltung an diesem fortgeschrittenen Punkt kaum noch ertrage. „Nein... Mikey... warte mal... das ist schon okay...”, versichere ich ihm ungeduldig.

Meine Beine treten prompt ruhelos auf der Stelle. Ich bin so geil, dass ich platzen möchte. Mein Schwanz fühlt sich sehr prall an im Slip. Das Organ dehnt den schwarzen Stoff weit aus. Ich will die Unterhose dringend ausziehen. Ich will, dass der Kerl endlich seine Boxershorts auszieht. Mit einiger Genugtuung registriere ich, dass auch seine Erektion mittlerweile deutlich gewachsen ist. Sein Schwanz reizt mich enorm. Zu gut erinnere ich mich an seine Ästhetik. Als ich ihn gestern geblasen habe, war ich ehrlich beeindruckt. Zu gerne würde ich den steifen Stängel sofort auspacken. Doch der Besitzer hat auf einmal rätselhafte Skrupel. „Bist du sicher, Chester? Geht das in Ordnung für dich? Ist dir deine Rolle nicht zu... erniedrigend?” will er zaghaft wissen. Zitternd seufze ich auf. Es ist ja lieb vom California-Boy, dass er nachfragt. Aber, Mann, hätte der Typ das nicht schon vor einer halben Stunde tun können? Bevor er damit angefangen hat mich derart aufzugeilen?, schreit mein Körper mich gellend an. Mikey kann eben auch nicht in die Zukunft sehen, entschuldige ich ihn in Gedanken. „Nein... ich bin nicht...”, schüttele ich verlegen den Kopf. Breche meine Antwort verwirrt ab. Fühle mich beschämt. Es nervt mich, dass ich verlegen werde. Inzwischen sollte ich das nun wirklich nicht mehr sein. Nicht mit dem Besonderen. Nicht nach dem, was wir schon alles miteinander getrieben haben. Tief hole ich Luft. Reiße mich zusammen. Sehe dem Süßen entschlossen in die jetzt wieder typisch scheuen Knopfaugen.

„Hör mal... du... Ich habe so etwas auch noch nie gemacht. Für mich ist das alles genauso neu. Aber ich finde das ziemlich... naja... geil halt. Mit dir, das ist... total überwältigend... Echt, Mike! Ich melde mich schon, wenn du zu weit gehst. Okay?” versuche ich unbeholfen ihn zu beruhigen. Sein amüsiertes Lächeln ist schlicht zum Anbeten. „Du hast so etwas noch nie gemacht, Chester Bennington?” wundert er sich. In einem höchst zweifelnden Tonfall. Der mir eindeutig noch ganz andere versaute Sachen zutraut. Ich weiß nicht, warum der Kerl ständig davon ausgeht, dass ich wer weiß wie erfahren in sexuellen Praktiken wäre. Das bin ich definitiv nicht. Ich bin noch nie mit einem Kerl intim gewesen. Oder habe sonderbar aufregende Rollenspiele gespielt. „Nein, habe ich nicht”, versichere ich dem Zweifler, „Absolute Premiere.” Seine Augen glitzern belustigt. „Und... was meinst du, Chaz? Wie bin ich so als dein dominanter Daddy?” drängt es ihn zu erfahren. Seine wunderbar großen Ohren werden rot. Das schlüpfrige Thema ist ihm peinlich. Trotzdem muss der Wissbegierige alles ganz genau erforschen. Ich wünschte, er würde jetzt damit aufhören. Und mich wieder anfassen. Mir von mir aus die Haare ausreißen. Hauptsache es geht weiter. Mit was auch immer. Sehne mich absurd stark nach einem gigantischen Orgasmus.

Nervös hampele ich auf meinem Platz herum. Meine nackten Füßen treten auf der kalten Stelle. Der Fußboden fühlt sich rau an. Muss mich herbe zurückhalten, um mich nicht selbst anzufassen. „Himmel, Mike, denk doch bitte nicht so viel nach! Okay? Lass es uns einfach tun. Wir können das doch mal ausprobieren. Ja? Ich mag es, wenn du so... leidenschaftlich bist”, versuche ich mein Dilemma zu erklären. „Fuck, du siehst doch, dass es mir gefällt!” setze ich verzweifelt hinzu. Meine Augen deuten flüchtig auf meinen unübersehbaren Ständer. „Tu es einfach, bitte”, flüstere ich flehend, „Ich liebe dich, Mike Shinoda.” Das kam jetzt ehrlich aus dem hintersten Winkel meiner Seele. Schneller, als ich es analysieren konnte. Geschockt schaue ich ihn an. In dem dunklen, asiatischen Braun erscheint ein glückliches Funkeln. „Ich liebe dich, Chester Bennington”, keucht der halbe Japaner entrückt.

Im nächsten Moment hat der Patient mich abermals gepackt. Der entflammte Kerl stürzt sich keuchend auf mich. Als hätte er nur auf ein unhörbares Startsignal gewartet. Seine rechte Hand gräbt sich hart in meine Geschlechtsorgane. Sodass ich nochmal verblüfft laut aufstöhne. Daraufhin hält die linke Hand meines Gegenübers mir grob den Mund zu. „Sei still, Chester-Boy! Du darfst nicht so laut sein. Sonst hört uns noch jemand, klar? Ich will jetzt keinen Ton mehr von dir hören”, befielt der aufs Neue erwachte Daddy mir streng. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das nicht hinkriege. Nicke aber folgsam. „Okay, Daddy. Tut mir leid”, nuschele ich hinter seiner warmen Handfläche. Die er im nächsten Augenblick wegnimmt. Mike sieht mich liebevoll an. Studiert hingerissen meine Züge. Sein Zeigefinger streicht ganz sanft über meine Lippen. Malt zart meine Oberlippe nach. Dann an der Unterlippe entlang. Die kaum spürbare Berührung verursacht mir eine Gänsehaut. Unterdrückt seufze ich. Restlos angetan.

„Ach, verdammt, Chazy Chaz. Du bist so unfassbar wunderschön”, kann der Rapper aus Agoura Hills sich plötzlich nicht zurückhalten. Er lässt mir nicht viel Zeit zu kapieren, ob er damit jetzt unser unbeholfenes Anfängerspiel abgebrochen hat. In einer überstürzten Bewegung reißt Mikey mir ungeduldig die Brille aus dem Gesicht. Er hakt sie einfach von meinen Ohren los. Mit meiner Brille in der Hand dreht er sich um. Läuft eilig drei Schritte bis zu seinem Tisch. Erstaunlich vorsichtig legt er meine schwarze Brille auf die Tischplatte. Diese Aktion überrascht mich. Verdutzt stehe ich da. Obwohl ich ihn nur noch unscharf sehen kann, betrachte ich fasziniert seine Wohlgestalt. Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich Mister Shinoda fast nackt. Der junge Mann ist lediglich mit seiner weinroten Boxershorts bekleidet. Die ihm toll steht. Ich erkenne seine glatte, leicht gebräunte Haut. Die dunklen Haare an seinem Körper. Die langen Arme und Beine. Den formvollendeten Rücken. Mir wird klar, dass nicht ich es bin, der in diesem trostlosen Zimmer der Psychiatrie wunderschön ist. Das ist mal sicher.

Zehn Sekunden später kommt der attraktive Mitpatient zurück zu mir. Begehrlich stürzt er auf mich zu. Zweifelsfrei kann er nicht länger warten. Das amüsiert mich. Erregt mich enorm. Ich bin völlig hingerissen. Der Stachelige drängt sich so unkontrolliert gegen mich, dass unsere Münder hart aufeinanderprallen. Shinoda ist extrem ungeduldig. Ich spüre seine vollen Lippen gierig an meinen. Sie sind unglaublich weich. Sein dichter Bart kitzelt an meinem Kinn. Im nächsten Augenblick schiebt der fantastische Schwarzhaarige seine heiße, nasse Zunge tief in mich hinein. Er überrumpelt mich. Ich kann nur instinktiv auf seinen unerwarteten Überfall reagieren. Indem ich ihn genauso heftig küsse. Kann gar nicht anders. Meine Arme heben sich fieberhaft. Umschlingen eifrig den warmen Körper. Habe schon zu lange darauf gewartet. Gierig presse ich den geliebten Menschen gegen mich. Drücke meine Erektion ungestüm in seine Lenden. Reibe mich wollüstig an ihm. Spüre seine beeindruckende Härte an mir. Höre seine unwillkürlich erfolgenden Seufzer. Spüre überdeutlich, wie er in geilen Schauern erzittert. Jedes einzelne Detail davon erregt mich enorm.

Mike umarmt mich ruhelos. Als wollte er mich am liebsten in sich hineinziehen. Er reibt seinen großen, harten Schwanz an mir. Das überwältigt mich. Davon kann ich nicht genug kriegen. Eine lange Weile küssen wir uns mit hitziger Ungeduld. Er saugt an meiner Unterlippe. Jagt meine Zunge hin und her. Presst seine Lippen feurig an meine. Seine Hände streicheln hektisch über meinen Rücken. Erreichen zielstrebig meinen Arsch. Seine Finger kneten meine Hinterbacken. Ich kann spüren, wie die Geilheit meines Partners an Intensität gewinnt. Sein schöner Leib vibriert in meinen Armen. Sein Atem geht schwer. Seine Haut fühlt sich wärmer an. Hastig fahren meine Hände über seine Rückseite. Erfühle seine harten Schulterblätter. Die Wirbel seines Rückgrades. Seine weiche Nierengegend. Die attraktive Taille. Der Stoff seiner Boxershorts verhüllt seinen knackigen Hintern. Unzufrieden darüber, streiche ich verlangend über Mikeys wundervollen Po. Fühlt sich muskulös an. Seine Augen schließen sich mit zustimmendem Schnurren. Kräftige Schauder aus Wohlbefinden durchfluten mich. Lassen mich stärker erzittern. Meine Augen fallen zu. Die restlichen Sinne schwinden kumulativ. Fokussieren sich von allein auf meinen geil kochenden Mittelpunkt. Ich möchte jetzt echt nicht damit aufhören. Lieber will ich mit meinem Schwanz in den Mann hineinstoßen. Rhythmisch. Unwillkürlich stelle ich mir das vor.

Aber plötzlich schnappt Shinoda nach Luft. Löst sich keuchend von meinen gierigen Lippen. Windet sich aus meiner innigen Umarmung. Das kann ich jetzt kaum noch hinnehmen. Der Kerl killt mich total! Verwirrt reiße ich die Augen auf. Lasse die Arme resignierend sinken. Mikey legt den Kopf ein wenig zurück. Sieht mich fassungslos an. „Chaz, was ist das nur?” ächzt er ratlos, „Warum ist das so intensiv mit dir?” Darauf weiß ich nun wirklich keine Antwort. Kann nicht fassen, was dem Kalifornier schon wieder Absurdes im hübschen Kopf herumspukt. In dieser Situation sind mir irgendwelche Gründe mehr als egal. Alles was ich will ist es, die höchst willkommene Intensität zu genießen. Obwohl der Aufmerksame zweifellos recht hat. Es ist tatsächlich intensiver mit ihm. Genaugenommen fühle ich mit Mike Shinoda meinen eigenen Körper in einer bisher unbekannten Heftigkeit. Die mich vollkommen lahmlegt. Ich brauche einen langen Moment, um aus meiner stark umnebelten Geilheit zurückzufinden. Meine Augen verschlingen den gut aussehenden Mitpatienten. „Weil du mich unheimlich liebst, Mike Shinoda?” biete ich ein bisschen spöttisch an. Sein atemloses Lachen fährt mir angenehm durch sämtliche sensiblen Nervenbahnen. „Ja, Mann, das tue ich!” jubelt Mikey euphorisch, „Du hast recht, Chester Bennington. Das ist schon unheimlich, wie sehr ich dich liebe.” Fasziniert registriere ich das unerklärlich strahlende Glück in seinem wunderschönen Gesicht. All diese außergewöhnlichen Details in seinem herrlichen Antlitz. Seine einmalige Mischung aus Europa und Asien. Ohne Frage ist Mike Shinoda etwas ganz Besonderes. Vollkommen unerreicht.

Fünf strahlende Sekunden später hat der Übermütige plötzlich den Bund meiner Unterhose gepackt. In einer hastigen Bewegung beugt er sich hinab. Zieht mir dabei geschickt den Slip herunter. In einem einzigen, selbstbewussten Schwung. Der keinen Widerspruch duldet. Bis zu den Knöcheln. Mike zerrt mir die Unterhose so eilig von den Füßen, dass ich nicht mitkomme. Ihn kaum unterstützen kann. Bevor ich kapiere, was eigentlich abgeht, richtet der dreiste Typ sich schon wieder auf. Wirft das schwarze Kleidungsstück beiseite. Sieht mich triumphierend an. Seine überraschende Aktion ist so schnell gegangen, dass ich nur noch staunend dastehe. Urplötzlich bin ich nackt. Verstehe gar nicht, wie das passieren konnte. Oder was hier überhaupt abläuft. Oder wo das hinführen soll. Ich merke nur baff, dass ich mich erstaunlich wohlfühle. Das habe ich nicht erwartet. Der fremde Mann vor mir scheint der Grund für mein Wohlbehagen zu sein. Dieser besondere Mensch ist so ungewohnt liebevoll zu mir. Er sieht so schön aus. Ich schäme mich nicht vor ihm. Kein bisschen. Im Gegenteil. Restlos unbekleidet von ihm betrachtet zu werden, macht mich tierisch an.

Verblüfft stöhne ich auf. Mein erregter Körper erschaudert. Die sensible Haut zieht sich kribbelnd zusammen. Es fühlt sich geil an, wie beim Ausziehen mein harter Penis aus der U-Hose herausploppt. Ich mag es, wenn er an der freien Luft ist. Noch geiler ist es allerdings, als der mutige Halbjapaner ihn vorsichtig mit seiner ganzen Hand umfasst. Mikey lächelt mich zärtlich an. Bebend in aufgeregter Vorfreude. „Chazy Chazy Chaz”, wispert er zugetan. Behutsam fangen seine warmen Finger damit an, auf ganzer Länge an mir auf und ab zu fahren. Langsam, aber ziemlich direkt. Keine Spur von unkontrolliertem Herumschrubbern. So wie damals im Park. Mister Shinoda hat wahrhaftig alles im Griff. Der Kerl scheint genau zu wissen, was er will. Und was er hier macht. Augenblicklich reagiert mein Körper mit einem heißen Erschaudern. Mächtige Geilheit sammelt sich zwischen meinen Beinen an. Scheint von da aus wellenförmig durch sämtliche Körperteile zu wandern. Zischend ziehe ich Luft ein. Verdutzt sehe ich nach unten. Mit dieser direkten Berührung habe ich so schnell nicht gerechnet. Kann gar nicht so jäh verarbeiten, dass der Typ meinen empfindlichen Schwanz wichst. Ich bin nicht sicher, ob ich damit zurechtkomme. Andererseits fühlt es sich viel zu geil an, um den frechen Kerl auch nur ansatzweise daran zu hindern.

„Ist das okay, Chester-Boy?” fragt er scheu, „Fühlt sich das gut an?” „Ja, mein Daddy. Das ist verflucht gut”, gebe ich offen zu. Mein Herz hämmert wie verrückt. Ich habe Schwierigkeiten mit der Atmung. Mein Leib zittert ruhelos. In einer hektischen Bewegung will ich den Besonderen wieder an mich ziehen. Will ihn überaus gierig küssen. Aber zu meiner Irritation weicht Knopfauge mir energisch aus. Missbilligend lässt er meinen Schwanz los. Was ich mit ganzer Seele bedauere. Möchte schreien deswegen. „Er soll nicht fluchen!” tadelt Daddy mich, während er mich wegschiebt, „Boy ist unartig. Er muss bestraft werden.” Mikeys Augen funkeln tatendurstig. Obwohl es mich irgendwie beunruhigt, wenn er von Bestrafungen spricht, so hat meine ungewohnte Position auch etwas erstaunlich Erregendes. Langsam kapiere ich, dass ich diesem unbekannten Mann wahrhaftig genug vertraue, um sein willenloses Spielzeug zu werden. Das ist vollkommen neu für mich. Hätte ich im Leben nicht von mir vermutet. Ich bin völlig verwirrt. Brauche einen Moment, um meine wild wirbelnden Gedanken und Gefühle zu ordnen.

Plötzlich holt der Mitpatient aus. Shinoda schlägt mich so brutal auf den nackten Hintern, dass die Haut sich mit Sicherheit rot färbt. Wahrscheinlich wird das sogar ein zweiter, fetter, blauer Fleck. So wie der auf meinem Oberschenkel. Der auch von Shinoda stammt. Schon wieder schlägt der Typ mich. Ich fasse das nicht! „Fuck!” entfährt es mir erschrocken. Ich bin absolut entsetzt. Mein Gesicht verzieht sich schmerzerfüllt. Instinktiv weiche ich hastig vor ihm zurück. Starre ihn entgeistert an. Mike sieht mindestens so schockiert aus wie ich. Verstört schnappt er nach Luft. „War das zu feste?” will er beunruhigt wissen, „Habe ich dir wehgetan, Chester?” Konfus registriere ich, wie der heftig ziehende Schmerz an meinem Hinterteil sich auf unfassbar erregende Art mit meiner angestauten Geilheit vermischt. Stöhnend schüttele ich mich. Winde meinen überreizten Leib in einem kurzen Anfall von unerreichter Wollust. Kann nicht anders. Keine Chance. „Nein... das ist...”, ächze ich völlig überfordert. Ich habe echt keinen Plan mehr, was ich davon halten soll. Noch nie bin ich beim Sex geschlagen worden. Hatte keinen Plan, wie sich das anfühlen kann. Wie unerreicht geil das sein kann. Diese Erkenntnis killt mich.

„Alles okay, Chaz?” horcht der Stachelige schuldbewusst nach. Sein rundes Gesicht ist so voller Besorgnis um mich, dass mir unwillkürlich ganz heiß wird. „Verdammt, ja”, stöhne ich hingerissen, „Mike...” Ziehe den ratlosen Kerl heftig an mich heran. Küsse ihn voller verwirrter Zuneigung. Überfüllt mit drängender Begierde. Halbjapaner erwidert meinen Kuss eher zurückhaltend. Meine Zunge beschäftigt sich stürmisch mit seinem Mund. Meine Hände fahren hastig an seiner weichen Haut herunter. Zielstrebig finden sie den breiten Bund seiner modischen Boxershorts. Unzufrieden zerre ich daran, um sie ihm endlich auszuziehen. Küsse mich zu seinem süßen Ohr hin. „Bitte.. zieh das aus... ja?... tust du das für mich?” frage ich ihn mit wild hämmerndem Herzen. Mein Gesicht ist dicht an seinem. Begierig lecke ich über seine bärtige Wange. Seinen Hals. Mike lächelt vage amüsiert. „Okay, Chester”, flüstert er gutmütig. Zitternd löse ich mich von ihm. Stehe nervös dort. Sehe dabei zu, wie der zauberhafte Mann sich für mich auszieht. Er macht es ganz langsam. Aufreizend. Mit schnuckelig roten Ohren schiebt er seine Shorts herunter. Mein Blick fokussiert sich automatisch auf seinen vollständig erigierten Penis. Der weit von seinem Unterleib absteht. Begeistert erfasse ich auch diesmal die absolute Perfektion seines Sexualorgans. Fühle den erbaulichen Anblick wahrhaftig als überraschend starke sexuelle Stimulation in meinem aufgeheizten Körper. Obwohl ich auch ein bisschen neidisch bin. Weil ich weniger als er besitze. Naja.

Die weinrote Baumwolle fällt an seinen Beinen hinab. Auf den Boden. Verlegen steigt Mikey aus den Shorts. Angelt sie dann geschickt mit seinem Zeh und befördert sie zu unseren anderen Kleidungsstücken. Die sich inzwischen vor dem offenen Schrank angehäuft haben. Zum ersten Mal, seit sie vor drei Tagen auf dem Flur der geschlossenen Psychiatrie aufeinandertrafen, stehen Mike Shinoda und Chester Bennington vollständig unbekleidet voreinander. Scheu sieht mein Mitpatient mich an. Unruhig trete ich auf der Stelle. Beschämt wechseln wir ein zaghaftes Lächeln. Mein Herz pocht unruhiger. Eine sonderbare Verlegenheit macht sich zwischen uns breit. Die ich angesichts unserer vergangenen sexuellen Abenteuer gar nicht verstehen kann. Unsere Blicke wandern verstärkt interessiert über den Körper des anderen. Erfassen jedes kleinste Detail. Mein Atem wird schwerer. Ein neuer Schauer erfasst mich. Weil ich Mikeys Erregung nicht nur sehen, sondern förmlich spüren kann. Weil ich ihn leise seufzen höre. Weil dieser Mann dermaßen attraktiv ist, dass ich mich gesegnet fühle, ihn ansehen zu dürfen. Von seinem kleinen Zeh bis zu den Spitzen seiner schwarzen Haare strahlt Shinoda für mich die reine Perfektion aus. Ich bin völlig hingerissen. Kann es plötzlich nicht erwarten, ihn aufs Neue zu fühlen. Seine samtige Weichheit. Die tröstende Wärme seiner Haut. Das Gefühl seiner dichten Körperbehaarung. Ich möchte diesen Kerl ganz nah bei mir haben. Für immer. Ich kann nicht fassen, wie scharf ich auf den Mann bin.

12. I keep it locked up inside


Michael Kenji Shinoda

Knisternde Nervosität erfüllt mich. Spüre jeden Millimeter von mir. Ich bin umhüllt von purer Energie. Meine Haut scheint zu glühen. Sie ist mega empfänglich. Giert nach Berührungen. Alle meine Härchen haben sich aufgestellt. Als hätte man mich in flackernde Elektrizität eingetaucht. Ich fühle mich extrem lebendig. Mir ist heiß. Bestimmt bin ich knallrot. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Es bumpert laut und schnell in meiner Brust. Mein Atem geht schwer. Ringe keuchend nach Luft. Ich glaube, dass ich noch nie dermaßen nervös gewesen bin. Mein Körper und meine Seele vibrieren vor Aufregung. Ich platze fast vor geiler Erregung.

Gleichzeitig bin ich unglaublich alarmiert. Kann nicht fassen, was gerade geschehen ist. Was ich gemacht habe. Dass ich so etwas tatsächlich gewagt habe. Ich habe wahrhaftig meine Boxershorts ausgezogen. Das letzte Stück Stoff, das mir noch geblieben war. Bevor es richtig peinlich wird. Das habe ich nur für ihn getan. Weil er mich darum gebeten hat. Konnte ihm diese flehende Bitte nicht ausschlagen. Kann ihm gar nichts ausschlagen. Nie. Und nun gibt es kein Zurück mehr. Jetzt bin ich wahrhaftig nackt. So völlig. Splitterfaser. Kein Stückchen Stoff bedeckt mehr meine glühende Haut. Nirgendwo. Bin komplett ungeschützt. Alles von meinem Körper wird offenbart. Auch die intimsten Stellen. Die meine sexuelle Erregung gerade mehr als deutlich widerspiegeln. Bedingungslos. Habe mich ihm ausgeliefert. Mit all meinen körperlichen Schwächen.

Das ist mir vollkommen bewusst. Während ich einfach so dastehe. Ratlos. Restlos überwältigt. Obwohl ich innerlich brenne, bewege ich mich nicht. Meine Hände sind reglos neben den Hüften. Nur die Finger zittern leicht. Adrenalin. Spüre überdeutlich seinen lodernden Blick auf mir. Der sich tief in meine Haut zu brennen droht. Dunkelbraune, zweifellos entflammte Augen wandern interessiert über jeden Zentimeter von mir. Langsam. Höchst genüsslich. Der Engel guckt mich ganz genau an. Nimmt sich trotz seiner spürbaren Ungeduld die Zeit dafür. Chester sieht jedes kleinste Detail von mir. Und damit auch alles, was mir nicht an mir gefällt. Meine knubbeligen Knie. Die dicken Zehen. Den ein bisschen zu speckigen Bauch. Weil ich viel zu lange nicht mehr trainiert habe, bin ich ein wenig aus der Form geraten. Das muss Chester einfach merken. Auch ohne seine Brille, die ich ihm vorhin dreist weggenommen habe, muss ihm das auffallen. Mit Sicherheit registriert der Sänger die vielen dunklen Haare an meinem Leib. Dicht auf meiner Brust. Überall an meinen Armen und Beinen. Bin unsicher, ob dem Arizona-Boy meine starke Körperbehaarung gefällt. Ich fürchte, dass ich ihm vielleicht zu dick bin. Oder das ihn irgendwas anderes an mir abstößt. Könnte doch passieren. Finde ich gar nicht so unwahrscheinlich.

Aber ich kann jetzt nicht mehr zurück. Erwarte ergeben sein Urteil. Mein Blick hängt nervös auf seinem jungen Gesicht. Während er mich ausführlich begutachtet. Hoffe darauf, dass seine Mimik mir etwas verrät. Bin völlig gefangen von seiner hübschen Visage. Den strahlenden, konzentrierten Augen. Seiner Zunge, die aufgeregt seine Lippen befeuchtet. Warte angespannt auf seine Reaktion. Aber da verändert sich nichts. Kann nicht erkennen, was er über mich denkt. Was mich noch nervöser macht. Zumindest scheint Chester sich wohlzufühlen. Er sieht zufrieden aus. Auffallend lange sieht er sich meine ausgeprägte Erektion an. Betrachtet versonnen lächelnd den Sack zwischen meinen Oberschenkeln. Obwohl mir klar ist, dass er mir schon einen geblasen hat und meine Geschlechtsorgane daher kennt, ist diese Situation ganz anders. So etwas ist vollkommen neu für mich. Eine weitere aufregende Premiere.

Ich stehe vor dem fremden Patienten auf dem Präsentierteller. Vollkommen hüllenlos. So hat Chaz mich noch nie gesehen. So gut wie keiner hat mich je unbekleidet erblickt. Nur zwei oder drei Mädchen, mit denen ich mal fest zusammen war. Normalerweise zeige ich niemandem meinen nackten Körper. Ich ziehe mich ja nicht mal in der Gesellschaft anderer Menschen um. Eigentlich müsste ich vor Scham im Erdboden versinken. Aber so ist das gar nicht. Was mich total verblüfft. Das verwirrt mich, wie wenig ich mich vor ihm schäme. Wie wenig es mir tatsächlich ausmacht, dass Chester Bennington gerade ausnahmslos alles von mir zu sehen kriegt.

Fühle mich unter seinen mega wachsamen Augen nur seltsam entrückt. Mein Herz schlägt wild hinter meinen Rippen. Mein Körper bebt. Alle Nerven vibrieren. Gieren autonom nach Stimulation. Mann, ich bin so wahnsinnig erregt. Möchte augenblicklich über ihn herfallen. Mich gierig an seinem attraktiven Körper festsaugen. Es fällt mir schwer, die Kontrolle zu behalten. Mich zurückzuhalten. Der Typ hat mich aufs Neue tierisch geil gemacht. Es ist erschreckend, mit welcher Leichtigkeit der das kann. Er muss nicht mal groß was dafür tun. Einfach nur nackt vor mir stehen. Und mich ansehen. Sein Blick und sein unbekleideter Körper reichen völlig aus. Schon bin ich restlos entflammt. Total hingerissen. Bin ihm komplett ausgeliefert. Adrenalin und Wollust durchfluten mich wellenförmig. Stehe eindeutig gewaltig unter Strom.

Seltsamerweise macht es mich sogar noch schärfer, dass der geile Kerl mich so höllisch interessiert mustert. Das hätte ich niemals erwartet. Nie hätte ich gedacht, dass es darauf hinausläuft. Dass wir so etwas tun werden. Wenn wir zum ersten Mal allein in meinem Zimmer sind. Dass wir uns wahrhaftig beide nackt ausziehen. Gigantisch aufregende Rollenspiele spielen. Offenbar erregt es ihn enorm, mich nur anzusehen. Er scheint von meinem Anblick überwältigt zu sein. Seine braunen Augen haben sich ungebremst an mir festgesaugt. Das finde ich absolut faszinierend. Obwohl ich seine spürbare Begeisterung nicht verstehen kann. Aber Chester atmet mindestens so schwer wie ich. Sein schmächtiger Körper zittert vor Anspannung. Hemmungslos begierig holt er sich visuelle Stimulationen von mir. Der starke Eindruck, dass ihm trotz all meiner unleugbaren Mängel gefällt, was er sieht, verursacht mir heftige Glücksgefühle. Ich weiß nicht warum. Oder wie es überhaupt dazu kommen konnte. Wie wir in diese komische Situation geraten sind, ist mir ein Rätsel.

Zum ersten Mal in meinem Leben erblicke ich den singenden Engel restlos unbekleidet. Kann gar nicht verarbeiten, was ich vor mir sehe. Benningtons Anblick erschlägt mich. Bin geblendet von seiner unfassbaren Schönheit. Seiner grenzenlosen Perfektion. Im Gegensatz zu mir gibt es an diesem Menschen keine Fehler. Jeder Millimeter von ihm ist formvollendet. Absolut einmalig. Besonders. Es gibt keine Wörter dafür, um Chester Bennington zu beschreiben. Ich bin paralysiert. Will jedes faszinierende Detail von ihm gebannt in mich aufnehmen. Will mich in ihm auflösen. Möchte mich bedingungslos in diesem Mann verlieren. Am liebsten will ich nie wieder aus meinem Rausch erwachen.

Aber das funktioniert leider nicht. Ich spüre das doch. Es piekt mich in jeder Faser meines Seins. Verdammt! Obwohl es mich tierisch nervt, komme ich dagegen nicht an. Kann nicht über meinen Schatten springen. Dabei täte ich im Moment nichts lieber. Irgendwas stimmt nicht. Etwas stört mich ganz gewaltig. Es kratzt hartnäckig an meiner sexuellen Erregung. Verhindert bösartig, dass ich mich restlos auf Chester einlassen kann. Das klappt nicht. Denn mein Verstand wird zunehmend alarmiert. Will nicht darüber nachdenken, wie hoffnungslos absurd meine Situation im Grunde ist. Wie überaus gefährlich die Lage, in der wir uns gerade befinden. Und doch stechen diese von allein wirbelnden Gedanken zunehmend in meine brennende Leidenschaft.

Das hier passt gar nicht zu mir. Das Risiko, dass ich für Chester eingegangen bin, ist viel zu groß. Jeden Moment könnte jemand hereinkommen, der das hier nicht sehen sollte. Gar nicht sehen darf. Zwei nackte Patienten stehen direkt voreinander und starren sich hemmungslos an. In einem Zimmer der geschlossenen Psychiatrie. Das man wohlweislich nicht abschließen kann. Vor einem offenen Kleiderschrank. Vor dem ihre Klamotten angehäuft auf dem Boden liegen. Beide jungen Männer sind unübersehbar sexuell erregt. Mit beeindruckenden Ständern. Die steif von ihren Unterleibern abstehen. Keuchendes Luftholen erfüllt die Luft. Knisternde Spannung im Raum. Ansonsten ist es ganz still. So etwas tue ich sonst nicht. Habe es noch nie riskiert. Hatte es auch nicht vor.  Nie im Leben hätte ich das gedacht. Nicht mal ansatzweise habe ich erwartet, dass so etwas passiert, wenn ich Bennington mit in mein Zimmer nehme. Konnte ich mir nicht mal in meinen kühnsten Träumen ausmalen.

Wollte dem zerzausten Typen doch nur ein paar frische Klamotten leihen. Dass Chaz sich ausziehen muss war ja irgendwie klar. Okay, ich habe mir gewünscht, dass er sich direkt in meinem Zimmer umzieht. Sodass ich ihm dabei zuschauen kann. Den Engel beim Umziehen beobachten zu dürfen, war meine heimliche Phantasie. Aber ich? Warum bin ich jetzt auch unbekleidet? Warum stehen Chester und ich nackt in meinem kleinen Raum herum? Ich verstehe das gar nicht. Fühle mich eigenartig entrückt. Panik und heftige Geilheit durchfluten mich so gewaltig, dass ich kaum noch klar denken kann.

Sehe meinen geliebten Mann an, wie er niedlich sabbernd vor mir steht. Sein schöner Körper scheint im Sonnenlicht zu leuchten. Es wundert mich, dass der Typ so auffallend helle Haut hat. Wo er doch aus Phoenix, Arizona kommt. Einem Ort mitten in der Wüste, an dem fast das ganze Jahr über die Sonne scheint. Seine Nippel sind klein und rund. Ich kann seine Rippen zählen. Sein Bauch ist ganz flach. An seiner Taille stehen die Hüftknochen hervor. Dieser Mensch trägt im Gegensatz zu mir kein Gramm Fett zu viel unter seiner samtigen Haut. Eindeutig ist er zu dünn. Aber gleichzeitig ist Chester Bennington so wunderschön, dass ich vor ihm auf die Knie fallen möchte. Will ihn selig anbeten. Seine braunen Augen glänzen warm. „Mein Mikey...”, wispert er atemlos, „Shi-no-da...” Der Kerl ist voller Zuneigung zu mir. Erfüllt mit rätselhafter Hingabe. Ich habe keinen Schimmer, womit ich ihn verdient habe.

Mein Herz überschlägt sich vor Alarmbereitschaft. Ich weiß gar nicht, wie es dazu kommen konnte. Oder was ich jetzt machen soll. Das ist unbewusst geschehen. Wir haben uns gegenseitig beständig bis zu diesem Punkt hochgeschaukelt. Haben nagelneue, verwirrend stark erregende Spiele gespielt. Und jetzt weiß ich kaum damit umzugehen. Habe keine Ahnung, wie ich damit zurechtkommen soll. Aus dieser beklemmenden Situation will ich nur noch unbeschadet wieder herauskommen. Fühle mich plötzlich, als wäre ich unerwartet in eine lebensgefährliche Falle geraten. Das hier ist so was von riskant.

Unweigerlich fliegt mein Blick an Chester vorbei zur Tür und bleibt da kleben. Meine Tür ist fest zu. Aber sie ist nicht abgeschlossen. Ich kann sie nicht abschließen. Die verdammte Tür hat ja nicht mal ein Schloss. Jeden Augenblick wird sie von außen geöffnet werden. Weil irgendjemand vom Flur aus hereinkommt. Vielleicht taucht Pfleger Ulli auf, der mal wieder nach Chester sucht. Oder es ist eine Putzfrau, die hier saubermachen will. Ich weiß nicht, wann die Zimmer gereinigt werden. Das habe ich nie mitgekriegt. Hat mich nie interessiert. Ich gehe aber davon aus, dass es bestimmt Vormittags gemacht wird. Weil dann die meisten Therapien stattfinden. Und deshalb die Patientenzimmer normalerweise leer sind. Der Gedanke macht mich verrückt.

Mit einem Mal fühle ich mich gigantisch bedroht. Als würde hier jeden Moment eine tödliche Bombe detonieren. Mein Herz fängt an zu rasen. Ich kriege keine Luft mehr! Paradoxerweise scheint mich die drohende Gefahr noch stärker aufzugeilen. Fuck! Mein Verlangen bringt mich um. Habe mich kaum noch unter Kontrolle. Das ist total peinlich. Ich bin nahe daran mich selbst anzufassen. Weil es mich so enorm stark nach körperlicher Stimulation verlangt. So etwas habe ich noch nie erlebt. Habe mich noch nie so ausgeliefert gefühlt. Muss mich dringend davon ablenken. Die Situation im Griff behalten. Muss konzentriert bleiben. Die Bedrohung abwenden. Panisch behalte ich die Tür im Auge. Versuche mich zu erinnern, ob schon mal jemand hereingekommen ist, wenn ich um diese Uhrzeit in meinem Zimmer war. Habe mich sehr oft allein in diesem Raum aufgehalten. So viel ist sicher. Auch schon Vormittags. Aber ich weiß nicht mit Sicherheit zu sagen, ob jemand reinkam. Kann meine Gedanken nicht ordnen. Weil sie plötzlich mega aufgescheucht in meinem Kopf umherwirbeln. Mein aufgegeilter Körper bebt in nie endender Anspannung. Es fällt mir schwer ruhig stehenzubleiben. Die Zeit vergeht quälend langsam. Die Stille im Zimmer fängt unangenehm zu dröhnen an. Ich bin wie gelähmt. Vollkommen ratlos.

Plötzlich höre ich jemanden seufzen. Hört sich schwer enttäuscht an. Das unerwartete Geräusch reißt mich abrupt aus meiner böse verkrampften Paralyse. Verwirrt huschen meine Augen von der verfickten Tür weg. Geradewegs zurück in Chesters Gesicht. Weil nur mein Mann es gewesen sein kann, der so tief geseufzt hat. Außer ihm und mir ist ja gar niemand hier. Es gibt keine unerwünschten Zuschauer. Erst jetzt wird mir das richtig bewusst. Mister Bennington steht unverändert vor mir. Unsere Blicke treffen sich sofort. Weil er mich die ganze Zeit studiert. Chester ist rührend aufmerksam. Das ist er jedes Mal, wenn er mit mir zusammen ist. Der junge Mann will immer alles genau mitkriegen. Schnell wird mir klar, dass dem Kerl meine heftige Panikattacke nicht entgangen ist. Sein attraktives Gesicht verrät es mir. Chester sieht nicht länger zufrieden aus. Stattdessen wirkt der hübsche Sänger gequält. Das tut mir so leid, dass ich ihn auf der Stelle tröstend in den Arm nehmen möchte. Seine sichtbare Resignation zerreißt mir das Herz. Sofort will ich irgendwas tun, damit der Besondere sich wieder besser fühlt.

Aber das geht ja nicht. Weil zweifellos ich es bin, der seine Enttäuschung verursacht. Das ist allein meine Schuld. Immer bin ich es, der alles kaputtmacht. Jedes einzige Mal, wenn wir uns näherkommen. Diese Erkenntnis macht mich stinksauer. Möchte mich für meine eigene Blödheit selbst in den Arsch treten. Nie mehr damit aufhören. Aber ich kann mich nicht bewegen. Mein alarmierter, mächtig aufgeputschter Körper erstarrt in extremer Nervosität. Bin völlig erschlagen von dem Verstehen, wie unfassbar gut Chester Bennington mich inzwischen kennt. Nach nur drei gemeinsamen Tagen weiß er mich zielsicher einzuschätzen.

Noch bevor ich meinen Mund aufmache, schließen sich seine Augen. Sein Kopf wendet sich ablehnend dem Fußboden zu. Die langen Dreadlocks fallen ihm schützend ins Gesicht. Chaz möchte das, was ich ihm sagen will, fraglos nicht hören. Trotzdem muss ich aussprechen, was mir wie loderndes Feuer auf der Seele brennt: „Chester... das tut mir so leid... aber...” Zitternd ringe ich nach Luft. Kann nicht ertragen, dass er mich nicht ansieht. Meine Augen hängen auf seinem Gesicht fest. Erforschen verzweifelt seine Miene hinter den verfilzten Haaren. Er bewegt sich nicht. Steht einfach so da. Seine Augen sind fest zu. „Bitte... Chaz... Ich habe so große Angst, das plötzlich jemand hereinkommt...”, oute ich meine momentan größte Schwäche mit bebender Stimme. Erschaudere in widersinnig starker sexueller Erregung. Die allein durch die unglaubliche Tatsache verursacht wird, dass mein wunderschöner Mann unbekleidet vor mir steht. Mit hoch aufgerichtetem Glied. Meine Augen wandern gierig über seinen perfekten Körper. Seine männliche Attraktivität lockt mich mehr, als ich kompensieren kann. Das starke Gefühl, dass ich mich wegen der reellen Gefahr beeilen muss, steigert meine Gier gewaltig. Kann mich kaum zurückhalten über ihn herzufallen. „Bitte Chaz... verzeih mir...”, krächze ich unglücklich.

Seine Reaktion zwingt mich fast in die Knie. Ich habe ehrlich erwartet, dass er so richtig sauer wird. Hätte ich total verstanden. Bin ja auf mich selbst mega wütend. Wird Chester aber nicht. Ein gutmütiges Lächeln erscheint auf seinem fantastischen Gesicht. Das mich sofort fesselt. Angespannt beobachte ich ihn. Langsam hebt er seinen Kopf. Öffnet zögernd die heiß entflammten Augen. Atmet zweimal tief durch. Sieht mich milde lächelnd an. „Ist schon gut, Mike. Das... ist schon okay”, behauptet er leise. Nickt aufmunternd. Der Kerl ist nicht die Bohne überrascht. Offenbar hat er mit so was schon gerechnet. Eigentlich sollte mich das nicht wundern. Ist ja schließlich nicht das erste Mal, dass Chester miterleben muss, wie ich alles kaputtmache. Ich bin so ein blöder Feigling.

Eine Weile ist es still, während wir uns ratlos anschauen. Ich fühle mich hilflos. Bin unschlüssig. Böse hin und her gerissen zwischen dem Drang ihn anzufassen und der Angst vor Entdeckung. „Wir können uns ja wieder anziehen”, schlägt Chester schließlich seufzend vor. Seine nackten Füße treten unruhig auf der Stelle. Die Hände reiben nervös über die Außenseiten seiner Oberschenkel. Beschämt wendet er sich meinem Schrank zu. Als wäre seine unübersehbare sexuelle Erregung ihm auf einmal unangenehm. Der Engel betrachtet frustriert unsere Kleidung, die unordentlich auf dem Boden liegt. Plötzlich finde ich es unerträglich, dass Chester sich von mir abgewendet hat. Das ist nämlich das krasse Gegenteil von dem, was ich gerade dringend will. Ich bin diesem fremden Typen ausgeliefert. Kann unmöglich auf ihn verzichten. Alles in mir lechzt gellend nach seiner Zuneigung. Sehnt sich wie irre nach seiner Berührung. Ich fürchte, jeden Moment verliere ich meinen Verstand.

„Chester! Nein!” schreie ich panisch los. Mein Körper reagiert instinktiv. Ohne das ich vorher darüber nachdenken kann. Will jetzt auch gar nicht mehr denken. Mit nur einem schnellen Schritt bin ich dicht bei ihm. Schlinge hastig meine Arme um den schlanken Körper, um ihn festzuhalten. Auf keinen Fall darf er weggehen. „Hör mal, Chaz! Ich kann jetzt nicht mittendrin aufhören. Das geht nicht. Das will ich auch gar nicht. Ich halte das nicht aus ohne dich”, erkläre ich irgendwo dicht an seinem linken Ohr. „Ich brauche dich so sehr”, gestehe ich ihm mit hämmerndem Herzen. Mein Gesicht ist tief in seinen wilden Haaren vergraben. Spüre die weichen Dreads auf meiner heißen Haut. Er riecht so gut. Seine unmittelbare Nähe macht mich wahnsinnig an. Entschuldigend küsse ich sein großes, abstehendes Ohr. Schlecke verlangend mit meiner Zunge über die runde Ohrmuschel. Chester schmeckt ein bisschen salzig. Ich habe ihm schlicht die Wahrheit gesagt. Bin dabei so aufgeregt, dass mein ganzer Körper zittert. Panik und Geilheit überschwemmen mich. Gleichzeitig. So habe ich mich noch nie gefühlt. Das ist völlig neu für mich. Die Intensität meiner gegensätzlichen Empfindungen. Das tosende Chaos im Kopf. Chester Bennington schenkt mir bisher unbekannte, überwältigende Erfahrungen. Pausenlos.

Versessen presse ich mich an meinen Menschen. Erspüre süchtig seinen knochigen Leib. Mir ist deutlich bewusst, dass in jeder Sekunde alles vorbei sein kann. Will jeden Millimeter von ihm überstürzt in mich aufnehmen. Jede Sekunde bedingungslos genießen. Sie für immer in mir bewahren. Registriere die erregte Hitze, die seine weiche Haut ausstrahlt. Spüre ihn in meinen Armen erschaudern. Es ist atemberaubend, seinen Körper unmittelbar an meiner nackten Haut zu spüren. Die Härte seiner Knochen. Warme, samtige Haut. Vegetativ zuckende Muskeln. Davon kann ich nicht genug kriegen. Chester kichert verlegen. Er zieht die Schultern hoch, als ich sein Ohr ablecke. Dreht den Kopf und sieht mich an. Sein Gesicht ist nun ganz nahe. Seine Mimik drückt maßloses Erstaunen aus. Diesmal habe ich ihn wirklich überrascht. Und bin sofort mega stolz auf mich.

„Wow, Shinoda... Das ist so... Meinst du das etwa ernst?” fragt er scheu. Herr Bennington ist ehrlich verblüfft. Ich nicke heftig. Packe ihn bei den bunt tätowierten Oberarmen. Stelle ihn energisch vor mich hin. Tief schaue ich in seine verwirrt fragenden Augen. Die ich ohne die beiden Gläser viel besser erkennen kann. Ohne seine Brille erscheint das dunkle Braun noch mal so ausdrucksstark zu sein. Doppelt so tiefgründig. Als ich mich ihm noch weiter nähere, stößt mein Schwanz plötzlich gegen ein Hindernis. Das fühlt sich extrem gut an. Die unerwartete Berührung entlockt mir augenblicklich ein überraschtes Stöhnen. Chester hat meinen Penis gespürt. Sein Mund verzieht sich zu einem schlüpfrigen Grinsen. Sein Blick wendet sich nach unten, um sich die Sache anzusehen. Neugierig folge ich seinem Blick. Unsere harten Schwänze reiben aneinander. Das habe ich gar nicht beabsichtigt. Finde es aber enorm geil. Unwillkürlich zuckt mein Unterleib leicht vor. Meine Eichel bohrt sich dadurch in Chesters weichen Bauch. Der extrem wohltuende Kontakt lässt mich erneut schnaufen. Kann ich nicht verhindern. Ursache und Wirkung.

Während ich verdutzt auf meine Erektion starre fällt mir auf, dass sie deutlich dicker und größer ist als Chesters. Sie ist auch länger. Darum kann ich damit seinen Körper berühren. Während sein Penis noch nicht an mich heranreicht. Mein Blick huscht zurück zu seinen Augen. Ich fürchte, dass er den drastischen Unterschied unserer Anatomie auch bemerkt hat. Chester sieht tatsächlich beschämt aus. Dummer männlicher Stolz. Das ist so süß, dass ich ihn unbedingt küssen muss. Spontan beuge ich mich vor. Küsse ihn auf die lockenden Lippen. Möchte ihn damit trösten. Es ist mir doch völlig egal, wie groß sein Schwanz ist.

Aber ihm offenbar nicht so ganz. Unwillig dreht er den Kopf weg. „Hör mal, Mike, was willst du denn jetzt tun?” erkundigt er sich misstrauisch, „Ich meine, du hast doch so große Angst davor, das jemand reinkommt, nicht wahr?” Seine peinliche Unzulänglichkeit nervt ihn. Das ist offensichtlich. Der Kerl will seine körperliche Schwäche schnellstmöglich übergehen. Vor Rührung muss ich lachen. Obwohl unsere Situation in Wahrheit gar nicht lustig ist. Weil Bennington nun mal recht hat. Prompt fällt mein Blick unwohl auf die Tür, die unverändert aussieht. Sie ist auch jetzt noch geschlossen. Kann aber problemlos geöffnet werden. Von beiden Seiten. Tatsächlich ist meine Panik davor, dass uns jemand bei dieser streng verbotenen, sehr intimen Aktivität erwischt, ungebrochen. Bestimmt würden wir das Gespött der ganzen Psychiatrie werden. Diese Erniedrigung würde ich nicht überleben.

„Ich weiß nicht...”, murmele ich, innerlich total zerrissen. Entschuldigend streicheln meine Hände über Chesters farbig gestochene Oberarme. Unsere Lage scheint aussichtslos. Ich habe keinen blassen Schimmer, was ich tun soll. Mein Körper drängt mich heftigst dazu, mich vollständig diesem fantastischen Mann zu widmen. Die anhaltende Gefahr einfach zu ignorieren. Aber ich glaube, das schaffe ich nicht. Der Mist würde mir die ganze Zeit im dummen Schädel rumspuken. Obwohl es auf eine perverse Art meine Geilheit zu steigern scheint, bedeutet es doch gleichzeitig unwillkommenen Stress. Bin nicht sicher, wie lange ich das auf Dauer aushalten könnte, ohne verrückt zu werden.

Mein mitfühlender Mitpatient versteht mein Problem. Der Ungehorsame hat offenbar keine Lust, sich damit abzufinden. „Ich will nicht, dass du große Angst hast, Mikey. Du sollst keine Angst haben, wenn du bei mir bist”, erklärt er so liebenswürdig, dass ich unwillkürlich in einer Gänsehaut erschaudere. Seine wundervolle Stimme vibriert wohltuend in meinem Leib. Kann ihm nicht oft genug zuhören. Der wunderschöne Engel mit dem wallenden Haar lächelt mich an. Der Typ wirkt entschlossen. Seine braunen Augen glitzern hinterhältig. Als wäre ihm eine riskante Idee gekommen. Mein ohnehin hämmernder Herzschlag beschleunigt sich alarmiert. „Was hast du vor, Chaz?” erkundige ich mich argwöhnisch. In einer schnellen Bewegung küsst er mich auf den Mund. Zieht sich sofort wieder zurück. Was ich unendlich bedauere. Grinst mich triumphierend an. „Lass mich nur machen, Mike Shinoda. Ich sorge dafür, dass du nicht länger Angst haben musst”, verspricht er. Kichert offen amüsiert.

Während ich noch irritiert überlege, ob er sich womöglich über mich lustig macht, dreht der Sänger sich schon um. Entschlossen geht er zum einzigen Sessel, den es in meinem Zimmer gibt. Schon hat er das Sitzmöbel an der Lehne gepackt. Schiebt es mühelos vor sich her in Richtung Tür. Noch nie habe ich in meinem Raum etwas verändert. Ich habe diesen Sessel noch nie bewegt. Daher weiß ich nicht wie schwierig das ist. Aber es scheint nicht besonders schwer zu sein, ihn bis zur Tür zu schieben. Die hölzernen Beine des Sessels schaben dabei allerdings hörbar über das graue Linoleum. Sofort mache ich mir Sorgen über mögliche Kratzspuren. Verkneife mir aber eine Bemerkung. Weil ich nicht spießig wirken will. Schließlich gehört der Fußboden nicht mir. Es kann mir egal sein, ob Chester ihn vielleicht dauerhaft verkratzt. Ich bin sicher, dass der Tätowierte nicht einen Gedanken daran verschwendet. Chester dreht den Sessel herum. Platziert ihn dicht vor der Tür. Erstaunt stelle ich fest, dass die Lehne des Sessels ungefähr unter die Türklinke passt. Ich frage mich, ob der gewitzte Kerl das schon vorher wusste. Ob er Abstände und Höhen vielleicht schon von Weitem perfekt abschätzen kann. Oder ob er das in seinem eigenen Zimmer schon gemacht hat. Weil er womöglich schon mal unerlaubten Besuch hatte. Oder ob er das jetzt einfach nur auf gut Glück ausprobiert hat. Würde mich echt interessieren.

Aber ich frage ihn nicht danach. Weil das irgendwie blöd wäre. Stattdessen beobachte ich ihn nur. Meine Augen saugen sich an ihm fest. Genieße absurd stark seinen erbaulichen Anblick. Ich bin so geil auf den einfallsreichen Typen, dass ich impulsiv meinen Schwanz in die Hand nehme, ein bisschen wichse und das harte Organ unruhig gegen meinen Bauch reibe. Fuck, das fühlt sich gut an! Chester drückt probeweise die Türklinke herunter. Die Lehne des Sessels ist wahrhaftig hoch genug. Sie blockiert das vollständige Herunterdrücken der Klinke. Das ist mir noch nie aufgefallen. Wäre mir nie eingefallen. Hätte ich schlicht nicht gedacht. Chesters Gerissenheit beeindruckt mich. Der Clevere dreht sich lächelnd zu mir um. Der Kerl ist absolut siegesgewiss. „Siehst du, Mikey”, strahlt er, sichtbar zufrieden mit sich, „Nun musst du keine Angst mehr haben. Jetzt kann keiner mehr unerlaubt hier reinkommen.” Abgelenkt von meinen aufwallenden Gefühlen nicke ich ihm zu. Ich fürchte, das ist nicht die ganze Wahrheit. Mit genügend Gewalt und Hartnäckigkeit könnte es wohl immer noch jemand vom Flur aus schaffen, dieses viel zu leichte Hindernis aus dem Weg zu schieben.

Aber ich habe jetzt keine Lust mehr daran zu denken. Will mir nicht noch länger irgendwelche zukünftigen Horrorszenarien vorstellen. Plötzlich will ich nichts als den Moment leben. Meine gestiegene sexuelle Erregung schaltet autonom meinen Verstand aus. Lass das doch jetzt, ruft es ungeduldig in meinem aufgewühlten Kopf. Komm lieber zu mir. Bitte komm sofort zurück zu mir, Chazy Chaz. Denn Mister Bennington ist so dermaßen faszinierend, dass es mir die Sprache verschlägt. Der unbekannte Sänger aus Phoenix, Arizona sorgt dafür, dass sich meine Sexualität zielsicher in meiner Körpermitte fokussiert. Das Verlangen wird stärker mit der Zeit. Von allein drängender. Ich kann mich an ihm nicht sattsehen. Dieser schlanke, wohlgestaltete Körper. Mit den langen Armen und Beinen. Die verblüffend helle, reine Haut. Ohne den geringsten Makel. Nur einmalig verschönert durch die professionellen Tätowierungen. Die wenigen dunklen Haare auf seiner Brust. Genau zwischen seinen kleinen Nippeln. Seine gerade Taille. Die harten Hüftknochen. Sein dunkles, krauses Schamhaar. Das sich in schmaler Spur bis zum Bauchnabel hochzieht. Sein formvollendeter Schwanz. Der noch immer nach oben hin von seinem Unterleib absteht. Chester Bennington ist unvermindert sexuell erregt. Genau wie ich. Mann, wir sind wahrhaftig mächtig scharf aufeinander!

Der Typ bemerkt meinen wollüstigen Blick. Lächelt mich frivol an. Fährt sich aufreizend mit der Zunge über die schmalen Lippen. Lässt seine Augen genüsslich über meinen nackten Körper gleiten. Obwohl es mir peinlich ist, kann ich nicht damit aufhören mich selbst anzufassen. Es ist einfach zu schön. Mein Herz hämmert los. Konfus schnappe ich nach Luft, als mir klar wird, dass er mich bei der Selbstbefriedigung beobachtet. Im nächsten Moment richtet Bennington seine Aufmerksamkeit verstärkt auf meinen Unterleib. Verblüfft kneift er die Augen zusammen. Erst jetzt fällt mir ein, dass er mich ohne seine Brille auf diese Entfernung gar nicht deutlich erkennen kann. Er blinzelt zwar zweifelnd, interpretiert aber trotzdem richtig, was ich ihm gerade vorführe. Ich habe meinen Penis in der Hand. Drücke das steife Organ noch immer gegen meinen Bauch. Wichse ein wenig an ihm herum. Die Berührung fährt mir als geile Schauer durch den Leib. Unweigerlich atme ich schwerer. Erstaunt stelle ich fest, dass Chesters unverblümtes Zusehen meinen Genuss sogar steigert. Das hätte ich nie erwartet. Obwohl es mir so extrem peinlich ist, dass ich unter Garantie einen hochroten Kopf bekomme, fahre ich mit der behutsamen Masturbation fort. Kann irgendwie nicht anders. Kann das jetzt nicht stoppen. Behalte dabei hingerissen meinen zauberhaften Mann im Auge. Der offensichtlich nicht glauben kann, was er von mir zu sehen bekommt. Kann es ja selbst kaum glauben.

„Boah Mike ey... Du killst mich...”, keucht Chester überrascht. „Du killst mich, Mann!” wiederholt er gleich nochmal. Ringt zitternd nach Luft. Seine linke Hand wandert wie ferngelenkt zu seinem eigenen Schwanz. Ein wenig stürmisch ergreift er seine Erektion. Fängt an zu wichsen. Er ist dabei weitaus weniger zurückhaltend als ich. Augenblicklich werde ich davon gebannt, wie Chester sich selbst aufgeilt. Wie unmittelbar er auf seine eigene Stimulation reagiert. Meine Erregung steigert sich förmlich explosionsartig. Es drängt mich, die Sache schnell voranzutreiben. Wir könnten uns jetzt einfach beide einen runterholen. Und das war's. Es törnt mich tierisch an, ihm dabei zuzusehen. Ich hätte kein Problem damit, in höchstens zwei Minuten zu kommen. Und Chester würde, wenn er auf diese Art weitermacht, wohl schon vor mir fertig werden. Aber ich will nicht, dass das hier so schnell endet. Dazu ist dieses geile Spiel viel zu aufregend. Ich möchte es noch sehr viel länger auskosten. Will ausführlich mit Bennington spielen. Nie hätte ich vermutet, dass mich meine dominante Rolle dermaßen befriedigt. Oder dass der Arizona-Boy bei so etwas überhaupt mitmachen würde. Plötzlich bin ich so scharf darauf, meinen Mann herumzukommandieren, dass ich darüber all meine Bedenken und Zweifel vergesse.

„Hör auf damit, Boy!” fahre ich den masturbierenden Mitpatienten böse an. Noch bevor mein Gehirn sich auch nur vage einschalten kann. Erschrocken zuckt Chester zusammen. Sofort fällt seine Hand an ihm herunter. Als hätte er sich plötzlich an seinem Schwanz verbrannt. Verunsichert blinzelt er mich an. Sein Atem geht schwer. Sein schmächtiger Körper bebt. Die Gewissheit, dass ich die uneingeschränkte Macht habe, ihm etwas befehlen zu können und er mir wahrhaftig gehorcht, ist fast mehr als ich verpacken kann. Dieses Gefühl ist unbeschreiblich und unglaublich stark. Es erfüllt mich vollends und ist für mich so dermaßen nagelneu, dass ich noch nicht mal eine Bezeichnung dafür kenne. „Komm her, Chester-Boy”, weise ich ihn schroff an. Zeige auffordernd auf den Platz direkt vor mir. Folgsam setzt der junge Mann sich in Bewegung. Langsam kommt er auf mich zu. Einen Schritt nach dem anderen. Lächelt erwartungsvoll. Das ist so aufregend, dass ich erneut erschaudere. Ich kann nicht fassen, wie unterwürfig der Kerl ist. Wie vertrauensvoll zu mir. Ich kenne ihn kaum. Aber im Moment gehört er ganz mir. Bennington liefert sich mir aus. Vollständig. Keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll. Im Grunde kann ich kaum damit klarkommen. Alle meine Handlungen sind schon längst rein instinktiv geworden.

„Er war unartig”, schnauze ich den Sänger an, kaum dass er vor mir stehenbleibt, „Ich habe ihm nicht erlaubt sich anzufassen.” Chester senkt schuldbewusst den Blick. „Tut mir leid, Daddy”, flüstert er ergeben. „Er muss streng bestraft werden”, kündige ich großspurig an. Mein Herz hämmert los. Weil ich eigentlich selbst keine Ahnung habe, was ich damit konkret meine. Chester hebt den Blick. Verunsichert schaut er mich an. Sein Mund steht ein Stückchen offen. Weil er so schwer atmet. Seine Nasenflügel blähen sich. Unruhig tritt er auf der Stelle. Seine glühenden Augen spiegeln eine Mischung aus Angst und Erregung. Als ich die Hand hebe, fangen seine Augen an zu zucken. In Erwartung neuer Schläge. Aber ich nähere mich ihm nur. Bis mein Glied ein weiteres Mal gegen seinen Unterleib stößt. Mit der Hand halte ich es fest. Bohre meine Eichel in sein krauses Schamhaar. Die wohltuende Reibung an meiner empfindlichsten Stelle entlockt mir unwillkürlich ein Stöhnen. „Er ist so böse...”, keuche ich hingerissen, „Er muss bestraft werden...” Wiederholt stoße ich ihn in den Leib. Bin erstaunt, weil er nicht zurückweicht. Im Gegenteil. Chester hält still. Beobachtet mich nur. Der weiche Widerstand und das Gefühl seiner kitzelnden Haare stimulieren mich so direkt, dass ich es nicht lange aushalten kann. Zitternd ziehe ich mich zurück. Bevor ich noch verfrüht abspritze. Sehe ihn an. Ringe überwältigt nach Luft.

„Er ist ein schöner Chester-Boy...”, erkläre ich ihm, erfüllt mit grenzenloser Zuneigung, „Er ist so verdammt...” „Du auch, Daddy”, unterbricht Chester mich atemlos, „Du bist auch wunderschön.” Ungeduldig kommt er näher. Packt mich energisch im Nacken. Küsst mich überaus stürmisch. Der heißblütige Typ überfällt mich regelrecht. Unerlaubt übernimmt er die Führung. Aber ich habe gar nichts dagegen. Unsere Münder saugen sich wollüstig einander fest. Die Zungen bewegen sich hektisch in den warmen, feuchten Höhlen. In einem schnellen Rhythmus tanzen sie umeinander. Während wir gleichzeitig unsere nackten, gierigen Körper aneinander schmiegen. Automatisch schlinge ich meine Arme um ihn. Streichele seinen Rücken. Ausführlich die ganze Wirbelsäule entlang. Nach unten. Bis zu seinem knackigen Hintern. Chester hält meinen Nacken gepackt. Liebkost ihn auf eine Art, die mir sämtliche Härchen aufstellt. Seine andere Hand ist an meinem Arsch. Die Finger fest in die rechte Backe gegraben. Energisch hält er mich in dieser Position fest. Damit er sich ziemlich fest an mir reiben kann. Ich spüre seine Erektion hart an meinem Unterleib. Unweigerlich wird auch mein Schwanz zwischen uns eingeklemmt. Unsere Körperbewegungen stimulieren ihn auf eine so direkte Art, dass es mich ehrlich umhaut. Laut stöhne ich in unseren Kuss hinein. Erschaudere in nie endendem Genuss. „Er ist so böse...”, schnaube ich überwältigt, „...so gefährlich...” Chester lacht verblüfft auf. Wobei sein Lachen eher als atemloses Keuchen aus ihm herausplatzt. „Ja, ich bin total gefährlich”, kichert er amüsiert. Fassungslos schüttelt der Sänger den Kopf. Während er mich vergnügt anblinzelt.

Meine Augen verengen sich augenblicklich. In einer Mischung aus spontaner Wut und gigantischer Leidenschaft schnellt meine Hand hinauf an seinen Hinterkopf. Meine Finger bohren sich so brutal in sein Haar, dass er vor Schmerz aufstöhnt. „Sei still!” fauche ich böse, „Halt die Klappe, Chester-Boy! Lach mich nicht aus!” Strafend fixiere ich seine entflammten Augen. Die wahrhaftig ängstlich flattern. Untertänig starrt er mich an. Der Kerl ist völlig hingerissen. Es ist verwirrend, wie sehr es den Mann zu erregen scheint, wenn ich ihm wehtue. Ich frage mich, ob das noch normal ist. Oder ob Bennington vielleicht irgendwelche heimlichen, ausgefallenen Vorlieben hat. Von denen ich nichts ahne. Zweifellos habe ich auch von meiner eigenen, bisher gut verborgenen Vorliebe nichts geahnt, jemandes dominanter Daddy zu sein. Hätte nie gedacht, dass mir diese arrogante Rolle so große Wonne bereitet.

Als ich heftig an Chesters Dreadlocks ziehe, stöhnt er in einer Mischung aus Geilheit und Schmerz. Das fasziniert mich so sehr, dass ich es gleich mehrmals wiederhole. Sein schlanker Körper windet sich in meinen Armen. Erschaudert zitternd. Während seine Augen sich verdrehen. „Wow... Mikey...”, seufzt Chester überwältigt, „Das ist so... geil...” Ich bin gefesselt davon, wie sehr dieser Typ sich mir ausliefert. Wie wenig Widerstand in ihm ist. Obwohl ich ihm bewusst wehtue. Die Umgebung meines Zimmers verschwimmt zunehmend in meiner Wahrnehmung. Fokussiere mich unwillkürlich auf den Menschen in meinem Arm. Unmittelbar an meinem Körper. Unsere nackte, sensible und höchst empfängliche Haut. Die sich in brennender Hitze gierig aneinander reibt.

„Du sollst still sein”, blaffe ich ihn verärgert an. Grabe meine Finger brutal in seine Locks. Reiße seinen Kopf an den Haaren gepackt ruckartig nach hinten. Sodass sein Körper sich unwillkürlich rückwärts wölbt. Meine andere Hand tastet sich an ihm hinab. Grob streiche ich mit der flachen Hand über seine Brust. Über die Rippen. Den Bauch und die Taille. Geradewegs zu seinem unwillkürlich vorgereckten Unterleib. „Tut mir leid, Daddy”, ächzt Chester leise. Mein Mund streichelt sanft über seine Wange. Liebkose ihn mit meiner Zungenspitze. Spüre seine kratzigen Bartstoppeln an meinen Lippen. „Soll ich ihn bestrafen?” frage ich mit verstärkt hämmerndem Herzschlag, „Will er das?” Angespannt beobachte ich sein Gesicht. Das mich restlos verzaubert. Auch in sexueller Erregung ist der zarte Engel wunderschön. Vielleicht sogar noch schöner. Seine Augen schließen sich ergeben. „Tu mir weh, Daddy”, flüstert er zaghaft, „Tu mir richtig weh.”

Obwohl ich nicht glauben kann, was ich gehört habe, muss er mir das nicht zweimal erlauben. Unverzüglich schreite ich zur Tat. Meine Hand zerrt heftig an seinem Haar. Zwinge ihn damit gewaltsam in eine seitliche Position von mir. Während die Finger der anderen Hand sich herbe in seinen Schritt graben. Er stöhnt gequält auf. Wehrt sich jedoch nicht. Seine Wirbelsäule biegt sich beim Zerren so weit nach hinten, dass er das Gleichgewicht verlieren würde, wenn ich ihn nicht mit meiner Hüfte stützen würde. Halte ihn fest an den langen Dreadlocks gepackt. Wölbe meine Hand um sein Paket. Sodass ich bequem seinen nur wenig behaarten Sack kneten kann. Erfühle zärtlich seine beiden Hoden. Die Eier passen genau in meine Hand. Spiele gefühlvoll mit ihnen herum. Was Chester ein zustimmendes Keuchen entlockt. Seine Augen sind fest geschlossen. Sein Gesicht verzieht sich genussvoll. Verwöhne ihn eine Weile, bis er anfängt zu zittern.

Spontan drücke ich ziemlich feste zu. Augenblicklich stöhnt Chester gepeinigt auf. Im Reflex krümmt er sich schützend nach vorne. Wobei ich ihm fast die Haare ausreiße. Ich erlaube ihm diese ungesteuerte Bewegung nicht. Zwinge ihn gewaltsam dazu, ruhig zu halten. Seine rechte Hand krallt sich instinktiv um mein Handgelenk. Weil er mich eigentlich von seinen empfindlichen Weichteilen wegschieben will. Aber er tut es nicht. Hält sich nur an mir fest. Gewollt füge ich ihm an seinem Kopf und seinen Hoden Schmerzen zu. Gleichzeitig. Gebannt sehe ich mir an, wie mein Chester-Boy darauf reagiert. Der Sänger aus Phoenix stöhnt ein weiteres Mal zwischen Schmerz und Verzückung. Der schlanke Körper windet sich geplagt an mir. Chaz reißt die Augen auf. Verdreht die Pupillen und ächzt überwältigt. Es ist diese unglaubliche Mixtur aus spürbarer Qual und unendlicher Lust, die ich an ihm sehe, die mich förmlich anspringt, und die mich restlos paralysiert. Ich kann nicht fassen wie erregend es sich anfühlt, so eine Macht über den fremden Kerl zu haben. Ihm das hier antun und zeitgleich schenken zu können.

Wohlige Schauder aus Begierde durchfluten mich. Alles Blut sackt jäh in mir hinab. Schnurstracks in die Sexualorgane hinein. Sodass mein Kopf sich langsam völlig leer anfühlt. Und mein Schwanz immer praller zu werden scheint. Bis ich das Gefühl bekomme, er könnte jeden Moment platzen. Das ist so geil, dass ich es kaum aushalten kann. Meinem Mann scheint es ähnlich zu ergehen. Beide stöhnen wir ziemlich laut. Hemmungslos. Winden uns immerzu. Erzittern und reiben uns begehrlich aneinander. Unsere nackten Füße treten ruhelos auf dem kalten Linoleom herum. Unser Atem geht laut und hastig. Wir ringen gemeinsam nach Luft. Völlig hingerissen gehe ich in meiner spannenden Rolle auf.

„Sei still!” fauche ich Chester atemlos an, „Du sollst still sein!” „Tut mir leid, Daddy”, wiederholt er mühevoll, als er nach seinem heftigen Gefühlsrausch wieder sprechen kann. Seine schönen Augen sind jetzt weit geöffnet. Er hat sie starr auf mich gerichtet. Eindeutig fleht der Sänger mich an. Nur bin ich mir nicht ganz sicher, was dieser wortlose Ausdruck bedeutet. Ich weiß nicht genau, ob Chaz dringend will, dass ich sofort damit aufhöre. Oder ob ich auf gar keinen Fall aufhören soll. Sein Blick hat sich durch die steigende Intensität seiner Emotionen zunehmend getrübt. Das dunkle Braun spiegelt eine Mischung aus enormer Geilheit, Panik und grenzenloser Fassungslosigkeit. In seinen Augenwinkeln glitzern nasse Tränen. Seine schönen Wimpern glitzern feucht. Ich tue ihm tatsächlich weh. Erst jetzt wird mir das richtig bewusst. Diese Tatsache berauscht mich. Obwohl ich es tief drinnen auch ein bisschen bedauere. Denn eigentlich liebe ich den Besonderen ja viel zu sehr, um ihm ernsthaft wehtun zu wollen.

Während ich sanft seine sensiblen Eier knete, betrachte ich ihn eingehend. So viel Leben habe ich noch nie gespürt. Es fasziniert mich, wie lebendig das Wesen gerade ist, das sich an meinen Körper reibt. Chester ist enorm aufgewühlt. Inzwischen fühlt er sich heiß und feucht an. Seine blasse Haut glüht förmlich. Auf seiner hohen Stirn haben sich kleine Schweißperlen gebildet. Seine Augen und sein Körper zucken nervös. In extrem angespannter Erwartung neuerlichen Schmerzes. Bennington steht gewaltig unter Stress. Noch immer sind seine Finger vorsichtshalber um mein Handgelenk gelegt. Um es im Notfall von seinem Körper wegzureißen. „Lass mich los, Chester-Boy”, fordere ich ihn streng auf, „Du darfst mich nicht anfassen.” Seine Finger lösen sich zögernd von mir. Krallen sich stattdessen in die eigenen Oberschenkel. Sein anderer Arm ist seitwärts ausgestreckt. Chester versucht damit sein Gleichgewicht zu wahren. Weil ich ihn noch immer so brutal an den Dreadlocks ziehe, dass er hintenüber zu fallen droht. Würde ich ihm nicht mit meinem Körper Halt geben, wäre er längst hingefallen.

„Gefällt dir das, Boy?” flüstere ich ihm zu, plötzlich von vagen Zweifeln geplagt. Chester schließt die Augen. Atmet ein paarmal tief durch. Sein Brustkorb hebt und senkt sich verkrampft. Die Rippen spannen die Haut. Während er abermals erzittert. Es dauert eine Weile, bis er mir antworten kann. „Ich... weiß nicht genau...”, wispert er ratlos, „Das... ist ganz schön heftig, Mike...” Damit schlägt er mich unerwartet vor den Kopf. Verunsichert nehme ich meine Finger aus seinem Haar. Lasse peinlich berührt seinen Sack los. Sodass er sich wieder aufrichten kann. Was er auch sofort tut.

Aber Chester schüttelt dabei energisch den Kopf. „Nein, hör nicht auf, Shinoda!” fleht er verzweifelt, „Lass uns das durchziehen, bitte! Das ist total geil! Ich... kann jetzt nicht mehr zurück!” Den letzten Satz schreit er fast. Wilde Not in der wundervollen Stimme. In seinen Augen flackert eine irre Gier auf. Beschwörend taxiert er mich. Wischt mit den Fingern achtlos die Tränen weg. Sein Körper tanzt nervös auf der Stelle. Beide Hände streichen hektisch über seine Oberschenkel. Mir wird klar, wie stark unser unbeholfenes Spiel ihn inzwischen aufgegeilt hat. Und wenn ich ehrlich bin, ist es bei mir genauso. Ich kann jetzt auch nicht mehr plötzlich aufhören. Das würde ich höchstwahrscheinlich nicht überleben. Sehne mich enorm nach dem erlösenden Orgasmus. „Chester...”, keuche ich hilflos, „Ich kann auch nicht mehr zurück. Ich weiß gar nicht, was das ist. Keine Ahnung, was mit mir passiert. Das überfällt mich irgendwie total...” Untergeben schaue ich ihn an. Als könnte er mir diese seltsame Sache hier vielleicht erklären. Ergötze mich an dem gerührten Lächeln, was in seinem aufgewühlten, verschwitzten Gesicht auftaucht. „Ach Mikey...”, seufzt Chaz liebevoll, „Du musst immer alles verstehen, was?”

Der Mann ist ungeduldig. Sein Blick richtet sich zielstrebig auf meinen Penis. Der sich mittlerweile so prall anfühlt, dass es fast wehtut. Chester lächelt hinterhältig. Stößt ein gieriges Zischeln aus. Irritiert sehe ich an mir hinab. Mit einem schnellen Schritt ist der Mitpatient dicht bei mir. Seine Bewegung kommt so unerwartet, dass ich verschreckt zusammenzucke. Im nächsten Moment hat der Typ schon meine Erektion in der Hand. Überraschend gefühlvoll fängt er sofort damit an auf und ab zu fahren. „Du fühlst dich gut an, Shinoda”, seufzt er begeistert, „Du bist so hart. Das finde ich total geil.” Seine Wange schmiegt sich liebebedürftig an meine. Sein ganzer schlanker Körper sucht flehend nach Kontakt. Sein Arm legt sich um meinen Rücken. Drückt mich begierig an sich. Ich gehe fast in die Knie. So gut fühlt es sich an, von Chester Bennington gewichst zu werden. So stark erregt es mich. Dass ich mich nur noch hilflos an ihm festklammern kann. Meine Kehle stößt sonderbar gutturale Laute aus. Die ich gar nicht von mir kenne. „So ist gut, Mikey”, flüstert Chester anerkennend, „Weiter so. Komm für mich, Shi-no-da.” Sein Gesicht ist irgendwo an meinem Ohr. Er leckt sich über meine bärtige Wange. Erreicht meinen Mund schneller, als ich reagieren kann. Schon presst er seine Lippen gierig auf meine. Zwingt seine Zunge tief in meine Mundhöhle hinein. Seine intime Handbewegung an meinem Glied wird schneller. Der Boy packt richtig feste zu. Meine Beine geben nach. Das Gefühl droht zu detonieren. Panik kommt in mir auf.

Hastig drehe ich meinen Kopf von ihm weg. „Nein, nein! Warte doch!” rufe ich entsetzt. Ziehe mich energisch zurück. Dränge irgendwie seitwärts von ihm weg. Chester faucht ungeduldig. Weil er zum Verrecken nicht aufhören will. „Lass mich los!” schreie ich ihn drohend an. Er gehorcht augenblicklich. Obwohl seine Augen mich dabei töten. Mein Mitpatient lässt mich nur widerwillig los. Ich stolpere ein paar Schritte von ihm weg. Starre ihn verwirrt an. Der Sänger aus Phoenix stöhnt gestresst. Im nächsten Moment sackt sein Körper einfach ab. Als würden seine Beine ihn abrupt nicht mehr tragen, fällt er runter auf den grauen Fußboden. Zwei Sekunden später hockt er dort. Den Rücken gekrümmt. Seine Füße stehen nebeneinander auf der Erde. Er hat nur die Knie geknickt. Sitzt auf seinen Unterschenkeln. Der Kerl beugt sich zitternd vor. Umfasst mit beiden Armen schützend seine Knie. Nervös schaukelt er auf Zehen und Fersen vor und zurück. Während er mich wachsam im Auge behält.

Ich brauche einige Zeit. Um mich von seinem wollüstigen Überfall zu erholen. Um meine jäh explodierte Geilheit zu beherrschen. Bin nicht sicher, wie ich jetzt reagieren soll. Habe keine Ahnung, was überhaupt passiert ist. Mein Herz hämmert wie verrückt. Ringe aufgewühlt nach Luft. Beschämt lege ich meine Hände über meine Erektion. Weil ich plötzlich nicht sicher bin, ob das hier alles überhaupt seine Richtigkeit hat. Eine Weile ist es ganz ruhig. Angespannte Stille. Chester belauert mich von unten her. Ich stehe neben dem Tisch, vielleicht zwei Meter von ihm entfernt. Betrachte ihn ratlos. Mein erregter Mann ist unverändert wunderschön. Aber in seinen braunen Augen steckt ein gefährliches Funkeln. Das ich noch nie an ihm gesehen habe. Das beunruhigt mich. Seine langen Haare kleben verschwitzt auf seiner Stirn. Krampfhaft atmet er ein und aus. Schaukelt unermüdlich vor und zurück.

„Chaz, hör mal... was sollte das denn?” gebe ich mir schließlich einen Ruck. Meine Stimme ist sanft. Ich will ihm keine Vorwürfe machen. Auf keinen Fall soll er sich kritisiert fühlen. „Tut mir leid, Mike”, antwortet er still, „Ich dachte es gefällt dir, wenn du endlich kommen kannst.” „Was?” entfährt es mir entgeistert, „Du willst mich mit Gewalt kommen lassen?” „Ich will, dass es endlich voran geht”, entgegnet Chester ein bisschen zu heftig, „Ich kann nicht länger warten, Mister Shinoda.” Entschuldigend zieht er die Schultern hoch. Verdreht geringschätzig die Augen. Wackelt ungeduldig mit dem Kopf. Sein zu einer runden Kugel gekrümmter Körper steht unverkennbar unter Hochspannung. Bennington schaukelt auf seinen Füßen ruhelos hin und her und hin und her und hin und her. Weil er die mittlerweile mächtig aufgestaute Energie in sich irgendwie abbauen muss. Das ist so süß, dass mir vor Rührung ganz heiß wird. Erfüllt mit gigantischer Zuneigung schaue ich ihn an.

„Es tut mir leid, Mikey”, seufzt er nochmal, „Ich hatte mich nicht gut im Griff. Sorry.” Schuldbewusst weicht er meinem Blick aus. Fixiert stattdessen stumpf den Fußboden direkt vor seinen nackten Füßen. Seine Arme sind fest um seine Knie geschlungen. Als müsste er sich an sich selbst festhalten. Pausenlos bewegt er seinen schmächtigen Leib vor und zurück, vor und zurück, vor und zurück. Als wollte er nie wieder damit aufhören. Ich bin dermaßen ergriffen und voll mit Liebe für diesen Menschen, dass ich wohlig erschaudere. Er hat ja recht, denke ich friedlich, wir sollten mal langsam zum Ende kommen. Meine eigene Geilheit stimmt frenetisch jubelnd zu. Sodass ich unwillkürlich mal kurz meinen Penis in die Hand nehme. Und ihn beruhigend streichele. Verlegen behalte ich Chester im Auge. Der Brünette bemerkt meine verstohlene Bewegung. Sieht vom Fußboden auf. Sein Gesicht verzieht sich obszön. „Was willst du denn jetzt machen? Willst du selber wichsen?” erkundigt er sich ganz direkt ohne Scheu, „Soll ich mir auch einen runterholen, Mikey?” Chaz lässt keinen Zweifel daran, wie wenig ihm diese Aussicht gefällt. Das Blut schießt mir ins Gesicht. Meine Ohren fangen an zu brennen. Hastig lasse ich meinen Schwanz los. Schüttele gutmütig den Kopf. „Nein, Chaz, ist schon gut”, beruhige ich ihn zärtlich, „Mir fällt schon was ein.” Mit verblüfft aufgerissenen Augen fixiert Chester mich. Vage misstrauisch.

Denke fieberhaft nach. Ich möchte wirklich nicht gerne im Stehen ejakulieren. Das ist total nervig anstrengend. Außerdem zweifel ich stark daran, dass ich es schaffe aufrecht stehenzubleiben, wenn ich so gewaltig abspritze, wie es das letzte Mal in Chesters Beisein passiert ist. Als der Besondere mir in der Bibliothek einen geblasen hat. Die Erinnerung an meinen sphärischen Orgasmus macht mich total zappelig. Mein Körper drängt heftigst nach groben Stimulationen. Auf der Suche nach einer bequemeren Lösung für zwei aufgegeilte Kerle wandern meine Augen quer durch mein Zimmer. Geradewegs zu meinem Bett hin. Mann, es ist so was von verboten sich tagsüber ins Bett zu legen. Aber scheiß drauf, denke ich aufmüpfig, es ist ja sowieso schon alles streng verboten, was ich hier gerade mit meinem Mitpatienten mache. Da kommt es auf einen weiteren Verstoß gegen die Hausordnung nun wirklich nicht an. Unruhig streift mein Blick die noch immer geschlossene Tür. Der Sessel blockiert die Klinke. Aber wir sind beide unwillkürlich ganz schön laut geworden. Voraussichtlich werden wir sogar noch lauter. Es ist nicht nur möglich, sondern leider wahrscheinlich, dass jemand, der gerade zufällig draußen auf dem Flur an meiner Tür vorbeigeht, von unseren eindeutig sexuellen Geräuschen angelockt wird. Jemand vom Pflegepersonal würde sich daraufhin sofort gewaltsam Zutritt verschaffen. Ich muss mich beeilen, drängt es mahnend in meinem alarmierten Gehirn, aber ich kann diese geile Sache jetzt unmöglich vorzeitig abbrechen.

„Komm mit, wir legen uns aufs Bett”, lade ich meinen sichtbar nervös wartenden Mann auf dem Fußboden aufgeregt ein. Verblüfft reißt der Talentierte die Augen auf. Hebt den mega attraktiven Kopf. Stoppt abrupt seine manische Hampelei. Sein Blick huscht impulsiv zu meinem Bett hin. „Okay, Chester-Boy?” frage ich ihn atemlos. Mein Herz überschlägt sich. Lächelnd erwarte ich seine Reaktion. Der tätowierte Sänger aus Phoenix dreht sein junges, gutaussehendes Gesicht zurück zu mir. Seine düstere Miene erhellt sich erfreut. In einer beeindruckend kräftigen Bewegung kommt der Typ mit einem Satz aus der tief hockenden Position hoch. Einen Augenblick später steht er aufrecht da. Begehrlich streckt er beide Hände nach mir aus. „Wow, Daddy, verdammt! Endlich hast du es begriffen! Darauf warte ich doch schon seit Stunden, Mann!” knurrt er ein bisschen zu selbstgefällig. In seinen Augen liegt ein Hauch von geringschätzigem Spott.

Obwohl er mich damit kränkt beschließe ich spontan, über seine Arroganz hinwegzusehen. Der Besondere steht gerade ziemlich unter Strom. Bestimmt herrscht in seinem Gehirn das gleiche Chaos wie bei mir. Da darf ich ihm nicht übelnehmen, was er so von sich gibt. Und irgendwie hat er ja wohl auch recht. Wir hätten uns von Anfang an in mein Bett legen können. Wenn ich eher daran gedacht hätte. Zweifellos wäre das bequemer gewesen. Aber dieses erotische Spiel überwältigt mich. Meine Rolle dabei macht mich tierisch an. Ich weiß nicht, wie man so etwas spielt. Meine rein intuitiven Handlungen überraschen mich selbst. Sie sind sehr viel erregender, als ich kapieren kann. Außerdem ist das stehende Aneinanderreiben mit Chester auch ganz schön geil.

Unschlüssig stehe ich da. Während mein Herz wahre Sprinte hinlegt. Wahrscheinlich wird es bald aus meiner Brust springen. Sehe meinen Mann an. Wie er vor dem Schrank in meinem Zimmer steht und verlangend die Hände nach mir ausstreckt. Mit schlechtem Gewissen bemerke ich den blauen Fleck, der unübersehbar auf seinem Oberschenkel prangt. Diese Verletzung wurde von meinem Faustschlag verursacht. Auch auf seinem Hinterteil hat sich ein Hämatom gebildet. Weil ich ihn zu feste geschlagen habe. Unruhig tritt Chester mit nackten Füßen auf der Stelle. Das Kind hampelt ungeduldig herum. Sieht mich mega auffordernd an. Der Typ kann es nicht erwarten, endlich den Höhepunkt in Angriff zu nehmen. Unter Garantie wird er mich komplett niederschmettern. Wenn er auf seine spezielle Weise dafür sorgt, dass ich abspritze. Chester kann so was. Kinderleicht. Ich weiß das. Aus Erfahrung ist mir das bekannt. Zweifelsfrei wird der fremde Kerl mich total zerlegen. Genau wie gestern in der Bibliothek. Wo ich ihn brutal mit der Faust geschlagen habe. Und später die Harfen singen hörte. Weil er mir zärtlich einen geblasen hat. Anstatt wütend auf mich zu sein. Bennington kann unmöglich von dieser Welt sein. Ich bin einem Engel ausgeliefert. Spüre eine leichte Panik in mir aufkommen. Es flimmert vor meinen Augen. Ich glaube ich werde ohnmächtig.

„Komm schon, Daddy”, drängt Chester unzufrieden, „Jetzt komm schon!” Nervös zwinge ich mich zur Konzentration. Mache mir nochmal bewusst, dass diesmal ich es bin, der hier das Sagen hat. Sämtliche Autorität liegt bei mir. Der Engel muss mir gehorchen. Und Mann, das ist verflucht geil! „Sei still!” fahre ich das zappelige Kind zornig an, „Sei nicht so frech, Chester-Boy!” Der Angesprochene zuckt verschreckt zusammen. Lässt die Arme sinken. Erschaudert gurrend. Mache zwei energische Schritte auf ihn zu. Seine Augen flattern in aufgeregter Erwartung. Greife aufs Neue nach seinen Dreadlocks. Reiße seinen Kopf gewaltsam herum. Bennington stöhnt auf. Wehrt sich jedoch nicht. An den weichen Haaren gepackt, ziehe ich ihn zielstrebig hinter mir her. Es sind nur wenige Schritte. Weil mein Zimmer so klein ist.

Drei Sekunden später sind wir an meinem bequemen Bett angekommen. Heute Morgen habe ich es wie immer sorgfältig gemacht. Genau wie es hier verlangt wird. Ich tue das schon automatisch. Es gehört zu meinem gewohnten Morgenritual. Über das ich längst nicht mehr nachdenke. Das Kopfkissen und die Steppdecke sind von mir akkurat gefaltet und gründlich glattgestrichen worden. Bisher habe ich das Bett bis zum abendlichen Schlafengehen nicht mehr angerührt.

Jetzt lasse ich Chesters Haare los. Schubse den Kerl brutal auf die akribisch gefaltete Steppdecke. Mein Stoß ist so gewaltig, dass er haltlos rückwärts fällt. Die dünne Matratze federt seinen Aufprall etwas ab. Im nächsten Moment knie ich schon dicht bei ihm. Reiße seinen warmen Körper mit großem Kraftaufwand herum. Zwinge ihn energisch dazu, sich flach auf den Rücken zu legen. Bennington gehorcht ohne Widerstand. Voll mit Begierde lege ich mich hastig neben ihn. Wende mich ihm erwartungsvoll zu. Der Besondere liegt neben mir. Sieht mich gespannt an. Mein Bett ist eigentlich zu schmal für zwei Personen. Es ist ein Einzelbett. Gedacht für nur einen Patienten. Deshalb muss ich mich ganz nah an Chester schmiegen. Damit ich nicht herunterfalle. Bei ihm verhindert das die Wand. Lege mich ihm zugewandt auf die Seite. Achte darauf, dass wir auf ganzer Länge Körperkontakt haben. Ich möchte ihn überall an meiner nackten Haut fühlen. Schiebe mein Bein über Seins. Presse meine Erektion provozierend gegen seine Hüfte. Stöhne unweigerlich auf. Weil sich das so gut anfühlt. Stütze mich auf dem Ellbogen ab. Damit ich ihn besser ansehen kann. Vergrabe meine Hand dabei in sein weiches Haar. Das sich über mein Kopfkissen ausgebreitet hat. Die andere Hand lege ich auf Chesters dünne Brust.

Der Tätowierte atmet schwer. Unter seinen harten Rippen kann ich seinen schnell pochenden Herzschlag spüren. Sein schmaler Brustkorb bläht sich in tiefen Atemzügen. Sein Leib fühlt sich heiß an. Die normalerweise blasse Haut hat sich leicht gerötet. Die glatte Oberfläche ist ein bisschen feucht geworden. Mittlerweile ist Chazy Chaz innerlich derart erhitzt, dass er angefangen hat zu schwitzen. Seine schönen Augen liegen angespannt auf mir. Der Typ konzentriert sich auf mich. Spürbar nervös erwartet er meine raue Behandlung. „Mikey...”, flüstert er zugetan, „Mein Mikey...” „Halt die Klappe, Chester-Boy!” murre ich streng. Kneife ihn in einer impulsiven Bewegung fest in die linke kleine Brustwarze. Sofort stellen sich seine beiden winzigen Nippel auf. Chester ächzt gepeinigt. Krümmt sich ein wenig. Im Reflex will er dem Schmerz ausweichen. Dennoch lässt er seine Arme neben sich auf dem Bett liegen. Liefert sich mir aus. Der Arizona-Boy vertraut mir. Uneingeschränkt.

Diese enorm geile Mischung aus Angst, Qual und begieriger Wollust in seinen Augen macht mich völlig irre. Begeistert presse ich meinen Schwanz gegen ihn. Kneife ihn direkt nochmal. „Ahhh...”, stöhnt Chester schmerzerfüllt. Seine Augen verdrehen sich nach oben. Der junge Mann erschaudert in einer zitternden Gänsehaut. „Ist das schön?” frage ich ihn atemlos, „Gefällt dir das, Chester-Boy?” „Ja, Daddy”, gibt er verdutzt zu. Sieht mich mit bebenden Lippen an. „Tu mir weh, bitte”, fordert er mich so scheu auf, dass ich ihn kaum verstehen kann. Das Gefühl der grenzenlosen Macht über einen anderen Menschen ist unbeschreiblich. Eine gigantische Woge der sexuellen Erregung tobt durch meinen aufgeputschten Körper. Fokussiert sich zielsicher in meinen Geschlechtsorganen. Automatisch fange ich damit an, meinen harten Schwanz gegen Chesters Körper zu reiben. Die gewollt heftige Berührung steigert meine Geilheit augenblicklich.

Gierig beuge ich mich über ihn. Er hebt stark verlangend den Kopf. Kommt mir eilig entgegen. Sodass unsere Münder ein weiteres Mal herbe aufeinanderprallen. Unsere Lippen saugen sich aneinander. Die Zungen jagen sich in wilder Hast. Meine Finger zerreiben seine kleinen Brustwarzen. Die linke. Dann die rechte. Sodass Chester auf ganzer Länge erzittert. Und beim Küssen laut aufstöhnt. Er schüttelt sich. Wälzt sich unruhig auf dem Bett. „Fass mich an”, stöhnt er mit arg verdrehten Augen, „Oh, bitte... fass mich an, Daddy!” „Halt die Schnauze!” fauche ich abermals. Mit strikter, fiebriger Stimme. „Fass mich an!” fleht er mit glühenden Augen. Als hätte er mich nicht gehört. Zum ersten Mal liegt Aufmüpfigkeit in seinem Blick. Ein unkontrolliertes Verlangen. „Sei ruhig, Boy!” schimpfe ich ihn aus. Bringe ihn mit meinem Kuss vehement zum Schweigen. Taste mich aber mit meiner Hand folgsam an ihm herunter. Weil ich diesem besonderen Menschen jeden Wunsch erfüllen will. Chesters Atem wird prompt lauter. Verkrampft ringt er nach Luft. Als ich seinen faszinierenden Schwanz erreiche. Seine Erektion liegt ihm steif auf dem Unterbauch. Mit meiner flachen Hand streiche ich ein paarmal zärtlich über das verlockende Organ. Erfühle interessiert seine Form und Größe. Was meine Geilheit extrem in die Höhe schnellen lässt.

Die Gefühle werden derart mächtig, dass bunte Sterne hinter meinen Lidern tanzen. Mein Herzschlag pocht schnell und kräftig in meinen Ohren. Alles um mich herum ist vergessen. Meine derzeitige Umgebung ist völlig unwichtig geworden. Es gibt kein kleines Zimmer in der geschlossenen Psychiatrie mehr. Nicht die schwelende Gefahr, dass vielleicht jemand Unbefugtes hereinkommt. Es existiert nur noch dieses schmale Bett. Die Matratze, die ich unter der dünnen Steppdecke, auf der wir beide lang ausgestreckt liegen, gut fühlen kann. Der Federkern bettet unsere Körper trotz seines Härtegrads bequem. Meine sexuell erregte Wahrnehmung beschränkt sich zunehmend auf den Mann dicht neben mir. Der sich mir restlos ausliefert. Was ich nicht mal im Ansatz begreife. Ich habe diesen Kerl vollständig in meiner Hand. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Meine Finger greifen gierig nach seinem erigierten Penis. Umfassen ihn grob und drücken fest zu. Bennington zuckt. Stöhnt in unseren hemmungslosen Kuss hinein. „Ja, fass mich an!” verlangt er, spürbar von Sinnen. „Fass mich an!” wiederholt er gleich mehrmals. Wild drängend in unkontrollierbarem Begehren. Fasziniert von seiner unerwarteten Hemmungslosigkeit hebe ich den Kopf. Schaue liebevoll auf ihn herunter. Während ich seinen Schwanz ruhig in meiner Hand halte. Seine braunen Augen haben sich halb geschlossen. Die Lider flattern nervös. Seine schwarzen Pupillen sind zu Saugnäpfen voller irrer Gier geworden. Sein schlanker Körper bewegt sich ruhelos auf dem Bett. Der linke Arm rudert auf der Decke hilflos nach Halt. Sein rechter Arm ist zwischen uns eingeklemmt. Chester scheint kurz vorm Orgasmus zu stehen. Als mir das plötzlich klar wird, spüre ich meine eigene Erregung aufs Neue abrupt in die Höhe schnellen. Shit, ich bin selbst kurz davor. Lange halte ich nicht mehr durch. Das steht mal fest.

Mit aufkommender Panik fange ich an, hastig an Chesters Glied auf und ab zu fahren. Meine Finger haben ihn grob gepackt. Meine Bewegung ist schnell und ruckartig. Ich bin viel zu unbeherrscht. Es fällt mir schwer, nicht vollends die Kontrolle über mich zu verlieren. Krampfhaft rufe ich mir ins Gedächtnis, dass ich der Daddy bin. Und er nur der Chester-Boy. „Gefällt dir das?” frage ich ihn laut keuchend. Weil ich den unwiderstehlichen Drang danach verspüre, dem Besonderen immer wieder diese Frage zu stellen. „Findest du das schön, Boy?” Weiß auch nicht, warum ich den Kerl das andauernd fragen muss. Vielleicht brauche ich einfach nur seine Bestätigung. Bisher habe ich diese Fragen nie jemandem gestellt. „Fuck, ja!” schreit Chaz mich impulsiv an. Seine Augen sind derart verdreht, dass ich das Weiße sehen kann. Sein heißer Körper windet sich wollüstig. Röchelnd schnappt er nach Luft.

Jäh stoppe ich meine intime Bewegung an seinem harten Schwanz. Lasse das steife Organ zurück auf seinen Unterleib fallen. Beobachte den entfesselten Arizona-Boy in restlos gebannter Faszination. „Nein nein nein”, stöhnt Chester verwirrt, „Hör nicht auf, Mike!” Ich bin total hingerissen davon, was ich hier völlig ungestraft mit ihm anstellen kann. Es irritiert mich, wie extrem es mir gefällt, auf diese dominante Art mit Bennington herumzuspielen. Überfüllt mit Liebe presse ich mich gegen ihn. Reibe im Liegen begehrlich meinen Leib gegen seinen. Fühle intensiv seine harten Knochen. Sein weiches Fleisch. Die feuchte, samtige Haut. Gelenke und Sehnen. Kein Gramm Fett. Genieße seine direkte Nähe unendlich. Lange hinunter. Reibe meinen Penis genüsslich gegen seine Hüfte. Mir ist total heiß geworden. Inzwischen schwitze ich mindestens so stark wie er.

„Hör bitte nicht auf, Daddy”, fleht Chester verzweifelt, „Ich kann doch nicht...” „Ruhe!” unterbreche ich ihn lautstark, „Schrei mich nicht an! Halt still, Chester-Boy! Hör mit dem Rumzappeln auf!” Meine Augen taxieren ihn strafend. Der mega aufgegeilte Sänger zittert an sämtlichen Extremitäten. Irritiert betrachtet er mich. In seinem derzeitigen Zustand kriegt Bennington es nicht mehr hin, auf meinem Bett ruhig liegenzubleiben. Aber ich glaube wahrhaftig er bemüht sich. Seine haltlosen, unbeherrschten Bewegungen werden ein bisschen weniger heftig. Ich versinke autonom in seinen halb geschlossenen Augen. Was ich darin entdecke legt mich völlig lahm. So viel pulsierendes Leben habe ich noch nie gesehen. Chesters Blick glüht förmlich vor Erregung. Der Typ steht eindeutig gewaltig unter Strom. Sein schöner Mund steht ein Stück offen. Die weißen Zähne blitzen hervor. Er erschaudert gurrend. Die Lider nervös flatternd. Dann ringt er wieder nach Luft.

„Er soll nicht fluchen! Er darf mich nicht anschreien!” tadele ich ihn unzufrieden. Klage ihn mit meinen Augen böse an. Chester schüttelt in wilder Verzweiflung den Kopf. „Nicht, Daddy...”, flüstert er bedeutungsvoll, „Mikey, um Himmels Willen...” Unruhig wälzt er sich auf dem Bett. Auf dem Rücken liegend stellt er seine Fußsohlen auf die Decke. Hebt flehend den Unterleib. Auf der inständigen Suche nach körperlicher Stimulation. Sein Begehren scheint inzwischen so gigantisch geworden zu sein, dass er sich nicht länger im Griff hat. Er will jetzt keine Spielchen mehr spielen. Will nicht länger mein unterwürfiger Chester-Boy sein. Ich habe ihn an diesen Punkt gebracht. Chester Bennington ertrinkt in seiner sexuellen Begierde. Das habe ich geschafft. Mike Shinoda. Zum ersten Mal in meinem Leben. Dieses abrupte Begreifen überwältigt mich. Steigert meine eigene Begehrlichkeit enorm. Überdeutlich spüre ich, dass ich beinahe so weit bin. Mit riesigen Schritten nähern wir uns beide dem heiß ersehnten Höhepunkt. Keine Chance mehr es aufzuhalten. Unser geiles Rollenspiel gerät in Vergessenheit.

Ich kann nicht anders, als mich zu ihm runter zu stürzen. Fange mit meinen Lippen gierig die Seinen ein. Während mein Körper unkontrolliert an seinem heißen Leib herumzurutschen beginnt. Ich greife wieder hinunter und sorge dafür, dass mein Schwanz dabei ordentlich versorgt wird. Hingerissen stöhne ich auf. Küsse ihn dann wieder. Als gäbe es kein Morgen. Chazy Chaz erwidert meinen Kuss. Ebenso stürmisch wie ich. Haltlos fressen wir einander auf. Er legt seinen linken Arm um meinen Rücken. Streichelt mich grob. Drückt mich verlangend an sich. Eine Weile küssen wir uns mit wachsender Begeisterung. Seine nasse Zunge in meinem Mund fühlt sich so gut an, dass ich hinweggefegt werde. Meine rechte Hand streicht sorgfältig über seinen schlanken Körper. Jedes Detail ertastend. Nur mühevoll nehme ich mir die Zeit dafür. Die knochige Brust. Den dünnen Bauch. Seinen Bauchnabel. Sein krauses Schamhaar.

Im nächsten Moment habe ich abermals seinen wunderschönen Penis in meiner Hand. Bin paralysiert davon, wie hart und groß der inzwischen geworden ist. Er fühlt sich sehr warm an. Die empfindliche Haut ist samtig. Zärtlich reibe ich an ihm auf und ab. Auf und ab. Auf und ab. Das mache ich extrem gefühlvoll. Bin randvoll mit hell leuchtender Liebe für meinen Mann. Möchte ihm jetzt nur noch Gutes tun. Chester Bennington stöhnt zustimmend. Hemmungslos. Er kann mich nicht länger küssen. Weil er verstärkt nach Luft ringen muss. Also hebe ich meinen Kopf. Beobachte ihn fasziniert. Ich möchte alles genau mitkriegen, was mit ihm passiert.

Seine Hand fällt kraftlos von meinem Rücken herunter. Die Finger krallen sich stattdessen neben seiner Hüfte in die Bettdecke. Seine Augen schließen sich genüsslich. „Mike... Mike...”, murmelt er weggetreten, „Shi-no-da.” Sein Körper stößt vegetativ Feuchtigkeit aus. Als ich sie leicht an meinen Fingern spüre, macht mich das unglaublich an. Ich glaube Chesters sexuellen Geruch wahrzunehmen. Unwillkürlich atme ich ganz tief ein. Dieser frische, geile Geruch ist dermaßen anregend, dass ich völlig abdrehe. Die Finger meiner linken Hand an seinem Kopf graben sich automatisch tief in sein Haar. Packen fest zu. Zerre brutal an den verfilzten Dreadlocks. Während die rechte Hand an seinem Schwanz schneller arbeitet. Meine Bewegungen werden druckvoller. Der Sänger reagiert unmittelbar darauf. Sein entfesseltes Stöhnen wird sofort lauter. „Ohhh... kaaayyy...”, stößt er zischelnd zwischen seinen Lippen hervor, „Shiii-nooo-daaa.” Dieser Kerl ist in seiner Sexualität aufregend hemmungslos. Er ergibt sich ihr völlig ungebremst. Damit fesselt er mich total. Ich fühle mich enorm geschmeichelt. Fast möchte ich vor Glück lachen. Wenn ich nicht selbst so mega geil wäre, dass es mir den Atem raubt.

Kann den Engel nur noch keuchend betrachten. Registriere jede seiner ungesteuerten Regungen. Seine langen Beine strecken sich auf dem Bett weit aus. Seine Zehen recken sich. Fangen zu zucken an. Sein gesamter Körper wird zunehmend steif. Sämtliche Muskeln verhärten sich wie erstarrt. „Shit, Mikey...”, ächzt er angespannt, „Mikey... Shit ey...” Chazy Chaz macht seinen hübschen Hals lang. Als wollte er sich auf diesem Wege selbst die Wirbel auseinanderreißen. Der Mann biegt den gutaussehenden Kopf weit nach hinten. Presst beide Augenlider fest zu. Verstärkt nach Sauerstoff verlangend öffnet er den Mund. Seine bebenden Finger bohren sich links in die Steppdecke. Rechts tief in seinen eigenen Oberschenkel hinein. Seine Laute werden gänzlich unartikuliert.

Fasziniert will ich mir bis zum Schluss ansehen, wie mein geliebter Mann den Gipfel der sexuellen Lust erreicht. Ich kann einfach nicht verarbeiten, dass das durch mich geschieht. Ich schenke ihm das hier. Sorge mit meiner Hand und meiner grenzenlosen Liebe dafür, dass Chester Bennington sich so richtig doll wohlfühlt. Ich kann das. Bin dazu fähig, einen anderen Mann zu befriedigen. Ich. Mike Shinoda. Diese Tatsache verwirrt mich enorm. Die Situation wird extremer, als ich aushalten kann. Rasend schnell wird es unmöglich für mich, meine Augen länger offen zu halten. Meine Lider fangen von selbst an zu flattern. Fallen ohne meine Beteiligung zu. Mein Mund öffnet sich stöhnend. Kann das nicht verhindern. Verliere die Kontrolle über mich. Weil meine eigene Geilheit zu machtvoll wird. Viel zu allumfassend. Die brodelnden Gefühle nehmen mich vollständig in ihren Besitz. Keine Chance dagegen anzugehen.

Mein Kopf fällt restlos überwältigt auf Chesters harte Brust. Bleibt mit der Stirn voran dort liegen. Spüre seine Hitze an meiner Haut. Habe seinen Schweiß in meiner Nase. An meiner Wange. Atme gierig seinen fantastischen Duft in mich hinein. Kann fühlen, wie schnell und druckvoll sein Herz schlägt. Meine Hand an seinem Schwanz fährt unermüdlich auf und ab. Auf und ab. Der Typ verkrampft sich zunehmend. Ich höre den Mann an meinem Leib laut aufstöhnen. Kann spüren, wie sein muskulöser Körper heftig zuckt. Die plötzliche Menge der Feuchtigkeit an meiner Hand verrät mir zweifelsfrei, dass Chester Bennington ejakuliert. Das macht mich völlig verrückt. Gierig presse ich meinen Schwanz gegen ihn. Reibe mich hart und gezielt gegen seine Knochen, Sehnen und Muskeln. Steigere damit meine eigene, fast schon detonierende Geilheit. Muss ich so machen. Genau so. Geht nicht mehr anders.

Auf diese Weise stimuliere ich mich höchstens noch ein paar Sekunden länger. Kurz darauf explodiere ich auch schon. Exorbitantes Wohlbefinden detoniert abrupt in mir. Lässt mich stöhnend erschaudern. Kribbelnde Gänsehaut hüllt mich ein. Spüre überdeutlich, wie mein Samen aus mir herausschießt. Um mich herum verschwindet die ganze Welt. Es existiert gar nichts anderes mehr. Ausschließlich mein eigener Körper. Der sich ein paar Momente lang so dermaßen gigantisch geil anfühlt, dass ich komplett in ferne, himmlische Gefilde entschwinde. Blitzende Sterne tanzen hinter meinen fest geschlossenen Lidern. Es ist gut möglich, dass ich ohnmächtig werde.

Danach ist es lange Zeit ganz still. Nur zögernd wache ich aus meiner sexuellen Umnachtung auf. Registriere, dass ich unverändert auf meinem Bett liege. Was herrlich bequem ist. Ich bin umfassend befriedigt worden. Mein Körper erholt sich in wohliger Erschöpfung. Ich liege mit dem Ohr auf Chesters Brust. Genau auf seinen harten Rippen. Lausche fasziniert seinem Herzschlag. Langsam beruhigt er sich. Das wilde, schnelle Hämmern wird zu einem stillen, gleichmäßigen Klopfen. Bumm bumm. Bumm bumm. Bumm bumm. Das ist so angenehm, dass ich damit einschlafen möchte. Will dieses Geräusch pausenlos in meinem Ohr haben. Fühle mich seltsam geborgen damit.

Habe meinen Arm um meinen Mann gelegt. Weil ich ihn dringend festhalten will. Nie wieder soll er verschwinden. Ich möchte ihm für immer und ewig so nahe sein. Einfach nur so neben ihm, halb auf ihm drauf liegen. Seine angenehme Wärme spüren. Die Zartheit seiner von der starken Erregung noch rosafarbenen Haut. Seine pure Existenz unendlich genießen. Es ist nicht nötig irgendwas zu ihm zu sagen. Chaz versteht mich auch schweigend. Weil wir füreinander geschaffen sind. In diesem Moment bedeuten Wörter nur Verschwendung. Selig sauge ich seinen derzeitigen Geruch in mich auf. Es ist eine erregende Mischung aus Chester Bennington, Schweiß und Sperma. Ich liebe diesen verrückten Kerl so sehr. Fühle mich so wohl wie noch nie. Alles ist ganz genau so, wie es sein sollte. Von mir aus dürfte sich an meiner gegenwärtigen Situation nie etwas ändern.

Aber natürlich passiert das nicht. So sehr ich es mir auch wünsche. Die verdammte Zeit bleibt einfach nicht stehen. Im Grunde tut sie das ja nie. Irgendwann bewegt Chester sich. Vorsichtig zieht er seinen rechten Arm hervor. Der die ganze Zeit zwischen uns eingeklemmt war. „Warte mal, Mike... Mist, mein Arm ist eingeschlafen”, erklärt er mir seufzend. Ich rücke nur kurz und widerwillig ein bisschen von ihm weg. Nur damit er seinen Arm rausziehen kann. Er tut es und schüttelt stöhnend seinen Arm, um die Blutzirkulation anzuregen. Danach legt er ihn hinter mich auf die Matratze. Kaum dass Chesters Arm weg ist, schmiege ich mich schon wieder fest an seine Seite. Ohne dieses Hindernis komme ich noch enger an seinen Körper heran. Lege meinen Kopf zurück auf seine Brust. Ich will hier nicht weggehen. Nie mehr.

Meine linke Hand streichelt über Chesters runden Schädel. Sanft durch sein langes, seidiges Haar. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand male ich zärtlich in dem Sperma herum. Das auf Chesters Bauch und Brust gespritzt ist. Seine weiße, zähe Körperflüssigkeit fühlt sich warm und klebrig an. Versonnen verteile ich das Zeug auf seiner weichen Haut. Male rundum zufrieden Kreise, Quadrate, Vierecke und Rechtecke. Ein Teil der Wichse ist zweifellos von mir. Als ich vorhin gekommen bin, landete mein Erguss hauptsächlich auf Chester. Zwangsläufig haben wir beim gemeinschaftlichen, hemmungslosen Abspritzen eine ziemliche Sauerei verursacht. Auch auf meiner Bettdecke sind Flecken. Wenn ich richtig aufwache, werde ich deswegen wahrscheinlich einen Anfall kriegen. Aber im Moment stört mich das noch nicht. Ich finde es nur lustig. Und ziemlich geil. Ich liebe alles an ihm. Auch seinen Samenerguss. Den ich glücklich mit meinem vermenge. Mein Blick liegt auf Chesters Penis. Der jetzt nicht mehr steif ist. Sein hübscher Schwanz liegt weich und biegsam auf seinem Unterleib. Inmitten seines brünetten Schamhaares. Die süße Spitze zeigt zu mir. Weil Chester im Gegensatz zu mir beschnitten ist, liegt seine Eichel völlig frei. Von meiner rauen Behandlung ist Chesters Schwanz noch ein bisschen gerötet. Ich bin besessen von seiner Perfektion. Könnte ihn den ganzen Tag lang ansehen.

Chester bewegt sich wieder. Unruhig rutscht er neben mir auf dem schmalen Bett herum. Als würde der Sänger sich mit der Zeit unwohl fühlen. Was ich wirklich nicht begreifen kann. Für mich ist diese Situation so ziemlich das Schönste, was ich je erlebt habe. Niemals dürfte sie enden. „Du... Mikey... sollen wir nicht langsam mal aufstehen?” fragt Chester leise. Zurückhaltend. Verdutzt hebe ich den Kopf und sehe ihn an. Mein Mann sieht müde aus. Seine braunen Augen sind tiefgründige Rätsel. „Och nö, Chaz. Wieso denn?” quengel ich wie ein Kleinkind. Fühle mich gerade so dermaßen wohl, dass ich hier nicht weggehen will. Aber Chesters Miene beunruhigt mich. Der Tätowierte ist mit unserer Lage offenbar nicht so zufrieden wie ich. Wie ich es eigentlich erwartet hatte. Verunsichert breche ich das erregende Spermamalen ab. Lege meine Hand stattdessen flach auf seinen klebrigen Bauch. Die andere streichelt weiter über seinen Schädel. Was er kaum zu merken scheint.

Chester hebt den Kopf. Sodass meine Finger unbeachtet aus seinem Haar gleiten. Er sieht sich seinen nackten, von unser beider Geilheit bespritzten Körper an. Sein Gesicht verzieht sich genervt. „Ach, Fuck!” flucht er gestresst und blickt zu mir, „Hast du ein Taschentuch oder so was?” Irritiert stütze ich mich auf dem Ellenbogen ab. Richte mich ein wenig auf. Fragend schaue ich ihn an. Unbehaglich weicht er meinem Blick aus. „Ähm... hast du irgendwas zum Abwischen, Mike?” wiederholt er zögerlich. Von seiner emotionalen Kälte fühle ich mich vor den Kopf geschlagen. „Sag mal, Chaz, hat es dir denn nicht gefallen?” erkundige ich mich schüchtern. Ich verstehe nicht, warum der Typ so genervt wirkt. Das macht auf mich den verstörenden Eindruck, als würde er unser intimes Erlebnis schon jetzt bereuen. Chester verdreht gelangweilt die Augen. Lässt seinen Hinterkopf erschöpft zurück auf mein Kopfkissen fallen. Auf dem Rücken liegend bewegt er unruhig seine langen Arme und Beine. Es ist offensichtlich, dass er jetzt lieber aufstehen würde. Der Engel ist mir so nahe, dass ich seine Körperwärme an meiner Haut spüre. Seinen Geruch deutlich in meiner Nase habe. Und doch ist er meilenweit von mir entfernt. Diese Erkenntnis tut mir weh.

„Doch, das war geil”, behauptet er. Während er ausweichend die Zimmerdecke betrachtet. Plötzlich glaube ich ihm kein Wort. Meine Eingeweide verkrampfen sich. Vor abruptem Unbehagen beschleunigt sich mein Herzschlag. „Du fandest das total blöd, oder?” dränge ich ehrlich entsetzt. Chester seufzt tief. Im Liegen schüttelt er den Kopf. Sieht mich vielsagend an. „Hör auf zu denken, Mikey”, fordert er mich amüsiert lächelnd auf, „Ich hab dir doch gesagt, dass es geil war.” „Das hört sich aber nicht so an!” entgegne ich verwirrt, „Du wirkst gar nicht so, als ob es dir gefallen hätte.” Meine Hand streichelt über seine knochige Brust. Weil ich ihn irgendwie besänftigen will. Da ist was Dunkles in ihm, was da nicht hingehört. Das habe ich schon mal erlebt. Gestern beim Abendessen. „Sag mir was los ist”, flehe ich ihn an, „Bitte, Chester, bitte sag mir die Wahrheit.” Obwohl ich nicht sicher bin, ob ich die Wahrheit überhaupt ertragen kann. Das unbestimmte Gefühl, das irgendwas nicht stimmt, das etwas falsch gelaufen ist, lässt mich nicht mehr los.

Chester schließt seufzend die Augen. Seine linke Hand bewegt sich an sein Gesicht. Die Finger streichen ermattet über die Wangen. Dann reibt er über seine geschlossenen Lider. Die rechte Hand legt er behutsam um meinen nackten Rücken. Beruhigend tätschelt er meine Schulter. Zehn Sekunden später öffnet der Sänger die Augen. Guckt mich wieder an. „Nein, echt, Mikey! Hör mal, das war geil mit dir. Es ist immer total schön mit dir. Das ist... überwältigend. Mach dir doch keinen Kopf, Shinoda”, bittet er mich. Seine wundervolle Stimme klingt sanft. „Ach, Chester, ich liebe dich so sehr”, platzt es impulsiv aus mir heraus. Hastig beuge ich mich zu ihm hin. Küsse seine stoppelige Wange. Das kleine, kratzige Kinn. Meine Lippen streicheln flehend über sein bezauberndes Gesicht. Mein verzweifelter Versuch, ihn irgendwie einzufangen. Ich will meinen Engel dringend zu mir zurückholen. Aber er ist weggeflogen. Lässt es nur reglos geschehen.


Chester Charles Bennington

Speisesaal. Sitze neben Mike. Auf einem der vier harten Stühle. Am weißen Holztisch. Starre lustlos auf mein Mittagessen. Spaghetti mit Tomatensoße. Meine Kopfhaut brennt. Weil Shinoda vorhin so begeistert daran herumgezerrt hat. Meine Eier schmerzen ein bisschen. Ist aber auszuhalten. Ich wollte das ja so. Fühle mich erfrischt. Weil ich in dem kleinen Badezimmer, was in der Nähe von Mikes Zimmer existiert, ausführlich duschen durfte. Der Besondere hat mir erlaubt sein exklusives, wohlriechendes Duschzeug zu benutzen. Das war total angenehm. Und schon überfällig. Habe das echt genossen. Nach dem Sex mit ihm war ich verschwitzt und schmutzig. Habe mich gründlich gereinigt. Und danach seine frischen Sachen angezogen. Die er mir netterweise ausleiht. Ich durfte mir richtig coole Klamotten von ihm aussuchen. Dafür werde ich dem Halbjapaner ewig dankbar sein.

Jetzt bin ich zum ersten Mal seit Tagen richtig sauber. Während ich mich in seinem Raum angezogen habe, ist auch Mikey unter diese Dusche gehüpft. Das war nötig. Weil wir beide bei unserem komischen Vormittagssex ziemlich dreckig geworden sind. Zum Glück hat uns auf dem Weg über den Flur niemand gesehen. Es hat uns auch niemand gestört, als wir vorher in seinem Zimmer ziemlich heftig miteinander zugange waren. Nichts davon ist passiert, wovor das Knopfauge so große Angst hat. Hätte ich ihm gleich sagen können. Aber er ist nun mal süß schüchtern. Auch dafür liebe ich ihn.

Es war wunderbar mit dem Halbjapaner. Echt intensiv und atemberaubend. Das Beste daran war, dass der Typ es endlich Mal bis zum Ende durchgezogen hat. Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Die ganze Zeit habe ich erwartet, dass er mittendrin aufhört. Wie er es ja sonst so gerne tut. Auch die dominante Art, wie Mike sich verhalten hat, hat mich überrascht. Weil seine Rolle als Daddy eigentlich nicht zu ihm passt. Offenbar hat der Kerl noch andere verborgene Seiten, von denen ich nichts ahne. Das ist höllisch interessant.

Ich weiß nicht, warum es mich so dermaßen scharf macht, wenn der Besondere mir beim Aufgeilen wehtut. Diese unerwartete und neue Empfindung verwirrt mich enorm. Ich kann das nicht einordnen. Bisher bin ich nie beim Sex gequält worden. Wurde noch nie in eine derart erniedrigende Rolle gedrängt. Naja, jedenfalls nicht freiwillig. Ich vermute, dass mein erstaunlich heiß brennender Enthusiasmus damit zusammenhängt, weil es eben Mister Shinoda ist, der mit mir spielt. Er kann das auf so eine extrem erregende Weise, die mich völlig umhaut. Nur der Mandeläugige hat diese Aura, die mich vollständig in den Bann zieht. Es ist seine Magie, die mich zuverlässig beruhigen und erreichen kann. Dieser Kerl darf alles mit mir anstellen. Definitiv. Offenbar macht es ihm teuflisch viel Spaß mein Daddy zu sein. Was ich nie im Leben von dem ansonsten Schüchternen erwartet hätte. Das hat mich komplett lahmgelegt. Fuck, ich liebe es total, wenn der California-Boy mich überrascht! Das in seinem Zimmer war echt herausragend. Ich will das nochmal. So bald wie möglich.

Aber jetzt habe ich wieder diese teuflischen Stimmen im Kopf. Die mich nicht loslassen wollen. Die düsteren Gedanken tauchten kurz nach meinem sphärischen Orgasmus in Mikes Bett auf. Lassen sich seitdem hartnäckig nicht vertreiben. Zu viele völlig ungeklärte Fragen. In meinem derzeitigen Leben. Die mir keine Ruhe lassen. Zu viele Dinge, die geschehen sind und sich nicht mehr ändern lassen. Entschieden zu viel Chaos in meinem irren Schädel. Das sich kumulativ zur hinlänglich vertrauten Dunkelheit verdichtet. Ich hasse das so sehr. Will das nicht schon wieder aushalten müssen. Wünsche mir sehnlichst irgendeine pflanzliche oder chemische Substanz. Um erfolgreich dagegen anzugehen. Aber das ist ja genau das Problem hier. In der geschlossenen Psychiatrie zwingen sie mich nüchtern zu bleiben. Ich muss all das Elend ungeschützt ertragen. Bin nicht sicher, wie lange ich das noch hinnehmen kann.

Angespannt fixiere ich die Spaghetti in dem tiefen, runden Plastikteller. Auf meinem Tablett vor mir auf dem Tisch. Fahre mit den Augen akribisch die langen Nudeln nach. Sie sind in der roten Tomatensoße förmlich ertränkt worden. Neben dem Teller liegen eine Gabel und ein Löffel. Beides aus Plastik. Außerdem befindet sich noch eine Flasche Mineralwasser auf dem Tablett. Ein Tetrapack mit Kirschsaft. Und ein Schälchen mit Joghurt oder so was. Vielleicht stellt das den Nachtisch dar.

Aus den Augenwinkeln kann ich erkennen, dass Mike sein Besteck dazu benutzt, um die Spaghetti genüsslich in sich hineinzuschaufeln. „Probier doch mal, Chaz. Du, das ist richtig lecker”, will er mich auch diesmal zum Essen animieren. Ich werfe ihm eine angewiderte Grimasse zu. Die er seufzend auffängt. „Es schmeckt wirklich gut, Chester”, bekräftigt er verständnislos, „Versuch es doch wenigstens.” Kopfschüttelnd erforsche ich sein schönes Gesicht. Die dunklen Knopfaugen sehen betrübt aus. Das gefällt mir nicht. Ich will nicht, dass Shinoda traurig ist. In seinem Mundwinkel ist ein bisschen Tomatensoße. Auch in seinen dichten Bart hat sich Soße verirrt. Zu gerne würde ich ihm die Sauerei da wegküssen. Das Tomatenzeug zärtlich aufschlecken. Mit meiner Zunge sanft über sein ganzes attraktives Gesicht streicheln. Aber ich weiß, dass Mike das nicht will. Auf keinen Fall darf ich ihm zu nahekommen, wenn wir gemeinsam im vollbesetzten Speisesaal sitzen. So weit ist er noch nicht. Vielleicht später mal. Das hat er mir gerade auf dem Weg hierher extra noch mal erklärt. Das gehört nur uns, Chester, hat Halbjapaner betont. Ich will nicht, dass die ganze Psychiatrie darüber spricht. Was wir getan haben, bleibt in meinem Zimmer, okay? Also lasse ich die Tomatensoße wo sie ist.

Ruhelos fliegt mein Blick durch den großen, hellen Raum. Es sind zu viele Menschen hier. Jeder ist mit dem Essen beschäftigt. Wenn sie dabei wenigstens nicht so laut wären. Aber alle quatschen durcheinander. Am liebsten möchte ich mir die Ohren zuhalten. Oder einfach aufstehen und rausgehen. Aber ich fürchte, das würde Ärger geben, wenn ich jetzt wortlos abhaue. Es sind nämlich auch vier in weiß gekleidete Pflegekräfte anwesend. Einer davon ist Ulli. Der mich die ganze Zeit betont unauffällig beobachtet. Als würde ich das nicht merken. Ich fühle mich nervig eingesperrt. Böswillig überwacht. Scheiße stocknüchtern. Das ist nur schwer zu ertragen.

Unwillkürlich fängt mein Körper an auf dem Stuhl herumzuhampeln. Meine langen Arme bewegen sich. Die Finger klopfen nervös auf die Tischplatte. Die Füße trampeln unter dem Tisch auf den Boden. Kann einfach nicht stillsitzen. Weil ich mich so unwohl fühle. Ich bin schon viel zu lange hier. Auf der Suche nach einem Ausweg fliegen meine Augen zu den großen Panoramafenstern. Die eine ganze Längsseite des Raumes einnehmen. Draußen kann ich den grünen Park sehen. Der Himmel ist blau. Keine Wolken. Die hohen Palmen, die es in Kalifornien gibt, scheinen in der Sonne zu leuchten. Möchte mich jetzt liebend gerne aus dem Fenster hinauskatapultieren. Von mir aus direkt durch die geschlossene Glasscheibe. Vielleicht würden die scharfen Kanten des gesplitterten Glases mir dabei die Kehle aufschneiden. Im Moment hätte ich wahrlich nichts dagegen.

Plötzlich spüre ich eine Berührung. Die mich jäh aus meinen finsteren Gedanken reißt. Erschrocken fahre ich herum. Michael Shinoda. Aus Agoura Hills. Der fremde Patient sitzt unverändert neben mir. Besänftigend streichelt er über mein Schultergelenk. Vorsichtig über das tolle T-Shirt mit dem coolen, psychedelischen Aufdruck. Das er mir geliehen hat. Seine Hand fährt langsam meine Schulter entlang. Folgt behutsam meinen Knochen und Muskeln. Bis zu meinem freien Nacken. Seine Zärtlichkeit ist extrem gefühlvoll. Sie ist so angenehm, dass ich sofort mit dem sinnlosen Rumhampeln aufhöre. Konzentriere mich unwillkürlich auf diese wohltuende Empfindung. Der Magier beruhigt mich. Scheinbar mühelos schiebt er die Dunkelheit beiseite. Das schafft der immer. Nur Shinoda kann das.

Als seine Finger vorsichtig meine Dreads aus dem Wege und sanft über meine nackten Halswirbel streicheln, ziehe ich automatisch die Schultern hoch. Erschaudere leise gurrend. Beschwichtigend lächelt Mikey mich an. „Ganz ruhig, Chester Bennington”, flüstert er mitfühlend, „Du kannst ganz ruhig sein. Sei unbesorgt, Chazy Chaz. Es ist doch alles in Ordnung.” Seine wohlklingende Stimme durchdringt mich kinderleicht. Perplex starre ich ihn an. Ich kann gar nicht verarbeiten, dass Mike mich hier im vollbesetzten Speisesaal auf diese vertrauliche Art berührt. Dass er so zärtlich mit mir spricht. Damit habe ich nicht gerechnet. Die jähe Gewalt, mit der Shinoda zu mir durchdringt, verwirrt mich. Seine unfassbare Empathie und Liebenswürdigkeit gehen mir abrupt so gigantisch tief rein, dass ich instinktiv Abwehrmaßnahmen ergreife, um nicht peinlich emotional zu werden.

Spöttisch blase ich Luft aus. Grinse ihn bedeutungsvoll an. „Nein, nein, Mike Shinoda. Ich glaube, du verwechselst da was. Ich bin doch ganz ruhig”, erkläre ich ihm freundlich. Obwohl das nicht stimmt. Weil ich zur Zeit alles andere als ruhig bin. Wie wir beide nur zu genau wissen. Seine tollen Augenbrauen heben sich prompt zweifelnd. Verunsichert zieht der Halbjapaner seine Hand unter meinen Dreadlocks weg. Die zärtlichen Finger verlassen meinen mega empfindlichen Nacken. Was ich sofort bedauere. Mike legt seine Hand neben seinen Oberschenkel auf die Stuhlkante. „Chester...”, murmelt er ratlos. „Ich bin es doch gar nicht, der sich hier unnötige Gedanken macht”, stelle ich belustigt klar, „Sondern das bist du. Du bist doch derjenige, der sich pausenlos Sorgen macht.” Der schwarze Stachelkopf lächelt gutmütig. Seine wunderschön braunen Augen betrachten mich aufmerksam. „Nein, das ist es nicht, was ich damit sagen will. Und das weißt du auch. Ich glaube, du weißt genau, wie ich das gemeint habe, Chaz”, bemängelt er ruhig. Mir ist vollkommen bewusst, wie verdammt recht er hat. Der Besondere hat meine Nervosität gespürt und zielsicher interpretiert. Der Zauberer kann die Dunkelheit in mir wahrhaftig sehen.

Aber ich will mich jetzt nicht mit meinen verhassten Dämonen beschäftigen. Will meine Schwächen nicht offenbaren. Strecke mechanisch die Wirbelsäule. Um mich größer zu machen. Während ich mein Gegenüber konzentriert im Auge behalte. Weil er zu tief in mein Inneres vorzudringen droht. „Du bist es, der andauernd Probleme und Gefahren in seinem hübschen Köpfchen findet”, behaupte ich amüsiert neckend, „Du bist ein echter Sorgen-Mikey, weißt du das?” Spontan hebe ich meinen Zeigefinger. Puffe ihn wiederholt gegen die Brust. In den wundervoll weichen Bauch hinein. Will sein herrliches Quietschen hören. Das er mir sofort schenkt. Gequält fängt Mike an zu lachen. Was mir warm durch den Körper fegt. Muss den besorgten Typen dringend aufmunternd. Ihn. Und auch mich selbst.

Im Sitzen weicht der halbe Japaner zurück. Krümmt sich gezwungen von mir weg. Versucht mit beiden Händen mich abzuwehren. Es macht mir unglaublich Spaß ihn zu ärgern. Weil es mich von mir selbst ablenken kann. Dieser alberne Scheiß funktioniert jedes Mal. „Sorgen-Mikey! Sorgen-Mikey!” spotte ich lauthals. Attackiere den süßen Stachelkopf mit wachsender Hingabe. „Mann, Chester! Lass das doch!” beschwert er sich, gleichzeitig genervt und belustigt, „Du bist so ein Kind! Hör auf damit!” Seine Forderung kommt nicht bei mir an. Stupse ihn weiter. In schneller Folge in den attraktiven Leib. Muss mich dabei richtig anstrengen, um ihn zu treffen. Denn seine Abwehr wird immer besser. „Du bist ein Sorgen-Mikey! So ein Sorgen-Mikey bist du!” provoziere ich ihn laut lachend. „Verdammt, Bennington!” knurrt er kichernd, „Sei nicht so kindisch! Krieg dich mal wieder ein!” Fauchend fängt er an nach mir zu schlagen.

Beim Zurückweichen stößt der Stachelige unabsichtlich gegen den Tisch. Der dadurch laut über den Fußboden schabt. Belustigt fällt mein Blick auf meinen Teller. Plötzlich reizt es mich enorm, mir eine Handvoll Spaghetti vom Teller zu nehmen. Möchte die Nudeln mit Tomatensoße mit voller Wucht auf Mike werfen. Oder einfach quer durch den verfluchten Speisesaal. In der langweiligen Psychiatrie eine hemmungslose Essensschlacht anzuzetteln, scheint mir eine verlockend gute Idee zu sein. Ein paar überdrehte Sekunden lang ziehe ich diesen lustigen Unsinn ernsthaft in Erwägung. Nur der Gedanke an die mögliche Bestrafung lässt mich zögern. Ich habe keine Lust in einer Gummizelle zu landen.

Im nächsten Moment springt Shinoda plötzlich auf. Als hätte ihn eine Tarantel gestochen. Fassungslos taxiert er mich. „Lass das bloß sein, Chester Bennington! Wage es ja nicht!” warnt er mich entgeistert. Alarmiert weicht der Kerl vor mir zurück. Stößt dabei ohne Absicht seinen Stuhl um. „Ich habe mir gerade erst saubere Klamotten angezogen, Chaz!” muss der stets akkurat gepflegte Mitpatient mich unbedingt erinnern. Ich wette, seine frische Kleidung ist der Hauptgrund, warum er nicht mit Spaghetti Napoli beworfen werden will. Ich bin völlig hingerissen davon, wie gut der attraktive Kerl mich mittlerweile kennt. Wie absolut treffend der Besondere meine impulsiven Einfälle vorherzusagen weiß. Der Typ durchschaut mich, ohne dass ich irgendwas erklären muss. Total paralysiert davon, starre ich ihn überwältigt an.

Mike hat sich vorsichtshalber in Sicherheit gebracht. Er steht in einiger Entfernung von mir neben dem Nachbartisch. Mit misstrauisch zusammengezogenen Augenbrauen beobachtet er mich. Beide Hände abwehrend erhoben. „Untersteh dich!” droht er angepisst, „Ich warne dich, Chester! Du bist ja verrückt!” Er geht tatsächlich davon aus, dass ich ihn mit meinem Mittagessen total vollsauen will. Damit hat der Bärtige nicht unrecht. Es fällt mir schwer mich zurückzuhalten. Versinke in seiner erbaulichen Ansicht. Seine großen, runden Augen funkeln mich kampfbereit an. Ich liebe seine dichten, breiten Brauen. Vergöttere die beiden steilen Falten auf seiner Stirn.

Erst jetzt fällt mir auf, wie ruhig es plötzlich geworden ist. Unsere heftige, lautstarke Auseinandersetzung hat viel mehr Aufsehen erregt, als ich beabsichtigt habe. Ein schneller Rundumblick durch den Speisesaal bestätigt mir, dass so gut wie alle Augenpaare auf Mike und mich gerichtet sind. Mein Pfleger Ulli eilt mit verärgerter Miene auf mich zu. Mann, auf diesen Anblick hätte ich wirklich gerne verzichtet. Seufzend tauche ich unter den Tisch ab. Hebe Mikes umgefallenen Stuhl auf. Stelle das hölzerne Sitzmöbel wieder hin. Tief nach vorne gebeugt, bitte ich den gutaussehenden Schwarzhaarigen mit einer Handbewegung, sich wieder hinzusetzen. Aber Shinoda traut mir noch nicht. Der Angsthase zögert näherzukommen.

Im nächsten Moment steht Ulrich an unserem Tisch. Ich kann nur seine Beine in der weißen Stoffhose sehen. Weil mein Kopf vorsorglich tief unter dem Tisch bleibt. „Chester, hör bitte mal! Ich habe eine tolle Überraschung für dich. Du darfst gleich zusammen mit Mike an der Musiktherapie teilnehmen. Das ist doch genau dein Ding, nicht wahr?! Das wird dir unter Garantie gefallen. Aber es wäre schön, wenn du vorher wenigstens ein bisschen essen könntest”, höre ich die heitere, sanfte Stimme meines Pflegers. Augenblicklich bin ich völlig konfus. Sein Tonfall passt so gar nicht zu seinem wütenden Gesicht. Das er mir doch gerade erst auf dem Weg hierher gezeigt hat. Dermaßen felsenfest hatte ich mit einem neuerlichen Anschiss gerechnet, dass mich Ullis behutsame Freundlichkeit komplett lahmlegt. Ich kann nicht kapieren, was genau der Typ mir eigentlich gesagt hat. Weil allein der Klang seiner Stimme so absolut unerwartet kommt.

Verblüfft tauche ich von unter dem Tisch auf. Stoße mir dabei natürlich meinen blöden Schädel an der Kante. Setze mich aufrecht hin. Sehe meinen Pfleger verwirrt an. Derweil ich mir den schmerzenden Hinterkopf reibe. „Hä?” machte ich nicht sehr intelligent. „Nein, das wollte ich ihm doch sagen!” beschwert Mikey sich angefressen beim Personal. Sieht Ulli vorwurfsvoll an. Mit schnellen Schritten tritt das Mandelauge neben den Weißgekleideten. Bis beide nebeneinander am Tisch stehen. Ulrich lächelt den Patienten zufrieden an. „Ach ja, ich habe schon gehört, dass du dich da richtig engagieren willst, Mike. Wir sind alle ziemlich erfreut über deine ungewohnte Eigeninitiative”, spricht er in Rätseln. Schaut vergnügt lächelnd zu mir. „Na, dann will ich dir deine Überraschung mal nicht kaputtmachen”, redet er noch immer mit Shinoda. Während er dabei nachdenklich mich studiert.

Der schwarze Stachelkopf wirft mir einen scheuen Blick zu. Zu gerne würde ich ihn fragen, was hier eigentlich los ist. Aber Mikey signalisiert mir, dass ich erst warten soll, bis Ulrich verschwunden ist. Also tue ich das. „Setz dich doch, Mike”, fordere ich ihn verwirrt auf. Deute einladend auf den Stuhl neben mir. Diesmal folgt er meiner Bitte. Setzt sich wieder hin. Sogleich fährt er mit seinem Essen fort. Als gäbe es plötzlich nichts Wichtigeres. Der Braunäugige ist auf einmal süß verlegen. Was mir die Seele wärmt. Und mich ziemlich amüsiert. Ein breites Grinsen erscheint auf meinem dummen Gesicht. Obwohl ich keinen blassen Schimmer habe, was hier gerade Thema ist.

„Und du isst jetzt bitte auch endlich dein Mittagessen, Chester Bennington!” spricht Pfleger Ulrich mich streng an, „Hör bitte sofort damit auf so dämlich herumzualbern.” Das hört sich schon sehr viel vertrauter an. Diese Sätze und den dazugehörigen Tonfall bin ich von meinem Pfleger inzwischen reichlich gewohnt. Mit höhnisch wackelndem Kopf blinzele ich ihn an. „Was passiert denn, wenn ich nichts esse? Fängt es dann kräftig an zu regnen, Ulli? Tut der Himmel sich auf, weil ich meinen Teller nicht leermache?” frage ich ihn voller Hohn. Leider beeindruckt das den Profi nicht die Bohne. „Das weiß ich nicht, Chester”, antwortet er ungerührt, „Aber es könnte gut passieren, dass du nicht an der Musiktherapie teilnehmen darfst. Dann würdest du auf jeden Fall was Interessantes verpassen. Und ich glaube, das kannst du deinem besten Freund Mike Shinoda heute nicht antun.”

Es ärgert mich gigantisch, wie spöttisch mein Pfleger 'besten Freund' betont. Und wie zweifelhaft er Mikeys Namen ausspricht. Dieser Angestellte macht sich eindeutig über uns lustig. Mächtig angefressen und gleichzeitig komplett verwirrt werfe ich meinem Tischnachbarn einen fragenden Blick zu. Der süße Knopfäugige fühlt sich sichtbar unwohl. Mit knallroten Ohren beugt er sich tief über seinen Teller. Schaufelt verbissen den Rest Spaghetti in sich rein. Verschluckt sich fast dabei. Weil er so hastig isst. Es besteht kein Zweifel daran, dass Mike sich in Anwesenheit des Personals im Moment erst mal nicht dazu äußern will.

„Was bedeutet das, Ulli?” fahre ich meinen Pfleger wütend an, „Was genau willst du mir damit sagen, hä?” Blöderweise kann ich den Arsch nicht einschüchtern. „Das musst du schon Mister Shinoda fragen”, schmettert er mich cool ab, „Ihr beiden versteht euch doch so gut. Dein bester Freund wird dir unter Garantie alles erklären.” Damit ist das Thema für ihn erledigt. Auffordernd deutet Ulrich auf mein unberührtes Tablett. „Bitte iss jetzt endlich etwas, Bennington. Jedes Mal veranstaltest du das gleiche lächerliche Theater beim Essen. Wird dir das denn nicht langsam mal langweilig?” beschwert er sich ungeduldig. Darauf fällt mir so schnell nichts ein. Darum funkele ich ihn nur böse an. Einen Augenblick taxieren wir uns feindselig. Ulli seufzt betrübt. „Also gut, Chester. Wenn du es nicht anders willst...”, kündigt er leise drohend an. Seufzt nochmal. Holt Luft. „Jetzt hör mir bitte mal gut zu. Du darfst nicht eher zur Musiktherapie, bis dein Teller nicht wenigstens zur Hälfte leer ist. Hast du das verstanden, Chester Bennington?” setzt die Autoritätsperson fragwürdige Erziehungsmethoden ein.

Pfleger Ulrich lässt mir mal wieder keine Wahl. So übel das auch ist. Das Dümmste daran ist, dass er mich mit der ersten Therapiestunde erpresst, die sich zu meiner Verblüffung tatsächlich recht vielversprechend anhört. Shit, ich liebe nichts so sehr wie geile Musik! Vermisse die akustische Beschallung total, seit ich hier bin. Entschieden zu lange habe ich keinen Ton Musik mehr gehört. Außerdem möchte ich nur äußerst ungern den Besonderen enttäuschen. Irgendwas ist da nämlich im Gange. Was ich noch nicht überblicken kann.

Zwangsläufig nehme ich meine Plastikgabel vom Tablett. In die linke Hand. Drehe damit ein paar Spaghetti Napoli auf. Fange an zu essen. Die Nudeln sind lecker al dente. Aber mittlerweile ist das ganze Zeug höchstens noch lauwarm. Werde es Mike zuliebe trotzdem runterkriegen. Irgendwie. Sehe Ulrich grinsend an. Während ich übertrieben an meinem Mittagessen kaue. „Richtig so, Ulli?” provoziere ich ihn feixend, „Mache ich das gut genug?” Mein geplagter Pfleger verdreht die blauen Augen nach oben. Schenkt sich eine missbilligende Erwiderung. Stattdessen verlässt er endlich den Tisch. Natürlich wird der aufdringliche Wichser so lange in meiner Nähe bleiben, bis ich den verdammten Teller halb leergefuttert habe. Auch diesmal wird Ulrich meine Folgsamkeit überprüfen. Keine Chance ihn zu überlisten. Allein der Gedanke daran verursacht mir schon Übelkeit.

Missmutig werfe ich Shinoda einen Blick zu. Unsere Augen treffen sich sofort. Weil der Bärtige auch gerade zu mir hinsieht. Seine Augen sind so wundervoll scheu, dass ich ihn auf der Stelle zärtlich in den Arm nehmen will. „Was bedeutet das, Mike?” erkundige ich mich mit vollem Mund, „Welche ungewohnte Eigeninitiative hast du ergriffen? Was hat Ulli damit gemeint?” Mühsam kaue ich an den lauwarmen Nudeln mit Tomatensoße. Ich muss zugeben, dass sie recht gut schmecken. Habe aber trotzdem Schwierigkeiten mit dem Herunterschlucken. Möchte das ganze Zeug liebend gerne über den Tisch kotzen. Amüsiert fällt mir auf, dass sich in Shinodas dichtem, dunklem Bart während seiner überstürzten Nahrungsaufnahme noch mehr von der roten Soße eingefunden hat. Wusste noch gar nicht, dass der Süße so herrlich hemmungslos kleckern kann.

„Ach, Chaz... Das wollte ich dir eigentlich schon vorhin in meinem Zimmer sagen”, offenbart er mir geheimnisvoll, „Aber dann waren wir ja plötzlich so total... abgelenkt...” Schüchtern senkt er den Blick auf den Tisch. Seine hübschen, runden Wangen färben sich zart rosa. Weil es Mikey wahrhaftig peinlich ist, was wir in seiner Kammer Scharfes miteinander getrieben haben. Das ist so dermaßen zuckersüß, dass ich ihn dringend dafür küssen möchte. „Ja, das war hammergeil!” schwärme ich in der Erinnerung. Mike sieht mich aufhorchend an. „Ist das wahr? Stimmt das auch, Chester? Fandest du das wirklich geil mit mir?” will er ängstlich wissen. Ich verstehe nicht, wo seine Zweifel herkommen. Es kränkt mich, dass der Besondere so oft an meinen Gefühlen für ihn zweifelt.

Seine braunen Augen huschen alarmiert durch den großen Saal. Der Typ muss überprüfen, ob auch ja Niemand unser vertrauliches Gespräch belauscht. Aber die allgemeine Aufmerksamkeit hat sich längst wieder von uns abgewandt. Die Meisten sind inzwischen ohnehin mit dem Essen fertig. Viele Patienten haben den Speisesaal schon verlassen. Andere tragen noch ihre leeren Tabletts zu den Rollwagen. Die wenigen, die noch essen, sitzen weit genug weg und sind anderweitig beschäftigt. Keiner scheint sich noch für uns zu interessieren.

Mike richtet seine Augen zurück auf mich. „Du warst hinterher so abwesend, Chaz. Das hat mich beunruhigt. Ich habe das gar nicht verstanden”, flüstert er zurückhaltend. „Was war denn da los?" wispert er vorsichtig fragend. Prompt muss ich daran denken, wie wir nach unserem astronomischen Orgasmus noch eine ganze Weile zusammen in seinem Bett gelegen haben. Der Besondere hatte sich dicht an meine Seite gekuschelt. Sein stacheliger Kopf lag schwer auf meiner Brust. Mit seinem Finger hat er liebevoll in dem Sperma herum gewischt, das auf meinem Bauch gelandet war. Das hat sich gut angefühlt. Eigentlich war die Situation sehr angenehm. Aber ausgerechnet in diesem Moment tauchte die Dunkelheit in meinem Kopf auf. Verdrängte schlagartig jedes Gefühl der Behaglichkeit. Ohne das ich etwas dagegen tun konnte. Immer passiert das zu den blödesten Zeiten. Und jedes Mal bin ich völlig machtlos.

Unschlüssig sehe ich meinen Sitznachbarn an. Vielleicht sollte ich dem besorgten Patienten jetzt einfach davon erzählen, wie das manchmal bei mir abläuft. Wie mein Schädel sich von allein mit der ungeklärten Zukunft meiner Band füllt. Mit meinem in meiner Wohnung herumschnüffelnden Dad. Der meine Gedichte und Songtexte verspottet. Und mich ansonsten ignoriert. Meinem Leben zu Hause, auf das ich hier in der Psychiatrie keinen Einfluss mehr nehmen kann. Womöglich sollte ich mit Mike darüber reden, dass die Klarheit, dass in absehbarer Zeit alles um mich herum kaputtgehen wird, mich völlig verrückt macht. Weil ich so ein kranker Wichser bin. Der es nicht wert ist geliebt zu werden. Der in seinem Leben schon viel zu oft das hilflose Opfer war. Eventuell würde Shinoda sogar verstehen, dass ich zum Verrecken kein Opfer mehr sein will. Ich bin sicher, dass der Besondere mir aufmerksam zuhören würde. Aus irgendeinem Grund interessiert der fremde Halbjapaner sich brennend für mich. Es ist denkbar, dass ich mich nach so einem Gespräch mit ihm für kurze Zeit befreit fühlen würde.

Aber der Weg dahin ist furchterregend. Und verdammt mühsam. Denn das alles zieht mich total runter. Es tut weh, darüber zu sprechen. Allein die Gedanken daran schmerzen schon. Das will ich jetzt bestimmt nicht haben. Ich will mich nicht qualvoll damit auseinandersetzen. Im Gegenteil. Seit dieser Mist in meinem Kopf aufgetaucht ist, kämpfe ich verbissen dagegen an.

„Das tut mir leid, Mike”, rede ich hastig gegen meine böse Verwirrung an, „Ich habe das gar nicht gemerkt. Bitte glaub mir doch einfach, dass es toll mit dir war. Das war es nämlich. Du hast mich total umgehauen. Es ist fantastisch gewesen. Das ist es immer mit dir, ehrlich!” Fange nervös an zu husten. Obwohl ich ihn nicht anlüge. Greife nach der kleinen Flasche Mineralwasser auf meinem Tablett. Schraube die Flasche auf. Trinke gierig.

„Was ist das mit dieser Therapie?” wechsele ich panisch das Thema. Sehe mir erleichtert an, wie Mikes faszinierende Mandelaugen anfangen zu leuchten. Das tun sie jedes Mal, wenn er von etwas dermaßen begeistert ist. Und nichts scheint ihn mehr zu begeistern als Musik. „Ja, du, Chaz, ich habe mir da etwas überlegt. Wir könnten doch mal zusammen Musik machen. Was meinst du dazu?” fragt er mich sichtbar aufgeregt. Ich möchte ihn anbeten für die Tatsache, dass er meinem Themenwechsel klaglos gefolgt ist. Unweigerlich fängt mein Herz zu klopfen an. Weil plötzlich etwas unerwartet in meine Nähe rückt, das ich viel zu lange vermisst habe. „Zusammen Musik machen? Wie soll das gehen? Meinst du in der Therapie?” erforsche ich seine rätselhafte Aussage. Die mich unwillkürlich mehr fesselt, als ich mir eingestehen will. Shinoda lächelt sein schönstes Lächeln. „Ja, weißt du, wir haben gleich zusammen Musiktherapie. Und ich habe unsere Therapeutin gefragt, ob wir nicht zusammen was ausprobieren dürfen. Nur du und ich. Anstatt mit den anderen dieses langweilige Zeug mitmachen zu müssen.”

Verdutzt schaue ich ihn an. Vergesse prompt mein Mittagessen. Weil ich ehrlich nicht glauben kann, was ich da höre. Das ist überraschend aufregend. Meine Plastikgabel erstarrt in meiner Hand. „Was für langweiliges Zeug machen die anderen denn?” interessiert mich eigentlich nur am Rande. Der Bärtige macht spontan eine wegwerfende Handbewegung mit seinem Löffel. Wobei er ein paar Spritzer Soße über den Tisch kleckert. Was er gar nicht bemerkt. Weil ihn das Thema so einnimmt. „Ach, ich weiß nicht genau, Chester. Bisher habe ich ja gar nicht darauf geachtet, was in den vielen Therapien passiert. Weil es mir schnurzpiepegal war, weißt du? Ich glaube, die hören sich nur verschiedene Instrumente an. Und sprechen dann über ihre Gefühle beim Zuhören oder so was”, berichtet er mir geringschätzig. Mit einem warmen Bauch lächele ich ihn an. Ich bin so froh, dass dem Besonderen jetzt nicht mehr alles egal ist. Liebend gerne bilde ich mir ein, dass ich irgendwas damit zu tun habe. Dass ich ihn vielleicht wahrhaftig aufgeweckt habe. So wie er es behauptet hat. Aber ich denke mal, in Wahrheit hat er das ganz alleine geschafft. Ich bin so stolz auf Mister Shinoda, dass ich ihn dringend umarmen möchte. Ich will ihn küssen. Und seinen tollen Körper an mich drücken. Seine tröstliche Wärme spüren. Sehne mich enorm nach seiner Zuneigung.

Stattdessen wende ich mich meinem Tablett zu. Mein Pfleger hat mir deutlich klargemacht, dass ich mindestens die Hälfe der Nudeln runterwürgen muss. Sonst wird das nämlich sowieso alles nichts mit dem vielversprechenden Musikmachen. Ein prüfender Blick auf Ulli, der hinten bei den Rollwagen steht, bestätigt mir, dass mein Aufpasser mich aus der Ferne unverändert aufmerksam im Auge behält. Widerwillig schiebe ich mir eine weitere Gabel Spaghetti in den Mund.

„Und was hat die Therapeutin gesagt? Hat sie dir erlaubt, dass du mit mir was anderes machst?” erkundige ich mich kauend bei dem Halbjapaner. Ich frage mich, wann genau Mike mit dieser unbekannten Therapeutin gesprochen haben will. Davon habe ich nämlich gar nichts mitgekriegt. Es muss wohl irgendwann heute am frühen Morgen gewesen sein, überlege ich misstrauisch. Bevor wir uns beim Frühstück trafen. Ein anderer Zeitpunkt ist schlicht nicht möglich. Weil wir seit dem Frühstück nämlich ständig zusammen waren. Der Patient Shinoda hat erstaunliche Eigeninitiative gezeigt. Darüber muss ich spontan grinsen. Hastig schlinge ich ein paar Nudeln herunter. Schaue ihn gespannt an. Der Besondere sieht rundum zufrieden aus. Das gefällt mir. Ich mag das glückliche Leuchten in seinen Augen. Es macht ihn wundervoll lebendig. Sein Teller ist leer. Der Folgsame hat derweil tatsächlich alles aufgegessen. Langsam nimmt er seine Flasche vom Tablett. Trinkt ein paar Schlucke Wasser. Noch immer reizt es mich extrem, ihm die verkleckerte Soße aus dem faszinierend dichten Bart und vom geilen Mund abzuschlecken. Es fällt mir schwer, mich diesbezüglich zurückzuhalten.

„Ach, das war gar nicht so leicht, Chaz. Weißt du, unsere Musiktherapeutin ist ein bisschen seltsam. Zuerst war sie von meinem Vorschlag alles andere als begeistert. Sie meinte, ich dürfte mich auf keinen Fall von den anderen abgrenzen”, berichtet der frisch Engagierte mit spöttisch verdrehten Augen, „Aber als ich ihr dann nochmal richtig erklärt habe, dass ich mit dir zusammenarbeiten will, da hat sie ihre Meinung plötzlich geändert. Ich glaube, sie hat auch schon von deinem Gesang gehört und ist ziemlich neugierig auf dich, Chester. Naja, letztendlich hat sie uns jedenfalls erlaubt, in ihrer Therapiestunde ein bisschen musikalisch herumzutüfteln. Ist das nicht toll, Chester? Hast du denn überhaupt Lust mitzumachen?” Mit stolz strahlenden Augen wartet der halbe Japaner auf meine Reaktion. Ich bin gefesselt von seinem spürbaren Enthusiasmus für diese Sache. Mikeys Begeisterung ist ansteckend.

Wenn ich ehrlich bin, freue ich mich spontan tierisch darauf, zusammen mit diesem Mann musikalisch was machen zu dürfen. Ich liebe Musik. Sie allein hält mich am Leben. Hatte keine Ahnung, dass es an diesem tristen Ort so etwas wie Musik überhaupt gibt. Das wertet die geschlossene Psychiatrie in meinen Augen beileibe ein bisschen auf. Die vage Chance auf diese neue, kreative Erfahrung mit Mike Shinoda möchte ich mir auf keinen Fall verderben. Obwohl ich echt keinen Hunger habe, stopfe ich noch ein paar Spaghetti Napoli in mich rein. Trinke Wasser dazu. Damit sie leichter runterrutschen. Verfluche den riesigen Berg Nudeln. Der fast unverändert auf meinem Teller thront. Und zum Verrecken nicht weniger werden will.

„Mann, das ist super toll, Mikey! Selbstverständlich mache ich da mit. Das hast du super hingekriegt. Darauf freue ich mich schon”, nuschele ich mit vollem Mund. Auch diese Aussage ist keine Lüge. Kann es nicht erwarten, endlich mal wieder geile Musik zu hören. Akustische Rhythmen sind lebenswichtig für mich. Wenn es die Musik nicht gäbe, wäre ich definitiv schon lange tot. Shinoda beobachtet mich schmunzelnd. „Wenn ich auf dem Keyboard spiele, wirst du dann dazu für mich singen, Chester Bennington?” will er zaghaft wissen. Ohne mich anzusehen. Schüchtern wendet Mike sich seinem Schälchen mit Joghurt zu. Mit seinem Löffel löffelt er die weiße Milchspeise sorgfältig aus.

Genervt stelle ich fest, dass meine Flasche Wasser schon leer ist. Weil die Spaghetti so schlecht runterrutschen, muss ich dabei viel trinken. Nun bleibt mir nichts anderes übrig, als mit dem Kirschsaft weiterzumachen. Obwohl ich eigentlich kein Freund von Kirschsaft bin. Fummele den Plastikstrohhalm aus der Verpackung. Steche den Halm in das Tetrapack. Sauge den sauren Saft raus. Dann esse ich wieder Spaghetti. Ich habe das unangenehme Gefühl mich beeilen zu müssen. Mittlerweile ist der Speisesaal schon beinahe leer. Die allermeisten Patienten haben ihr Mittagessen beendet und sind hinausgegangen. Plötzlich wünschte ich, ich hätte früher mit dem Essen angefangen. Dann müsste ich nämlich das lauwarme Gericht jetzt nicht so nervig hastig runterschlingen.

Ulli befindet sich noch im Raum. An der seitlichen Wand des Saales. Mein Überwacher unterhält sich angeregt mit einem anderen Pfleger. Der neben ihm an den Rollwagen steht. Die beiden Männer tragen exakt die gleichen, tödlich langweiligen, schneeweißen Klamotten. Stil ist was anderes, denke ich spöttisch abwertend. Mike folgt interessiert meinem geringschätzigen Blick. Der Stachelkopf registriert genau wie ich, dass Ulrich erstaunlicherweise gerade abgelenkt ist. Fieberhaft grübele ich darüber nach, wie ich die verhassten Spaghetti Napoli schnellstmöglich loswerden kann. Ohne sie aufessen zu müssen. Meine Augen huschen hektisch durch die nähere Umgebung. Auf der Suche nach irgendeiner Lösung. Blöderweise gibt es keinen Papierkorb hier. Keine Mülleimer oder Blumenkübel oder irgendwas. In das ich den Inhalt meines Tellers schütten könnte. Die verdammten Fenster lassen sich nicht öffnen. Also kann ich mein Mittagessen nicht hinauswerfen. Auch existiert kein Haustier in der Psychiatrie. Das ich mit den Nudeln füttern könnte. Kein verfressener Hund in Sicht. Wenn ich die Spaghetti einfach unter den Tisch auf den Boden auskippe, würde Ulrich das unter Garantie bemerken. Der Kerl würde sich über die Schweinerei nur gewaltig aufregen. Der würde es sogar fertigbringen, mir sofort eine neue Portion zu besorgen. Einfach meinen Teller zu schnappen, hinauszugehen und das Zeug in irgendeiner Toilette in der Nähe zu entsorgen geht auch nicht. Natürlich würde Ulli mich sofort argwöhnisch fragen, wo ich denn bitteschön mit meinem Mittagessen hinwill. Die Schlinge um meinem Hals wird enger. Langsam gehen mir die Optionen aus.

„Fuck!” entfährt es mir mega gestresst, „Verdammter Mist!” Der Bartträger neben mir zuckt verschreckt zusammen. Ziemlich besorgt sieht er mich an. „Was ist denn los, Chester Bennington?” erkundigt er sich vorsichtig. Seine schöne Stimme klingt behutsam. Mike Shinoda ist verständnisvoll. Er hat Geduld mit mir. Was ich eigentlich gar nicht kapiere. „Mann, das tut mir leid, Mike! Ich habe das ehrlich versucht. Aber ich schaff das einfach nicht, weißt du?” jammere ich impulsiv los. Verzweifelt halte ich mich mit meinen verwirrten Augen an seinem wunderschönen Gesicht fest. Shinoda zieht irritiert die breiten Brauen zusammen. Ich bin verflixt nahe daran ihn auf die Stirn zu küssen. „Was schaffst du nicht?” fragt er leise. Ein tiefes Seufzen entringt sich meiner Kehle. „Ich kriege die verfluchten Spaghetti nicht schnell genug runter”, gestehe ich ihm geknickt, „Ulli wird mich nicht zur Therapie lassen, solange mein Teller nicht mindestens halb leer ist. Es tut mir leid, wenn wir deshalb keine Musik machen können, Mikey. Ich wünschte ich könnte das schaffen. Aber ich kann nicht so viel essen. Und schon gar nicht so schnell. Ich muss schon jetzt fast kotzen. Mein Magen macht da nicht mit. Tut mir leid. Ich hab mir ehrlich Mühe gegeben.” Vor lauter Frust könnte ich glatt anfangen zu heulen.

In den braunen Augen des Gutmütigen erscheint ein warmer Glanz. Gerührt lächelt er mich an. Wirft einen flüchtigen Blick auf meinen Teller. „Du hast doch schon jede Menge gegessen, Chaz”, beruhigt Mike mich sanft. Frustriert sehe ich mir mein Essen an. Für mich sieht es so aus, als hätte ich die Nudeln mit Tomatensoße kaum angerührt. Mein Magen rebelliert. Heftig. Die Zeit läuft mir davon. Bestimmt hat die Musiktherapie längst angefangen. Mal wieder habe ich kläglich versagt. Alle enttäuscht. Keinen Schimmer, was ich jetzt machen soll.

„Okay, mach dir keine Sorgen, Chester. Ich helfe dir”, höre ich die zärtliche Stimme neben mir. Der vertraute Klang verursacht mir unwillkürlich eine wohlige Gänsehaut. In einer schnellen Bewegung nimmt Shinoda seine Gabel. Beugt sich zu mir. Dreht geschickt ein paar von meinen Spaghettis auf. Nur zwei Sekunden später steckt er die Gabel in den Mund. Mein Herz beginnt ein unsinniges Hämmern. Weil es so fantastisch ist, was hier passiert. So komplett unerwartet. Der schwarze Stachelkopf überrascht mich.

Ein hastiger Kontrollblick bestätigt mir, dass Ulli noch immer in das Gespräch mit seinem Kollegen vertieft ist. Diese Ablenkung ist höchst willkommen. Während mein Mitpatient aufmerksam meinen Pfleger beobachtet, hilft er mir wahrhaftig dabei, den viel zu umfangreichen Teller zu leeren. Dafür möchte ich Mike Shinoda dringend küssen. Endgültig. Ich will über seine zarte, samtige Haut streicheln. Möchte gar nicht mehr damit aufhören ihn gründlich abzulecken. „Natürlich singe ich für dich, Mikey”, verspreche ich ihm völlig hingerissen, „Ich werde immer und überall für dich singen.” Der hilfsbereite Bartträger lächelt zufrieden. Während er überraschend schnell kaut. Der California-Boy klaut sich noch mehr von meinem Mittagessen. Von mir aus kann er liebend gerne alles haben. „Danke, Mike Shinoda. Mensch... du bist so lieb zu mir...”, bedanke ich mich bewegt. Sein Lächeln wird noch wärmer. „Ist schon gut, Chester. Ich weiß doch, dass du eigentlich gar keinen Hunger hast, nicht wahr?” neckt er mich ein bisschen. „Danke, Mann!” wiederhole ich eindringlich. Kann ihm gar nicht genug danken. Meine es todernst.

Als Ulrich wenig später wieder zu uns hinsieht, ist mein Teller wahrhaftig so gut wie geleert. Ich bin heilfroh, dass ich das mit Michaels Hilfe überhaupt geschafft habe. Die zahlreichen Spaghetti und die pappige Tomatensoße rumpeln unangenehm schwer in meinem Bauch. Der Besondere sitzt harmlos neben mir. Derweil ich brav meinen Joghurt auslöffele, trinkt er seinen Kirschsaft leer. Ulli sieht überrascht aus, als er langsam zu unserem Tisch kommt. Sein Blick liegt erstaunt auf meinem Tablett. Jetzt kann er aber wirklich nicht mehr meckern, denke ich angefressen. „Na, siehst du! Es geht doch, Bennington!” bemerkt mein Pfleger anerkennend. Bleibt an unserem Tisch stehen. „Warum machst du denn jedes Mal so einen Aufstand, wenn du etwas essen sollst, hm? Du bist doch kein Kleinkind mehr, Chester. Das ist doch total unnötig!”

„Ich muss jetzt mal was bemängeln, Ulli”, gehe ich nicht auf seine dämliche Stichelei ein, „Hör mal, ihr könnt uns doch unmöglich Spaghetti Napoli vorsetzen und dann keine Servietten dazulegen! Was soll das denn? Sollen wir uns vielleicht gegenseitig die Soße aus dem Gesicht lecken, oder was?” Vorwurfsvoll durchbohrt mein Blick meinen verblüfften Pfleger. Mit einigem Amüsement bemerke ich, dass Mikes Finger prompt verunsichert an sein rundes Gesicht hasten. Prüfend fährt der Stachelige sich mit den Fingern durch seinen brünetten Bart. Akribisch überprüft er seine vollen Lippen. Sichtbar entsetzt registriert er die Tomatensoße, die daraufhin an seinen Fingern klebt. Das ist ihm ganz schön peinlich. Dass er sich beim Essen unbemerkt bekleckert hat. Natürlich wird der Scheue vor Verlegenheit rot. Was ich total zauberhaft finde. Fasziniert beobachte ich ihn. Hektisch bemüht er sich, die Sauerei in seinem Gesicht mit den Fingern zu beseitigen. Den ganzen Tag lang könnte ich Mikey dabei zusehen, wie er seine eigenen Finger ableckt. Der junge Mann säubert sich mit so viel Hingabe. Das erregt mich enorm. Wie gründlich er das macht. Einen Moment lang bin ich davon komplett abgelenkt.

„Okay, Chester, ich werde deine Beschwerde an die Küche weitergeben”, lenkt Ulrich ein, während er Shinoda irritiert beobachtet. „Und was sollen wir jetzt machen?” gebe ich nicht so leicht auf, „Wir sind doch total beschmiert. Spaghetti Napoli kann man nun mal nicht anders essen. Wir brauchen eine Serviette, Ulli!” Auffordernd taxiere ich ihn. Der Pfleger guckt sich unschlüssig im Speisesaal um. Als könnte er dort irgendwo eine Lösung für uns finden. Es wundert mich wirklich, dass die anderen Patienten das noch nicht bemängelt haben. Offenbar brauchen die beim Essen alle kein Tuch zum Abwischen. Obwohl es eigentlich selbstverständlich sein sollte, dass man eins bekommt, finde ich.

Seufzend greift mein überforderter Pfleger in die hintere Tasche seiner weißen Stoffhose. Zu meiner Überraschung holt er eine Packung Papiertaschentücher hervor. Ulrich öffnet die Packung. Rupft ein Tuch heraus und reicht es Mike. Der es freundlich dankend entgegennimmt. Gleich darauf bekomme ich auch ein weißes Taschentuch von Ulrich überreicht. Siegesgewiss feixend nehme ich es an. Der Bedienstete der Psychiatrie scheint ein wenig verärgert zu sein. Vielleicht wurmt es ihn, wie recht ich mit meiner Beschwerde habe. Ungeduldig guckt der Pfleger dabei zu, wie die beiden Patienten sich ausführlich die Gesichter und die Finger säubern. Als wir fertig sind, verschwinden die benutzten Papiertaschentücher in den vorderen Taschen unserer Jeans. „Siehst du noch was, Chaz?” fragt Mike mich. Leicht drehend präsentiert er mir sein wunderschönes Antlitz. Das ich jetzt echt gerne voller Hingabe streicheln möchte. Mit meinen sauberen Fingern will ich durch seinen tollen, dichten Bart kraulen. Mit meinen abgewischten Lippen dringend seinen roten Mund küssen. Mike Shinoda kann ganz hervorragend küssen. Das hat er mir erst vorhin in seinem Zimmer eindrucksvoll demonstriert. Sehne mich wie bekloppt nach seinem Kuss. Der Spezialist hat die ganze verirrte Tomatensoße von sich entfernt. Darum schüttele ich den Kopf. „Du bist blitzsauber, Mikey. Und bei mir?” zeige ich ihm lächelnd meine Visage. Der Besondere aus Agoura Hills erwidert mein Lächeln liebevoll. Dankbar. Voller Zuneigung. Ich bin haarscharf davor ihn zu küssen. „Nein, Chaz. Bei dir ist auch alles okay”, versichert er mir belustigt.

„So, dann ist das ja auch endlich geklärt”, meldet Ulli sich mit leichtem Spott. „Bringt jetzt bitte schnell eure Tabletts zu den Rollwagen, Jungs. Danach begleite ich euch beide zur Therapie. Wegen Benningtons kindischen Spielchen seit ihr schon wieder spät dran”, treibt mein Pfleger uns vorwurfsvoll an. Diesmal gehorchen wir dem lästigen Entscheidungsträger sofort. Mike und ich springen förmlich auf. Schnappen uns unsere Tabletts. Tragen sie wie verlangt schnell zu den Wagen. Als wäre das ein Wettlauf. Dabei amüsieren wir uns königlich. Blinzeln uns verschwörerisch an. Weil wir beide heute aufregende Spielchen gespielt haben. Von denen Ulli nichts weiß. Weil wir beide unbedingt zu dieser rätselhaften Musiktherapie wollen. Es ist das erste Mal, dass ich mich hier in der Psychiatrie auf eine Pflichtveranstaltung freue. Wenn es mit Mike Shinoda und Musik zusammenhängt, dann kann es gar nicht schlecht sein.

13. Keep my distance from your lies


Michael Kenji Shinoda

Mann, das war gar nicht so einfach, die Therapeutin davon zu überzeugen, dass sie mich in ihrer Stunde etwas Eigenes machen lässt. Die hat mich angeguckt, als hätte ich ihr einen unsittlichen Antrag gemacht. Nun gut, immerhin hatte ich vorher noch nie etwas zu ihr gesagt. Und dann gleich so was. Allein schon, dass ich sie plötzlich außerhalb der Therapiezeit aufgesucht habe. Das hat die wirklich aus der Fassung gebracht. Am Anfang hat sie meinen Wunsch kategorisch abgelehnt. Aber ich habe nicht aufgegeben und weiter auf sie eingeredet. Immer neue Argumente vorgebracht. Zum ersten Mal seit ewigen Zeiten habe ich mich für etwas engagiert. Und sofort bei was echt Schwierigem. Das hat sich überraschend gut angefühlt. Vielleicht, weil es mir so wichtig ist. Weil ich so gigantisch scharf drauf bin, mit Chester zu musizieren. Die Aufgabe, das möglich zu machen, war zweifellos eine harte Nuss. Ich bin richtig stolz auf mich. Dass ich es trotzdem geschafft habe. Das ist ein großer Sieg für mich. Eine befriedigende Genugtuung.

Auf dem langen Weg vom Speisesaal zu der ersten Veranstaltung hier, auf die ich mich freue, muss ich daran denken, wie das bisher mit Abigail gewesen ist. Die Leiterin der Musiktherapie und ich haben uns seit der ersten Begegnung nie gut verstanden. Ich gebe zu, dass das wohl hauptsächlich meine Schuld ist. Wenn ich ein Pflichtevent benennen müsste, das mich von all den Behandlungen in der geschlossenen Psychiatrie von Anfang an am meisten gestört hat, dann würde ich ohne zu zögern die Musiktherapie erwähnen. Hätte ich noch etwas gefühlt, dann wäre mir diese Stunde garantiert zuwider gewesen. Denn die Musiktherapie war regelmäßig die Zeit, in der ich am wenigsten in Ruhe gelassen wurde.

Das mag daran liegen, weil die Psychologen seit Beginn meines Aufenthalts hier in die Musik ihre größten Hoffnungen setzten, mich irgendwie aus der Reserve locken zu können. Jemand wird ihnen von meiner Leidenschaft für Musik erzählt haben. Vielleicht waren es sogar meine Eltern. Die Fachleute haben anscheinend geglaubt, dass sie mich mit Hilfe der Musik am einfachsten erreichen könnten. Diese Aufgabe fiel naturgemäß der Musiktherapeutin zu. Die sich sofort mit Feuereifer ans Werk machte, mir auf die Nerven zu gehen. Womöglich hat sie mich sogar als ihren wichtigsten Auftrag angesehen. Eine lohnende Herausforderung, die sie unbedingt meistern wollte. Ich sollte ihr erstes großes Erfolgserlebnis werden. Kann schon sein.

Bis heute war mir das allerdings nicht bewusst. Und es hat mich auch nie interessiert. Trotzdem ist mir zwangsläufig aufgefallen, dass Abigail während ihrer Therapie unaufhörlich auf mich eingeredet hat. Die penetrante Frau hat sich pausenlos in meine fest verschlossene Wahrnehmung gedrängt. Und damit extrem unangenehm an meiner sicheren Gleichgültigkeit gekratzt. „Hör dir das an, Mike! Erkennst du die Oktaven? Was meinst du dazu? Hörst du das? Welche Tonlage ist das? Sagen dir diese Noten etwas? Was empfindest du dabei? Was macht die Musik mit dir? Erinnerst du dich an diesen Klang? Willst du dich nicht ans Klavier setzen? Spielst du uns etwas vor? Versuche das doch mal! Stell dich vor das Keyboard! Nimm dir die Gitarre! Spiele einfach drauflos! Ich weiß doch, wie gut du das kannst, Mike Shinoda!”

Leider war die Therapeutin zu dieser Zeit die einzige, die von meinen angeblich so guten musikalischen Kenntnissen etwas wusste. Als ich hierherkam, hatte ich zu Musik schon viel zu lange keinerlei Bezug mehr. Darum habe ich Abigail nie auch nur eine einzige Frage beantwortet. Und natürlich habe ich niemals einen Akkord für sie gespielt. Ich fürchte, dass Abi nicht gut auf mich zu sprechen ist, weil sie es trotz all ihrer Mühen nie geschafft hat zu mir durchzudringen. Möglicherweise hat sie meine apathische Verweigerung sogar persönlich genommen. Unser Verhältnis ist ohne Frage ziemlich angespannt. Ich vermute, dass die Therapeutin mich im Laufe der Zeit als trotzig und verstockt abgestempelt hat. Obwohl das nun wirklich nicht stimmt. Die Wahrheit ist, dass ich mental gar nicht anwesend war. Also konnte ich auf meine Umwelt nicht reagieren. Ich bin nicht trotzig gewesen. Sondern einfach nur nicht da. Abigail hat bis heute nicht kapiert, dass die Musik mir so egal war wie alles andere auch. Auch diese Erinnerung war aus meinem Gedächtnis gelöscht.

Erst seit Chester sich mit seiner herausragenden Stimme in meine Seele gesungen hat, ist mein emotionaler Leerlauf endlich vorbei. Mein Mann hat mich abrupt wiedererweckt. Inzwischen bin ich unglaublich froh darüber. Es ist total aufregend, was allein in den letzten Stunden mit mir passiert ist. Was zwischen Chester und mir alles möglich ist. Das hätte ich niemals erwartet. So viele neue Erfahrungen habe ich in so kurzer Zeit noch nie gemacht. Seit Chester mich ausgerechnet in der Sporthalle daran erinnert hat, dass Musik einmal eine enorm tragende Rolle in meinem Leben gespielt hat, habe ich pausenlos daran denken müssen. Das hat mir keine Ruhe mehr gelassen. Ich bin so scharf drauf, wieder Musik zu machen. Vermisse die verschiedenen Klänge. Das stundenlange Herumtüfteln und Ausprobieren. Wie aus den einzelnen Tönen und Texten langsam ein Song entsteht. Das beglückt mich.

Es ist fantastisch, wie der fremde Patient mich immer wieder an etwas erinnert, das ich sehr lange verloren hatte. Ich glaube, dass Chaz das völlig unabsichtlich macht. Mit seiner Neugierde und seinen Erzählungen beschwört er wie nebenher diese Bilder aus der Vergangenheit in mir herauf. Bei der Musik ist es besonders heftig. Das war wie ein Donnerschlag. Vielleicht, weil für Chester und mich Musik so wichtig ist. Ich spüre deutlich, dass wir zusammen was echt Tolles auf die Beine stellen können. Wenn man uns hier in der Psychiatrie nur genug Zeit lassen würde, um daran zu arbeiten. Aber ich fürchte, das werden sie nicht. Ohne Aufsicht dürfen Patienten das Musikzimmer ja noch nicht einmal betreten. Darum muss ich jede Minute, die man uns gewährt, doppelt ausnutzen.

Ich möchte wissen, ob Chester genauso fühlt. Ob er wie ich daran glaubt, dass wir gemeinsam was Besonderes erschaffen können. Aber ich weiß es nicht. Keine Ahnung, wie der Sänger darüber denkt. Vielleicht würde er mich auch nur auslachen. Darum frage ich ihn lieber nicht danach. Denn schließlich haben wir noch nie zusammen Musik gemacht. Ich kann gar nicht wissen, ob das überhaupt gutgeht. Unsere beiden Bands zu Hause sind ja genaugenommen nicht mal ähnlich. Grey Daze machen Post Grunge. Und Xero fabrizieren so ziemlich alles andere als das. Vielleicht kann Chester mit meinem Rap gar nichts anfangen. Womöglich mag er Hip-Hop nicht einmal.

Je mehr ich darüber nachdenke, umso unruhiger werde ich. Leichte Zweifel steigen in mir auf, ob meine impulsive Idee richtig war. Ob es überhaupt klug von mir war, so hartnäckig dafür zu kämpfen. Ob da tatsächlich was Großes bei rauskommen kann, wenn Chester Bennington und ich zusammen Songs austüfteln. Oder ob das alles nicht vielleicht ein Riesenreinfall werden wird. Immerhin kenne ich den Sänger aus Phoenix kaum. Ich habe keine Ahnung, wie er an Musik herangeht. Außerdem habe ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr am Keyboard gesessen. Es ist gut möglich, dass ich gar nicht mehr spielen kann. Vielleicht habe ich mich mit meiner unüberlegten Eigeninitiative schon jetzt zum Gespött der Psychiatrie gemacht. Das gefällt mir nicht. Meine Gedanken fangen an, in die falsche Richtung zu laufen. Meine Vorfreude verwandelt sich in bedrohliches Unwohlsein. Knallharter Pessimismus schlägt zu. So etwas kenne ich eigentlich gar nicht von mir. Und doch bin ich derzeit machtlos dagegen. Es gibt zu viele unbekannte Variablen.

Auf dem Weg zum Musikzimmer, wo die Musiktherapie gewöhnlich stattfindet, fängt mein Herz vor Nervosität an, härter zu schlagen. Pfleger Ulrich begleitet Chester und mich wahrhaftig quer durch die geschlossene Psychiatrie. Als ob ich mich an diesem Ort nicht mittlerweile allein zurechtfinden würde. Ich habe nie verstanden, warum sich das Musikzimmer so weit abgelegen im Keller des Gebäudekomplexes befindet. Der Raum ist sogar schalldicht ausgekleidet worden. Als würde es da drin besonders laut werden. Dabei ist es das in meinem Beisein nie geworden. Nicht mal ansatzweise.

Jedenfalls ist die Strecke vom Mittagessen bis zur Therapie ziemlich lang. Was für mich im Moment entschieden zu viel Zeit zum Nachdenken bedeutet. Es macht mich verrückt, dass ich nicht richtig einschätzen kann, was jetzt gleich auf mich zukommt. Mich beschleicht das frustrierende Gefühl, diese Sache in meiner ersten Euphorie eventuell nicht gründlich genug durchdacht zu haben. Was ist, wenn Chester den Song nicht mag, den ich spontan für uns ausgewählt habe? Oder wenn ich mit der Musik, die er vielleicht vorschlägt, gar nicht umgehen kann? Wenn wir uns schon am Anfang nicht einigen können? Oder total unterschiedliche Gewohnheiten haben, mit Klängen zu arbeiten? Wenn ich vor dem Keyboard sitze und keinen Ton mehr spielen kann? Wenn mir plötzlich kein einziger Song mehr einfällt?

Unglücklich sehe ich den jungen Mann an, der direkt neben mir herläuft. Schon seit wir unseren Tisch im Speisesaal verlassen haben, bleibt Chester auffällig dicht an meiner Seite. Der Typ ist mir so nah, dass unsere Schultern sich berühren. Sein linker Arm reibt beim Laufen gegen meinen rechten. Die ganze Zeit achtet er kaum darauf, wo er hinläuft. Stattdessen betrachtet er mich. Sieht mich neugierig von der Seite an. Studiert aufmerksam meine Mimik. Sein hübsches Gesicht ist so dicht an meinem, dass seine Lippen fast schon meine Haut berühren. Ich kann tatsächlich seinen Atem auf meiner bärtigen Wange spüren. Das erregt mich total. Dieser federleichte Hauch gegen meinen Bart. Wenn Chester ausatmet. Meine Härchen stellen sich auf. Als ich unwillkürlich wohlig erschaudere.

Prompt muss ich daran denken, wie geil es vorhin in meinem Zimmer zwischen uns gewesen ist. Wie unglaublich nahe wir uns waren. Vor meinem Kleiderschrank. Auf meinem Bett. Der fremde Patient und ich. Wie ich seinen nackten Körper angesehen und gefühlt habe. Wie er durch mich seinen Orgasmus erreichte. Und ich meinen durch ihn. Wie wir mit der Zeit völlig abgedreht sind. Welche enorm erregende Rolle ich gespielt habe. Allein für ihn. Mike Shinoda, der Domina-Daddy. Das ist völlig absurd. Chester schafft es, dass ich sämtliche Grenzen überschreite. Total hemmungslos werde. Das hätte ich niemals für möglich gehalten. Ich glaube, dass Chaz seitdem auch diese erotischen Bilder im Kopf hat. Darum hat er noch immer das schmeichelhafte Bedürfnis, mir so nahe wie möglich zu sein. Vielleicht hat unser jüngstes sexuelles Abenteuer ihn genauso nachhaltig beeindruckt wie mich. Zweifellos war das was ganz Besonderes. Davon möchte ich noch sehr viel mehr.

Aber nicht jetzt sofort. Zuerst muss ich mal die Musiktherapie überstehen. So schadlos wie irgend möglich. Mittlerweile zweifel ich stark daran, dass mir das gelingen wird. Dass überhaupt irgendwas so funktionieren wird, wie ich es mir vorgestellt und der Therapeutin Abigail beschrieben habe. Als ich sie unnachgiebig darum gebeten habe, mir in ihrer Stunde freie Hand zu lassen. Jetzt wünschte ich fast schon, ich hätte einfach meinen Mund gehalten. Das Risiko, dass etwas schiefgeht und ich mich tödlich blamiere, erscheint mir einfach zu groß.

Während wir dicht nebeneinander herlaufen, betrachte ich Mister Bennington. Abschätzend. Nachdenklich. Und hingerissen. Unweigerlich. Mann, dieser Kerl ist so wunderschön. Seine seidigen Dreadlocks bewegen sich mit jedem seiner kräftigen Schritte. Sie wippen anmutig auf seinen Schultern. Ich muss daran denken, wie brutal ich an ihnen gezerrt habe. Und wie sehr uns beide das erregt hat. Unsere Blicke bleiben aneinander kleben. Einvernehmlich. Ich weiß genau woran er denkt. Seine braunen Augen hinter der Brille zwinkern verschwörerisch. Sein schöner Mund ist ein frivoles Lächeln. Das treibt mir die Röte ins Gesicht. Ich habe das alarmierende Gefühl, dass der Kerl mich gleich küssen wird. Das dauert nicht mehr lange. Schon die ganze Zeit scheint er es ernsthaft in Erwägung zu ziehen.

Nervös schaue ich an Chester vorbei zu Ulli hin. Der weißgekleidete Pfleger läuft an Chesters anderen Seite. Die endlos scheinenden Flure entlang. Ulrich geht zügig. Mit raschen, ausholenden Schritten. Als wollte der Bedienstete es schnell hinter sich bringen. Oder hätte eigentlich gar keine Zeit, uns zur Musiktherapie zu bringen. Von mir aus müsste er das nicht tun. Ich würde den Weg auch ohne seine Führung finden. Aber natürlich will Ulli sichergehen, dass Bennington und ich da auch ankommen. Schließlich liegt es in seiner Verantwortung, dass Chaz die Musiktherapie mitmacht. Außerdem sind wir laut seiner Aussage wegen Chesters Albernheiten im Speisesaal spät dran. Also müssen wir uns beeilen. Argwöhnisch behält der Angestellte der Psychiatrie die beiden unartigen Patienten im Auge. Als unsere Blicke sich treffen, verzieht Ulli geringschätzig das Gesicht. Verdreht die Augen in Chesters Richtung. Ulrich scheint es nicht zu gefallen, dass der Tätowierte mir so dicht auf der Pelle hängt. Sicher findet er das total unangebracht. Und vielleicht hat der Pfleger sogar recht damit. Immerhin befinden Chaz und ich uns nicht mehr allein in meinem Zimmer. Unsere intime Vertrautheit könnte auf andere Patienten oder Pflegekräfte verstörend wirken. Außerdem ist jede Form der sexuellen Annäherung in der geschlossenen Psychiatrie streng verboten.

Eigentlich müsste ich den aufdringlichen Sänger mal langsam anschnauzen. Ihn wütend von mir wegstoßen. Ihm ärgerlich einhämmern, dass er mich gefälligst in Ruhe lassen soll. Das habe ich doch sonst immer gemacht. Wenn es mir mit ihm zu viel wurde. Oder? Aber wird mir seine körperliche Nähe denn überhaupt noch zu viel? Oder genieße ich es nicht eher, meinen geliebten Menschen unmittelbar neben mir zu spüren? Möchte ich nicht insgeheim, dass er mich endlich küsst? Will ich nicht dringend von ihm angefasst werden? Kann Chester Bennington aus Phoenix, Arizona mir denn überhaupt noch zu viel werden? Nein. Ich glaube nicht. Dieser Gedanke verwirrt mich.

„Was ist los, Mikey? Woran denkst du denn?” flüstert Chester ganz dicht an meinem Ohr. Seine schöne Stimme klingt besorgt. Seine Augen erforschen mein Gesicht. Auf der Suche nach einer Antwort. Natürlich merkt er mir an, dass meine Gedanken langsam durchdrehen. Der Typ kann mir meine steigende Nervosität ansehen. Wie immer ist er rührend aufmerksam. Wenn Chester bei mir ist, entgeht ihm rein gar nichts. Bevor mir eine Erwiderung einfällt, berührt seine Zungenspitze meine Ohrmuschel. Sodass ich verschreckt zusammenzucke. „Hör auf zu grübeln, mein Sorgen-Mikey”, will er mich sanft beruhigen, „Das wird total geil mit uns.” Angesichts des hemmungslosen Sex, den wir vorhin erst in meinem Zimmer hatten, klingt seine Aussage alarmierend zweideutig. Darum reiße ich impulsiv die Augen auf. Starre ihn erschrocken an. Chester sieht prompt zufrieden aus. Es gefällt ihm, wie schockiert ich bin. Seine dunklen Augen leuchten höchst belustigt hinter der Brille. Meine Reaktion ist genau das, was Chester-Boy beabsichtigt hat.

„Das wird geil. So richtig geil, Shinoda”, wispert er provozierend. Der ausgelassene Typ zwinkert frivol. Wackelt neckisch mit dem Kopf. Leckt sich aufreizend über die Lippen. Berührt sich selbst auf eine ziemlich schlüpfrige Art. Mister Bennington erinnert mich mit all seinen derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln daran, wie sexuell intim wir vor Kurzem miteinander waren. Amüsiert darüber, wie entgeistert ich ihn anstarre, stößt er ein begeistertes Kichern aus. Chester hebt den Arm. Will ihn mir tröstend um die Schultern legen. Er beugt sich noch näher zu mir. Um mich zu küssen. Seine Lippen spitzen sich. Es gibt keinen Zweifel mehr daran, dass Chazy Chaz mich küssen will. Mitten auf den Mund. Mit Zunge. Ich bin drauf und dran ihm entgegenzukommen. Es ist erschreckend, wie dringend ich das plötzlich will. Obwohl mein alarmierter Kopf mir laut warnend rät, dem Kerl so schnell wie möglich auszuweichen. Immerhin ist doch der Pfleger direkt neben uns. Beobachtet uns die ganze Zeit. Missbilligend.

Vor lauter Verwirrung darüber, bleibe ich abrupt stehen. Mein Herz klopft wie verrückt. Ich versuche mich zu orientieren. Um mich abzulenken. Ich kenne diesen Flur. Von hier aus ist nicht mehr allzu weit bis zum Musikzimmer. Das macht mich echt nervös. Ich bin so plötzlich und unerwartet stehengeblieben, dass Chester und Ulrich noch drei Schritte weitergelaufen sind. Erst mit Verzögerung halten sie an. Chester dreht sich lächelnd zu mir um. Kokett tänzelnd kommt mein Mann zu mir zurück. „Mach dir keine Sorgen, Mikey”, singt er liebevoll für mich, „Das wird total geil.” Seine Augen leuchten erwartungsvoll. Zweifellos hat er sein freches Vorhaben, mich direkt vor Ullis Augen zu küssen, noch nicht aufgegeben.

Der Pfleger beobachtet den dreisten Patienten mit gestresster Miene. Offenbar ahnt er, was Bennington tun will. Bevor Chester mir zu Nahe kommen kann, eilt Ulli schon zu ihm. Packt den Sänger jäh herbe am Oberarm. Zieht ihn so ruckartig von mir weg, dass Chester ins Stolpern gerät. „Kannst du nicht mal fünf Minuten deine Zunge bei dir behalten, Bennington?” schnauzt Ulrich seinen Schützling genervt an, „Jetzt lass Mike doch um Himmels Willen endlich mal in Ruhe!” Der aufgebrachte Angestellte schüttelt mit festem Griff Chesters tätowierten Arm hin und her. Das gefällt Chester nicht. Wahrscheinlich tut es ihm sogar weh. Darum will er seinen Arm aus Ulrichs starren Fingern ziehen. Schafft es aber nicht. Der Patient sieht seinen Aufpasser verständnislos an. „Jemand muss sich doch um Mike kümmern, oder? Sieh ihn dir doch an, Ulli! Es geht ihm nicht gut. Ich muss Mikey dringend aufmuntern”, beteuert er treuherzig. Ullis blaue Augen richten sich sofort abschätzend auf mich. Er will Chesters Feststellung wahrhaftig überprüfen. Das ist mir total unangenehm. Ich mag es nicht, wie schwach Chester mich dargestellt hat. Als wäre ich ein Problemfall. Um den man sich kümmern muss.

Ablehnend hebe ich die Hände. Schüttele entschieden den Kopf. „Nein... nicht, Chaz...”, stottere ich ungehalten. „Na, was du unter Aufmunterung verstehst, kann ich mir gut vorstellen, Bennington!” ergreift Ulli abfällig das Wort. Ohne zu erklären, was er damit konkret meint. Aber Chester hat ihm gar nicht zugehört. Sein Blick liegt fragend auf mir. In seinen Zügen taucht Verunsicherung auf. Da ist eine Traurigkeit, die mir sofort leidtut. Im Grunde ist Chester ja nur lieb zu mir. Ich weiß auch nicht, warum ich da im Moment nicht gut mit umgehen kann. Wahrscheinlich habe ich einfach zu viel Angst vor der Musiktherapie. Was fraglos total idiotisch von mir ist. „Das wird geil, Mike”, flüstert der Sänger noch einmal. Als wollte er mich beschwören, mir keine Sorgen mehr zu machen. „Chester...”, erwidere ich ratlos. Schüttele nochmal den Kopf. Ohne zu wissen, was das Kopfschütteln bedeuten soll.

Trotzdem scheint es den Arizona-Boy zu kränken. Seine braunen Augen hinter der Brille verengen sich. Als hätte ich ihn vor den Kopf geschlagen. Was ich ehrlich nicht tun wollte. Ulrich stößt ein Lachen aus, das irgendwo zwischen Wut und Spott liegt. Noch immer hat er Chesters Oberarm fest gepackt. Zerrt unverändert brutal daran herum. „Du kannst es einfach nicht sein lassen, was?” tadelt er seinen Patienten ohne jedes Verständnis, „Es ist bestimmt nicht deine Aufgabe, dir Shinodas Kopf zu zerbrechen! Du solltest dich mal lieber um dich selbst kümmern, Bennington!” Chester fährt wütend zu ihm herum. „Lass mich los!” verlangt er ungeduldig, „Hör auf mich anzufassen!” Seine schöne Stimme klingt überraschend drohend. Ulli lässt ihn augenblicklich los. Als hätte er sich plötzlich an Chesters Fische-Tattoo verbrannt. Seine Finger hinterlassen auf Chesters heller Haut rote Abdrücke. Die nur langsam verblassen. Einen Moment lang herrscht betretene Stille. Auf dem ansonsten menschenleeren Flur. Ich verstehe nicht, warum sich hier außer uns niemand mehr aufhält. Die Station wirkt wie ausgestorben. Vielleicht haben die Therapien alle schon längst angefangen. Das macht mich verrückt. Chester und Ulrich taxieren sich offen feindselig. Plötzlich wäre ich gerne irgendwo anders. Hauptsache weit weg von hier.

„Also wenn ihr noch länger trödelt, dann ist die Therapie sowieso gleich vorbei”, knurrt Ulli schließlich verärgert. Unbehaglich weicht er Chesters strafendem Blick aus. Stattdessen sieht er mich an. Appellierend. Als könnte ich die verspannte Situation retten. Ausgerechnet ich. Wo ich doch selbst gerade alles andere als gelassen bin. „Tja... dann... lasst uns doch mal weitergehen...”, schlage ich wenig einfallsreich vor. Räuspere mich nervös. Chester lacht belustigt. Obwohl er noch immer wütend aussieht. Kann sein, dass ich ihn verärgert habe. Ich fürchte, ich habe den Besonderen gekränkt. Das wollte ich ehrlich nicht tun. Es bestürzt mich, wie enttäuscht der Sänger scheint. Verunsichert studiere ich ihn. Er weicht meinem Blick aus. Fängt an, ruhelos auf der Stelle zu treten. Bewegt die starken Beine auf und ab. Schlenkert mit den langen Armen herum. Ungeduldig. Wie ein kleines Kind. „Also gehen wir jetzt, oder was?” fragt er voller Hohn. Ulrich stößt ein entnervtes Stöhnen aus. Packt Chaz am schwarzen T-Shirt. Schiebt ihn ein paar Schritte vor sich her. Bevor er ihn wieder loslässt, versetzt er ihm einen leichten Stoß in den Rücken. Dann läuft er hinter Chester her Richtung Musiktherapie.

Ich beeile mich, mit den beiden Männern Schritt zu halten. Hinter dem großen Pfleger in der weißen Kleidung eile ich die Treppe hinunter. Es ärgert mich, dass ich so aufgewühlt bin. Das ist total idiotisch. Ich sollte mich wirklich langsam wieder einkriegen. Schließlich freue ich mich doch auf die Musik. Seit ich mich daran erinnert habe, will ich unbedingt wieder Musik machen. Habe das ewig lange vermisst. Musik hat mir entsetzlich gefehlt. Auch wenn mir das die meiste Zeit nicht bewusst war. Klavierspielen verlernt man doch nicht, versuche ich mir gut zuzureden. Das wird schon funktionieren. Zwischen Chester und mir existiert was Besonderes. Das hört doch beim Musizieren nicht auf. Ganz im Gegenteil. Unbestritten sind wir beide sehr musikalisch. Wir werden uns bestimmt einig werden. Da wird was richtig Tolles bei rauskommen. Wenn wir erst zusammen an dem Song arbeiten, wird alles gut sein. Ich habe so hart dafür gekämpft, dass ich zusammen mit Chazy Chaz was ausprobieren darf. Das Keyboard allein benutzen darf. Das kann ich mir doch jetzt nicht selbst wieder kaputtmachen. Meine Gedanken überschlagen sich förmlich. Neue Befürchtungen tauchen auf. Die Ungewissheit lässt meinen Stresspegel dramatisch ansteigen.

Über meine unsinnigen Grübeleien nähern wir uns viel zu rasch dem Raum, in dem die ersehnte und momentan auch gefürchtete Veranstaltung stattfindet. Die Tür ist geschlossen. Die Therapie hat definitiv schon angefangen. Hier auf dem Flur kann man nicht hören, was drinnen vor sich geht. Chester ist an der Tür vorbeigelaufen. Weil er nicht weiß, dass wir endlich da sind. Der Sänger kann es gar nicht wissen. Sicher ist er noch nie hier gewesen. „Hey, komm zurück, Bennington!” ruft Ulli ihm grienend hinterher. Deutet anschaulich auf die besagte Tür, als sein Patient sich fragend zu ihm umdreht. „Wurde auch Zeit”, murmelt Chester verdrossen. Nur langsam gesellt er sich zu Ulli und mir. Noch immer vermeidet mein Mann es mich anzusehen. Das verstehe ich gar nicht. Keine Ahnung, was eigentlich passiert ist. Es tut mir total leid, dass ich ihm die Vorfreude auf die Musiktherapie anscheinend mit irgendwas verdorben habe. Ich wünschte, er würde nochmal versuchen mich zu küssen. Sich um mich kümmern. Wenn Chester sauer auf mich ist, dann wird das mit der Musik erst recht nicht klappen.

Mein Herz hämmert heftig, als der Pfleger kräftig an die Tür klopft. Gleich darauf öffnet er die weiße Holztür auch schon. Ohne eine Antwort abzuwarten. Im nächsten Moment tritt Ulrich in das Musikzimmer. Zieht Chester grob am T-Shirt gepackt mit sich. Der Sänger wehrt sich nicht. Sondern gehorcht ohne Protest. Drinnen bleibt Ulli nach zwei Schritten stehen und lässt Chaz wieder los. Chester steht neben ihm. Sieht sich gelangweilt um. All sein spürbarer Enthusiasmus für unsere Sache, den er seit meiner Ankündigung offen gezeigt hat, ist wie weggeblasen. Das macht mich traurig. Auch wenn ich es nicht verstehe. Zögernd folge ich den beiden Männern. Kann ja eh nicht mehr zurück. Vorsichtshalber bleibe ich hinter meiner Begleitung in Deckung.

Nervös wandern meine Augen durch den fensterlosen Kellerraum. Der mit mehreren Neonröhren hell ausgeleuchtet ist. Es ist keine Überraschung für mich, dass sich hier drin derzeit mindestens zwanzig Menschen jeden Alters aufhalten. Alle sehen neugierig zu uns hin. Jeder sitzt auf seinem Holzstuhl. In einem weiten Stuhlkreis. Der mir ebenfalls nicht unbekannt ist. Viel zu oft habe ich da auch schon gesessen. Mann, ich hasse Stuhlkreise! Aber total! Mein Blick weicht der unwillkommenen Aufmerksamkeit unbehaglich aus. Huscht ziellos an den prüfend glotzenden Augenpaaren vorbei. Durch die nähere Umgebung. Ich kenne dieses Zimmer. Zur Genüge. Grauer Teppichboden. Entlang der gelben, schalldicht ausgepolsterten Wände befinden sich auf Regalen und Schränken verschiedene Musikinstrumente. Computer und Stereoanlagen. In der hinteren Ecke stehen ein Flügel, ein Schlagzeug und zwei Keyboards. Mikrophone, Verstärker, Kabel und Boxen sind überall verteilt.

Je länger ich mir das vertraute Musikzimmer anschaue, umso mehr ziehen sich meine hypernervösen Eingeweide zusammen. Das verwirrt mich. Mir war gar nicht klar, dass die herbeigesehnte Therapiestunde so unangenehm werden würde. Dass allein dieser Raum so viel Unbehagen in mir auslöst, habe ich nicht erwartet. Vielleicht begreife ich erst jetzt richtig, dass ich an diesem Ort die bislang schlimmste Zeit meines ganzen Psychiatrie-Aufenthalts verbracht habe. Ausgerechnet zwischen all den Musikinstrumenten habe ich mich am wenigsten wohlgefühlt. Verwirrend deutlich erinnere ich mich auf einmal daran, dass die Therapeutin Abigail ständig auf mich eingeredet hat. Pausenlos hat sie mich verbal attackiert. Mich wiederholt dazu genötigt, mich an das Klavier zu setzen. Obwohl ich das nicht wollte. Die Frau hat mich einfach nie in Ruhe gelassen. Für eine ausgebildete Musiktherapeutin ist sie ziemlich unsensibel. Und kein bisschen empathisch. Abi ist noch sehr jung und wollte ausgerechnet mit mir ihr erstes Erfolgserlebnis vorweisen können. Was ihr nicht gelungen ist. Und was sie mir noch immer übelnimmt. Glaube ich. Offenbar habe ich früher unbewusst viel mehr von meiner Umgebung mitgekriegt, als mir zu dieser Zeit überhaupt gewahr wurde.

„Da seid ihr ja endlich!” ruft die Therapeutin vorwurfsvoll. Die mich von all den vielen Angestellten der geschlossenen Psychiatrie wahrscheinlich am wenigsten mag. Sie springt von ihrem Platz auf. Kommt durch den Stuhlkreis hindurch zielstrebig auf uns zu. Meine Nervosität erreicht eine kritische Intensität. Als Abigail mit wehenden Haaren und ausgestreckter Hand auf uns zueilt. Zum Glück wendet die Leiterin der Musiktherapie sich zuerst an Chester. „Da haben wir ja unseren vielgepriesenen Neuankömmling! Schön, dass ich dich auch endlich mal persönlich kennenlernen darf, Chester Bennington!” meint die Therapeutin ein wenig zu strahlend. Energisch schüttelt sie die Hand, die Chaz ihr nur zögerlich anbietet. „Ja... Hi...”, grüßt er zurückhaltend. Verblüfft. Aber mit einem so charmanten Lächeln, dass ich ihn auf der Stelle küssen möchte. Mit einer dermaßen übertrieben überschwänglichen Begrüßung hat der Sänger offensichtlich nicht gerechnet. Ich finde das weit weniger irritierend als Chester. Weil ich Abigail nun mal kenne. Ein paar Mädchen im Stuhlkreis klatschen begeistert in die Hände. Aufgeregt flüstern sie sich etwas zu. Verschlingen den Dreadlockträger mit den Augen. Dieses Verhalten der Chicks irritiert mich sehr viel stärker. Chester hingegen bleibt cool. Er schenkt den albernen Hühnern ein weiteres unwiderstehliches Lächeln. Die Mädels sehen daraufhin aus, als würden sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. Die tun ja gerade so, als wäre mein geliebter Mann schon längst ein großer Rockstar. Das nervt mich irgendwie. Ich weiß gar nicht, was hier eigentlich los ist.

Abigail lässt Benningtons Hand los. Nickt Pfleger Ulli zu. Ohne sich ihrem neuen Patienten vorzustellen. Was ich ziemlich unhöflich finde. Sieht dann direkt mich an. Ihre grünen Augen durchbohren mich. Das haben die schon früher immer gemacht. „Also dafür, dass du dich so engagiert dafür eingesetzt hast, heute in meiner Therapie etwas anderes machen zu dürfen, bist du aber ganz schön spät dran, Mike Shinoda”, knallt sie mir spöttisch an den Kopf, „Scheinbar hast du es gar nicht so eilig, dein eigenes Süppchen zu kochen.” Ihre unverhüllte Hochnäsigkeit ärgert mich total. Dass mir so schnell keine passende Antwort einfällt, steigert meine spontane Wut enorm. Böse fixiere ich die junge Frau mit den langen, pechschwarzen Haaren. Die mich abschätzend mustert. In ihren grünen Augen funkelt ihre mir nur allzu bekannte, höhnische Feindseligkeit mir gegenüber.

„Nein. So ist das nicht. Mike kann gar nichts dafür. Das ist allein meine Schuld”, mischt Chester sich ein. Ohne mich anzusehen. Sein Blick liegt aufmerksam auf der Therapeutin. Deren Gesicht wird sofort wieder freundlicher. Als sie den Sänger betrachtet. Keine Spur mehr von dem arroganten Spott. Den sie mir gerade reichlich eingeschenkt hat. Ich fühle mich total ungerecht behandelt. Es nervt mich, dass die Mädchen wegen Chester so ausflippen. Ich verstehe nicht, warum der offenbar heißbegehrte Kerl mich nicht mal mehr anguckt. Ich habe ihm doch gar nichts getan! Oder? Und was habe ich überhaupt Abigails Meinung nach verbrochen, um mir ihren arroganten Spott zu verdienen? Angepisst verschränke ich die Arme vor meiner Brust.

„Ich habe beim Mittagessen getrödelt. Alle mussten auf mich warten. Das ist der einzige Grund, warum wir zu spät hier sind”, erklärt Mister Bennington der Therapeutin. Mit seinem zauberhaften Lächeln, das zweifellos Eisberge schmelzen kann, bittet er die junge Frau höflich um Entschuldigung. Natürlich kommt der gewitzte Typ prompt damit durch. „Naja, Chester, das kann ja mal passieren”, lenkt Abi gutmütig ein, „Es ist nur schade, dass ihr jetzt gar nicht mehr so viel Zeit für euch habt.” „Die hatten definitiv schon genug Zeit für sich”, bemerkt Ulli abfällig. Verdreht vielsagend die Augen. Abigail sieht ihn einen Augenblick lang höchst irritiert an.

Ich werde flammend rot. Was ich im Moment echt nicht gebrauchen kann. Chester gluckst amüsiert. Wirft mir einen schnellen Blick zu. Den ich sofort auffange. Weil ich ihn die ganze Zeit verstört im Auge hatte. Der Tätowierte lächelt mich verhalten an. Sodass mein Herz anfängt zu bompern. Weil ich schon wieder daran denken muss, wie unglaublich intim das in meinem Zimmer gewesen ist. Zwischen Chester und mir. Wie wir uns mutig dem anderen zum ersten Mal komplett unverhüllt gezeigt haben. Wie wunderschön Chesters nackter Körper ist. Wie unser aufregend erotisches Spiel sich langsam, aber enorm intensiv entwickelt hat. Und sich schließlich in astronomisch befriedigendem Sex erfüllte. Beinahe kann ich noch immer fühlen, wie unfassbar nahe ich Chester Bennington gewesen bin. Mit ihm in meinem schmalen Bett. Das war ein Gefühl umfassenden Glücks. Das ich nie zuvor empfunden habe. Ich will das dringend nochmal haben. Kann es nicht erwarten, ihm wieder so nahe zu sein. Meine wütend vor der Brust verschränkten Arme fallen automatisch an mir herunter. Die Finger kneten nervös meine Oberschenkel. Ich bin wahnsinnig froh, dass Chester mich endlich ansieht. Vielleicht ist er doch nicht so sauer auf mich. Im Moment wirkt der Arizona-Boy jedenfalls friedlich. Sein Lächeln paralysiert mich. Zu gerne möchte ich ihn zärtlich anfassen. Ihm die seidigen Dreadlocks aus dem Gesicht streicheln. Seine zarte, blasse Haut erkunden. Mit meinen Fingerspitzen alle seine tollen Tattoos nachmalen. Unentwegt träume ich davon, den Besonderen zu berühren. Extrem erleichtert erwidere ich sein Lächeln.

„Dafür musst du uns jetzt aber auch etwas vorsingen, Chester Bennington!” verlangt Abigail plötzlich. Chesters Kopf fliegt überrascht zurück zu der Therapeutin. „Singen? Jetzt? Ich dachte, ich darf mit Mike Musik machen”, wendet er verwirrt ein. Es wärmt mir das Herz, dass er lieber mit mir jammen will, als der versammelten Mannschaft eine neue Vorstellung zu geben. Triumphierend grinse ich die Therapeutin an. Aber die beachtet mich gar nicht. Ihr ganzes Interesse liegt auf dem talentierten Sänger aus Phoenix. „Ja, das dürft ihr ja auch”, nickt Abi und wirft mir einen flüchtigen, leicht verärgerten Blick zu, „Mike hat mir ja mit seinem egoistischen Wunsch dermaßen in den Ohren gelegen, dass ich gar nicht anders konnte, als es euch zu erlauben.” „Ja, das hat Mike richtig gut gemacht!” betont Chester anerkennend. Woraufhin Abigail verdutzt die Augen aufreißt.

Ich werde schon wieder rot. Ducke mich hinter den breiten Rücken von Ulrich. Es wundert mich, dass der Pfleger nicht schon längst den Raum verlassen hat. Seine Aufgabe, Chester und mich zur Musiktherapie zu bringen, hat er doch jetzt erfüllt. Was will der Kerl eigentlich noch hier? Vorhin hat Ulli so getan, als hätte er eigentlich gar keine Zeit für uns. Aber jetzt will der Typ scheinbar gar nicht mehr abhauen. Sichtbar amüsiert verfolgt er den Wortwechsel zwischen der jungen Therapeutin und dem neuen Patienten. „Wenn ich schon endlich auch mal in den Genuss deiner Anwesenheit komme, dann möchte ich dich auch gerne singen hören”, erklärt Abigail mit einem selbstbewussten Grinsen. Natürlich ist das allgemeine Gerede in der Psychiatrie über Chester Benningtons herausragende Sangeskunst auch schon bis an ihre Ohren vorgedrungen. Nun will sie sich wohl ein eigenes Urteil bilden. Die Frau hört sich an, als würde sie Chaz im Grunde gar keine Wahl lassen.

Bevor der Angesprochene darauf reagieren kann, haben schon die Mädchen im Stuhlkreis angefangen zu klatschen und mit den Füßen zu trampeln. Offenbar wollen sie plötzlich unbedingt, dass mein Mann ihnen etwas vorsingt. Andere Patienten fallen zögernd in ihre lautstarken Anfeuerungsbekundungen ein. Ich bin versucht mir die Ohren zuzuhalten. Chester schließt die Augen. Atmet ein paarmal tief durch. Eigentlich wirkt er nicht überrascht. Vielleicht hat er mit so etwas schon gerechnet. Ist ja auch nicht das erste Mal, dass er in einer Therapie zum Singen aufgefordert wird. Trotzdem finde ich es richtig fies von der Musiktherapeutin, ihn gleich am Anfang seiner ersten Stunde dermaßen unter Druck zu setzen. So was würde mich total nerven. Aber Chazy Chaz sieht nicht so aus, als würde ihm das etwas ausmachen. Eigentlich wirkt der Brünette sogar ziemlich amüsiert über die laute Begeisterung der Mädels und der anderen Patienten. Naja. Mister Bennington ist eben der geborene Entertainer. Der Kerl kann auch auf Knopfdruck funktionieren. Ich glaube, meistens genießt er es sogar sehr, im Mittelpunkt zu stehen. Chester lächelt mit geschlossenen Augen. Wiegt ein wenig den attraktiven Kopf hin und her. Tut so, als müsste er angestrengt überlegen. Der Typ spannt uns alle auf die Folter.

Erst nach einer Minute schlägt er die braunen Augen wieder auf. Eindringlich sieht er die Frau an, die unverändert vor ihm steht und ihn unvermindert neugierig beobachtet. „Ich singe aber nur, wenn Mike und ich danach Zeit für uns allein kriegen”, verlangt der Sänger so leise, dass seine Stimme im Getöse der anderen Patienten beinahe untergeht. Dummerweise stehe ich nahe genug bei ihm, um ihn trotz des Lärms genau zu verstehen. Vor Schreck verschlucke ich mich. Fange haltlos an zu husten. Ulli dreht sich obszön grinsend zu mir um. Auch Abigail richtet ihre erstaunten Augen auf mich. Sowie gefühlt der ganze Rest der gemischten Therapiegruppe. Irgendwie haben sie Chesters seltsame Bedingung wohl doch mitgekriegt. Verdutzt hören sie mit dem Klatschen und Trampeln auf. Augenblicklich ist es totenstill. Plötzlich scheint mich jeder in diesem Zimmer verblüfft anzustarren. Was mich restlos überfährt. Ich mag dieses schlüpfrige Interesse an mir nicht. Kann nicht fassen, dass Chester sich so dermaßen missverständlich ausgedrückt hat. Hat der Typ das etwa extra gemacht? Oder ist ihm das nur unbedacht rausgerutscht? Ich weiß es nicht. So oder so ist es total peinlich. Er will Zeit mit mir allein? Das muss man ja förmlich falsch verstehen. Was mein Mann da vor allen Zeugen verlangt hat. Meine Ohren brennen heiß. Ich habe Mühe meinen entsetzten Hustenanfall unter Kontrolle zu bekommen.

„Hast du noch immer nicht genug von Shinoda?” spottet Ulli arrogant. Schlägt dem Sänger kumpelhaft auf die Schulter. Soll wohl so von Mann zu Mann sein. Chester windet sich knurrend von seinem Pfleger weg. „Ich habe niemals genug von Mike Shinoda!” antwortet der Tätowierte im Brustton der Überzeugung. Obwohl mir dieser Satz die Seele wärmt, bin ich doch gleichzeitig schockiert über die erneute Doppeldeutigkeit seiner Aussage. Das ganze Zimmer bricht in jubelndes Gelächter aus. Fremde Menschen grinsen mich schlüpfrig an. Einige machen ziemlich frivole Gesten in meine Richtung. Leichte Panik steigt in mir auf. Die ich intuitiv mit Coolness zu überspielen suche. „Ja, klar, Bennington! Ich kriege auch nie genug von dir!” rufe ich voller Hohn. Verdrehe spöttisch meine Augen nach oben. Tue mal lieber schnell so, als hätte mein durchgeknallter Mann seine pikante Feststellung sowieso nicht ernstgemeint.

Aber Chester hat es tatsächlich so gemeint, wie er es gesagt hat. Was er mir auf der Stelle deutlich macht. Als er sich erfreut zu mir umdreht. Mich vielsagend anlächelt. „Ja, das weiß ich doch, Mikey. Du bist völlig verrückt nach mir”, erklärt er liebenswürdig. Seine braunen Augen zwinkern übermütig. Die Lippen spitzen sich ein paarmal wie zum Kuss. Die allgemeine Belustigung im Musikzimmer steigt daraufhin noch weiter an. Obszöne Pfiffe und Kommentare werden laut. Es kotzt mich total an, dass die Menschen so albern sind. Denn in Wahrheit ist daran gar nichts zum Lachen. Im Grunde ist es doch nur wunderbar, was Chester und ich uns hier vor aller Augen versichert haben. Aber die Anwesenden reagieren genau so, wie ich es immer befürchtet habe. Sie ziehen unsere Gefühle begeistert ins Lächerliche. Das ist der Grund, warum ich so etwas in der Öffentlichkeit tunlichst vermeiden wollte.

Während ich innerlich durchdrehe, scheint Mister Bennington das lautstarke Amüsement der anderen nicht die Bohne zu stören. Die ganze Zeit lächelt der Brillenträger mich zärtlich an. Meine drastisch gestiegene Entgeisterung, die ich langsam kaum noch verbergen kann, verunsichert ihn jedoch. Auf seinem hübschen Gesicht kommt leichte Besorgnis zum Ausdruck. Irritiert zieht er die Augenbrauen zusammen. „Wollten wir das nicht tun, Mikey? Zusammen Musik machen? Hast du das nicht gesagt? Oder, Mike? Sind wir nicht deswegen hier?” erkundigt Chaz sich verwirrt. „Ja doch, Chester! Wir wollen zusammen Musik machen!” schreie ich ihn ärgerlich an. Betone jedes einzelne Wort. Um die Sache endlich klarzustellen. Aber es ist längst zu spät. Völlig egal, was ich noch sage. Die Anwesenden haben sich ihre schlüpfrige Meinung über uns schon längst gebildet. Für sie will Chester nur Zeit mit mir allein verbringen, damit er mich ordentlich durchvögeln kann. Oder was sie sich in ihren kleinen Gehirnen auch immer vorstellen. Das ist echt zum Ausrasten, wie bescheuert die sind.

Chester ignoriert die primitive Dummheit der anderen einfach. Ich wünschte wirklich, ich könnte das auch. Der Sänger studiert mich aufmerksam. Der von meiner Wut befremdete Mann möchte herausfinden, was in meinem Kopf vorgeht. Aber im Moment herrscht da eigentlich nur Chaos. Ich schaffe es kaum meine wirbelnden Gedanken zu ordnen. Mich zu beruhigen. Oder Chesters traurig fragendem Blick standzuhalten. Die zahlreichen Patienten im Stuhlkreis jubeln inzwischen gemeinschaftlich. Sie klatschen, trampeln und lachen. Sparen nicht mit hämischen Kommentaren. Weil sie es hemmungslos genießen, von Chester und mir unabsichtlich unterhalten zu werden. Die meisten Menschen lieben es, sich über andere lustig zu machen. Ich hasse das so sehr. Die Lautstärke im Zimmer steigt noch weiter an. Wird mit der Zeit unerträglich. Ich bin verdammt nahe daran mich einfach umzudrehen. Völlig entnervt aus dem Zimmer zu stürmen. Ich möchte ehrlich weglaufen.

Bis Abigail endlich für Ruhe sorgt. Wurde aber auch Zeit. Dass die verantwortliche Therapeutin sich mal um ihre verrückten Patienten in dem Stuhlkreis kümmert. Energisch setzt Abi ihre selbstbewusste Stimme, die Präsenz ihres Körpers und viele unmissverständliche Handbewegungen ein. Um die unangenehme Situation in den Griff zu bekommen. Trotzdem wird es nur langsam ruhiger im abgelegenen Kellerraum. Alle Augen verfolgen gespannt das seltsame Schauspiel an der noch immer offen stehenden Tür. Sicher warten die Idioten darauf, dass Chester noch mehr entlarvende Bemerkungen macht. Oder zweideutige Forderungen stellt. Müde wische ich mir mit den Fingern über die Augen. Es geht mir nicht gut. Ich fühle mich komplett falsch verstanden. Bin total überfahren und verwirrt. Das wird mir hier alles zu viel. Lieber möchte ich weit weg sein. Ich wünschte, ich könnte mich jetzt einfach umdrehen. Und so schnell wie möglich abhauen. Ich würde sofort in mein Zimmer flüchten. Die Tür zuknallen. Mich ins Bett verkriechen. Obwohl das streng verboten ist. Liebend gerne würde ich mir jetzt die Decke über den Kopf ziehen. Mit dem ganzen Wahnsinn hier nichts mehr zu tun haben müssen.

Es fühlt sich an, als hätte ich alles falsch gemacht. Das ist total frustrierend. Ich weiß gar nicht, was ich jetzt machen soll. Oder wie es dazu kommen konnte. Irgendwie ging das zu schnell. Auf so etwas war ich nicht vorbereitet. Das hat mich zu sehr schockiert. Ich fürchte, dass ich völlig überzogen reagiert habe. Chester zu enttäuschen ist ehrlich das Allerletzte, was ich jemals tun will. Es liegt mir fern den Besonderen zu kränken. Aber nun guckt der Arizona-Boy mich traurig an. Chaz sieht enttäuscht aus. Ich weiß nicht warum. Verstehe es nicht. Doch es bricht mir das Herz. Ich hatte mich auf eine interessante und kreative Zeit mit ihm gefreut. Hatte mich riesig auf die Musik gefreut. Seit ich mich daran erinnert habe, wollte ich unbedingt wieder Musik machen. Auch wenn ich zwischendurch Angst hatte, dass unsere Zusammenarbeit vielleicht nicht funktionieren könnte. Mann, ich wollte es trotzdem versuchen. Auf jeden Fall.

Aber nun ist alles ganz anders, als ich es haben wollte. Als ich es mir vorgestellt habe. Ich wollte bestimmt nicht auf so eine Art zur allgemeinen Erheiterung beitragen. Wollte nie, dass ausgerechnet über Chester und mich gespottet wird. Ich habe immer versucht das zu vermeiden. Aber jetzt ist es eben doch passiert. Das wird sich garantiert in der ganzen Psychiatrie herumsprechen. So etwas ist ein totaler Albtraum für mich.

„Singst du bitte etwas für uns, Chester Bennington?” spricht Abigail den neuen Patienten an. Nachdem sie endlich für Ruhe gesorgt hat. „Nur, wenn Mike und ich danach in Ruhe zusammen Musik machen dürfen”, erwidert Chester bestimmt. Lächelt die Frau siegesgewiss an. Es gefällt ihm, dass er die Therapeutin mit seiner Bedingung erpressen kann. Ich bin froh, dass Chaz sich diesmal eindeutig ausgedrückt hat. Abigail ist allerdings wenig beeindruckt. „Aber natürlich, Chester. Das habe ich doch schon längst mit Mike besprochen”, erklärt sie verwundert. „Und zwar so lange, wie wir wollen”, setzt der Sänger nachdrücklich hinzu. Er lässt die Therapeutin nicht aus den Augen, um zu demonstrieren, wie ernst er es meint. Vor Glück wird mir ganz warm, weil es mich so unglaublich freut, dass Chester noch mit mir zusammen musizieren will. Der Sänger will das sogar unbedingt. So lange wie möglich. Vielleicht ist Chazy Chaz gar nicht so wütend auf mich oder enttäuscht von mir, wie ich befürchtet habe. Eventuell mache ich mir einfach zu viele Gedanken. Ich bin der einzige hier, der mit dem begehrten Arizona-Boy Musik machen darf. Ich bin der einzige, für den er immer und überall singen will. Daran können die Dummköpfe auf den Stühlen gar nichts ändern. Chester hat recht, fährt es mir zufrieden durch den Kopf, ich sollte endlich mal damit aufhören, mir unnötige Sorgen zu machen.

Abigail bläst perplex Luft aus. Schüttelt energisch den Kopf. „Nein, Chester, das geht auf keinen Fall! Ihr könnt nicht so lange hierbleiben, wie ihr wollt. Es ist ja wohl klar, dass ihr aufhören müsst, sobald die Therapiestunde vorbei ist”, erklärt sie ihm leicht ungeduldig. Chesters Lächeln verändert sich nicht. „Aber die Stunde ist doch schon gleich vorbei, nicht wahr? Dann haben Mike und ich ja kaum noch Zeit”, wendet er völlig zu recht ein, „Was denken Sie denn, wie lange es dauert, bis so ein Song funktioniert? Da brauchen wir ja gar nicht erst anfangen, wenn wir gleich wieder aufhören müssen.” Je länger das ganze Geplänkel hier dauert, umso weniger Zeit wird uns zum Jammen bleiben. Das ist mir völlig klar. Allerdings fühle ich mich im Grunde noch immer dermaßen unwohl, dass ich im Moment eigentlich nur noch hier raus will.

„Nein, Chester, wie stellst du dir das denn vor? Ihr könnt froh sein, dass ich Mike überhaupt erlaubt habe, in meiner Therapie sein eigenes Ding durchzuziehen”, versucht Abigail ungehalten klarzustellen. „Mann, wo ist denn da das Problem?” wendet Chester verständnislos ein, „Wir bleiben einfach in diesem Zimmer und...” „Ihr dürft euch nicht unbeaufsichtigt in diesem Raum aufhalten”, mischt Ulli sich spöttisch ein. Als wäre das eine Selbstverständlichkeit. Die Chester eigentlich bekannt sein müsste. Der Pfleger sieht seinen Schützling an, als hätte der nicht mehr alle Tassen im Schrank. „Was? Warum denn nicht?” fragt Chaz verdutzt. Prüfend schaut er sich im Musikzimmer um. Sieht aber nicht so aus, als würde er die Gefahrenquellen hier erkennen. „Ja, guck dich nur genau um, Bennington. Kannst du die ganzen wertvollen Musikinstrumente sehen? Die haben teilweise echt gefährliche Saiten. An denen könnt ihr euch kinderleicht verletzen. Oder je nach Wunsch auch erhängen”, bemerkt Ulrich. Der plötzlich sehr ernst wirkt. Verwirrt guckt Chester seinen Pfleger an. Ich glaube nicht, dass ihm je in den Sinn gekommen ist, eine Musiksaite aus Stahl dermaßen zweckzuentfremden. „Genau, Chester. Hier gibt es definitiv zu viele Möglichkeiten, mit denen ihr euch selbst irreparablen Schaden zufügen könnt”, muss Abigail ebenfalls betonen, „Ihr dürft euch hier auf gar keinen Fall ohne Aufsicht aufhalten.” Chesters Gesicht verzieht sich gequält. Ich habe nicht den Eindruck, dass er sich momentan selbst verletzen will. Auch ich habe das bestimmt nicht vor. Allerdings befinden wir uns nun mal in der geschlossenen Psychiatrie. Wo zu viele Patienten böse mit ihrem Leben hadern. Darum hat diese Vorschrift schon irgendwie ihre Berechtigung.

„Mann, okay, dann bleibt eben Ulli bei uns!” bietet Chester plötzlich aufgeregt an. Lächelnd schlägt er seinem Aufpasser auf die Schulter. „Nicht wahr, Ulli? Das machst du doch gerne, oder? Mikey und mich beim Musikmachen beaufsichtigen?” neckt er den Weißgekleideten. „Als hätte ich nichts Besseres zu tun”, mault Ulli und schüttelt den Kopf. „Na, offensichtlich ja nicht. Du bist ja immer noch hier. Also hast du gar nichts anderes vor”, stellt der Tätowierte triumphierend fest. „So lange wir wollen. Sonst singe ich hier gar nichts!” setzt er energisch hinzu. Abigail schaut Ulrich appellierend an. Bis der sich widerstrebend geschlagen gibt. Was mich total wundert. Offenbar sind sowohl Abi als auch Ulli mächtig scharf darauf, den neuen Patienten aus Phoenix singen zu hören. Anders kann ich mir seine Bereitschaft zu Überstunden nicht erklären. „Also gut. Ich bleibe noch etwas länger mit euch hier”, seufzt der Pfleger. Als wäre das eine Strafe für ihn. „So ist brav, Ullilein”, kichert Chester belustigt. Während er neckisch um den großen Kerl herumtanzt, schlägt er dem Bediensteten mehrmals auf die Schulter. „Du bist so ein Spinner, Bennington!” keucht der Angestellte. Versucht den Schlägen auszuweichen. Ich kann gar nicht fassen, dass Ulrich wahrhaftig dabei lacht. Der Typ ist amüsiert. Es wundert mich total, dass Chaz und sein Aufpasser sich auf einmal so gut zu verstehen scheinen. Und dass der Pfleger offenbar tatsächlich die Zeit dafür hat, seine beiden Problem-Patienten länger als ursprünglich geplant zu beaufsichtigen. Damit habe ich nicht gerechnet.

Abrupt wendet Chester sich von Ulli ab. Neugierig beobachtet von allen Augen, bewegt er sich gemächlich durch den Stuhlkreis. Der Sänger geht in die hintere Ecke des Musikzimmers. Wo er einen Mikrophonständer samt Mikrophon entdeckt hat. Jeder Anwesende im Raum hält erwartungsvoll die Luft an. Der begehrte Brillenträger schraubt geschickt das Mikro vom Ständer ab. Offensichtlich kennt er sich damit aus. Es wirkt, als hätte Chaz so etwas schon tausendmal gemacht. Dann klopft er leicht gegen den oberen Teil des Mikros, um zu prüfen, ob es eingeschaltet ist. „Das ist ja gar nicht an”, stellt er spöttisch fest. Mit nur einem Blick hat er den passenden Verstärker gefunden. Geht hin und schaltet sein Mikrophon ein. Spricht ein paarmal leise „Fuck” und „Shit” hinein, um die Lautstärke zu regulieren. Bis er damit zufrieden ist. Dieses Equipment ist ihm dermaßen vertraut, dass Chester Bennington damit vollkommen natürlich wirkt. Man spürt einfach, dass der junge Mann sich in seiner Welt befindet. Ich bin total beeindruckt davon, wie gut er mit dem Mikro in der linken Hand aussieht. Sein Anblick paralysiert mich. Unweigerlich.

Meine Augen bleiben fasziniert an ihm hängen. Chaz sieht toll aus. Meine enge, dunkelblaue Jeans und mein schwarzes T-Shirt mit dem psychedelischen Aufdruck stehen ihm hervorragend. Sein schlanker Körperbau wird damit vorteilhaft betont. Weil meine Jeans ihm ein bisschen zu lang ist, hat er den unteren Saum umgeschlagen. Die Ärmel des T-Shirts verdecken seine Oberarm-Tattoos nicht ganz. Halbe bunte Fische zieren seine helle Haut. Die frisch gewaschenen Dreadlocks fallen seidig lang auf seine Schultern. Sein brünettes Haar glänzt engelsgleich im Neonlicht. Chester sieht frisch und sauber aus. Die schwarze Brille blitzt auf seiner Nase. Der Typ trägt auch einen Slip und Socken von mir. Was ich ziemlich aufregend finde. Nur ich weiß das. Niemand sonst hat eine Ahnung davon, dass Bennington meine Unterwäsche an hat. Und wie es dazu kam, dass er sie angezogen hat. Was auf dem Weg dahin alles Geiles zwischen uns passiert ist. Das gefällt mir. Es ist doch eigentlich ganz egal, was die Leute von uns halten. Die Idioten kennen ohnehin nicht mal einen Bruchteil der Wahrheit. Dieser Gedanke stimmt mich plötzlich friedlich. Lächelnd betrachte ich meinen zauberhaften Mann. Zu seinem von mir geliehenen Outfit hat Chazy Chaz seine blauen Chucks angezogen. Die natürlich zum T-Shirt passen. Chester sieht extrem heiß aus mit seinen langen Armen und langen, schlanken Beinen, dem wohlproportionierten Körperbau und dem wahnsinnig hübschen Gesicht. Mann, ich könnte ihn ehrlich den ganzen Tag lang ansehen.

Abigail macht sich an Ulli und mir vorbei auf den Weg zur Eingangstür. Hinter uns schließt die Therapeutin die Tür zum Musikzimmer. Dann platziert sie sich erwartungsvoll neben Ulli. Ich stehe an der anderen Seite des Pflegers. Wie alle anderen in diesem Raum verfolge ich aufmerksam, was der neue Patient zu bieten hat. „Du brauchst doch hier gar kein Mikro, Chester!” ruft Abi verständnislos zu dem gut aussehenden Sänger hin. „Ja, aber ich kann auch meine Stimmbänder schonen”, erwidert der grinsend. Dann steht er einfach so vor uns. Lässt seinen Blick ausführlich über sein bunt und nur zufällig zusammengewürfeltes Publikum schweifen. Die Patienten rücken ihre Holzstühle hastig so zurecht, dass sie alle eine möglichst freie Sicht auf den unbekannten Entertainer in der Ecke des Raums haben. Dabei gerät der sorgfältig hergerichtete Stuhlkreis völlig durcheinander. Was mich aus irgendeinem Grund riesig freut.

Chester wartet geduldig ab. Bis alle ihren gewünschten Platz eingenommen haben. Langsam kehrt Ruhe ein. Das Stuhlrücken und Tuscheln hört endlich auf. Alle richten ihr ungeteiltes Augenmerk auf den fremden Typen mit dem Mikro. Konzentriert studiere ich meinen Mann. Möchte dringend herausfinden, ob Chazy Chaz nervös ist. Ob er vielleicht insgeheim Angst hat, sich vor uns auf irgendeine Art zu blamieren. Oder gar peinliche Fehler zu machen. Ich glaube, dass ich davor Angst hätte, wenn ich so aus dem Stehgreif jetzt und hier vor Publikum auftreten müsste. Ohne auch nur die kleinste Vorbereitung oder Probe. Das ist ganz schön heftig, finde ich. Aber dem Sänger aus Phoenix, Arizona scheint die Rolle, in die man ihn so überraschend gedrängt hat, nicht das Geringste auszumachen. Chester Bennington wirkt auf mich kein bisschen nervös. Der selbstbewusste Kerl ist höchstens amüsiert von der gespannten Aufmerksamkeit, die ihm in seiner ersten Musiktherapiestunde ungewollt zuteil wird. Locker hebt er das Mikro vor sein Gesicht.

„Hi, Leute!” grüßt er die zahlreichen Patienten auf den Holzstühlen. Die er einen nach dem anderen genau ansieht. Seine Stimme verliert durch das Mikrophon nichts von ihrer Harmonik. Ich bin überrascht, wie klar, deutlich und wohlklingend er aus den Lautsprechern tönt. Chester weiß ganz genau, wie nah er das Mikro an seine Lippen halten darf, um am besten zu klingen. Kein Wunder. Ist er doch schon oft mit seiner Band Grey Daze aufgetreten. Nur spärlich wird er zurück gegrüßt. Aber das übergeht er einfach. „Die meisten von euch kenne ich noch gar nicht. Ein paar habe ich schon mal gesehen, glaube ich...”, meint Chester nachdenklich. Er deutet auf die ausgelassenen Mädchen, lächelt sie an und fragt: „Im Speisesaal, richtig?” Die albernen Chicks nicken begeistert. „Ja, wir haben uns doch schon ein paarmal beim Essen gesehen!” jubeln sie geschmeichelt. Tuscheln prompt miteinander. Aufgeregt. Wie Teenager. Ich wette, dass Chester nur auf gut Glück den Speisesaal erwähnt hat. Mit Sicherheit erinnert er sich nicht an diese Weiber. Davon gibt es doch schlicht zu viele hier. Aber es dürfte ja wohl feststehen, dass alle Patienten ihn mittlerweile mal beim Essen gesehen haben müssten. Immerhin ist der Mann aus Phoenix ja inzwischen schon seit ein paar Tagen in dieser Abteilung der Psychiatrie. Doch die Mädchen fühlen sich wahrhaftig geehrt. Weil Chaz sich angeblich an sie persönlich erinnert. Über so viel Blödheit muss ich spöttisch den Kopf schütteln. Andererseits ist mir klar, dass Mister Bennington hier nur seinen Job als Sänger macht. Indem er mit dem Publikum flirtet, macht er diesen Job sogar ausgesprochen gut.

„Also Leute... seid ihr auch sicher, dass ich für euch was singen soll? Wollt ihr das denn wirklich?” fragt Chaz seine Zuhörer augenzwinkernd. Ja, zweifellos. Sie sind sich ganz sicher. Das geben sie sofort lautstark zum Ausdruck. Und die, die sich offenbar gar nicht so sicher sind, werden einfach mal vom Rest übertönt. Das ist so amüsant, dass ich breit grinsen muss. Auch Pfleger Ulli und die Therapeutin Abigail finden das offensichtlich erheiternd. Sie verfolgen das Schauspiel wie ich aus dem Hintergrund. Unverändert neben mir an der Tür stehend. Chester konzentriert sich allerdings hauptsächlich auf die Patienten auf den weißen Holzstühlen. Die ihn alle mit Blicken aufessen. Und auf die große Show warten. „Also gut”, lenkt der Tätowierte lächelnd ein, „Ihr habt es so gewollt. Also beschwert euch nachher nicht.” Natürlich hat niemand vor, sich auch nur ansatzweise zu beschweren. Das muss toll sein, denke ich plötzlich, wenn man bei fremden Menschen so gut ankommt. Wenn die Menge einem so viel Aufmerksamkeit und Anerkennung schenkt. Das möchte ich mit meiner Band Xero auch mal erreichen. Ich will auch auf der Bühne stehen und umjubelt werden. Obwohl ich mich sehr für meinen Mann freue, spüre ich gleichzeitig einen Hauch von Neid in mir aufsteigen. Oder ist das etwa Eifersucht? Ich weiß es wirklich nicht.

„Okay, Leute. Der Song, den ich heute für Euch singen will, heißt Hole. Normalerweise spiele ich ihn mit meiner Band Gey Daze. Wenn Ihr uns live sehen wollt, dann müsst Ihr bis jetzt noch nach Phoenix, Arizona reisen. Aber demnächst kommt unser Album raus. Wenn Ihr das alle kauft, dann kann Grey Daze vielleicht auch bald mal in Eurer Stadt spielen. Auf dem neuen Album sind Hole und noch viele andere tolle Songs drauf”, erzählt Chester freundlich. Damit erntet er ein weiteres Klatschen und Lachen. „Natürlich ist auf dem Album auch echt geile Musik zu hören”, erklärt der Künstler weiter, „Ich sag euch, mit Grey Daze zusammen höre ich mich tausendmal besser an. Echt! Leider habe ich meine Band gerade nicht dabei. Ihr müsst also vorerst ohne Musik auskommen. Das tut mir leid. Aber ich kann das im Moment leider nicht ändern. Sorry, Leute!” Chester deutet eine entschuldigende Verbeugung an. Der Entertainer ist in seinem Element. Seine Zuhörer versichern ihm tröstend, dass sie ihn trotzdem liebend gerne singen hören wollen. Sie sind der Meinung, dass er sich auch ohne Musik fantastisch anhören wird. So eine interessante Musiktherapiestunde haben die Anwesenden garantiert noch nie erlebt. Mich eingeschlossen. Ich bin mächtig stolz auf den Arizona-Boy. Er kann das wirklich gut. Die Meute unterhalten. Das wirkt alles ganz natürlich bei ihm. Total spontan und herzlich. Er meint die Dinge auch so, die er sagt. Daran gibt es für mich keinen Zweifel. Ich bin schon jetzt gerührt. Dabei hat der süße Dreadlockträger noch nicht mal angefangen zu singen.

Aber jetzt scheint es endlich loszugehen. Unwillkürlich halte ich den Atem an. Chester lässt seine linke Hand mitsamt dem Mikrophon sinken. Für einen Moment schließt er die Lider. Sammelt sich. Atmet tief durch. Fünf Sekunden später öffnet er die tiefgründig braunen Augen hinter den Brillengläsern. In einer eleganten Bewegung hebt er das Mikro an die Lippen. Legt einfach los: „I would have sailed away, if I'd kown that nothing would change. Staring out my window sill, in my wasted prison cell.” Seine wundervolle Stimme ist ganz ruhig. Die einzelnen Töne wundervoll harmonisch. Der perfekte Zusammenklang wird durch das Mikro noch unterstrichen. Chaz singt seinen Text mit einer existenziellen Traurigkeit. Die ich mittlerweile in seinen Songs gewohnt bin. Habe ich je einen fröhlichen Song von ihm gehört? Einen optimistischen Text? Ich glaube nicht. Bisher war jede Zeile von Bennington irgendwie deprimiert. Aber auch gleichzeitig so unglaublich wunderschön, dass es mir jedes Mal die Tränen in die Augen trieb. Seine Texte stecken voller Poesie. Jedes gesungene Wort von Chester berührt meine Seele. Und zwar unfassbar tief.

Auch diesmal bin ich augenblicklich gebannt. So wie der ganze Rest des Publikums. In diesem Zimmer. Alle starren nur noch mit offenem Mund zu dem fremden Sänger hin. Der so eine fantastische Stimme hat. Und da offensichtlich seine sensible, verletzte Seele ungeschönt vor uns ausbreitet. „And I know what you want. And I know what you feel”, singt Chester melodisch und sanft, „As I cradle your loving. And watch you dissapear.” Dabei sieht er die Menschen an, die still und bewegungslos vor ihm auf ihren unbequemen Stühlen sitzen. Der Sänger läuft beim Singen die ganze Reihe ab. Schaut jeden einzelnen intensiv an. Mir ist klar, was in denen jetzt vorgeht. Sie müssen alle das Gefühl haben, als würde der Kerl mit den Dreadlocks, der schwarzen Brille und dem Mikro sie persönlich ansprechen. Ich kenne das doch. Chester kann so was. Es liegt ihm im Blut. Er kann kinderleicht etwas singen, sodass es sich richtig echt anfühlt. Total persönlich anfühlt. Mein Herz schlägt hart und schnell. Weil ich automatisch so ergriffen bin. Weil dieser Wohlklang seiner tollen Stimme in meinen Ohren mir so gut tun. Ich fühle ihn in meinem ganzen Leib. So lange habe ich Chesters Gesang vermisst. Ich möchte jeden Ton so tief wie möglich in mich aufsaugen. Unweigerlich gebannt von seiner Schönheit, beobachte ich den Arizona-Boy genau. Fasziniert nehme ich jedes kleinste Detail seines schlanken, feingliedrigen Körpers wahr.

Im nächsten Moment vollzieht Bennington eine wilde Drehung. Springt mit unbändiger Kraft elegant in die Luft. Er wirft den Kopf zurück, lässt seine Dreadlocks fliegen und schreit ins Mikro: „And I feel your heart beat, pounding in my head. I like to control you, 'cause I can't control myself.” Während meine Seele sich vor Ergriffenheit zusammenzieht, setzt Chester noch ein zweites, sehr viel leiseres „...myself” hinterher. Ich kann nicht fassen, dass er ausgerechnet jetzt über Kontrolle singt. Ich kontrolliere dich gerne, weil ich mich nicht beherrschen kann? Himmel! Das assoziiert mir doch sofort unweigerlich unser verrücktes, gigantisch sexuelles Erlebnis. Vorhin in meinem Zimmer. Als ich plötzlich die volle Kontrolle über den devoten Chester-Boy übernommen habe. Den strengen, dominanten Daddy für ihn gespielt habe. Ohne es selbst richtig zu kapieren. Einfach deshalb, weil es mich fraglos tierisch aufgegeilt hat. Ich habe das gar nicht nur für ihn gemacht. Sondern vornehmlich für mich selbst. Erst jetzt kann ich mir das eingestehen.

Meint Chester das? Muss er auch an den astronomisch geilen Sex mit mir denken? Hat er deshalb ausgerechnet diesen Song ausgewählt? Völlig paralysiert starre ich ihn an. Kann mich nicht mehr bewegen. Stehe einfach nur da. Lasse seinen Auftritt ungehindert in mein Inneres vordringen. Das passiert immer, wenn Chester für mich singt. Und ich glaube, er singt hier für mich allein. In Wahrheit handelt sein Song von uns beiden. Von unserer besonderen Beziehung. Die irgendwie auch was mit Kontrolle zu tun hat. Vor allem hat sie mit Chesters Herzschlag zu tun. Den ich mir nach meinem Orgasmus so intensiv angehört habe. Mit meinem Ohr dicht auf seiner nackten Brust. In dem Moment, als die ganze Welt herrlich in Ordnung war. Als ich mich zum ersten Mal restlos wohlgefühlt habe. In meinem Psychiatrie-Bett. Das fesselt mich stärker als alles andere. Ich kann gar nichts dagegen tun. Will es auch gar nicht. Dazu ist das einfach viel zu schön. Fühlt sich durchweg berauschend an. Verbindet mich mit diesem Mann auf eine absolut magische Art und Weise.

Chesters kurzer Anfall von Aggression und Wut ist abrupt vorbei. Niemanden in diesem Zimmer hat sein offener Gefühlsausbruch kaltgelassen. Die Menschen wirken wie aufgerüttelt. Und gleichzeitig sind sie paralysiert. Der Fremde hat sie alle gebannt. Spätestens jetzt liegt sämtliche Aufmerksamkeit restlos auf dem talentierten Sänger. Chester wiegt seinen schlanken, attraktiven Körper nach einer imaginären Musik. Während er zweimal ein leise säuselndes „Hole” ins Mikro haucht. Ich bin hingerissen von seinen anmutigen Bewegungen. Dem schlängelnden Tanz seiner langen Beine. Seinem absolut sexy Hüftschwung. Noch einmal stöhnt Chester ein total erotisches „Hole”. Das mir wohlig durch sämtliche Nervenbahnen schießt. Das kribbelt bis in den Unterleib. Unruhig wechsele ich mein Standbein. Kann meine Augen nicht mehr von ihm nehmen. Dieser Kerl aus Phoenix ist ohne Frage was ganz Besonderes. Und ich glaube, dass jeder einzelne in diesem Zimmer das gerade auch kapiert.

„Rain come my way, mold my head like a ball of clay”, singt Chester ruhig mit halb geschlossenen Augen, „Softly wither into my grave, never to see the sun again.” Seine fantastische Stimme ist so eindringlich, dass ich schlucken muss. Tränen steigen mir in die Augen. Kann ich nicht verhindern. Weil dieser Text so unglaublich traurig ist. Weil Chaz ihn mit so viel ehrlichem Gefühl singt. Zum Glück achtet niemand auf mich. Ich stehe ziemlich weit hinten. Und alle starren nur nach vorne. Wo die unhörbare Musik spielt. Aber Chesters Gesang wirkt tatsächlich auch für sich allein so stark, dass ich die Musik eigentlich gar nicht vermisse. Hastig wische ich mir mit den Fingern über die feuchten Augen. Reiße mich zusammen. Mädchenhaft heulen ist jetzt gerade wirklich keine Option. Ich will mich vor den Anwesenden nicht noch mehr blamieren. Als ich es ohnehin schon getan habe. Habe ich mich blamiert? Plötzlich bin ich mir nicht mehr sicher, was vorhin hier konkret passiert ist. Ich erinnere mich gar nicht mehr so richtig. Alle haben mich spöttisch angestarrt. Oder? Die Patienten haben sich über Chester und mich lustig gemacht. Aber warum eigentlich? Dazu bestand doch gar kein Anlass. Ich habe nichts getan, was peinlich gewesen wäre. Das ist doch die ihr Problem, wenn die so bescheuert sind. Mir wird klar, dass dieser Vorfall mittlerweile ganz unwichtig geworden ist. Vergangenheit.

Kopfschüttelnd schiebe ich die obskuren Gedanken beiseite. Ist doch jetzt ganz egal. Mann, Chester Bennington singt gerade! Ganz für mich allein. Chazy Chaz denkt auch an den Sex, den wir beide vor Kurzem hatten. In meinem Zimmer. Meinem Bett. Absolut berauschend war das. Das kann uns niemand mehr wegnehmen. Ich habe meine nie geahnten Kontrollgelüste an ihm ausgelebt. Zum ersten Mal in meinem Leben. Darum hat Chester genau diesen Song gewählt. Weil Hole von Kontrolle handelt. Obwohl jeder in diesem Raum den gut aussehenden Sänger mit den wilden Dreadlocks und der schwarzen Plastikbrille sehen und hören kann, bin ich davon überzeugt, dass Chester mit Hole in Wahrheit nur mich persönlich meint.

Absolut hingerissen verschlinge ich meinen verehrten Menschen mit meinem Blick. Es überwältigt mich, als er den Kopf hebt und mir geradewegs tief in die Augen schaut. Über die ganzen anderen Leute, die auf den Holzstühlen sitzen, hinweg. Meine Knie geben beinahe nach. Mit nur einem einzigen zielgerichteten Blick hat mein Mann mich an der Tür stehend gefunden. Chester muss sich genau gemerkt haben, wo ich stehe. Weil er mich nämlich gerne ansieht. Das wärmt mir die Seele. Die nächsten Zeilen spricht der Sänger mich zweifelsfrei persönlich an. Sein glühender Blick aus dunklen Augen hinter den Gläsern liegt so eindeutig auf mir, dass mir unwillkürlich richtig heiß wird. „And I feel your heart beatin', pounding in my head. I like to control you, 'cause I can't control myself”, brüllt Chester wütend ins Mikrophon. Seine Stimme ist laut und emotionsgeladen. Trotzdem bleibt jede Oktave glasklar. Die Akustik ist rein und unverfälscht. Offenbar haben die hier im Musikzimmer der geschlossenen Psychiatrie ein recht hochwertiges Equipment. Außerdem weiß der erfahrene Sänger genau, wie man das macht. Mit welchem Abstand er lautstark in das Mikro schreien kann, ohne dass die Töne verzerren. „...myself!” schreit Chester voller Zorn. Das Mikrophon wirkt an ihm so richtig, als gehöre es genau dort hin. Zweifellos tut es das. Das Mikro fühlt sich wohl in seiner linken Hand. Und Chester fühlt sich mit dem Mikro wohl.

Energisch fängt der junge Mann auf seiner imaginären Bühne zu tanzen an. Er legt sich so engagiert ins Zeug, als wäre das hier ein professionelles Konzert. Als stünde er auf einer richtig großen Bühne. So vor tausenden Zuhörern oder so. Chester Bennington singt und präsentiert seinen Song, als wäre es nicht nur ein Auftritt, den er total unvorbereitet in der geschlossenen Psychiatrie vor gerade mal knapp zwanzig Patienten, einer Therapeutin und einem Pfleger absolvieren soll. Ich bin so unglaublich stolz auf den Kerl, dass ich schon wieder heulen muss. Paralysiert behalte ich ihn im Auge. Obwohl sein Anblick vor meinen Augen verschwimmt. „All alone in a crowd by myself. So sorry, wish I could find a way back into your hole again. But I'll become your enemy!” tönt Chesters wundervolle Stimme ungetrübt aus den hochwertigen Boxen. Da ist so viel Wut, so viel deprimierte und frustrierte Hilflosigkeit in diesen traurigen Wörtern, dass ich ungewollt laut aufschluchze. Prompt hat Ulrich mich gehört. Der Pfleger dreht sich verwundert zu mir um. Hastig wende ich mich von ihm ab. Wische mir mit den Fingern verlegen über die nassen Augen. So schnell wie möglich schaue ich wieder meinen Mann an. Der da im imaginären Rampenlicht des schalldichten Musikzimmers die Vorstellung seines Lebens abliefert. Naja. Scheint mir jedenfalls so.

Sein schlanker Körper zuckt in wilder Ekstase. Die brünetten Dreadlocks peitschen um seinen Kopf. Sein glasklarer, lyrischer Tenor mit den mindestens drei Oktaven dringt auch noch in die letzte kranke Seele dieser Therapiegruppe vor. Davon bin ich ehrlich überzeugt. „Yeah!” schreit Chester. „And I feel your heartbeat, pounding in my heeaad. I like to control you, 'cause I can't control myself”, wütet der Sänger in voller Lautstärke. Eine unbändige, zornige Kraft geht von ihm aus. Die so mächtig scheint, dass sie kinderleicht den ganzen Raum erfüllt. Es ist erstaunlich, wie viel Energie diese eher kleine, schmächtige Person in sich trägt. Davon bin ich völlig hingerissen. Chester setzt nochmal ein viel leiseres, fast schon sanftes „...myself” hinterher. Routiniert schiebt er sich die beim heftigen Headbanging verrutschte Brille zurück auf die große Nase. Streicht sich grazil die langen Locken aus dem Gesicht. In einer erotischen Bewegung schiebt er die Dreads hinter seine leicht abstehenden Ohren. Auf den schmalen Lippen erscheint ein amüsiertes Lächeln. Als er seinen Blick langsam über die Menge wandern lässt. „Hole”, haucht Chester mit halb geschlossenen Augen. Er neigt den Kopf zur Seite. Wiegt seinen Körper aufreizend auf der Stelle. Berührt seine Hüften. Die schmale Taille. Seine Zungenspitze streicht zart über seine Lippen. Seine Stimme ist plötzlich die pure Erotik. „Hole.... hole...”, lässt er den merkwürdigen Song langsam ausklingen, „...hooole.” Sein seltsam frivoler Anblick und die säuselnden Töne, die er von sich gibt, erregen mich stärker, als ich so schnell verarbeiten kann. Das fährt mir sofort ungebremst in die Weichteile hinein. Nervös presse ich die Oberschenkel zusammen. Ändere meine Postion ein wenig.

Das Stehen wird langsam echt lästig. Und anstrengend. Am liebsten würde ich mich endlich mal irgendwo hinsetzen. Aber obwohl da vorne noch ein paar weiße Holzstühle frei sind, bringe ich es nicht über mich, jetzt da hinüberzugehen. Das würde nur unnötig die Aufmerksamkeit der anderen auf mich lenken. So was möchte ich tunlichst vermeiden. Vor allem will ich keine Sekunde von Chesters tollem Auftritt verpassen. Meine Augen hängen unverändert an dem Besonderen fest. Können sich nicht sattsehen an ihm. Saugen seinen geliebten Anblick gierig auf. Obwohl seine auf ganzer Linie gelungene Show leider schon vorbei ist. Der zuerst und größtenteils von Abigail eingeforderte Song ist von dem folgsamen Patienten gesungen worden. Chester Bennington hat seiner Musiktherapeutin gehorcht. Nun steht der talentierte Künstler nur noch reglos dort. Mitten vor den fremden Menschen. Die ihn alle weiterhin gebannt anstarren. Geduldig warten sie darauf, dass da von dem seltsamen Mann mit den Dreadlocks und den bunten Fische-Tattoos auf den Oberarmen noch irgendwas kommt. Nur mir ist sofort klar, dass da nichts mehr kommen wird. Ich kann es ihm ansehen. Spüre es in jeder Faser. Chester wird nicht noch ein Lied für uns singen. Weil Chester nämlich viel lieber mit mir zusammen Musik machen will. Chaz und ich werden jetzt gemeinsam jammen. Nur wir beide. Wir dürfen uns kreativ so richtig austoben. So lange wir wollen. Genau so war das abgemacht. Das ist es, was Chester bei Abigail für uns ausgehandelt hat. Das war die Bedingung für seinen Song. Nach einer ewigen Pause werde ich zum ersten Mal wieder auf dem Keyboard spielen. Auf einmal freue ich mich wie irre darauf.

Das betretene Schweigen der Patienten wird langsam peinlich. Chester lässt seine linke Hand mit dem Mikro behutsam sinken. Abwartend, beinahe schüchtern lächelt er sein komplett paralysiertes Publikum an. Er sucht den Blickkontakt mit den Menschen. Aber die meisten scheinen ihm wahrhaftig auszuweichen. In dieser seltsamen Situation wirkt der Arizona-Boy plötzlich erschreckend einsam. Irgendwie unserer Gunst ausgeliefert. Am liebsten möchte ich sofort zu ihm hinrennen. Den Besonderen liebevoll in den Arm nehmen. Ihm von ganzem Herzen versichern, wie toll er gewesen ist. Absolut herausragend. Wie ergreifend er seinen Song gesungen und performt hat. Das ist definitiv unerreicht. Ich kapiere nicht, warum in diesem Zimmer niemand eine Reaktion darauf zeigt. Warum klatscht denn nicht wenigstens mal einer? Das muss auf Chester ja so wirken, als hätten wir seinen Auftritt alle total fürchterlich gefunden. Als wären wir schockiert und deshalb sprachlos. Aber ich glaube, dass es den meisten Zuhörern aus einem anderen Grund die Sprache verschlagen hat. Sie haben so etwas noch nie erlebt. Die verblüfften Menschen wissen einfach nicht, wie sie damit umgehen sollen, was der fremde Mann ihnen da vorgeführt hat. Das ist doch jedes Mal der Fall gewesen, wenn Chaz bisher in einer Therapiestunde gesungen hat. In der Turnhalle war es genau das Gleiche. Zuerst wollen sie unbedingt, dass er singt. Und nach dem Song folgt keine messbare Reaktion.

Auch im Musikzimmer herrscht eisige Stille. Niemand sagt was. Keiner rührt sich. Alles glotzt nur baff den hilflosen Künstler an. Der sich ihnen da überraschend emotional präsentiert hat. Mit so viel Präsenz, Power und Offenheit haben sie wohl nicht gerechnet. Das müssen die erst mal verarbeiten. Die fiese Meute lässt Chester einfach im Stich. Das ist ja so was von unhöflich! Plötzlich halte ich das bedrückende Stillschweigen nicht länger aus. Kurzentschlossen lasse ich meine Handflächen energisch aufeinander klatschen. Stoße einige enthusiastisch zustimmende Pfiffe aus. Im Brustton der Überzeugung rufe ich begeistert: „Wow, Chester! Das war super! Jou, Chester! Das war fantastisch, Chaz, echt! Du hast uns die Schuhe ausgezogen! Chester, yeah!” Sofort drehen sich alle verdutzt zu mir um. Die gucken mich wahrhaftig an, als wäre ich verrückt geworden. Aber ich zwinge mich dazu, die ignoranten Dummköpfe nicht zu beachten. Denn ich meine das hundertprozentig ehrlich, was ich hier öffentlich lautstark kundtue.

Mein Blick bleibt anerkennend auf meinem außergewöhnlich talentierten Mann hängen. Chester lächelt mich zugetan an. „Danke schön, Mike”, bedankt er sich wohlerzogen. Deutet eine bescheidene Verbeugung an. Geschickt schraubt er sein Mikro an dem Ständer fest. Wo er es vorhin entfernt hatte. Ich kann nicht fassen, dass niemand in diesem Kellerraum meinem Beispiel folgt. Und Chester auch nur irgendwie seine Anerkennung zeigt. Spätestens jetzt sollten sie das dringend tun. Aber keiner schenkt ihm seinen Applaus. Nicht mal angedeutet. Stattdessen glotzen die alle nur. Total ratlos. Wie Kühe wenn's donnert. Die Wichser sind so was von undankbar! Ich bin echt außer mir. An Chesters Stelle wäre ich jetzt wohl tödlich gekränkt. Naja. Zumindest wäre ich aber mit Sicherheit ziemlich traurig. Total enttäuscht. Mann, dieser sensible Mensch hat doch gerade seine Seele für uns gegeben. Chaz hat sich echte Mühe gegeben. Das hat man ja wohl gemerkt. Es war schlicht unübersehbar. Trotzdem bleibt der Beifall aus. Der Künstler erntet keinen Lohn. Nicht mal die Therapeutin Abigail oder der blöde Pfleger Ulli sagen oder tun irgendwas. Die beiden sichtbar belustigten Angestellten werfen sich nur gegenseitig spöttische Blicke zu. Ihre unangebrachte Arroganz ärgert mich extrem. Ich bin drauf und dran denen mal meine Meinung zu sagen. Aber so richtig.

„Jou, Leute! Hört mal zu!” fordert Chester sein störrisches Publikum plötzlich auf. Tatsächlich scheinen alle sofort seltsam interessiert daran, was der komische Typ ihnen noch zu sagen hat. „Hört doch mal”, wiederholt Chaz lächelnd, „Geht es euch gut? Ja? Ihr könnt was für mich tun. Ich möchte, dass ihr jetzt alle mal losschreit. Und zwar so laut, als würde es aus den Tiefen eurer Seele kommen. Könnt ihr das? Wollt ihr das für mich tun? Lasst einfach alles raus! Ja?” Abschätzend mustert er die Patienten, die unverändert starr vor ihm auf ihren weißen Holzstühlen sitzen. Jeden einzelnen sieht der Brillenträger auffordernd an. „Denkt ihr, dass ihr das hinkriegt? Könnt ihr das tun? So laut wie möglich zu schreien? Als käme es ganz tief aus eurer Seele?” will er nochmal wissen. Natürlich antwortet ihm auch darauf niemand. Sondern alle gucken ihn nur blöde an. Ich frage mich langsam ernsthaft, was mit diesen sonderbar verstockten Personen nicht stimmt. „Ja, Chester!” schreie ich zustimmend, „Das ist toll!” Mein Mann schenkt mir ein amüsiertes Lächeln, das voller Hinterlist steckt.

Erst jetzt scheint Abigail abrupt richtig zu begreifen, wozu der neue Patient ihre restliche Therapiegruppe gerade zweimal deutlich aufgefordert hat. Aufgeschreckt macht sie einen impulsiven Schritt nach vorne. „He, warte mal!” ruft sie verstört, „Moment mal, Chester Bennington! Was soll das denn bedeuten?” Aber Chaz beachtet die beunruhigte Therapeutin gar nicht. Es stört ihn auch nicht, dass sonst niemand auf ihn reagiert. „Okay, Leute, seid ihr bereit? Ich zähle bis drei”, kündigt er völlig ungerührt an, „Ich will, dass ihr hier endlich mal so richtig Krach macht. Ja?” Dieses riskante Spiel macht ihm sichtbar Spaß. Der selbstbewusste Arizona-Boy scheint sich seiner Sache erstaunlich sicher zu sein. Ich bin ehrlich gespannt, was jetzt passiert. „Chester, nicht doch!” warnt Abigail entsetzt. Wird aber geflissentlich überhört. Der mutige Dreadlockträger richtet sich lächelnd auf. Dann zählt er laut und deutlich vor: „Eins. Zwei. Drei. Los.”

Kaum hat Chester auffordernd die Arme gehoben, einem Dirigenten nicht unähnlich, da bricht im bislang totenstillen Musikzimmer auch schon die Hölle los. Die zusammengewürfelten Patienten der Musiktherapie schreien gemeinschaftlich los. Als wären sie plötzlich allesamt von Sinnen. Jeder einzelne brüllt sich die Seele aus dem Leib. Einige springen sogar engagiert von ihren Stühlen auf. Provozierend schreien sie sich gegenseitig an. Oder einfach herausfordernd in Chesters Richtung. Das ist so unglaublich laut, dass ich mir instinktiv die Ohren zuhalten muss. Damit hätte ich niemals gerechnet. Ich bin völlig erschlagen davon, welche unglaubliche Macht mein Mann nach nur einem Song über sein Publikum erlangt hat. Die Menschen folgen ihm wahrhaftig. Sie gehorchen ihm. Ohne ihn überhaupt zu kennen. Das ist ein seltsames Phänomen. Was mich ehrlich tief beeindruckt.

Es hört sich an, als würden die kranken Insassen der geschlossenen Psychiatrie sich hier und jetzt hemmungslos ihren Frust und ihre angestaute Wut aus der Seele brüllen. Zum ersten Mal in ihrem Leben. Sie sind von Chester entfesselt worden. So sehr legen sie sich ins Zeug. So seltsam befreit sehen sie alle dabei aus. Das hätte ich niemals für möglich gehalten. Mister Bennington steht breit grinsend vor seinen Schäfchen. Mein besonderer Mann sieht vollends zufrieden aus. Es befriedigt ihn enorm, dass seine Aufforderung tatsächlich von jedem Patienten erfüllt wird. Ausnahmslos. Letztendlich hat er seinem sturen Publikum eine Reaktion entlockt. Wenn auch eine fraglos recht merkwürdige. Trotzdem bin ich unglaublich stolz auf Chazy Chaz. Anstatt über den fehlenden Applaus frustriert zu sein, hat der Tätowierte aus Phoenix die Leute einfach dazu aufgefordert, sich endlich mal gehenzulassen. Zu lange sind sie eingesperrt gewesen. In der Psychiatrie. Und in sich selbst. Das wird gerade mehr als offensichtlich.

„Wow, ja! Ey, das ist total heiß, ihr geilen Motherfucker!” schreit der Sänger grinsend über den schrillen Lärm hinweg, „Ihr seid die Besten! Ich schätze das! Vielen Dank, Leute!” „Chester, verdammt nochmal!” versucht Abigail aufgebracht, sich irgendwie Gehör zu verschaffen, „Was hast du dir dabei gedacht? Was um Himmels Willen soll denn dieser Unsinn?!” Sie macht noch zwei Schritte auf den frechen Patienten zu. Der es irgendwie geschafft hat, die träge Therapietruppe zu motivieren und auf seine Seite zu ziehen. Das gefällt Abigail gar nicht. Darum finde ich es umso amüsanter. Laut schimpfend versucht die junge Therapeutin, ihre völlig durchgeknallten Patienten irgendwie zu beruhigen. Niemand schenkt ihr Beachtung.        


Chester Charles Bennington    

Mike sitzt allein am Tisch. Auf einem der Holzstühle. Den er sich da rangeschoben hat. Vor ihm liegt ein Stück Papier im US-Letter Format. Der Typ ist voll konzentriert. Weit nach vorne über die Tischplatte gebeugt. Schwer beschäftigt. Er kratzt sich mit dem Bleistift am stachelig gestylten Kopf. Man sieht ihm an, wie er angestrengt versucht sich zu erinnern. Bin gespannt, ob ihm alle Wörter wieder richtig einfallen. Es ist lange her, seit der Kerl sich an einen Song erinnert hat. Darum macht mich sein spürbarer Enthusiasmus glücklich. Michael Shinoda ist endlich wieder in sich selbst angekommen. Denn Songs schreiben ist unübersehbar das, was er tun will. Halleluja! Die komische Therapeutin hat ihm das Papier und den Stift gegeben. Als er sie darum gebeten hat. Das süße Mandelauge ist felsenfest der Meinung, dass er genau den richtigen Song für uns hat.

Jetzt soll ich warten, bis der gepflegte Bartträger die Zeilen für uns aufgeschrieben hat. Damit ich den Text besser lernen kann. Das wird mir sowieso keine Probleme bereiten. Songtexte konnte ich mir schon immer gut merken. Melodien und Texte bilden in meinem Kopf kinderleicht eine untrennbare Einheit. Ich denke mal, die fremden Zeilen muss ich höchstens ein oder zweimal lesen, um sie zu behalten. Laut Mike stammt der Song aus einem sehr frühen Repertoire seiner Band Xero. Angeblich ist es einer der ersten Versuche, die sie gestartet haben, um Rap mit Rock zu verbinden. Das Ganze ist wohl nicht sehr kompliziert. Darum ist es absolut perfekt für unsere erste Zusammenarbeit. Meint Mikey. Also glaube ich ihm das. Diesem besonderen Mann vertraue ich blind.

Als er sich an den Tisch gesetzt hat, habe ich mir bei der seltsamen Therapiegruppe auch einen Stuhl geholt. Das Sitzmöbel in Mikes Nähe geschoben. Um bequemer auf das Ergebnis warten zu können. Jetzt sitzen wir beide in der hinteren Ecke des überraschend umfangreich ausgestatteten Musikzimmers. An der gegenüberliegenden Seite des Raumes werden die anderen Patienten leise von der Therapeutin bespaßt. Dazu haben sie wieder ihren Stuhlkreis gebildet. Ich bin froh, dass ich daran nicht teilnehmen muss. Und sehr stolz auf Shinoda, dass er das hier für uns beide arrangiert hat. In diesem Raum findet sich zweifellos alles, was man zum Jammen braucht. Hätte nicht gedacht, dass die hier in der geschlossenen Psychiatrie so viele verschiedene Musikinstrumente haben. So ein qualitativ hochwertiges Equipment. Es wird Spaß machen, damit zu arbeiten. Ungeduldig sehe ich zu Mike hin. Sieht nicht so aus, als wäre er so gut wie fertig. Es ist mir egal, welchen Song wir gemeinsam ausprobieren. Hauptsache wir fangen bald an. Untätig herumsitzen liegt mir gar nicht. Stillstand tut mir nicht gut. Ich muss immer etwas zu tun haben. Mich ablenken können. Sonst fängt die schwarze Gedankenmaschine in meinem Schädel unweigerlich zu dröhnen an. Früher oder später. Darauf habe ich keine Lust.

Gelangweilt lasse ich meinen Blick durch das fensterlose Kellerzimmer schweifen. Beobachte die anderen in ihrem weiten Kreis aus weißen Stühlen. Keine Ahnung, was die da konkret machen. Oder was das mit Musik zu tun haben soll. Besonders gefesselt davon scheinen die Patienten nicht zu sein. Einige sehen neugierig zu Mike und mir hin. Als wäre es in unserer Ecke irgendwie interessanter. Dabei passiert noch gar nichts. Ich schenke den Mädels ein vielversprechendes Lächeln. Die mich noch immer verstohlen im Auge behalten. Ist schon faszinierend, wie die Fremden vorhin plötzlich alle angefangen haben zu schreien. Nur weil ich sie in einem Anfall von akuter Frustration dazu aufgefordert habe. Fehlender Applaus frustriert mich eben. Egal, wie mein Auftritt vorher gelaufen ist. Ich fürchte, dass ich tatsächlich nicht besonders gut war. Hole war wohl auch nicht der richtige Song für dieses Publikum. Aber egal. Ich habe mein Bestes gegeben. Dafür Beifall erwartet. Wenigstens ein bisschen. Aber da kam gar nichts zurück von denen. Das ist schon echt enttäuschend. Diese fassungslose Stille nach einem Konzert. Das ungläubige Starren. So was kann ich nur schwer ertragen. Obwohl es immer noch besser ist, als offen ausgebuht und verspottet zu werden. Alles schon erlebt.

Immerhin haben die Patienten hier mich nicht enttäuscht, als sie gemeinschaftlich für mich losbrüllen sollten. Das Gesicht der Therapeutin war unbezahlbar. Die arme Frau ist total schockiert gewesen. Sie schaffte es kaum die komplett ausgeklinkte Menge zu beruhigen. Das hat mir Spaß gemacht. Darum bin ich mit dem Rest der Therapiegruppe trotz ihrer vorherigen Sturheit versöhnt. Die jungen Ladies im Stuhlkreis amüsieren mich. Sie werfen mir verstohlen Kusshände zu. Machen schlüpfrige Handbewegungen. Albern frivole Gesichter. Frage mich unwillkürlich, ob die wohl Sex mit mir haben wollen. Hätte ich schon irgendwie Bock drauf. Wende mich aber ab. Weil ich verlegen kichern muss. Zufällig trifft mein Blick den von Ulli. Mein Pfleger hat sich ebenfalls einen Stuhl besorgt. Sich an die Seite des Zimmers gesetzt. Wo er Mike und mich hervorragend beobachten kann. Ich glaube aber, dass er eigentlich nur mich beobachtet. Das macht der doch immer.

„Ist dir langweilig, Chester Bennington?” will Ulli mit einem spöttischen Unterton in der Stimme wissen. Seine Augen wandern zwischen den Mädchen und mir hin und her. Offenbar hat er meinen kleinen Flirt genau mitverfolgt. „Nein. Das ist schon okay”, antworte ich leicht genervt. Es gefällt mir nicht, pausenlos von Ulli kritisiert zu werden. Ich wünschte, der diensteifrige Pfleger würde mich einfach mal in Ruhe lassen. Andererseits ist es nett von ihm, als Aufpasser bei Mike und mir zu bleiben. Damit wir nach dem Ende der Therapiestunde noch länger in diesem gefährlichen Zimmer bleiben können. Obwohl feststehen dürfte, dass keiner von uns in nächster Zeit vorhat, sich an einer Gitarrensaite zu erhängen. Trotzdem kann ich diese Vorsichtsmaßnahme verstehen. Ist eben hier die geschlossene Psychiatrie. Da gibt es unter Garantie jede Menge potentielle Selbstmörder unter den Patienten.

Mike sieht von seinem Papier auf. „Ich bin gleich fertig, Chaz!” informiert er mich. Hört sich ein bisschen gestresst an. Als müsste er sich dafür entschuldigen, dass er so lange braucht. Aber das muss er gar nicht. Der Besondere darf so lange schreiben, wie er will. Ich genieße es, mit wie viel spürbarer Energie er da rangeht. Noch nie habe ich ihn von einer Aufgabe so gefesselt gesehen. Es macht mich unglaublich froh, dass Mikey sich an die Musik erinnert hat. Jetzt fies an ihm rumzumeckern ist echt das Letzte, was ich tun will. „Nein, Mike! Das ist okay!” versichere ich ihm lächelnd, „Lass dir ruhig Zeit!” „Ich hab's gleich, Chester, versprochen!” beteuert er nochmal. Als hätte ich gar nichts gesagt. Mike beugt sich wieder über seine Schreibarbeit. Betrachtet das große Stück Papier. Kaut konzentriert an dem Bleistift. Streicht etwas durch. Macht Anmerkungen. Formuliert etwas neu. So wie's aussieht. Seine uneingeschränkte Konzentration auf diese Sache fasziniert mich.

„Vielleicht möchtest du uns derweil mit ein wenig Musik beglücken, Bennington?” schlägt Ulli plötzlich vor. Verdutzt sehe ich ihn an. Mir ist nicht ganz klar, was er meint. Soll ich etwa noch einen Song singen? Wo doch der erste schon nicht ankam? Soll das vielleicht ein Witz sein? Aber Ulli meint was anderes. Lächelnd deutet er auf die Westerngitarre. Die neben ihm auf einem professionellen Gitarrenständer steht. „Du kannst doch Gitarre spielen, nicht wahr?” fragt mein Pfleger mich freundlich. Keine Ahnung, woher der fremde Typ das weiß. Das verwirrt mich irgendwie. Automatisch frage ich mich, was Pfleger Ulrich womöglich sonst noch alles über mich in Erfahrung gebracht hat. Und wo seine ominösen Quellen liegen.

Sehe mir die Gitarre an. Es ist ein schönes Exemplar. Eine Markengitarre von Fender. Aus Mahagoni und Walnuss. Die haben einen angenehm warmen Klang. Ich durfte mal eine in einem Laden zur Probe spielen. Konnte sie nicht kaufen. Weil sie zu teuer war. Von so einer Gitarre kann ich nur träumen. Fühle mein Herz prompt aufgeregt klopfen bei dem Gedanken daran, das Instrument in die Hand zu nehmen. „Darf ich das denn so einfach?” erkundige ich mich verblüfft bei dem Kerl auf dem Stuhl. Ulli lächelt mich amüsiert an. Nickt. „Ach, Chester! Natürlich darfst du auf der Gitarre spielen. Du bist hier im Musikzimmer. Die Gitarre wartet doch nur darauf, endlich mal von jemandem benutzt zu werden”, erklärt er mir kopfschüttelnd. „Ja, schon klar!” erwidere ich leicht ungehalten, weil ich es nicht leiden kann, dass er mich schon wieder als dumm darstellt, „Aber ich meine, ob das nicht die anderen stört!” Mein Blick huscht quer durch den Raum zu dem Stuhlkreis. Wo der Rest der Anwesenden noch immer mit ihrer sonderbaren Musiktherapie beschäftigt ist. „Nein, das geht schon in Ordnung”, beschließt Ulli einfach mal. Ohne es mit der Therapeutin abzusprechen. Na gut, denke ich mir, das lass ich mir nicht zweimal sagen.

Tatendurstig stehe ich auf. Gehe zu der Fender hin. Nehme sie vorsichtig vom Ständer. Sie fühlt sich gut an in meiner Hand. Schön griffig. Nicht zu schwer. Nehme mir auch eins der schwarzen Plektren aus Plastik. Die praktischerweise in einer Schale auf dem Regal hinter der Gitarre liegen. Mit dem Instrument und dem Plektrum bewege ich mich zurück zu meinem Stuhl. Wo ich mich hinsetze. Die Gitarre platziere ich behutsam auf meinen Oberschenkeln. Ulli beobachtet mich aufmerksam. Wohlwollend lächelnd. Ich beachte den Typen nicht weiter. Probeweise schlage ich mit dem Plektrum ein paar Saiten an. Bin entsetzt, wie verstimmt die Fender ist. Definitiv wurde sie schon zu lange nicht mehr gespielt. Sofort mache ich mich daran, die Stahlsaiten nach Gehör zu stimmen. E-A-D-G-H-E. Der Hals der Gitarre ist gerade breit genug. Wie geschaffen für meine Hand. Meine Finger erreichen die Saiten ganz leicht.

Kaum erklingen die ersten Akkorde, da schaut Mike schon von seinem mittlerweile eng beschriebenen Blatt Papier im US-Letter Format auf. „Wow, Chaz, du spielst Rechtshänder-Gitarre?” entfährt es ihm erstaunt. Verwirrt schaue ich von den Saiten zu ihm. „Ja... ähm...”, mache ich nicht besonders informativ. „Was ist daran so ungewöhnlich?” will Ulli von Mike wissen. „Nein... nichts... Ich meine ja nur... weil er Linkshänder ist...”, kommt Mikey ein bisschen ins Stottern. Was total süß ist. Sofort habe ich das starke Bedürfnis ihn zu küssen. Wende mich aber meiner Stimmarbeit zu. Die Wahrheit ist, dass mein Freund, dem die Gitarre gehörte, auf der ich mir vor Jahren das Spielen beigebracht habe, mir damals etwas anderes erzählt hätte, wenn ich da jedes Mal die Saiten umgespannt hätte oder so was. Außerdem war mir früher nicht mal bewusst, dass es auch Gitarren für Linkshänder gibt. Womöglich gab es die zu der Zeit noch gar nicht. Also habe ich es so gelernt. Allerdings habe ich sowieso nicht besonders viel Talent dafür. Macht mir aber trotzdem Spaß.

Sobald ich mit der Stimmlage halbwegs zufrieden bin, fange ich an herumzuklimpern. Mann, das hört sich gut an! Ich habe schon entschieden zu lange keine Musik mehr gehört. Das habe ich ehrlich vermisst. Meine Finger halten das Plektrum ganz locker. Schlagen zufrieden die einzelnen Saiten damit an. Die Finger der anderen Hand bilden am Hals der Fender die paar Griffe, die ich kenne. Auf die Weise habe ich schon jede Menge Zeugs komponiert. Mir gefällt der warme Klang dieser Gitarre. Das fesselt mich. Meine Umgebung verblasst. Weil ich mich damit geborgen fühle. Versinke in der Musik. Wie von alleine wird aus den verschiedenen Tönen langsam ein ziemlich aggressiver Song. Und nach kurzer Zeit fange ich automatisch an zu singen: „Should I have a taste of this. Run across your lips. And start all over again. Could this all just be a dream? If I should fall to stormy weather. Wake me, wake me. Yeah!”

Meine Augen schließen sich. In Gedanken stehe ich auf der Bühne. Im Electric Ballroom in Tempe. Wo wir schon so oft gespielt haben. Erinnere mich an das tröstende Gefühl, meine Band dicht neben mir zu wissen. Bobby an der Gitarre. Meistens steht er rechts von mir. Mace am Bass. Hält sich die meiste Zeit links von mir auf. Und Sean sitzt hinter mir am Schlagzeug. Ich bin gar nicht alleine. „Maybe this time I can do it all right. Without my foot in my mouth. Without that blind in my sight. Could this all just be a dream? If I should fall to stormy weather. Wake me, wake me. Yeah!” singe ich mit geschlossenen Augen. Die kribbelnde Euphorie eines Auftritts erfüllt mich. In meinem Kopf sehe ich alles ganz deutlich. Wie ich in der Mitte der Bühne stehe. Das Mikro in der Hand. Mein Körper gehorcht bedingungslos der Musik. Der Text strömt ungehindert aus mir raus. Wie eine Befreiung. Tief einatmen. Die Luft prall in meinen Lungen spüren. Und schreien: „If I should fall to stormy weather. Wake me, wake me. Yeah!” Meine Finger schlagen das Plektrum heftig gegen die Saiten der Gitarre. Die Griffe bilden sich fließend und schnell auf dem Griffbrett. Mein Fuß wippt automatisch den Takt mit. Mein Oberkörper bewegt sich zuckend im Rhythmus. Ich spiele das Solo mit der ganzen Energie, die ich im Sitzen aufbringen kann. Für kurze Zeit gibt es nur noch mich und die Musik.

Nach dem Interlude kommen die Schlusszeilen von Wake me. „Too scared to lose the one I tried so hard for. Too scared to lose the one I never had. Too scared to lose the one I tried so hard for. Too scared to lose the one I never had”, tönt es zwischen Wut, Resignation und Depression aus meiner Seele. Akustischer Trost. Angestaute Gefühle. Über meine Stimmbänder. Raus. Raus. Raus. „Yeeaahh...”, lasse ich den Song behutsam ausklingen. Mein Mund schweigt. Die Finger kommen langsam zum Stillstand. Bis der letzte Ton der Gitarre verklingt. Tosende Stille in meinem Kopf. Gefühlt ein paar Minuten lang. Zögernd öffne ich die Augen. Das erste, was ich sehe, ist Ulli. Unverändert sitzt der Pfleger auf seinem Stuhl. Schaut mich lächelnd an. Nickt mir zu. Anerkennend. Als unsere Blicke sich treffen.

„Yeah, Chester! Wow! Mann, das war so...”, höre ich eine schöne, zweifellos ergriffene Stimme neben mir. Es ist Mike Shinoda. Der allein am Tisch sitzt. Mit dem Bleistift in der Hand. Der Stachelige bringt seinen Satz nicht zu Ende. Offenbar fehlen ihm die Worte. Was mich ziemlich amüsiert. Lächelnd schaue ich ihn an. Dieser Kerl ist unglaublich hübsch. Seine wunderbar runden, braunen Augen glänzen feucht. Es rührt mich enorm, wie schnell ich den Besonderen mit meinem Gesang zum Weinen bringen kann. Das passiert scheinbar immer wieder. Fast jedes Mal, wenn ich für ihn singe. Das ist echt berauschend. Wie emotional Shinoda auf mich reagiert. Das turnt mich total an. „Danke schön, Mikey!” bedanke ich mich aus tiefstem Herzen bei ihm. „Du hör mal, ich bin jetzt fertig, Chaz”, informiert er mich erleichtert, „Wir können gleich anfangen.” Eifrig nimmt er sein Stück Papier vom Tisch auf. Wedelt damit in der Luft herum. „Das ist toll”, sage ich lächelnd. Meine es auch so. Ich bin froh, wenn wir endlich anfangen können. Bin echt scharf drauf, mit dem Süßen Musik machen zu dürfen.

Aber zuerst bringt sich noch der Rest der Therapiegruppe in Erinnerung. Die ich schon fast vergessen hatte. Indem sie plötzlich alle anfangen zu klatschen. Mit ihrer Lautstärke verhindern sie, dass ich sie noch länger ignorieren kann. Beim Gitarre spielen war mir gar nicht bewusst, dass die Menschen in diesem Raum mir so aufmerksam zugehört haben. Schon gar nicht habe ich damit gerechnet, dass sie applaudieren würden. Beifall habe ich von denen bestimmt nicht mehr erwartet. Aber vielleicht haben sie was gelernt. Oder die wollen sich einfach nur von ihrer langweiligen Therapiestunde ablenken. Jedenfalls gucken alle zu mir hin. Hampeln auf ihren Stühlen herum. Die Chicks flirten schon wieder mit mir. Peinlich auffällig. Unmissverständlich. Das macht mich verlegen. Als  ich aufstehe und die Gitarre zurück an ihren Platz stelle, übertreffen sie sich gegenseitig beim Klatschen und Trampeln. „Jou, Chester!” „Der Wahnsinn!” „Das war super!” „Mega geil!” rufen die unbekannten Leidensgenossen mir zu. Und all so was. Bin nicht sicher, ob die Fremden mich womöglich gemeinschaftlich verarschen. Weil ich vorhin wegen des fehlenden Applauses so angepisst war. Eigentlich glaube ich nur diesen hübschen Mädels, dass sie mich tatsächlich interessant finden.

„Das reicht jetzt!” schreit die junge Therapeutin hörbar gestresst. Die nervöse Frau steht abrupt auf. Starrt mich strafend an. Mit ihren grünen Augen erinnert sie mich an eine sprungbereite Katze. Die eine Maus erblickt hat. „Danke für deinen gelungenen Schlusspunkt, Chester Bennington”, ruft sie mir über den Lärm hinweg zu. Glaube nicht, dass sie sich damit wirklich bei mir bedankt. Wohl eher das Gegenteil. Lächele sie aber freundlich an. „Hört jetzt auf, bitte!” mahnt die Musiktherapeutin ungeduldig. Hebt beschwichtigend die Hände in den Stuhlkreis. Langsam wird es leiser. „Damit ist unsere heutige Stunde auch schon vorbei”, kündigt die Schwarzhaarige an. „Passt bitte gut auf euch auf. Bis nächste Woche dann”, verabschiedet sie sich von ihren Patienten. Sofort springen alle erleichtert auf. Strömen eilig zum Ausgang. Als hätte die unfreiwillige Gruppe die ganze Zeit nur darauf gewartet. Endlich hier rauszukommen. Darüber muss ich mal eben kurz grinsen. Sehe gelassen dabei zu, wie das Musikzimmer sich leert. Die koketten Ladies werfen mir vielversprechend sehnsuchtsvolle Blicke zu. Bevor sie tuschelnd und kichernd hinausgehen.

Die Therapeutin spricht noch ein paar Worte mit Ulli. Es geht darum, dass Ulli sich nicht von mir auf der Nase herumtanzen lassen soll. „Keine Sorge, Abigail. Ich weiß inzwischen ganz genau, wie ich mit Bennington umgehen muss”, betont mein Pfleger ziemlich arrogant. Beide Angestellten der Psychiatrie sehen mich vorwurfsvoll an. Was ich ehrlich nicht kapiere. Bin mir keiner Schuld bewusst. „Gib ihnen höchstens noch eine halbe Stunde. Wenn du keine Lust mehr hast, dann wirfst du Mike und Chester einfach sofort hier raus”, legt die Therapeutin, die offenbar Abigail heißt, dem Weißgekleideten nahe, „Und vergiss auf keinen Fall das Musikzimmer nachher gut abzuschließen.” Ulli erklärt ihr leicht pikiert, dass er als Aufsichtsperson schon genug Erfahrung gesammelt hat, um spielend leicht mit Mike und mir fertigzuwerden. Und selbstverständlich wird er abschließen wenn er geht. Obwohl sie Zweifel zu haben scheint, lässt die Musiktherapeutin das so stehen. Sie verabschiedet sich von uns. Geht hinaus. Macht die Tür hinter sich zu. Instinktiv atme ich auf. Mike, Ulli und ich sind endlich allein im neonhellen Kellerraum. Darüber bin ich verdammt froh. Diese komische Meute mitsamt der seltsamen Therapeutin hätte mich beim Arbeiten viel zu sehr abgelenkt. Es wäre schwer geworden, sich voll und ganz auf die Musik zu konzentrieren. Wenn ich mich die ganze Zeit von den fremden Menschen beobachtet fühle. Das würde mich schon nerven. Bei Ulli ist das Gefühl nicht so schlimm. An den blonden Pfleger mit den blauen Augen habe ich mich mittlerweile irgendwie gewöhnt. Ignoriere ihn einfach.

Wende mich sehr viel lieber Mike zu. Bin riesig gespannt darauf, was der attraktive Halbjapaner für uns ausgewählt hat. Obwohl ich noch nie einen Song von Xero gehört habe, bin ich sicher, dass Shinodas Musik mir gefallen wird. Das geht gar nicht anders. Ich mag den Kerl nämlich. Gigantisch. Mike steht lächelnd von seinem Stuhl auf. Kommt die paar Schritte zu mir gelaufen. Reicht mir stolz seine fertige Schreibarbeit. Neugierig werfe ich einen Blick auf das weiße Stück Papier. Mikey hat eine schöne Handschrift. Auffallend ordentlich. Mit vielen tollen Schnörkeln. Symmetrisch absolut perfekt. Der Text sieht aus wie gemalt. Als hätte er den ganzen Song in Schönschrift verfasst. Aber ich glaube, der talentierte Typ schreibt wahrhaftig immer so. Kein Vergleich zu dem, was ich mir manchmal so zusammenkritzele. Interessiert studiere ich das Blatt. Fange konzentriert zu lesen an. Der Inhalt gefällt mir. Schon nach den ersten Zeilen werde ich davon berührt. Auf Anhieb kann ich mich mit den Sätzen identifizieren. Es ist eine vage Liebesgeschichte, wie's aussieht. Es geht um Gefühle. Vielleicht auch was anderes. Jedenfalls etwas ziemlich Emotionales. Hat aber eine schöne Lyrik. Das spricht mich sofort an. Weil ich meistens Ähnliches produziere. Sofort frage ich mich, ob Mike Shinoda aus Agoura Hills diesen Text womöglich gerade jetzt ausgewählt hat, weil er mir damit etwas sagen will. Vielleicht will er mir damit seine Zuneigung ausdrücken. Verschlüsselt. Das ist echt aufregend.

Mein Herz fängt ein angenehm nervöses Klopfen an. Mann, ich liebe es total, wenn der Bärtige mich überrascht. Und seine Zeilen überraschen mich definitiv. Das kann alles Mögliche bedeuten. Auch, dass Mike mich ehrlich liebt. Der Gedanke bringt mich jäh aus der Fassung. Muss nach Luft schnappen. Konzentriere mich krampfhaft auf den Song. Will ihn schnell auswendig lernen. Bei diesem geringen Umfang schaffe ich das sofort. Nachdem ich den nicht allzu langen Text einmal gründlich gelesen habe, schaue ich fragend zu Mike auf. Der halbe Japaner steht direkt vor meinem Stuhl. Spürbar nervös hat er abgewartet, bis ich fertig bin. Als ich ihn ansehe, bin ich augenblicklich paralysiert. Der Patient Shinoda kann sich sichtbar kaum noch bremsen. Vor lauter Tatendrang. Sein hübsches, rundes Gesicht strahlt. Die knuffig abstehenden Ohren sind hellrosa. Seine großen, braunen Knopfaugen glänzen wunderschön. Der ganze Mann sprüht nur so vor kreativer Energie. Mike ist zweifellos genau da, wo er sein will. Das ist so dermaßen fantastisch, dass mir innerlich ganz warm wird. Fasziniert betrachte ich den Besonderen. Ich bin so stolz auf ihn. Muss mich wirklich herbe zurückhalten, um ihn nicht auf der Stelle zärtlich auf die roten, zauberhaft geschwungenen, erotisch vollen Lippen zu küssen.

„Das ist richtig toll, Mike”, versichere ich ihm anerkennend, „Selten habe ich so perfekte Zeilen gelesen.” Seine dichten, schwarzen Augenbrauen heben sich. Zweifelnd. Der Kerl nimmt mich nicht ernst. Obwohl ich es ehrlich meine. Aber Mikey übergeht mein ausgesprochenes Lob. Eventuell ist der professionelle Musiker in ihm der Meinung, dass die ersten Songs von Xero noch nicht so richtig toll sein können. Finde ich aber doch. „Also, der Song heißt With You”, informiert der Halbjapaner mich aufgeregt. Obwohl der bemerkenswert Ordentliche das auch schon fein säuberlich oben über den ganzen Text geschrieben hat. Und ich es daher gleich am Anfang gelesen und verstanden habe. „With You gehört zu unseren ersten Versuchen mit Xero, in denen wir Rock mit Hip-Hop vermischt haben”, erklärt der Stachelige weiter, „Der Text wird abwechselnd von uns beiden gesungen, Chester. Also ich rappe meinen Teil. Und dann singst du den Refrain. Zum Schluss überschneiden wir uns. Ich habe den Teil, den du singen sollst, extra angestrichen. Okay?”

Mike beugt sich zu mir herunter. Zeigt mir auf dem Papier die entsprechenden Stellen. Tippt mit dem Bleistift drauf. Den er noch immer in der Hand hält. Dabei kommt er mir sehr nahe. Ich nutze die kurze Gelegenheit, seinen vertrauten Duft tief in mich einzuatmen. Der Kerl duftet fantastisch. So sauber-herbe-männlich. Schwer zu beschreiben. Aber zweifelsfrei Shinoda. Ich glaube, ich würde den Mann mit verbundenen Augen am Duft erkennen. Verursacht mir prompt eine wohlige Gänsehaut. Erinnert mich daran, wie gigantisch geil wir schon aufeinander waren. Davon möchte ich sofort noch viel mehr.

Aber Mike richtet sich wieder auf. Geht zum Tisch. Legt den Bleistift auf die Tischplatte. Im nächsten Moment dreht er sich um. Bewegt sich mit zielstrebigem Schritt zum Keyboard hin. Fasziniert betrachte ich seinen tollen Körper. Die kräftigen Bewegungen. Das erregt mich. Schwungvoll stehe ich auf. Fühle mich auf ganzer Linie motiviert. Mit Leib und Seele. So stark, wie schon viel zu lange nicht mehr. Es wird mir riesigen Spaß machen, mit Mikey diesen schönen Song zu singen. Ich folge ihm in die Nähe des Keyboards. Rücke uns zwei Mikrophonständer zurecht. Die wir sicherlich benutzen werden. Nehme mein Mikro aus dem Ständer heraus. Schalte es ein. Es ist das gleiche, das ich auch schon vorhin beim Singen von Hole genommen habe. Das Teil hat einen überraschend guten Klang. Liegt angenehm in meiner Hand.

Sehe tatendurstig zu Mike hin. Unsere Blicke treffen sich. Die großen, braunen Augen verschlingen mich. Innerhalb von Sekunden. Sein Anblick lässt mich augenblicklich seufzen. Verzückt. Ohne, dass ich es verhindern kann. Vor Wonne erschaudert mein ganzer Körper. Ein geiles Zittern durchflutet mich. Bin auf der Stelle gefesselt. Von Mike. Mike. Shi-no-da. Seine wunderschönen Mandelaugen leuchten in angespannter Erwartung. Als er das Keyboard einschaltet, passiert etwas mit ihm. Etwas Gravierendes. Ich bin absolut hingerissen davon, wie restlos glücklich Mikey aussieht. Wie sehr ihm das gefällt, was wir hier machen. Das ist unübersehbar. Noch nie habe ich den Süßen dermaßen enthusiastisch erlebt. Der Mann ist vollkommen mit sich im Reinen. Wenn er könnte, würde er vor Zufriedenheit und Zuversicht wahrscheinlich hell leuchten. Dieser Mensch befindet sich ganz genau dort, wo er hingehört. Musik beflügelt ihn. Musik ist eine Welt, in der Michael Shinoda aus Agoura Hills bei Los Angeles in Kalifornien sich zweihundertprozentig zu Hause fühlt. Das überwältigt mich. Denn mir geht es genauso. Aus diesem Grund passen Mike und ich so gut zusammen, wird mir plötzlich verblüfft klar. Das haben wir wahrscheinlich schon von Anfang an gespürt. Es hat uns magisch zueinander hingezogen. Ohne dass wir uns vorher gekannt hätten. Oder auch nur irgendwas vom anderen wussten. Aber unsere Seelen ticken zweifellos gleich.

Darum sind wir beide jetzt so aufgeregt. Mike und ich sind bis zum Anschlag vollgestopft mit positiver Energie. Wir bersten beinahe vor brodelnder Kreativität. Das spüre ich in jeder Faser. Dringend müssen wir uns austoben. Das wird ehrlich Zeit. Der Halbjapaner kann es nicht erwarten auf dem Keyboard zu spielen. Trotzdem nimmt er sich viel Zeit. Konzentriert steht er davor. Sieht sich die vielen Knöpfe und Schieberegler gründlich an. Studiert das fremde Instrument höchst aufmerksam. Mit beeindruckend fachmännischem Blick. Man spürt sofort, wie angenehm vertraut ihm der Anblick ist. Wie viel er damit anfangen kann, was er da sieht. Ich wette, er kennt jedes Detail. Mikey erinnert sich. An das Keyboard. Er weiß wieder, dass er das elektrophone Tasteninstrument spielen kann. Definitiv. Vor Glück und Stolz möchte ich echt explodieren. Ein erneutes wohliges Seufzen entringt  sich meiner Kehle. Meine Muskeln erzittern vor positiver Nervosität. Das Stück Papier in meiner Hand ist an der Ecke, wo ich es anfasse, mittlerweile schon ganz feucht geworden. Weil wahrhaftig vor Aufregung meine Hände angefangen haben zu schwitzen. Das passiert mir nicht allzu oft.

Ruhelos trete ich auf der Stelle herum. Schlenkere unruhig mit den Armen. Spüre einen beinahe unbezwingbaren Bewegungsdrang in mir. Will auf der Stelle anfangen zu singen. Möchte sofort hören, wie Mike Shinoda rappt. Wie er auf dem Keyboard spielt. Habe den Halbjapaner noch nie in meinem Leben musizieren oder rappen gehört. Das wird mich garantiert umhauen. Sein Talent wird mir die Schuhe ausziehen. Daran habe ich keinen Zweifel. „Okay, Chaz, ich programmiere uns den Beat. Normalerweise braucht man die Band, um diesen Song zu spielen. Jeder von Xero hat bei With You etwas zu tun. Aber weil wir hier im Moment nur zu zweit sind, werde ich die Musik dem Keyboard überlassen”, erklärt Mike mir beiläufig. Ohne mich anzusehen. Während er geschäftig an dem Instrument herumhantiert. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass er das Programmieren hinkriegt. Der Typ sieht da gar kein Problem. Sein unerschütterliches Selbstvertrauen beeindruckt mich. Das sehe ich nicht allzu oft an dem schüchternen Halbjapaner. Bin nicht sicher, ob ich es jemals gesehen habe. Seine spürbare innere Stärke verursacht mir behagliche Glücksgefühle. Sodass ich seufzend erschaudere.

Gebannt beobachte ich den attraktiven Bartträger dabei, wie wundervoll vertraut er mit dem Electronic Keyboard umgeht. Der erfahrene Keyboarder weiß ganz genau, welche der vielen Tasten und Schieberegler er in welche Richtung betätigen muss. Um den richtigen Sound für uns zu kreieren. Ohne Frage hat Mikey With You in seinem Kopf schon lange fertig. Immer wieder erklingen verschiedene Tonfragmente aus den Lautsprechern. Kurze, präzise Beats. Die sich zunehmend zu einem Song verdichten. Was ich höre gefällt mir. Es ist fantastisch, dass Mike den Sound für uns deichselt. Dass er sich daran erinnern kann. Ich fürchte, dass ich damit momentan ein bisschen überfordert wäre. So wie auch im Studio manchmal. Wenn wir unsere Songs produzieren. Die unzählbaren Möglichkeiten der professionellen Soundcollage einzelner Tonspuren verwirren mich. Bisweilen. Normalerweise dauert es ewig, bis ich mit einem Song restlos zufrieden bin. Gerne auch mal so lange, bis meine Band anfängt mich deswegen zu hassen. Im Tonstudio bin ich ein Perfektionist. Da ist schon so manche Nacht bei draufgegangen.

Bei Mike Shinoda funktioniert das dagegen blitzschnell. Seine schönen Finger bewegen sich routiniert. Absolut zielgerichtet. Als hätten sie nie etwas anderes gemacht. In erstaunlich wenigen Versuchen hat er den richtigen Beat gefunden. Die passenden Tonlagen, Spuren und Rhythmen kreiert. Sein musikalisches Gehör muss außergewöhnlich exakt sein. Das beeindruckt mich. Erregt mich irgendwie. Shinodas spürbar gewaltiges Können hat unbestreitbar etwas extrem Erotisches. Es drängt mich, den Besonderen anzufassen. Möchte mit meinen Händen sanft über seinen stacheligen Kopf streicheln. Zärtlich über seinen geilen Körper wandern. Mit meiner Zunge die empfindliche Haut hinter seinen großen Ohren liebkosen. Seine vollen Lippen küssen.

Nervös bewege ich mich auf der Stelle. Meine Füße treten auf dem dünnen, grauen Teppichboden herum. Wie von allein tanze ich einen energischen Rhythmus. Der irgendwie zu Mikes bisher abgehackten Beats aus den Lautsprechern passt. Seine Musik spricht mich definitiv an. Das Mikro in meiner Hand schreit danach, mit meiner Stimme gefüllt zu werden. Ungeduldig überfliege ich nochmal den Text in meiner Hand. Mein Part ist kinderleicht. Ich habe die paar Zeilen längst verinnerlicht. Mikes Rap dagegen ist sehr viel umfangreicher. Bei der Bridge sollen unsere Stimmen sich überschneiden. Das ist total interessant. So etwas habe ich noch nie gemacht. Bin gespannt, wie sich das anhört. Fühle mich, als würde ich auf heißen Kohlen stehen. Die nervöse Anspannung steigt. Meine Augen liegen inzwischen beschwörend auf dem Besonderen. Sein Anblick beruhigt mich. Könnte diesen besonderen Mann den ganzen Tag lang angucken.

Der gut aussehende Halbjapaner lächelt amüsiert. Als er endlich von seinem Keyboard auf- und mich ansieht. „Hör dir das mal an, Chaz”, bittet er mich. Startet seine Musik mit nur einem Knopfdruck neu. Ein geiler, lauter Beat überflutet das Musikzimmer. Dieses Keyboard hat einen überraschend guten Klang. Trotz der beachtlichen Lautstärke verzerrt gar nichts. Die einzelnen Akkorde sind klar erkennbar. Deutlich zu unterscheiden. Mein Körper reagiert sofort auf die höchst willkommenen und viel zu lange vermissten akustischen Reize. Völlig unwillkürlich. Die Muskeln bewegen sich im Takt. Mein Kopf zuckt im eingängigen Rhythmus. Mikes fantastisches Lächeln paralysiert mich. Der Stachelige sieht mich glücklich an. Mit glühenden Augen verfolgt er meinen Tanz. Der Kerl strotzt nur so vor kreativer Leidenschaft. Es freut ihn, dass die Musik mich automatisch mitreißt. Sofort bewegt er seinen mit viel Liebe gestylten Kopf. Sein faszinierender Körper bebt. Exakt nach dem programmierten Beat. Automatisch tanzen wir gemeinsam. Gehorchen zusammen der beflügelnden Beschallung. Zum ersten Mal in unserem Leben.

Fühlen uns so wohl, wie vielleicht seit Ewigkeiten nicht mehr. Weil geile Musik uns schlicht glücklich macht. Ich kann Mike ansehen, wie fantastisch es ihm damit geht. Wie mächtig stolz er auf seine Leistung am Keyboard ist. Absolut zu recht. Der scheue Besondere ist momentan auffallend gegenwärtig. Jede perfekte Faser von ihm scheint wunderbar lebendig. Erfüllt von kreativer Energie. Mikey ist hundertprozentig im Hier und Jetzt. Das gefällt mir so sehr, dass meine Haut sich kribbelnd zusammenzieht. Ungewollt gurrend erschaudere ich. Stöhne auf. Spüre seinen begeisterten Blick aus den tollen, dunklen Mandelaugen unter den breiten, schwarzen Brauen bis tief in meine empfindlichen Weichteile hinein. Himmel, ich glaube, ich werde gleich hart!

Als der Song zu Ende ist, startet Mike ihn gleich noch einmal. Diesmal zeigt er mir genau die Stellen, an denen mein Gesang einsetzen soll. Ich bin erstaunt, wie perfekt sich die Zeilen in den Beat einfügen lassen. Bei vielen Songs von Grey Daze ist das lange nicht so problemlos. Xero haben unbestreitbar ein riesiges Talent fürs Songwriting. Obwohl sich die Musikstile mischen, bildet das Ganze trotzdem eine überraschend eingängige Einheit. Davon bin ich ehrlich angetan. Fast beneide ich Shinoda ein bisschen für seinen raffinierten Song.

Nach dem dritten Hören fühle ich mich bereit zum Loslegen. Kann einfach nicht länger warten. Stehe mittlerweile echt unter Strom. „Wollen wir's versuchen, Mike?” dränge ich den Kerl ungeduldig. Sein Lächeln verursacht mir eine weitere kribbelnde Gänsehaut. „Okay, Chazy Chaz”, flüstert er beinahe. Kurz sieht es so aus, als wollte er mich wahrhaftig auf den Mund küssen. Mein Herz bleibt für ein paar Sekunden stehen. Als wir uns tief in die Augen blicken. Verbunden in wunderbarem Einklang. Zwei Musiker in erbaulicher Vertrautheit. Ich versinke in dem glänzenden Braun seiner Knopfaugen. Alles in mir schreit unweigerlich nach seiner Berührung. Seinem Kuss. Seiner Zärtlichkeit.

Aber dann wendet Mikey sich doch ab. Nimmt sich das zweite Mikro vom Ständer. Schaltet es ein. Das Teil fühlt sich sofort wohl in seiner Hand. Kein Zweifel daran, dass der Halbjapaner schon oft ein Mikrophon in der Hand hatte. Der Bartträger weiß genau damit umzugehen. Was mich absolut begeistert. Wie gut er damit aussieht. Shinoda mit dem Mikro in der rechten Hand. Das ist ja so was von heiß. Ich bin ehrlich hingerissen. Total erotisiert. Mein ganzer Körper kribbelt. Nervöse Endorphine. „Bereit, Chester?” fragt er mich augenzwinkernd. „So was von!” antworte ich begierig. Der Typ lacht belustigt. Startet With You aufs Neue. Mit nur einem Knopfdruck.

Der Beat fängt abermals an. Mittlerweile ist er mir vertraut. Vor lauter Enthusiasmus lasse ich zum Start einen lauten Schrei ins Mikro los. Einen echt langgezogenen. Für den ich viel Luft brauche. Und Kraft. Muss ungebremst losschreien. Habe mich vor Aufregung nicht besser im Griff. Ich bin so wahnsinnig angespannt. Und Schreien ist sehr befreiend. Das weiß ich aus reichlicher Erfahrung. Mein Schrei fügt sich problemlos in den Song ein. Bin überrascht, wie gut das zufällig passt. Mike lächelt mich überrascht an. Der Typ ist amüsiert von mir. Und sichtbar konzentriert. Wir stehen nebeneinander. Jeder ein Mikro in der Hand. Unsere Körper und Köpfe zucken während des Intros rhythmisch nach vorn. Mann, das fühlt sich so enorm gut an! Mein Herz hämmert wie verrückt.

An der vorgesehenen Stelle hebt Mikey das Mikrophon an seinen süßen Mund. Punktgenauer Einsatz. Ohne zu zögern fängt er mit seinem ersten Rap-Part an: „I woke up in a dream today to the cold of the static. And put my cold feet on the floor. Forgot all about yesterday. Remembering. I'm pretending to be where I'm not anymore. A little taste of hypocrisy. And I'm left in the wake of the mistake slow to react. Even though you're so close to me you're still so distant. And I can't bring you back.” Es berauscht mich enorm, dass der Süße seine Zeilen wahrhaftig auswendig kennt. Er hat sich tatsächlich an den Text von With You erinnert. Nach so langer Zeit. Der Kerl weiß jedes einzelne Wort. Zweifelsfrei. Er rappt seinen Part mit absoluter Sicherheit. Ich habe keine Zeit, seine unfassbare Schnelligkeit zu bewundern. Die verblüffende Deutlichkeit, mit der er seine Reime artikuliert. Ohne auch nur einmal hörbar nach Luft zu schnappen. Dieses Metier beherrscht er fehlerlos. Mike Shinoda ist unbestreitbar der geborene Rapper. Seine Rap-typischen Hand- und Körperbewegungen unterstreichen den Beat. Auf perfekte Weise. Er hat tatsächlich seine Rap-Skills eingeübt. Und zwar sehr erfolgreich. So wie er es mir gestern beim Abendessen erzählt hat. Sein schöner Körper fügt sich nahtlos in die Musik ein.

All das registriere ich nur am Rande. Obwohl Mikeys unglaubliche Präsenz mich augenblicklich zu überwältigen droht, habe ich keine Gelegenheit zum Staunen. Denn ich bin sofort mit meinem Part dran. Ich will diesen schönen Song auf keinen Fall versauen. Will keine Fehler machen. Aber ich singe ihn zum ersten Mal in meinem Leben. Darum muss ich mich auf meinen Text konzentrieren. Dazu brauche ich Mikes Zettel eigentlich nicht mehr. Habe mir die wenigen Wörter längst gemerkt. Halte das Papier aber weiterhin krampfhaft in meiner rechten Hand. Als könnte ich mich irgendwie daran festhalten. Ich hole Luft, hebe das Mikrophon und löse Mike ab, indem ich meinen Teil singe.

„It's true. The way I feel was promised by your face. The sound of your voice painted on my memories. Even if you're not with me I'm with yoouuu”, röhre ich energiegeladen in mein Mikro. Mikes Stimme überschneidet sich mit meiner, als er rappt: „You, now I see, keeping everything inside.” Ich falle ein mit: „With yoouuu...” „You, now I see, even when I close my eyes”, beendet Mike unser allererstes Zusammenspiel. Bin überrascht. Weil sich das beglückend anfühlt, wenn wir beide gleichzeitig singen. Weil es sich unerwartet harmonisch anhört. Weil meine Stimme anders klingt als sonst. Meine Tonlage ist tiefer als üblich. Ich singe rotziger, als ich mit Grey Daze je gesungen habe. Meine Stimme ist voll mit seltsamen Aggressionen. Unterschwellige Wut. Die eigentlich im Gegensatz zum Inhalt der Zeilen steht. Weiß auch nicht, warum das jetzt gerade in dieser Tonhöhe aus mir rauskommt. Scheint mir einfach passend zu sein.

Oder hat Mikey sich diesen Song vielleicht ganz anders vorgestellt? Verunsichert schaue ich zu meinem Partner hin. Offenbar gefällt ihm, was ich hier mache. Sein Lächeln ist schlicht atemberaubend. Das hier ist eine ganz neue Erfahrung für mich. Beim Singen jemanden direkt an meiner Seite zu haben. Nicht mehr der alleinige Frontmann zu sein. Dem normalerweise die meiste Aufmerksamkeit gilt. Der den Text behalten muss. Den Inhalt des Songs so eindrucksvoll wie möglich übermitteln sollte. Das fühlt sich erstaunlich gut an. Nicht allein zu sein. Es verbindet mich mit Mike Shinoda. Auf eine ganze neue, aufregende Art.

Der Stachelige hat nahtlos mit seinem zweiten Rap-Part angefangen: „I hit you and you hit me back. We fell to the floor. The rest of the day stands still. Fine line between this and that. When things go wrong I pretend the past isn't real. Now I'm trapped in this memory. And I'm left in the wake of the mistake slow to react. Even thought you're close to me you're still so distant. And I can't bring you back.” „It's true. The way I feel was promised by your face. The sound of your voice painted on my memories. Even if you're not with me I'm with yoouuu”, brülle ich zum zweiten mal meinen Refrain. So engagiert und heftig, dass ich dabei unabsichtlich auf den Boden spucke. Das Gefühl kommt ganz tief aus meiner Seele raus. Es entlädt sich auf vertraute Weise. Über meine Stimmbänder. Diese Chance, sich emotional zu befreien, genieße ich unendlich. Ich mag diesen Text. Total. Er ist gefühlsbetont und poetisch. Das liegt mir. Kann ich echt viel mit anfangen. Ich versuche immer, meine Songs ebenfalls in dieser Art zu schreiben. Sie müssen sich ehrlich anfühlen. Meistens passiert das auch so.

Aber das hier. Das ist einfach perfekt. Selten habe ich mich dermaßen euphorisch gefühlt. Mein Herz pocht schneller als der Rhythmus. „You, now I see, keeping everything inside”, rappt Mikey die Bridge. Darüber kommt mein: „With yoouuu...” „You, now I see, even when I close my eyes”, wiederholt der Barträger, „You, now I see, keeping everything inside.” „With yoouuu...” „You, now I see, even when I close my eyes.” Je länger wir zusammen jammen, umso mehr nimmt es uns gefangen. Fast unbemerkt. Der schwarze Stachelkopf und ich sind mittlerweile völlig weggetreten. Wir befinden uns komplett in einer anderen Welt. Dieses tröstliche, abgehobene Etwas. Das man Musik nennt. Es ist vielleicht Rock. Ein bisschen Nu-Metal. Oder eher Hip-Hop. Oder was auch immer. Völlig egal. Denn es ist ein verdammtes Wunder. Das einem kinderleicht bis in die tiefsten Winkel der sorgsam versteckten Seele fährt. Sich ungehindert da breitmachen kann. Bis man restlos ausgefüllt ist. Von dem schlagenden Beat. Dem stampfenden Rhythmus. Dem Wohlklang der Akkorde. Die von den Ohren aus den gesamten Körper erfassen. Mike und ich tanzen wie verrückt. Gehorchen dem Sound der Maschine. Schütteln unsere Leiber und Köpfe. Weit nach vorne gebeugt. Als wäre das hier ein professioneller Auftritt. Irgendwo auf einer großen Bühne. Vor einem zahlenden Publikum. Und nicht nur unser erster gemeinsamer musikalischer Gehversuch. Im schalldichten Musikzimmer. Im Keller der geschlossenen Psychiatrie.

Der Text von With You ist mir längst bekannt. Ich muss bestimmt nicht nochmal nachschauen. Darum schleudere ich das lästig gewordene Blatt Papier in einem Anfall von Übermut weit von mir weg. Es flattert haltlos durch den Raum. Gleitet langsam zu Boden. Nehme mein Mikro in beide Hände. Hole tief Luft. „No. No matter how far we've come. I can't wait to see tomorrow. No matter how far we've come. I can't wait to see tomorrow”, singe ich sehr melodisch, als Mike sich auch schon einmischt: „You, now I see, keeping everything inside.” „With yoouuu...”, falle ich dazwischen. „You, now I see, even when I close my eyes.” „With yoouuu...” „You, now I see, keeping everything inside.” „With yooouuuuuu...” „You, now I see, even when I close my eyes.” Mike und ich singen gleichzeitig. Abwechselnd. Gemeinsam. Übereinander. Was auch immer. Ich rotze ihm mein „Yooouuuu...” zunehmend vor die Füße. Mit aller Gewalt. Bin aggressiv. Angepisst. Mike hält ungerührt dagegen. Dieser Song ist der Hammer. Wir machen daraus ein Duell der Supermächte. Seine wunderschöne, energiegeladene Stimme fährt mir durch sämtliche Nervenbahnen. Mikeys Anblick fesselt mich. Er sieht so verflixt scharf aus. Diese fantastisch großen, dunklen Augen. Die breiten, dichten Augenbrauen. Das runde Gesicht. Die süße Nase. Die geilen Lippen. Jeder von uns weiß genau, was er zu tun hat. Als hätten wir das hier schon tausendmal gemacht. Das Gefühl der Gemeinsamkeit mit dem Besonderen wird beim Singen dermaßen gewaltig, dass es anfängt mich zu überwältigen. Wohlige Schauder wirbeln durch meinen aufgeputschten Leib. Adrenalin. Endorphin. Weiß auch nicht genau.

Ich bin ins Schwitzen geraten. Habe mich echt angestrengt. Alles gegeben. Mikey auch. Es kribbelt angenehm zwischen meinen Beinen. Überdeutlich spüre ich, wie sich das Blut in meinem Penis zu stauen beginnt. Ich bin total angeturnt. Mächtig erregt worden. Von Shinodas Professionalität. Seinem unbestreitbar riesigen Talent. Seiner Attraktivität. Seinen hervorragend gemeisterten Rap-Parts. Die er alle auswendig weiß. Von der zu lange vermissten Musik. Dem emotionalen Text. Der vielleicht irgendwas mit uns zu tun hat. Das fühlt sich fantastisch an. Glückseligkeit überflutet mich. Aufgeregt schnappe ich nach Luft. Möchte noch mehr singen. Viel mehr. Wie wild tanzen. Weiter mit Shinoda zusammen jammen. Die ganze Nacht lang.

Aber With You ist leider schon zu Ende. Und mehr gemeinsame Songs haben wir noch nicht. Das Keyboard verstummt nach den letzten einprogrammierten Beats. Abrupt. Statisch aufgeladene Stille folgt. Trete ruhelos auf der Stelle herum. Das Mikro brennt in meiner Hand. Es will dringend weiter benutzt werden. Flehend schaue ich Mike an. Er soll irgendwas tun. Damit es weitergeht. Kann jetzt unmöglich aufhören. Der Stachelige ist genauso außer Atem wie ich. Auch er hat alles gegeben. In diesen Song seine ganze Energie gesteckt. Seine Augen leuchten aufgeregt. „Wow... Chester...”, keucht er ergriffen, „Mann... das... war... mega geil... Oder?” Verunsichert sucht er in meinem Gesicht nach meiner Zustimmung. Die ich ihm aus ganzem Herzen versichern kann. „Ja... wow, Mikey... echt, ey... das war der Hammer!” gebe ich ihm recht. Das Mandelauge grinst erleichtert. „Das hat sehr viel besser geklappt, als ich befürchtet habe”, gibt er verlegen zu, „Und sofort beim ersten Mal...” Ich frage mich, warum ihn das so sehr wundert. „Wieso? Hast du gedacht, dass ich das nicht hinkriege?” frage ich ihn leicht angefressen. Amüsiert kichernd schüttelt er seine schwarzen Stacheln. „Nein, Chazy Chaz. Aber das ist schon sehr beeindruckend. Wie reibungslos das funktioniert hat. Wie perfekt wir sofort zusammenpassen”, erklärt er gutmütig.

Im nächsten Moment wird er zuckersüß rot. „So musikalisch gesehen”, setzt er hastig hinzu. „Ja klar”, grinse ich belustigt, „So musikalisch gesehen.” Plötzlich passiert was Geiles. Als wir uns eine Weile schüchtern tief in die Augen sehen. Bin echt fasziniert von seiner Schönheit. Ich glaube, uns beiden ist bewusst, dass wir längst nicht nur musikalisch zusammenpassen. Das macht uns verlegen. Zieht uns aber auch magisch zueinander hin. Mein Herz ist noch voll mit aufgeladener Energie. Sofort habe ich diese erotischen Erlebnisse mit dem Halbjapaner vor Augen. Wie unglaublich nahe wir uns gekommen sind. Wie sphärisch der Mann mich sexuell erregen kann. Will dringend, dass er heftig an meinen Dreadlocks zieht. Spüre deutlich meine pralle Erektion. Eng in meine Jeans gepresst. Habe Lust sie rauszuholen.

„Mike...”, seufze ich ratlos. Mache einen impulsiven Schritt auf ihn zu. Bin verblüfft, weil er nicht zurückweicht. Sondern mir nur angespannt entgegensieht. Mir fällt auf, dass der Typ vor Nervosität zittert. Offensichtlich hat das schnelle Rappen ihn total aufgeputscht. With You hat uns beide kreativ aufgeladen. Bis zum Anschlag. „Wie gefällt dir der Song?” will Halbjapaner überstürzt wissen. Ich lächele ihn beruhigend an. „Der Song ist klasse, Mikey. Dafür, dass es angeblich eurer erster Versuch einer Fusion von Hip-Hop und Rock ist, finde ich With You ganz schön professionell”, eröffne ich ihm. Dem Mitpatienten entweicht ein begeistertes Stöhnen. „Mann, du hast so toll gesungen, Chaz. Das war absolut herausragend. Man hört so unfassbar viel Power in deiner Stimme. Das war sehr viel intensiver, als wenn ich den Song mit Marc gesungen habe”, schwärmt der halbe Japaner. „Marcs Stimme reicht nicht mal annähernd an deine heran”, setzt er mit strahlender Miene hinzu. „Danke, Mike, das ist nett”, seufze ich. „Das ist die Wahrheit, Chester Bennington!” bekräftigt er ernst.

Mache noch einen Schritt auf ihn zu. Lasse ihn dabei nicht aus den Augen. Im nächsten Moment stehe ich dicht vor ihm. Shinoda weicht tatsächlich nicht zurück. Was mich vollkommen lahmlegt. Habe das Gegenteil erwartet. Habe damit gerechnet, dass er sich schüchtern vor mir in Sicherheit bringt. Verwirrt und mächtig erregt betrachte ich sein wunderschönes Gesicht. Sein Mund steht ein Stückchen offen. Der Kerl atmet schwer. Da ist ein Hauch von Schweiß auf seiner hohen Stirn. „Was machen wir denn jetzt, Mike Shinoda?” flüstere ich atemlos. Der Bärtige erwidert meinen Blick. „Ich weiß nicht, Chaz...”, krächzt er scheu. Sein Körper erschaudert spürbar. Mike zieht gurrend die Schultern hoch.

Das fasziniert mich. Da ist so eine geile Spannung zwischen uns. Unsere Körper glühen innerlich. Diese magische Power. Die sich beim Jammen automatisch aufbaut. Und die man so schnell nicht wieder loswird. Die Kraft, die einen dazu drängt, immer weiter zu machen. Ich kann spüren, dass es Mike genauso geht wie mir. Dass er auch diese gigantisch aufgeladene Energie in sich spürt. Die danach schreit, wieder abgebaut zu werden. Entweder, indem man weiter singt. Hemmungslos tanzt. Zu lauter, fantastischer Musik. Oder eben auf eine andere Art. Mir schwebt gerade eine mächtig geile Art vor. Es drängt mich unglaublich, den Besonderen auf seinen schönen Mund zu küssen. Will das schon seit Ewigkeiten tun. Seit wir sein Zimmer verlassen haben. Kann mich kaum zurückhalten. Nur die Warnleuchte in meinem Schädel hält mich davon ab. Die mir einhämmert, dass Mikey das auf gar keinen Fall will. Ich darf ihm nicht zu nahekommen. Wenn wir nicht allein sind. Das möchte er nicht. Der scheue Kerl ist noch nicht so weit. Vielleicht später mal. Schon tausendmal hat er mir das mit strenger, verärgerter Stimme eingehämmert. Das verunsichert mich. Ich bin unschlüssig.

Während ich noch verwirrt überlege, ob seine fraglos ernstgemeinte Anweisung hier und jetzt auch gilt, kommt der Halbjapaner mir plötzlich hektisch entgegen. Sein Gesicht nähert sich meinem so schnell, dass ich gar nicht reagieren kann. Total überrumpelt werde. Absolut überrascht. Himmel nochmal! Mike Shinoda küsst mich. Mitten auf den Mund. Unsere Lippen prallen heftig aufeinander. Ungebremst. Weil er so stürmisch ist. Der Typ wirft sich auf mich. Seine Zunge drängt flehend um Einlass. Mit nur einem halben Schritt ist er bei mir. Umschlingt mich hastig mit beiden Armen. Presst mich augenblicklich gierig an sich. Sofort fühle ich die feuchte Hitze, die von ihm ausgeht. Das Zittern in seinen Muskeln. Die nervöse Anspannung, die er ausstrahlt. Das Hämmern des kräftigen Herzens in seiner Brust. „Chaz... bitte...”, stöhnt er überwältigt an meinem Mund. Ich kann gar nicht kapieren, was hier passiert. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet. Nicht mal in meinen kühnsten Träumen. Dass Michael Shinoda aus Agoura Hills so etwas macht. Sich so impulsiv verhält. Spontan seinen glühenden Trieben gehorcht. Bedingungslos. Ich weiß zwar, dass er das kann. Er hat es mir schon mal gezeigt. Vor ein paar Tagen. Mit mir allein. Auf der Parkbank. Als es ihn übermannte. Aber doch nicht an diesem Ort. Niemals in dieser Situation. Das ist doch völlig abwegig, denke ich konfus.

Ich bin dermaßen überrascht, dass ich seinen erotischen Überfall gar nicht verarbeiten kann. Als mein Mund sich auch schon für ihn öffnet. Unwillkürlich lasse ich ihn ein. Seine Zunge fährt sofort tief in meine Mundhöhle. Fühlt sich dort erstaunlich wohl. Behutsam lege ich meine Arme um ihn. Streichele zärtlich mit gespreizten Fingern über seinen stacheligen Hinterkopf. Habe links noch immer das Mikro in der Hand. Würde das überflüssig gewordene Teil eigentlich gerne weglegen. Geht aber jetzt im Moment nicht. Mike braucht meine volle Aufmerksamkeit. Drücke das Mikro gegen seine Niere. Er hat ebenfalls noch immer sein Mikrophon in der Hand. Presst mich aber trotzdem verlangend an sich. Streichelt mit der freien Hand meinen Nacken. Den Rücken. Über die Schulterblätter. An der Wirbelsäule entlang. Mit dem Mikro liebkost er gleichzeitig meinen Hintern. Drängt von hinten zwischen meine Beine. In den Lautsprechern verursacht das ein unangenehm lautes Knacken und Rauschen. Weil der entflammte Typ mit dem harten Mikro gezielt über den Stoff meiner Jeans reibt. Der Krach klingt schrecklich. Stört mich aber nicht. Weil es sich dafür umso besser anfühlt. Das ist seltsam intensiv. Mit einem Mikrophon gestreichelt zu werden. An diesen intimen Stellen. Habe ich auch noch nie erlebt. Mikey überrascht mich. Killt mich. Total. Unsere Zungen tanzen hemmungslos umeinander. Die Lippen saugen sich am anderen fest. Lecken uns gegenseitig hastig ab. Zwei geile Kerle. Voll mit aufgestauter Begierde. Mächtige, kreative Energie. Angesammelte Power. Die sich auf diese Weise Bahn bricht.

Das ist so wunderbar, was der Mann aus Agoura Hills macht, dass ich ehrlich gerührt bin. Überwältigt schlucken muss. Mein angespannter Körper erschaudert ein weiteres Mal. Viel heftiger als vorhin. Mein Herz pocht schnell. Fühle mich sofort geborgen. In seinen starken Armen. Beruhigt. Bin gut aufgehoben. Werde geliebt. Wir küssen uns mit fanatischer Leidenschaft. Streicheln uns. Irgendwo zwischen hart und zart. Genieße Shinodas unmittelbare Nähe unendlich. Seinen Körper dicht an meinem. Tief atme ich seinen betörenden Duft in mich rein. Höre Mike leise keuchen. Drücke ihn von hinten mit dem Mikro an mich. Presse unwillkürlich meine Erektion gegen seine Lenden. Stöhne zitternd auf. Weil mich diese direkte Berührung nun mal ziemlich aufgeilt.

„Wow, wow, wow! Ey, Moment mal! Nein, Jungs, wartet mal. Was soll das denn jetzt?!” höre ich eine bekannte Stimme aufjaulen. Die schnell näher kommt. Im nächsten Moment hat Ulli mich schon derb an der Schulter gepackt. Will mich gewaltsam von Mike wegzerren. Rückwärts. Aber ich stemme mich instinktiv gegen ihn. Seine Finger graben sich in mein Schultergelenk. „Mann, jetzt beherrscht euch bitte mal!” schnauft der Pfleger fassungslos, „Ich dachte, ihr wollt hier zusammen Musik machen.” Ich möchte Mikey nicht loslassen. Will den Besonderen nicht gehenlassen. Im Leben nicht. Aber der Patient zuckt erschrocken zusammen. Lässt mich hastig los. Schiebt mich weg. Stolpert ein paar Schritte aus meinen Armen weg. Bis er mit dem Arsch hart an das Regal hinter sich stößt. Maßlos schockiert starrt er mich an.

In diesem Moment begreife ich, dass der Halbjapaner wahrhaftig nur vergessen hatte, dass wir in diesem Zimmer nicht allein sind. Unsere Aufsicht hat sich nämlich die ganze Zeit so still verhalten, dass man ihn leicht vergessen konnte. Wenn Mike sich Ullis Anwesenheit bewusst gewesen wäre, hätte er mich fraglos niemals angefasst. Meine Erkenntnis ist wie ein herber Schlag ins Gesicht.

„Was ist nur los mit euch? Chester Bennington? Mike Shinoda? Könnt ihr euch nicht mal fünf Minuten zusammenreißen?” schimpft Ulli ärgerlich. Kalte Wut explodiert in mir. Impulsiv fahre ich zu ihm herum. Reiße seine Finger brutal von meiner Schulter weg. „Sag mir lieber mal, was mit dir los ist, Ulrich! Pausenlos gehst du uns auf die Eier! Meckerst ständig an uns herum! Liegt es daran, weil wir zwei Kerle sind? Bist du homophob oder so? Kannst du es nicht ertragen, wenn Mike und ich uns näherkommen? Kriegst du davon die Krätze, oder was?” schreie ich ihn zornentbrannt an. Meine Augen töten meinen Pfleger auf viele grausame Arten. Habe mich nicht gut im Griff. Verliere die Kontrolle über mich. Weil ich einfach nicht mehr weiß wohin mit meiner spontan explodierten Frustration. Mit all den gigantisch aufgestauten Emotionen. Die Enttäuschung ist zu groß, um sie klaglos wegzustecken.

Ulli guckt mich alarmiert an. Fixiert mich aufmerksam. Beschwichtigend hebt er beide Hände. „Beruhige dich, Chester Bennington”, verlangt er bemüht behutsam. „Nein, ich beruhige mich jetzt nicht! Ich finde das total zum Kotzen, was du machst!” blaffe ich nur wenig leiser, „Du bist doch besessen davon, Mike und mich auseinanderzubringen!” „Das stimmt nicht, Chester”, will Ulli mir mit ruhiger Stimme weismachen, „Ich bin nicht homophob.” Aber ich schnaufe nur geringschätzig. Glaube dem unverschämten Kerl kein Wort. „Du hast dich bei Mike über mich beschwert! Hast versucht ihm das mit mir auszureden!” werfe ich meinem Pfleger bitter vor. Seine blauen Augen huschen sofort vorwurfsvoll zu Shinoda hin. Offenbar ärgert es ihn, dass der Halbjapaner mir von seiner hinterhältigen Warnung erzählt hat. Das freut mich auf eine gehässige Art. Kann nicht sehen, wie der Stachelige reagiert. Weil Mikey momentan hinter mir steht. Und meine ganze Konzentration dem Pfleger gilt. „Mike erzählt mir nämlich alles!” schreie ich triumphierend, „Wir haben keine Geheimnisse voreinander!”

„Ist schon gut, Chester”, höre ich die zaghafte Stimme in meinem Rücken. Die zweifelsfrei dem Besonderen gehört. Das stellt mir die Nackenhaare auf. Aber diesmal vor Wut. Kann nicht fassen, dass der Rapper mich nicht unterstützt. Sondern nur versucht mich zu beruhigen. Genau wie der verfluchte Angestellte. Nur viel schüchterner. Entgeistert fahre ich zu Shinoda herum. Der junge Mann sieht traurig aus. Verstört. Beinahe ängstlich. Ich mag das nicht. „Findest du das etwa okay, was Ulli andauernd macht?” frage ich ihn mit bebenden Lippen. Mike schüttelt den Kopf. Hebt hilflos die Hände. Abwehrend. Noch immer halten seine Finger krampfhaft das Mikro fest. „Nein, aber das ist doch... Chester... bitte nicht... wir müssen das doch jetzt nicht hier...”, stammelt Halbjapaner eingeschüchtert. Seine Ohren sind tiefrot. Unentwegt schüttelt er seine schwarzen Stacheln. Seine Augen flehen mich an, es gut sein zu lassen.

Das kann ich nicht einsehen. Weil der andere Typ mir gerade unglaublich auf den Sack geht. Weil es zufällig mein Pfleger Ulrich ist, der meinen gesammelten Frust abkriegt. Spüre die Hand des Bediensteten. Die sich plötzlich beschwichtigend auf meine Schulter legt. Seine Finger tätscheln beruhigend mein Gelenk. Das kann ich echt nicht leiden. „Es geht nicht darum, dass ihr schwul seid”, erklärt Ulli sanft. „Wir sind nicht...”, widerspricht Mike sofort hörbar entsetzt. Bricht aber verwirrt ab. Als er meinen unzufriedenen Blick bemerkt. Ich verstehe nicht, warum Shinoda das so enorm wichtig zu sein scheint. Nicht schwul zu sein. Als würde das irgendeine Rolle spielen. Fühle mich herbe vor den Kopf geschlagen.

„Hör mal, Chester. Ich meine das doch nicht böse. Ich möchte euch wirklich nicht euren Spaß verderben. Aber das ist einfach viel zu wichtig, um es unkommentiert zu lassen. Es geht doch darum, dass ihr euch beide hier in einer Psychiatrie aufhaltet. Ihr seid ausschließlich hier, um gesund zu werden. Und dafür müsst ihr selbst intensiv an euch arbeiten. Das funktioniert nicht anders, Bennington. Deine persönliche Mitarbeit ist von ganz entscheidender Wichtigkeit für deine Genesung. Wenn du nicht mitwirkst, hast du keine Chance. Dann kann dir hier niemand helfen, Chester. Darum musst du verstehen, dass es wirklich nicht Sinn der Sache sein kann, sich in der Psychiatrie in amouröse Abenteuer zu stürzen. Das lenkt euch zwei doch viel zu stark von euch selbst ab”, spricht Ulli mit ruhiger, gutmütiger Stimme. Hinter meinem Rücken. Der engagierte Pfleger hört sich erstaunlich geduldig und mitfühlend an.

Aber es interessiert mich längst nicht mehr, was der Kerl zu sagen hat. Meine Augen liegen alarmiert fragend auf dem Halbjapaner. Weil Mike Shinoda mir das schmerzende Gefühl gibt, lediglich ein Fehler für ihn zu sein. Als wäre ich nur ein unüberlegter Ausrutscher. Den er schon jetzt bereut. Es fällt mir enorm schwer das zu schlucken. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich damit umgehen soll. Mikey deutet meinen traurigen Blick richtig. Instinktiv. Es ist verblüffend, wie gut der Besondere mich schon kennt. „Nein... das ist nicht so, Chester Bennington... bitte glaub das doch nicht... du bist extrem wichtig für mich... du bist der einzige, der mich weiterbringen kann... ich brauche dich doch, Chaz”, beteuert mein Mitpatient ein bisschen konfus. Das haut mich komplett aus den Socken. Wie er das jetzt gesagt hat. Er ist voll mit Liebe für mich. Zeigt mir seine Zuneigung ungebremst. Hemmungslos. In Anwesenheit des verdammten Pflegers. Ist ihm egal, ob Ulli ihn hören kann. Mister Shinoda meint das ehrlich.

Augenblicklich bin ich mit dem attraktiven Knopfauge versöhnt. Möchte ihn sofort auf den fantastischen Mund küssen. Nie mehr damit aufhören. „Ich brauche dich auch, Mikey”, versichere ich ihm mit hämmerndem Herzen. „Ach, Jungs!” stöhnt Ulli kopfschüttelnd, „Habt ihr mir denn gar nicht zugehört?” Der Aufpasser wird von beiden Patienten ignoriert. Versinke in diesen braunen Asiatenaugen. Überlege ernsthaft, den Bärtigen nochmal zu küssen. So wie gerade. Leidenschaftlich.

Plötzlich fliegt die Tür zum Musikzimmer auf. Eine junge Krankenschwester in schneeweißen Klamotten stürmt herein. Die ich noch nie gesehen habe. Zumindest nicht bewusst. „Mensch, Mike, da bist du ja endlich!” geht sie sofort auf den sichtbar verwirrten Schwarzhaarigen los, „Hier hast du dich also versteckt! Na, woher soll ich das auch ahnen!” Die aufgeregte Frau kommt schnell näher. Bleibt direkt neben mir stehen. Guckt Mikey vorwurfsvoll an. „Ich habe überall nach dir gesucht, Herr Shinoda. Du musst sofort mitkommen. Deine Eltern sind am Telefon. Sie wollen dich gerne sprechen”, informiert die Schwester den Mitpatienten diensteifrig. Es amüsiert mich, wie verschreckt der Angesprochene zusammenzuckt. „Meine Eltern?” entfährt es ihm völlig baff. „Ja, sie haben von deinen erfreulichen Therapie-Fortschritten gehört. Nun können sie es nicht erwarten, endlich mal mit dir darüber zu reden, sagen sie. Ich habe das schon mit deinem Psychologen abgeklärt. Doktor Doyle hat nichts dagegen, wenn du mit deinen Eltern telefonierst”, erläutert die Pflegerin dem verdatterten Mann aus Agoura Hills erfreut.

Mike wirft mir einen panischen Blick zu. Offensichtlich hat er nicht mit einem Anruf seiner Eltern gerechnet. Keine Ahnung, wie lange der Typ nicht mit denen gesprochen hat. Scheint aber schon eine Weile her zu sein. So wie Mikey mich ansieht. Als könnte ich ihm irgendwie helfen. Ihn vielleicht mit einem Zaubertrick aus dieser unerwartet aufwühlenden Situation herausholen. „Ist doch toll”, bemerke ich lächelnd. Um den sichtbar nervösen Mann zu beruhigen. Was ich so von ihm gehört habe, hat er doch scheinbar ein total gutes Verhältnis zu seinen Eltern. Darum ist mir nicht ganz klar, wo sein Problem liegt.

Aber Michael ist ziemlich von der Rolle. Hektisch bewegt er sich zum Mikrophonständer. Schraubt sein Mikro mit zitternden Fingern an dem Metallteil fest. „Dann war's das wohl mit unserer Musik?” frage ich ein bisschen enttäuscht. Hatte darauf gehofft, noch sehr viel mehr Songs zusammen mit Mikey singen zu dürfen. „Tut mir leid, Chaz”, versichert der halbe Japaner sofort, „Ich habe nicht gewusst, das...” „Nein, eure gemeinsame Musikstunde ist sowieso vorbei”, unterbricht Pfleger Ulrich ihn energisch, „Ich wollte euch beide ohnehin jetzt hier rausschmeißen.” „Kommst du, Mike?” drängelt die blonde Krankenschwester ungeduldig. „Tut mir echt leid, Chester”, wiederholt Shinoda bedauernd. Beschwichtigend hebe ich die Hände. „Nein, Mikey, ist schon okay. Find ich toll, wenn du mit deinen Eltern redest”, versuche ich ihm gut zuzureden. Er schenkt mir ein klägliches Lächeln. Verdreht auf extrem süße Art seine tollen, großen Knopfaugen. Wendet sich elegant um. Verlässt neben der Pflegerin den Kellerraum. Mit schnellem Schritt. Im nächsten Moment sind die beiden Menschen verschwunden. Die Tür lassen sie weit offen stehen.

Reglos schaue ich ihnen nach. Fühle einen widersinnig schmerzhaften Stich in meinen Eingeweiden. Weil Mike nicht mehr da ist. Weil er einfach weggegangen ist. Ich vermisse den Besonderen. Möchte nicht alleine sein. Mag es nicht, wenn ich verlassen werde. Die kläglichen Reste meiner Erektion fallen traurig in sich zusammen. „Was ich gerade gesagt habe, das war mein voller Ernst, Chester”, bringt Ulli sich zurück in meine Erinnerung. „Dass die Musikstunde jetzt vorbei ist?” frage ich desinteressiert. Der Mann bläst spöttisch Luft aus. „Nein, dass es hier in der Psychiatrie nicht angebracht ist, wenn du mit Mike Shinoda eine sexuelle Affäre unterhältst”, erklärt er mir leicht gereizt, „Das schadet dir auf ganzer Linie, Bennington. Dabei kannst du nur verlieren. Du solltest stattdessen endlich mal damit anfangen über dein verkorkstes Leben nachzudenken.” Gelangweilt schaue ich meinen Pfleger an. Bringe mein Mikro zurück an seinen Platz. Schraube es ordentlich an dem freien Metallständer fest. Es lässt mir keine Ruhe, dass Shinoda ans Telefon gerufen wurde. Das macht mich total verrückt.

„Darf ich bitte auch mal kurz telefonieren, Ulli?” erkundige ich mich so freundlich wie möglich bei dem Angestellten. Übergehe dabei bewusst seinen total bescheuerten Hinweis. Ulli seufzt unzufrieden. Ich wette, er würde gerade sehr viel lieber noch länger mit mir über sexuelle Affären sprechen, der geile Wichser. „Ich weiß nicht, Chester. Du bist erst seit einigen Tagen hier. In der Anfangszeit ist ein Telefonat für dich nicht vorgesehen. Das müsste ich vorab mit deinem Psychologen besprechen”, erklärt der Typ mir spürbar widerwillig. „Kannst du das nicht bitte mal für mich tun?” bitte ich ihn schüchtern. Mein Herz hämmert los. Prompt bin ich mega aufgeregt. Weil Ulli nicht sofort nein gesagt hat. Weil es eine winzige Chance zu geben scheint, dass ich tatsächlich gleich telefonieren darf.

„Wen willst du denn plötzlich so dringend anrufen?” erkundigt mein Pfleger sich misstrauisch. Fieberhaft grübele ich darüber nach, welche Antwort in diesem Moment wohl die Günstigste für mich wäre. Bei welchem Gesprächspartner meine Chancen am größten sind, dass der zögernde Entscheidungsträger die Notwendigkeit meines Telefonats einsieht. Blitzschnell entscheide ich mich für die Antwort, die mir am vielversprechendsten erscheint. „Meinen Vater”, behaupte ich enorm nervös. Lächele entschuldigend. „Weißt du, Ulli, ich habe schon so lange nicht mehr mit meinem Dad geredet”, erläutere ich scheu. Naja. Zumindest der letzte Satz war nicht gelogen. Meine Augen flehen den Weißgekleideten an, mir diesen lebenswichtigen Gefallen zu tun. Ulli nickt nachdenklich. Lässt mich noch eine Weile zappeln. Während er mich unschlüssig studiert. Ich halte seinem suchenden Blick aus blauen Augen verlegen stand. Inzwischen stehe ich kurz vor einem Herzinfarkt.

Endlich trifft der zaudernde Kerl eine Entscheidung. „Also okay, Chester. Ich werde mal sehen, was ich für dich tun kann”, gibt er zu meiner absoluten Verblüffung nach. Mein Herz bleibt aus voller Fahrt abrupt stehen. Schockiert starre ich ihn an. Schnappe angespannt nach Luft. Weil ich in Wahrheit gar nicht damit gerechnet habe, dass der Typ meinen Wunsch auch nur in Erwägung ziehen würde. Ulli lacht über meine offensichtliche Verwirrung. Meine impulsive Schockstarre amüsiert ihn prächtig. „Aber jetzt komm erst mal raus hier, Bennington. Ich muss das Musikzimmer abschließen”, drängt der gewissenhafte Pfleger mit einer Handbewegung zum Aufbruch. „Nimm bitte dein Textblatt mit”, setzt er drängend hinzu. Deutet auf das Blatt Papier auf dem Fußboden. Das ich da im Überschwang der Session hingeschleudert hatte.

Also laufe ich hin. Hebe das Papier mit Mike Shinodas wunderschöner Handschrift vom Boden auf. Falte das US-Letter Format sorgfältig zusammen. Stecke es hinten in meine Jeanstasche. Verlasse mit Ulli gemeinsam den schalldichten Kellerraum. Durch die unverändert offen stehende Tür. Bin ein bisschen traurig. Weil ich nicht weiß, ob ich jemals nochmal in diesem Zimmer mit Mikey Musik machen darf. Das hat riesigen Spaß gemacht. Mit dem Besonderen. Der süße Kerl ist wahnsinnig talentiert. Es turnt mich an, wie energiegeladen er rappt. Ich will das so bald wie möglich wiederholen. Möchte noch viel mehr Songs von ihm lernen. Mann, wir haben doch gerade mal einen einzigen Song geschafft. Ich wollte sehr viel länger hierbleiben. Habe sogar mit dieser Therapeutin darüber verhandelt. Die unvorhergesehene Kürze unserer Jamsession enttäuscht mich.

Draußen bleibt Ulli stehen. Sorgfältig schließt er die Tür ab. Sein dicker Schlüsselbund interessiert mich. Ich vermute, dass der Pfleger Schlüssel für jeden Raum dieser Station besitzt. Das muss ich unbedingt im Hinterkopf behalten. Könnte sich mal als nützlich erweisen. „Ich fand das übrigens gar nicht so schlecht, was Mike und du da gerade musikalisch gemacht habt”, eröffnet mein Aufpasser mir lächelnd. Wahrscheinlich ist es das erste Mal, dass ich so etwas wie ein Lob von diesem Mann höre. Darum bin ich völlig verdattert. „Echt?” muss ich mich spontan vergewissern. Ulrich grinst belustigt. Und nickt. „Ja, ehrlich, Bennington. Die Musik von dem Keyboard war mitreißend. Es ist erstaunlich, wie schnell Shinoda da einen kompletten Song einprogrammieren kann. Das hat mich beeindruckt. Außerdem hat es sich richtig gut angehört, wie ihr gemeinsam dazu gesungen habt. Ich meine... der eine gerappt und der andere gesungen... diese Power zwischen euch... das hatte unbestreitbar was...” Verlegen zieht er die Schultern hoch. „Danke schön, Ulli”, erwidere ich verwirrt. Habe diesen Kerl noch nie so scheu erlebt. Ist schon merkwürdig, welche unbekannte Seite von sich er mir plötzlich zeigt. Das verunsichert mich. Dass Ulli auf einmal so nett zu mir ist. So umgänglich erscheint. So kenne ich ihn gar nicht. Bin was komplett anderes von dem rauen Kerl gewohnt. Weiß nicht genau, was ich davon halten soll.

Neben dem großen Mann laufe ich über den endlos scheinenden Flur. Anschließend die Treppe hinauf. Dann durch noch mehr stupide Gänge. Der Weg zurück ist logischerweise genauso weit wie vorhin, als wir hingegangen sind. Werde mich allein niemals in dem riesigen Gebäude der Psychiatrie zurechtfinden. „Warum willst du eigentlich deinen Vater sprechen?” erkundigt der Pfleger sich auf einmal argwöhnisch. In mir zieht sich jäh alles zusammen. „Weil mein Dad mir ein Paket schicken will. Ich möchte ihm sagen, was er einpacken soll”, erwidere ich spontan. Weil mir gerade nichts Besseres dazu einfällt. Ich habe große Mühe, mir mein instinktives Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Zum Glück nickt Ulli verständig. Scheint eine gute Antwort gewesen zu sein. Bin zufrieden mit mir.

Der Blonde läuft schnell. Es ist anstrengend, mit ihm Schritt zu halten. Keine Ahnung, wo der eifrige Pfleger so eilig hin will. Aber er scheint ein wichtiges Ziel zu haben. Das ist mir im Moment egal. Bin mit meinem Kopf woanders beschäftigt. Grübele darüber nach, wen von der Band ich am besten anrufen sollte. Ich muss unbedingt erfahren, wie es mit Grey Daze in der Zwischenzeit gelaufen ist. Entschieden zu lange bin ich nicht mehr mit dabei gewesen. Ich will dringend wissen, wie weit die Jungs mit unserem Album gekommen sind. Ob sie zu Hause in Phoenix auf mich warten werden. Das macht mich tierisch nervös. Diese bohrende Ungewissheit. Ich halte das nicht aus. Das Singen mit Shinoda hat mich erst recht daran erinnert, wie weit meine lebenswichtige Musik zur Zeit von mir entfernt ist. Sie ist quasi unerreichbar. Das geht so nicht. Ich muss da zwingend mitreden können. Ich ertrage es nicht, wenn ohne mich womöglich alles kaputtgeht.

Plötzlich bleibt Ulrich stehen. Direkt vor einer der unzähligen Türen. „Warte bitte kurz hier, Chester”, weist er mich knapp an. Klopft an diese weiße Holztür. Tritt nach der dumpfen Aufforderung aus dem Inneren ein. Macht die Tür hinter sich zu. Ich bin schon mal hier gewesen. Zweifellos. Kann mich aber nicht richtig erinnern warum. Meine Augen suchen intuitiv das kleine Namensschild. Das neben einigen Türen angebracht wurde. Darauf wird manchmal der Bewohner des Zimmers hinter der Tür offenbart. Dies hier ist das Büro von Professor Paulsen. Ich beglückwünsche mich zu meiner guten Erinnerungsgabe. Tatsächlich habe ich schon einige Male mit Paulsen in seinem Büro sprechen müssen. Allerdings ist er nicht mein persönlicher Psychologe. Sondern der verdammte Chefarzt der gesamten geschlossenen Psychiatrie. Glaube ich wenigstens.

Es macht mich nervös, dass Ulli nicht wie angekündigt mit meinem Psychologen, sondern mit dem höchsten Tier an diesem Ort spricht. Bestimmt geht es um mich. Um meinen Wunsch nach einem Telefonat. Kapiere nicht, warum das nötig ist. Unruhig trete ich auf dem Steinfußboden des Flures herum. Meine Augen huschen nervös durch die Umgebung. Ulli hat die Tür zugemacht. Darum kann ich nicht sehen oder hören, was drinnen passiert. Das macht mich verrückt. Plötzlich verspüre ich das starke Bedürfnis wegzulaufen. Mich schnell in Sicherheit zu bringen. Muss ehrlich mit mir kämpfen, um mich nicht von der Stelle zu bewegen. Hampel stattdessen ein wenig herum. Bewege Arme und Beine. Um die schnell wachsende Nervosität abzubauen.

Zum Glück kommt Ulrich schon nach wenigen Minuten wieder aus dem Büro raus. Lächelnd schließt er hinter sich die Tür. „Das geht in Ordnung, Bennington”, informiert er mich großzügig, „Professor Paulsen ist damit einverstanden, dass du deinen Vater anrufst. Du darfst ihm mitteilen, was genau er dir herschicken soll.” Es fällt mir schwer, gelassen zu erscheinen. Bin ehrlich am ausklinken. Weil das verdammte Telefonat immer näher rückt. Weil es mir so verflucht wichtig ist, mit meiner Band zu sprechen.

„Wolltest du nicht meinen Psychologen danach fragen? Und nicht Professor Paulsen?” erkundige ich mich atemlos bei Ulli. Mist, der Typ bemerkt meine Nervosität. Erstaunt grinst er mich an. Interessiert studiert er die unwillkürlichen Bewegungen meiner Arme und Beine. „Ja, aber mittlerweile ist es später Nachmittag, Chester. Mir ist eingefallen, dass dein Psychologe schon Feierabend hat und sich momentan nicht mehr im Hause aufhält”, erklärt mein Pfleger mir geduldig, „Darum musste ich dein Anliegen mit Professor Paulsen abklären.” Ich nicke gleichgültig. Ist ja auch scheißegal. Hauptsache ich darf endlich telefonieren.

Der lästige Angestellte betrachtet mich noch eine Weile. Sichtbar belustigt. Genervt weiche ich seinem Blick aus. „Hast du etwa Angst, Chester?” fragt er plötzlich vorsichtig. Meine Augenbrauen verengen sich. Als ich ihn verärgert anschaue. „Nein, Ulli. Ich habe keine Angst. Ich bin nur ein bisschen nervös. Habe eben ziemlich lange nicht mit meinem Dad gesprochen”, erkläre ich ihm gereizt. „Du scheinst mir aber sehr viel mehr als nur ein bisschen nervös zu sein”, stellt Ulli gutmütig fest. Dafür erntet er nur ein abfälliges Schnaufen von mir. Nochmal begutachtet der Kerl mich ein paar Minuten lang höchst interessiert. Weiß echt nicht, wie lange ich das noch aushalten soll. Bin nahe daran die Nerven zu verlieren.

„Okay, dann komm mal mit, mein Freund”, erlöst Pflegekraft mich schließlich gönnerhaft, „Du darfst das Telefon an der Anmeldung benutzen.” Diesmal kann ich dem großen Mann gar nicht schnell genug folgen. Ulli geht zum Glück mit zügigen Schritten unserem Ziel entgegen. Zu meiner Erleichterung kommt die Anmeldung ziemlich bald in Sicht. Hinter dem Tresen sitzt eine Krankenschwester. Die uns fragend entgegensieht. „Hi Bridget”, grüßt Ulli überschwänglich mit erhobener Hand. Spitzbübisch lächelt er die Pflegerin an. Beugt sich über den Tresen. Flirtend zu ihr hinunter. Offenbar kennt er die Frau gut. „Wir benutzen mal eben dein Separee”, scherzt der Kerl lachend, „Chester darf heute zum ersten Mal seinen Vater anrufen.” Sofort trifft mich der verdutzte Blick von Bridget. „Jetzt schon? Das ist ja toll, Chester”, meint sie verblüfft. Als wäre das Telefonat ein besonderer Verdienst von mir. „Ja, total toll”, stimme ich ein wenig gezwungen zu. Versuche ein Lächeln. Misslingt komplett.

Ulli zieht mich am T-Shirt gepackt in die Anmeldung hinein. Hinter den Tresen. Zu einer Tür im hinteren Teil. Von Bridgets Reich. Hinter dieser Tür befindet sich eine Art winziges Büro. Mit Schreibtisch. Computer. Vielen Aktenordnern. Auf dem Schreibtisch steht endlich das heiß ersehnte Telefon. Natürlich ist es analog. Habe ich nicht anders erwartet. Das graue Gerät hat sogar eine urige Wählscheibe. In Zeiten von Handys ist das so was von retro. Aber an diesem verfluchten Ort scheinen Handys ja nicht mal zu existieren. Freue mich wie bekloppt über dieses alte Telefon. Mein Herz überschlägt sich. Die Luft wird mir knapp. Bin nicht sicher, ob ich nicht gleich in Ohnmacht falle. Habe Mühe damit, mich zusammenzureißen.

Fünf Sekunden später verwandelt sich meine Freude in pures Entsetzen. Ulli zieht einen neongelben Memo-Zettel aus seiner Hosentasche. Als ich ihn verwirrt ansehe, erklärt er wie beiläufig: „Professor Paulsen hat mir die Telefonnummer von deinem Dad gegeben.” Schlagartig verkrampfen sich alle meine Eingeweide. „Ähm... warum denn? Ich kenne die Nummer von meinem Dad doch!” wende ich alarmiert ein. Schaue ihn fragend an. Augenblicklich verengen sich Ulrichs helle Augen. Voller Argwohn studiert er mich. „Naja, ich übernehme mal lieber das Wählen für dich, Chester Bennington. Damit zwischen uns erst gar keine Missverständnisse aufkommen können, wen du jetzt und hier anrufen darfst”, knallt mein Pfleger mir mit betont ruhiger, aber dennoch so gut wie drohender Stimme vor den Kopf. Misstrauisch beobachtet der Blonde meine Reaktion.

Es fällt mir enorm schwer, meine jähe Panik zu verbergen. Weil ich tatsächlich nicht vorhatte, ausgerechnet als erstes meinen Vater anzurufen. Auf so ein meistens leider höchst unangenehmes Gespräch bin ich im Moment nicht im Geringsten vorbereitet. Aber ich darf mir nichts anmerken lassen. Wenn Ulli merkt, dass ich ihn angelogen habe, dann wird er mir sofort jegliches Telefonieren verbieten. Daran besteht kein Zweifel. „Ja... okay...”, krächze ich also mühevoll. Atme tief durch. Weiche unbehaglich seinem stechenden Blick aus. Stütze mich auf dem Schreibtisch ab. Um besseren Halt zu haben. Ich fürchte, dass ich diese Situation eventuell nicht schadlos durchstehen kann. Bereue es kurz, überhaupt ein Telefonat verlangt zu haben. Zwinge mich zur Ruhe. Strenger Pfleger sieht mich noch eine Weile nachdenklich an.

Endlich guckt er auf seinen Zettel. Nimmt den Hörer von der Gabel des Telefons. Liest die Nummer von dem Stückchen Papier ab. Lässt dabei mit seinem Zeigefinger die Wählscheibe kreisen. „Darf ich bitte allein mit meinem Dad sprechen, Ulli?” frage ich ihn mit schwacher Stimme. Obwohl ohnehin schon alles verloren scheint, verlangt es mich nach einem Minimum an Privatsphäre. Das hier fällt mir schon schwer genug. Wenn der Pfleger mich dabei auch noch die ganze Zeit überwacht, werde ich höchstwahrscheinlich tot umfallen. Früher oder später. „Warten wir erst mal ab, Chester”, bleibt Ulli beunruhigend vage. Während er auf die Verbindung wartet, behält er mich aufmerksam im Auge.

Plötzlich hoffe ich aus ganzem Herzen, dass mein Vater momentan nicht zu Hause ist. Vielleicht hat er heute wieder eine Doppelschicht übernommen. Hält sich auf seiner Dienststelle auf. Oder sitzt in seinem Streifenwagen. Überwacht die heißen Straßen von Phoenix, Arizona. Nimmt gerade irgendwen fest. Eventuell arbeitet er schon seit heute Morgen. Ist beschäftigt bis spät in die Nacht hinein. Das wäre wahrlich nicht das erste Mal. So schlimm es früher für mich war, dass mein Daddy eigentlich niemals für mich verfügbar war, so dringend hoffe ich jetzt, dass er unerreichbar bleibt. Meine Chancen dafür stehen tatsächlich gar nicht so schlecht.

Aber auch diese Hoffnung wird nur eine Minute später zunichte gemacht. „Guten Tag, Herr Bennington!” sagt Ulli freundlich in den Hörer, ohne seinen mega aufmerksamen Blick von mir zu nehmen, „Hier spricht Ulrich Miller. Ich bin der Pfleger ihres Sohnes Chester und rufe aus der Psychiatrie an...” Ulli lauscht einen Moment. „Nein, es ist alles in Ordnung”, behauptet er dann, „Ihr Sohn hat nur den Wunsch geäußert, dass er mit Ihnen sprechen möchte...” Fuck! Das ist ganz schön heftig, was hier abgeht. Als ich sagte, ich wollte jemanden anrufen, habe ich bestimmt nicht an meinen Dad gedacht. Inzwischen habe ich entschieden, dass ich am besten Sean anrufen sollte. Mister Dowdell ist die wichtigste Nummer bei uns. Er wird mir mit Sicherheit sagen können, welche konkreten Entscheidungen er in Bezug auf die Band getroffen hat. So gut wie alles läuft über unseren Drummer. Ursprünglich ist Grey Daze schließlich allein sein Baby gewesen.

Plötzlich hält Ulli mir den grauen Hörer vor die Nase. Sodass ich verschreckt zusammenzucke. Der Typ in den weißen Klamotten lächelt mich an. Nickt aufmunternd. Shit! Mir bleibt mal wieder keine Wahl. Nehme den Hörer von meinem Pfleger entgegen. Das graue Stück Plastik hat Ähnlichkeit mit einem Knochen. Halte das komische Ding an mein Ohr. „Hi, Dad”, krächze ich mit böse hämmerndem Herzschlag hinein. „Chester?” höre ich die vertraute Stimme von meinem Vater, „Was ist los? Warum willst du mich sprechen?” Der Mann hört sich gehetzt an. Ungeduldig. Wie immer hat er keine Zeit für mich. Im Grunde kenne ich ihn gar nicht anders. „Was willst du denn, Junge? Ich muss zurück zur Dienststelle”, drängt er ungehalten. Als ich nicht sofort antworte. Meine Kehle schnürt sich zu. Spüre heiße Tränen in meine Augen steigen. Die ich schon sehr lange nicht mehr weinen sollte. Das ärgert mich enorm. Dass mein Daddy noch immer diese böse Macht über mich hat, schürt die ständige Wut in mir.

„Hast du schon das Paket für mich abgeschickt?” frage ich ihn grob. Er soll auf keinen Fall merken, wie fertig er mich macht. Denn dann würde er mich nur wieder als Schwächling verspotten. „Ach ja, dieser Professor von dir hat mir am Telefon mitgeteilt, dass ich das tun soll”, fällt ihm daraufhin ein. Im nächsten Moment bläst er ärgerlich Luft aus. „Aber wann hätte ich das schaffen sollen? Denkst du vielleicht, ich habe nichts Besseres vor? Kannst du denn deine Angelegenheiten noch immer nicht allein regeln, Junge?” will er mit kaum verhüllter Verachtung wissen. Ich werfe Ulli einen flehenden Blick zu. Will dringend, dass der Typ mich mit dem Telefon alleinlässt. Der Pfleger steht noch immer neben mir. Beobachtet mich mit blauen Argusaugen. Registriert meine vage aufkommenden Tränen mit mitfühlender Miene. Beschämt wische ich die überflüssige Feuchtigkeit weg.

Zehn Sekunden später wird mein Vater umgänglicher. Sein aggressiver Ausbruch tut ihm schon leid. Ich kenne das zur Genüge von meinem labilen Erzeuger. „Hör mal, Chester, ich hatte bisher noch keine Zeit für dein persönliches Paket. Aber ich werde mich...” „Bitte pack mir nur ein paar Klamotten und Schuhe ein”, teile ich ihm hastig mit. Zu meiner Freude und Erleichterung nickt Pfleger Ulli mir gutmütig zu. Der Bedienstete macht eine Handbewegung, die mir verdeutlichen soll, dass er direkt vor der Tür auf mich warten wird. Ich nicke zustimmend. Lächele ihn dankbar an. „Nur ein paar Klamotten und Schuhe? Aber welche denn? Du hast doch Tausende davon, Chester. Deine Kleiderschränke bersten doch förmlich vor ausgefallenem Zeugs. Und all dein Schmuck erst”, behauptet mein Vater verständnislos. Der keine Ahnung hat, wie es mittlerweile bei mir aussieht. Es ist wahr, dass ich viel mehr Kleidung und Schmuck hatte, als ich noch zu Hause gewohnt habe. Aber beim Umzug konnte ich leider nur einen Bruchteil davon mitnehmen. Dafür ist meine Wohnung viel zu klein. Mein Vater weiß nicht mal, wie schwer es mir fiel, einen Großteil meiner Sachen zu verkaufen.

Muss mich dringend ablenken. Mit unverändert pochendem Herzen sehe ich dabei zu, wie Ulli langsam das winzige Büro verlässt. Der Kerl lächelt mich nochmal ermutigend an. Dann macht er die Tür hinter sich zu. Himmel! Endlich bin ich allein. „Pack bitte einfach irgendwas ein, Dad. Nimm, was am besten reinpasst”, schlage ich meinem Daddy hastig vor. „Ja, in Ordnung, Junge”, verspricht er friedlich, „Ich werde dein Paket bestimmt...” „Ist schon gut, Dad. Das ist okay, echt. Ich hab's damit ja nicht eilig. Schick mir die Sachen einfach, wenn du Zeit dafür findest”, unterbreche ich ihn überstürzt. Weil ich nicht hören will, wie er mir schon wieder etwas verspricht, das er dann sowieso nicht einhalten kann oder will. „Ich will dich dann auch gar nicht länger aufhalten”, bemerke ich unmissverständlich. Auf heißen Kohlen warte ich, dass mein Erzeuger endlich auflegt.

Eine Weile herrscht Stille am anderen Ende der Leitung. Ich kann hören, wie mein Vater sich räuspert. Es fällt ihm wahnsinnig schwer, über Gefühle zu sprechen. Oder sie gar zu zeigen. Darum macht er das nie. Nur mit Wut, Spott oder Verachtung hat er keine Probleme. Ich glaube, das ist der Grund, warum meine Mom ihn verlassen hat.

Jetzt höre ich ihn mit Papieren rascheln. „Chester, hör mal”, meldet er sich nach einer Pause abgelenkt, „Du musst mir nochmal die Adresse von dem komischen Krankenhaus geben, wo die dich zwangsweise reingesteckt haben. Ich kann die hier bei meinen Unterlagen nicht finden...” Meine Innereien verkrampfen sich abrupt. Schockiert unterdrücke ich ein Stöhnen. Weil ich wahrhaftig keine Ahnung habe, wo genau ich mich gerade befinde. Geschlossene Psychiatrie. So viel ist klar. Aber ich weiß nicht mal die verdammte Adresse dieses seltsamen Ortes, kapiere ich schlagartig. Das bedeutet zweifellos, dass mein Dad mir gar kein persönliches Paket zuschicken kann. Das gefällt mir nicht. Weil ich nämlich so bald wie möglich wenigstens ein paar eigene Klamotten hier haben möchte. Unbedingt. Ich kann doch nicht die ganze Zeit in geliehener Kleidung verbringen. Auch wenn Mikes Sachen mir gut passen und noch besser gefallen, so heißt das nicht, dass ich nicht gerne mein Eigentum am Leib tragen würde. Dafür nehme ich es mittlerweile sogar zwangsläufig in Kauf, dass mein Dad zu Hause in meinen privaten Sachen herumwühlen wird. Weiß einfach nicht, wen ich sonst darum bitten könnte.

Aufgescheucht huschen meine Augen durch das winzige Büro. Auf der Suche nach einem Hinweis auf meinen derzeitigen Aufenthaltsort. Zum Glück dauert es nicht allzu lange, bis ich in einer Ablage auf einem Schrank einen potentiellen Stapel Post entdecke. Mit dem unpraktischen Hörer in der Hand mache ich mich sofort dahin auf. Ziehe dabei das gerollte Kabel des Telefons so weit es geht in die Länge. Gott sei Dank, fährt es mir erleichtert durch den nervösen Schädel, das sind tatsächlich altmodische Briefe. Auf den Umschlägen steht gut lesbar eine Adresse. Von der ich jetzt einfach mal annehme, dass es die hiesige ist.

„Chester? Kannst du mir bitte deine Adresse durchgeben?” fragt mein Vater gestresst in der Leitung. Es gelingt ihm nicht, seine wachsende Ungeduld zu verbergen. „Klar, Dad”, antworte ich betont locker. Lese die Adresse von dem Umschlag ab. Gebe sie ihm vollständig durch. „Was? Stimmt das auch? Du bist in Kalifornien? So weit weg?” entfährt es dem ahnungslosen Mann völlig verblüfft. Den dieses Detail mit Sicherheit bisher nicht die Bohne interessiert hat. „Ja, Dad”, seufze ich, „Ich muss dann jetzt auch Schluss machen. Also bis später mal.” „Gut, Chester. Bis dann”, erwidert er unüberhörbar erleichtert. Und legt auf. Kein Hauch davon mich zu fragen, wie es mir geht oder so was. Hätte mich auch sehr gewundert.

Obwohl das offene Desinteresse meines Daddys mir blöderweise noch immer wehtut, schiebe ich das unangenehme Gespräch so schnell es geht vollständig beiseite. Ich muss mich nämlich beeilen. Will dringend Sean anrufen, bevor Ulli draußen vor der Tür womöglich noch misstrauisch wieder hereinkommt. Genaugenommen ist mir ja kein zweiter Anruf bewilligt worden. Gehe also davon aus, dass mein pflichteifriger Pfleger damit nicht einverstanden sein wird.

Mit blöde bebenden Fingern gebe ich über die runde Wählscheibe Seans Handynummer ein. Nachdem ich die beiden Hebel des Hörers einmal heruntergedrückt habe. Um ein Freizeichen zu erhalten. Setze mich auf den kleinen Schreibtisch. Weil meine Beine nachzugeben drohen. Mein Herz will sich gar nicht mehr beruhigen. Meine Muskeln zittern angespannt. Es macht mich unglaublich nervös, eventuell gleich zu erfahren, was mit meiner Band los ist. Wie es zu Hause weitergeht. Ohne mich. Allein das Wissen, jeden Moment in diesem Hörer nach so langer Zeit Dowdells Stimme zu hören, verursacht mir schon heftige Adrenalinschübe. Mann, ich vermisse die Jungs von Grey Daze so wahnsinnig. Habe schon viel zu lange keinerlei Kontakt mehr zu ihnen gehabt. Vermisse mein Leben zu Hause. Meine Freunde. Sehne mich zurück nach Phoenix, Arizona. Bin nicht sicher, ob ich nicht eventuell gleich mein kleines bisschen Rest Verstand verliere. Fühlt sich jedenfalls so an. Das ist ganz schön bedrohlich.

„Ja?” kläfft Sean plötzlich genervt in die Leitung. Offenbar habe ich ihn bei irgendwas gestört. Keinen Schimmer, wie viel Uhr es ist. Oder was mein Freund vielleicht gerade Wichtiges zu tun hat. „Sean? Hier ist Chester...”, informiere ich ihn atemlos. Mein Herz schlägt so schnell, dass ich nach Luft ringen muss. Die folgende Stille ist bleischwer. „Bennington?” fragt Sean schließlich ungläubig, „Wo bist du abgeblieben, Mann? Haben die dich echt verhaftet? Was ist das für eine Nummer?” „Ich bin in Kalifornien. In einem Krankenhaus. Geschlossene Psychiatrie”, erzähle ich schweren Herzens. „Fuck, Alter!” schnauft Sean wütend, „Was machst du für eine Scheiße? Wie stellst du dir das vor?” „Die Bullen haben mich einfach mitgenommen...”, beschwere ich mich bitter. Mein Freund stößt ein spöttisches Lachen aus. „Ja, ich weiß, Chester. Das hat sich hier schon herumgesprochen. Es war ja wohl vorauszusehen, dass das mal so mit dir endet. Ich habe dir immer gesagt, dass komplett ignorieren bei so was auf Dauer nicht hilft”, muss der Arsch mich auch noch belehren.

„Was macht unser Album?” wechsele ich angefressen das Thema. Die Zeit sitzt mir im Nacken. Nochmal lacht er höhnisch auf. „Das ist so gut wie fertig, Bennington. Wir haben jetzt einfach die ursprüngliche Songreihenfolge genommen, die wir...” „Was?” rufe ich entgeistert dazwischen, „Warum denn? Ich habe euch doch gesagt, dass ich das nicht will! Die Reihenfolge ist Scheiße!” „Du bist ja nicht da!” fährt er mich ungeduldig an, „Du hast dich ja einfach mitnehmen lassen. Hast uns hier mit dem Album und allem von jetzt auf gleich stehenlassen. Wir konnten dich also nicht mehr fragen, was du davon hältst. Keiner weiß, wann oder ob du je wieder auftauchst. Und eins sage ich dir, wir werden bestimmt nicht darauf warten, bis der feine Herr sich vielleicht mal bequemt wiederzukommen.” „Was soll das heißen, Sean?” frage ich ihn erschrocken. „Wir haben das Album quasi ohne dich fertiggestellt, Chester”, knallt er mir gereizt vor den Kopf. „Fuck, Dowdell!” schreie ich wütend los, „Da steckt so viel Arbeit von mir mit drin! Ich muss doch dabei sein! Ihr habt bestimmt Mist gebaut!” „Keine Angst, Alter. Wir sind nicht blöde, weißt du?! Das Album heißt Wake me. Wie du es haben wolltest”, erwidert Sean ungerührt. „Was habt ihr mit dem Cover gemacht?” zische ich fassungslos. „Mann, deine Alte ist auf dem Cover. Genau wie du es verlangt hast, Chester Bennington. Beruhige dich mal”, antwortet er geringschätzig.

Daraufhin ist es eine Weile still. Nervös ringe ich nach Sauerstoff. Das Blut rauscht mir in den Ohren. Meine Gedanken überschlagen sich. Wie wild. Ich muss mich beeilen, droht es pausenlos laut in meinem Hinterkopf, bestimmt kommt Ulli jeden Moment rein. Ich telefoniere schon viel zu lange. Verdammt! Es fällt mir schwer, mich halbwegs zu sortieren. Oder dieses extrem wichtige Gespräch mit Sean Dowdell weiterzuführen. Obwohl ich erleichtert bin, dass sie angeblich tatsächlich Samantha auf dem Cover unseres ersten Albums Wake me verewigt haben, fühle ich mich völlig konfus. Meine Gedanken irren ziellos umher. Mir fällt keine einzige der unzähligen Fragen mehr ein, die ich Sean doch so dringend stellen wollte.

„Ich kann dir das Cover schicken”, schlägt mein Freund plötzlich vor, „Dann kannst du es dir in Ruhe ansehen. Das Bild von Samantha wird dir gefallen." Er ist um Frieden bemüht. „Nein... das geht zur Zeit leider nicht... die haben mir mein Handy weggenommen...”, muss ich schweren Herzens gestehen. Es macht mich verrückt, dass ich für meine Band nicht mehr erreichbar bin. Bin doch immer erreichbar für sie gewesen. Habe mich pausenlos um alles gekümmert. Ohne mich wird bestimmt bald alles kaputtgehen. „Ja, Mann. Ich weiß schon. Seit Tagen kann dich kein Mensch mehr erreichen. Du bist einfach vom Erdboden verschwunden. Das ist ganz schön Scheiße von dir, Chester”, wirft Sean mir bitter vor. „Was bedeutet das, ihr wollt nicht auf mich warten?” frage ich unseren Drummer. So beherrscht wie möglich. Schon wieder zischt er mir voller Hohn ins Ohr. „Ey, Alter, wie stellst du dir das vor? Wir haben als Band Auftritte zu absolvieren. Kerry kriegt es vielleicht für uns hin, dass wir die Hausband vom Electric Ballroom werden. Stell dir das mal vor, Chester! Das würde unzählige Konzerte für uns bedeuten. Wir hätten dann ein festes Arrangement. Mann, wir starten endlich richtig durch. Wir können es uns echt nicht leisten, mal eben nur wegen deiner Eskapaden mit Grey Daze auf Tauchstation zu gehen”, erläutert Sean mir aufgebracht.

Das Schlimmste daran ist, dass mein Freund recht hat. Es ist der Hammer, wenn unser Manager uns dieses Arrangement besorgen kann. Regelmäßig mit Grey Daze im Electric Ballroom in Tempe spielen zu dürfen ist ein absoluter Traum. Das ist mir völlig bewusst. Plötzlich möchte ich sehr laut schreien. „Ich komm doch auch wieder hier raus, Sean!” beteuere ich verzweifelt. Sein überhebliches Lachen macht mich langsam richtig sauer. „Ja, vielleicht kommst du das, Bennington. Aber vielleicht auch nicht. Oder vielleicht dauert es auch nur ein Jahr oder so, bis du zurück nach Phoenix kommst”, zählt er gespielt gelangweilt auf. Schnauft voller Geringschätzung.

„Mann, hör doch auf! Du sagst doch selbst, dass du in der geschlossenen Psychiatrie bist, mein Freund! Das kann ewig dauern, bis die dich da wieder rauslassen. Denkst du ernsthaft, dass Grey Daze hier zu Hause so lange die Füße stillhält und brav abwartet?” regt der Typ sich verständnislos auf. „Was willst du mir damit sagen, Dowdell?” krächze ich verstört. Mittlerweile bin ich völlig am Ende mit der Welt. „Weißt du, Chester, das ist auch irgendwie mal erholsam ohne dich. Endlich hängt uns keiner mehr im Nacken, der uns pausenlos antreibt mit: Nein, das müssen wir nochmal spielen. Oder: Ich glaube nicht, dass wir uns da genügend reinhängen", ahmt mein Freund gehässig meine Stimme nach. „Sean...", seufze ich gekränkt, „Was bedeutet das?"

„Wir haben Jodi gefragt, ob sie vorerst für dich einspringt. Sie hat zugesagt”, erzählt Sean mir ohne erkennbare Gefühlsregung. „Was? Jodi? Ausgerechnet ein Mädchen soll mich ersetzen?” entfährt es mir zutiefst schockiert. Dabei ist es in Wahrheit gar nicht der Punkt, dass mit Jodi eine Frau die neue Sängerin von Grey Daze geworden ist. Es geht vielmehr ums Prinzip. Ich kann nicht fassen, wie schnell die Jungs mich ersetzt haben. Einfach so. Mit einem Wimpernschlag. Einem Achselzucken. Das kann ich gar nicht verarbeiten. Diese kalte Missachtung meiner Freunde bringt mich ehrlich um. Fuck, ich bin doch erst seit ein paar Tagen weg aus Phoenix! Oder? Oder bin ich vielleicht in Wahrheit schon seit Ewigkeiten an diesem böse abgeschnittenen Ort gefangen?

Plötzlich weiß ich es nicht mehr. Mein Kopf droht völlig durchzudrehen. Meine Hände zittern. Starr sitze ich auf dem Schreibtisch. Ich presse den Hörer so verkrampft und fest gegen mein Ohr, dass es anfängt wehzutun. Sean bricht am anderen Ende der Leitung in ein amüsiertes Lachen aus. Das ich ihm momentan liebend gerne aus dem Gesicht schlagen würde. Ich ertrage es nicht, von meiner geliebten Band so schnell verlassen worden zu sein. Das überlebe ich nicht. „Du regst dich auf, weil Jodi ein Mädchen ist? Das kann nicht dein Ernst sein, Bennington! Grey Daze hatte doch schließlich mit dir schon immer ein Mädchen als Sängerin!” kichert mein bester Freund mir hämisch ins schmerzende Ohr. Seine spöttische Bemerkung belustigt ihn ungemein. Unwillkürlich verhärtet sich alles in mir. Fühle mich brutal vor den Kopf geschlagen. Unglaublich beleidigt.

Bevor ich auf Seans unerwartete Provokation auch nur irgendwie reagieren kann, geht plötzlich die Tür zu dem kleinen Büro auf. In dem ich mich gerade aufhalte. Der penetrante Aufpasser stürmt mit hastigem Schritt in das Zimmer hinein. Sein Gesicht fixiert mich voller explodiertem Argwohn. „Mit wem sprichst du da, Bennington?” blafft Ulli mich alarmiert an. Überstürzt kommt der Mann auf mich zu. Zeigt drohend auf den Telefonhörer in meiner Hand. Es sieht aus, als wollte der Kerl mir den Hörer mit Gewalt wegreißen. Um persönlich zu überprüfen, mit wem ich gerade telefoniere.

Vor lauter Schreck knalle ich das verdammte Plastikteil spontan lautstark auf die Gabel. „Mein Vater...”, behaupte ich völlig verwirrt. „Nein, Chester, das war garantiert nicht mehr dein Vater”, glaubt Ulrich genau zu wissen. Der Typ sieht wirklich wütend aus. Er ist sich sicher, mich bei einer Lüge ertappt zu haben. Frage mich irritiert, woran er meine Eigenmächtigkeit bemerkt haben will. Der misstrauische Angestellte ist doch gar nicht im Raum gewesen. Als ich mit meinem Bandkollegen gesprochen habe. Ullis Intuition ist mir ein Rätsel. Ob er vielleicht draußen vor der Tür etwas gehört hat?, überlege ich konfus. Bin ich eventuell in meiner Wut auf Sean zu laut geworden? Kann schon sein.

Aber eigentlich ist mir das egal. Fühle mich gigantisch gekränkt. Von meinen Freunden verraten. Hinterrücks in meiner unantastbaren Ehre als Mann angegriffen. Glaube nicht, dass ich Dowdells beißenden Spott jetzt so einfach wegstecken kann. Unser Drummer behauptet allen Ernstes, ich wäre für Grey Daze schon immer eine Sängerin gewesen? Eine Sängerin? Wie meint der Wichser das? Hält er mich etwa für ein Mädchen? Sieht die ganze Band mich so? Warum? Fuck! Das ist ein echt herber Angriff auf meine unbestreitbare Männlichkeit. Das kann ich unmöglich auf mir sitzenlassen. Kann an gar nichts anderes mehr denken.

Aufgebracht fasse ich mir in die langen Dreadlocks. Streiche mir meine gefilzten Haare aggressiv aus dem Gesicht. Hinter die Ohren. Kratze mich mit den Fingern nervös am kratzigen Kinn. Mein Bart ist in den Tagen, die ich mich nicht rasiert habe, schon ziemlich gewachsen. Meine Haut ist voll mit Stoppeln. Muss mich dringend mal rasieren. „Wer war da gerade am Telefon, Chester?” will Ulli zum zweiten Mal drohend wissen, „Hör mal, wir hatten ausgemacht, dass du mit deinem Vater sprechen darfst. Von einem zweiten Telefonat ist nie die Rede gewesen, mein Freund.” Seine blauen Augen durchbohren mich strafend.

Immer wenn Ulli mein Freund zu mir sagt, ist er in irgendeiner Weise wütend auf mich. Das ist mir schon öfter mal aufgefallen. Das die Menschen mich so anreden. Wenn ich sie mit irgendwas angepisst habe. Ich glaube, das hat sogar meine Mom mal gemacht. Früher. Vor ziemlich langer Zeit. Als ich noch ein kleines Kind war. Wenn meine Mutter sich über mich geärgert hatte. Dann bin ich manchmal plötzlich ihr Freund gewesen. Meine Mom ist einfach weggegangen. Hat mich allein zurückgelassen. Bei meinem Dad. Gut, Chester. Bis dann. Er war erleichtert. Weil er endlich auflegen durfte. Jodi wird die neue Sängerin von Grey Daze. Das Album ist schon fertig. Sie haben es ohne mich aufgenommen. Die Jungs brauchen mich nicht mehr. Haben mich verlassen. Einfach so. Ich war schon immer eine Sängerin für sie.

Ich fürchte mein Kopf tillt. Vor lauter Verwirrung und Verzweiflung fange ich abrupt an zu lachen. Mein Pfleger taxiert mich entgeistert. „Das ist nicht lustig, Chester Bennington!” betont er mühsam beherrscht, „Du hast dich schon wieder über eine klare Abmachung hinweggesetzt.” „Tut mir leid, Ulli”, versichere ich ihm kichernd. „Darf ich mich jetzt bitte mal rasieren”, erkundige ich mich freundlich. Will schnellstmöglich das unangenehme Thema wechseln. Irgendwie aus diesem Raum wegkommen. Möchte sehr weit weglaufen. Oder nie mehr aufhören zu schreien. Kratze mich nochmal demonstrierend am stoppeligen Kinn. Lächele meinen genervten Pfleger entwaffnend an. Ulli ist sichtbar sauer. Weil ich zum wiederholten Mal nicht folgsam war. Weil ich nie so funktioniere, wie er mich haben will. Das kommt mir frustrierend bekannt vor.

„Das Thema ist noch nicht vom Tisch, Mister Bennington”, muss er unbedingt noch betonen, „Glaube bloß nicht, dass ich dich so bald nochmal telefonieren lasse.” „Ja, das tut mir echt leid”, wiederhole ich zerknirscht, „Ich konnte mich plötzlich nicht zurückhalten.” Will ihm nicht verraten, mit wem ich konkret gesprochen habe. Das würde sicher nur noch mehr lästige Fragen aufwerfen. Will aber nicht länger über Grey Daze nachdenken. Der Verrat meiner Bandkollegen deprimiert mich zu stark. Das macht mich alles völlig verrückt. Bin nicht sicher, wie ich das verpacken soll. Hoffe darauf, dass Ulli nicht nochmal nachfragt. Es einfach gut sein lässt.

Zu meinem Glück kann der Angestellte in den weißen Klamotten sich das Grinsen nicht länger verkneifen. Es erleichtert mich, dass mein Pfleger mich amüsant findet. Belustigt ist der aufdringliche Kerl viel leichter zu ertragen. „Du bist unglaublich!” kichert Ulrich kopfschüttelnd, „Tust einfach so, als wäre gar nichts passiert.” „Nein, Ulli. Aber ich muss mich wirklich dringend mal rasieren”, erwidere ich abgelenkt. Zeige dem Kerl meine Bartstoppeln am Kinn. Kratze nochmal mit den Fingern drüber. Der Pfleger lacht erfreulich friedlich. „Also gut, Bennington. Ich werde dich auch noch beim Rasieren beaufsichtigen”, kommt er mir freundlicherweise entgegen. „Habe ja auch sonst nichts zu tun”, setzt er ein bisschen sarkastisch hinterher.

Tatendurstig springe ich vom Schreibtisch herunter. „Darf ich das denn nicht allein erledigen, Ulli?” frage ich leicht genervt. „Ich bin doch gar kein Selbstmörder”, betone ich verständnislos. Darüber muss er tatsächlich herzhaft lachen. „Ach, Chester, da sieht man mal wieder, wie unglaublich verzerrt deine Selbstwahrnehmung ist. Du bist fraglos einer der vielen Selbstmörder, die sich schrittweise umbringen. Offenbar merkst du das selber nicht einmal. Denn du machst das ja ganz langsam. Indem du dein Leben wegwirfst”, meint der Blonde allen Ernstes.

Seine Aussage schlägt mich grob vor den Kopf. Es gefällt mir nicht, was der Typ da behauptet. Kann dem ahnungslosen Kerl nicht zustimmen. Verärgert ziehe ich die Brauen zusammen. Fixiere ihn unzufrieden. „Ich werfe gar nichts weg, Ulli. Im Gegenteil. Ich arbeite jeden Tag hart für meinen Lebensunterhalt”, erkläre ich ihm herbe angepisst. „Ist schon gut, Chester”, lenkt er hastig ein, „Selbst wenn das nicht so wäre, würdest du hier in der Psychiatrie keine Rasierklingen unbeaufsichtigt in die Hand bekommen.” „Ich habe gar keine verdammten Rasierklingen”, brumme ich ärgerlich. Ulli lächelt amüsiert. „Du kannst dir einen Rasierer von der Station ausleihen, Chester”, bietet er großzügig an, „Ich kann dir einen besorgen.” „Na gut”, lenke ich notgedrungen ein, „Dann besorge mir bitte mal einen. Und bring auch gleich eine Schere mit.”

14. It's too late to love me now


Michael Kenji Shinoda

Ausgerechnet heute müssen sie mir so ein umfangreiches, typisch amerikanisches Frühstück vorsetzen. Bisher sah das ganz anders aus. In den letzten Tagen gab es morgens Brot, Brötchen, Wurst und Käse, alles kalt. Ich glaube, so frühstückt man in der alten Welt. In Deutschland womöglich. Damit bin ich zufrieden. Das reicht mir als Start in den Tag. Zweifellos ist ein europäisches Frühstück nicht so ungesund. Es ist weniger fettig. Außerdem liegt es längst nicht so schwer im Magen wie das hier. Ich kann nicht fassen, wie viel das ist. Süß und deftig dicht nebeneinander.

Missmutig betrachte ich den großen Plastikteller. Der auf meinem Tablett vor mir auf dem Tisch steht. Auf der einen Seite des Tellers liegen vier Pancakes übereinander. Sie sind in Butter und Ahornsirup ertränkt worden. Auf der anderen Seite sehe ich zwei Spiegeleier, over easy gebraten. Vier lange Scheiben kross gebratener Frühstücksspeck, übergossen mit Bacon Gravy. Jede Menge Hash Browns. Vier kleine, gekochte Würstchen.

Obwohl mich der Umfang der Speisen entsetzt, so scheint mir der Anblick doch seltsam vertraut. Etwas passiert mit mir. Unerwartet. Je länger ich reglos auf mein Frühstück starre, umso deutlicher werden die Bilder in meinem Kopf. Zu lange vergessene Erinnerungen tauchen auf. Unwillkürlich. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich bin ehrlich überrascht. Unsere Küche. Zu Hause. Hell durchflutet. Von der Morgensonne. Mom. Wie sie am Herd steht. Sie macht Pancakes für uns. Ich höre den Teig in der Pfanne brutzeln. Rieche den Geruch des Specks. Auf meinem Teller. Mom tut so, als wäre der Holzlöffel in ihrer Hand ein Mikrophon. Laut und schrecklich schief singt sie hinein. Meine Mutter kann nicht singen. Dennoch liebt sie es. Besonders beim Kochen. Jay. Mit mir am Tisch sitzend. „Ach, Mooooom!” beschwert mein kleiner Bruder sich nörgelnd, „Du hast ja beide Seiten angebraten! Ich wollte meine Spiegeleier aber lieber sunny side up!” „Sunny side up”, singt meine Mutter neckend. Tanzt dabei durch die Küche. „Sunny, sunny, sunny side up!” Damit bringt sie Jay und mich zum Lachen. Sogar Dad muss schmunzeln. Er sitzt auch mit am Tisch. Betrachtet uns. Mit diesem seligen Ausdruck. Der so oft in seinem Gesicht auftaucht. Man sieht Dad an, wie unglaublich stolz er auf seine kleine Familie ist. Die konkrete Erinnerung bewirkt etwas in mir. Es ist etwas, das ich lange nicht gespürt habe. Ein Gefühl der sicheren Geborgenheit. Da war viel Wärme in unserer Küche. Gegenseitige Verbundenheit. Mein Zuhause. Alles war so schön an diesem Morgen. Tief in mir spüre ich eine Sehnsucht aufflackern. Die ich vergessen hatte. Langsam wird mir klar, wie sehr ich meine Familie vermisse.

Das kann gar nicht stimmen, denke ich im nächsten Moment verwirrt. Wir haben schon seit Ewigkeiten nicht mehr zusammen gefrühstückt. Seit ich am Art Center studiere, esse ich nicht mehr zu Hause. Das muss an einem besonderen Tag gewesen sein, grübele ich verunsichert. Es könnte während der Ferien gewesen sein. Oder es war ein Feiertag. Eventuell stammt die Erinnerung aus einer Zeit vor meinem Studium.

Ist vielleicht heute ein Feiertag?, fällt mir gleich darauf verdutzt ein. Es hat bestimmt einen konkreten Grund, warum es in der Psychiatrie so ein umfangreiches Frühstück gibt. Mein Blick fällt auf die große, amerikanische Flagge. Oben an der Wand des Speisesaals. Vielleicht ist heute Memorial Day. Oder Independence Day. Eventuell schon Thanksgiving. Ich weiß es nicht. Habe keine Ahnung, welches Datum heute ist. Nicht mal der Name des Wochentages ist mir bekannt. Diese Dinge haben mich einfach zu lange nicht interessiert. Das kann nicht gut sein, denke ich frustriert, ich bin kein bisschen auf dem Laufenden. Das einzige, was ich mit absoluter Sicherheit weiß, ist, dass ich unglaublich nervös bin. Das ist der Grund, warum ich es höchstwahrscheinlich nicht schaffen werde, mein typisch amerikanisches Frühstück aufzuessen. Bin nicht sicher, ob ich heute überhaupt etwas essen kann.

Enorm unruhig sitze ich am Fenstertisch. Allein. Um mich herum füllt sich langsam der Saal mit Menschen. Höre sie reden und lärmen. Beachte die aber nicht. Starre wieder unglücklich mein Tablett an. Neben dem großen Teller steht eine Flasche Mineralwasser. Ein Tetrapack mit Orangensaft. Gabel und Löffel aus Plastik. Das Tablett ist so schwer beladen, dass es wahrhaftig schwierig war, den restlos überfüllten Teller unbeschadet von den Rollwagen bis zu meinem Platz zu tragen. Zum Glück bin ich auch heute Morgen der erste Patient im Speisesaal gewesen. Sodass mein bevorzugter Tisch am Fenster noch frei war. Und mir auf dem Weg dahin wenigstens niemand in die Quere kam.

Seufzend hebe ich meinen Blick vom Teller weg. Schaue quer durch den Saal. Zur großen Flügeltür. Die nicht stillstehen will. Andauernd kommt irgendwer herein. Alle wollen gleichzeitig ihr Frühstück haben. Die Schlange an den Rollwagen reicht inzwischen bis zum Eingang. Ich weiß schon, warum ich jeden Morgen als Erster hier auftauche. Ruhelos reibe ich meine Hände über meine Jeans. Dann die blöd zitternden Finger aneinander. Ich muss mich beruhigen. Mein Herz schlägt hart und viel zu schnell. Fühlt sich scheiße an. Kann mich nicht erinnern, je dermaßen nervös gewesen zu sein. Das gefällt mir nicht. Kommt mir total unsinnig vor. Obwohl mein böse spürbarer Aufruhr gleich zwei konkrete, nachvollziehbare Ursachen hat.

Zunächst mal ist heute der Tag, an dem ich nach gefühlten Ewigkeiten meine Familie wiedersehen werde. Höchstwahrscheinlich sind sie schon mal hier gewesen. Aber daran erinnere ich mich kaum. Ihre Anwesenheit habe ich eigentlich nie mitgekriegt. Gestern am Telefon hat meine Mutter mir angekündigt, dass sie mich heute gleich alle drei besuchen kommen. Mom, Dad und Jason. Doktor Doyle hat das angeblich freudestrahlend abgesegnet. Dem glücklichen Wiedersehen steht somit nichts im Wege.

Bis auf das seltsam bedrohliche Gefühl, das ich dabei habe. Aber danach fragt offensichtlich niemand. Das ärgert mich. Tief drinnen fürchte ich, dass es irgendwie zu früh dafür ist. Wenn sie allesamt herkommen. Dass ich vielleicht noch nicht bereit für sie bin. Es besteht kein Zweifel mehr daran, dass ich meine Familie mittlerweile unglaublich vermisse. Aber trotzdem bin ich nicht sicher, ob ich diese seltsame Begegnung schadlos überstehen kann. Ob ich meine Eltern und meinen Bruder überhaupt an diesem Ort treffen möchte. Immerhin ist das hier die geschlossene Psychiatrie. Alles ist vollkommen anders als draußen. Es ist eine sichere Zuflucht. So gut wie sorgenfrei. Mit bequemer Rundumversorgung. Für mich war es immer die belanglose Gleichgültigkeit pur. Vor gerade mal vier Tagen bin ich plötzlich aus der schützenden Apathie herausgerissen worden. Kann mich seither nicht mehr in meiner gefahrlosen Teilnahmslosigkeit verstecken. Ich bin der Umwelt schutzlos ausgeliefert. In den letzten vier Tagen ist so viel mit mir passiert. Das ich noch nicht mal annähernd verarbeitet habe. Das macht mir Angst.

Ich weiß nicht, wie ich mich Mom, Dad und Jay gegenüber verhalten soll. Am liebsten würde ich so tun, als hätte es die letzte Zeit nie gegeben. Als wäre rein gar nichts passiert. Aber das ist wohl nicht gut möglich. Wird nicht funktionieren. Denn sie wissen alle, warum ich hier bin. Weil ich versucht habe mich umzubringen. Bestimmt wollen sie wissen, warum ich das getan habe. Wie es mir jetzt geht. Wie es dazu gekommen ist, dass ich wieder zu mir selbst gefunden habe. Gestern am Telefon konnte ich noch vage, ungenaue Antworten geben. Konnte ihrer grenzenlosen Wissbegier noch irgendwie ausweichen. Habe Chester mit keinem einzigen Wort erwähnt. Aber wenn sie plötzlich alle vor mir stehen, dann geht das nicht mehr. Das weiß ich genau. Ich kann und will sie nicht anlügen. Darum werde ich ihnen von Chester erzählen müssen. Denn Chester ist der Grund, warum ich überhaupt mit meiner Familie sprechen kann. Warum ich meine Mutter, meinen Vater, meinen Bruder und alles andere um mich herum wieder richtig bewusst wahrnehme.

Chester Bennington hat das geschafft. Mein wunderschöner Engel. Mit den langen, samtweichen Dreadlocks. Den außergewöhnlich tiefgründigen, dunkelbraunen Augen. Dem tollen, wohlgeformten Körper. Mit den langen Armen und Beinen. Den faszinierenden, bunten Tattoos auf seiner hellen Haut. Seiner gänzlich unerreichten Stimme. Die kinderleicht bis in den hintersten Winkel meiner Seele vordringt. Ich liebe diesen besonderen Menschen so sehr. Chazy Chaz ist lebenswichtig für mich. Obwohl ich ihn erst seit vier Tagen kenne. Wie um alles in der Welt soll ich meiner Familie das erklären? Welche Worte könnte ich wählen, damit sie auch nur annähernd verstehen, was Mister Bennington für mich bedeutet? Nach meinem Empfinden können Wörter allein meine gigantischen Gefühle nicht ausdrücken. Es gibt gar keine Sätze dafür. Das erscheint mir völlig unmöglich.

Aus diesem Grund muss ich ihnen Chester persönlich vorstellen. Ich will unbedingt, dass meine Familie heute mit eigenen Augen sieht, wovon ich rede. Was ich damit meine, wenn ich ihnen erkläre, dass ein Fremder mich gerettet hat. Es führt kein Weg daran vorbei, ihnen Chester zu zeigen. Aber es fällt mir schwer, meinen Eltern einen Mann vorzustellen, in den ich mich ernsthaft verliebt habe. Genau wie ich bislang, haben sie keine Ahnung, dass ich für Männer überhaupt so etwas wie Liebe empfinden kann. Darum bin ich unsicher. Womöglich stimmt das mit der Liebe auch gar nicht. Vielleicht bin ich in Wahrheit nur tierisch verwirrt. Das ist ganz schön kompliziert. Lässt mir einfach keine Ruhe. Besonders, weil Chester meine Familie eventuell gar nicht kennenlernen will. Womöglich findet er das total doof. Weigert sich einfach mitzukommen. Dann stehe ich blöd da. Und überhaupt. Mister Bennington ist ja sowieso mal wieder seit etlichen Stunden spurlos verschwunden. Seit der gemeinsamen Musiktherapie, als Schwester Iris mich überraschend zum Telefon mitnahm, habe ich den Brünetten nicht mehr gesehen. Chaz ist gestern nicht mal beim Abendessen gewesen. Darum habe ich noch nicht mit ihm darüber sprechen können. Meine Situation ist total ungeklärt. Shit, diese Gedanken wühlen mich enorm auf. Das sinnfreie Grübeln macht mich lediglich noch nervöser. Kann es aber trotzdem nicht sein lassen. Neben dem mega aufreibenden Besuch meiner Familie ist der Sänger aus Phoenix die zweite einleuchtende Ursache, warum ich vor Rastlosigkeit beinahe durchdrehe.

Die vielen Menschen in diesem Zimmer tragen auch nicht gerade zu meiner Beruhigung bei. Inzwischen hat sich die wartende Menge vor den Rollwagen gelichtet. Drei Pfleger laufen aufmerksam durch die Reihen. Fast alle Patienten sitzen an den Tischen. Frühstücken. Unterhalten sich dabei. Lautes Stimmengewirr erfüllt den Speisesaal. Der Lärm ist kaum auszuhalten. Wenigstens können sie nicht auch noch wie wild mit dem Geschirr und dem Besteck klappern. Zumindest einen Vorteil hat es, dass alles aus Plastik ist. Frustriert starre ich wieder auf meinen Teller. Ich sollte einfach mal anfangen. Vielleicht kommt mein Hunger ja beim Essen. Obwohl ich das stark bezweifele, greife ich mir widerwillig die Gabel. Meine Finger zittern unverändert. Stochere lustlos in den Hash Browns herum.

Es macht mir viel mehr Sorgen, als es wahrscheinlich sollte, dass Chester gestern nicht beim Abendessen aufgetaucht ist. Sein erneutes Fehlen erscheint mir bedenklich. Weil der viel zu schlanke Patient doch dringend regelmäßig essen sollte. Ob er nochmal unter Ullis Aufsicht zu Abend essen musste? Aber warum denn nur? Gestern hat es mich maßlos enttäuscht, dass ich den Sänger wider Erwarten den ganzen restlichen Tag nicht mehr getroffen habe. Direkt nach dem ziemlich nervenaufreibenden Telefonat mit meiner Familie wollte ich so gerne mit Chaz darüber sprechen. Ich hatte ihm doch so viel zu sagen. So viele spannende Neuigkeiten. Ich wollte ihm von meiner Mom erzählen, von Dad und Jason. Wollte ihm eröffnen, dass meine Family mich heute besuchen kommt. Und dass ich dringend möchte, dass Chester bei dem Besuch mit dabei ist.

Aber ich wurde herbe enttäuscht. Konnte meinen Engel nicht finden. Wie blöde bin ich suchend durch die Station gelaufen. Niemand wollte mir etwas über Bennington mitteilen. Keiner hat mir seine Zimmernummer verraten. Obwohl ich mich überwunden und mehrere Pfleger und Schwestern danach gefragt habe. Vielleicht dürfen die Angestellten der geschlossenen Psychiatrie das nicht. Zimmernummern von Patienten rausgeben. Ich weiß nicht, was mit Chaz passiert ist. Keine Ahnung, ob er heute überhaupt zum Frühstück kommt.

Noch ein guter Grund für meine tosende Nervosität. Das macht mich nämlich völlig verrückt. Ich vermisse den Besonderen so sehr. Viel zu lange habe ich ihn nicht gesehen. Mittlerweile sind das definitiv zu viele Stunden ohne ihn. Die ganze letzte Nacht konnte ich kaum schlafen. Bin immer wieder hochgeschreckt. Hatte doofe Albträume. Zwischen peinlich erotischen Szenen. Seit dem Telefonat mit meiner Familie sind eindeutig zu viele schwerwiegende Gedanken in meinem Kopf. All diese aufregenden Neuigkeiten brennen mir unverändert auf der Seele. Ich möchte wissen, wie Chester darüber denkt. Es macht mir Angst, dass mein Engel verschwunden ist. Den Gedanken, den Tätowierten womöglich niemals wiederzusehen, kann ich einfach nicht ertragen.

Aber plötzlich höre ich ihn. Diese einmalige Stimme würde ich unter tausenden erkennen. Jederzeit. Ich höre ihn, bevor ich ihn sehen kann. Vor Aufregung verknoten meine Eingeweide. Sofort schnellt mein Blick aufgeschreckt vom Teller hoch. Geradewegs zur Flügeltür hin. Chester Bennington ist draußen. Auf dem Gang. Er hält sich in der Nähe des Speisesaals auf. Der unartige Patient macht wieder Krach auf dem Flur. Sein Lärm ist schlicht unüberhörbar. Unverwechselbar. Und zweifellos kommt er näher. Dabei schreit der Sänger aus Phoenix irgendwas. Es hört sich an wie Complication. Conversation. Oder singt er? Der Unterschied ist wahrhaftig schwer auszumachen. Confrontation. Aggravation. Irgend so was. Der junge Mann brüllt die verschiedenen Laute zornig heraus. Das kommt mir höchst bekannt vor. Obwohl es andere Wörter sind, hört sich das genauso an wie in der Nacht damals. Als ich diese unerreichte Stimme zum ersten Mal vernommen habe. Das war in der besonderen Nacht. In der sich alles total verändert hat.

Die vertrauten Klänge paralysieren mich. Auf der Stelle. Wie erstarrt sitze ich allein an meinem Tisch. Meine Finger krampfen sich nervös um meine Plastikgabel. Meine ganze Aufmerksamkeit gilt den innig geliebten Geräuschen da draußen. Der schmerzlich vermissten und heiß ersehnten Akustik. Diese wohlklingende Stimme. Die trotz der unglaublichen Lautstärke und dem stürmischen Zorn ihre Harmonik nicht verliert. Chester braucht kein Mikrophon, um allein mit seiner Stimme Aufsehen zu erregen. Unwillkürlich fährt sie mir durch sämtliche Nervenbahnen. Bis tief in meine aufgeschreckte Seele hinein. Obwohl ich angespannt lausche, kann ich die Sätze nicht richtig verstehen. Aber alle hören ihn. Das Stimmengewirr um mich herum wird prompt leiser. Verstummt nach und nach ganz. Alle Köpfe drehen sich aufhorchend zum Eingang hin. Aus den Augenwinkeln bemerke ich, dass die drei Pfleger im Saal in helle Alarmbereitschaft geraten. Sichtbar beunruhigt eilen sie durch die Tischreihen Richtung Tür. Sie erwarten wohl einen völlig durchgeknallten Patienten. Jemanden, der haltlos aggressiv ist. Den sie eventuell mit roher Gewalt bändigen müssen. Ich wette, das wäre für das erfahrene Personal der Psychiatrie nicht das erste Mal.

Lange bevor die Pfleger an der Tür ankommen, fliegt sie schon auf. Mit einem lauten Knall. Die zwei Flügelhälften schlagen heftig gegen die Wände. So enorm viel Schwung haben die beiden Türen. Als hätte Chester Bennington sie mit Karacho von außen aufgetreten. Plötzlich steht der Besondere im Eingang. Selbstsicher grinsend lässt er seinen Blick einen Moment lang durch den vollbesetzten Speisesaal schweifen. Spöttisch sondiert er die Lage. „Chester, nein! Ich habe nein gesagt!” hört man irgendwo hinter ihm auf dem Flur. Ullis gestresste Stimme. Im nächsten Moment taucht der Aufpasser hinter dem Patienten auf. Er spricht leise mit Chester. Aber der beachtet ihn gar nicht. Die drei Pfleger im Raum verlangsamen konzentriert ihre Bewegungen.

Im selben Augenblick, in der Chaz in der Tür auftaucht, bekomme ich gefühlt einen heftigen Schlag vor den Kopf verpasst. Jäh verkrampft sich alles in mir. Die Gabel fällt mir aus der Hand. Auf das Tablett. Mein Herz stolpert böse. Restlos perplex starre ich die fremde Person in der Tür an. Der junge Mann sieht ungewohnt aus. Gänzlich anders. Als sonst. Als ich es erwartet habe. Als ich ihn mir vorgestellt habe. Die ganze einsame Nacht. Den ganzen langen Tag. Derart kenne ich ihn nicht. Noch nie habe ich meinen wunderschönen Engel so gesehen. Das verstehe ich nicht. Drei Sekunden lang bin ich unsicher, ob er es auch wirklich ist. Eins seiner auffälligen Markenzeichen fehlt.

Chester hat keine Dreadlocks mehr. Jemand hat sie ihm rigoros abgeschnitten. Vielleicht war das eine Strafe, fährt mir bestürzt durch den Sinn. Weil er schon wieder nicht folgsam war. Sie haben ihm die Haare abrasiert. Weil er böse war. Gibt es hier solche grausamen Strafen? Das wäre ja schrecklich. Oder hat er das etwa selbst getan? Chester hat sich selbst das lange Haar geschnitten. Warum hat er das gemacht?, frage ich mich fassungslos. Warum hat er das nur gemacht? Sein brünettes Haar ist so schön gewesen. Ich habe es so sehr geliebt, mit meinen Fingern zärtlich durch seine weichen Dreads zu fahren. Das war toll, ihm die langen Haare hinter die großen Ohren zu streicheln. Kräftig daran zu ziehen hat mich wahnsinnig erregt. Und ich glaube, auch Chaz fand das ziemlich geil.

Unwillkürlich habe ich diese intimen Bilder vor Augen. Wie intensiv ich mit seinen langen Haaren gespielt habe. Sein seidiges, gefilztes Haar hat sich so wunderbar weich angefühlt. Wenn ich es berührt habe. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Ausgeschlossen, es je wieder anzufassen. Nie wieder kann ich in Ekstase daran zerren. Denn da sind keine Dreadlocks mehr. Der hübsche Kopf des Sängers ist drastisch verändert worden. Alle kunstvoll verfilzten Locken sind weg. Sein brünettes Haar ist höchstens noch ein paar Millimeter lang. Der Typ sieht sonderbar unverhüllt aus. Dadurch wirkt seine Stirn höher. Die Details seines Gesichts stechen stärker ins Auge. Dieser Anblick ist wohl das Letzte, mit dem ich an diesem Morgen gerechnet habe. Oder jemals erwartet hätte. Im ersten Moment bin ich absolut schockiert. Total unvorbereitet. Es fällt mir wahrhaftig schwer ihn anzusehen. Der Patient kommt mir beunruhigend fremd vor.

Trotzdem kann ich meinen Blick nicht von ihm nehmen. Dieser ganz besondere Mensch fesselt mich. Unweigerlich. Trotz der extrem kurzen Haare ist Chester Bennington aus Phoenix, Arizona noch immer ein wunderschöner Mann. Sein Gesicht ist wahnsinnig fein gezeichnet. Da sind exakte Linien in seinem Antlitz. Die Augen, die große Nase, der Mund und die großen Ohren sind symmetrisch korrekt zueinander angeordnet. Mein künstlerisch geschulter Blick registriert das überdeutlich. Der Kerl ist wahnsinnig attraktiv. Das muss ich zugeben. Seine momentane Präsenz ist unglaublich stark. Nicht der Hauch eines Zweifels lässt sich an ihm feststellen. Da gibt es keinerlei Unsicherheiten. Der Entertainer ist sich seines Auftritts vollkommen bewusst. Bennington scheint es wahrhaftig zu genießen, dass alle ihn überrascht anstarren. Genau das hat er beabsichtigt. Dafür hat er vorhin auf dem Flur geübt, wird mir klar. Der verrückte Typ singt für uns. Tatsächlich. Obgleich ihn niemand darum gebeten hat. Obwohl Ulli es ihm ausdrücklich verboten hat. Chester tut es einfach.

„I want to pick up the pieces. So that there's less complication. So that there's less conversation, man. Less aggravation.” Seine wunderschöne Stimme ist laut. Er ist aggressiv. Der junge Mann ist enorm wütend. Verblüffend schnell stößt er die einzelnen Wörter zwischen seinen Lippen hervor. Sie platzen druckvoll aus ihm heraus. Wie akustische Peitschenhiebe. Auf diese Art habe ich ihn noch nie singen gehört. Da ist jede Menge Zorn in seiner Stimme. Ich höre so viel angestaute Frustration. Auch sein fantastisches Gesicht drückt beim Singen nichts als Wut aus. Die Augen hinter der schwarzen Brille funkeln entschlossen. Seine Miene wirkt angespannt. Es geht ihm nicht gut, weiß ich sofort mit absoluter Sicherheit. Chester geht es heute Morgen richtig schlecht. Etwas Schlimmes ist passiert. Mit dem er nicht klarkommt. Mein abruptes Verstehen tut mir beinahe körperlich weh.

Gequält sitze ich auf meinem Stuhl. Beobachte ihn. Gebannt. Kann gar nicht anders, als ihn im Auge zu behalten. So wie alle anderen Menschen in diesem Zimmer. Während Chaz herausfordernd singt, betritt er schnell tanzend den Speisesaal. Seinen Pfleger lässt der freche Kerl einfach hinter sich an der inzwischen wieder zugefallenen Tür stehen. Ulli verschränkt grimmig die Arme vor der Brust. Sichtbar genervt. Abwartend verfolgt er mit den Augen jede Bewegung seines unartigen Schützlings. Auch meine ganze Konzentration liegt auf Chester. Beunruhigt studiere ich sein schönes, unverkennbar aufgebrachtes Gesicht. Mit der großen, spitzen Nase. Den zarten Augenbrauen. Dem wundervollen Mund. Mit den schmalen Lippen. Die er zum Singen weit öffnet. Seine Laute sind artikuliert. Er will sichergehen, dass ihn auch jeder versteht. Seine dunklen Augen blitzen kampfbereit. Aufmerksam wandert sein Blick über sein stumm verwundertes Publikum.

Alle sitzen jetzt ruhig auf ihren Stühlen. An den vielen Tischen ist es ganz still. Besonders die drei Pfleger zwischen den Tischreihen behält Chester genau im Auge. Nur noch zögerlich bewegen die weißen Kerle sich auf den Aufmüpfigen zu. Die Männer sind sich offenbar nicht ganz sicher, was sie jetzt tun sollen. Ob sie diesen sonderbaren Patienten irgendwie an seinem unerlaubten Auftritt hindern müssen. Oder ob sie doch lieber einfach abwarten sollen, bis der Song vorbei ist. So wie Ulli es scheinbar vorhat. Ich habe den Eindruck, im Grunde will das Personal ihn gerne singen hören. So wie der ganze Rest der Leute hier. Das amüsiert mich. Obwohl ich mich gleichzeitig schrecklich fühle. Weil ich mir große Sorgen um meinen zornigen jungen Mann mache. Chester weicht den Weißgekleideten vorsichtshalber aus. Indem er sich hartnäckig von ihnen wegbewegt. Er tanzt in die entgegengesetzte Richtung. Seine Bewegungen sind trotz der spürbaren Aggressivität so dermaßen anmutig, dass ich automatisch dahinschmelze. Mit berührender Grazie bewegt er seinen fantastischen Körper. Bennington trägt die Kleidung, die ich ihm geliehen habe. Bis auf seine blauen Chucks gehört alles mir. Das macht mich stolz. Weil niemand sonst davon weiß. Niemand hier ahnt, was zwischen Chaz und mir passiert ist, bevor er meine Sachen angezogen hat. Das ist unser intimes Geheimnis. Was mich zweifellos mit ihm verbindet.

Unweigerlich hingerissen, schaue ich ihn an. Die engen, dunkelblauen Jeans betonen seine schlanken, langen Beine. Weil meine Jeans ihm zu lang ist, hat er den unteren Saum umgeschlagen. Offenbar ist Chester ein paar Zentimeter kleiner als ich. Das ist mir bisher nie aufgefallen. Auf seinem schwarzen T-Shirt sind in Kreisen eng verschlungene, silber-blaue, psychedelische Muster aufgedruckt. Das T-Shirt verdeckt die bunten, kunstvoll tätowierten Fische auf seinen Oberarmen nur teilweise. Chester Bennington aus Phoenix, Arizona sieht hinreißend aus. Völlig unmöglich, sich an diesem wundervollen Menschen sattzusehen. Oder gar sattzuhören. Davon kann ich nie genug haben. Hungrig nehme ich seinen überraschend schnellen Song in mich auf.

„I want to go out alone, man. So that there's less confrontation. And, man, there's less association. And less companyyyy. Yeeaah!” schreit Chester in seiner ureigenen, absolut unerreichten Tonlage. Da ist diese unglaubliche Power in seiner Stimme. Die man ihm auf den ersten Blick gar nicht zutraut. Und die ich noch nirgendwo anders gehört habe. Dieser fantastische Tenor in G2 bis G5. Scheinbar mühelos füllt sein kräftiges Stimmvolumen den ganzen riesigen Speisesaal aus. Dafür braucht er keine elektrischen Verstärker. Nichts könnte ihn jemals stoppen. Das ist total faszinierend. „I was so frustrated, man. That I was all confused, man. And that I was disillusioned. And thick of your friieends”, singt Chester, während er tanzend an den Tischen entlangläuft. Aufmerksam sieht er sein bunt gemischtes Publikum an. Betrachtet jedes einzelne Gesicht. Ganz persönlich. Chester baut eine Beziehung zu seinen Zuhörern auf. Er erzählt ihnen von seinen Gefühlen. Öffnet den fremden Leuten vertrauensvoll seine sensible Seele. So was kann der Arizona-Boy richtig gut. Das muss ich neidlos anerkennen.

Spüre eine irre Sehnsucht nach meinem zu lange vermissten Mann. Ich möchte, dass Chester zu mir an den Tisch kommt. Wünsche mir, dass der Tätowierte nur für mich alleine singt. Aber heute tut er das nicht. Im Moment gehört der wahnsinnig talentierte Entertainer dem ganzen verdammten Speisesaal. Bin nicht sicher, ob Chazy Chaz mich überhaupt schon gesehen hat. Falls das so ist, lässt er sich jedenfalls nichts anmerken. Seine ganze Konzentration gilt dem Song. Den Menschen in seiner direkten Nähe. Mit denen er die ganze Zeit Augenkontakt hält. Wie beiläufig springt der singende Mann dabei plötzlich auf einen freien Stuhl. Das gelingt ihm mit erstaunlicher Kraft und Schnelligkeit. Vom Stuhl aus springt er direkt weiter auf den dazugehörigen Tisch. An dem nur zwei Personen sitzen. Erschrocken erheben die beiden sich. Bringen ihre Tabletts am Nebentisch in Sicherheit. Chester hat sich seine eigene Bühne inmitten des Speisesaals ausgewählt. Scheinbar mühelos hat er sie betreten. Alle Pfleger im Saal wirken verstärkt alarmiert. Schreiten jedoch nicht ein. Die vier Männer sind sichtbar beeindruckt. Sie müssen auch merken, dass der Sänger dort oben richtig wirkt. Als würde er genau da hingehören. Wo jeder ihn hervorragend sehen kann. Sein riesiges Talent kann ihnen nicht entgehen. Chester Bennington ist genau da, wo er sein will.

Mit unverändert hämmerndem Herzen sitze ich starr an meinem Fenstertisch. Bewege meine Augen nicht von dem singenden Engel weg. Obwohl ich nicht verstehe, warum er das hier freiwillig macht, und obwohl mir sein nach meinem Empfinden offensichtlich stark lädiertes Seelenheil große Sorgen bereitet, so werde ich doch unweigerlich von seinem selbstbewussten Auftritt mitgerissen. „Run, don't walk my way. Don't look my way. Cause I don't care. Oh no. So why are you still here? Why don't you disappear and spin out of my life? Ohhh”, fragt Chester uns mit einer Stimme, die ungehindert auch bis in die am besten verschlossene Seele knallt. „Hey?!” schreit er herausfordernd. Fragend. Anklagend. Aufrüttelnd. Deutlich provozierend. Davon kann niemand unberührt bleiben. Der Arizona-Boy ist spürbar und sichtbar genervt. In seiner harmonischen Singstimme sagt der seltsame Kerl uns ganz offen seine Meinung. Diese unvergleichliche Tonlage, die neben all der tosenden Wut auch seine eigene Verletzlichkeit offenbart. Chester ist enorm tief verletzt worden. Er fühlt sich komplett unverstanden. Von allen verraten. Das ist so unfassbar intensiv, dass mir ungewollt Tränen in die Augen schießen. Schon tropft die lästige Feuchtigkeit über mein Gesicht. Ohne dass ich es verhindern kann. Oder auch nur rechtzeitig registriere. Plötzlich heule ich. Wie ein Mädchen. Verdammt! Das passiert mir jedes Mal, wenn Chester singt. Möchte mal wissen, warum eigentlich. Sonst reagiere ich doch auch nicht dermaßen sensibel. Hastig wische ich die peinlichen Tränen weg. Zum Glück beachtet mich niemand. Weil Bennington mit seinem energiegeladenen Auftritt erfolgreich die uneingeschränkte Aufmerksamkeit aller Seelen hier einfordert.

Was ist nur passiert?, frage ich mich erschüttert. Warum um alles in der Welt ist mein innig geliebter Mann nur so unglaublich wütend? Warum ist der Tätowierte so gigantisch frustriert, dass er wahrhaftig die ganze Psychiatrie um Hilfe bitten muss? Ich glaube zu wissen, was Chester gerade macht. Warum er gerade diesen Song gewählt hat. Der Text ist anders als alles, was ich bisher schon von ihm gehört habe. Es ist das erste Lied, das nicht ausschließlich depressiv klingt. Oder verwirrt. Da ist jede Menge Power und Lebenswillen in diesem Stück. Chester schreit seine Wut heraus. Genau genommen sagt er uns ungeschminkt seine Meinung. Mitten ins Gesicht. Mit seinem feindseligen Song schickt er jeden einzelnen in diesem Raum verbal zum Teufel. Auch wenn die anderen das wahrscheinlich nicht kapieren. Für sie ist es nur ein weiteres Lied. Das sie von einem fraglos enorm talentierten Sänger geboten bekommen. Für die anderen Patienten ist es eine willkommene Performance zum Frühstück. Für die Pfleger ein Grund für verschärfte Alarmbereitschaft. Für mich ist es ein kaum erträglicher Hilfeschrei meines verehrten Menschen. Ich möchte aufstehen. Zu ihm hineilen. Ihn von diesem selbst gewählten Podest herunterholen. Damit ich ihn tröstend in die Arme schließen kann. Ich habe das starke Bedürfnis, den Zornigen irgendwie zu besänftigen. Auf irgendeine Art für ihn da zu sein.

Aber ich bleibe reglos an meinem Platz. Schaue paralysiert dabei zu, wie Chester sich eindrucksvoll tanzend auf dem Tisch bewegt. Sein attraktiver, schlanker Körper zuckt elegant zu einer schnellen, unhörbaren Musik. Ich vermisse die Dreadlocks, die wie wild um seinen attraktiven Schädel herumwirbeln. Er hebt den Kopf. Schiebt mit nur einem Finger routiniert seine Brille zurecht. Sieht mich an. Unsere Blicke treffen sich augenblicklich. Sein Gesicht verändert sich nicht. Da ist so viel brennender Schmerz in seinen dunklen Augen. Ich fürchte, ich werde ohnmächtig.

„Why do we have limitation. And man. Why do we have limitation. So that we don't get very far. And so that we don't climb very high. I can't handle the indecision. And I can't watch no more television. And I won't miss you when you're gone. 'Cause I know my life will go ooonn. Yeeaah”, singt Chester Bennington. Aus Phoenix. Arizona. Während er mir vorwurfsvoll direkt in die Augen blickt. Unmöglich, mich in dieser Minute nicht persönlich angesprochen zu fühlen. Ich spüre einen schmerzhaften Stich in meiner Seele. Meint Chazy Chaz das etwa ernst? Will er mir tatsächlich sagen, dass er genug von mir hat? Dass er meine Unentschlossenheit nicht länger ertragen kann? Dass er mich nicht vermissen würde, wenn ich weg wäre? Wie kann mein Mann nur so etwas sagen? Warum ist er so feindselig? Ich bin doch gar nicht unentschlossen. Ich habe ihm schon mehrmals versichert, wie extrem wichtig er für mich ist. Habe ihm sogar gestanden, wie sehr ich ihn liebe. Nachdem ich ihn vorher oft weggejagt habe. Abgehauen bin. Brutal mit ihm gestritten habe. Ihm wiederholt eingebläut habe, mir vor anderen Menschen auf keinen Fall zu nahezukommen. Ja. Das habe ich getan. Ich glaube, ich sterbe gleich. Mein Herz pocht so schnell. Ich bekomme keine Luft mehr. Bestürzt starre ich ihn an. Hilflos. Kann mich nicht mehr bewegen. Seine Augen sind schwarze Tiefen. Vollkommen unergründlich. Im nächsten Moment schaut Chester weg.

„Das reicht jetzt, Bennington!” meldet sich Ulli lautstark von der Tür her. „Komm jetzt bitte sofort da runter!” verlangt der entnervte Pfleger von seinem ungehorsamen Patienten. Während er mit gestresster Miene auf ihn zugeht. Chester tanzt derart aggressiv auf der Tischplatte, dass der hölzerne Tisch gefährlich ins Rutschen gerät. Die dünnen Tischbeine ächzen unter seinem Gewicht. Die Platte biegt sich. Unwillkürlich frage ich mich, ob das nicht allzu stabil aussehende Möbelstück den Sänger noch lange tragen kann. Ich fürchte, dass der Tisch früher oder später unter ihm zusammenbricht.

Aber nur wenige Augenblicke später löst Chester das Problem. Indem er plötzlich mit einem wahnsinnigen Sprung vom Tisch springt. Energisch reißt er dabei die Arme und Beine weit hoch. Fliegt schwungvoll durch die Luft und landet wenige Sekunden später sicher auf dem Steinboden des Speisesaals. Die Erde hat ihn wieder. Sein kräftiger Sprung war so beeindruckend, kam so unerwartet, dass nicht wenige Münder weit offen stehenbleiben. Baff staunend. Verdutzt aufgerissene Augen betrachten den merkwürdigen Kerl. Der da gerade akrobatisch vom Tisch gesprungen ist. Zu gerne hätte ich diesen Moment auf einem Photo festgehalten. Chesters toller Körper in der Luft, mit weit hochgerissenen Armen und Beinen, sah einfach so berauschend aus, dass ich völlig weggetreten bin. Ein paar Sekunden lang sah es so aus, als könnte mein Engel fliegen. Zweifellos kann er das auch. Irgendwie.

„Run, don't walk my way. Don't look my way. Cause I don't care. Oh no. So why are you still here? Why don't you disappear and spin out of my life? Ohhh”, singt Mister Bennington zum zweiten Mal seinen irre wütenden Refrain. Ich fasse es nicht, dass er gleichzeitig genau in meine Richtung kommt. Die ganze Zeit sieht er mich an, während er die vernichtenden Wörter ausstößt. Das macht mich total fertig. Als würde er eigentlich nur mich allein zur Hölle schicken. Chester hat endgültig genug von mir. Er gibt mir eine grobe Abfuhr. Mit seinem Song beendet mein Mann alles, was wir jemals gemeinsam hatten. Vor den Augen und Ohren der ganzen versammelten Station. Diese Situation ist unerträglich für mich. Keinen Schimmer, wie ich das überleben soll.

Mit einem letzten, lauthals provozierenden „Hey?!” lässt Chaz sich auf den Holzstuhl direkt neben meinem fallen. Ich werde noch starrer. Als ich ohnehin schon bin. Mein Herz überschlägt sich fast vor Nervosität. Völlig erledigt fixiere ich ihn. Kann irgendwie nicht weggucken. Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt machen soll. Chester sieht so verändert aus. Mit den mega kurzen Haaren erscheint er mir irritierend fremd. Andererseits ist sein vertrautes Gesicht so wunderschön, dass ich ihn am liebsten küssen würde. Schwanke heftigst zwischen unbändiger Freude und haltlosem Unwohlsein. Alles scheint völlig ungeklärt. Ich bin nicht sicher, ob der unberechenbare Arizona-Boy mit seinem Song nicht vielleicht doch mich persönlich gemeint hat. Ob der unverschämte Kerl unsere intime Beziehung nicht gerade auf drastische Weise öffentlich beendet hat. Könnte doch sein. So etwas würde ich ihm zutrauen.

Aber nein, schimpfe ich im nächsten Augenblick ärgerlich mit mir, er hat sich doch geradewegs an meinen Tisch gesetzt. Das hätte er sicher nicht getan, wenn er nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Hör doch auf in seinen Text etwas hineinzuinterpretieren, das wahrscheinlich gar nicht da ist. Das war doch nur ein Song, will ich mir krampfhaft einreden. Chester hat ihn bestimmt schon vor langer Zeit geschrieben. Lange bevor er mich überhaupt kannte. Diese verächtlichen Zeilen haben sicher nichts mit mir zu tun. Er hat sich bestimmt gar nichts dabei gedacht.

Doch seine pechschwarzen Augen, die mich interessiert mustern, sagen mir etwas anderes. Sie schüren meine Zweifel. Ich fühle Chesters Wut und Schmerz in jeder Faser meines Körpers. Obwohl ich hastig versuche mich zu beruhigen, bleibt ein großer Rest Unsicherheit bestehen. In meinem überforderten Kopf herrscht ein heilloses Durcheinander. Ich habe tausend Fragen an den seltsamen Kerl. Angefangen damit, wo seine schönen Dreadlocks geblieben sind, über den Grund seiner riesigen Frustration und seiner Bereitschaft, heute Nachmittag meine Eltern kennenzulernen, bis zu der Frage nach unserem derzeitigen Beziehungsstatus. Muss daran denken, wie unglaublich nahe wir uns schon waren. Beim Sex. In meinem kleinen Zimmer. Gemeinsam auf meinem schmalen Bett. Dicht beieinander liegend. Die Wärme seiner Haut. Wie sein Gesicht aussah, kurz bevor er gekommen ist. Oder im Musikzimmer. Als wir gestern zusammen Musik gemacht haben. Unbestreitbar kam da eine magische Verbindung zwischen uns auf. Beim Rappen und Singen von With You waren wir uns verdammt nah.

Aber jetzt scheint Chester wieder meilenweit von mir entfernt zu sein. Obwohl er direkt neben mir sitzt. Ich spüre einfach, dass es meinem Engel so richtig mies geht. Das bricht mir das Herz. Ratlos studiere ich ihn. Ohne Frage hat der Besondere erreicht, was er wollte. Mit seinem ungenehmigten Song hat er es allen gezeigt. Das ungebändigte, zornige Kind hat sich kräftig ausgetobt. Für den Augenblick scheint es besänftigt. Aber sein befriedigt aussehendes Gesicht kann mich an diesem Morgen nicht täuschen. Noch nicht mal sein charismatisches Lächeln schafft das. Denn es erreicht seine dunklen Augen nicht. „Oh, wow, Mike!... Mann, ey!...”, japst Chester atemlos. Sein energiegeladener Auftritt hat ihn sichtbar angestrengt. Der Sänger hat sich für sein unfreiwilliges Publikum mächtig ins Zeug gelegt. Das macht er immer so. Jedes Mal, wenn er singt. Ich glaube, Chester Bennington kann gar nicht anders. Auf der Bühne gibt er alles oder nichts. In diesem Punkt macht er keine Kompromisse. Beim wilden Tanzen ist der Tätowierte ins Schwitzen geraten. Er ist außer Atem. Sein Brustkorb bewegt sich in tiefen Atemzügen. In einer aggressiven Bewegung wischt er sich über das Gesicht. „Das war klasse!” meint Chester zufrieden.

Der zögernde Applaus, der langsam im Speisesaal anschwillt, gibt ihm unmissverständlich recht. Zustimmende Rufe werden laut. Die Zuschauer bekunden wahrhaftig ihr Wohlgefallen. Sogar die drei Pfleger klatschen. Was er grinsend zur Kenntnis nimmt. Das freut mich für Chaz. Dass er wenigstens heute Morgen nicht leer ausgeht. „Danke schön, Leute!” bedankt der Gelobte sich freundlich. Dankbar lächelt er in die Runde. Nur Ulli, der plötzlich an unserem Tisch auftaucht, ist offenbar anderer Meinung. „Das war überhaupt nicht klasse, Bennington”, schimpft der Pfleger ungehalten, „Du hast dich schon wieder über ein Verbot hinweggesetzt. So kann das nicht weitergehen, mein Freund!” Chester zieht schuldbewusst den kurzgeschorenen Kopf ein. Zwinkert mir verschwörerisch zu. Was mich beinahe niederstreckt. Fassungslos betrachte ich sein zartes Gesicht. Als er sein Haar beim Sport zusammengebunden hatte, sah er so ähnlich aus wie jetzt. Durch die mega kurzen Haare wirkt seine Visage aber noch viel deutlicher. All seine markanten Details stechen hervor. Kann mich daran nicht sattsehen. Die großen, leicht abstehenden Ohren. Die ebenso große, spitze Nase. Die braunen Augen. Der schöne Mund. Das kleine Kinn. Mir fällt auf, dass Chester sich zwischenzeitlich gründlich rasiert hat. Da ist kein einziger Bartstoppel mehr auf seiner seidigen Haut. Die Niederlage seines Pflegers amüsiert ihn.

Noch immer wirbeln meine Gedanken unstet umher. Schaffe es nicht sie einzufangen. Da sind so unheimlich viele Fragen, die ich ihm unbedingt stellen muss. Es steht schon wieder so viel zwischen uns. Das müssen wir unbedingt klären. Aber die passenden Wörter wollen mir schlicht nicht einfallen. „Was war das?” stoße ich schließlich hilflos aus. Möchte mich im nächsten Moment selbst in den Hintern treten. Weil das einfach nur bescheuert ist. Chester lacht belustigt. „Das war Spin”, nennt er mir den Titel seines eben gesungenen Songs. Was definitiv nichts von dem ist, was ich gerade dringend wissen will. „Das war toll”, erkläre ich wirr. Chester nickt lächelnd. Offenbar ist er mit seiner Leistung als Entertainer zufrieden. Unbestritten hat er Grund dazu. Er war richtig gut. Daran besteht kein Zweifel.

Der Applaus um uns herum wird leiser. Weil die Pfleger damit anfangen, die begeisterten Patienten zu beruhigen. Ihnen ihr Frühstück nahezulegen. Die Menschen wenden sich wieder ihrem Essen zu. Die morgendliche Routine geht weiter. Mir fällt auf, dass niemand sich noch darüber zu wundern scheint, dass Chester sich sofort an meinen Tisch gesetzt hat. Kaum jemand beachtet uns noch. Das macht mich misstrauisch. Anscheinend sind die Leute hier den Anblick von Chaz und mir in trauter Zweisamkeit mittlerweile gewohnt. Das gibt doch bestimmt Anlass zu heimlichen Spekulationen. Die tun jetzt nur so, als würde es sie nicht interessieren. Hinter unserem Rücken lästern sie dann über uns. Das gefällt mir nicht. Andererseits sitzt der Arizona-Boy nur neben mir. Er berührt mich ja nicht mal. Chester hat mich nicht gleich geküsst oder so was. Mann, ich muss mich wirklich langsam beruhigen. Mein Herz macht dieses harte, schnelle Hämmern sicher nicht mehr lange mit. Meine tosende Nervosität erschöpft mich stärker. Je länger sie andauert.

Chester lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. Verschränkt konzentriert die Arme vor der Brust. Betrachtet mich mit gestiegener Aufmerksamkeit. Verwundert zieht er die schmalen Brauen zusammen. Mist, der Kerl sieht mir an, wie nervös ich bin. Chester spürt so etwas. Wenn er in meiner Nähe ist, kann ich nichts vor ihm verbergen. Unbehaglich weiche ich seinem prüfenden Blick aus. Schaue hilflos mein übervolles Tablett an. Heute Morgen kann ich wirklich nichts essen. „Was ist los, Mikey?” fragt Chester prompt. Diese wundervolle, helle Stimme. Ich liebe die so. Der Klang geht mir so tief rein, dass ich unwillkürlich erschaudere. Mühevoll wende ich meinen Kopf zu ihm. Zwinge mich dazu, ihm in die braunen Augen zu schauen. Chester sieht besorgt aus. Doch tief in ihm lodert unverändert dieses zornige Feuer. Ich muss mit ihm sprechen. Will wissen, warum er so sauer ist. Wo er gewesen ist. Wie er heute Morgen zu mir steht. Ob Spin etwas mit mir zu tun hat.

Aber meine Kehle ist zu eng. Nervös räuspere ich mich. Klemme die doof zitternden Finger unter meine Oberschenkel. „Chester...”, fange ich verstört an, „Warum hast du...” In diesem Moment knallt jemand mit Wucht ein volles Tablett auf unseren Tisch. Erschrocken fahre ich zusammen. Mein Kopf schnellt zur unerwarteten Störung. Schon wieder Ulli. Offenbar hat der Pfleger Chesters Frühstück geholt. Es passt ihm nicht, dass er das tun musste. Ulli ist gleichbleibend angepisst. Jetzt schiebt er das Tablett so energisch über die Tischplatte, dass die Flasche mit dem Wasser umfällt. Rigoros platziert der Aufpasser das amerikanische Frühstück direkt vor seinem Schützling. „Ich find's nicht so toll, dass du schon wieder nichts essen willst, Bennington!” knurrt Ulli angefressen. Mit seinen blauen Augen klagt er den Ungehorsamen an. Irgendwie tut der arme Ulli mir plötzlich leid. Weil er sich schon am frühen Morgen so doll über Chester ärgern muss. Drehe meinen Kopf zurück zu meinem Sitznachbarn. Will sehen, wie der Mitpatient reagiert.

Mein Mann richtet sich auf seinem Stuhl auf. „Wer sagt denn, dass ich nichts essen will?” entgegnet er. Ungerührt. Interessiert betrachtet er das umfangreiche Frühstück. Falls er sich über die Menge der Speisen wundert, so lässt er sich nichts dergleichen anmerken. Natürlich hat er auch längst bemerkt, was der Großteil der Patienten hier auf seinem Teller hat. Chester kennt den Anblick, stelle ich gerührt fest. Vielleicht hat seine Mom ihm früher morgens vor der Schule auch Pancakes gebraten. „Und warum holst du dir dann dein Frühstück nicht?” knurrt Ulrich verständnislos, „Warum musst du stattdessen den ganzen Speisesaal unterhalten?” „Ich wollte es einfach”, meint Chester achselzuckend. Langsam greift er seine Gabel. Sticht in seinen Pancake-Berg. Schiebt sich ein Stück Pfannkuchen zwischen die Zähne. Kaut langsam. Genüsslich. Lächelt seinen Pfleger besänftigend an. „Tut mir leid, Ulli”, beteuert er friedlich. Mit vollem Mund. Ich kann Ulli genau ansehen, wie er Chesters unvergleichlichem Charme erliegt. Obwohl der Pfleger sich innerlich dagegen sträubt. Ich glaube, das geht jedem so. Früher oder später. Mit seinem einmaligen Lächeln und seiner verblüffenden Schlagfertigkeit kann Mister Bennington die Menschen um sich herum kinderleicht entwaffnen. Egal wie sauer sie auf ihn sind. Seine Mitmenschen sind völlig machtlos gegen meinen zauberhaften Kerl. Das macht mich ziemlich stolz. Obwohl ich nicht genau weiß warum.

„Du kannst hier aber nicht einfach immer das machen, was du gerade willst, Chester. Hier gibt es Regeln, an die du dich bitte zu halten hast”, bemängelt Ulrich streng. Muss aber vage dabei grinsen. Was seinen Worten sofort die Schärfe wegnimmt. „Ja, ich weiß”, gibt Chaz zu, „Aber ich musste das eben tun.” „So geht das nicht, Bennington. Du bist wiederholt unkooperativ. Ich muss das deinem Psychologen melden”, seufzt Ulli ratlos. Als wäre er vom Sinn dieser Strafe selbst nicht wirklich überzeugt. Chester schließt die Augen. Atmet tief ein. Hält die Luft an. Einen Moment verharrt er so. Dann öffnet er die Augen wieder. Atmet weiter. Blickt seinen unzufriedenen Pfleger an. Sein Lächeln ist schlicht zum Niederknien. „Ich musste das machen. Unbedingt. Ging nicht mehr anders. Ehrlich. Es tut mir leid, okay?” erklärt er flehend. Ulli nickt resigniert. „Das weiß ich”, erwidert er matt, „Iss jetzt bitte dein Frühstück.” Damit entfernt die Aufsichtsperson sich von unserem Tisch. Endlich ist er weg.

Chester lässt sofort die Gabel fallen. Sodass ich mich abermals erschrecke. „Der geht mir so was von auf den Sack!” schnauft Chazy angepisst. „Er meint es nur gut”, versuche ich wahrhaftig, Ulli zu verteidigen. Obwohl ich das selbst nicht fassen kann. Chester betrachtet mich mit zusammengezogenen Augenbrauen. Auf seiner hohen Stirn sind sorgenvolle Falten. „Was ist los mit dir?” fragt er zum zweiten Mal. Ich verstehe nicht, warum er mich das schon wieder fragt. Wo doch von uns beiden in Wahrheit er derjenige ist, der hier offensichtlich größere Probleme hat. Ich habe nur keinen blassen Schimmer, wie ich die heiklen Themen ansprechen soll. Ohne ihn noch mehr zu verärgern. Unschlüssig schaue ich auf mein Tablett. Wenn ich möchte, dass Chester etwas isst, dann sollte ich wohl mit gutem Beispiel vorangehen, überlege ich ziemlich verwirrt. Kurzentschlossen ziehe ich meine Finger unter meinen Schenkeln hervor. Nehme die Gabel. Fange an zu essen. Das fällt mir schwer. Weil in meinem Magen schon seit dem Telefonat mit meinen Eltern gestern Nachmittag dieser seltsam hartnäckige Knoten ist. Aber ich versuche darüber hinwegzusehen. Ich muss zugeben, dass die knusprigen Hashed Brown Potatoes gar nicht so schlecht schmecken.

„So, so, Mister Shinoda ist also eher der deftige Typ”, spöttelt Chester neben mir. Perplex fahre ich zu ihm herum. „Wie meinst du das?” frage ich verblüfft. Ärgere mich enorm. Als in meinem Kopf unwillkürlich intime, geile Bilder auftauchen. Automatisch assoziiere ich Chesters komische Bemerkung mit meinen geheimsten Vorlieben beim Sex. Von denen ja schließlich nur dieser Kerl etwas weiß. Meine sexuellen Neigungen könnte man auch als deftig bezeichnen. Ungewollt muss ich daran denken, wie brutal ich ihn auf den nackten Po geschlagen habe. Wie grob ich den Besonderen an seinen langen Dreadlocks gezogen habe. Wie sphärisch geil das für uns beide war. Meine verräterischen Ohren fühlen sich jäh veranlasst, ihre Farbe zu wechseln. Ich spüre die Hitze unter meiner Haut. Fuck! Ich werde viel zu schnell rot! Chester guckt sofort auf meine Ohren. Was ihre komplett unerwünschte Farbe bestimmt noch verstärkt. Der Bezaubernde lächelt liebevoll. „Du bist echt niedlich, Mikey”, flüstert er hingerissen. Ich sehe ihm an, wie gerne er jetzt meine Ohren anfassen würde. Ich fürchte, er will sie sogar küssen. Mir seine heiße, nasse Zunge ins Ohr schieben. Obwohl mir die Vorstellung gefällt, bin ich ihm dankbar, weil er sich zurückhält. Ach, ich vermisse seine samtweichen Dreads! Möchte ehrlich wissen, warum Chester sie abgeschnitten hat. Und gleich so extrem kurz. Es reizt mich, mit der Hand über die kurzen Stoppeln auf seinem Kopf zu streicheln. Aber wir sind nicht allein. Hier im vollbesetzten Speisesaal, vor all diesen Zeugen habe ich Angst ihn zu berühren. Das würde die Leute doch nur wieder auf schlüpfrige Gedanken bringen.

„Was meinst du mit deftig?” frage ich den Sänger. Blöd verlegen. Er deutet auf seine Gabel, auf die er zu meiner Freude noch ein Stück Pancake gespießt hat. „Na, wir haben doch heute die Auswahl, süß oder deftig”, grinst Chazy amüsiert. Natürlich hat er nur das Essen gemeint. Ich bin so doof. Chester schiebt sich den Pfannkuchen in den Mund. Unweigerlich gebannt, beobachte ich seine tollen Lippen. Die hauchfeine, samtene Haut. Wie das schöne Rot sich beim Essen bewegt. Das mahlende Kauen seiner Zähne. Für ein paar Minuten kann ich meinen Blick nicht mehr von seinem geilen Mund abwenden. Mein Herz klopft. Mir wird ganz warm. „Du bist so süß wie der Pancake mit Ahornsirup!” meint Chester liebenswürdig. Es freut mich, dass sein Frühstück ihm heute überraschenderweise zu schmecken scheint. „Nein, du bist der Süße von uns beiden!” erwidere ich spontan. Denn immerhin stürzt er sich auf die gezuckerten Kuchen, während ich mit den Spiegeleiern mit Speck beschäftigt bin. Chester lacht belustigt. „Ich liieebe Pancaakes!” stöhnt der Kerl maßlos übertrieben. Nimmt sich noch ein Stück. Verdreht begeistert die Augen. Genießt es sichtbar. In meinem Körper kribbelt es. Überall. Als ich ihn eingehend dabei beobachte. Der Typ macht mich fertig!

„Hat deine Mom die dir früher vor der Schule auch immer gebraten?” frage ich ihn schneller, als ich überlegen kann. Muss mich von den zweifelhaften Gefühlen zwischen meinen Beinen ablenken. Doch meine Frage war falsch. Denn Chesters Gesicht verdunkelt sich. Schlagartig. Argwöhnisch studiert er mich. Fuck, fällt mir daraufhin ein, seine Eltern sind geschieden. Er ist bei seinem Dad aufgewachsen. Der sich nie um ihn gekümmert hat. Das hat er dir doch erzählt, du Idiot!, schimpfe ich ärgerlich mit mir. Aber es ist zu spät. Um meine voreilige Frage zurückzunehmen. Im nächsten Moment hat Chester sich wieder im Griff. Gutmütig lächelt er. Doch seine Augen hinter der Brille bleiben starr. Es geht ihm nicht gut. Ich weiß das, verdammt! „Nein, meine Mom war arbeiten”, erklärt mein Engel mir leichthin, „Ich musste mir mein Frühstück selbst machen.” Betretene Stille folgt. „Das hat mir Spaß gemacht! Ich koche total gerne!” betont der Tätowierte eilig. Als er meinen mitfühlenden Blick bemerkt. Bennington mag es absolut nicht, wenn ich mein Mitleid für ihn zeige. Das habe ich schon gelernt. Darum reiße ich mich zusammen.

„In der Agoura High School habe ich einmal richtig Ärger gekriegt”, erzähle ich ihm spontan. Um ihn abzulenken. Den Traurigen aufzumuntern. Weil mir das Thema im Moment beruhigend neutral erscheint. Ich habe Angst, nochmal etwas Falsches zu sagen. Zum Glück scheint meine Rechnung aufzugehen. Chesters braune Augen weiten sich interessiert. „Was hast du angestellt, Mikey?” will er verdutzt wissen. Bestimmt dachte er, dass ich immer ein tadelloser Musterschüler war. Und eigentlich stimmt das auch. Meine Schulzeit war problemlos. Ich war allgemein beliebt. Bin nie unangenehm aufgefallen. Bis auf diese eine Ausnahme. „Ich habe mal mitten im Unterricht meine Garbage Pail Kids Karten verkauft und getauscht. Das hat meiner Lehrerin überhaupt nicht gefallen”, berichte ich grinsend. Bei der Erinnerung daran, wie panisch ich damals die Karten habe verschwinden lassen, muss ich leise lachen. Chester registriert mein Lachen mit einiger Faszination. Es macht mich verrückt, wie verlangend er auf meinen Mund schaut. „Garbage Pail Kids Karten? Hast du die etwa gesammelt?” fragt er spöttisch. Was mich ein bisschen kränkt. „Na klar, Mann! Die waren doch damals der totale Renner!” erkläre ich energisch. „Kennst du die etwa nicht?” will ich fassungslos wissen. Chester nickt zögerlich. „Doch, die kenne ich auch”, gibt er zu. „Die sind lustig”, räumt er eilig ein. Als er meine unsinnige Enttäuschung bemerkt. Meinen Mann mit meiner Geschichte nicht beeindruckt zu haben.

„Naja, du musstest in deiner High School bestimmt jeden Tag nachsitzen!” bemerke ich viel zu verächtlich. Was mir im nächsten Moment schon leidtut. Ich wollte ihn wirklich nicht angreifen. Chester hält beim Essen inne. Langsam lässt er seine Plastikgabel sinken. Betrachtet mich eine Weile. Nachdenklich. „Nein... Chaz... tut mir leid... ich wollte nicht...”, versuche ich stammelnd, meine unangebrachte Geringschätzigkeit zurückzunehmen. Aber Chester schüttelt den Kopf. Als wäre das gar nicht nötig. „Ich war auf drei verschiedenen High Schools”, erfahre ich gleich darauf von dem Sänger aus Phoenix, „Ich war ein echter Streber, Mike. Ich war sehr klein. Total dürr. Mit dicker Brille.” Ich muss schlucken. Weil mir einfällt, dass Chester es auch in seiner Schulzeit nicht leicht hatte. Wegen seinem Aussehen ist er oft gehänselt und verprügelt worden. Meine Kehle schnürt sich zu. Mist! Ich hätte dieses Thema nicht anschneiden sollen. „Warum warst du auf so vielen Schulen?” erkundige ich mich vorsichtig. Frage mich, ob Chester vielleicht von seiner High School geflogen ist. Weil er illegale Drogen genommen hat. Oder so was. Aber er nennt mir einen anderen Grund. „Das hängt mit der Scheidung meiner Eltern zusammen”, erklärt er gelangweilt. Als er merkt, dass seine Antwort mich noch nicht restlos befriedigt, holt er weiter aus. „Angefangen habe ich auf der Centennial High School. Dann haben meine Eltern sich getrennt. Ich bin mit meinem Dad und meiner Schwester umgezogen. Ziemlich weit raus. In die Vorstadt von Phoenix. Da kam ich in die Greenway High School. Als ich siebzehn war, bin ich in die Innenstadt zu meiner Mom gezogen. Da musste ich dann auch die Schule wechseln. Meinen Abschluss habe ich auf der Washington High School gemacht”, berichtet Chester mir freigiebig. Ohne erkennbare Gefühlsregung. Er zählt diese Namen und Gründe nur auf. Aber ich ahne, dass da noch viel mehr dahintersteckt. Viele Stunden, in denen er richtig unglücklich war. Bestimmt hat er alle Schulen gehasst. Der Teenager war einsam. Niemand hat sich um ihn gekümmert. Mann, ich muss damit aufhören. Sonst fange ich gleich an zu heulen.

Aufgewühlt wende ich mich meinem Frühstück zu. Taxiere es eine Weile. Ratlos. „Ist schon gut, Mikey”, flüstert Chester tröstend. Unerwartet legt er mir seine Hand auf die Schulter. Sodass ich zusammenzucke. Chaz streichelt sachte mein Schultergelenk. Sofort fokussiert sich meine Wahrnehmung auf seine zärtliche Berührung. „Das war nicht so schlimm”, versichert der Arizona-Boy mir sanft. Aber ich glaube ihm nicht. Ich denke, dass diese Zeit doch ziemlich schlimm für ihn war. Der Typ will mich wahrhaftig beruhigen. Ich kann nicht verarbeiten, dass der Sänger mich tröstet. Mich. Tröstet. Wo es doch zweifellos er ist, der dringend Zuspruch benötigt. Seine selbstlose Liebenswürdigkeit macht mich völlig fertig.

„Wo sind deine schönen Dreadlocks, Chester? Warum hast du gerade Spin gesungen?” platzt es ungewollt aus mir heraus. Impulsiv. Bevor ich die brennenden Fragen aufhalten kann. Unglücklich sehe ich den Besonderen an. Verwirrt reißt er die Augen auf. Nimmt seine Hand verunsichert von meiner Schulter weg. Was ich ehrlich bedauere. „Gefällt es dir nicht?” fragt er scheu. Neigt den runden Kopf ein wenig. Streicht sich schüchtern mit einer Hand über den kurzgeschorenen Schädel. „Es ist... ungewohnt”, formuliere ich es vorsichtig. Chester schneidet eine verlegene Grimasse. „Da hast du recht, Mikey”, stimmt er unsicher zu. „Warum hast du das gemacht, Chaz? Warum hast du dein tolles Haar abgeschnitten?” dränge ich verzweifelt. Der Brünette zuckt verstört zusammen. Meine offene Verzweiflung erschreckt ihn. So schnell fällt ihm keine Antwort ein. Oder er will mir den Grund nicht verraten. „Ich wollte es einfach”, antwortet er schließlich. Ausweichend. Mit unverkennbar aufkommendem Widerwillen. „Ist das wegen mir?” frage ich leise, „Bist du sauer auf mich, Chester? Weil ich... so grob an deinen Dreadlocks gezerrt habe?” Obwohl ich mich deswegen schäme und mit Sicherheit knallrot werde, muss ich das jetzt dringend wissen. Irgendwie fühle ich mich deshalb schuldig. Habe das ungute Gefühl, eventuell die Ursache seiner Probleme zu sein.

Chester stöhnt getroffen auf. Seine Augen schließen sich. Abwehrend. Verwirrt betrachte ich ihn. Mit seiner seltsamen Reaktion kann ich nichts anfangen. Eine Weile ist es ganz still. Das Gequatsche um uns herum verwischt sich. Meine Umgebung scheint sich aufzulösen. Weil mein ganzes Interesse sich auf meinen Tischnachbarn fokussiert. Es ist schwer, sein Schweigen auszuhalten. Aber ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll. Bennington sitzt völlig reglos auf seinem Stuhl. Die Augen hinter der Brille sind fest geschlossen. In der linken Hand hält er noch immer seine Gabel fest. Die rechte liegt unbewegt auf seinem Oberschenkel. Hilflos studiere ich sein feines Gesicht. Will es sofort mitkriegen, wenn sich da irgendwas tut. Aber da passiert nichts. Er ist so unfassbar schön, stelle ich fasziniert und wirr fest. Ich liebe ihn so sehr. Chester schluckt schwer. Hingerissen betrachte ich seinen kräftigen Hals. Die zarte, helle Haut. Die Sehnen an seinem Kehlkopf. Die Bewegung seines Adamsapfels. Beim Schlucken. Ich wünschte, ich könnte in ihn hineingucken. Und seine einmaligen Stimmbänder sehen. Es würde mich nicht wundern, wenn seine Stimmbänder aus purem, glänzendem Gold wären.

Seine tollen Augen öffnen sich. Zögernd. Er sieht mich an, als würde er mich am liebsten augenblicklich in den Arm nehmen. In diesem Moment hätte ich absolut nichts dagegen. „Ehrlich, Mike Shinoda”, seufzt Chester erschlagen und schluckt nochmal, „Das hat nicht das Geringste mit dir zu tun.” Seine Antwort beruhigt mich in Wahrheit kaum. Aber ich zwinge mich dazu, ihm zu glauben. Offenbar will Chester nicht länger mit mir über seine Dreadlocks sprechen. Was mein Misstrauen noch weiter verstärkt. Aber ich will ihn nicht unnötig provozieren. Also lass ich es schweren Herzens gut sein. „Und Spin?” dränge ich stattdessen, „Warum hast du denn ausgerechnet diesen feindseligen Song gesungen?” Sein hübsches Gesicht verzieht sich gequält. „Glaubst du etwa, dass das auch nur wegen dir war?” horcht er mit einer Fassungslosigkeit nach, die mich als restlos bescheuert abstempelt. Das macht mich fuchsteufelswild. Ich will nicht, dass er so Abfällig über mich denkt. Meine Sorge einfach als null und nichtig abtut. Diese arrogante Überheblichkeit ertrage ich nicht.

„Mann, du guckst mir in die Augen und singst dabei, dass ich gefälligst aus deinem Leben verschwinden soll, Bennington! Was soll ich denn dann bitteschön denken?” blaffe ich gereizt. Chesters wundervoller Mund verzieht sich zu einem hämischen Grinsen. „Du hast das wahrhaftig auf dich bezogen, Shinoda?” will er nochmal wissen. Nun schwankt er hörbar zwischen Spott, Bestürzung und Entgeisterung. Dass er mich deswegen verspottet, ärgert mich enorm. Fast wünschte ich, ich hätte mir die Frage nach seinem scheiß Song einfach verkniffen. Mega angepisst atme ich tief ein. „Du hast mir dabei geradewegs in die Augen geblickt! Du hast mich persönlich angesprochen!” wiederhole ich aufgebracht. „Ich habe nicht dich gemeint, Mike Shinoda”, wendet der Sänger ein. Allerdings habe ich das Gefühl, dass er mich damit jetzt nur beruhigen will.

Plötzlich bin ich derart aufgeregt, dass ich seinen scheuen Einwurf überhöre. Mein Frust und meine zu lange angesammelte Nervosität platzen jäh ungesteuert aus mir heraus. „Ich weiß genau, was mit dir los ist, Chester Bennington! Diesen extrem wütenden Song hast du nur gesungen, weil es dir heute nicht gut geht! Dir geht’s beschissen, Chazy Chaz! Das ist es, was du allen mitteilen musstest! Die anderen merken das vielleicht nicht, aber mir kannst du nichts vormachen! Du bist total angepisst! Ich spüre das doch!” knalle ich Chester mit einer Aggressivität an den Kopf, die völlig fehl am Platze ist. Ich weiß gar nicht, warum ich den neuen Patienten auf einmal so feindselig anfauche. Ausgerechnet jetzt und hier beim Frühstück mit meinem zauberhaften Engel zu streiten, hatte ich niemals vor. Mein Nervenkostüm ist schon seit etlichen Stunden zu stark strapaziert worden. Deshalb habe ich mich plötzlich nicht länger unter Kontrolle. Das muss der Grund dafür sein. Trotzdem ist es keine Entschuldigung. Mike Shinoda explodiert mit einer Wucht, die ihn selbst überrascht. Kann mich einfach nicht länger zurückhalten. Es schockiert mich, wie unbeherrscht ich bin. Das passt nicht zu mir. Aber Mister Bennington lockt die Spontanität und Ehrlichkeit irgendwie aus mir heraus. Keine Ahnung, wie der fremde Kerl das macht. Chester verwandelt mich. Mit ihm bin ich völlig anders. In seiner Nähe bin ich ein anderer. Das geschieht viel schneller, als ich innerlich gegensteuern kann.

Auch jetzt handele ich zu impulsiv. Mir ist bewusst, dass ich den Brünetten sehr viel vorwurfsvoller anschaue, als es in dieser Situation angebracht ist. Trotzdem bin ich machtlos. Mein Verlangen nach konkreten Antworten ist einfach zu stark geworden. Gefühlte Ewigkeiten sitzen wir bewegungslos nebeneinander. Auf unseren unbequemen Holzstühlen. Zu zweit an dem Tisch mit vier Plätzen. Vor unseren übervollen Tabletts. Während unser amerikanisches Frühstück langsam kalt wird. Fragend schauen wir uns tief in die Augen. Keiner von uns will den Blick abwenden. Denn damit würde er seine Schwäche offenbaren. Meine Augen sezieren ihn. Chester mit den extrem kurzen Haaren sieht erstaunt aus. Der Arme wirkt richtig baff. Seine dunklen Augen hinter der schwarzen Brille sind konzentriert auf mich gerichtet. Der Kerl checkt mich ab. Taxiert mich. Zweifelsfrei will der Typ herausfinden, was mit mir los ist. Warum ich so und nicht anders agiere.

Ich dagegen warte innerlich flehend auf befriedigende Erklärungen von ihm. Mein Herz verlangt logische Antworten auf meine Fragen. Irgendwas, das meine tosenden Gedanken und Gefühle besänftigen kann. Ich habe den Eindruck, dass wir plötzlich ganz alleine in diesem vollbesetzten Speisesaal sitzen. Nichts anderes erreicht mich noch. Die Stimmen und Geräusche um mich herum verstummen. Auf einmal gibt es nur noch Chester Bennington. Sein faszinierendes Gesicht. Die unglaubliche Schönheit seiner weichen Züge. Warum bist du so wütend, wiederholt sich immer wieder diese eine Frage in mir. Warum willst du am liebsten die ganze Welt verschwinden lassen? Warum sollen wir dich alle in Ruhe lassen? Genau das hast du doch eben gesungen. Bitte erkläre es mir jetzt einfach, Chazy Chaz. Bitte sei ehrlich zu mir. Ich möchte dich so gerne verstehen. Meine Gedanken können nicht zu ihm vordringen. Vielleicht sollte ich ihm das lieber sagen, überlege ich verunsichert. Eventuell muss ich näher ausführen, warum ich so angefressen bin. Das würde diese unübersichtliche Atmosphäre zwischen uns sicherlich bereinigen. Aber mein Mund bleibt stumm. Die Wörter wollen nicht über meine Lippen. Ich habe mich nicht gut im Griff. Fürchte, dass ich den Engel dann nur wieder böse anschnauze. Wenn ich jetzt noch irgendwas sage. Dann werde ich ihn womöglich übel beschimpfen. Aber ich will mich nicht mit dem Besonderen streiten. Unter keinen Umständen.

Hilflos warte ich darauf, dass der verschlossene Patient aus Phoenix, Arizona auf meine impulsive Provokation reagiert. Alles in mir sehnt sich wie irre danach, hinter seine perfekt aufgebaute Fassade blicken zu dürfen. Aber er erlaubt es mir nicht. Nach etlichen Minuten verändert Chester seine Sitzposition. Damit löst er abrupt den seltsam angespannten Bann zwischen uns. Der junge Mann setzt sich aufrecht hin. Behutsam legt er seine Gabel auf sein Tablett. Akkurat ausgerichtet, platziert er das Plastikbesteck neben seinen Teller. Mit erregt pochendem Herzen beobachte ich ihn. Mir fällt auf, wie nervös er seine Finger aneinander reibt. Direkt vor seinem schlanken Bauch. Bennington scheint von meinen unüberlegten Sätzen sehr viel schwerer getroffen worden zu sein, als ich jemals beabsichtigt habe. Das tut mir leid. Liebend gerne würde ich ihm jetzt zärtlich meine Hand auf den Bauch legen.

„Wow, Mikey...”, stößt er schließlich verwirrt aus, „...das ist echt komisch.” In seiner ruhigen Stimme ist keinerlei Vorwurf. Mister Bennington wundert sich nur. Der Typ ist lediglich erstaunt. Es ist keine Feindseligkeit in ihm. Trotzdem macht er mich damit sofort rasend. „Was findest du daran komisch, hä?” knurre ich verdrießlich. Ein zögerliches Lächeln verfeinert Chesters verdutzte Gesichtszüge. Aufmerksam sieht er mich an. Es fällt mir schwer seinem Blick standzuhalten, ohne von seinem magischen Lächeln berauscht zu werden. „Weißt du, Mikey...”, erklärt der Brillenträger geduldig, „Ich bin jetzt gerade mal ...was? Fünf, sechs Tage hier? Trotzdem denkst du schon, dass du alles über mich weißt. Scheinbar hast du das Gefühl, mich jederzeit fehlerlos einschätzen zu können. Das glaubst du tatsächlich, nicht wahr, Mike Shinoda?”

Du irrst dich, Chester, denke ich triumphierend. Wir kennen uns erst seit vier Tagen. Vor genau vier Nächten sind wir uns zum ersten Mal begegnet. Es rührt mich, dass der Tätowierte diese Zeitspanne nicht exakt benennen kann. Vielleicht findet er seine ungewohnte Umgebung ebenso verwirrend wie ich. Man fühlt sich so weit weg von Allem. Womöglich fällt es auch dem neuen Patienten schwer, in dieser abgeschlossenen Welt der Psychiatrie den Überblick zu behalten. Das gibt mir das tröstliche Gefühl, nicht ganz so allein mit meiner peinlichen Ahnungslosigkeit zu sein. Am liebsten möchte ich meinen wunderschönen Engel jetzt küssen. Ich sehne mich danach ihn anzufassen. Aber wir müssen gerade einen enorm wichtigen Punkt klären. Darum kommen Zärtlichkeiten jetzt nicht in Frage. Abgesehen davon, dass wir uns noch immer im Speisesaal aufhalten. Wo zur Zeit die ganze verdammte Station versammelt ist.

Ratlos sehe ich Chester an. Der fremdartig Kurzgeschorene erwidert meinen Blick. Gelassen. Mit einem gutmütigen Lächeln. Im fantastischen Gesicht. Geduldig wartet er ab, wie meine Meinung dazu ist. Blöderweise fällt mir jedoch plötzlich gar nichts mehr ein. In meinem Kopf herrscht schlagartig eine seltsame Leere. Das Schlimmste daran ist, dass Chester unbestritten recht hat. Ich bilde mir tatsächlich ein, ihn nach den paar Tagen schon gut genug zu kennen, um ihm seine Stimmungen anzusehen. Meine Antennen sind auf ihn ausgerichtet. Auf den ersten Blick habe ich dem Sensiblen vorhin angemerkt, wie schlecht es ihm an diesem Morgen in Wahrheit geht. Obwohl der Kerl so tut als wäre nichts. Mein Eindruck hat sich bislang auch nicht geändert. Dem unbekannten Sänger aus Phoenix, Arizona, liegen extrem schmerzhafte Tonnen auf der Seele. Selten bin ich mir bei einer bloßen Vermutung noch sicherer gewesen. Aber ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich das jetzt erläutern soll. Wo es doch lediglich ein Gefühl ist. Das ich weder beweisen, noch erklären kann. Meine absolute Gewissheit hat keine belegbare Grundlage.

Als ich auch nach Minuten des bleiernen Schweigens nicht antworten kann, wird Chesters betörendes Lächeln noch liebenswerter. Zurückhaltend, nahezu schüchtern hebt er seinen Arm. Sofort ahne ich seine Absicht. Unwillkürlich erstarre ich. Sehne mich prompt wie bekloppt danach, von ihm angefasst zu werden. Kann mich auf meinem Stuhl nicht mehr bewegen. Innerhalb von Sekunden erliege ich seinem unwiderstehlichen Charme. Während Chaz mich verunsichert genau im Auge behält, streichelt er mit seinem ausgestreckten Finger vorsichtig über meine rechte Augenbraue. Sein Finger bewegt sich extrem langsam. Als würde er jedes einzelne Haar meiner Braue ertasten. Seine Berührung ist so zart, dass ich sie eigentlich kaum wahrnehme. Dennoch ist sie dermaßen intensiv, dass mir sofort wohlige Schauer durch den Körper wirbeln. Vom Kopf geradewegs in meinen Unterleib hinein. Verblüfft seufze ich auf. „Das ist seltsam, Mikey. Manchmal geht’s mir mit dir ganz genauso”, flüstert Chester verschwörerisch. Beugt seinen attraktiven Körper näher zu mir. Während sein Finger achtsam meine linke Augenbraue streichelt. „Das ist magisch, weißt du?! Ich habe dann auch das Gefühl, dass du schon lange ein Vertrauter für mich bist. Wir sind Seelenverwandte, Mister Mike Shi-no-da.” Meine Ohren jubeln. Meine Seele frohlockt. Der Engel singt meinen Namen. Mit seiner unerreichten Stimme. Die ich niemals oft genug hören kann. Der Arizona-Boy singt. Meinen. Namen. Nur für mich allein. Augenblicklich schmelze ich vollständig dahin. Mein Gehirn ist restlos verwirrt. Konfus. Ich bringe alles durcheinander. Nur aus weiter Ferne höre ich mich sprechen. „Chester... hör mal... möchtest du heute Nachmittag meine Eltern kennenlernen?”


Chester Charles Bennington

Ich kann nicht glauben, dass ich mich darauf eingelassen habe. Keine Ahnung, wie es so weit kommen konnte. Mike muss mich irgendwie überlistet haben. Als er mir beim Frühstück plötzlich an den Kopf warf, wie beschissen es mir gehen würde, da musste ich mir blitzschnell was einfallen lassen. Um ihn davon abzubringen. Da war ich für einen sehr langen Moment total abgelenkt. Der Besondere hat wahrhaftig gemerkt, dass es mir heute nicht besonders gut geht. Das kapiere ich nicht. Weil ich schon den ganzen Tag meine perfekt einstudierte Maske trage. Offenbar kann ich dem cleveren Halbjapaner tatsächlich nichts vormachen. Diese bedingungslose, gewaltige Energie, die er darauf verschwendet mich zu ergründen, finde ich unbegreiflich. Die zielsichere Intuition, seine ureigene Empathie, mit der er meine Stimmungen aufspürt, ist mir total unheimlich. Mike Shinoda ist ein rätselhaftes Phänomen. Definitiv.

Und jetzt komme ich da nicht mehr raus. Stehe mit dem Kerl hier draußen in der Sonne. Wir befinden uns in Sichtweite des großen Eingangstores. Direkt vor unseren Füßen wurde eine weiße Markierung verlegt. In Form von schmalen, weißen Steinplatten. Die einen weiten Halbkreis um den Bereich des Eingangs bilden. Näher dürfen Patienten nicht an den einzig möglichen Mauerdurchlass heran. Warte genau wie Mike darauf, dass seine Eltern ihn besuchen kommen. Angeblich müssten sie jeden Moment durch dieses hermetisch bewachte Tor treten.

Mike steht neben mir. Auf dem ziemlich breiten Hauptweg. Aus gepflegten, grauen Steinplatten. Der die begehbare Verbindung vom Außentor zur Eingangstür des großen Gebäudes der Psychiatrie darstellt. Der Schwarzhaarige tritt ruhelos auf der Stelle herum. Sieht sich suchend nach allen Seiten um. Überprüft mit seinen Händen immer wieder den Sitz seiner makellos stacheligen Frisur. Zupft sinnlos an seiner legeren Kleidung herum. Unübersehbar ist der Typ ziemlich nervös. Dieser überraschende Besuch wurde ihm erst gestern telefonisch von seiner Mutter angekündigt. Seither ist Mikeys Aufregung kontinuierlich angestiegen. Inzwischen kann er nicht mehr ruhig stehenbleiben. „Wie sehe ich aus, Chaz? Ist alles in Ordnung mit mir?” will er dringend wissen. Fragend präsentiert er mir sein hübsches Gesicht. Dreht seinen supertollen Körper vor meinem prüfenden Blick. Der Kerl sieht fantastisch aus. Die enge Jeans und das hypermoderne T-Shirt schmücken ihn. Seine Sneakers passen farblich genau zum Look. Seine bemerkenswerte Attraktivität lockt mich. Gigantisch. Zu gerne möchte ich mit dem Süßen in einem blickdichten Gebüsch verschwinden. Für sehr lange Zeit. Unsichtbar bleiben. Mich an ihm erfreuen. Ich brauche dringend eine Möglichkeit zum Stressabbau.

„Du bist wunderschön, Mikey”, versichere ich ihm. Was zweifellos der Wahrheit entspricht. Seine braunen Knopfaugen leuchten auf. Er mag es, wenn ich ihm Komplimente mache. Der Süße grinst verlegen. Stupst mich neckend gegen die Schulter. „Ich bin so froh, dass du da bist. Danke, dass du bei mir bist, Chazy Chaz”, lächelt er liebenswürdig. „Das mach ich doch gerne für dich”, versichere ich ihm. Irgendwie stimmt das auch. Trotzdem wäre ich im Moment lieber nicht hier. Eltern sind mir suspekt. Meistens haben sie etwas anderes zu tun, als sich um ihren Nachwuchs zu kümmern. Trotzdem glauben sie immer alles besser zu wissen. Ich kapiere gar nicht, warum die Shinodas hier auftauchen. Mir ist nicht klar, was sie mit ihrem sonderbaren Besuch bezwecken wollen. Ich meine, Himmel, das hier ist die geschlossene Psychiatrie! Wer um alles in der Welt würde freiwillig da rein wollen? Und sei es auch nur für einen zeitlich begrenzten Besuch. „Du wirst meine Eltern bestimmt mögen, Chester”, stellt mir der nervös wartende Sohn in Aussicht. Ich nicke. Lächele beruhigend. „Ja. Wird schon schiefgehen”, sage ich einfach irgendwas. Von dem ich annehme, dass es ihm vielleicht hilft. Sich zu entspannen.

Mein Gesicht wendet sich der kalifornischen Sonne zu. Ich gewinne den Eindruck, dass die Temperaturen in diesem Bundesstaat auch im Sommer sehr angenehm bleiben. In Arizona ist es um diese Jahreszeit meistens so heiß, dass man es höchstens ein paar Minuten in der prallen Wüstensonne aushält. In Kalifornien dagegen kann man offenbar den ganzen Tag im Sonnenlicht verbringen. Behaglich schließe ich die Augen. Genieße eine Weile die prickelnde Wärme auf meiner Haut. Ein Vorteil der ganzen Geschichte hier ist auf jeden Fall, dass ich trotz meines von Ulli ausgesprochenen Parkverbots mit Mike hinausgehen durfte, um seinen Besuch in Empfang zu nehmen. Es reizt mich enorm, die unverhoffte Gelegenheit zu nutzen und unauffällig im Park zu verschwinden. Aber ich fürchte, das kann ich dem Besonderen jetzt nicht antun. Der Typ rechnet mit meiner Unterstützung. Ich nehme ihm ab, dass er meine Gegenwart schätzt. Auch wenn ich nicht verstehe, welche Rolle ich beim Besuch seiner Familie spielen soll. Will Mike mich als seinen Freund vorstellen? Seinen Lebensgefährten? Seinen zukünftigen Ehemann?

Bei diesem Gedanken muss ich plötzlich lauthals lachen. Explodierende Nervosität. Spüre volle, weiche Lippen auf meiner Wange. Überrascht reiße ich die Augen auf. Mikes neugieriges Gesicht ist ganz nah vor meinem. „Was ist so lustig?” verlangt er hibbelig zu wissen, „Worüber lachst du denn, Chester?” „Ach, gar nichts”, behaupte ich atemlos. Schnappe mir den halben Japaner. Indem ich hastig meine Arme um ihn schlinge. Ziehe ihn energisch zu mir. Küsse ihn heftig auf den fantastisch geschwungenen Mund. Doch der Kerl wehrt sich. Protestierend dreht er den Kopf zur Seite. „Nein, Chaz, nicht jetzt! Meine Eltern kommen jeden Augenblick!” fürchtet er. Selbstverständlich. Seufzend lasse ich ihn los. Ziehe meine Hände nur ungern von ihm weg. Mache einen Schritt zurück. „Du hast doch mit dem Küssen angefangen”, bemerke ich ein bisschen vorwurfsvoll. Mandelauge zieht schuldbewusst die Schultern hoch. „Ja, ich konnte nicht widerstehen”, gibt er schüchtern zu, „Du bist so wahnsinnig verlockend. Wenn du lachst, geht die Sonne auf.” „Mach das nochmal, bitte”, verlange ich flüsternd. Kann meinen Blick nicht von ihm nehmen. Von seinem zärtlich vernarrten Lächeln wird mir ganz warm. Blitzschnell küsst der talentierte Rapper mich zum zweiten Mal. „Ich liebe dich, Chester Bennington”, sagt er leise. „Ich liebe dich, Mike Shinoda”, erwidere ich. Automatisch. Obwohl das mittlerweile ganz schön abgedroschen klingt. Ich weiß auch nicht wirklich, was es bedeutet.

Küsse ihn schnell auf die bärtige, weiche Wange. Bevor er ausweichen kann. „Lass uns zu unserer Bank gehen”, schlage ich überstürzt vor. Plötzlich bin ich übervoll mit roh drängendem Verlangen. Mike bläst Luft aus. Schüttelt energisch den schwarzen Stachelkopf. „Nein, Chester, das geht jetzt nicht. Spinnst du? Meine Eltern kommen gleich!” betont er verständnislos. „Ich weiß, dass deine Eltern kommen! Aber ich dachte...” Verwirrt breche ich ab. Keinen Schimmer, was ich gedacht habe. Möchte einfach nur hier verschwinden. Will mit dem Kerl allein sein. Meinen niederen Instinkten folgen. Gefühlen freien Lauf lassen. Blöde Gedanken killen. Keine Ahnung. Die schwarze Dunkelheit hängt mir schon seit gestern im Nacken. Kriege meine misslungenen Telefonate nicht mehr aus dem dummen Kopf. Ich wünschte, ich hätte nie nach einem Telefon verlangt. Seit Sean mir gesagt hat, dass Grey Daze mich nicht länger braucht, bin ich nahezu erledigt. Das ist meine fucking Band, verdammt! Meine einzige Familie!

Habe direkt danach in einem Anfall von akuter Frustration meine langen Haare abgeschnitten. Während Ulli in dem kleinen Waschraum entgeistert daneben stand. Konnte ihm nicht erklären, warum ich meine Dreadlocks plötzlich unbedingt loswerden wollte. Habe einfach aggressiv die Schere angesetzt. Das unbezwingbare Verlangen mir wehzutun. Das mich schon seit meiner Kindheit überfällt. Der tröstlich vertraute Schmerz der Selbstbestrafung. Mein Verstand war daran nicht beteiligt. Letztendlich habe ich wie ein gerupftes Huhn ausgesehen. Ulli hat dann mit einem Haarschneidegerät die Katastrophe halbwegs erträglich gemacht. Jetzt ist mein Haar nur noch vier Millimeter lang. Seit heute Morgen bereue ich das. Ich vermisse mein Versteck. Hinter den mühsam und zeitaufwendig gefilzten Dreads. Die langen Haare wild auf der Bühne herumzuwirbeln hat mir gefallen. Alles ist außer Kontrolle geraten. Ich bin nicht sicher, wie lange ich den Kampf noch gewinnen kann.

„Sag so was bloß nicht in Gegenwart meiner Eltern”, warnt der Schüchterne mich alarmiert, „Sie müssen nicht wissen, dass wir... Sex haben.” Seine großen, abstehenden Ohren werden schnuckelig rot. Misstrauisch und verlegen zugleich studiert er mich. Mikey fürchtet, dass ich ihn vor seinen Eltern blamiere. Wie seine Erzeuger den Zusammenhang von einer Bank zum Sex herstellen sollen, kapiere ich allerdings nicht. Schließlich habe ich kein Wort von Sex gesagt. Das ist doch nur mein nervöser Mitpatient, der aus, zugegeben, naheliegenden Gründen sofort diese Schlüsse zieht. Frustriert weiche ich Shinodas flehend hypnotisierendem Blick aus. Fixiere stattdessen einen zufälligen Baum in der Nähe. Versuche zu erraten, welchen Namen der Baum hat. Analysiere angestrengt die Form der grünen Blätter. Ich glaube, es ist eine Silber-Weide. Einige Zeit herrscht eine ziemlich bedrückende Stille.

„Ist alles in Ordnung, Chester?” fragt Mike. Plötzlich beunruhigt. „Geht es dir gut, Chazy?” will er mega vorsichtig wissen. Mein Kopf fliegt impulsiv zu ihm herum. Seine Frage und der Tonfall seiner Stimme provozieren mich viel stärker, als erklärbar wäre. „Ich dachte, du hättest schon beim Frühstück festgestellt, dass es mir heute nicht gut geht”, bemerke ich spöttisch. Verdrehe neckisch die Augen. Ziehe eine alberne Grimasse. „Du warst dir sogar sicher, dass es mir beschissen geht, nicht wahr, Mikey?” Instinktiv schmettere ich seine gefährlichen Befürchtungen als lächerlich ab. Ich kann nicht anders. Das ist ein reiner Schutzmechanismus. Weil der fremde Kerl zu tief in meine Seele vorzudringen droht. Weil ich keine Lust habe, jetzt mit ihm über meine Probleme zu diskutieren. Das muss ich mit mir allein ausmachen. So, wie ich es schon mein ganzes Leben lang tue. Schließlich ist es doch immer so gewesen. Das niemand da war. Ich brauche auch niemanden. Will nicht nochmal enttäuscht und verlassen werden. Es fällt mir wahnsinnig schwer zu akzeptieren, dass der Mensch, der gerade direkt vor mir steht, der einzige ist, den ich möglicherweise sehr wohl in meinem Leben brauche.

Halbjapaner betrachtet mich mit einer Betrübnis, die mir das Herz zerreißt. Auf keinen Fall will ich ihn traurig machen. Aber es ist erstaunlich schwer, den jungen Mann davon zu überzeugen, dass er sich keine Sorgen um mich zu machen braucht. Dass ich vorhin in der vergnüglichen Gestaltungstherapie ausschließlich grimmige Totenköpfe aus Ton geformt habe, während er lustige Emojis herstellte, hat seine Bedenken auch nicht gerade zerstreut. Es frustriert mich, wie leicht Shinoda mich durchschauen kann. „Chester...”, sagt er hilflos. Zaghaft hebt er den Arm. Streichelt sanft mein Gesicht. Wenn er jetzt sagt, dass es ihm leidtut, dann muss ich ihm eine reinhauen. Aber Mike schweigt. Betrachtet mich nur mit einer leidvollen Ratlosigkeit, die ich ihm nicht antun will. „Mir geht’s gut, Shinoda!” behaupte ich eine Spur zu ungeduldig. Bemühe mich, den aggressiven Klang meiner Stimme mit einem Lächeln zu neutralisieren. „Alles gut, Mike!” versichere ich ihm flehend nochmal. Der Patient nickt. Wirkt aber keinesfalls überzeugt.

Ich fühle mich schuldig. Weil ich ihn wiederholt anlüge. Möchte gerne das Thema wechseln. Einen albernen Witz machen. Den Besonderen irgendwie aufmuntern. Aber mir fällt nichts ein, was ich noch sagen könnte. Der Halbjapaner schaut wieder zum großen Tor hin. Seine schönen Augen fixieren es konzentriert. Als würde er den Eingang beschwören. Sich endlich zu öffnen. Sein Körper bewegt sich ruhelos auf den Steinplatten. Nervös schlenkert er mit den Armen herum. Ich bin heilfroh, dass der Besuch seiner Familie ihn von meiner Person ablenkt. „Wie lange hast du deine Eltern nicht gesehen?” frage ich erleichtert. Verdutzt sieht er mich an. Es ist amüsant, wie angestrengt der Kerl nach einer Antwort suchen muss. Offenbar kann Mikey sich tatsächlich nicht erinnern, wann er Mom und Dad das letzte Mal gesehen hat. Das wundert mich nicht. Wo er doch offenbar ziemlich lange in seinem seltsamen Vakuum gefangen war. Erst mein Gesang hat ihn da irgendwie raus katapultiert. Kann mir nicht vorstellen, wie das möglich sein soll. Aber solange Mike Shinoda davon überzeugt ist, werde ich es nicht anzweifeln.

„Du, ich weiß gar nicht genau...”, antwortet er nach etlichen Minuten verunsichert, „Das muss schon ziemlich lange her sein.” „Freust du dich auf sie?” interessiert mich tatsächlich. Der verwirrte Sohn nickt vage. Zurückhaltend. „Ja... Aber ich bin auch unglaublich nervös.” Das ist nun wirklich keine Neuigkeit. Seine Nervosität ist schon den ganzen Tag lang unübersehbar. „Ey, das wird schon...”, versichere ich ihm belustigt, „Du schaffst das, Mikey.” Nähere mich ihm. Ferngelenkt. Allmählich. Obwohl der Typ bestimmt ahnt, was ich vorhabe, weicht er nicht zurück. Das überrascht mich. Meine Hand legt sich behutsam auf seine Schulter. Die Finger massieren sanft seine extrem verspannten Muskeln. Beuge mich langsam zu ihm. Ohne den beschwörenden Blickkontakt abzubrechen. Mikes braune Mandelaugen weiten sich erwartungsvoll. Er keucht. Kaum hörbar. Dieses unverhoffte Geräusch ist unfassbar erregend. Ich spüre sein ungesteuertes Keuchen wahrhaftig in meinem Unterleib. Es spornt mich dazu an, jetzt bloß nicht aufzuhören. Mich auf keinen Fall abweisen zu lassen.

Aber ich muss vorsichtig sein. Darf mich nicht hinreißen lassen. Meine Lippen legen sich auf seine. Mit Bedacht. Ich liebe das Gefühl seiner vollen, samtigen Lippen. Zwischen meinen Beinen fängt es prompt an zu kribbeln. Das fühlt sich geil an. Ich küsse den Patienten mit einer kontrollierten Intensität, die mir selbst die Nackenhaare aufstellt. Achte dabei darauf, dass meine Brille nicht im Weg ist. Oder womöglich verrutscht. Bereitwillig öffnet der Halbjapaner seine fantastisch roten Lippen für mich. Nur zaghaft strecke ich meine Zunge aus. Taste mich schüchtern an ihn heran. Nicht um alles in der Welt will ich ihn erschrecken. Wenn Mike mich jetzt wegschubst. Das könnte ich nicht ertragen. Beherrscht führe ich meine gierige Zunge zwischen seine leicht geöffneten Zähne in ihn ein. Heute schmeckt Mikey ein bisschen nach gebratenem Speck. Vermischt mit einem Hauch Pancakes-Aroma. Vom Frühstück. Ich genieße das. Es ist heiß und feucht in seiner Mundhöhle. Fühle mich irre wohl da drin. Die Berührung unserer Lippen hat etwas sonderbar Tröstliches für mich.

Dankenswerterweise kommt der Kerl mir sofort entgegen. Das verblüfft mich. Fleisch trifft zärtlich auf warmes Fleisch. Höchst empfängliche Nervenenden werden sanft stimuliert. Die Muskeln bewegen sich automatisch. Intuitive Dynamik entsteht. Unsere Zungen fangen einen inzwischen vertrauten, erotischen Tanz an. Es erregt mich gigantisch, den Besonderen auf diese Weise zu küssen. Das könnte ich stundenlang machen. Heute verjagt es eindeutig die lauernde Finsternis in mir. Ich kann spüren, dass in weiter Ferne ein schwaches Licht angeht. Am Ende des Tunnels. Eine scheue Hoffnung keimt in mir auf. Dass eventuell alles besser wird. Womöglich sogar gut ausgehen kann. Es überwältigt mich, dass Mike mich nicht wegjagt. Sich mir nicht mal andeutungsweise entzieht. Damit, dass der Halbjapaner meinen zaghaften Kuss sogar mit zärtlicher Leidenschaft erwidert, habe ich nicht gerechnet. Unwillkürlich fallen meine angespannt geöffneten Augen zu. Meine Hände schließen sich besitzergreifend um seinen Nacken. Streicheln unendlich dankbar die warme, samtene Haut. Ich kann fühlen, wie unsicher er seine Arme um mich legt. Ein wenig hilflos, berühren seine Finger meinen Rücken. Sein schüchternes Streicheln bestätigt mich in meinem Tun. Kann mein Glück nicht fassen. Automatisch wird mein Kuss unkontrollierter. Weil ich mich kaum noch bremsen kann. Der Weg hierher war schon schwierig genug.

Einige Zeit küssen wir uns mit einer gegenseitigen Hinwendung, die mich vollkommen einzunehmen droht. Keine Ahnung, wo wir uns gerade befinden. Oder ob irgendwer zuschaut. Das ist doch auch völlig egal. Mein Körper drängt sich von allein gegen den liebevollen Menschen vor mir. Der zu meiner seligen Überraschung nicht zurückweicht. Im Gegenteil. Der Stachelige kommt mir entgegen. Er küsst mich mit seiner für ihn typischen, achtsamen Hingabe, die mich so erstaunlich wertvoll macht. Dieser Kerl macht mich sonderbar glücklich. Ich fühle mich ungewohnt leicht. Möchte nie mehr damit aufhören. Für den Rest meines Lebens will ich von Mike Shinoda geküsst und gestreichelt werden.

Aber weil eine magische Minute lang alles perfekt scheint, ist es selbstverständlich im nächsten Moment vorbei. Es gibt eben keine perfekte Welt. In Wahrheit ist alles komplizierter. Der Knopfäugige löst sich von meinen drängenden Lippen. Sofort klappen meine Augen auf. Alarmiert. „Mike... nein... bitte”, protestiere ich atemlos. Will ihn verzweifelt weiter küssen. Aber irgendwas in seinem Blick lässt mich innehalten. Mike weicht nur wenig zurück. Zu meiner Verwirrung kommt er gleich wieder näher. Achtsam beugt er sich vor. Bis seine Stirn sanft an meiner lehnt. Unsere Nasen berühren sich. Der Halbjapaner ist mir jetzt so nahe, dass ich schielen muss, um ihm weiter direkt in die braunen Augen blicken zu können. Seine Arme sind noch immer zart um meinen Rücken gelegt. Meine Hände halten hilflos seinen Nacken fest.

„Chester, hör mal”, fängt der Typ unschlüssig an. Seine Stimme ist ganz leise. Er ist vorsichtig. Aber ich will nicht hören, was er zu sagen hat. Will verdammt nochmal jetzt nicht sprechen. Nicht nachdenken müssen. Auf keinen Fall. Aber Shinoda lässt mir keine Wahl. „Es ist okay, wenn du nicht mit mir darüber reden willst, Chaz”, meint der Stachelige sanft. Seine roten Lippen umspielt ein fürsorgliches Lächeln. „Dann reden wir nicht!” stimme ich erleichtert zu. Mache Anstalten, unseren Kuss zu stürmisch wiederaufzunehmen. Doch Mike weicht aus. „Du sollst nur wissen, dass du das kannst. Du kannst jederzeit mit mir reden. Über alles. Okay?” fragt er mit einer Intensität, die mich weitaus stärker provoziert, als es unter normalen Umständen der Fall wäre. Aber ich tanze ohnehin schon zu lange auf dem verfluchten Drahtseil. Darum ist mein Nervenkostüm unerfreulich anfällig geworden. Der kleinste Anlass kann mich zum Ausrasten bringen. Dies hier ist so einer.

In diesem aufgewühlten Moment kann ich es nicht kompensieren, dass Mikey sich noch immer um mein Seelenheil sorgt. Wo ich doch dachte, ihn längst erfolgreich abgewehrt zu haben. Seine Hartnäckigkeit ist wie ein Schlag ins Gesicht. Verärgert lasse ich ihn los. Ich muss von der Bedrohung weg. Gleichzeitig zieht es mich trotz allem mächtig zu ihm hin. Mache mühsam einen halben Schritt rückwärts. Sodass seine Hände von meinem Rücken gleiten. Lasse ihn dabei nicht aus den Augen. „Warum glaubst du mir nicht, verdammt?” bricht es impulsiv aus mir heraus, „Warum kannst du mir denn nicht glauben, Shindoa? Ich hab dir doch gesagt, dass mit mir alles okay ist!” Halbjapaner zuckt verschreckt zusammen. Beobachtet mich alarmiert. „Nein, Chester. Das stimmt nicht”, mahnt er leise. Der Typ duldet keinen Widerspruch mehr. Ich soll aufhören ihn anzulügen. Er hat ja so was von recht. Konfus starre ich ihn an. Die wunderschöne Stimme. Unendlich traurig. Seine braunen Augen flehen mich an. Endlich ehrlich zu ihm zu sein. Shinodas Sorge und Betrübnis ist allein meine Schuld. Es geht ihm schlecht, weil ich so ein kranker Wichser bin. Das macht mich völlig fertig. Vor ein paar Sekunden war noch alles irgendwie perfekt. Ich verstehe nicht, warum der Besondere alles kaputtmachen muss.

„Es. Geht. Mir. Gut!” fauche ich ungeduldig. Muss mich herbe zurückhalten. Um den immerzu stechenden Kerl nicht wütend von mir wegzustoßen. Das wachsame Mandelauge schüttelt den hübschen Kopf. „Du hast den Song nicht ohne Grund gewählt, Chaz. Denn du fühlst immer, was du singst. Du hast das wirklich so gemeint, was du heute beim Frühstück gesungen hast”, plagen meinen mega aufmerksamen Mitpatienten zumindest in diesem Punkt nicht die geringsten Zweifel, „Ich kann spüren, wie mies es dir geht. Wie extrem aufgewühlt du bist. Irgendwas Schlimmes ist passiert, nicht wahr? Darum warst du auch gestern nicht beim Abendessen. Du willst, dass man dich in Ruhe lässt, Chester Bennington. Du hast uns heute Morgen mit Spin alle zum Teufel gejagt.” Beschwichtigend lächelt Mikey mich an.

Mein Herz fängt an zu rasen. Als ich ihn fassungslos betrachte. Aufgeregt schnappe ich nach Luft. What the hell?! Was ist los mit diesem Mann? Wie ist es möglich, dass er mich so kinderleicht sezieren kann, bis auch noch das letzte Geheimnis von mir offen vor ihm liegt? Halbjapaner erwidert meinen tödlichen Blick gelassen. Er ist sich so sicher bei dem, was er mir da an den Kopf knallt, dass ihn meine Reaktion nicht erschüttern kann. Nichts was ich sage könnte ihn vom Gegenteil überzeugen. Blitzschnell versuche ich eine Lösung aus dieser ausweglos erscheinenden Situation zu finden. Ich will nicht von Mike Shinoda entlarvt werden. Es kostet mich heute nämlich verdammt große Mühe, meine Fassade der freundlichen Gleichgültigkeit aufrecht zu erhalten. Kann nicht einsehen, dass mein gewaltiger Kraftaufwand bei diesem Kerl komplett vergebens sein soll. Nehme verspannt ein paar tiefe Atemzüge.

„Ich war gestern nicht beim Abendessen, weil Ulli mich unbedingt zu diesem Psychologen schleppen musste. Und danach hat er mich auch noch beim Essen beaufsichtigt”, erzähle ich dem cleveren Rapper beherrscht. Am liebsten würde ich den gut aussehenden Hellseher anschreien. Zwinge mich aber dazu, so ruhig wie möglich zu bleiben. Gönne ihm die Genugtuung nicht. Mich vollends aus der Fassung bringen zu können. „Warum musstest du außer der Reihe zu deinem Psychologen?” fragt er interessiert nach. „Ulli war wohl wegen meiner Dreadlocks beunruhigt”, biete ich achselzuckend an. „Weil du sie abgeschnitten hast?” vermutet Mike. Schätze, er hat recht. Ich nicke nur hastig. Dieses Thema möchte ich sicher nicht vertiefen.

Bevor er nochmal nach dem Grund für meinen radikalen Haarschnitt fragen kann, spreche ich schnell weiter. „Ist dir überhaupt klar, was du da behauptest, Mike Shinoda? Das ist doch völliger Schwachsinn! Wenn das wahr wäre, dann könnte ich kein einziges Konzert geben!” stelle ich energisch klar. Meine Augen funkeln angriffslustig. Im ersten Moment ist er verwirrt. Kann meinem hastigen Themenwechsel nicht so schnell folgen. „Wie meinst du das?” erkundigt er sich sanft. „Wenn ich immer fühlen würde, was ich singe, dann könnte ich kein einstündiges Konzert durchstehen!” wiederhole ich ungeduldig. „Aber du...”, setzt er irritiert an, als ich ihn auch schon unterbreche: „Wie stellst du dir das vor, Mike? Denkst du etwa, ich kann alle drei Minuten meine Gefühlslage ändern? Jeder Song ein neues Gefühl? Eine ganze Stunde lang? Da würde ich ja durchdrehen!” verspotte ich ihn. Lauthals. „Aber du bringst die Songs so ehrlich rüber, Chester. Man sieht dir doch an, wie sehr du mitleidest”, wendet der Schwarzhaarige verunsichert ein. Verdutzt lache ich ihn aus. „Ey, das ist mein Job, Shinoda! Es ist meine Aufgabe als Sänger, die Songs so zu präsentieren, dass sie authentisch wirken!”

Meine Stimme ist voller Hohn. Meine Augen nichts als arrogante Geringschätzung. Bennington ist nicht nett zu Mikey. Der Typ hat mich dazu gezwungen, mich zu verteidigen. Das nehme ich ihm übel. Es macht mich wütend. Fuck! Fühle mich entsetzlich dabei. Mein Herz hämmert wie verrückt. Meine Kehle ist eng. In Wahrheit ist es nicht so einfach. Es fällt mir oft schwer, die persönliche Grenze zwischen Emotion und Performance einzuhalten. Meist tauche ich beim Singen zu tief in die Songs ein. Lasse mich von teils uralten Texten deprimieren. Oder wütend machen. Verdammt! Es frustriert mich enorm, dass zwischen Mike und mir auf einmal diese feindselige Atmosphäre herrscht. Ich will nicht mit dem Süßen streiten. Das ist total scheiße. Jedes einzelne verfickte Mal. Keinen Schimmer, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Überlege ernsthaft, ihn daran zu erinnern, dass wir doch hier eigentlich nur auf seine Eltern warten. Will ihm nahelegen, dass er sich lieber mental auf seinen Besuch vorbereiten soll. Aber in dieser Situation wäre das wie eine schmähliche Kapitulation. Als würden mir keine Argumente mehr einfallen. Okay, mir fallen keine mehr ein. Bin völlig ratlos. Als ich ihn verächtlich mustere.

Ich glaube, der taffe Halbjapaner lenkt sich gerade sehr erfolgreich von seiner Nervosität ab. Seine Augen liegen so maßlos konzentriert auf mir. Als wollte der Zauberer tief in mich hineinblicken. Zweifellos kann er das. Shinoda ist extrem aufmerksam. Alle seine Antennen sind auf einen Punkt ausgerichtet. Allein auf mich fixiert. Es verlangt ihn dringend nach nie gegebenen Antworten. „Ich glaube dir nicht, dass du beim Singen nichts fühlst, Chester Bennington”, betont er ruhig, „Deine Power ist viel zu gewaltig.” Seine Worte bewirken was. Womit ich nicht gerechnet habe. Etwas verkrampft sich in mir. Betroffen sehe ich ihn an. Der mühsam erzeugte Spott rutscht mir vom Gesicht. Versuche eisern, mir nichts anmerken zu lassen. Obwohl seine Aussage mich stärker berührt, als mir lieb ist. Ich kann nichts erwidern. Weil mir dazu nichts einfällt. Also spricht er weiter: „Du hast sechs Arme, Chester! Damit packst du dein Publikum. Mit sechs Armen! Deine innere Energie ist außergewöhnlich. Die intensive Stimmung, die du beim Singen erzeugst. Dafür braucht man verflucht viel Kraft. So etwas entsteht nur mit Emotionen. Du lebst und atmest davon.” Mikeys wundervolle Stimme ist ganz sanft. Zärtlich. Voller Hochachtung. Vor mir. Er meint mich. Tatsächlich. Seine braunen Augen liebkosen mich. Unweigerlich wird mir ganz warm. Ich habe keinen Bock mehr auf Streit. Will nicht länger höhnisch und zornig sein.

„Und du rappst wie ein junger Gott, Mike Shinoda!” platzt es unüberlegt aus mir heraus. In dem drängenden Bedürfnis ihn zu beschwichtigen. Obwohl das irgendwie zu spät kommt. Total unnütz ist. Weil Mike gar nicht wütend wirkt. Weiß nicht genau, was jetzt los ist. Der fremde Kerl verwirrt mich. Ich kann gar nicht abschätzen, was in seinem zauberhaften Kopf passiert. Oder was das alles hier überhaupt bedeutet. Mein Kompliment freut ihn jedenfalls. Macht ihn zuckersüß verlegen. Mann, ich liebe es, wenn seine großen Ohren rot werden. Sein Lächeln wird so strahlend, dass ich mich zurückhalten muss. Um nicht hypnotisiert über ihn herzufallen. „Das war magisch, nicht wahr, Chaz? Als wir zusammen With You gesungen haben. Ich hätte nie gedacht, dass dieser Song dermaßen ...drastisch sein kann”, flüstert er plötzlich aufgeregt. Seine unsteten Gedanken sind abrupt zur Musiktherapie gesprungen, registriere ich verdutzt. Mike erinnert sich an den gestrigen Nachmittag. Als wir zusammen gejammt haben. Wo die Welt für eine Weile absolut berauschend war. Bevor sich alles für mich zerfaserte.

„Ja, das war phänomenal”, stimme ich zu. Froh über den Themenwechsel. Es ist unbestreitbar, dass in diesem Kellerraum eine besondere Stimmung zwischen uns aufgekommen war. Da war so ein sphärisches Gefühl. Der Zusammengehörigkeit. Ein tiefes, inneres Verstehen. So etwas habe ich nie vorher gespürt. An With You erinnere ich mich momentan viel lieber, als an alles andere. Verschwörerisch lächele ich den talentierten Musiker an. Das bedeutet uns was. Diese gemeinsame Erfahrung kann uns niemand wieder wegnehmen. „Weißt du, Chaz, das ist manchmal echt komisch. Wie uralte Songtexte plötzlich in einem ganz anderen Zusammenhang passen. Ich muss immer daran denken, wie auffallend der Text von With You heute stimmt. Das ist schon unheimlich, wie exakt der Song unsere Situation beschreibt. Obwohl du mir so nah bist, bist du trotzdem so weit weg. Und ich kann dich nicht zurückholen”, seufzt Mike.

Schlagartig ist er deprimiert. Das Strahlen in seinen braunen Augen erlischt. Macht einer Traurigkeit und Besorgnis platz, die ich nicht zuordnen kann. Der Anblick sticht mir abrupt ins Herz. Tief. Mein Lächeln stirbt. Getroffen fixiere ich sein schönes Gesicht. Innerhalb von Sekunden hat sich aufs Neue alles grundlegend verändert. Zwischen uns herrscht eine gänzlich andere Stimmung. Das Gegenteil von gegenseitigem Verständnis. Jetzt scheint da auf einmal eine unüberwindbare Kluft zu sein. Ich weiß nicht, wo das herkommt. Völlig verwirrt darüber, kann ich den Rapper nur noch hilflos anstarren. Fühle mich enorm schuldig. Chester hat einen Fehler gemacht. „Das tut mir leid, Mike”, kommt es instinktiv aus mir heraus. Mir ist nicht klar, wovon der Besondere konkret spricht. Kann seinen blitzschnellen Gedankensprüngen nicht folgen. Ich weiß nur, dass bestimmt alles meine Schuld ist. Schließlich ist es das doch immer. Aber der traurige Stachelkopf schüttelt abwehrend den Kopf. „Nein, Chester, das ist... Himmel, du musst dich nicht... das ist es nicht, was ich damit...”, stottert er bestürzt. Verlegen weicht er meinem ratlos fragenden Blick aus. Sein plötzlicher Gefühlsausbruch ist ihm peinlich. Das ist so süß, dass ich ihn küssen möchte.

Seine Augen huschen nervös umher. Eher zufällig streift sein Blick den Eingangsbereich des Geländes. Im gleichen Moment zuckt der Schwarzhaarige schockiert zusammen. Seine mandelförmigen Augen werden riesengroß. „Da sind sie ja...”, stellt er zwischen Verblüffung und Erschrecken fest, „Oh, Scheiße, Chester, sie sind schon da... tatsächlich...” Mein Mitpatient wirkt restlos verwirrt. Mike kann nicht glauben, was er da hinten sieht. Als wäre es eine Erscheinung. Eigentlich unmöglich. Vielleicht hat der verunsicherte Sprössling insgeheim gar nicht damit gerechnet, dass seine Eltern wirklich hierherkommen. Um ihn in der geschlossenen Psychiatrie zu besuchen. Womöglich hatte er den Besuch zwischenzeitlich vergessen. Oder er hat darauf gehofft, dass seine Familie nicht auftaucht. Nun, diese Hoffnung erfüllt sich offenbar nicht.

Mann, Mikey, denke ich belustigt, worauf warten wir denn hier die ganze Zeit?! Seine schlagartig explodierte Aufregung finde ich erheiternd. Es erleichtert mich, dass seine rätselhafte Traurigkeit der neu entfachten Nervosität gewichen ist. Gerührt studiere ich den wunderschönen Stachelkopf. Seine Hand streckt sich aus. Hilfesuchend. In meine Richtung. Ohne, dass er hinsieht. Shinoda kann seinen Blick nicht mehr von seiner Familie lösen. Seine Finger krallen sich angespannt in meinen Oberarm. Krampfhaft. Obwohl er mir schmerzhaft Bizeps und Trizeps zerquetscht, will ich ihm diesen Halt, den er offenbar im Moment dringend benötigt, nicht verweigern. Amüsiert folge ich seinem entgeistert starrenden Blick.

Michael hat wohl recht. Sein Besuch aus Agoura Hills scheint endlich angekommen zu sein. Hinten am Eingangstor halten sich inzwischen einige Menschen auf. Sie müssen irgendwann durch das Tor getreten sein. Ohne dass wir das bemerkt hätten. Zu lange waren wir von zweifelhaften Gesprächsthemen abgelenkt. Die Neuankömmlinge befinden sich schon direkt neben dem kleinen Anbau. In dem pausenlos einige Pförtner und Angestellte Wachdienst tun. Ich kann Pfleger und Zivilpersonen an ihrer Kleidung unterscheiden. In angeregtem Gespräch steht die kleine Gruppe beieinander. Irritiert muss ich hinnehmen, dass beim Anblick der fremden Menschen auch meine innere Unruhe ansteigt. Mister Shinodas jäh detonierte Nervosität scheint blöderweise auf mich abzufärben. Die Situation ist schwer einzuschätzen. Ich habe keine Ahnung, was jetzt auf mich zukommt. Bin nicht sicher, ob ich diese undurchschaubare Begegnung heute problemlos durchstehen kann. Habe so meine berechtigten Zweifel, ob ich charmant und aufmerksam genug sein kann, um einen guten Eindruck zu machen.

„Scheiße, Chaz, ich weiß gar nicht, was ich gleich zu ihnen sagen soll”, jammert mein Freund unglücklich vor sich hin. Mein Blick richtet sich wieder auf ihn. Mike Shinoda ist wirklich verdammt schön. Ich könnte diesen attraktiven Kerl den ganzen Tag lang ansehen. „Aber du hast doch erst gestern mit ihnen telefoniert”, gebe ich verwundert zu bedenken. „Ja, aber das ist doch was ganz anderes!” meint er überzeugt, „Am Telefon ist das viel leichter. Jetzt stehen sie plötzlich persönlich vor mir!” „Ach, komm, Mikey, du kennst deine Eltern doch”, beruhige ich ihn sanft. Er lächelt kläglich. „Es kommt mir vor, als hätte ich sie seit Jahrzehnten nicht gesehen”, stellt er nachdenklich fest.

„Mike! Hallo Mike!” ruft eine weibliche Stimme. Aus der Gruppe der Besucher. Es ist eine Frau mit dunkelblonden, halblangen Haaren. Sie hebt ihren Arm. Winkt aufgeregt in unsere Richtung. Offenbar hat Mrs. Shinoda ihren lang vermissten Sohn erblickt. Ich muss blöde grinsen. Weil ich plötzlich tierisch nervös werde. „Bist du sicher, dass ich hierbleiben soll?” raune ich dem Schwarzhaarigen zu. Der seiner Mom nur widerstrebend zurück winkt. Diese auffällige Begrüßung ist ihm offensichtlich peinlich. Weil prompt alle von da hinten neugierig in unsere Richtung glotzen. „Oh, Gott, Chester, ja!” antwortet er sofort. Beschwörend sieht er mich an. „Bitte bleib hier! Bleib auf jeden Fall bei mir! Lass mich jetzt bloß nicht allein, hörst du?” Seine großen, braunen Knopfaugen flehen mich an. Mir wird aufs Neue warm. Ich bin nahe daran ihn zu küssen.

Aber er wendet sich schon wieder ab. Tritt noch nervöser auf der Stelle herum. Sein toller Körper bewegt sich in heller Aufregung. Weil sich am Tor etwas tut. Seine Eltern lösen sich aus der Gruppe. Kommen langsam auf uns zu. Neben der Frau geht ein unzweifelhaft japanischstämmiger Mann. Das kann nur Mikeys Dad sein. Der Ehemann ist höchstens so groß wie seine Frau. Aber sehr viel schlanker. Mrs. Shinoda trägt etliche Pfunde zu viel mit sich herum. Auch das farbenfrohe, moderne Kostüm, dass sie anhat, kann ihr Übergewicht nicht kaschieren. Neben der imposanten Frau wirkt der kleine Japaner, der hier lässig in Jeans und Hemd auftaucht, richtig schmächtig. Dieser auffällige Unterschied reizt mich zum Lachen. Obwohl es eigentlich nicht lustig ist. Und ich mich gerade alles andere als wohlfühle.

„Willst du nicht doch lieber allein mit ihnen sprechen?” versuche ich mein Glück nochmal. Dicht hinter dem Ehepaar Shinoda bewegt sich noch jemand auf uns zu. Ein schlanker Teenager. Der zweifelsfrei Mikes jüngerer Bruder ist. Die Ähnlichkeit ist schon aus der Entfernung frappierend. Mir war nicht klar, dass Jason auch erwartet wurde. Vom Besuch des Bruders ist nie die Rede gewesen. Plötzlich zieht mich etwas von diesem Ort hier weg. Dringend. Ich möchte der unangenehmen, undurchschaubaren Situation irgendwie entkommen. Will mich in Sicherheit bringen. Schnell. Aber der Besondere rechnet fest mit meiner Unterstützung. Ich darf ihn jetzt nicht im Stich lassen.

Unschlüssig schaue ich Mike an. Der mich verblüfft mustert. Ein paar Sekunden lang ist es ganz still. „Nein, Chaz, du brauchst keine Angst zu haben”, bemerkt mein Mitpatient plötzlich lächelnd, „Die sind total nett. Du wirst sie mögen.” „Ich hab keine Angst!” stelle ich beleidigt klar. Obwohl das nicht ganz den Tatsachen entspricht. Mikeys dunkle Augen fesseln mich. Da ist so ein Glitzern in dem Braun. So eine staunende Faszination. Für mich. Ich liebe es, wenn er mich auf diese Art ansieht. Das kann ich nicht oft genug erleben. Der Besondere ist gerührt von mir. Er mag mich. Ich bin wertvoll für diesen Menschen.

Endlich löst er seinen schmerzhaften Klammergriff um meinem Oberarm. Worüber ich sehr froh bin. Stattdessen schlingt er mir den Arm um die Taille. Schnell. Zieht mich auf diese Weise energisch zu sich hin. Lässt mir keine Chance zur Gegenwehr. Bis mein Körper seitlich gegen seinen stößt. Was mich in Anbetracht dessen, dass seine Eltern und sein Bruder uns schon beinahe erreicht haben, mehr als überrascht. „Du schaffst das schon, Chazy Chaz!” feixt Halbjapaner amüsiert. Eigentlich bin ich angefressen. Weil er mir mädchenhafte Angst unterstellt. Aber sein Grinsen ist so zauberhaft, so voll mit Zuneigung, dass ich nochmal nervös lachen muss. „Du meinst, genau wie du?” kichere ich hilflos. Der Stachelige nickt. „Ja genau, Chester Bennington. Gemeinsam können wir alles schaffen!” Auf einmal wirkt Mike fest entschlossen. Ich glaube, er möchte diese Herausforderung unbedingt meistern. „Nicht wahr?” fragt er. Provokativ. „Aber klar”, stimme ich zu. Obwohl ich kein bisschen überzeugt davon bin. Die Wahrheit ist eher, dass ich meistens alles in den Sand setze. Irgendwie. Ich gehe lieber gleich davon aus, dass ich auch bei diesem Besuch kläglich versagen werde.

Als seine Eltern und sein Bruder schließlich direkt vor uns stehenbleiben, nimmt der Halbjapaner seinen Arm überstürzt von meiner Taille weg. Schnell vergrößert er unseren Abstand. Um einen halben Schritt. Das bedauere ich. Habe es aber schon erwartet. Natürlich wird der Schüchterne mir jetzt nicht mehr zu nahekommen. Er will seinen Eltern keinen Grund geben, sich zu wundern. Wahrscheinlich haben die seiner Meinung nach schon jetzt zu viel mitgekriegt.

„Hallo Mike! Es ist so schön dich zu sehen!” strahlt seine Mutter sichtbar erfreut. Die dicke Frau schlingt rigoros ihre kräftigen Arme um ihn. Drückt ihren vermissten Sohn fest an sich. Mikey verschwindet fast an ihrer ausladenden, weichen Brust. So enthusiastisch wird er von seiner Mommy geherzt. In meiner Kehle brodelt schon wieder dieses enorm nervöse Lachen. Habe Mühe mich zurückzuhalten. Ich möchte jetzt keine Fehler machen. Nicht unangenehm auffallen. „Hi Mom”, krächzt Mike atemlos. Hilflos tätschelt er den breiten Rücken seiner Mutter. Sie drückt ihm ein paar dicke Schmatzer auf den fantastischen Mund. Unauffällig studiere ich die fremde Frau. Sie ist tatsächlich damit beschäftigt, vor Glück in Tränen auszubrechen. Die großen, braunen Knopfaugen hat der Besondere auf jeden Fall von seiner Mom geerbt. Die Nase zum Glück nicht. Mrs. Shinoda ist im Gegensatz zu ihren Söhnen keine Schönheit. Aber das macht sie durch die offene, freundlich Art wieder wett.

Mein Blick wandert weiter zum Japaner. Er steht vage lächelnd dort. Betrachtet die stürmische Begrüßungsszene. Ein wenig distanziert. Aber offenbar amüsiert. Der Mann scheint eher zurückhaltend zu sein. Als unsere Augen sich treffen, nickt er mir mit einer angedeuteten Verbeugung leicht zu. Japaner eben. Tue es ihm gleich. Möchte platzen vor Lachen. Oder ganz schnell hier verschwinden. Beides ist jedoch definitiv keine Option. Also reiße ich mich zusammen. Mustere verstohlen den höflich lächelnden Mann. Jetzt weiß ich auch, von wem Mike seine pechschwarzen Haare, die süße Stupsnase und den geilen, asiatischen Touch hat. Der attraktive Teenager, der die gleichen Attribute wie sein älterer Bruder aufweist, steht scheu daneben und grinst sich eins.

„Ach, Mike, wir konnten das ja zuerst gar nicht glauben, als Doktor Doyle uns am Telefon erzählt hat, dass du endlich wieder bei uns bist!” erzählt Mrs. Shinoda aufgeregt. Sie löst die enge Umarmung nur ungern. Geht einen Schritt zurück. Legt ihre Hände besitzergreifend auf Mikes Schultern. Um ihn eingehend zu überprüfen. „Wir sind so glücklich, Mike! Nachdem wir davon erfahren haben, dass du aufgewacht bist, haben wir sofort eine Flasche Champagner geköpft. Nicht wahr, Muto?” Fragend schaut sie ihren Mann an. Der zustimmend nickt. „Sogar Jason hat einen Schluck abgekriegt”, betont die dicke Frau. Während sie ihren jüngeren Sohn lächelnd ansieht. Jason fixiert angestrengt die Steinplatten auf dem Boden. „Ja, Mom... das hast du mir doch schon gestern am Telefon erzählt...”, wendet Mike verlegen ein.

Abrupt explodiert das verräterische Lachen in mir. Kann mich nicht länger bremsen. Sodass ich unangebracht laut prustend herausplatze. Versuche panisch, es hinter einem Hustenanfall zu verstecken. Klappt aber irgendwie nicht. Sofort liegen sämtliche Blicke fragend auf mir. „Willst du uns deinen Freund nicht vorstellen?” Mrs. Shinoda nimmt langsam ihre Hände von Mikes Schultern. Zu meiner Überraschung schenkt sie mir ein strahlendes Lächeln. Ihre großen, braunen Augen betrachten mich interessiert. Weder ist die Familie über mein unhöfliches Lachen irritiert, noch in irgendeiner Form pikiert. Darüber bin ich total erstaunt.

Mein Mitpatient schluckt zweimal. Dann legt er mir wahrhaftig seine Hand lose auf den Nacken. Die liebevolle Berührung verursacht mir sofort eine kribbelnde Gänsehaut. „Das ist Chester Bennington, mein bester Freund hier”, stellt der Stachelkopf mich den restlichen Shinodas vor, „Er allein ist der Grund, warum ich zurück zu mir selbst gefunden habe.” Die feuchten Augen der Frau leuchten auf. Verstohlen wischt sie sich die Tränen weg. Streckt mir ihre Hand hin. „Hallo Chester! Wie schön dich kennenzulernen! Mein Name ist Donna!” Verblüfft sehe ich sie an. Die Fremde nennt mir ihren Vornamen. Einfach so. Mommys Stimme ist warm. Voller Dankbarkeit. Das bewirkt irgendwas in mir. Fühle mich seltsam akzeptiert. Irgendwie willkommen geheißen. Ohne Vorbehalte. Weiß auch nicht. Das habe ich nicht erwartet. So was ist total ungewohnt für mich. Ich weiß nicht recht, wie ich darauf reagieren soll. Automatisch strecke ich auch meine Hand aus. Zaubere mir ein neutrales Lächeln ins Gesicht. „Ja, schön Sie kennenzulernen, Donna”, erwidere ich mit seltsam verklemmter Stimme. Gebe ihr zurückhaltend die Hand. Die dicke Frau lacht. Lässt mich wieder los. Schüttelt den Kopf. „Nein, bitte sage du zu mir, Chester! Das hier ist mein Mann Muto”, stellt sie mir direkt ihren Ehemann vor. „Hallo Chester”, nickt der Japaner lächelnd. Ich bin froh, dass ich nicht auch noch seine Hand schütteln muss. Meine Handflächen fühlen sich total schwitzig an. Das ist unangenehm. Verstohlen wische ich sie an meiner Jeans ab. Mein Herz schlägt zu schnell. Ich bin tierisch nervös. Dieser hibbelige Zustand nervt extrem. Eigentlich kenne ich das gar nicht von mir. „Und das da ist unser Nesthäkchen Jason”, meint Donna freundlich. Sie streckt sich und zieht ihren Jüngsten am T-Shirt näher. „Hi, Chester”, grüßt Jason leise. Cool hebt er die Hand. Fixiert aber weiterhin den Fußboden. „Hi”, krächze ich. Ziemlich erbärmlich. Räuspere mich.

Hilfesuchend schaue ich Mike an. Seine Hand liegt unverändert leicht auf meinem Nacken. Sie bewegt sich nicht. Das Gefühl seiner warmen Finger auf meiner Haut verursacht mir trotzdem wohlige Schauder. Ständig. Angenehme Hitze. Die quer durch meinen Körper jagt. Die direkte Anwesenheit des Besonderen vermag mich zu beruhigen. Ich weiß das. Wenn ich ihn nur lange genug ansehe. Dann wird alles gut werden. Der Stachelige erwidert meinen ratlosen Blick. Sein Lächeln ist tröstlich. „Chester ist was ganz Besonderes”, flüstert Mike bewegt. Seine Stimme ist allerdings so leise, dass bestimmt niemand außer mir diesen Satz verstehen konnte. Mein Herz bumpert wie irre. Ergeben fixiere ich das wunderschöne Gesicht des Mitpatienten. Halte mich mental an ihm fest. Einen Moment lang dröhnt die Stille in meinem Kopf. Ich stehe ganz ruhig da. Konzentriere mich auf die zarte Berührung an meinem Hals. Während die Welt um mich herum zu tosen scheint.

„Doktor Doyle!” höre ich Donnas Stimme überrascht rufen. Die wunderbare Hand auf meinem Nacken verschwindet. Ein tiefes Seufzen kommt aus meiner Kehle. Bevor ich es aufhalten kann. Der Schwarzhaarige bringt wieder mehr Abstand zwischen uns. Wie alle anderen, sieht er zum Eingang des Gebäudes hin. Von dort kommt ein Mann auf uns zu. Den ich schon mal gesehen habe. Es ist der Typ, der mich vor ein paar Tagen zum ersten Mal in den Park hinausließ. Wo ich dann Mikey auf der versteckten Bank gefunden habe. Ich glaube, es handelt sich dabei um Mikes Psychologen. Ich mag ihn. Weil er der Einzige zu sein scheint, der nichts gegen die Beziehung zwischen Shinoda und mir einzuwenden hat. Im Gegenteil. Er hat sogar dafür gesorgt, dass wir uns ungestört treffen konnten. Donna eilt ihm freudestrahlend entgegen. Der Rest der Besucher folgt. Die drei fremden Shinodas streben dem Doktor entgegen. Sie begrüßen den studierten Mann. Vertraut und herzlich. Offenbar kennen sie Doyle schon ziemlich lange.

Es erleichtert mich, dass die allgemeine Aufmerksamkeit von mir abgelassen hat. Die kurze Pause tut mir gut. Ich bin heilfroh, dass Mike neben mir stehengeblieben ist. Der Kerl muss dringend in meiner Nähe bleiben. Seine beruhigende Wirkung auf mich hat Heilkräfte. „Was willst du mit ihnen machen?” frage ich ihn schnell. Um diesen ungeklärten Punkt anzusprechen. „Hm?!” macht er verwirrt. Schaut mich fragend an. „Bleibst du mit ihnen draußen? Oder willst du denen die Station und dein Zimmer zeigen?” erkundige ich mich hektisch. Ich bin echt außergewöhnlich nervös. Das passiert mir nicht allzu oft. Das angespannte Gefühl gefällt mir nicht. Mein ganzer Körper bebt. Das ist unangenehm. Mein Herz schlägt zu schnell. Ich sollte mich wirklich langsam mal beruhigen.

Seltsam, dass der Besondere seine Nervosität plötzlich viel besser im Griff zu haben scheint. Mike wirkt weitaus gelassener als ich. Nachdenklich schaut er mich an. „Nein, Chaz, meine Familie kennt die Station schon. Die sind schon oft hier gewesen. Auch in meinem Zimmer. Nur... ich erinnere mich kaum daran...”, verrät er mir bedrückt. „Naja, du warst ja auch nicht wirklich hier”, tröste ich ihn lächelnd. „Das stimmt leider. Ich war gar nicht...” Verlegen bricht er ab. Sein schwarzer Stachelkopf nickt träge. „Heute ist das erste Mal, dass ich sie bewusst wahrnehme”, erklärt Mike mir traurig. „Das ist doch toll”, wende ich verständnislos ein. Aber er schüttelt den Kopf. „Es tut mir so leid, was ich ihnen angetan habe”, meint er geknickt, „Ich glaube, die hatten ziemlich große Sorgen wegen mir.” „Ja, vielleicht. Aber das hast du doch nicht extra gemacht. Du bist krank gewesen”, betone ich aufmunternd. Schnell hebe ich die Hand. Streichele ihn tröstend über die runde Wange. Kraule ein wenig seinen weichen Bart. Bevor er ausweichen kann. „Dafür freuen sie sich jetzt umso mehr”, versichere ich meinem schuldbewussten Mitpatienten sanft. Sein Lächeln ist ein bisschen kläglich. Aber wunderschön. Noch einmal muss ich mich herbe zurückhalten. Um ihn nicht grob auf die vollen Lippen zu küssen. Shit! Das ist echt schwierig mit dem. Ständig muss ich mich diesbezüglich bremsen. Keine Ahnung, wie ich das den ganzen Besuch lang aushalten soll. „Also bleiben wir im Park?” will ich hoffnungsvoll wissen. Ich möchte auf jeden Fall so lange wie möglich draußen bleiben. In der Sonne fällt mir das Atmen weitaus leichter. Mike nickt zögernd. „Ja, ich denke wir gehen im Park spazieren”, stimmt er gedankenverloren zu, „Länger als eine halbe Stunde dürfen sie sowieso nicht hierbleiben.” Das habe ich nicht gewusst. Dass Besuche in der geschlossenen Psychiatrie nur so kurz erlaubt sind. Extrem erleichtert atme ich auf.

In diesem Moment tritt Doktor Doyle neben uns. Gefolgt von dem Rest der anhänglichen Shinoda-Bande. „Hallo Mike!” begrüßt er seinen Patienten. „Ich wollte nur kurz deiner Familie Hallo sagen. Aber keine Angst, ich bin gleich wieder weg. In den letzten Monaten habe ich so oft mit deinen Eltern telefoniert, dass ich sie unbedingt nochmal persönlich treffen wollte”, erklärt der Psychologe. Sympathisch lächelnd.

Eine plötzliche Gerölllawine erschlägt mich. Unerwartet. Jäh verkrampfen alle meine Eingeweide. Muss mir instinktiv den Bauch festhalten. Schlagartig bin ich unglaublich schockiert. Sein „Hallo Chester” kriege ich kaum mit. Denn ich kann nicht glauben, was ich gerade von Doyle erfahren habe. Warum hat der verdammte Kerl von Monaten gesprochen? Warum zur Hölle hat er nicht Tage gesagt? Oder wenigstens Wochen? Mein brutal erschütterter Verstand begreift nicht, dass der Besondere tatsächlich schon seit Monaten hier sein soll. Mo-na-te? Im Ernst? Bedeutet das etwa, dass ich auch noch so lange hierbleiben muss? Ist diese Zeitspanne in der Psychiatrie normal? Eine unbestimmte Anzahl von Mo-na-ten? Hier? Warum nicht gleich Jahre? Fuck! Fuck! Fuck!

„Alles okay, Chester?” fragt Mike alarmiert. Der Halbjapaner hat mich die ganze Zeit genau im Auge behalten. Natürlich kann er mir meinen jähen Schrecken ansehen. Der Zauberer spürt so was. Vor ihm kann ich nichts verbergen. Mein aufgescheuchter Blick huscht nervös über die vielen Gesichter vor mir. Die Familie und der Doktor studieren mich verwundert. Besorgte Augen tasten mich ab. Ich habe mich nicht unter Kontrolle. Bin mega beunruhigt. Die merken das. Shit! Das gefällt mir nicht. „Ja... ähm... tut mir leid... ich muss mal eben aufs Klo...”, stottere ich panisch. Bevor noch jemand etwas erwidern kann, drehe ich mich abrupt von ihnen weg. Zielgerichtet eile ich dem Eingang des Gebäudes entgegen. Aus dem der Doktor vorhin herausgekommen ist. Es ist total blöd von mir, freiwillig wieder reinzugehen. Aber ich kann jetzt nicht anders. Mein Verstand funktioniert nicht mehr. Der Park ist mir verboten worden. Also gehe ich hinein. Reflexmäßig.

Kann die fraglos sympathischen Shinodas nicht länger ertragen. Halte die offen freundlichen Gesichter nicht mehr aus. Ich bin nicht stark genug. Will ihnen den fröhlichen Besuch nicht verderben. Darum muss ich gehen. Die Aussicht, noch etliche Monate an diesem verfluchten Ort eingesperrt zu sein, hat mich zu stark getroffen. Ich bin so blöd. Dachte ehrlich, das hier wäre nur vorübergehend. Habe auf ein paar Tage gehofft. Vielleicht zwei oder drei Wochen. Aber die Wahrheit sieht sehr viel bedrohlicher aus. So schnell komme ich hier nicht mehr raus. Das macht mich völlig fertig. Meine Situation ist total niederschmetternd. Ich habe keine Idee, wie ich das verpacken soll. „Chester, warte!” ruft Mike erschrocken. Drehe mich nicht um. Will nicht, dass der Typ mir nachläuft. Bete, dass er einfach bei seiner super netten Familie stehenbleibt. Mikey soll unbeschwert ihre Gesellschaft genießen. Einen richtig schönen, sorgenfreien und gut gelaunten Tag erleben. Gesund werden. Mit mir geht das alles nicht. Das funktioniert nicht.

Als ich an der Eingangstür des Gebäudes ankomme, ist sie blöderweise abgeschlossen. Erst jetzt fällt mir wieder ein, dass ich erst auf den Klingelknopf an der Seite drücken muss. Damit mir jemand aufmacht. Verflucht nochmal! Hektisch betätige ich den kleinen, runden Knopf ein paarmal. „Was ist los, Chester? Was ist denn passiert? Bitte rede mit mir!” höre ich Mike. Direkt hinter mir. Mein Mitpatient klingt verzweifelt. Fuck! Der penetrante Kerl ist mir wahrhaftig hinterher gedackelt! Das geht gar nicht! Das ist komplett falsch! Shinoda muss sich jetzt um seine Familie kümmern! Die sind doch extra nur wegen ihm hier angereist! Aus Agoura Hills. Los Angeles. Kalifornien. Ich fürchte, ich drehe gleich durch. Muss mich zwingend kontrollieren. Darf jetzt nicht ausklinken.

Mit böse hämmerndem Herzschlag drehe ich mich um. Langsam. Tief atmend. Mühsam beherrscht. Schenke dem Besonderen ein beruhigendes Lächeln. „Ist schon gut, Mike. Ich komme gleich wieder, okay?” Heftig schüttelt er seine schwarzen Stacheln. „Nein, nicht okay, Chaz! Absolut nicht okay! Du bist völlig außer dir! Was ist denn plötzlich los?” entgegnet er betroffen. Ich fasse es nicht, wie sicher der Hellseher sich ist, dass ich trotz meiner Behauptung nicht vorhabe zurückzukommen. Womit er zweifellos richtig liegt. „Fuck, Mike!” entfährt es mir ungeduldig, „Jetzt lass mich doch bitte einfach gehen!” Halbjapaner zuckt zusammen. Einen Moment lang sieht er mich gekränkt an. Aber er braucht nur einen Augenblick. Um meine grobe Abfuhr zu verdauen. „Nein... bitte geh nicht, Chester... Du hast versprochen, bei mir zu bleiben”, wendet er traurig ein, „Du wolltest doch meine Familie kennenlernen.” „Ich muss aber pissen, verdammt!” lüge ich entnervt. Nochmal schlage ich wiederholt auf die Klingel neben der Tür. Wahnsinnig aggressiv.

Shinoda studiert mich aufmerksam. Wie immer versucht er, hinter mein Geheimnis zu kommen. Notorisch. Ich kann nicht fassen, wie lange das dauert, bis mal jemand die Tür aufmacht. Stehe auf glühend heißen Kohlen da. Abwehrend weiche ich seinem konzentriert prüfenden Blick aus. Schließlich seufzt der Mitpatient. Schwer. „Es tut mir leid, Chester Bennington. Ich habe nicht gewusst, dass dich das überfordern würde. Ich dachte ehrlich, du würdest meine Familie mögen”, beteuert er traurig. Es bricht mir das Herz, dass er sich bei mir entschuldigt. Dazu besteht doch gar kein Anlass. Mikey muss sich nicht bei mir entschuldigen. Im Leben nicht. Knopfauge hat nie etwas falsch gemacht. Ich bin es doch, der hier mal wieder die total endbescheuerte Scheiße baut. Habe mich selbst in einen undurchschaubaren Irrgarten manövriert. Keine Ahnung, wie ich da wieder raus finden soll.

„Nein... warte... mir tut's leid...”, stottere ich bestürzt, „Es ist nur... dieser Kerl... der hat behauptet, dass du schon seit Monaten hier bist. Ich... kapiere das nicht, Mike... bedeutet das etwa, dass ich auch so lange hierbleiben muss...?” Mein Mund plappert so hastig, dass ich nicht mitkomme. Fürchte, dass es vielleicht wahr wird. Wenn ich es ausspreche. Will die Realität verhindern. Verdutzt starre ich mein Gegenüber an. Restlos verwirrt. Die Wahrheit ist sehr viel schneller draußen, als ich es realisieren kann. Mein Verstand hatte damit definitiv nichts zu tun. Ich habe dem Mann meine schlimmste Angst offenbart. Mich ihm höchst verletzlich gezeigt. Fühle mich entsetzlich nackt. Mike guckt mich seltsam an. Verdammt! Das hätte nie und nimmer passieren dürfen. Ich bin so erbärmlich! Unverzüglich sollte ich in den Park laufen. Mir schnellstens einen hohen Baum suchen. Mich an einem genügend stabilen Ast aufhängen. Ich würde einfach Shinodas Jeans um meinen Hals schlingen. Ist doch egal, ob ich in Unterhose sterbe. Noch mehr Erniedrigung ist sowieso nicht möglich.

Unwillkürlich sammelt sich peinliche Nässe in meinen Augen an. Auf einmal läuft sie an der Brille vorbei über mein Gesicht. Ohne dass ich sie aufhalten kann. War ja klar. Dass ich zu allem Überfluss auch noch heulen muss. Ich will die lästige Feuchtigkeit da im Moment unter keinen Umständen haben. Weinen macht mich nämlich noch viel kleiner. Noch elender. Alles verschwimmt vor mir. Ich kann den Besonderen nicht länger anschauen. Weiß seinen rätselhaften Blick nicht zu deuten. Das macht mich verrückt. Gestresst nehme ich meine Brille ab. Wische mir fahrig über die abwehrend geschlossenen Augen. Mein Finger zittern total doof. Einen ewigen Moment lang kämpfe ich mit beschissen jämmerlichen Tränen. Das tut verdammt weh. Meine Kehle schluchzt rau. Ich kann nicht atmen.

Dann legt sich plötzlich eine Hand sachte auf meinen schamvoll gesenkten Kopf. Zärtliche Finger fahren sanft über mein im Affekt viel zu kurzgeschnittenes Haar. „Ach, Chester...”, wispert Mikey liebevoll, „Ich weiß ehrlich nicht, wie lange ich schon hier bin. Aber es ist völlig egal, was Brad vorhin gesagt hat. Das hat rein gar nichts mit dir zu tun...” Die leisen Wörter legen sich wie eine sanfte Berührung über meine heftig schmerzende Seele. Lindern meine voreilig explodierte Panik. Unweigerlich fühle ich mich getröstet. Es ist ein ungewohnt gutes Gefühl. Wenn man trotz Blödheit ernst genommen wird. Wenn jemand zuhört. Das kenne ich nicht.

Weiß nicht genau, was jetzt passiert. Habe die Bügel der Brille in der linken Hand. Spiele automatisch damit herum. Halte mich an der Bewegung von Plastik und Glas fest. Mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand reibe ich über meine fest geschlossenen Lider. Schluchze und wische mühsam die letzten Tränen weg. Zum Glück werden es schon weniger. Meine enge Kehle weitet sich. Bin magisch beruhigt worden. Keine Ahnung, wie so etwas funktioniert. Oder warum ich Mikey sofort glaube. Seine unbewiesene Behauptung wird von mir nicht mal ansatzweise hinterfragt. Dieser einmalige Mensch kann definitiv zaubern. Mike Shinoda aus Agoura Hills ist zweifellos besonders. Der Kerl lässt mich nicht allein. Obwohl ich ihn ziemlich schlecht behandelt habe. Obwohl ich ihn hart von mir weggestoßen habe. Möglicherweise habe ich ausgerechnet in der geschlossenen Psychiatrie in Kalifornien jemanden gefunden. Der vielleicht zu mir gehört.

„Chazy... Chazy... Chaz...” Mike Shinoda singt meinen Namen. Seine vertraut harmonische Stimme ist voller Zuneigung. Dieser fremde Mann mag mich. Wahrhaftig. Es ist ihm egal, ob ich ein kranker Wichser bin. Als mir das plötzlich bewusst wird, durchströmt mich eine tröstliche Welle aus Zuversicht. Das Wohlbehagen fängt bei meinen Zehen an. Arbeitet sich langsam bis hinter die Stirn vor. Vorsichtig hebe ich den Kopf. Hoffe inständig, dass die angenehme Berührung nicht aufhört. Nur zögernd öffne ich die Augen. Einen Augenblick lang fürchte ich, das alles eventuell nur Einbildung ist. Der Typ vor mir sieht verschwommen aus. Ohne die dicken Gläser sehe ich ihn nur unscharf. Trotzdem ist seine gefühlte Präsenz in diesem Moment gigantisch. Was mich vollkommen niederstreckt. Zweifelsohne steht da jemand. Direkt vor mir. Behutsam streichelt er meinen Schädel. Unendlich sanft fahren die Finger über meine empfindliche Kopfhaut. Der Mann ist trotz Unschärfe wunderschön. Die braunen, verliebten Mandelaugen interessieren sich brennend für mich. Mikey will für mich da sein. Merkwürdig unbekanntes Nicht-allein-sein.

Unter der dicken Schicht aus Wut, Schmerz, Misstrauen, Angst und schlechten Erfahrungen keimt tief in mir etwas Neues auf. Die seltene Emotion kämpft sich rigoros durch das stürmische Chaos in mir. Es ist ein Hauch von Hoffnung.

 

15. You helped me to show me


Michael Kenji Shinoda

Vorsichtig werfe ich ihm einen Blick zu. Er sitzt direkt neben mir. Auf unserer Parkbank. Berührt mich aber nicht. Zwischen uns sind vielleicht zwei Inches frei. Er hat sich zurückgelehnt. Die langen Beine sind weit ausgestreckt. Gelangweilt schaukelt er seine Füße hin und her. Betrachtet nachdenklich seine blauen Chucks. Meine Augen wandern langsam über seine vertraute Gestalt. Mit jedem Atemzug werde ich von seiner Schönheit geblendet. Chester ist mir körperlich so nahe, dass ich verstärktes Herzklopfen davon kriege. Aber gleichzeitig befindet mein Mann sich meilenweit von mir entfernt. Es ist so verdammt schwer abzuschätzen, was gerade in ihm vorgeht. Äußerlich wirkt er gelassen. Doch ich habe ununterbrochen das besorgniserregende Gefühl, dass in Wahrheit tief in ihm drin ein zerstörerischer Sturm wütet. Die Dunkelheit lauert auf uns und droht ihn mir wegzunehmen.

„Wie war das für dich?” frage ich ihn leise. Räuspere mich nervös. Sein attraktiver Kopf mit den neuerdings mega kurzen Haaren wendet sich mir zu. Erstaunlich ruhig schaut er mich an. „Wie war was für mich?” erkundigt er sich verwirrt. Ich möchte mal wissen, was in seinem hübschen Kopf vorgeht. Worüber denkt der Sänger so angestrengt nach? Was lenkt ihn derart ab? Ob er sich noch immer Sorgen über die Dauer seines Aufenthaltes hier macht? „Na ja, das Treffen mit meinen Eltern natürlich”, erkläre ich verständnislos. Denn schließlich ist dieses Ereignis doch das große Thema des Tages. Zumindest für mich.

Unverändert kreisen meine Gedanken um den aufregenden Besuch. Erst vor einer viertel Stunde haben wir meine Familie an der Begrenzung zum großen Tor verabschiedet. Die mit Spannung erwartete Begegnung ist viel besser gelaufen, als ich befürchtet habe. Im Endeffekt fand ich es richtig schön. Mom, Dad und Jay wiederzusehen war toll. Ich habe mich ihnen sofort verbunden gefühlt. Fast so, als wäre nie etwas passiert. Außerdem waren sie sehr freundlich zu Chester. Nach der seltsamen Begrüßung sind wir gemütlich durch den Park spaziert. Haben uns dabei angeregt unterhalten. Okay, meine Mom hat mit Abstand am meisten geredet. Aber das war schon gut und richtig so. Ich glaube, sie mögen Bennington. Alle Drei. Wirklich. Sie haben nicht eine einzige blöde Bemerkung gemacht.

„Deine Familie ist nett”, räumt Chester achselzuckend ein. Wirkt aber frustrierend desinteressiert. „War das blöd für dich?” frage ich schüchtern. Das Lächeln, das daraufhin in seinem zarten Gesicht erscheint, lässt mein Herz noch schneller schlagen. Es drängt mich ihn anzufassen. Aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt. „Du bist echt süß, Mikey”, seufzt Chester hingerissen, „Du machst dir immer so viele Gedanken um mich.” Sanft schlägt er mir auf die Schulter. Nimmt seine Hand sofort wieder weg. Das bedauere ich. Möchte gerne von ihm gestreichelt werden. „Jetzt mach dir mal keine Sorgen, hör mal! Das war nicht blöd für mich. Deine Familie ist toll. Dein Bruder ist total witzig...”, beteuert er. „Hat dich das nicht genervt, dass Jay dich dauernd über deine Tattoos ausgefragt hat?” wende ich zaghaft ein. Belustigt schüttelt Chester den Kopf. „Warum sollte mich das nerven, Mike? Jason mag meine Tattoos. Dann spreche ich gerne darüber. Dein kleiner Bruder ist cool. Und deine Mom...”

Chaz gerät ins Stocken. Verunsichert bricht er ab. Sucht wohl nach dem richtigen Wort. Um meine Mutter zu beschreiben. Weil ihm nichts Passendes einfällt, sieht er mich vielsagend an. Das kann ich ja so was von nachvollziehen. „Ja, meine Mom”, grinse ich amüsiert. In Wahrheit bin ich ihr dankbar. Weil sie zuverlässig dafür gesorgt hat, dass während unseres Spaziergangs durch den Park keine peinliche Stille aufkommen konnte. Darin ist sie richtig gut. „Donna ist schon okay”, meint Chester friedlich, „Wenigstens sind wir jetzt gründlich darüber informiert, was in den letzten Wochen alles in Agoura Hills und dem Rest der Welt passiert ist.”

Bei der Erinnerung an den allzu weit ausholenden Redeschwall meiner Mutter prusten wir abrupt gemeinschaftlich los. Belustigt blinzeln wir uns an. Ziehen alberne Grimassen. Das ist fantastisch. Lachen mit Chester fühlt sich erstaunlich gut an. So etwas habe ich nie zuvor erlebt. Der Sänger aus Phoenix sieht ungewohnt glücklich aus, wenn er lacht. Davon wird mir ganz warm. Fasziniert betrachte ich den wunderschönen Kerl. Wenn Mister Bennington lacht, dann geht definitiv die Sonne auf. Es scheint warm und hell zu werden. Seine braunen Augen hinter der Brille, die sonst oft so unergründlich scheinen, fangen beim Lachen an zu glitzern. Tausend funkelnde Sterne tauchen da in seinen schwarzen Pupillen auf.

Mein unwillkürlich staunender Blick verunsichert ihn. Schon nach kurzer Zeit hört er auf zu lachen. Das Funkeln verblasst schnell. Nach einer Weile wendet er sich verlegen ab. Betrachtet wieder seine weit ausgestreckten Füße. Die unermüdlich hin und her schaukeln. „Dein Dad scheint dagegen die Ruhe in Person zu sein”, hat der Mitpatient richtig festgestellt. „Weißt du, was seltsam ist?” greife ich das Thema auf. Chester schüttelt verstimmt den Kopf. „Sag mir lieber mal, was nicht seltsam ist”, murmelt er frustriert.

Ihm geht was im Kopf herum, was ihn total ablenkt. Das macht ihm zu schaffen. Seine Gedanken deprimieren ihn. Haben sein vorheriges Lachen schlagartig überrannt. Innerhalb von Sekunden scheint seine Heiterkeit vergessen. Chesters Grübeleien beunruhigen mich mehr, als sie wahrscheinlich sollten. Ich mache mir Sorgen um meinen Mann. Schon den ganzen Tag lang. Seit er zum Frühstück in den Speisesaal kam. Aber ich übergehe die Anzeichen seiner Frustration. Weil ich nicht weiß, wie ich darauf reagieren soll. Er mag es nicht, wenn ich ihn darauf anspreche. Meistens wird er dann nur wütend auf mich. Also halte ich mich zurück.

„Wenn mein Dad so richtig sauer ist, dann wird er noch ruhiger”, berichte ich dem Sänger. Denke automatisch an meinen fantastischen Vater. Mit seiner unleugbar japanischen Abstammung hat er es in den USA nicht immer leicht gehabt. Früher musste er ziemlich schlimme Zeiten durchmachen. Besonders direkt nach dem Angriff auf Pearl Harbour wurde er böse diskriminiert und wie ein Verbrecher behandelt. Seine Familie wurde als Sicherheitsrisiko eingestuft und in ein Internierungslager eingesperrt, wo meine Tante sogar gestorben ist. Aber mein Dad hat sich nie unterkriegen lassen. Vor Muto und seinem Zweig meiner Familie hatte ich schon immer enorm viel Respekt.

„Woher weißt du dann, dass er so richtig sauer ist, wenn er gar nichts sagt?” will Chester aufhorchend wissen. Seine Augen erforschen misstrauisch mein Gesicht. Als könnte er sich gar nicht vorstellen, dass jemand mit Stille auf Wut reagiert. „Man sieht es in seinen Augen, wenn er kurz vorm Explodieren steht”, erkläre ich lächelnd, „Er hat dann diese bedrohliche Ruhe.” „Wow, da braucht man wohl telepathische Fähigkeiten”, meint Bennington amüsiert. „Muto hat sich immer bemerkenswert im Griff. Letztendlich explodiert er nie. Ich habe meinen Dad noch nie schreien gehört”, betone ich nicht ohne Stolz. Chester stößt ein kurzes, hartes Lachen aus. „Dafür kann mein Dad umso besser schreien”, bemerkt er voller Hohn, „Das hat Lee Russell auf der Polizeischule gelernt.”

Überraschend schnell zieht Chaz seine langen Beine ein. Richtet sich auf der Bank auf. Bis er aufrecht sitzt. Zackig streckt er den linken Arm aus. Mit einer imaginären Waffe, die er aus seinen Fingern formt, zielt er auf einen unsichtbaren Feind. „Stehenbleiben! Hände hinter den Kopf! Auf die Knie!” brüllt der Sänger voller Inbrunst, „Bleib stehen, Motherfucker, oder ich knall dich ab!” Chesters schöne Stimme dröhnt unangenehm laut. Der Sänger schreit einschüchternd aggressiv. Gebärdet sich restlos autoritär. Als ich ihn verschreckt ansehe, lacht er spöttisch. Verdreht neckisch die Augen. Ich glaube, der Arizona-Boy möchte witzig sein. Er versucht, einen Witz zu machen. Wie es seine Art ist. Funktioniert aber diesmal nicht. Weil wir beide wissen, dass es mit Sicherheit nicht lustig ist, wenn sein Daddy schreit. Bestimmt ist Chester von seinem Vater schon oft angeschrien worden, vermute ich traurig. Vielleicht hat Officer Bennington seine harten Polizeimethoden auch bei seinem Sohn angewandt.

Voller Mitgefühl wandern meine Augen über Chazys wunderschönes Gesicht. Der Patient kichert. Eine Mischung aus süßer Verlegenheit und hämischem Spott. Als er merkt, dass sein Gebrüll mich nicht amüsiert, stöhnt er frustriert auf. Weicht meinem Blick aus. Unbehaglich bewegt er sich. Neben mir auf der Bank. Er zieht den Arm mit der imaginären Waffe ein. Rutscht nervös auf der unbequemen Sitzfläche herum. Lehnt sich zurück. Reibt vor seinem Bauch ruhelos die Finger aneinander. Seine Verfassung betrübt mich. Ich möchte nicht, dass mein geliebter Mann sich unwohl fühlt. Erst recht nicht in meiner Gesellschaft. Schon wieder beschleicht mich das ungute Gefühl, dass es vielleicht meine Schuld sein könnte, dass Chester heute so mies drauf ist. Wenigstens eine Mitschuld schreibe ich mir zu.

Schon seit heute Morgen geht es ihm schlecht. Als er im Speisesaal seinen ungenehmigten Auftritt hinlegte, war mein Mann enorm wütend. Mit dem Besuch meiner Eltern hat sich seine Stimmung nicht mal ansatzweise gebessert. Eher scheint das Gegenteil passiert zu sein. Seit wir wieder allein sind, wirkt Chester zusätzlich deprimiert. Als hätte die Gegenwart meiner Familie ihn bedrückt. Obwohl er die ganze Zeit einnehmend charmant zu ihnen war. Der seltsame Kerl tut einfach so, als wäre gar nichts. Er vermittelt den Eindruck, als wäre alles wunderbar in Ordnung. Das kann Bennington erstaunlich gut. Womöglich übt er seine gelassene Fassade schon seit Jahren. Die meisten Menschen merken ihm wahrscheinlich nichts dergleichen an. Aber ich spüre es eben. In jeder Faser meines Seins bin ich alarmiert. So eindeutig spüre ich Chesters innere Qual, als gäbe es konkrete Beweise dafür. Habe das Gefühl, ihn mittlerweile viel besser zu kennen als jeder andere.

Ich weiß ja, dass es nicht an mir liegt, wie er drauf ist. Chester hat mir heute Morgen deutlich genug gemacht, dass ich nicht alles auf mich beziehen darf, was er so tut oder singt. Als ich ihm meine Sorgen wegen seiner abgeschnittenen Haare und dem Song Spin anvertraut habe, war er voller Geringschätzung und Spott. Aber als Doktor Doyle vorhin über die Dauer meines Aufenthalts hier gesprochen hat, da hat der Arizona-Boy ganz genauso reagiert wie ich. Er hat die lockere Bemerkung von Brad augenblicklich auf sich selbst bezogen. Chaz ist deswegen regelrecht in Panik geraten und einfach überstürzt weggerannt. Das hat mich ganz schön erschreckt. Und irgendwie auch gerührt. Seine spürbare Angst und Hilflosigkeit berührten mich. Ziemlich stark. In diesem Moment hatte ich nur noch Augen für Chester. Habe sogar meine Familie für ihn stehengelassen. Bin impulsiv dem verstörten Kerl nachgelaufen. Der Patient hat sogar geweint. Und ich habe seine verzweifelten Tränen getrocknet.

Von seiner Aggressivität habe ich mich nicht abweisen lassen. Würde das immer wieder so machen. Genau so. Ich will für Chester da sein. Pausenlos. Denn ich spüre, dass der Mann aus Phoenix mich dringend braucht. Der neue Mitpatient ist einsam. Hier in der Psychiatrie fühlt er sich verloren. Aber er will nicht allein sein. Will nicht ignoriert werden. Das hat er mir schon anvertraut. Ich werde ihn niemals ignorieren. Außerdem ist es ein verdammt schönes Gefühl, sich um einen Menschen zu kümmern. Von Jemandem gebraucht zu werden ist fantastisch. Obwohl es gleichzeitig verdammt viele Sorgen bedeutet. Aber Chester Bennington ist jede Besorgnis wert. So habe ich nie zuvor empfunden. Mit Chazy ist alles neu.

„Sag mal, Chaz, hast du eigentlich noch Kontakt zu deinen Eltern? Oder deinen Geschwistern?” taste ich mich vorsichtig an ihn heran. Ich möchte herausfinden, aus welchem Grund ihn die letzte halbe Stunde deprimiert haben könnte. Konzentriert beobachte ich sein Gesicht. Es wirkt angespannt. Zu meinem Verdruss werden Chesters dunkle Augen enge Schlitze. Er zieht die Brauen zusammen. Voller Argwohn belauert er mich. „Na klar!” behauptet er eine Spur zu laut, „Was denkst du denn von mir, Mike? Das ist... meine Familie, Mann!” Seine heftige Reaktion verrät mir, wie brisant das Thema für ihn ist. Der Sänger klingt vorwurfsvoll. Meine Vermutung, dass er ohne die Hilfe seiner Verwandten klarkommen muss, ärgert ihn.

Warum habe ich das Gefühl, dass Chester sich den Kontakt zu seiner Familie nur wünscht? Er betont es so energisch, dass ich an seiner Behauptung zweifele. Aber ich mag nicht weiter nachhaken. Seine Augen warnen mich, nicht zu weit zu gehen. Chester möchte nicht über seine Familie sprechen. Das ist offensichtlich. Auch über seinen Dad darf ich ihn nichts fragen. Obwohl mir da viel auf der Seele brennt. Aber ich lasse das lieber sein. Weil ich nicht will, dass der Typ sich noch unwohler fühlt. Will ihn nicht unnötig provozieren. Alles in mir sehnt sich nach Harmonie.

Wie ferngelenkt bewegt sich meine Hand zu seinem Arm hin. Meine Finger berühren den Teil des Koi-Karpfens, den das T-Shirt nicht verdeckt. Sanft male ich die bunten Linien des Tattoos nach. Chester sieht mich herausfordernd an. Zu meiner Freude zieht er seinen Arm nicht weg. Meine hilflose Berührung lässt er zu. Scheint es sogar zu mögen, wie beschwichtigend ich über die tätowierte Haut streichele. Seine aggressive Hampelei auf der Bank verringert sich. Fast unmerklich. Ich glaube, meine Zärtlichkeit beruhigt ihn. Das ist echt faszinierend. Zaghaft lächele ich ihn an. In seinen braunen Augen ist so viel Schmerz, dass ich es kaum ertrage ihn länger anzusehen. Weil es mir wehtut, wie sehr er leidet. Ich wünschte, ich könnte ihm den Schmerz wegnehmen.

„Chester”, flüstere ich verzweifelt, „Bitte sag mir doch, was...” Augenblicklich wendet der Kerl sich ab. Sein Gesicht verschließt sich. Seine Ablehnung ist so drastisch, dass ich enttäuscht verstumme. Chaz dreht abwehrend den Kopf weg. Lehnt sich weit zurück. Starrt trotzig nach oben. Richtung Himmel. Als würde er angestrengt die Wolken betrachten. Sein Arm zuckt unwillig von meinen streichelnden Fingern weg. Also ziehe ich betrübt meine Hand ein. Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll. Keine Ahnung, wie ich ihn erreichen kann.

Ratlos schweift mein Blick durch die nähere Umgebung. Es ist ein schöner Tag gewesen. Der ereignisreiche Nachmittag neigt sich dem Ende zu. Die Sonne steht schon tief am Himmel. Die Vögel um uns herum in den Bäumen geben ein laut zwitscherndes Abendkonzert. Grillen fangen an zu zirpen. Wir sitzen ganz allein auf unserer Bank. Ungestört. Ich will unbedingt, dass Chester zu mir zurückkommt. Ich möchte ihm so nah wie möglich sein. Aber es scheint, als könnte ich ihn in seinem Irrgarten nicht finden. Das frustriert mich total. Fieberhaft suche ich nach einem Gesprächsthema, das die Atmosphäre zwischen uns verbessern könnte. Ich will Chester dringend aufmuntern. Aber mir will partout nichts einfallen.

Eine Weile herrscht angespannte Stille. Ich kann es spüren, als er den Kopf senkt und mich wieder ansieht. Plötzlich legt sich seine Hand auf meine Wange. Die Handfläche wölbt sich behutsam um meinen Kiefer. Zärtliche Finger kraulen sanft durch meinen Bart. „Es ist schon gut, Mikey”, versichert Chester mir ganz leise, „Ist doch okay.” Ich fasse es nicht, dass Bennington mich trösten will. Er. Mich. Das kann ja wohl nicht wahr sein! Seine Liebenswürdigkeit erschlägt mich. Kurzentschlossen drehe ich mich in seine Richtung. Ich bewege meinen Körper so schwungvoll, dass meine Knie hart gegen seine stoßen. Mein Kopf wendet sich ihm zu. Seine Hand gleitet dabei von meiner Wange. Chester lässt seinen Arm langsam sinken. Fixiert mich verblüfft. Sichtbar gespannt wartet er ab, was ich jetzt vorhabe. Ein erwartungsvolles Lächeln umspielt seine schmalen Lippen. Der Patient liebt es, wenn ich ihn überrasche.

„Was wünscht du dir am allermeisten?” frage ich ihn spontan. Unverändert bin ich bemüht darum, ihn aus seiner inneren Dunkelheit zu holen. „Was meinst du?” erwidert der Sänger verdutzt. „Na, was wünscht du dir, Chaz? Wovon träumst du? Was willst du in deinem Leben liebend gerne erreichen?” erläutere ich ungeduldig. Höchst interessiert warte ich auf seine Antwort. Der Brillenträger überlegt nicht lange. Seine Antwort kommt überraschend impulsiv. „Einen Wikipedia-Eintrag über mich?” spottet der freche Kerl. Belustigt. Chester will lustig sein. Er macht schon wieder Witze. Denn ich glaube nicht, dass er auf so etwas wirklich wert legt. Was hätte er denn auch davon?

Aber Chester lacht. Mein Mann ist albern. Sein schlanker Körper fängt an, ausgelassen auf der Bank herumzuhampeln. Mein irritierter Gesichtsausdruck amüsiert ihn ungemein. Es freut mich, dass mein intuitiv gewähltes Thema direkt so gut bei ihm ankommt. Sein vertrautes Lachen strömt wohlig warm durch meine Eingeweide. Gierig nehme ich es in mich auf. Sein schönes Gesicht erhellt sich. Nach Chester Benningtons Lachen bin ich definitiv süchtig.

„Also ich möchte gerne irgendwann einmal mit Xero auf Tour gehen. Ich stelle es mir fantastisch vor, mit den Jungs quer durch Amerika zu reisen”, verrate ich ihm sehnsuchtsvoll, ohne auf seinen Wikipedia-Witz einzugehen, „Ich will mit der Band überall im Land spielen und nebenbei unbedingt alle Bundesstaaten kennenlernen.” „Kennst du die Staaten denn noch nicht?” will Chester eher unbeeindruckt wissen. Stutzig geworden schüttele ich den Kopf. „Nein. Du etwa?” Forschend betrachte ich ihn. Hätte nicht gedacht, dass mein Mann schon mal aus Phoenix herausgekommen ist. Immerhin ist er ja erst so jung wie ich. Und ich kenne gerade mal einen Bruchteil von Kalifornien. Tatsächlich habe ich vermutet, dass Kalifornien Chesters erster Staat außerhalb von Arizona wäre. Aber Chester belehrt mich sofort eines Besseren. „Na ja, nicht alle...”, schränkt er ein, „Aber so ziemlich.”

Es macht mich verrückt, als er nicht weiterspricht. Sondern mich nur geheimnisvoll angrinst. „Du warst schon in fast allen Bundesstaaten?” hake ich entgeistert nach. Meine Fassungslosigkeit amüsiert ihn noch mehr. „Ja, das hat sich so ergeben”, grient er ziemlich großspurig. Ärgerlich schlage ich ihn gegen den Oberarm. Woraufhin er theatralisch aufstöhnt. Sich die getroffene Stelle reibt. Mit übertrieben schmerzverzerrtem Gesicht. Als hätte ich ihn zu feste geschlagen. Dabei war das höchstens ein freundschaftlicher Klaps. „Ach komm, Chester, du verarschst mich doch nur!” beschwere ich mich ärgerlich. Seine glitzernden Augen paralysieren mich. Am liebsten möchte ich ihn küssen. „Nein, Mikey, das ist wahr”, beteuert er. „Wieso denn? Wie kann das denn sein?” will ich neugierig wissen. Frage mich irritiert, ob seine Eltern vielleicht doch mehr Geld haben, als er zugegeben hat. Sodass die Familie Bennington in ganz Amerika Urlaub machen konnte. Aber nein, denke ich dann, sie konnten Chester ja noch nicht mal ein Studium bezahlen. Oder wollten sie das nur nicht? Legen seine Eltern etwa keinen Wert auf seine Ausbildung?

Chester liefert mir eine ganz andere Erklärung. „Früher in der Schule habe ich Theater gespielt”, eröffnet er mir leise. „Du bist mit der Theatergruppe auf Tournee gegangen?” frage ich verblüfft. Chester schüttelt zögernd den Kopf. „Nein, nicht wirklich. Wir wurden von anderen Schulen eingeladen. Haben an Wettbewerben teilgenommen und so was. Wir haben in Schulaulas im ganzen Land gespielt.” Seine Bescheidenheit ist so niedlich, dass ich mich zurückhalten muss, um ihn nicht gerührt an mich zu drücken. „Was war das für eine Gruppe?” interessiert mich. Während er antwortet, betrachtet Chester gedankenversunken seine Schuhe. Sein Oberkörper beugt sich nach vorne. Damit er die Chucks besser sieht.

„Auf der Greenway High School war ich in der Thespian Troupe Nr. 3297. Da waren hunderte Schüler beteiligt”, berichtet der Sänger ruhig. Versonnen lächelt er vor sich hin. Offenbar hat ihm das Theaterspielen früher Spaß gemacht. Was mich wahnsinnig für ihn freut. Ich mag es, wenn Chester sich an etwas Angenehmes erinnert. Unwillkürlich scheint es ihm besser zu gehen. „Wow!” entfährt es mir beeindruckt. „Mann, das war nur Schultheater, Mike! Jede High School in den USA hat doch eine scheiß Theater-AG. Ich war ein dürrer Teenager. Mit riesigen Brillengläsern”, bremst der Sänger augenblicklich meine Begeisterung. Seine Zurückhaltung ist total süß. „Du warst bestimmt ganz fantastisch auf der Bühne, Chaz. Mit deiner Power kann das gar nicht anders sein”, betone ich überzeugt. Chester lacht amüsiert. Verschmitzt sieht er mich an. „Na ja, sechs Arme hatte ich damals noch nicht”, bemerkt er spöttisch.

Wie von selbst legt sich meine Hand auf seinen Rücken. Meine Finger streicheln über das weiche T-Shirt. Genau zwischen seinen Schulterblättern. In Höhe des seltsamen Tattoos. „Du hattest die sechs Arme schon immer in dir, Chester Bennington”, flüstere ich angetan. Muss ihm das immer wieder klarmachen. So oft, bis er es versteht. Behalte meinen Mann genau im Blick. Es kann sein, dass Chester ein bisschen rot wird. Ich glaube, mein Kompliment freut ihn. Seine Wangen färben sich leicht rosa. Das ist so niedlich, dass ich ihn auf der Stelle küssen will. Aber ich halte mich zurück. Verschlinge ihn nur mit meinen Augen. Meine Seele frohlockt bei seinem zauberhaften Anblick. Chester Bennington ist wunderschön. Sein Gesicht ist so exakt gezeichnet. Ich liebe diese dunkelbraunen Augen. Die große, spitze Nase. Den tollen Mund. Da ist kein einziger, brünetter Bartstoppel mehr zu finden. Chesters Haut hat eine helle Farbe. Sie ist total rein. Überall herrlich glatt. Dringend möchte ich ihn berühren. Über dem T-Shirt streichele ich hingebungsvoll seinen Rücken.

„Was für Theaterstücke habt ihr aufgeführt?” erkundige ich mich lächelnd. Chester macht eine abfällige Handbewegung. „Ach, was man in der High School halt so macht”, antwortet er lapidar, „Ziemlich viel Klassisches. Shakespeare und so.” Meine Hand wandert wie ferngelenkt an seinem Rücken hinauf. Ich sehne mich nach seiner nackten Haut. Als ich vorsichtig Chesters Nacken umfasse, macht mein Herz einen aufgeregten Sprung. Zärtlich streicheln meine Finger über seinen warmen Körper. Erfühlen behutsam die Knochen seiner Wirbelsäule. Chester zieht kichernd die Schultern hoch. Erschaudert leise gurrend. Das erregt mich.

„Ich hätte dich zu gerne mal als Hamlet, Othello, König Lear oder Macbeth gesehen”, hauche ich. Völlig hingerissen von dem Gefühl seiner weichen, samtigen Haut. Die kleinen Härchen an seinem Nacken faszinieren mich. „Ey, ich habe fast nie die Hauptrolle gekriegt”, winkt der Sänger ab, „Dazu war ich als Teenager viel zu wenig imposant. Mit meinen knapp 115 Pfund war ich der reinste Schwächling.” „Na und? Du hättest einen überragenden Hamlet gespielt!” widerspreche ich überzeugt. Chester lacht spöttisch.

Plötzlich springt er von der Bank auf. Meine Hand rutscht dabei zwangsläufig von seinem warmen Nacken. Was ich sofort bedauere. Der Mitpatient baut sich direkt vor mir auf. Seine braunen Augen hinter der Brille blitzen tatendurstig. Mit übertriebenen Gesten fängt er an für mich Theater zu spielen. Sein sehniger, schlanker Körper bewegt sich temperamentvoll auf der Wiese.

„Schwachheit, dein Name ist Weib! Es ist nicht, und es wird auch nimmer gut! Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage! Der Rest ist Schweigen!” zitiert er übermütig. Berühmte Worte aus Hamlet. Es beeindruckt mich, dass er diese vielen Zitate noch immer auswendig kennt. Bennington ist offenbar herausragend im Behalten von Texten. Ich ahne, wie gut er auch schauspielern kann. Seine physische und psychische Präsenz ist schon hier vor der Bank bemerkenswert. Auf einer Bühne würde das noch besser wirken, denke ich voller Stolz auf ihn. Obwohl mein energiegeladener Mann jetzt gerade hauptsächlich herumalbert. Und mich damit unwillkürlich zum Lachen reizt. „Chester!” rufe ich bremsend. Über seine ungestüme Wildheit schüttele ich kichernd den Kopf. „Denn an sich ist nichts weder gut noch schlimm. Das Denken macht es erst dazu”, zitiert der Sänger aus Hamlet. Sieht mich dabei bedeutungsvoll an. Sodass diese Worte mich tiefer berühren, als ich erwartet habe. Bevor mir eine Erwiderung darauf einfällt, wechselt Chester zum Kaufmann von Venedig. „Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?” schmettert der Sänger mit eindringlicher Inbrunst.

„Chester, das ist...”, keuche ich atemlos. Weil seine Weisheiten mich nicht kaltlassen. Plötzlich schwanke ich zwischen Amüsement und Ergriffenheit. Mein Herz fängt ein schnelles Klopfen an. Starr sitze ich auf der Bank. Betrachte den seltsamen Kerl. Unweigerlich fasziniert. Ich sehe die tosende Wut in seinen Augen. Vermischt mit Spott und Übermut. Dieser Mann platzt nahezu vor Gefühlen. „Der Narben lacht, wer Wunden nie gefühlt. Und Liebe wagt, was Liebe irgend kann”, zitiert mein Mann auch noch aus Romeo und Julia. Das gibt mir wirklich den Rest. Verwirrt starre ich ihn an. Ich bin nicht sicher, wie viele ergreifende Zitate ich noch hören will. Wie viel davon ich noch ertragen kann. Wenn Chester von Liebe spricht, wird es seltsam.

Aber noch mehr kluge Worte bleiben mir erspart. Chester verstummt. Jäh. Beendet seine maßlos übertriebene Schauspielkunst. Auf einmal steht er nur noch ruhig vor mir. Sein Atem geht tief. Der Künstler hat sich angestrengt. Für mich. Das macht der immer so. Auf einer Bühne gibt er alles. Auch wenn sie nur imaginär ist. „Das ist wunderbar. Du kannst das richtig gut”, versichere ich ihm. Bin echt gerührt. Chester wirft den Kopf zurück und lacht. Noch immer ist er voller Hohn. „Ach, komm, Mikey! Das ist ewig her!” winkt er ungehalten ab, „Außerdem ist der Scheiß über 300 Jahre alt!” „Aber die Zitate von Shakespeare sind zeitlos”, finde ich, „Du bist wirklich fantastisch im Rezitieren, Chaz.” Sein spöttisches Lachen wird noch lauter. Abwehrend schüttelt er sich. Höhnische Verzweiflung vermischt sich mit seiner Belustigung. Er kann diese Komplimente nicht annehmen. Das bricht mir das Herz.

„Doch! Ehrlich! Du bist toll, Chester Bennington!” beschwöre ich ihn. Hastig strecke ich meine Hände nach ihm aus. Ich möchte, dass er zu mir auf die Bank kommt. Sofort. Ich will diesem Menschen dringend nah sein. Habe das starke Bedürfnis ihn zu trösten. Denn ich weiß mit absoluter Sicherheit, dass es dem Patienten trotz seiner stürmischen Albernheiten nicht gut geht. Wenn ich doch nur wüsste, was passiert ist! Es kränkt mich, dass er sich mir nicht anvertraut.

Chester steht unschlüssig dort. Misstrauisch betrachtet er meine einladenden Hände. Sein attraktiver Körper fängt abermals damit an, sich in aufkommender Nervosität zu bewegen. Seine blauen Chucks treten aggressiv auf der Wiese herum. Die Arme schlenkern um seinen Leib. Unruhig reibt er über seine Oberschenkel. „Chester...”, flüsterte ich hilflos. Mein Mann antwortet nicht. Das Schweigen zwischen uns wird ziemlich schnell blöd. Ich verstehe nicht, warum er mein Angebot nicht annimmt. Bennington lässt mich voll auflaufen. Der Sturkopf rührt sich nicht vom Fleck.

Nach einiger Zeit muss ich einsehen, dass er nicht zu mir auf die Bank kommen wird. Der Typ will meine Hände nicht ergreifen. Beschämt und enttäuscht ziehe ich die Arme wieder ein. Ratlos sitze ich auf den harten Holzstreben. Mein Blick liegt fragend auf dem gut aussehenden Kerl. Versuche verzweifelt herauszufinden, was in ihm vorgeht. Aber ich habe nicht die geringste Chance. Sein hübsches Gesicht ist eine unüberwindbare Mauer. Seine Miene völlig undurchdringlich.

„Hast du auch schon mal Theater gespielt, Mike?” fragt er plötzlich. Ich bin heilfroh, dass er die angespannte Stille beendet. Mein Lächeln ist sanft. Nur ein bisschen gespielt. „Na klar, Mann. Das macht doch wohl jeder in der Schule. Wir haben mal ein Weihnachtsstück aufgeführt. Ich war eins der Schafe”, erzähle ich ihm in der bewussten Absicht ihn aufzumuntern. Chester enttäuscht mich nicht. Zu meiner Genugtuung reagiert mein Mann genauso, wie ich es erhofft habe. Chazys prustende Belustigung fährt mir augenblicklich angenehm warm quer durch den ganzen Leib. Genau das habe ich beabsichtigt. Mit einem Glücksgefühl beobachte ich sein jäh explodierendes Amüsement. Wow, der Typ ist einfach bezaubernd, wenn er lacht. „Du warst eins der Schafe?!” wiederholt Chester fassungslos. Laut lachend japst er nach Luft. Ich nicke. Spüre, dass ich vor Verlegenheit rot werde. „Na ja. Ich war nicht besonders talentiert”, gestehe ich.

Zwei Sekunden später sitzt der Sänger plötzlich neben mir. Er bewegt sich so schnell, dass ich völlig verdutzt bin. Der Kerl setzt sich so dicht neben mich auf die Bank, dass sein Oberschenkel an meinen drückt. Da bleibt kein Inch mehr frei zwischen uns. Ich spüre seinen Schenkel überdeutlich. Fühle seine Körperwärme. Sofort will ich mehr davon. Mein Blick legt sich fragend auf sein wunderschönes Gesicht. In den braunen Augen forsche ich unweigerlich nach Antworten. Bennington schaut mich eindringlich an. „Von wegen kein Talent!” tadelt er mich vorwurfsvoll, „Hör doch auf, Mike Shinoda! Du warst das beste Schaf, das jemals auf einer Bühne stand. Du hast fantastisch gespielt, Mikey. Das kannst du nämlich richtig gut. Du bist ein ganz herausragender Schauspieler. Das geht gar nicht anders.” Strafend stupst er mich gegen die Schulter. Verdreht geringschätzig die Augen. Wackelt mit dem Kopf. Als würde er es bitterernst meinen.

Ich weiß, dass Chester mich nur neckt. Mein Mann ist witzig. Er liebt seine nervösen Albernheiten. Aber da ist etwas in seinen Augen, das mich stutzig macht. Ein höchst provokatives Funkeln. Das verunsichert mich. „Du bist schon immer ein wahnsinnig guter Performer gewesen, Mister Shinoda”, macht der Patient mir klar. Seine Stimme klingt herausfordernd. Nachdenklich betrachte ich ihn. Mir kommt der Verdacht, dass Chester mir gerade auf seine eigene Art etwas ganz anderes sagen will. Vielleicht nervt es ihn, wenn ich seine Talente immer so stark betone, überlege ich kleinlaut. Meine ständige Schwärmerei für seine Person ist ihm womöglich zu viel. Scheinbar soll ich mich in meinem glühenden Enthusiasmus ein wenig zurückhalten. Ich weiß doch gar nicht, wie Chester sich früher beim Schultheater angestellt hat. Bin nur automatisch davon ausgegangen, dass er fantastisch gewesen sein muss. Meine neuen Überlegungen kratzen an meinem Gewissen. Auch wenn ich nicht verstehe, was Chester daran stören könnte. Ich dachte immer, meine zahlreichen Komplimente würden ihn freuen. Aber scheinbar kann er in Wahrheit gar nicht so gut damit umgehen.

„Nicht wahr?” neckt Chester mich ungeduldig, stößt nochmal gegen meine Schulter, „Stimmt doch, oder? Du bist ein braves Schaf gewesen. Du hast das ganze Stück gerockt, Mikey!” „Na ja, wenn ich meinen Text hätte rappen dürfen, dann wäre ich vielleicht gut gewesen”, erwidere ich impulsiv. Chester reißt überrascht die Augen auf. Grinst mich belustigt an. Im nächsten Moment lacht er laut heraus. „Fuck, du bist so geil, Shinoda!” ruft er anerkennend. Boxt mich ein paarmal begeistert gegen die Brust. Sodass ich ihm stöhnend ausweichen muss. Der Kerl liebt es total, wenn ich etwas Überraschendes sage. „Du hattest ernsthaft Text als Schaf?” erkundigt er sich zweifelnd, „Was hat das Schaf denn gesagt?” Seine Stimme trieft vor Sarkasmus. Chester ist richtig ausgelassen. Sein Schenkel reibt gegen meinen. Weil sich sein Körper ruhelos auf der Bank bewegt. „Nein... ich weiß nicht mehr...”, lache ich verlegen. Kann mich tatsächlich nicht erinnern. Beim Schultheater war ich fast immer die kleinste Nummer. „Jedenfalls bist du als Rapper das reinste Dynamit!” stellt Chester energisch klar, „Da hast du recht, Mikey. Du wärst ein wahnsinns Rap-Schaf gewesen.” Seine eigenen Worte amüsieren ihn. Es geht mal wieder mit ihm durch.

Eine Weile stößt und stupst der Sänger mich. Hartnäckig weiche ich ihm aus. Fange zwangsläufig an mich zu wehren. Schließlich kämpfen wir miteinander. Auf der Bank sitzend. Zwei Typen rangeln albern miteinander herum. Er neckt mich immerzu. Sticht mir seine Finger in den Leib. Das kenne ich schon von ihm. Stupsen macht ihm riesigen Spaß. Das ist irgendwie lästig. Aber es ist auch ein ziemlich geiles Spiel. Das inzwischen große Lust auf mehr macht. Ich genieße sein Lachen und seine körperliche Nähe unglaublich. Chester liebt es, mich ausgiebig zu knuffen und zu necken.

Während wir miteinander kämpfen und unsere Körper gegeneinander bewegen, steht auch mein Kopf nicht still. Ich muss mich in Zukunft mehr zurückhalten, nehme ich mir schuldbewusst vor. Ich darf nicht immer so übertrieben von ihm schwärmen. Schließlich ist er auch nur ein Mensch. Ich sollte ihn nicht pausenlos in den Himmel erheben. Vermutlich findet er das ziemlich nervig. Obwohl ich doch alle meine Komplimente ehrlich meine.

Irgendwann hört Chester auf mich zu knuffen. Darüber bin ich auch diesmal sehr froh. Das Kämpfen mit ihm ist enorm anstrengend. Der Typ aus Phoenix verfügt über eine scheinbar grenzenlose Energie. Nach Luft schnappend sitzen wir auf der Bank. Unverändert nah nebeneinander. Seine Hand bewegt sich in Richtung meines Gesichts. Vorsichtig kraulen seine Finger durch meinen Bart. Während er mich mit blitzenden Augen ansieht. „Aber jetzt willst du kein Theater mehr spielen, Mikey”, flüstert Chester atemlos, „Jetzt möchtest du viel lieber mit Xero auf Tournee gehen. Gemeinsam mit deiner Band quer durch die USA reisen. Du willst dir alle Bundesländer ansehen.” Mein Herz schlägt in einer Mischung aus Anstrengung und Aufregung. Während ich seinen liebevollen Blick angetan erwidere. „Ja, das stimmt”, bestätige ich leise, „Das ist mein größter Traum.” Einen Moment lang ist es ganz still. Der Blickkontakt mit Chester wird intensiv. Mein Herzschlag beschleunigt noch mehr.

„Was ist dein größter Traum, Chester?” muss ich ihn nochmal fragen. Weil ich das dringend wissen will. Weil es wichtig ist, sich an seine Träume zu erinnern. Der Sänger aus Arizona schließt kurz die Augen. Ein paarmal atmet er tief ein und aus. Dann sieht er mich wieder an. Lauernd. Der Ruck, den Chazy sich gibt, ist fast schon spürbar. „Irgendwann will ich mit Grey Daze die American West Arena voll kriegen”, verrät er mir scheu. Sein schönes Gesicht ist jetzt dicht vor meinem. Verunsichert taxiert er mich. Es scheint, als hätte er Angst vor meiner Reaktion. Als ob er fürchtet, dass ich ihn auslache. Dabei finde ich seinen Wunsch gar nicht seltsam. Oder gar abwegig. Träume dürfen ruhig unendlich sein. Mit der eigenen Band eines Tages richtig große Hallen füllen zu können, gehört schließlich auch zu meinen Vorstellungen von einer perfekten Zukunft.

„Wo ist die American West Arena?” frage ich ziemlich dumm. Was Chester ein süßes Lächeln entlockt. „Die sehe ich fast jeden Tag. Auf dem Weg zur Arbeit komme ich direkt daran vorbei”, berichtet der Sänger schüchtern, „Es ist die größte Mehrzweckhalle auf meiner Strecke in Phoenix. Sie umfasst 1.000.000 Quadratfuß. Das Baugrundstück ist 11 Acre groß. Meistens finden da Baseballspiele statt. Aber auch alles andere. Wer als Band da auftreten darf, der hat es wirklich geschafft.” Chester macht eine kurze Pause. In der er nochmal schwer durchatmet. „Jedes Mal, wenn ich die große Halle sehe, dann denke ich: Eines Tages, Mann! Eines Tages!” gesteht mein Mann mir vertrauensvoll. Seine schönen Augen blicken mich voller Sehnsucht an. Ich glaube ihm sofort, wie extrem wichtig ihm dieses Ziel ist. Wie sehr er es sich herbeiwünscht. Auf großen Bühnen für möglichst viele Menschen Musik machen und singen zu dürfen, ist tatsächlich sein größter Traum.

„Das wird passieren, Chester! Bestimmt werdet ihr es bald schaffen, diese Halle zu füllen”, stelle ich ihm unwillkürlich in Aussicht, „Grey Daze machen fantastische Musik, Chaz. Du bist als Sänger absolut herausragend. Das kann auf Dauer gar nicht unbemerkt bleiben. Euer Album wird einschlagen wie eine Bombe, du wirst sehen. Bald wollen euch alle live spielen sehen. Das ganze Land wird verrückt nach euch sein. Die Karten für eure Konzerte werden in Null Komma Nichts ausverkauft sein. Und die American West Arena wird dann schon bald viel zu klein für eure Auftritte sein.”

Vor meinem inneren Auge sehe ich Chester Bennington auf einer imposanten Bühne stehen. Eine beeindruckende Lichtshow erhellt seine Gestalt im Rhythmus der lauten, glasklaren Musik. In riesigen Buchstaben steht der Name Grey Daze hinter ihm an der Wand. Der Sänger steht am Rand der Bühne und singt sich in seiner ureigenen Art die Seele aus dem Leib. Die gigantische Halle ist bis auf den letzten Platz ausverkauft. Das Publikum reißt sich darum, dem umjubelten Star so nah wie möglich zu kommen. Zehntausende Hände strecken sich ihm flehend entgegen. Dieses Bild gefällt mir sehr.

Chester lacht über meine voreilige Zukunftsprognose. Vielleicht ist der bislang noch unbekannte Sänger aus Phoenix, Arizona mehr Realist als ich. Aber meine Worte berühren ihn stärker, als ich erwartet habe. Die dunkelbraunen Augen hinter der Brille werden wahrhaftig ein bisschen feucht. Als ich das nasse Glitzern bemerke, bin ich selbst total gerührt. Bevor ich reagieren kann, beugt Chaz sich plötzlich blitzschnell vor. Der Kerl legt seine schmalen Lippen auf meine. Ein bisschen stürmisch berührt er mich mit seinem tollen Mund. Als könnte er sich kaum zurückhalten. Bremst sich aber im nächsten Moment. Der talentierte Arizona-Boy küsst mich. Überwältigend sanft. Seine warme Zunge streichelt sich behutsam zwischen meine Lippen. Nur zu gerne lasse ich mich auf ihn ein. Empfange seine Zunge wie einen lieben Gast. Bei der Berührung hämmert augenblicklich mein Herz los. Eine heiße Woge der Erregung erfasst mich. Sein zarter Kuss ist voller Dankbarkeit.


Chester Charles Bennington

Als ich mich abrupt zu ihm hinbeuge, trifft mein Mund den seinen zu hart. Weil ich zu hastig vorgehe. Unkontrolliert bin. Er ist mir schon zu nah gewesen. Ich verbrauche meine letzte Kraft, um mich zu zügeln. Schon bei der ersten Berührung will ich in der unglaublichen Weichheit seines prallen Mundes versinken. Will hinweggefegt werden vom Gefühl seiner samtigen Haut. Seine Lippen sind hauchzart. Seine Barthaare an meinem Kinn kitzeln mich ganz weich. Meinen ungeplanten Kuss erwidert er augenblicklich. Seine heiße Zunge verschlingt mich. Innerhalb von Sekunden. Ich bin völlig hilflos. Kann spüren, wie vorsichtig er seine Arme um mich legt. Als meine Zunge bemüht gebremst in seine Mundhöhle taucht, fallen automatisch meine Augen zu. Meine Hände klammern sich ungesteuert an ihm fest. Ich brauche seinen Halt. Dringend. Muss das jetzt alles ausblenden. Mich in Sicherheit bringen. Schnell. Möchte nur noch seinen Körper fühlen. Mein Verstand will nichts anderes mehr wahrnehmen müssen.

Ich weiß nicht genau, warum ich Mike küsse. Es war ein quälend drängender Impuls. Der mich unerwartet heftig angefallen hat. Dem ich spontan nachgegeben habe. Damit der unerträgliche Lärm in meinem Schädel endlich aufhört. Die letzte Nacht war viel zu kalt. Entschieden zu lang. Stockdunkel. Heute Morgen habe ich versucht, dem Krach in meinem Kopf mit Schreien zu begegnen. Mein Gesang im Speisesaal sollte das Getöse übertönen. Normalerweise klappt das auch. Nur diesmal hat es irgendwie nicht funktioniert. Kontinuierlich wird es schlimmer. Keine Ahnung, wie lange ich dem noch standhalten kann. Fraglich, ob Zärtlichkeiten mit Mike Shinoda mich retten können. Den sonderbaren Mann zu fühlen scheint jedenfalls im Moment weitaus ungefährlicher zu sein, als noch länger mit ihm reden zu müssen. Darum mache ich ihn überstürzt mundtot. Auf dass er bloß nicht weiterspricht. Meine Hände streicheln fahrig seinen Rücken. Zum Glück lässt er sich darauf ein.

Er kann nicht wissen, was passiert ist. Seine Worte haben mich unerwartet tief getroffen. Über meine Wünsche zu sprechen, tut sehr viel stärker weh, als ich kompensieren kann. Ich will nicht mehr darüber nachdenken müssen, warum meine Träume sich in Luft aufgelöst haben. Meine Ziele für mein Leben wie Seifenblasen zerplatzt sind. Mit einem einzigen Telefonat. Alles kaputtgegangen ist. Mike hat keinen Schimmer davon, dass ich nie wieder mit Grey Daze auf einer Bühne stehen werde. Geschweige denn in der ausverkauften American West Arena. In Phoenix. Arizona. Das wird nie passieren. Nicht für mich. Ich bin jetzt kein Teil einer Band mehr. Niemand will mich noch singen hören. Meine musikalische Karriere ist vorbei. Noch ehe sie richtig angefangen hat. Ich weiß nicht, ob es in Phoenix noch eine Band gibt, die mich als Sänger haben will. Oder für die ich singen will. Ob ich mich jemals nochmal musikalisch auf jemanden einlassen kann, steht in den Sternen.

So viel Kraft verschwendet. In den letzten Jahren habe ich meine Energie ausschließlich in Grey Daze gesteckt. Sie haben mich völlig ausgesaugt. Und dann achtlos weggeworfen. Jetzt bin ich ganz leer. Von mir ist nichts mehr übrig. Am besten hänge ich die ganze scheiß Musik an den Nagel. Führt ja offenbar eh zu nichts. Mein Leben hat jeglichen Sinn verloren. Es gibt nun keine Pläne mehr. Nichts, worauf ich noch hinarbeiten könnte. Ich habe mich in einer Phantasie verloren. Das ist niederschmetternd. Fühle mich auf ganzer Linie besiegt.

Natürlich hätte ich Mike nichts von meinen Träumen erzählen dürfen. Aber als er danach fragte, fiel mir nur die Wahrheit ein. Knopfauge hat keine Ahnung, dass seine allzu optimistische Zukunftsvision mir jäh das Herz zerrissen hat. Er meint es ja nur gut. Shinoda meint es immer nur gut mit mir. Unermüdlich erzählt er mir, wie toll ich wäre. Was für ein herausragender Sänger. Total gesegnet. Mit der Power von sechs beschissenen Armen. Sogar zum talentierten Schauspieler macht er mich. Obwohl der Kerl mich noch nie auf einer Bühne erlebt hat. Er kann gar nicht wissen, wie ich mich anstelle, wenn es wirklich ernst wird. Ahnt nicht mal, dass ich vor Lampenfieber manchmal lieber sterben will, als da raus zu gehen. Dass meine entsetzte Panik sich erst in dem Moment verflüchtigt, in dem das Konzert mit dem ersten Takt der Musik wahrhaftig losgeht. Nur wenn ich auf der Bühne stehe, ist alles in Ordnung. Kurz vor dem Auftritt bin ich oft ein Nervenbündel. Das sich mit lautem Schreien der Songs abreagiert. Dabei rastlos durch die Flure wandert. Wie ein brüllender Zombie.

Mister Shinoda kann sich das bestimmt nicht vorstellen. Im Grunde kennt der Mann mich ja nicht mal. Trotzdem hat der Stachelige keinerlei Zweifel an meinen angeblich so erstaunlichen Fähigkeiten. Der Mitpatient erhebt mich mit Vorliebe auf ein derart hohes Podest, auf dem ich niemals bestehen kann. Ich würde auf der Stelle da runterfallen. Mir beim Sturz hoffentlich den Hals brechen.

Obwohl es unbestritten sehr schön ist, mit ihm auf der versteckten Parkbank zu sitzen und ich es grundsätzlich genieße, in seiner zuverlässig beruhigenden Nähe zu sein, kann ich so nicht weitermachen. Ich bin völlig fertig. Mikeys wundervoll große, braune Mandelaugen hören partout nicht damit auf, mich sorgenvoll zu durchleuchten. Unermüdlich ist er auf der Suche nach dem Grund meiner Depressionen. Von denen ich ihn zum Verrecken nicht abbringen kann. Egal, was ich auch versuche. Welche spontanen Witze ich auch immer reiße. Meine altbewährten Albernheiten helfen bei diesem cleveren Kerl nichts. Mike lässt sich von mir nicht täuschen. Das Knopfauge ist viel zu emphatisch dazu, um auf meine impulsiven Ideen reinzufallen. Shinoda ist völlig unempfänglich für meine reichlich gewohnten Täuschungsmanöver.

So etwas habe ich noch nie erlebt. Bei niemandem. Ansonsten ist es immer kinderleicht für mich, meine Mitmenschen bezüglich meiner psychischen Verfassung zu täuschen. Es scheint mir, als würde ich das ohnehin schon mein ganzes Leben lang tun. Diese  Methoden habe ich durch jahrelange Übung mittlerweile perfektioniert. Sogar dieser komische Psychologe hier hat alle meine Tricks völlig arglos geschluckt.

Aber der junge Mann aus Agoura Hills ist zweifelsfrei ausgestattet mit diesem typisch grenzenlosen Shinoda-Interesse. Diese erhöhte, erstaunlich mitfühlende Aufmerksamkeit für seine Umwelt. Die scheinbar seiner ganzen Familie zu eigen ist. Mom, Dad und Bro Shinoda sind mir mit der gleichen rätselhaften Anteilnahme begegnet. Während ich ihn verzweifelt küsse, muss ich an den Besuch seiner Familie denken. Das war total merkwürdig. Diese Menschen sind mir fremd. Aber trotzdem habe ich mich bei ihnen sofort dazugehörig gefühlt. Seltsam, wie sie mich bei sich aufgenommen haben. Jeder einzelne von ihnen war auffallend nett zu mir. So absolut bedingungslos. Als wäre ich automatisch Teil ihrer Familie. Nur weil Mike mich ihnen vorgestellt hat. So etwas kenne ich gar nicht. Bei mir zu Hause war das völlig anders. Meine Eltern haben sich nie für meine Freunde interessiert.

Die Shinodas waren dagegen erstaunlich offenherzig. Irgendwie hat Mike es geschafft, dass ich nach meinem idiotischen Ausraster mit ihm zu seiner Familie zurückgegangen bin. Mit Sicherheit haben sie alle mitgekriegt, dass ich nicht mal in der Nähe von irgendeinem Klo gewesen war. Trotzdem haben sie keine einzige blöde Bemerkung gemacht. Sind einfach freundlich lächelnd darüber hinweggegangen. Haben es ignoriert, dass meine Augen total rot und geschwollen vom Heulen waren. Dafür bin ich denen echt dankbar. Dass ich ihnen nichts erklären musste. Dass sie mich einfach so akzeptiert haben, wie ich bin. Mit all meinen Fehlern. Nicht mal ein fragender Blick hat mich getroffen.

Mike hat so ein unglaubliches Glück mit seiner Familie. Sicherlich hat er es auch seinen Eltern zu verdanken, dass aus ihm so ein außergewöhnlich mitfühlender Kerl geworden ist. Mit so hauchfeinen Antennen für seine Umwelt. Einem gigantisch großen Herzen. Ich könnte wetten, dass Mikey von seinen Eltern nie ignoriert worden ist. Die haben sich mit Sicherheit für seine Belange interessiert. Ich wünschte, meine Familie wäre nur einen Bruchteil so aufgeschlossen wie seine. Wenn ich früher in meinem Leben nur ein bisschen mehr Hilfe gehabt hätte. Wenn ich gewusst hätte, an wen ich mich hätte wenden können. Vielleicht wäre dann aus mir nicht so ein verflucht kranker Wichser geworden.

Fuck! Es ist absolut bescheuert, über andere, nicht existente Realitäten zu spekulieren, und es ärgert mich gigantisch, dass meine unsinnigen Gedanken nicht stillstehen wollen. Ich wünschte, der unerträgliche Lärm in meinem Schädel würde endlich aufhören. Mittlerweile ist es so laut, dass ich nichts mehr hören kann.

Möchte mich in Mike Shinoda verlieren. Vollständig. Der Typ scheint meine letzte Hoffnung zu sein. Ich muss mich beeilen. Drücke mich irre zärtlichkeitsbedürftig an ihn. Er umfängt mich mit seinen starken Armen. Seine Zunge streicht liebevoll an meiner entlang. Meine Augen sind fest zu. Ich weiß, dass dieser Mensch die Gabe hat mich zu beruhigen. Wenn ich mich nur genug auf ihn konzentrieren könnte. Wenn ich nicht so verdammt abgelenkt wäre.

Gierig rutschen wir auf der harten Bank herum. Unsere Körper reiben sich wollüstig aneinander. Ich verzehre mich nach jedem seiner Inches. Shinodas attraktiver Leib fühlt sich extrem gut an. Weich, hart und warm. Fleisch, Knochen und Muskeln. Besessen empfange ich seine Zärtlichkeiten. Seine Hände streicheln über dem T-Shirt meinen Rücken. Seine Zunge liebkost meine Lippen. Höre ihn leise seufzen. Fokussiere mich krampfhaft auf seine Gegenwart. Erleichtert spüre ich, wie ich langsam ein bisschen ruhiger werde. Obwohl mein Herzschlag sich durch Mikes zarte Berührungen beschleunigt, wird meine innere Anspannung geringer. Endlich wird es stiller in mir. Allein durch ihn. Halbjapaner schafft es immer, mich zu besänftigen. Wenn ich nur nah genug bei ihm bin. Den Kerl lange genug in meiner Nähe habe.

Momentan bin ich am Ende angelangt. Habe jetzt keine Ideen mehr, wie ich den Mann davon überzeugen könnte, dass es mir gut geht. Verdammt, es geht mir nicht gut. Es ist anstrengend, jemandem pausenlos etwas vormachen zu wollen. Etwas vorzuspielen, das nicht stimmt, geht auf Dauer ganz schön an die Substanz. Diese Erfahrung ist allerdings verwirrend neu für mich. Denn definitiv tue ich fast nie etwas anderes. Nur bei Mister Shinoda wird es so schwierig. Zum ersten Mal weiß ich nicht mehr, was ich noch tun soll, um ihn von meiner Gesundheit zu überzeugen. Habe längst alle vertrauten Routinen abgespult. Es ist nicht leicht mit ihm. Der Besondere macht mich total fertig.

Trotzdem brauche ich den einzigartigen Mann. Unbedingt. Mir ist überdeutlich bewusst, dass ich auf keinen Fall allein sein darf. Die pechschwarze, undurchdringliche Leere wäre verhängnisvoll für mich. Mein eigener Kopf würde mich unaufhaltsam in den Wahnsinn treiben. Manchmal sind meine Depressionen echt gefährlich. Zweifellos befinde ich mich gegenwärtig in akuter Lebensgefahr. Ich kenne mich viel zu gut, um das nicht zu wissen. In den ungezählten Stunden der tauben Einsamkeit hatte ich mehr als reichlich genug Gelegenheit, um mich selbst kennenzulernen.

Aber ich weiß auch, dass der engagierte Mitpatient erstaunlich gut darin ist, mich von den wild tanzenden Dämonen in meinem irren Schädel abzulenken. Dieser seltsame Typ hat unfassbar viel Geduld mit mir. Es scheint, ihn könnte nichts davon abbringen, sich pausenlos um mich zu bemühen. Gleichgültig, wie deutlich ich ihn auch abweise. Oder wie sehr er mir damit bisweilen auf die Nerven geht. Selbst wenn der andere Kerl in mir ihn voller Jähzorn anschreit. Mister Shinoda gibt einfach nicht auf. Keine Ahnung, warum der rätselhafte Mensch aus Agoura Hills seine wertvollen Energien ausgerechnet in mich steckt. Oder was er sich davon verspricht. Ich weiß nicht, ob Mike tatsächlich immer so uneigennützig agiert, wie es den Anschein hat. Manchmal ist seine Hingabe total faszinierend.

Auch diesmal enttäuscht der süße Rapper mich nicht. Seit wir auf der gut versteckten Bank im Park sitzen, überrascht Mikey mich am laufenden Band. Vorhin hat er mich wahrhaftig über Umwege an die Thespian Troupe erinnert. Diese Episode gehört zu den extrem wenigen innerhalb meiner unsteten Schullaufbahn, an die ich mich relativ gerne erinnere. Mein Theaterlehrer in der Greenway High School war richtig cool. Aus Rebellion hat er unseren Probenraum, den man den Green Room nannte, dreist in pink gestrichen. Außerdem hat er mir erlaubt, außerhalb des Green Rooms die typischen zwei Theatermasken an die Wand zu malen. Das lachende und das weinende Gesicht. Ich habe sie freihändig gezeichnet und daneben Chester Bennington '93 geschrieben. Das scheint ewig her zu sein. Mann, ich war damals erst 17 Jahre alt. Keine Ahnung, ob mein Name da noch immer verewigt ist. Oder ob mein Kunstwerk zwischenzeitlich übermalt wurde. Ist ja auch schnurzegal.

Als Mikey mir schüchtern gestand, dass er gerne mit seiner Band Xero auf Tournee quer durch die USA gehen würde, um alle 50 amerikanischen Bundesstaaten kennenzulernen, da war ich total gerührt. Weil dies zweifellos ein Wunsch ist, den ich mindestens ebenso brennend in mir trage. Shinoda in diesem Kellerraum beim Rappen zu erleben, war wie eine Offenbarung. Auf einer Bühne ist der halbe Japaner garantiert eine Naturgewalt. Der junge Mann hat überragend viel Talent. Für mich steht es außer Frage, dass Xero es irgendwann so weit bringen kann, das nötige Budget für eine ausgedehnte Amerikatournee beisammen zu haben. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Jungs aus Kalifornien sich richtig doll in ihre Band reinhängen. Sie müssen sich ernsthaft engagieren. Genügend an sich arbeiten.

Ich bin nicht sicher, ob sie das tun. Ich weiß nur, wie viel Arbeit das ist. Bisher scheint Xero ja leider noch nicht wirklich weit gekommen zu sein. Wenn ich Mikes Erzählungen über seine bunt zusammengewürfelte Truppe Glauben schenken soll, warten sie noch auf die richtige Gelegenheit für einen Auftritt. Kann aber noch werden. Es wäre schade, wenn sie ihre Band im Sande verlaufen lassen. Diese Jungs machen da echt was Außergewöhnliches. Mit ihrem wohlklingenden Genre-Mix ist ihre Chance ziemlich groß, um entdeckt zu werden. Wenn alle ihre Songs nur halb so gut sind wie With You, dann werden sie früher oder später auf dem Markt explodieren. Xero wird hundertprozentig einschlagen. Wie eine kreative Bombe. Mit ihren besonderen Ideen können die auf Dauer gar nicht unbemerkt bleiben.

Aber ich bin nicht dumm. Mir ist klar, dass das für Grey Daze leider weniger gilt. Denn wir machen lediglich Post Grunge, so wie tausend andere Bands auch. Ich bin stolz auf meine Songs. Aber an ihnen ist nicht wirklich etwas Originelles. Trotzdem drehten sich meine größten Wünsche für mein Leben bisher ausschließlich um Musik. Die American West Arena in Phoenix mit Grey Daze Fans füllen zu wollen, war schon immer ein enorm hochgestecktes Ziel. Höchstwahrscheinlich bleibt es unerreichbar für uns. Das war mir von Anfang an sehr wohl bewusst. Grey Daze kriegen ja noch nicht mal den Electric Ballroom in Tempe voll. Höchstens als Bestandteil eines Festivals, zusammen mit vielen anderen Bands. Doch Shinoda erzählt mir prompt, dass es nur eine Frage der Zeit wäre, bis die Arena wegen einem Grey Daze Konzert aus allen Nähten platzt. Der naive Enthusiast ahnt nicht mal, dass ich das niemals erleben werde. Weil ich nämlich mittlerweile gar keine Band mehr habe. Mein größter Traum hat sich schlagartig in Luft aufgelöst. Wie immer ist der ganze Scheiß meine eigene Schuld.

Fuck! Plötzlich schnürt sich abrupt meine Kehle zu. Meine Muskeln verkrampfen hart. Heiße Tränen wollen jäh in meine geschlossenen Augen steigen. Die unliebsame Nässe drängt tief aus meiner brutal geschlagenen Seele heraus. Krampfhaft schlucke ich sie weg. Ich will nicht mehr heulen. Das ist total mühsam. Aufreibend. Jämmerlich. Fange an, vor Anspannung zu zittern. Meine hilflosen Arme schlingen sich noch fester um Mike Shinodas wohlgeformten Leib. Die Zunge sucht flehend nach seinem Kontakt. Unsere Bewegungen werden unwillkürlich stürmischer. Die tiefen Küsse gieriger. Unsere Körper fallen unbemerkt auf der Bank zurück. Zwei geile Kerle, von ihren Gefühlen restlos abgelenkt. Die Rückenlehne stabilisiert uns von der Seite.

Durch die unkontrollierten Bewegungen fängt meine Brille unaufhaltsam an, hart auf meiner Nase herumzurutschen. Das Plastik schabt über mein Gesicht. Eigentlich müsste ich das lästige Gestell schon längst abnehmen. Kann mich aber nicht dazu aufraffen. Will jetzt keine Unterbrechung riskieren. Muss mich auf diese lebensrettende Maßnahme hier konzentrieren. Mike ist mir unglaublich nahe. Ich kann nicht fassen, wie gut er sich anfühlt. Vielleicht muss ich einfach nur ehrlich zu ihm sein, streift mich ein irre beängstigender Gedanke. Aber wie zur Hölle soll ich das anstellen? Mit der Wahrheit kenne ich mich nicht aus. Schließlich hat sie noch nie jemand von mir wissen wollen. Es macht mich sauer, dass ich nicht weiß, wie ehrlich geht.

Wütend sauge ich Shinodas angenehm vertrauten Geruch in meine Lungen. Presse den warmen Körper verzweifelt an mich. Shit, ich bin haarscharf davor ihm zu beichten, dass ich aus meiner Band geflogen bin. Gestern davon erfahren habe. Seither böse in der verfluchten Dunkelheit festhänge. Doch etwas in mir schreckt panisch davor zurück. Wenn ich es Mike erzähle, dann wird es erst richtig wahr werden. Ab diesem Punkt gibt es kein Zurück mehr. Die Konsequenzen sind unberechenbar. Davor habe ich eine Heidenangst. Meine Dämonen kennen mich zu gut. Sie schüren meine Furcht. Pausenlos bin ich wütend. Mein Leben scheint ein Kampf ohne Ende zu sein. Ich weiß nicht, warum ich das hier tue. Keine Ahnung, was es bedeuten soll. Eigentlich ist es vollkommen belanglos. Weil es trotz all der Hoffnungen in Wahrheit nichts ändert. Nicht mal die quälenden Stimmen verstummen. Obwohl der Lärm in meinem Schädel durch meine lau aufflackernden sexuellen Gefühle leiser geworden ist, nehme ich ihn noch immer wahr. Der Krach wird nicht verschwinden. Egal, wie sehr ich es versuche.

Als ich das schließlich widerwillig einsehen muss, macht es mich noch wütender. Ein zorniges Knurren kommt prompt aus meiner Kehle. Ich will nicht mehr denken müssen. Sehne mich so sehr nach Ruhe in meinem Kopf. Nur noch ein einziger scheiß Gedanke. Und mein Schädel wird explodieren. Plötzlich verstehe ich, dass ich langsam verrückt werde. Kann es ja deutlich spüren. Der Wahnsinn kriecht meine Wirbelsäule hinauf. Schleicht sich geradewegs in meinen Verstand. Ich bin nahe daran ihn zu verlieren. Weiß nicht, wie ich das verhindern kann. Nur Mike ist da. Konzentriere mich verbissen auf den Mann bei mir. Das scheint momentan alles zu sein, was ich noch tun kann.

Mike sitzt seitlich von mir. So nah wie es möglich ist. Hat mir seinen Oberkörper zugewandt. Seine Finger streicheln meinen Rücken. Seine Zunge bewegt sich in meinem Mund. Das ist nicht genug. Panisch rutscht meine Hand an seinem fantastischen Leib herunter. Im instinktiven Bemühen, meine lauen Gefühle schnellstmöglich zu maximieren, grabe ich meine zitternden Finger grob in seinen Schritt. Ungestüm ertaste ich seine große Erektion. Die eng in seinen Hosen steckt. Drei Sekunden lang schmeichelt es mir, wie unglaublich schnell ihn meine eher unbeholfene Leidenschaft aufgeilen kann. Erinnere mich mit einem erregten Schaudern daran, wie heftig der Schwarzhaarige auf mich reagiert hat. Wie gigantisch scharf er auf mich war. Welche seltsamen Spiele wir gespielt und uns dabei ganz im Sex verloren haben. Wie überaus erregend es jedes Mal mit ihm gewesen ist. Ich will das nochmal haben. Jetzt. Sofort. Es verlangt mich verwirrend heftig danach, seinen beeindruckenden und fraglos wunderschönen Schwanz auf der Stelle auszupacken. Sehe den harten, formvollendeten Phallus schon vor meinem inneren Auge abspritzen. Mann, das wird mich mega geil machen! Das wird stärker als der Lärm in meinem Schädel sein.

Hitzig fummele ich am Knopf und dem Reißverschluss seiner Jeans herum. Meine Finger sind ungeduldig und unsensibel. Es fällt mir schwer sie richtig zu koordinieren. Das geht mir nicht schnell genug. Shinoda ächzt unbehaglich. Offenbar ahnt er meine panische Absicht. Irgendwas passt ihm nicht. Bevor ich seine Jeans auch nur ansatzweise öffnen kann, löst der Kerl sich plötzlich von mir. Abrupt. Energisch. Gewaltsam. Sofort klappen meine Augen auf. Ich bin alarmiert. Sehe meine Felle davonschwimmen. Die letzte Chance auf eventuelle Linderung verblasst. Auch Mikeys schöne Augen sind wieder geöffnet. Sichtbar verwirrt schiebt er meine Hand von seinem Penis weg. Der Typ ist resolut. Ich habe keine Chance ihn festzuhalten. Konfus nehme ich meine Finger zurück. Seine besorgten, braunen Knopfaugen fixieren mich fragend. Trotz seiner indessen unübersehbaren sexuellen Erregung ist Mike noch immer mega aufmerksam. Gegen sein nie endendes Interesse kann ich nicht ankommen.

Stöhnend weiche ich seinem prüfenden Blick aus. Rücke verlegen meine total verschobene Brille zurecht. Schiebe das schwarze Plastikgestell zurück auf meine Nase. Die beiden Bügel hake ich hinter meine Ohren. Wo sie hingehören. Aus irgendeinem Grund liegen Mikey und ich inzwischen halbwegs auf der Bank. Genaugenommen sitzen wir einander zugewandt. Auf den harten Holzstreben der Sitzfläche. Mit den Schultern tief gegen die Rückenlehne gelehnt. Sein rechtes Bein liegt schwer über meinem. Trotz der merkwürdigen Unterbrechung lässt er es dort liegen. Habe gar nicht gemerkt, wann er sein Bein da platziert hat. Irgendwann muss er es begierig über meins geschoben haben. Um mir noch näher zu sein.

Ich will den Mann eigentlich nicht loslassen. Will jetzt nicht plötzlich aufhören. Am besten nie mehr damit aufhören. Mir ist klar, dass dieser Weg der richtige ist. Das ist er immer. Meine sexuellen Gefühle, wenn auch vorerst nur vage, sind trotzdem eindeutig. Ich bin mir sicher, dass der geile California-Boy mich früher oder später genug ablenken kann. Ich muss mich nur stärker auf ihn konzentrieren. Mir noch viel mehr Mühe geben. Aber blöderweise hat der clevere Typ gemerkt, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Mike Shinoda hat schlicht zu feine Antennen für so was. Nicht mal mit ordinärem Sex kann ich ihn täuschen. Das ist ganz schön frustrierend.

Schwer atmend starren wir einander an. Eine Weile ist es bis auf das ständige Vogelgezwitscher um uns herum im Park ganz still. Das Schweigen dröhnt in meinem wirren Kopf. Lange halte ich das nicht aus.

„Ey... hab ich dir wehgetan?... Mike... tut mir echt leid... das wollte ich nicht...”, versichere ich ihm schließlich keuchend. Mir ist bewusst, dass ich zu stürmisch vorgegangen bin. Als ich mich seinem empfindlichen Schwanz zuwandte, war ich viel zu grobmotorisch. Ist ja auch kein Wunder. Habe mich ja kaum noch unter Kontrolle. Mein Herz schlägt mal wieder zu schnell. Eine Mischung aus herber Verzweiflung und zorniger Erregung. Shinoda hat ziemlich oft diese Wirkung auf mich. Aus irgendeinem Grund lässt der Kerl mich nicht kalt. Mike ist der erste Mensch in meinem Leben, der bei mir derartig starke Gefühle hervorrufen kann. Ich weiß nicht, wie der Typ das macht. Aber es ist total beängstigend.

Unzufrieden zieht er die fantastisch dunklen, breiten und dichten Brauen zusammen. Ich liebe seine Mimik. Sie bewirkt diesen Ausdruck in seinem hübschen Gesicht. Der mich unweigerlich fesselt. Mikey schüttelt den cool gestylten Kopf. „Nein... das ist es nicht... Chester... darum geht’s nicht...”, erklärt er verunsichert. Unermüdlich tasten seine Augen mich ab. Sorgsam erforschend. Noch immer ist der Patient auf der Suche nach logischen Erklärungen. Er will mein irrationales Verhalten verstehen. Meine unsinnige Existenz ergründen. Wahrscheinlich bin ich dem armen Mann ein einziges Rätsel. Wenn mir derzeit nicht alles so entsetzlich wehtun würde, dann könnte ich mit Sicherheit darüber lachen.

„Was ist es dann?” frage ich eine Spur zu laut, „Was hast du denn schon wieder?” Es nervt mich, dass er mich nicht einfach weiter küsst. Dass er ständig Fragen stellt. Mike kann meine bohrende Ungeduld nicht überhören. Langsam richtet er sich auf der Bank auf. Macht nur besonnene Bewegungen. Schiebt sein Bein behutsam von meinem herunter. Ich will nicht, dass er das macht. Der Typ soll gefälligst in meiner Nähe bleiben. Damit ich ihn noch intensiver spüren kann. Muss mich zwingen, um ihn nicht gewaltsam bei mir festzuhalten.

„Was ist denn los, Chaz?” will er ganz leise wissen. Seine schöne Stimme ist sanft. Der Bewohner von Agoura Hills ist extrem auf der Hut. Als müsste er mich mit Samthandschuhen anfassen. Weil ich unberechenbar bin. Mit seiner Vorsicht macht er mich erst richtig sauer. „Fuck, was soll schon los sein, Mike?” knurre ich ehrlich entnervt. Dieses ganze Gequatsche ist so sinnlos. In einer hilflosen Geste hebt Halbjapaner die Schultern. „Ich weiß es nicht, Chester”, seufzt er betrübt, „Ich kann nicht wissen, wo deine Gedanken sind, wenn du nicht mit mir redest.” „Verdammt, Mike! Ich rede doch mit dir! Und mit meinen Gedanken darf ich genau da sein, wo auch immer ich gerade sein will, klar?!” bestehe ich aufsässig auf meinem Recht.

Es stresst mich enorm, dass Shinoda geradewegs auf der richtigen Spur ist. Der Stachelige scheint meinem dunklen Geheimnis trotz meiner zahlreichen Gegenmaßnahmen immer näher zu kommen. Ich will nicht pausenlos von dem Kerl analysiert werden. Will auf keinen Fall von ihm als depressiver Schwachkopf entlarvt werden. Es scheint mir extrem bedrohlich zu sein, wie kurz er davor ist, hinter meine mühevoll errichteten Mauern zu blicken. Dass mein alarmiertes Gespür mich nicht täuscht, beweist das kluge Mandelauge mir schon mit seinen nächsten Sätzen.

„Ja, Chester, du redest mit mir. Aber trotzdem sagst du mir nichts. Natürlich darfst du mit deinen Gedanken sein wo du willst”, gibt er mir recht, stellt aber gleich darauf fest: „Aber du bist heute nicht da, wo du sein willst. Du bist noch nicht mal in der Nähe, Bennington. Stattdessen bist du meilenweit davon entfernt. Heute findet man dich nur an diesem düsteren Ort. Wo du unter keinen Umständen sein willst. Du willst gar nicht dort sein, wo du dich gerade aufhältst, Chaz. Da geht’s dir nämlich richtig beschissen.” Während der Typ mir diese hässliche Wahrheit vor den Kopf knallt, ist seine wohlklingende Stimme ganz ruhig. Seine runden, braunen Augen sind übervoll mit Mitgefühl. Mister Mike Shinoda ist wahnsinnig interessiert an mir. Der komische Kerl will mein Elend wahrhaftig verstehen.

Seine zarten Worte schlagen wie ein Meteorit bei mir ein. Total unerwartet. Prompt verknoten sich meine Eingeweide. Sodass ich scharf einatmen muss. Perplex reiße ich die Augen auf. Starre ihn entsetzt an. Fühle mich hinterrücks angegriffen. Bin schlagartig komplett entlarvt worden. Instinktiv muss ich mich dringend verteidigen. In einer impulsiv abwehrenden Bewegung springe ich von der Bank hoch. Kampfbereit baue ich mich vor ihm auf. Halbjapaner beobachtet mich genau. Der taffe Kerl bleibt frustrierend gelassen. Scheinbar ist er längst auf alles vorbereitet. Mir wird klar, dass ich ihn nicht mehr schockieren kann. Das gefällt mir nicht.

„Das sagst du ja nur, weil dir irgendwas nicht passt”, keife ich angefressen, „Du weißt gar nicht, wo ich bin.” Meine eigenen Worte verwirren mich. Sie fühlen sich seltsam unsinnig an. Das macht mich noch zorniger. Böse durchbohre ich den Hellseher mit meinem Blick. Sein stacheliger Kopf schüttelt sich. „Nein, das weiß ich nicht. Du sagst es mir ja nicht. Aber trotzdem ist es die Wahrheit, Chester”, behaart er auf seiner Entdeckung. „Und das weißt du auch”, setzt er umsichtig hinzu. Es macht mich total fertig, wie leicht der Besondere mich durchschauen kann. So etwas habe ich noch nie erlebt. Nicht mal annähernd. Ich bin völlig außer mir. „Das sagst du nur, weil du angepisst bist, Shinoda”, gehe ich unüberlegt auf ihn los, „Es gefällt dir nicht, dass ich keine Erektion habe. Genau wie das letzte Mal. Du wirfst mir vor nicht hart zu werden.”

Ich rede Schwachsinn und weiß das auch. Mikeys Gesicht verzieht sich angewidert. Für einen Moment bleckt er die Lippen. Zeigt mir seine weißen, ebenmäßigen Zähne. Sein Kopf neigt sich in abwehrender Pose. „Ach, nein, Bennington! Hör doch damit auf...”, stöhnt er fassungslos. „Doch, das ist es! Den Scheiß kenne ich doch schon von dir! Letztes Mal war es genau das selbe!” schreie ich aufgebracht, „Was ist das hier, Shinoda? Wo sind wir hier eigentlich? Ist das hier vielleicht die Chester-du-musst-unbedingt-einen-Ständer-kriegen-Bank, hä?” Wütend stoße ich ein krampfhaftes Lachen aus. Eigentlich soll es spöttisch klingen. Hört sich aber eher wie ein zorniges Bellen an. Beuge dem halben Asiaten herausfordernd meinen Unterleib entgegen. Fasse mir aufreizend an den Schritt. Mein aggressives Gebaren ist die reinste Provokation.

Mike sitzt ganz ruhig auf seiner Bank. Sein Körper bewegt sich nicht. Er taxiert mich nur strafend. Mein Vorwurf hat ihn sichtbar getroffen. Ich weiß nicht, warum mich das so freut. Keine Ahnung, warum ich diesem Menschen unbedingt wehtun will. Möglicherweise nur deshalb, weil gerade kein anderer da ist. Ich brauche dringend ein Ventil. Irgend eins. Weiß nicht mehr wohin mit meiner detonierten Wut. Das unsagbare Getöse in meinem Kopf tötet alles, was mich normalerweise ausmacht. Ich fürchte, der andere Kerl hat wohl endgültig von mir Besitz ergriffen. Wie jedes Mal bin ich völlig machtlos gegen ihn. Wenn er anfängt in mir zu wüten, hat der echte Chester keine Chance mehr.

Eine gefühlte Ewigkeit lang herrscht mega angespannte Stille zwischen dem gefassten Mike Shinoda und dem durchgeknallten Chester Bennington. Wir belauern uns nur gegenseitig. Zwei junge, zornige Kerle konzentrieren sich aufeinander. Weil wir uns nur ungern schlagen wollen, warten wir auf irgendeine Lösung des Problems. Die sowieso niemals auftauchen wird. Nervös stehe ich vor ihm. Trete mit den Chucks aggressiv auf der Wiese herum. Hilflos. Halte nur mühsam seinem enttäuschten Blick stand. Komme mir idiotischer vor. Je mehr Zeit vergeht.

Endlich seufzt Mike. Hört sich deprimiert an. Beherrscht holt er Luft. Der Halbjapaner hat mich nicht einen Moment aus den Augen gelassen. „Was machst du gerade, Chester Bennington?” fragt er resigniert, „Versuchst du ernsthaft, das größte Arschloch der Welt zu sein?” Ratlos hebt er seine Hände. Seine Augen funkeln entschlossen. Ich habe ihn diesmal wirklich geärgert. Es gefällt ihm überhaupt nicht, dass ich diese alte Geschichte erwähnt habe. Trotzdem bleibt er frustrierend aufgeräumt. Als könnte ihn nichts, was ich tue, noch erschrecken. Irritiert betrachte ich ihn. Plötzlich wird mir klar, dass ich dem besonderen Mann aus Kalifornien nicht mehr lange standhalten kann. Alles in mir drängt mich heftig zu ihm hin. Ich will den Kerl in meiner Nähe haben. Will unbedingt seinen wohlig attraktiven Körper fühlen. Will von ihm gestreichelt werden. Der Lärm in meinem Schädel soll endlich aufhören. Aber erneut habe ich mich selbst in einen Irrgarten hinein manövriert. Jede Annäherung an den Halbjapaner ist in diesem Moment nichts als eine schmähliche Niederlage.

Leider habe ich keine Wahl. Seine Worte haben mich viel stärker getroffen als erwartet. Ich bin völlig erledigt. Weil mein Freund definitiv recht hat. Sein feines Gespür für meine Stimmungen killt mich. Dass er mir diese Sache so direkt ins Gesicht sagt, bewirkt irgendwas in mir. Das beeindruckt mich enorm. Seine besondere Art von Mut hat eine Erklärung verdient, die ich ihm unmöglich verweigern kann. „Nein... hör mal... das ist nicht...”, fange ich verwirrt an. Gerate sofort ins Stocken. Breche wieder ab. Atme dreimal tief durch. Setze nochmal neu an. Mike verfolgt meinen inneren Kampf mit gespannter Aufmerksamkeit. „Das ist nicht so”, versuche ich ihm etwas zu erklären, das ich selbst nicht verstehe, geschweige denn kontrollieren kann, „Ich will das gar nicht. Ich will keinen Ärger anziehen. Mike, ich... weiß nicht, warum ich den Kampf mit dir suche. Ich weiß nicht mal, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Keine Ahnung, warum ich diese Dinge sage, die ich gar nicht so meine.” Verstört beiße ich mir auf die Lippen. Mein Körper bewegt sich in nervösem Aufruhr. „Ich weiß nicht, warum ich so geworden bin, Mike. Ich will nicht... mir... ist klar, dass das nicht richtig ist”, stoße ich atemlos aus. Ich bin haarscharf davor das Weite zu suchen. Weil das hier ist echt verdammt hart für mich.

Einige Sekunden lang scheint es totenstill zu sein. Er bewegt sich nicht. Shinodas braune Augen drohen mich zu verschlingen. Bevor ich mich entschließen kann wegzulaufen, macht er plötzlich den Mund auf. „Schon gut, Chaz”, wispert Mike gerührt, „Komm doch her. Setz dich wieder hin, bitte. Komm zurück zu mir, Chester, ja?” Seine schönen Augen flehen mich an. Es liegt ihm wirklich viel an mir. Doch es macht mir Angst, wie unbeirrt und stark er in meine verletzte Seele vordringt. Ich habe große Angst vor mir selbst. Knopfauge weiß nicht, mit wem er es momentan zu tun hat. Die Situation ist gefährlicher, als er ahnt. Ich fürchte, dass ich bald etwas tue oder zu ihm sage, das ich nicht wieder gutmachen kann. Wenn ich noch länger hierbleibe, dann wird der andere Kerl in mir unweigerlich alles kaputtmachen. Darum kann ich dieses irritierend friedfertige Angebot unmöglich annehmen.

„Nein, Shinoda”, knurre ich herausfordernd, „Vielleicht sollte das größte Arschloch der Welt jetzt lieber abhauen.” Mike reißt jäh erschrocken die großen, runden Augen auf. Wie gestochen springt er von der Bank hoch. Direkt vor mir bleibt er stehen. Verblüfft betrachte ich ihn. Seine heftige Reaktion überrascht mich. War ich mir doch sicher, ihn mittlerweile mit nichts mehr schockieren zu können. Sein unerwartet heftiges Erschrecken befriedigt mich auf eine echt fiese Art. „Nein, du kannst jetzt nicht gehen”, widerspricht er energisch, „Wenn hier jemand abhaut, dann bin das ja wohl ich. So war es doch auch das letzte Mal, als wir hier waren, nicht wahr, Chester?” Alarmiert mustert er mich.

Plötzlich will ich nicht um alles in der Welt, dass Shinoda weggeht. Grelle Panik vor dem Alleinsein flackert hell in mir auf. „Ich darf sowieso nicht hier sein”, erkläre ich voller Hohn, „Wenn Ulli mitkriegt, dass ich mich noch immer mit dir im Park aufhalte, dann wird der völlig ausrasten. Der sperrt mich für den Rest meiner Tage in eine scheiß Gummizelle ein.” „Es gibt hier keine Gummizellen, Chaz”, widerspricht Mike. Seine fragenden Augen lassen mich nicht los. Unermüdlich sucht der Kerl nach längst verschollenen Antworten. Womöglich kann er nie mehr damit aufhören. „Für mich bauen die garantiert bald eine”, erwidere ich hämisch. Ziehe spontan eine total irre Grimasse. Mit arg verdrehten Augen. Gebleckten Zähnen. Schiefem Maul. Als wäre ich völlig verrückt geworden. Gut denkbar, dass ich es bin.

Mike stößt ein kurzes, verblüfftes Lachen aus. Dann beißt er sich auf die Lippen. „Nein, du kannst jetzt nicht gehen, Chester. Ich will nicht, dass du gehst”, erklärt er mir beherrscht. „Ich will aber gehen!” blaffe ich widerspenstig zurück. Obwohl ich das keinesfalls will. In Wahrheit bin ich nur wütend. Mein lautstarker Zorn beeindruckt Mikey nicht. Es frustriert mich, dass ich es offenbar nicht schaffe ihn einzuschüchtern. Bevor ich mich auch nur von ihm wegdrehen kann, greift Mike schon nach meinem T-Shirt und hält es felsenfest. Seine Finger krallen sich rigoros in den schwarzen Baumwollstoff. Ich bin absolut schockiert darüber, wie wenig ich gegen den erstaunlich starken Mann ausrichten kann.

„Nein, du gehst jetzt nicht einfach, Bennington!” befielt er in strengem Ton, „Ich lass dich nicht wortlos abhauen. Du kannst nicht diese Dinge tun, ohne mir zu erklären was los ist!” „Was für scheiß Dinge meinst du denn?” schreie ich genervt. Wir stehen dicht voreinander. An dieser Bank. Starren uns feindselig an. Seine wachsamen Augen fordern meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Diese Sache scheint ihm tatsächlich jeden Aufwand wert zu sein. Geduldig wartet er ab, bis er sicher ist, dass er meine volle Beachtung hat. Ich weiß echt nicht, was jetzt kommt.

„Hör mir bitte mal zu, Chester, das ist wichtig. Es war fantastisch dich zu küssen”, erklärt der begnadete Rapper mir sichtbar verstört, „Es ist immer total faszinierend. Jedes einzige Mal. Es überwältigt mich. Ich liebe das mit dir. Ich mag es, dich zu fühlen.” Keine Idee, was ich auf diese schmeichelhafte Aussage erwidern soll. Darum stehe ich einfach so dort. Sehe ihn ratlos an. Nach einem entrückten Seufzen spricht er weiter: „Aber gerade wurde es ganz anders. Es schien völlig falsch zu sein. So war das noch nie, Chester Bennington. So hat es sich nie zuvor mir dir angefühlt. Es war so, als würdest du...” Mike zögert kurz. „...es nur noch aus Verzweiflung tun”, beendet er zaghaft seinen Satz. Schüchtern wartet er auf meine Reaktion. Ich bin so gerührt, dass ich den Süßen jetzt gerne küssen will. Seine Scheu ist total niedlich.

Aber der andere Kerl in mir ist momentan stärker. Für den niedlich ein Fremdwort ist. Voll mit Spott blase ich Luft aus. „Boah, ja, ey, ich bin so was von verzweifelt!” platzt es verächtlich aus mir heraus, „Du hast mich echt durchschaut, Spike. Ich hab dich nur aus Verzweiflung geküsst, Minoda! Ich habe mir nur wegen dir die Haare abgeschnitten! Heute Morgen hab ich dir verschlüsselt durch den Song Spin gesagt, dass du dich zum Teufel scheren sollst! Meine ganze Welt dreht sich nur um dich!” Dieser andere Kerl in mir faucht den Mitpatienten wüst an. Er zwingt mir jeden möglichen Kampf auf. Aber mein zufälliges Opfer ist viel stärker als erwartet.

„Hör auf!” schreit der Schwarzhaarige plötzlich so erbost, dass ich mir prompt verschreckt auf die Zunge beiße. Verdutzt starre ich ihn an. Mit dieser empörten Reaktion habe ich nicht gerechnet. Verblüfft erkenne ich seine Veränderung. Schlagartig ist etwas passiert mit Mikey. Das habe ich nicht erwartet. Zweifellos ist es meine Schuld. Mein impulsiver Spott hat ihn total angepisst. Der blitzartig astronomisch Aufgebrachte erwidert meinen Blick. So herausfordernd wie nie zuvor. Auf so eine gigantisch wütende Art hat Mister Shinoda mich noch nie angesehen. In seinen braunen Augen brennt ein überraschend helles Feuer. Das ist nagelneu an ihm. Gebannt entdecke ich eine goldene Flamme der zornigen Leidenschaft. In seinen tollen Knopfaugen. Das aggressive Leuchten in dem wunderschönen Braun paralysiert mich innerhalb von Sekunden.

„Hör dir doch mal selber zu!” brüllt er mich aufgeregt an, „Ich weiß, dass es nicht meine Schuld ist, was du machst. Das hast du mir heute ja deutlich genug klargemacht. Aber das ist noch lange kein Grund, schon wieder das Arschloch rauszuholen, Chester Bennington. Gerade noch hast du erkannt, wie falsch es ist, wenn du wütend und gemein bist. Du hast zugegeben, dass du gar nicht so fies sein willst. Und jetzt sagst schon wieder Dinge, die du gar nicht so meinst. Du suchst aufs Neue die Konfrontation.” Aufgebracht schnappt er nach Luft. Shinodas explodierte Wut fasziniert mich. So engagiert habe ich den Besonderen noch niemals erlebt. Seine Stimme ist zu laut. Entschieden zu bösartig. Als er das merkt, atmet er ein paarmal tief durch. Der Typ versucht sich zu beherrschen. Dieses unbekannte Feuer in seinen großen, wunderschönen Mandelaugen fesselt mich dermaßen, dass ich nichts erwidern kann.

„Hör mal zu, Chaz”, fängt er nach einer Weile wieder an, „Ich weiß, dass es dir beschissen geht. Seit du hier bist, ist es für dich jeden Tag schlimmer geworden, nicht wahr?” Unzufrieden betrachte ich ihn. Eigentlich will ich ihm sofort widersprechen. Ich will nicht so ein depressives Weichei sein. Will nicht derjenige sein, der nicht klarkommt. Das ist total erbärmlich. Blöderweise kriege ich aber gerade keinen Ton heraus. Also redet Mikey weiter. Der Klang seiner angenehmen Stimme ist behutsamer geworden. Der zornige Kerl gibt sich Mühe. Der erstaunlich angefressene Typ versucht ruhig zu bleiben. Das macht er nur mir zuliebe. Mike Shinoda kümmert sich um mich. Als ich das plötzlich kapiere, bin ich sehr viel stärker gerührt, als ich zugeben würde.

„Weißt du, ich bin nicht dumm, Chester Bennington. Ich kann mir denken, was mit dir los ist. Seit du hier bist, hast du schließlich keine Drogen mehr nehmen können, richtig?” erkundigt der Patient sich mitfühlend. Seine naiven Wörter schlagen wie ein Bombe in meinen gefesselten Verstand ein. Gnadenlos reißen sie mich vom Bann seiner faszinierenden Augen los. Unwillkürlich mache ich einen dermaßen energischen Schritt zurück, dass Mike dabei um ein Haar mein T-Shirt zerreißt. Erschrocken lässt er mich los. Endlich bin ich befreit von dem gefährlichen Mann. Meine Augen töten ihn auf viele grausame Arten.

„Du....”, keuche ich fassungslos, zeige unwillkürlich mit dem Finger auf ihn und gehe dabei langsam rückwärts, um Abstand zwischen uns zu gewinnen, „Wage das ja nicht, verdammt! Bilde dir bloß nicht ein, du wüsstest, wie das ist! Du weißt es nämlich nicht, verflucht! Du hast keine blasse Ahnung, Shinoda! Du kannst es dir nicht mal ungefähr vorstellen!” Mike öffnet den Mund, um etwas zu erwidern. Er will einen Schritt auf mich zumachen. Aber meine aggressive Handbewegung scheucht ihn von mir weg und meine Stimme schneidet ihm hart das Wort ab: „Sprich nicht über etwas, das du gar nicht kennst, verdammt”, drohe ich entgeistert, „Hör sofort auf über Drogen zu reden, Mike Shinoda!” „Ach, komm, Chester, ich hab doch recht”, beschwert er sich auch noch ungehalten, „Wahrscheinlich musst du hier zum ersten Mal seit langer Zeit nüchtern sein.” „Fick dich, Shinoda!” brülle ich impulsiv los, „Du hast doch keinen Schimmer! Du weißt überhaupt nichts! Ich will dein scheiß Mitleid nicht!”

Irgendwas stimmt nicht mit mir. Mein Kopf klinkt aus. Mein Herz hämmert wie verrückt. Ich habe Schwierigkeiten mit dem Atmen. Kann es nicht ertragen, dass der Besondere mich als erbärmlichen Junkie auf dem Trockenen darstellt. Obwohl er fatalerweise recht hat, weil ich es an diesem abgeriegelten Ort zweifellos bin, erniedrigt Mike Shinoda mich mit seiner unbedarften Bemerkung auf eine Art, die ich unmöglich kommentarlos hinnehmen kann.

„Mitleid?!” kreischt er herbe vor den Kopf geschlagen, „Du glaubst ernsthaft, ich hätte nur Mitleid mit dir?” Dieser sonderbare Typ verwirrt mich. Seine seltsame Reaktion macht mich tierisch wütend. Ich verstehe ihn nicht. Kann seinen gigantischen Zorn nicht zuordnen. Fühle mich hilflos. Darum drehe ich mich überstürzt von ihm weg. Bin nicht länger dazu in der Lage, die aufreibende Auseinandersetzung mit ihm weiterzuführen. Wenn Mikey von Drogen redet, dann kann ich nur verlieren. Das steht mal fest. Außerdem ist es für mich keine Frage, ob der Besondere Mitleid mit mir hat. Es ist schlicht offensichtlich. Ständig guckt er mich mit diesen traurigen, irre mitfühlenden Augen an. Als würde ich ihm pausenlos Leid zufügen. Das weckt Schuldgefühle in mir. Ich will das nicht mehr. Dieser Streit geht mir unglaublich auf den Sack. Die Dämonen in meinem Gehirn lärmen so laut, dass ich am liebsten auf der Stelle mitschreien möchte. Noch viel lauter schreien muss. Den Krach in meinem Schädel übertönen muss. Es fällt mir enorm schwer, mich diesbezüglich zurückzuhalten. Kann das wüste Knurren in meiner Kehle nicht abstellen.

Mein Körper bewegt sich autonom von Shinoda weg. Auch wenn es kläglich ist abzuhauen, kann ich in diesem Moment nichts anderes mehr tun. Wenn ich jetzt nicht weggehe, dann tue ich früher oder später unter Garantie etwas, das sich nicht mehr korrigieren lässt. Ich werde etwas zu ihm sagen, das er mir niemals verzeihen kann. Etwas tun, das sich nicht wieder gutmachen lässt. Die Gewissheit versetzt mich in Panik. So etwas darf unter keinen Umständen passieren. Das wäre mein Untergang. Ich will diesen Menschen nicht verlieren. Darum laufe ich vor ihm davon.

Allerdings komme ich nicht sehr weit. Schon nach wenigen Metern hat der schwarze Stachelkopf mich eingeholt. Er greift mich von hinten an. Obwohl ich es besser wissen müsste, bin ich nicht darauf gefasst. Seine kräftigen Arme umschlingen mich. Plötzlich. Zwingen mich anzuhalten. Die Finger verhaken sich vorne an meiner Brust. „Nein, Chester Bennington, so geht das nicht. Du kannst jetzt nicht einfach weglaufen. Damit lösen sich deine Probleme nicht. Du schleppst sie nur weiter allein mit dir herum. Dadurch werden sie nichts als immer schwerer, hörst du?!” redet der Patient beschwörend auf mich ein. Seine vertraute Stimme klingt flehend. Verzweifelt. Mikey ist traurig. Ich habe ihn betrübt. Es geht ihm schlecht wegen mir. Wahrlich nicht zum ersten Mal. So etwas passiert doch pausenlos. Seit er mir an diesem Ort begegnet ist, habe ich ihm Kummer bereitet. Das tut mir unendlich leid. Aber ich weiß nicht, was ich dagegen machen kann. Keine Ahnung, wie ich das wieder hinbiegen soll. Wo sich doch nie etwas verändern wird. Wo ich doch gar keine Chance habe, je etwas zu ändern.

„Lass mich los...”, keuche ich völlig überfordert. Während ich in Wahrheit nur noch halbherzig versuche ihn loszuwerden. Er will mich nicht freilassen. Im Gegenteil. Er packt mich immer fester. Greift sich brutal mein T-Shirt. Hakt seine Finger rigoros in den Bund meiner Jeans. Mike hält sich an mir fest, als würde sein Leben davon abhängen. Irgendwie trifft mich diese hilflose Verzweiflung. Der Kerl gibt mir das überraschend angenehme Gefühl, tatsächlich wichtig für ihn zu sein. Auch wenn ich mir seine Hingabe gar nicht erklären kann. Sie mit Sicherheit nicht verdient habe.

Fest aneinander geklammert torkeln wir ein paar Schritte auf der Wiese herum. Der Mann zerrt mich geradewegs zurück zu der Bank. Weil ich im Grunde gar nichts dagegen habe, denn ich weiß sowieso nicht, wo ich sonst hin soll, lasse ich das zu. Gemeinschaftlich schwanken wir durch die Gegend. Als wären wir beide total besoffen. Ich wünschte, wir wären es. Dann würde nämlich alles viel leichter sein. Aber mein armer Verstand ist viel zu brutal nüchtern. Ich bin der Welt schutzlos ausgeliefert. Der Patient hängt sich an mich, sodass ich noch mehr ins Taumeln gerate. Es ist anstrengend, gegen den starken Kerl zu kämpfen.

„Bleib hier, Chester”, flüstert Mikey flehentlich, den schönen Mund irgendwo dicht an meinem Ohr, „Bitte bleib bei mir. Bitte sprich mit mir. Erzähl mir doch bitte, was passiert ist.” „Lass mich in Ruhe!” schreie ich ihn erbost an, „Tu nicht so, als wüsstest du irgendwas über mich! Schieb dir dein Mitleid in den Arsch, Shinoda!” Der aufdringliche Typ macht mich richtig sauer. Beinahe platze ich schon vor Wut. Auf mich selbst. Auf ihn. Ich will nicht von ihm festgehalten werden. Will auf keinen Fall, dass er mich loslässt. Will mich nicht mit diesen schmerzhaften Themen beschäftigen müssen. Unermüdlich bin ich das fremde Arschloch in mir selbst. Es fällt verdammt schwer, die Wut loszulassen, wenn sie scheinbar das einzige ist, das mich derzeit lebendig erhält. Es hat den Anschein, als würde Mike das besser verstehen als ich. Zumindest lässt er sich davon nicht abschrecken. Mit aller Energie versucht er für mich da zu sein. Shit, das kann ich nie wieder gutmachen.

Bevor ich reagieren kann, hat der halbe Japaner mich schon zielstrebig auf die Bank geschubst. Haltlos falle ich mit dem Hintern auf die Sitzfläche. Stoße mir dabei schmerzhaft das Steißbein an. Mein Rücken knallt gegen die hölzerne Lehne. Im nächsten Moment ist Knopfauge plötzlich auf meinen Schoß geklettert. Schwer lässt er sich auf meinen Oberschenkeln nieder. Die Beine fest um meine Hüften gepresst, sorgt er dafür, dass ich mich nicht rühren kann. Seine Knie an der Rückenlehne der Bank geben ihm die nötige Stabilität. Diese Position kann unmöglich bequem für ihn sein. Für mich aber schon. Irgendwie. Es überrascht mich, wie wenig es mir ausmacht, sein Gewicht auf mir zu spüren. Seine Körperwärme wahrzunehmen überwältigt mich. Genaugenommen möchte ich den Kerl noch sehr viel näher bei mir haben. Es macht mich verrückt, wie dicht sein Unterleib sich plötzlich an meinem befindet. Nur wenige Inches trennen unsere Schwänze noch voneinander. Ich muss mich echt brutal anstrengen, um ihn nicht augenblicklich gierig an mich zu drücken.

Stattdessen funkele ich ihn nur widerborstig an. Der Stachelige erwidert meinen Blick. Unverändert ist er aufgebracht. Sein Atem geht mindestens so schwer wie meiner. Er hat sich für mich angestrengt. „Hör damit auf, Bennington! Hör um Himmels Willen endlich auf dich selbst so klein zu machen!” brüllt der wütende Kerl wie am Spieß. Seine Worte verwirren mich jäh. So etwas habe ich nicht erwartet. Die seltsam freundliche Aussage bewirkt irgendwas in mir. Sie berührt mich unvorbereitet stark. Weil seine Freundlichkeit im krassen Gegensatz zu seiner stürmischen Wut steht. So etwas fällt mir auf. Das interessiert mich.

Plötzlich dämmert mir, dass Mike Shinoda gerade etwas enorm Wichtiges zu mir sagt. Der zornige Typ hat wahrhaftig etwas erkannt, das die unschöne Wahrheit ist. Diese bedrohliche Realität. Vor der ich dann nicht mehr weglaufen kann. Keine Chance mehr mich zu verstecken. Mister Halbjapaner hat mich endgültig durchschaut. Das schlagartige Verstehen macht mir sofort eine Heidenangst.

„Nein!” schreie ich konfus, „Nein, Mike, tu das nicht... das ist es nicht, was ich...” „Hör damit auf, Chester!” unterbricht er mich lautstark, fixiert mich flehend, „Hör auf zu glauben, dass du jemand bist, mit dem man nur Mitleid haben kann. Das stimmt nicht, verdammt. Du bist längst nicht so wertlos, wie du anscheinend denkst, Chazy Chaz.” „Nein... das will ich damit nicht... fuck, du kannst nicht einfach...”, entgegne ich völlig erschlagen.

Mein armer Kopf ist total durcheinander. Ich verachte mich selbst. Für mein jämmerliches Herumstammeln. Dafür, dass mir die richtigen Worte fehlen. Fühle mich entsetzlich dumm. Bin der Situation nicht gewachsen. Fühle mich ihm unterlegen. Weiß nicht, was ich tun soll. Darum knurre ich Mike wütend an. Verbissen halte ich an meiner Wut fest, denn sie ist ein beruhigend vertrautes Gefühl. Zorn ist etwas, mit dem ich mich auskenne. So was brauche ich gerade dringend. Weil ansonsten wüstes Chaos herrscht. Der Typ auf meinen Schenkeln macht mich stinksauer. Weil mir keine schlaue Erwiderung einfällt. Weil er mich mit dieser Aussage viel härter trifft, als jeder noch so harte Schlag von ihm es könnte. Weil ich Zähne knirschend einsehen muss, dass ich Mike Shinoda nicht gewachsen bin. Das macht mich fuchsteufelswild. Mein Herz rast förmlich. Aufgebracht schnappe ich nach Luft.

Aber meine Aggressivität juckt ihn scheinbar gar nicht. Der Mann wird es nicht leid mich mitfühlend anzusehen. Er sitzt ganz ruhig auf mir. Umschlingt mich reglos mit seinen geknickten Beinen. Sein Oberkörper ist aufrecht. Ratlos schaue ich in das hübsche Gesicht. Seine Augen scheinen funkelnde Edelsteine zu sein. Zweifellos können sie mich bis auf den Grund durchleuchten. Wie Röntgenaugen blicken sie mühelos tief in meine Seele hinein. „Verdammt, Mike...”, keuche ich hilflos, „Lass das doch... Mensch, du kannst doch jetzt nicht...” Seine Finger, die plötzlich zart, fast ehrfürchtig mein Gesicht streicheln, bringen mich abrupt zum Schweigen. Die liebevolle Berührung lässt mich erschaudern. Ich kann nicht begreifen, warum Mike mich streichelt, anstatt den anderen Typen, der ich zweifellos gerade bin und der ständig kämpferisch auf ihn losgeht, zum Teufel zu jagen.

„Nein, Chester, du hast keinen Grund dich selbst so wertlos zu machen. Du bist nicht so schwach, wie du meinst. Denkst du etwa, ich würde schlechter von dir denken, nur weil du mal Drogen genommen hast? Nein, Chaz, an dir ist überhaupt nichts, was mein Mitleid erregen könnte”, erklärt der Zauberer mir mit unfassbarer Geduld. Betroffen lasse ich meinen Blick über seine bärtige, perfekt gepflegte Attraktivität wandern. Ich kann nicht fassen, wie gut er aussieht. In diesem Moment verstehe ich plötzlich, dass Shinoda das gerade macht. Er jagt den anderen Kerl in mir zum Teufel. Nur tut Mikey das auf seine eigene Art. Vollkommen anders als erwartet. Mit sanften Berührungen. Seiner typischen Liebenswürdigkeit. Ich wusste gar nicht, dass so was möglich ist. Diese Erkenntnis legt mich völlig lahm.

Sachte schüttelt er den stacheligen Kopf. Versucht ein aufmunterndes Lächeln. Streichelt sanft über mein Gesicht. Berührt meine Augenbrauen. Die Nase. Fährt mit den Fingern vorsichtig an meinen Lippen entlang. Die liebevolle Behandlung fährt mir durch sämtliche Kapillaren. Ich kann gar nicht anders, als meine Arme ehrfürchtig um seinen tollen Körper zu legen. „Mike... nicht... tu das bitte nicht...”, krächze ich total konfus. Fühle mich entsetzlich hilflos. Der Kerl nimmt mir unaufhaltsam meine Wut weg. Das Einzige, an dem ich mich noch festhalten konnte. Jetzt ist nur noch er übrig. Keine Ahnung, was das bedeutet.

„Ist schon gut, Chaz”, erwidert der Schwarzhaarige leise. „Nein, das ist nicht gut”, widerspreche ich sofort. Mike lächelt breit. Übergeht meinen Einwand. Sein Lächeln macht ihn noch viel schöner. „Hör mal, Chaz, du könntest doch mal was Neues ausprobieren. Anstatt dich jedes Mal hinter deiner Wut und dem Kampf zu verstecken, könntest du es doch einfach mal mit der Wahrheit versuchen”, schlägt er seltsam gelassen vor. Ich halte mich mental an seinem Anblick fest. Meine Finger krallen sich hinten in sein T-Shirt. Weil ich dringend seinen Halt brauche. „Nein, die Wahrheit ist nicht einfach”, erkläre ich ihm verstört, „Die willst du gar nicht wissen, Mike.” Seine Hände streicheln sich an mir herunter. Über meine Schultern. Die Oberarme. „Das musst du schon mir überlassen, ob ich die Wahrheit hören will, Chester. Was hast du schon zu verlieren? Probier das doch bitte mal”, fordert er mich flehend auf.

Meine Kehle schnürt sich zu. Es dauert nur wenige Sekunden, bis ich mich entschieden habe. Mike hat keine Ahnung, was er hier im Begriff ist loszutreten. Die Wahrheit wird alles kaputtmachen. Darum muss ich ihn dringend stoppen. Um das zu erreichen, fällt mir nur eine Methode ein. Hastig beuge ich mich vor. Weil er mir sowieso schon so nah ist, trifft mein Mund den seinen auch diesmal zu heftig. Unsere Lippen prallen aufeinander. Ungeduldig dränge ich mit meiner Zunge in ihn. Überrumpelt öffnet er seinen Mund für mich. Gleichzeitig rutschen meine Finger an seinem Rücken hinab. Mit beiden Händen umfasse ich seinen Hintern. Drücke ihn rigoros näher zu mir. Ganz nah an mich heran. Bis unsere Unterleiber sich dicht aneinanderpressen. Mann, das fühlt sich enorm gut an. Ich bin froh, ihn noch einmal auf diese Art ablenken zu können. Es befriedigt mich, wie leicht er jedes Mal darauf reinzufallen scheint. Mit so viel Hingabe. Mike lässt keinen Zweifel daran, wie sehr er auf mich abfährt. Das erregt mich. Aber der Besondere ist verdammt clever. Darum muss ich auf der Hut sein. Diesmal lasse ich mich nicht aufhalten.

16. It's too late to love me now


Michael Kenji Shinoda

Noch immer weicht er mir aus. Hartnäckig wehrt er sich gegen jeden einzelnen meiner unbeholfenen Versuche. Zeigt mir dabei sein bemerkenswert ausdauerndes Temperament. Chester will sich nicht von mir helfen lassen. Der hübsche Arizona-Boy erlaubt mir nicht, hinter seine bestimmt in jahrelanger Übung sorgfältig ausgebaute Fassade aus charmanten Freundlichkeiten und lustigen Albernheiten zu blicken. Lieber zeigt er mir diese andere Seite von sich. Die unfassbar dämonische Dunkelheit in ihm. Die ich überhaupt nicht leiden kann. Von der ich wünschte, sie würde gar nicht existieren. Dieser zynische, gemeine und unglaublich wütende Kerl. Der kaum noch etwas mit dem Menschen zu tun hat, den ich über alles liebe.

Die Version des Mannes, von der ich absolut sicher bin, dass sie den wahren Chester darstellt, scheint für mich langsam unerreichbar zu sein. Chazy Chaz ist unbemerkt verschwunden. Ich weiß nicht wohin. Was ich auch ausprobiere, ich dringe einfach nicht zu ihm durch. Meine Hilfsangebote und Vorschläge erreichen ihn nicht.

Vorhin dachte ich mal kurz, dass ich vielleicht etwas bewirkt hätte. Als er mir mit leuchtenden Augen von der American West Arena in Phoenix erzählt hat. Wie unheimlich gerne er dort mit seiner Band Grey Daze auftreten würde. Dass der Sänger davon träumt, vor richtig großem Publikum singen zu dürfen, in einer riesigen, ausverkauften Halle Musik zu machen. Als Chaz mich an seiner Vision teilhaben ließ, sah es ein paar Minuten lang so aus, als hätte ich ihn endlich dazu gebracht, sich an seine Ziele zu erinnern. Ich dachte wirklich, seine innigsten Wünsche wären ihm wieder eingefallen und hätten ihn eventuell zu mir zurückgeholt.

Aber schon kurz darauf hat der verstörte Junge plötzlich wieder dichtgemacht. Getrieben von seiner mir völlig unverständlichen Panik hat Chester versucht, mich mit groben Küssen zum Schweigen zu bringen. Mit wilden, ungestümen Berührungen wollte er meinen Fragen entkommen. Der Typ benutzte plumpe Zärtlichkeiten, die definitiv nicht aus Zuneigung, sondern aus Verzweiflung entstanden waren. Anstatt sich mir zu öffnen, hat Chester Bennington sich mir fast vollständig verschlossen. Der komplizierte Mitpatient vertraut mir nicht genug, um mit mir zu reden. Auf Dauer ist das so dermaßen frustrierend, dass ich inzwischen nahe daran bin aufzugeben.

Im Moment wäre es ziemlich einfach zu kapitulieren. Chester macht es mir überraschend leicht, den mühsamen, schmerzvollen Kampf um sein Seelenheil zu beenden. Nicht länger mit aller Kraft versuchen zu wollen, ihn zu verstehen, kommt mir mittlerweile verlockend vor. Ich glaube, dass es aktuell nur noch meine Kapitulation ist, die Bennington dringend erreichen will. Der Tätowierte will sich nicht mit seinen Problemen beschäftigen, obwohl sie ihn beinahe umbringen. Zumindest ist das mein Eindruck. Außerdem hat der Kerl keinerlei Interesse daran, dass ich mich damit auseinandersetze. Er will meine Hilfe nicht.

Stattdessen küsst er mich lieber. Zum zweiten Mal versucht Chester auf diese Art mich loszuwerden. Keine weiteren Fragen mehr. Keine Bemerkungen, die ihn nichts als noch wütender machen. Mit seinen manisch verschlingenden Zärtlichkeiten kann er mich innerhalb von Sekunden besiegen.

Mit mir auf seinem Schoß ist er mit bemerkenswerter Kraft bis an den vorderen Rand der Holzbank gerutscht. Gleichzeitig hat er mich mit beiden Händen energisch an sich gedrückt. Sodass unsere Körper sich fast auf ganzer Länge gegeneinander zusammenpressen. Ich spüre seinen Schwanz an meinem Unterleib. Sein schnell und hart schlagendes Herz an meiner Brust. Seine Hände auf meinem Hintern. An meinem Rücken. Meine Beine liegen geknickt rechts und links neben seinen Hüften. Meine Knie drücken sich gegen den untersten Streben der Rückenlehne der Bank. Das Holz ist hart und unbequem. Aber ich spüre es kaum. Weil Chester mir körperlich so nahe ist, dass ich unweigerlich in ihm versinke. Seine Zunge ist leidenschaftlich in meinem Mund. Übervoll mit Energie flattert sie herrisch forschend in meiner Mundhöhle herum. Fühlt sich heiß und nass an. Seine Lippen saugen sich an mir fest. Lassen mich wieder los. Knabbern an mir herum. Streichen durch meinen Bart. Küssen und lecken in wilder Eile mein Gesicht ab.

Chesters dunkle Augen sind fest geschlossen. Der Patient hat alle Schotten dichtgemacht. Wären seine Augen offen, dann könnte ich noch immer diese wahnsinnige Wut in ihnen sehen. Ich würde den Schmerz und die Angst bemerken, die tief in ihnen lauert. Er hat sie gut versteckt, hinter seiner hohen Mauer aus Lügen. Aber ich habe keinen Zweifel daran. Mister Bennington ist bis zum Bersten voll mit mächtigen, alles verschlingenden Emotionen. Es sind gefährliche Gefühle, die sich immerzu im Kreis drehen, und mit denen Chaz unmöglich allein fertig wird. Ich kenne das. Es ging mir auch mal so. Das ist noch gar nicht lange her.

Kurz nachdem ich aus der Gruppentherapie geflüchtet war. Allein in meinem Zimmer. Der vertraute Raum, der zum ersten Mal zu klein für mich geworden war. In dieser Situation hat Doktor Brad Doyle mich gerettet. Weil mein Psychologe mir zugehört hat. Weil er mich ernst genommen hat. Obwohl ich völlig wirr war.

Heute möchte ich Chester retten. Ich will ihm dringend zuhören. Unglaublich gern würde ich ihm meine ganze Aufmerksamkeit schenken. Jede Minute meiner Zeit gehört ihm. Ich würde alles für ihn tun. Aber Chester redet nicht mit mir. Stattdessen küsst er mich. Der überdrehte Kerl küsst und berührt mich, als würde sein Leben davon abhängen. Sein schlanker, sehniger Körper bewegt sich ruhelos unter mir. Sein Atem geht schwer. Die Hände fahren wahllos über meinen Leib. Streicheln grob über mein T-Shirt. Kneten nervös meine Jeans am Hinterteil. In panischer Hast stürzt der junge Mann sich in die Zärtlichkeiten mit mir.

Normalerweise würde ich das genießen. Ich liebe seinen berauschenden Körperkontakt über alles. Doch auch diesmal fühlt es sich völlig falsch an. Ganz ähnlich seinem ersten Versuch, mich durch Berührungen von meiner unerwünschten Neugierde abzulenken. Nichts hiervon ist richtig. Weil Chester dabei gar nicht zärtlich ist. Chester ist randvoll mit heiß brodelndem Zorn. Mit aufbrausenden Emotionen, die er irgendwie katalysieren muss. Der Arme will sie mit Sex loswerden, glaube ich. Nur funktioniert das nicht. Weil diese Art von Gefühlen sich nicht überlisten lässt. Ich weiß das. Man kann sie nur auf eine Art loswerden. Indem man sie sich von der Seele redet. Nur wenn man sie mit jemandem teilen kann, werden sie erträglicher. Seine Last wäre dann nur halb so schwer. Wie gerne würde ich seine Bürde gemeinsam mit ihm tragen.

Aber Chester will das nicht. Bennington glaubt anscheinend ernsthaft, dass er schon irgendwie alleine klarkommt. Dabei schafft er das gar nicht. Stattdessen versinkt er nur immer tiefer in seiner ureigenen Dunkelheit. Ich verstehe ihn einfach nicht. Der Patient ist so störrisch, dass ich ihn am liebsten anschreien will. Chesters Sturheit macht mich richtig sauer. Ich möchte ihn dazu zwingen, mit mir zu reden. Will ihm die Wahrheit mit Gewalt aus der vermutlich aufgrund von Angst und schlechten Erfahrungen fest verschlossenen Seele schreien. Egal was es ist, das ihn so schrecklich quält. Ich bin sicher, ich könnte es ertragen. Sogar viel besser als sein zorniges, mich offen ablehnendes Schweigen.

Aber mir ist klar, dass ihn anzuschreien auch nichts nützen würde. Es würde mich dem Widerspenstigen keinen Schritt näherbringen. Sondern ihn nur noch weiter von mir wegjagen. Weil der hässliche Dämon in ihm mit Sicherheit nur mächtig angepisst zurück schreit. Ich will nicht von meinem Mann angeschrien werden. Außerdem hätte ich sowieso keine Chance gegen ihn, denn im Schreien ist er weitaus besser als ich. Zweifellos würde Mister Bennington mich in Grund und Boden brüllen. Oder er würde nochmal weglaufen. In dem Verlangen, sich schnellstmöglich vor mir in Sicherheit zu bringen, würde er bestimmt abermals flüchten wollen. So wie gerade. Als er plötzlich in einem Anfall von Panik abhauen wollte. Nur mit Mühe und Brutalität konnte ich ihn zurück auf unsere Bank schubsen. Muss ihn seitdem mit meinem ganzen Gewicht daran hindern aufzustehen. Sobald ich ihn loslasse, wird er unter Garantie weglaufen.

Die seltsame Situation macht mich zornig. Weil ich mich so verdammt hilflos fühle. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll. Keine Ahnung, was das Beste für ihn wäre. Oder für mich. Oder für uns beide. So jemanden wie Chester Bennington aus Phoenix, Arizona habe ich noch nie in meinem Leben getroffen. Völlig unmöglich ihn aufzugeben. Aber ich muss meine schwelende Wut auf ihn unbedingt im Zaum halten. Überlegt vorgehen. Mir noch viel mehr Mühe geben. Wahrscheinlich kennt Chaz es einfach nicht, dass jemand ihm aufmerksam zuhören möchte. Dass sich jemand ernsthaft für ihn interessiert, hat der Patient offenbar noch nie erlebt.

Der tätowierte Sänger wirkt derart verwirrt auf mich, als wäre meine mitfühlende Anteilnahme komplett unverständliches Kauderwelsch für ihn. Warum versteht Chazy denn nicht, wie brennend ich mich für ihn interessiere? Hat er etwa noch immer nicht gemerkt, wie unendlich viel er mir bedeutet? Glaubt er mir das denn nicht? Es kränkt mich sehr, wie spöttisch und arrogant er mich manchmal abweist. Wie sehr er sich anstrengt, um mich weiterhin zu belügen. Was er alles anstellt, um mich emotionell auf Abstand zu halten. Das kapiere ich nicht. Ich wünschte, mir würde einfallen, was ich noch tun kann, um ihm zu helfen. Aber mein Kopf ist mittlerweile leer. Mister Arizona-Boy ist verflucht clever. Bennington arbeitet strategisch daran mich zu besiegen. Der Typ versteht es hervorragend, meinen Kampfgeist zu schwächen.

Weil er momentan nicht mehr abhauen kann, denn mein Gewicht auf seinen Beinen hindert ihn erfolgreich daran, küsst er mich weiter mit brennender Leidenschaft. Sicher weiß er, wie höllisch gerne ich von ihm geküsst werde. Wie umfassend ich seine Hände auf meinem Körper genieße. Mich nach seiner Berührung verzehre. Selbst wenn er so auffallend unkoordiniert agiert wie jetzt gerade. Seine Hände huschen ziellos über meine Kleidung, zweifellos panisch, tasten mich hektisch ab. Offenkundig ist er auf der Suche nach irgendeinem Halt. Den es dort gar nicht gibt. Der Brillenträger ist wahnsinnig aufgeregt. Er keucht. Sein Atem geht krampfhaft. Sein Herz pocht rasend schnell und kräftig von außen gegen meine Rippen. Seine attraktive, knochige Gestalt erzittert spürbar an mir. Die angespannten Muskeln seiner Oberschenkel zucken. Unzweifelhaft tobt da ein gewaltiger Wirbelsturm in meinem Mann. Ich weiß nicht, ob es lediglich sein Zorn ist, oder ob er damit auf meinen Kuss reagiert. Keine Ahnung, ob meine unmittelbare Nähe ihm überhaupt gefällt oder meine vorsichtigen Berührungen ihn anturnen.

Ich versuche, zärtlich zu Chaz zu sein. Möchte gerne sanft und behutsam bleiben, um ihn zu beruhigen. Aber das ist ungeahnt schwierig, wenn der aufgebrachte Kerl wie ein Tornado über mich herfällt. Mit so viel Wut in seinem Herzen, dass es ihn von Innen heraus zu verbrennen scheint. Vielleicht muss er das alles fühlen, überlege ich nachdenklich. Wenn Bennington nichts fühlen könnte, dann wäre sein Gesang mit Sicherheit nicht halb so intensiv. Chesters Gesang ist absolut magisch. Er hat die besondere Gabe, damit seine Gefühle ungefiltert nach außen hin zu vermitteln. Angst und Zorn wirken absolut authentisch. Das lässt niemanden unberührt. Nur sein Leid kann ich nicht ertragen. Ich bin aber nicht sicher, ob man Beides überhaupt trennen kann.

Meine Hände streicheln sanft über seinen Kopf in dem ständigen Bemühen, seinen rätselhaften Zorn zu beschwichtigen. Die Finger liebkosen ausführlich sein rigoros abgeschnittenes, brünettes Haar. Es ist seltsam, über Chazys runden Schädel zu streicheln. Während ich seinen Kopf versonnen betrachte, fällt mir eine lange, schmale Narbe auf, die erst jetzt sichtbar ist und offenbar professionell genäht wurde. Möchte mal wissen, wann und wie der unvorsichtige Junge sich so schwer am Kopf verletzt hat. Fraglich, dass er es mir jemals erzählen wird. Chesters Haare sind so extrem kurz, dass sie sich wie winzige, weiche Stacheln anfühlen, die man weder greifen noch festhalten kann. Das bedauere ich sehr. Ich vermisse die langen, seidigen, wunderschönen Dreadlocks. Wenn sein Haar noch so lang wie zuvor wäre, dann würde ich jetzt meine Finger darin vergraben. Ich würde den Kerl an seinen Locks packen und kräftig daran ziehen. Es wäre mein verzweifelter Versuch, ihn durch den Schmerz wachzurütteln. Vielleicht könnte ich ihn auf diese brutale Art zu mir zurückholen. Auf jeden Fall wäre es das schon erprobte Experiment wert.

Chester Bennington ist emotional enorm weit weg von mir. Der junge Mann scheint in sich selbst gefangen zu sein. Er ist irgendwo in seinem dunklen Irrgarten versteckt. Und ich kann ihn dort nicht finden. Obwohl seine Gestalt unter mir auf der Bank sich ohne Kompromisse auf mich stürzt. Der Patient nimmt mich skrupellos für sich ein. Irre besitzergreifend fasst er mich an. Seine Hände scheinen überall auf mir zu sein. Die schmalen, roten Lippen saugen mich in sich hinein. Die heiße Zunge jagt in meinem Mund so hektisch nach Bestätigung, dass ich kaum hinterherkomme. Er presst sich gierig gegen mich. An meinem ganzen Körper, in jeder einzelnen Faser meines Seins spüre ich Chazys unglaublich gigantische Energie. Sie kribbelt angenehm auf meiner Haut, glühend heiß, wie wohltuende Elektrizität.

Chester scheint seine verbliebenen Antennen jetzt ausschließlich auf mich gerichtet zu haben. Seine brennende Leidenschaft turnt mich an. Unweigerlich. Die atemlosen Geräusche der sexuellen Erregung, die der Kerl scheinbar unwillkürlich von sich gibt, spüre ich geradewegs in meinem Unterleib. Der sich fest gegen seinen drückt. Meine Beine sind um seine Hüften gespreizt. Ich bin noch immer ein bisschen hart. Mann, es fühlt sich höllisch gut an, meinen Mann mit all seinen perfekten Körperteilen so direkt an mir zu spüren. Jeden mega aufgedrehten Inch von ihm wahrzunehmen macht mich richtig geil. Liebend gerne würde ich es jetzt endlich gut sein lassen. Die ungelösten Probleme abhaken, nicht länger darüber nachdenken und mich komplett in diesen zauberhaften Menschen versenken. Ich könnte einfach so tun, als wäre alles wunderbar in Ordnung. Als würde es uns beiden hervorragend gehen. Als würden wir uns schlicht miteinander wohlfühlen. Gedankenlos. Es wäre verlockend kinderleicht, Chesters neuestem Versuch der Verdrängung nachzugeben.

Aber leider weiß ich nur zu genau, dass Nichts von dem hier stimmt. Obwohl es körperlich unbestritten enorm behaglich ist, fühlt es sich trotzdem nicht echt an. Dieser intime Kontakt mit meinem Mann ist ganz anders als gestern, als ich ihm mit klopfendem Herzen mein Zimmer gezeigt habe. Als wir erst vor wenigen Stunden gemeinsam vor meinem Kleiderschrank standen. Uns vor Nervosität zitternd vor dem anderen nackt ausgezogen haben. Zusammen eng umschlungen in meinem kleinen Einzelbett lagen. Zu diesem Zeitpunkt war der Patient Bennington absolut mit sich im Reinen. Ich bin sicher, dass es ihm gut ging, als wir gemeinsam unser nie zuvor erlebtes, mega geiles Spiel gespielt haben. Da schien alles zwischen uns fantastisch zu sein. Er war so ein überwältigend zuckersüßer Chester-Boy für mich.

Aber von diesem zärtlichen, charmant lustigen Mann ist gegenwärtig nichts mehr übrig. Jetzt ist der Kerl nur noch ein brodelndes Pulverfass. Seine drastische Verwandlung muss einen triftigen Grund haben. So lange schon zerbreche ich mir den Kopf darüber. Gestern Abend nach unserer Musikstunde ist ihm vermutlich etwas Schreckliches passiert. Das muss richtig schlimm für ihn sein. Niederschmetternd problematisch. Denn seit heute Morgen ist der Sänger aus Phoenix ein anderer Mensch. Und es scheint ständig gefährlicher für ihn zu werden. So außer Kontrolle habe ich den labilen Patienten noch nie erlebt. In dieser Verfassung kenne ich ihn gar nicht. Mir ist egal, was er mir vorspielt oder wie oft er mir beteuert, dass es ihm gut geht, weil ich es definitiv besser weiß. Ich spüre es mit all meinen geschärften Sinnen. Dem Arizona-Boy geht es aktuell total Scheiße. Mein geliebter Mann tanzt auf einem potentiell tödlichen Drahtseil. Zweifellos. Das darf ich nicht ignorieren. Die Gefahr für sein Leben ist viel zu groß, um sie unbeachtet zu lassen. Darum kann ich es unmöglich aufgeben, diesem besonderen Menschen helfen zu wollen. Ich muss es immer weiter versuchen. Denn ich würde es mir niemals verzeihen können, wenn ihm etwas zustößt.

Chester ist extrem ungeduldig. Sein schlanker Körper bewegt sich wild und panisch unter mir. Als würde der Sänger auf heißen Kohlen sitzen. Oder auf dem Rand seines Vulkans balancieren. Er atmet unverändert tief und ringend. Sein Herz hämmert gegen meine Rippen. Seine Hände schlüpfen überstürzt hinten unter mein T-Shirt. Energisch schiebt er den Stoff hoch. Die langen Finger streichen zu schnell über meine nackte Haut. Chaz berührt meinen Rücken nur oberflächlich. Weil er offenbar was anderes im Sinn hat. In Gedanken ist der geile Kerl anscheinend schon viele Schritte weiter. Grob versucht er mich auszuziehen. Der freche Typ will mir tatsächlich das T-Shirt herunterzerren. Hier, im quasi öffentlichen, am Nachmittag gut besuchten Psychiatriepark. Auch diesmal ist es ihm egal, dass wir jederzeit gesehen werden könnten. So etwas hat ihn ja noch nie interessiert. Trotzdem verhält er sich anders als sonst. Mein normalerweise einnehmend zärtlicher Mann agiert ungewohnt aggressiv. Sein Tun ist vollkommen unkontrolliert. Auf eine verwirrende Art egoistisch. So geht das nicht.

Vorsichtig aber bestimmt löse ich mich von seinem alles beherrschenden Kuss. Sofort fängt Chester an zu knurren. Unzufrieden. Alarmiert reißt er die dunkelbraunen Augen auf. Drückt mich noch enger an sich. Auf keinen Fall will er mich loslassen. Ich bin nicht sicher, ob ich deswegen geschmeichelt sein soll oder eher angepisst.

„Zieh das aus, Mike!” befielt der Tätowierte mir mit rauer Stimme. Auffordernd zupft er an meinem Shirt herum. Irre drängend in seinem überraschend jäh erwachten Verlangen. Chester sprüht förmlich vor Sexualität. Das macht mich total an. Es fällt mir nicht leicht, mich ihm zu entziehen. Weil doch alles in mir sich gigantisch näher zu ihm hin sehnt. Schließlich habe ich mir den flüchtenden Mann mit Gewalt zurück auf diese Bank geholt. Habe mich besitzergreifend und dominant auf seine Oberschenkel gesetzt. Will ihn auf keinen Fall gehenlassen.

Trotzdem weiche ich ihm aus. Natürlich versteht Chester meine abrupte Weigerung nicht. Das kann ich ihm nicht mal verdenken. Ich weiß ja selbst noch nicht genau, was ich jetzt machen soll. Sein Griff wird herrischer um mich. „Mikey, komm schon...”, quengelt Chaz ungehalten. Beinahe tut er mir leid. Ich habe keinen Schimmer, wie es nun weitergehen soll.

Etliche Minuten sitze ich einfach so da. Sehe ihn ratlos an. Spüre seine hell lodernde Energie an mir, unter mir auf der Bank. Bin gefesselt davon, wie unglaublich stark dieser Mensch doch ist. Seine dunklen Augen hinter den Brillengläsern brennen vor Ungeduld. Misstrauisch fixiert er mich. Wartet ungeduldig auf meine Reaktion. Leider will mir nicht einfallen, was ich in dieser Situation noch tun kann, um ihm zu helfen. Obwohl ich in wilder Hast darüber nachdenke. Aber jede neue Idee, die mich vage streift, erscheint mir sinnlos oder zumindest wirkungslos. Das habe ich doch alles schon so ähnlich ausprobiert.

Als ich später schon versucht bin aufzustehen und die seltsame Farce zu beenden, trifft mich plötzlich ein verzweifelter Geistesblitz. Im ersten Moment erscheint mir die Idee überraschend klug zu sein. Womöglich ist es sogar diesmal die richtige Methode, um bei dem komplizierten Sänger etwas zu bewirken. Der Gedanke, die unbestimmte Möglichkeit, ihn vielleicht damit auf Umwegen zu erreichen, lässt meinen Herzschlag sofort rapide ansteigen.

Mit verblüfft aufgerissenen Augen sehe ich ihn an. Seine Miene hat sich unterdessen krass verändert. Der Typ hat genervt die Brauen zusammengezogen und bleckt wütend die Zähne. Chester ist scheinbar gefährlich nahe daran komplett durchzudrehen. Definitiv habe ich keine Zeit mehr, um erst lange über meinen Plan nachzudenken. Sorgfältig abzuwägen, ob es auch wirklich das Richtige ist, was ich jetzt versuchen will. Ich muss das Risiko eingehen.

Kurzentschlossen beuge ich mich vor und fahre mit meinen Lippen an seiner glattrasierten Wange entlang. Augenblicklich hört er mit dem nervigen Herumzappeln auf, lässt das warnende Knurren sein und erstarrt gespannt unter mir. Ich habe ihn überrascht. Das gefällt ihm. Was mir sofort Mut gibt. Sanft bewege ich mein Gesicht zu seinem niedlich abstehenden Ohr hin.

„Bitte lass uns ein geiles Spiel spielen, Chazy Chaz”, schlage ich so behutsam wie möglich vor. Flüstere es verheißungsvoll und verschwörerisch in seinen Gehörgang hinein. Küsse die behaglich warme Haut. Meine Zunge fährt zart die große, runde Ohrmuschel nach. Ich liebe es, wie er kichernd die Schultern hochzieht. Langsam richte ich mich auf. Damit ich ihn ansehen, seine Reaktion prüfen kann, von der ich nicht mal im Groben abschätzen kann, wie sie ausfallen wird.

Unsere Blicke treffen sich sofort. Seine ambivalente Schönheit erschlägt mich fast. Mein Herz klopft zu schnell. Ich ringe nach Luft. Fühle mich sexuell erregt. Chester bewirkt das in mir. Sein schlanker Körper lockt mich. Pausenlos. Der hübsche, viel zu wütende Arizona-Boy macht mich völlig fertig. Ich bin wahnsinnig scharf auf ihn. Es fällt mir schwer, mich auf meine selbst auferlegte, zweifellos lebenswichtige Aufgabe zu konzentrieren. Ich habe das frustrierende Gefühl, dass meine Chancen, doch noch in seine von ihm selbst hermetisch abgeriegelte Seele vorzudringen, inzwischen gen Null tendieren. Womöglich hatte ich von Anfang an keine Chance. Dies hier wird mein letzter Versuch. Ich fürchte, danach habe ich einfach keine Kraft mehr.

Chester schnauft. Spöttisch. Mit nur einem Finger schiebt er sich routiniert seine schwarze Brille zurück auf die Nase. Bei unserem allzu stürmischen Kuss wurde sie ihm beinahe aus dem Gesicht geschoben. „Du willst spielen, Mister Shinoda? Echt jetzt?” will er wenig begeistert wissen. Seine rechte Hand liegt auf meinem Hintern. Die Finger massieren nervös mein weiches Fleisch. Mit der anderen Hand fährt er unter dem T-Shirt meine Wirbelsäule hinunter. Ertastet dabei jeden einzelnen Wirbel. Seine Berührung fühlt sich an, als würde er sich krampfhaft daran festhalten. Es ist offensichtlich, dass er viel lieber nicht mit mir sprechen möchte. Seine dunklen Augen erforschen voller Argwohn mein Gesicht. „Was soll das für ein Spiel sein?” fragt er. Gestresst. Weil ihm mein Vorschlag nicht gefällt. Chaz will sich lieber in seine Gefühle flüchten, anstatt zu reden.

„Spielst du das Spiel mit mir?” bitte ich. Lächelnd. Zwinge mich dazu, das wütend drohende, mittlerweile bedenklich aufgeladene Funkeln in seinen schwarzen Pupillen nicht zu beachten. Oder vielleicht ist es auch etwas ganz anderes, was tief in seinen wundervollen Augen brennt. Möglicherweise ist der Typ einfach nur geil auf mich. Und alles andere ist nichts als selten blöde Einbildung von mir. Was weiß denn ich schon. Ich bin völlig durcheinander.

„Kommt drauf an, was du von mir willst, Mike”, bleibt der Tätowierte auf der Hut vor mir. Es kränkt mich, dass mein Mann mir misstraut. Das verzweifelte Verlangen ihn zornig anzuschreien fällt mich an. Schlagartig. Der Drang, ihm lautstark begreiflich zu machen, dass ich das alles hier ausschließlich für ihn und sein böse angeknackstes Seelenheil mitmache, scheint von Mal zu Mal stärker zu werden. Aber ich reiße mich zusammen. Atme dreimal tief durch. Mein steifer Schwanz drückt sich fest gegen sein weiches Glied. Die ganze Zeit schon. Es ist schwer, auf Dauer darüber hinwegzusehen. Mein Körper sehnt sich nach mehr direkter Stimulanz. Aber verdammt, Benningtons Dämonen sind aktuell sehr viel wichtiger als mein sexuelles Begehren.

„Ich will jetzt eigentlich nicht spielen, Mikey. Viel lieber will ich dich herbe ficken”, bemerkt Chester ziemlich obszön. Eindeutig will er mich mit seiner unverblümten Ausdrucksweise schockieren und schafft es auch. Prompt würgt er jede mögliche Antwort ab, die ich ihm gerade geben wollte. Ungesteuert zucke ich zusammen. Starre den frechen Kerl perplex an. Habe keinen Zweifel daran, wie ernst er es meint. Frivol grinsend zeigt er mir seine ebenmäßigen, weißen Zähne. Leckt sich aufreizend über die Lippen. Wackelt vielsagend mit dem Kopf.

Der Sänger lässt meinen Po los und bewegt seine Hand provokant an seinem Körper herunter. Streichelt über seinen flachen Bauch immer tiefer, sodass mein Puls sich beschleunigt, weil ich ahne, was der Durchgeknallte vorhat. Himmel, er tut es wirklich! Total hemmungslos. Chester schiebt seine Hand grienend in den engen Raum zwischen unsere Körper, ganz unten, genau auf seinen Schritt, wo er anfängt, seine Finger auf den geschlossenen Knöpfen der Jeans herausfordernd auf und ab zu bewegen. Der Platz zwischen unseren Leibern ist viel zu begrenzt, wir sitzen zu nah voreinander, sodass er mit seinem Handrücken dabei zwangsläufig auch meinen Schwanz reibt.

Die plötzliche Berührung ist so überwältigend, dass ich verdutzt aufstöhne und dringend ein Stückchen von ihm abrücken muss. Chesters Grinsen wird dreckiger, noch gieriger, während er sich auf dem Baumwollstoff der Jeans ungezügelt selbst streichelt. Seine wütende, irre provozierende Intension erregt mich dummerweise total. Ich spüre, wie meine Gedanken schwammiger werden und meine Sexualität mich vollständig für sich einnehmen will. Aber das darf ich jetzt nicht zulassen, denn ich habe noch eine wichtige Mission zu erfüllen, geht in meinem Kopf der Alarm los. Verbissen halte ich mental an meiner Idee fest und atme tief durch.

„Pass auf, Chaz, mein Spiel funktioniert folgendermaßen: Ich darf dir eine Frage stellen. Bitte, nur eine einzige Frage, Chester, ja? Aber du musst sie unbedingt ehrlich beantworten. Du sagst mir aufrichtig die Wahrheit, okay? Und zur Belohnung ziehe ich danach mein T-Shirt für dich aus”, erkläre ich dem masturbierenden Arizona-Boy hastig mein gerade erst ausgedachtes Spiel. Eilig versuche ich, den komplizierten Kerl mit meinem Angebot zu locken, ohne auf seine dreisten Provokationen einzugehen. Meine Absicht dahinter, endlich erklärende Antworten von meinem verschlossenen Mann zu bekommen, die unübersehbar gravierende Verletzung seiner sensiblen Seele restlos enträtseln zu dürfen, scheint mir plötzlich allzu offensichtlich zu sein. Besonders subtil gehe ich dabei wirklich nicht vor. Eher falle ich mit der Tür ins Haus. Aber mir fällt schlicht nichts Besseres mehr ein.

Selbstverständlich ist Mister Chester Bennington viel zu aufmerksam, um mich nicht sofort zu durchschauen. Tief drinnen habe ich sowieso nichts anderes erwartet. Denn ich weiß ja indessen, wie klug er ist. Mir ist klar, wie extrem vorsichtig der Patient wird, wenn man ihm hinterrücks zu nahekommen will. Dieses Verhalten habe ich mittlerweile zur Genüge mit ihm erlebt. Aber ich hoffe trotzdem, dass der Sänger aus Phoenix mitspielt. Die Hoffnung stirbt ja bekanntermaßen zuletzt.

Unruhig warte ich auf seine Antwort. Sehe ihn aufmerksam an. Die Zeit scheint sich zu Stunden zu dehnen. Aber in Wirklichkeit braucht er nur ein paar Sekunden. Sein faszinierender Mund verzieht sich zu einer absurd spöttischen Grimasse.

„Was für ein fucking cleverer Shinoda-Boy!” ruft Chester lebhaft aus, irgendwo zwischen Anerkennung, Amüsement und Ärgernis, „Ein blöderes Spiel konnte dir wohl nicht einfallen, was?” „Das ist nicht blöd”, bleibe ich ruhig, aber bestimmt, „Das ist meine Bedingung, Chester.” „Ja, aber das ist kein Spiel, Mikey! Bei einem Spiel gäbe es eine Chance zu gewinnen. Wäre es ein Spiel, dann dürfte ich dir auch eine Frage stellen”, beschwert er sich spöttisch kichernd, hört sich aber eher verstärkt nervös an. Seine dunklen Augen studieren mich fassungslos. „Das darfst du ja, Chaz. Natürlich darfst du mich auch etwas fragen. Stell mir eine Frage und ich beantworte sie dir ehrlich und wahrheitsgemäß”, räume ich seinen unverhofften Kritikpunkt sofort aus.

Blitzartig hämmert mein Herz los. Weil ich den überraschend spannenden Eindruck habe, dass der Typ wahrhaftig ernsthaft in Erwägung zieht mitzuspielen. Seine Kritik ist schon mehr, als ich vermutet hatte. Dass mein Mann überhaupt über meinen komplett unüberlegten Vorschlag nachdenkt, macht mich richtig glücklich.

„Und nach deiner Antwort muss ich zur Belohnung mein T-Shirt ausziehen, oder wie?” fragt Chester verwirrt. Für einen Moment verliere ich den Faden, weil ich in diese Richtung noch gar nicht gedacht hatte, finde ihn aber rasch wieder. „Na ja, so geht das Spiel eben”, nicke ich lächelnd, „Wir spielen nach dem Prinzip geben und nehmen.”

Eine heiße Woge der Geilheit durchflutet mich. Plötzlich. Darauf war ich nicht vorbereitet. Das Gefühl ist so stark und angenehm, dass ich unwillkürlich vor Lust aufstöhne, bevor ich den verräterischen Laut unterdrücken kann. Am ganzen Körper zitternd schnappe ich nach Luft. Es fällt mir wahnsinnig schwer cool zu bleiben. Meine derzeitige, verwirrend intime Position macht das beinahe unmöglich. Schließlich sitze ich mit gespreizten, arg geknickten Beinen auf meinem innig geliebten Mann drauf, hocke wahrhaftig ihm zugewandt auf seinen Oberschenkeln, während er unter mir auf der harten Parkbank sitzt. Und als wäre seine unmittelbare, körperliche Nähe nicht für sich allein schon aufregend genug, masturbiert Chester auch noch seit einer geraumen Weile. Unbefangen streichelt der junge Mann seinen Schwanz, so ganz nebenbei, während er mit mir über das Spiel spricht und mich zweifelnd ansieht. Obwohl ich extra nicht mehr hinab sehe, sondern krampfhaft sein wundervolles Gesicht im Blick behalte, so ist es trotzdem offenkundig, was der Kerl da unten treibt. Seine linke Hand reibt unermüdlich über dem Stoff der Jeans an seinem Schritt herum. Er bewegt die Finger so dicht vor meinem Körper auf und ab, direkt zwischen unseren Unterleibern, dass er mich dabei fast berührt. Da kann allerhöchstens noch ein halber Inch Luft frei sein.

Chester reagiert spürbar auf seine eigene gezielte Stimulation. Der dreiste Typ tut gar nichts, um die direkte Wirkung seiner Masturbation vor mir zu verbergen. Offensichtlich schämt Bennington sich dessen kein bisschen. Im Gegenteil, es scheint ihn mächtig anzuturnen, dass ich ihm quasi dabei zusehen muss. Ich kann gar nicht ignorieren, dass es ihn sexuell erregt, obwohl ich es verbissen versuche. Obgleich die Situation sehr sonderbar ist, reagiere auch ich mit ansteigender Geilheit darauf. Automatisch. Keine Chance dem zu entkommen. Der irgendwie animalisch-erotische Anblick des Sängers lässt mich definitiv nicht kalt. Unmöglich.

„Es gibt bei dem Spiel etwas zu gewinnen, Chaz, bitte glaube mir. Du wirst überrascht sein, wie hoch dein Gewinn ist”, keuche ich verführerisch. Hebe meine Hand und streichele sanft sein wunderschönes, allzu skeptisches Gesicht. Meine Finger malen vorsichtig die beiden schmalen Brauen nach. Berühren die hohen Wangenknochen. Bilden eine Spur an den roten Lippen entlang. Chester hält erstaunlich still unter mir. Liebebedürftig neigt er seinen Kopf meinen zärtlichen Fingern entgegen, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, was mir eine warme Welle der Zuneigung beschert.

Plötzlich wird es ganz still um uns, als wir uns eine Weile nur schweigend anschauen. Es ist denkbar, das die Zeit eine gnädige Pause einlegt, um uns ein Luftholen zu ermöglichen. Zunehmend fasziniert beobachte ich, wie sich hinter den Brillengläsern die Skepsis, die viel zu stürmische Wut, die Angst und der hämische Spott in Chesters braunen Augen langsam immer eindeutiger in pure sexuelle Wollust verwandelt. Der neugierige, triebhafte Teil von mir will dringend den Blick senken und direkt dabei zusehen, was auch immer er da unten Geiles zwischen unseren Körpern versteckt mit sich anstellt. Aber der andere Teil ist völlig paralysiert von dem Ausdruck seiner unergründlichen Augen. Von seinen Lippen, die sich zunehmend atemlos ein Stückchen geöffnet haben. Vom heftigen Heben und Senken seines knochigen Brustkorbs. Vom angespannten Zucken seiner schlanken, aber dennoch muskulösen Oberschenkel unter meinem Hintern und meinen Beinen. Vom spürbaren Erschaudern seines schmächtigen Körpers.

„Das ist kein Spiel, Mikey. Wir wissen beide, dass es kein Spiel ist, was du dir da Cleveres ausgedacht hast”, unterbricht er schließlich das steigernd erotisch prickelnde Schweigen zwischen uns. „Wir könnten es zu einem machen”, biete ich verzweifelt an, weil ich fürchte, ihn endgültig zu verlieren. Höhnisch stößt er Luft aus. Streckt mir ablehnend die Zunge heraus. „Bitte, Chaz. Vertrau mir doch bitte mal. Danach geht’s dir besser. Ich verspreche es dir”, fange ich an zu betteln, was zugegebenermaßen ziemlich armselig ist. Chester stöhnt genervt auf und schüttelt fassungslos den Kopf. „Wie oft soll ich dir eigentlich noch sagen, dass es mir gut geht, Shinoda?” zischt er ärgerlich. Energisch umfasse ich seine Schultern. Halte ihn und mich verbissen daran fest. Sehe meinem Mann tief in die widerborstigen Augen. „Ja, du sagst es pausenlos zu mir, Bennington. Aber dadurch wird es nicht die Wahrheit. Wir wissen beide, dass es nicht stimmt”, beharre ich stur in felsenfester Überzeugung.

Chester ringt nach Luft und schüttelt sich. Sein schlanker Körper erbebt unter mir vor Aufregung. Er braucht einen Moment, um mit meiner gnadenlosen Feststellung umgehen zu können. „Du willst also die Wahrheit hören, was, Mikey?! Du lässt nicht locker und willst sie unbedingt?!” hänselt er mich im nächsten Moment. Wie so oft flüchtet der Sänger sich instinktiv in seine Späße. Stupst mich ein bisschen zu grob gegen die Brust. Nickend wehre ich ihn ab. „Ja, ich will die Wahrheit unbedingt, Bennington”, stelle ich entschieden klar, „Und ich werde bestimmt nicht aufgeben, ehe ich sie ungeschönt von dir bekomme!” „Oh oh”, macht Chester irgendwo zwischen Belustigung, Wut und Resignation.

„Hast du etwa Angst vor meinem Spiel, Mister Bennington?” fahre ich meine letzten Geschütze auf. Bin mir meiner Provokation absolut bewusst. Chester verdreht neckisch die Augen. Wackelt zweifelnd mit dem Kopf. Zieht zischend Luft ein und beißt sich kess auf die Unterlippe, bevor er eine frivole Grimasse zieht. „Nein, hier geht es nicht um Angst, Mister Shinoda. Da musst du was falsch verstanden haben. Es geht darum, dass ich geil bin und einen Ständer habe”, teilt er mir unbefangen mit, als wäre sein Zustand die normalste Sache der Welt. Aber seine dunklen Augen funkeln höllisch herausfordernd.

Ich kann mich nicht bremsen und blicke prompt prüfend hinab auf seinen Unterleib, wo sein Schwanz mittlerweile tatsächlich die Jeans ausbeult. Chester hat sich selbst hart gerubbelt. Gott im Himmel! Allein der Gedanke daran macht mich schon total alle. Der Umriss seiner Erektion, die er noch immer ungehemmt reibt, tut sein übriges dazu, dass mein Schwanz von allein damit anfängt, im höchsten Maße angenehm in der Hose zu puckern. Unwillkürlich blase ich stöhnend Luft aus. Was Chester zu einem atemlosen, amüsierten Lachen veranlasst. Er zieht seine linke Hand zwischen uns hervor, legt sie zusammen mit der rechten zurück auf meinen Hintern und schiebt mich ruckartig zu sich hin. Sofort rutsche ich auf seinen Schenkeln auf ihn zu, bis wir uns so eng wie zuvor auf der Bank gegenübersitzen. Keine Möglichkeit mich dagegen zu wehren.

Und irgendwie will ich das auch gar nicht. Ich genieße seine unmittelbare Nähe unendlich. Die zunehmende Hitze, die seine Haut ausstrahlt. Die unfassbar energiegeladene Lebendigkeit seines Körpers und seiner fantastischen Augen. Automatisch schlinge ich meine Arme um ihn, um ihn noch näher an mich zu drücken. Die spürbar hart erwachte Sexualität, die sich tief zwischen uns aneinanderpresst, macht mich wirklich fertig. Es fühlt sich so verdammt gut an, dass ich nicht mehr sicher bin, wie lange ich der süßen Versuchung noch standhalten kann.

„Du würdest dein T-Shirt sowieso nicht ausziehen, Mike”, wirft Chester mir grinsend vor, „Du ziehst es auf keinen Fall für mich aus, weil wir in diesem Park sind, wo uns jederzeit jemand sehen könnte.” „Ich ziehe es aus, wenn du mir eine Frage ehrlich beantwortest”, versichere ich ihm mit letzter Kraft. Mein Herz schlägt zu schnell. Ich ringe nach Luft. Möchte ihn unglaublich dringend küssen. Will mich vollständig in meinem zauberhaften Mann verlieren. Mir egal, wo wir gerade sind. Chesters Nähe ist viel zu überwältigend für derartige Gedanken.

Seine braunen Augen blicken mich zweifelnd an. Interessiert forschend. Als würde er versuchen, hinter meine Geheimnisse zu kommen. Die ich gar nicht vor ihm verberge. Er ist es doch, der mir und allen anderen schon den ganzen Tag lang etwas vormacht. Nur seine sexuelle Erregung ist echt, da bin ich mir sicher. Der Kerl vibriert aufgegeilt unter mir, und das fühlt sich tröstlich an, irgendwie real, sodass ich mich nur allzu gerne allein daran festhalten würde. Es ist so verdammt mühsam, seine verletzte Seele verstehen zu wollen, denke ich erschlagen und bin haarscharf davor aufzugeben. Es wäre so leicht und ist enorm verlockend, jetzt einfach loszulassen und nur noch zu genießen. Vielleicht bin ich doch nicht stark genug für diesen Kampf. Möglicherweise ist er ja sowieso aussichtslos.

„Ich will, dass du mir einen runterholst, Mike Shinoda”, flüstert Chaz plötzlich heiser. Atmet mir laut ins Ohr. Der Sänger aus Phoenix ist auffallend nervös. Mit seiner großen Nase reibt er zärtlich durch meinen Bart. Sodass ich auf seinen Schenkeln sitzend wohlig erschaudere. Meine Augen schließen sich. Erschrocken. Ich brauche einen langen Moment, um seine unerwartete Bitte verarbeiten zu können. So etwas habe ich mir nie und nimmer vorgestellt.

„Wie meinst du das?” frage ich schließlich zurückhaltend. Öffne die Augen und sehe ihn verwirrt an. Sein wunderschönes Gesicht ist nicht zu deuten. Ich habe keine Ahnung, was genau ihn umtreibt. Oder was in seinem komplizierten Schädel passiert. Womöglich verarscht er mich nur wieder, vermute ich genervt. Meine Augen tasten ihn misstrauisch ab. Überrascht stelle ich fest, dass mein Mann seltsam aufrichtig wirkt, irgendwie total verzweifelt. „Wenn du mir einen runterholst, dann beantworte ich deine Frage”, erklärt Chester mir mit rührendem Ernst. Ringend holt er Luft und nickt bestätigend. Sein schöner Körper zittert erregt unter mir.

Das geht mir jetzt echt tief rein. Meine Hände streicheln eilig nochmal über seinen Schädel, berühren das mega kurze Haar. In dem Bemühen, dem Mitpatienten meine grenzenlose Zuneigung begreiflich zu machen. In meinem Kopf kämpfen die verschiedensten Gedanken und Gefühle miteinander. Sodass ich nochmal einige Zeit brauche, um damit zurechtzukommen. Es ist echt nicht leicht, das Chaos zu sortieren, dass Chester Bennington andauernd in mir anrichtet.

Der Tätowierte sitzt schon wieder auf heißen Kohlen. „Würdest du das für mich tun, Mike?” will er ungeduldig wissen, „Holst du mir einen runter, Mister Shinoda?” Seine dunklen Augen flehen mich an. Aufgewühlt frage ich mich, wie weit ich tatsächlich bereit bin zu gehen, um die Wahrheit von ihm zu erfahren. Erst nach zwei Minuten intensiven Grübelns wird mir klar, dass es in diesem Zusammenhang schon längst keine Grenzen mehr gibt. Diese unverhoffte Chance kann ich unmöglich ausschlagen, so fragwürdig sie auch ist. „Okay, Chazy Chaz”, stimme ich zu, während mein Herz hinter meinen Rippen wie ein wild gewordener Tornado schlägt. Verschwörerisch lächelnd schaue ich ihn an.

Seine Miene ist wundervoll, eine Mischung aus Triumph, Erleichterung, Vorfreude und Erregung. Sein Lächeln paralysiert mich innerhalb von Sekunden. „Und dein T-Shirt musst du sofort ausziehen”, stellt er mir forsch grinsend noch eine zweite Bedingung. Ich überlege keine einzige Sekunde. Kann es gar nicht. Weigern ist undenkbar. Weil Chester mir entgegenkommt. Weil er bereit ist, meine spontane Idee mitzuspielen. Auf eine Art, die ich längst nicht mehr für möglich gehalten habe. Das hier entwickelt sich. Wahrhaftig. Aus meinem impulsiven Einfall wird etwas viel Größeres. Es fühlt sich an, als würde gleich etwas Bedeutendes zwischen uns geschehen. Als würden wir uns so nahekommen, wie noch niemals zuvor. Nicht nur auf körperliche Art. Chester Bennington und Mike Shinoda. Zwei Patienten der Psychiatrie. Wir sind wahrlich ein seltsames Pärchen. Total irre.

Ich weiß nicht, wie lange mein Herz diese Aufregung noch aushält. Es scheint immer schneller zu klopfen. Scheint ernsthaft meinen Brustkorb sprengen zu wollen. Als ich mir ohne zu zögern das T-Shirt über den Kopf ziehe, geht mein Atem schwer. Chester starrt mich baff mit großen, dunkelbraunen Augen an. Mein Mann ist überrascht von mir. Es gefällt ihm, wenn ich ihn überrasche. Offensichtlich hat der Arizona-Boy nicht damit gerechnet, dass ich mich tatsächlich für ihn ausziehe. Hier, mitten in der Grünanlage der geschlossenen Psychiatrie. Wo uns jederzeit jemand sehen kann. Normalerweise tue ich so etwas nicht. Das Risiko von unerwünschten Peinlichkeiten ist viel zu groß. Aber mit Chester Bennington ist alles anders. Mit ihm überschreite ich ständig Grenzen. Chazy Chaz hole ich sogar in der Öffentlichkeit einen runter. Keine Ahnung, was der Kerl mit mir anstellt.

Mit zitternden Fingern ziehe ich mein T-Shirt aus. Zum Glück gelingt mir das problemlos und recht schnell. Werfe das Kleidungsstück achtlos weit von uns weg. Keinen Schimmer, wo es landet. Ich gucke nicht mal hin, weil mein Mann mich vollständig in Anspruch nimmt. Weil ich auf gar keinen Fall etwas davon verpassen möchte, was gegenwärtig Spannendes zwischen uns passiert. So entsetzlich lange habe ich darauf gewartet, dass der schwierige Patient mir endlich die Wahrheit sagt. Und jetzt habe ich eine Heidenangst davor, was mir möglicherweise bevorsteht. Bin nicht sicher, ob ich überhaupt damit umgehen kann. Ob ich das eigentlich ertragen kann, was der gefährliche Kerl mir eventuell gleich verraten wird.

Ein ängstlicher Teil von mir, der extrem erschrocken ist, will auf der Stelle aufspringen und ganz weit weglaufen. Der Rest von mir, der geile, der momentan definitiv der größere Teil ist, will ihn dringend ficken und den ganzen anderen Mist sofort abbrechen. Alles augenblicklich vergessen, was ich hier Undurchschaubares losgetreten habe. Aber ich zwinge mich dazu, mutig zu sein. Mich der Herausforderung zu stellen. Es ist alles meine eigene Schuld. Ich wollte es ja unbedingt wissen. Jetzt muss ich auch damit fertigwerden. Ein Weg zurück existiert schon lange nicht mehr.  


Chester Charles Bennington

Shinoda überrascht mich. Schon wieder. Ich bin völlig hingerissen davon, wie hektisch er sein T-Shirt für mich auszieht. Als wollte er nicht riskieren, dass ich eventuell meine Meinung noch ändere, weil er zu lange zögert. Darum macht er es sofort. Reißt sich förmlich panisch das Shirt runter und wirft es energisch ziemlich weit weg von uns. Der Stoff landet irgendwo hinter der Bank, wahrscheinlich mitten in den Sträuchern, was irgendwie ziemlich witzig ist. Jedenfalls muss ich darüber lachen. Oder vielleicht lache ich auch nur, weil ich so tierisch nervös bin. Keine Ahnung.

Mein ganzer Körper kribbelt vor Nervosität und Geilheit. Pausenlos möchte ich mich kratzen oder wichsen. Ich bin nicht sicher, wie wir in diese merkwürdige Situation geraten sind. So etwas habe ich nicht erwartet. Bin nicht darauf vorbereitet. Weiß auch nicht, wie ich damit umgehen soll.

Sitze unter Shinoda auf dieser besonders versteckten Parkbank. Die ich ausführlich kennenlernte, als ich zum ersten Mal hinausgehen durfte. Der fremde Mann hockt mit angezogenen Beinen mir zugewandt auf meinen Oberschenkeln. Weil er so schwer ist, fühlen sich meine Muskeln mittlerweile taub an. Mikes Gewicht lastet beträchtlich auf mir. Trotzdem genieße ich seine unmittelbare Nähe. Kann von diesem ungewohnten Zeug einfach nicht genug kriegen. Die angenehme Wärme, die sein schöner Körper ausstrahlt. Die nicht zu begreifende Liebe und das Verständnis, die ohne Ende in seinen braunen Augen glimmen. Mike ist ehrlich interessiert an mir, was verdammt niedlich ist, auch wenn ich es nicht verstehe.

Der Typ ist höllisch clever und gibt nicht so schnell auf. Mike Shinoda ist ein großer Kämpfer, der meinen Widerstand letztendlich mit erschreckender Leichtigkeit vernichtet hat. Das beeindruckt mich enorm. Unmöglich, ihm auf Dauer zu entkommen. Alle Ausgänge sind verstellt und der Wahnsinn beginnt. Ich habe Angst davor, was genau er mich fragen wird. Meine mögliche Antwort versetzt mich regelrecht in Panik. Der bemerkenswert kluge Mike Shinoda hat seine komische Idee in ein fragwürdiges Spiel verpackt. Aber natürlich ist es in Wirklichkeit etwas ganz anderes, und das wissen wir beide. Es ist sein neuester Versuch mir Wahrheiten zu entlocken, die ich ihm nicht geben will. Verfluchte Wahrheiten, mit denen der Kerl mir schon den ganzen Tag lang herbe auf den Sack geht. Halbjapaner lässt es einfach nicht gut sein.

Und jetzt sieht es langsam so aus, als könnte ich mich nicht länger vor ihm verbergen. Alle meine vertrauten Verstecke hat er längst zielsicher aufgespürt. Das fühlt sich bedrohlich an. Als hätte der Mann aus Agoura Hills auf heimlichen Umwegen meine fest verschlossene Seele erreicht. Alle meine instinktiven Gegenmaßnahmen waren völlig wirkungslos. Die gewohnte Routine funktioniert nicht. Nicht mal beim Sex lässt der Wichser mich in Ruhe. Und nun fällt mir schlicht nix mehr ein. Bin von dem Patienten Shinoda besiegt worden. Auf tausende Arten. Das ist niederschmetternd. Eigentlich möchte ich jetzt liebend gerne weglaufen. Doch Abhauen wäre zweifellos erbärmlich. Außerdem weiß ich sowieso nicht wohin.

Wenn ich ehrlich bin, wäre mir momentan sowieso lieber, dass der attraktive Typ mir einen runterholt. Ich bin so verdammt froh, dass das Knopfauge noch da ist. Die Entscheidung ist eigentlich nicht schwer, denn zur Zeit bin ich ziemlich geil. Habe halbwegs erfolgreich die schwarze Dunkelheit verjagt, indem ich mich auf direkt mechanischem Wege steif gemacht habe. Ich weiß aus Erfahrung, dass die niedere Methode manchmal funktionieren kann. Das Erwachen der mächtigen Urinstinkte verdrängt alles andere. Zumindest zeitweise. Der Lärm weicht sexueller Obsession. Endlich wird es ruhiger in meinem verrückten Schädel. Die körperlichen Gelüste werden stärker als die dämonischen Teufel in mir. Das fühlt sich verfickt gut an. So lange habe ich darauf gewartet. Mein Schwanz ist hart und wartet nur auf seine Zärtlichkeit. Fuck, ich kann das nicht länger erwarten!

Schwer atmend lehne ich mich auf der Bank zurück. Bis mein Rücken sich gegen die harten, horizontalen Holzstreben hinter mir drückt. Meine Blick wandert genüsslich über Mikes nackten Oberkörper. Mann, der Kerl ist wirklich unfassbar schön anzusehen. Sein Körper ist höllisch heiß. Unentwegt drängt es mich näher zu ihm hin. Muss ihn dringend berühren. Meine Hand hebt sich wie von allein. Die Finger kraulen sanft durch sein dunkles, krauses Brusthaar. Ertasten vorsichtig seine Nippel. Seine wundervoll runden Knopfaugen schließen sich. Vertrauensvoll. Der rote Mund öffnet sich, die volle Unterlippe erzittert leicht, als er tief einatmet. „Bitte zieh dein T-Shirt aus, Chaz”, flüstert er, ohne die Augen zu öffnen.

Damit habe ich jetzt nicht gerechnet. Eigentlich möchte ich nicht damit aufhören, durch sein tolles Brusthaar zu streicheln. Es fühlt sich faszinierend dicht und weich an. Aber ich denke, eine kurze Unterbrechung geht wohl in Ordnung. Außerdem ist es aufregend sich auszuziehen. Möchte Mikey dringend auf der nackten Haut spüren. Will unbedingt noch viel geiler werden. Also leiste ich seinem Wunsch folge und ziehe mich für ihn aus. Peinlich unbeholfen rupfe ich das enge T-Shirt über meinen Kopf und lege es danach neben uns auf die Bank. Setze meine Brille zurück auf die Nase, die mir durch das ungeschickte Ausziehen blöderweise fast herunterfällt.

Die braunen Mandelaugen öffnen sich. Betrachten ausführlich meine nackte Brust. Er hebt die Hand und umkreist mit seinem Finger meine Nippel. Dann reibt er sie behutsam zwischen Daumen und Zeigefinger. Das macht mich dermaßen an, dass ich mich nicht länger zurückhalten kann. Mit schnellen Griffen knöpfe ich meine Jeans auf. Muss mich noch weiter zurücklehnen, damit genug Platz zwischen uns entsteht, weil Mike so dicht vor mir sitzt. Meine Erektion drückt in der engen Hose, darum bin ich erleichtert, als die Knöpfe aufspringen. Schiebe mir die linke Hand in die Unterhose und reibe ein bisschen an mir herum. Es fühlt sich heiß an dort, mein Schwanz ist wahnsinnig empfänglich für Zärtlichkeiten.

„Fass mich an, bitte”, fordere ich den Patienten auf, der meine Hand an meinem Schritt mit leuchtenden Augen beobachtet hat. Ich schiebe die U-Hose runter und befreie meinen Penis, der sich an der frischen Luft verflucht prall und gut anfühlt. Mein Herz schlägt schnell. Es turnt mich an, wie fasziniert Mike mich ansieht, wie sehr ihm zu gefallen scheint, was er von mir zu sehen kriegt. Als seine Hand sich zögernd meinem Glied nähert, halte ich gespannt die Luft an. Seine Finger schließen sich sehr vorsichtig um meinen Schaft, dann streichelt er sanft an ihm auf und ab. Sofort überzieht sich mein Körper mit einer Gänsehaut und ich erschaudere zufrieden. „Ja, Mike, das ist schön”, will ich ihn animieren, genau so weiterzumachen.

Von mir aus könnte er gerne ein bisschen härter vorgehen. Aber das ist schon okay so. Je länger es dauert, umso besser ist es für mich. Zeit, die ich erfüllt von Geilheit verbringen kann, spielt keine Rolle mehr. Nichts spielt noch irgendeine Rolle. Es gibt nur noch ihn und mich. Nur noch die behaglichen, sexuellen Gefühle, die sich zuverlässig in mir aufbauen.

Eine Weile streichelt er mich mit schmeichelhafter Hingabe. Seine Finger reiben sanft an meinem Schwanz auf und ab, berühren die empfindliche Eichel ganz vorsichtig. Ich wünschte wir hätten jetzt Gleitgel, dann würde seine Hand viel besser über meine Haut flutschen, fährt es mir bedauernd durchs Gehirn. Wenn wir Kondome hätten, dann würde ich jetzt gerne mit ihm schlafen. Aber diese hilfreichen Gegenstände haben wir ja noch nie zur Verfügung gehabt. Trotzdem ist Sex mit Shinoda jedes Mal herausragend. Ich liebe diesen Mann. Definitiv. Mit ihm wird sogar Gleitgel belanglos, Kondome werden entbehrlich. Höchstwahrscheinlich gibt es an diesem abgeriegelten Ort ohnehin nichts davon. Die tun ja immer so, als gäbe es nicht mal Sex. Als wären wir alle hier asexuelle Wesen. In der geschlossenen Psychiatrie sind sexuelle Gelüste bei Androhung von Strafe verboten. Scheiß doch was drauf!

So wie der zauberhafte Mikey mich anfasst, kann ich problemlos auf Gleitgel verzichten. Denn der Süße nimmt mich mühelos für sich ein. Restlos. Mit steigender Begierde beobachte ich, wie zärtlich seine geschlossene Hand an mir auf und abfährt. Wie unglaublich liebevoll er die Spitze meines Penis behandelt. Meine gebündelten Nervenenden vibrieren vor angeregter Wonne. Ich kann nicht fassen, wie unglaublich gut sich das anfühlt. Wie schnell sich meine Lust steigern kann, obwohl Mike mich gleichbleibend zart berührt. Mein Herzschlag beschleunigt sich um Einiges. Mein Atem geht schwer, ich ringe nach Luft.

Unruhig werdend, bewege ich mich beengt unter seinem Gewicht auf der Parkbank. Die harten Holzbalken sind total unbequem an meinem Hintern und Rücken. Ich will die verdammte Hose ausziehen. Ich will, dass der Typ besser an mich herankommt. Alles in mir lechzt enorm nach seiner Berührung an meinen Hoden. Dringend soll er mir die Eier schaukeln, sie liebevoll in seinen geschickten Fingern kneten, am besten ganz vorsichtig. Das wäre momentan die absolute Krönung für mich. Aber leider funktioniert es in unserer derzeitigen Position nicht, weil ich die enge Jeans anhabe, sodass meine Hoden zwangsläufig in der U-Hose versteckt bleiben, wo Mike aufgrund der Enge nicht an sie herankommen kann. Ich fürchte, ich drehe gleich durch.

„Ganz ruhig, Chazy”, flüstert der mega aufmerksame Halbjapaner. Hebt die freie Hand und streichelt besänftigend meinen Kopf. Fuck, er merkt, wie nervös ich bin. Wie verflucht fickerig. „Küss mich, Mikey!” keuche ich verzweifelt, um seinem zärtlich-amüsiert-gutmütigen Blick zu entkommen, der mir geradewegs bis tief in die Seele gucken kann. Hastig hebe ich den Arm, umfasse seinen warmen Nacken und ziehe ihn energisch zu mir. Gleichzeitig richte ich mich auf und komme ihm entgegen. Bis unsere Münder sich treffen und ich ihn mit meiner Zunge zum Schweigen bringen kann.

Der Stachelige wehrt sich nicht, im Gegenteil, er erwidert meinen Kuss mit erregender Leidenschaft. Seine vollen Lippen sind so weich, dass sich mir sämtliche Härchen aufstellen und ich stöhnend gegen seinen Körper gelehnt erschaudere. Ich schlinge meine Arme um ihn und drücke ihn voller Verlangen an mich. Sein Bart kitzelt mein Kinn. Sein seidiges Brusthaar schmiegt sich an meine Rippen. Weil wir uns mit nackten Oberkörpern erneut dicht aneinanderdrücken, wird seine zärtliche Hand zwischen uns eingeklemmt und kann sich dadurch kaum noch bewegen. Ich spüre den Mann dennoch überdeutlich an meinem sensiblen Schwanz. Seine Finger bewegen sich ganz leicht, drücken und reiben rhythmisch mein prall gestautes Fleisch, soweit das in der Enge noch möglich ist.

„Mike!” keuche ich zustimmend, „Das ist so geil!” Die verdammte Brille rutscht schon wieder unweigerlich in meinem Gesicht herum. Das Plastik schabt hart über meine Haut, ist definitiv im Weg und stört dadurch unseren heißen Kuss beträchtlich. Genervt greife ich hoch und reiße mir das Gestell von der Nase, hake die Bügel eilig von meinen Ohren los und werfe meine Gläser irgendwohin, wo sie uns nicht noch länger bremsen können. „Nicht doch, Chaz, sei vorsichtig...”, ruft Shinoda erschrocken und dreht sich besorgt nach der Brille um, weil er sehen will, wo das zerbrechliche Teil gelandet ist.

Das interessiert mich aber im Moment echt nicht. Ich bin nur froh, das unpraktische Plastikgestell endlich los zu sein. Darum drehe ich Mikeys wunderschönen, perfekt gestylten Kopf zurück zu mir und küsse ihn einnehmend. Er kichert irgendwie belustigt, dann erschaudert er wohlig in meinem Arm und seufzt genüsslich. Seine Zunge spielt voller Begehren mit meiner herum, wir jagen uns neckend in unseren Mündern und streicheln uns dann ausführlich. Sein Lippen saugen meine Unterlippe ein, geben sie wieder frei. Dann leckt er meine Oberlippe ab, knabbert zärtlich daran, nur um im nächsten Moment wieder mit seiner nassen Zunge tief in mich einzutauchen. Shinoda ist so verdammt lieb zu mir. Da steckt so viel rätselhafte Zuneigung in dem, was er mit mir macht. Keinen Schimmer, womit ich das verdient habe. Ich habe es nicht verdient. Nichts davon. Dennoch überwältigt es mich.

Er streicht mit seinem Bart besänftigend an meiner Wange entlang. Reibt seine süße Stupsnase behutsam gegen meinen riesigen Zinken. Küsst mich aufs Neue. Seine liebevolle Hinwendung erregt mich enorm. Mein Herz hämmert schnell. Behagliche Schauer aus Geilheit durchfluten mich wellenförmig. Lassen mich dicht an seinem warmen Körper pausenlos erzittern. Der unerträgliche Lärm in meinem Kopf ist gänzlich anderen Gedanken gewichen. Körperliche Genüsse erfüllen mich kumulativ. Das ist magisch. Ich werde diesen besonderen Mann nie wieder gehenlassen.

Während ich ihn grob an mich drücke, ihn voller Gier küsse und wild mit seinen prallen Lippen spiele, versuche ich gleichzeitig, mit meiner Hand irgendwie zwischen unsere Körper zu gelangen, weil ich dringend seinen Schwanz erreichen will. Ich muss den heißen Kerl richtig anfassen, muss seine fantastische Erektion fühlen, will ihn unbedingt noch geiler machen. Aber in dem engen Raum zwischen unseren Unterkörpern steckt schon seine Hand fest, unverändert hält er mein steifes Glied sicher gepackt. Wir sind uns einfach viel zu nahe, als dass ich an seinen spürbar erigierten Penis herankommen könnte, der sich hart an meine Leiste drückt.

„Fuck, Mike, ich will...”, beschwere ich mich konfus mitten in unseren Kuss hinein. Mike lächelt mich genügsam an. Es irritiert mich, wie klar bei Sinnen er noch wirkt. Sein Atem geht nämlich mindestens so schwer wie meiner. Sein Herz hämmert schnell an meinen Rippen. Die Hitze, die sein aufgeladener Körper abgibt, verstärkt sich. In seinen tollen Augen steckt faszinierend viel sexuelle Lust. Zweifellos ist Shinoda geil auf mich. Seine Triebe brennen lichterloh. Ich merke das doch. Mann, jeder würde das merken!

Trotzdem ist sein Blick ganz ruhig, als er mich eingehend betrachtet. Seine linke Hand streichelt sanft über meinen Kopf, liebevoll, während er mit seiner rechten Hand unermüdlich meinen Schwanz reibt. Wegen dem arg begrenzten Platz zwischen uns bewegen sich seine Finger nur noch minimal, sind aber für mich trotzdem verdammt intensiv spürbar. Unwillkürlich stöhne ich auf, zucke autonom in seiner Hand und ringe nach Luft. Der kesse Halbjapaner sieht mich eine ganze Weile nur abschätzend an. Das macht mich völlig fertig.

„Mike, ich...”, sage ich, als ich den sorgsam prüfenden Blick nicht länger ertrage. Keuche es impulsiv in sein hübsches Gesicht, ohne einen Schimmer davon zu haben, was ich ihm eigentlich mitteilen will. Irgendwelche Alarmlampen gehen in meinem Kopf an, die ich in meinem aufgeheizten Zustand nicht richtig zuordnen kann.

„Bist du jetzt so weit, um meine Frage zu beantworten, Chester Bennington?” will Mike plötzlich wissen. Behutsam. Aber unmissverständlich fordernd. Prompt stellen seine Finger an meinem Schwanz jegliche Bewegung ein. Verharren regungslos. Geduldig abwartend. Seine tollen Knopfaugen liegen achtsam auf mir. Frustrierend konzentriert, wartet er auf meine Reaktion. Verdammt! Meine Nackenhaare sträuben sich. Das wollte ich jetzt wirklich nicht hören. Obwohl ich es irgendwie geahnt habe. Ich wusste, dass der Kalifornier nicht aufgibt.

Meine Augen schließen sich. Instinktiv abwehrend. „Ach, Shinoda...”, seufze ich ratlos, „Mensch... Vergiss doch die blöde Frage lieber.” Ich möchte wirklich, dass er sein komisches Spiel vergisst. Aber mir ist vollkommen bewusst, dass der Typ das auf gar keinen Fall tun wird. Dazu ist der Stachelkopf viel zu scharf auf meine Antworten, viel zu verdammt neugierig auf meine Dämonen. Mike brennt förmlich darauf, dass ich ihm endlich einen Blick auf meine ureigene, pechschwarze Dunkelheit gewähre. Das ist mir echt zu hoch. Ich kapiere nicht, warum ihm dieses bedenkliche Ziel so verflucht lohnend erscheint. Warum er so unfassbar viel auf sich nimmt, um es zu erreichen. Wieso zur Hölle er sich so unbedingt mit meinem verfluchten Scheiß belasten will. Als hätte ich allein nicht schon schwer genug daran zu schleppen. Ich wünschte, der Mitpatient würde mich einfach in Ruhe lassen. Mir schlicht einen runterholen und die Klappe halten. Aber das passiert nicht und das weiß ich auch. Mir ist längst klar, dass ich da nicht mehr rauskomme. Kann mich nicht länger herauswinden. Shinodas fucking clevere Falle ist schon lange zugeschnappt.

Also öffne ich meine Augen. Zögerlich. Mit vor Panik und Geilheit wild hämmerndem Herzen hole ich tief Luft. „Na gut, dann stell mir halt deine scheiß Frage!” blaffe ich viel zu unfreundlich. Mikes hübsches Gesicht wird mit einem strahlenden Lächeln verschönert. „Ja, aber wirst du mir auch die Wahrheit sagen, Chester?” muss er dringend nochmal nachhaken. Dafür möchte ich ihm am liebsten eine scheuern. Fuck, er hat meinen verfickten Schwanz in seiner Hand, soll ihn dringend befriedigen und geht mir stattdessen dermaßen auf die Nüsse, dass ich fast durchdrehe. „Shinoda, um Himmels Willen...”, stöhne ich fassungslos.

Mache die Augen vorsichtshalber wieder zu und atme tief durch. Ich spüre, wie Mike sein Streicheln an meinem Penis wieder aufnimmt und mein Atem stockt jäh. Erschaudere unwillkürlich, weil es sich so höllisch geil anfühlt, wie zart er mich bearbeitet. Wenn er so weitermacht, dann werde ich in kürzester Zeit keine Fragen mehr beantworten können, das steht mal fest.

„Ach komm, Bennington. Jetzt sei nicht so feige. Du hast zugestimmt, das Spiel mit mir zu spielen, jetzt zieh es bitte auch durch”, bemängelt der Schwarzhaarige unzufrieden, lässt mich plötzlich los und zieht seine Hand zwischen unseren Körpern hervor, als wollte er mich damit bestrafen. Meine Augen klappen auf, weil ich ihn entgeistert anstarren muss. „Was?! Das dämliche Spiel war doch allein deine Idee, Shinoda! Du hast mich einfach vor vollendete Tatsachen gestellt. Du hast die Frage als Bedingung verlangt. Außerdem hast du deine Spielregeln sowieso schon gebrochen und dein T-Shirt vorher ausgezogen. Welche Belohnung kriege ich also noch, wenn ich deine Frage ehrlich beantworte, hm?”

Meine Stimme ist atemlos, nichts als ein wütendes Keuchen. Ich ertrage es nicht, dass Mike mich auf einmal nicht länger anfasst. Darum grabe ich meine Hände fest in seinen knackigen Hintern und drücke ihn gierig gegen mich. Komme ihm so weit es geht mit meinem Unterleib entgegen. Lechze echt erbärmlich nach intimer körperlicher Stimulation. Sorge energisch dafür, dass unser harten Schwänze sich kontinuierlich reibend aneinanderpressen.

Mikey lässt das zu und wehrt sich nicht. Der attraktive Patient, der unverändert schwer auf meinen Beinen sitzt, ergreift mit beiden Händen meine tätowierten Oberarme und hält sich daran fest. Halbjapaner erzittert stöhnend, schnappt nach Luft, leckt sich über die vollen Lippen und nickt zustimmend. Kein Zweifel, er liebt meine Idee, genießt den engen Kontakt. Es geilt ihn auf, wie begehrlich ich ihn gegen mich drücke. Sodass ich mir sofort noch mehr Mühe gebe. Obwohl es ziemlich mühsam und kraftaufwendig ist, sich zusammen mit seinem Gewicht auf der Bank zu bewegen. Vor lauter Anstrengung und Obsession fange ich ungewollt an zu schnaufen.

Shinodas zauberhaftes Lächeln wird noch intensiver. Der Typ ist amüsiert von mir. Er findet mich wahnsinnig witzig. Was mich herbe vor den Kopf schlägt. Weil ich gerade gar nicht lustig bin. Aber ich lasse mir nichts anmerken, höre nur betont gemütlich auf, blöde verzweifelt auf der Bank herumzurutschen. Tue einfach so, als hätte ich das sowieso gerade vorgehabt. Grinse ihn mit einer bedeutungsvollen Grimasse an. Strecke ihm frivol die Zunge heraus. Lecke mir triebhaft über die Lippen und verdrehe entzückt die Augen. Wunderschöner Halbjapaner lacht noch lauter. Meine albernen Faxen gefallen ihm. Was mir unverzüglich behaglich warm quer durch den Körper fegt und mich irgendwie glücklich macht. Obwohl ich das nicht verstehe. Schließlich bin ich gerade ziemlich angepisst. Glaube ich zumindest.

Fest steht, dass ich mittlerweile enorm sexuell erregt bin und deshalb hier auf der harten Holzbank mal langsam weiterkommen will. Es drängt mich unaufhaltsam dem ersehnten Höhepunkt entgegen.

„Also, was ist jetzt, Mike? Wie soll dein Spiel funktionieren, wenn du schon am Anfang die Regeln brichst und dich vor der Frage ausziehst?” erkundige ich mich scharf in einer Mischung aus Spott, alberner Neckerei, verstärkt bohrender Ungeduld und Wut. Der junge Mann auf mir seufzt schwer, seine Unterlippe zittert abermals leicht, was mich völlig lahmlegt. Ich kann spüren, wie seine Oberschenkel dicht an meinem Fleisch angespannt zucken. Seine sexuelle Erregung ist unübersehbar. Und turnt mich ganz schön an. „Lass uns weitermachen, Mikey, okay? Bitte, hol mir einfach einen runter, ja? Tust du das für mich? Vergiss doch die doofe Frage, die spielt doch gar keine Rolle”, schöpfe ich voreilig neue Hoffnung, unbeschadet aus seiner verhängnisvollen Idee herauszukommen.

Doch das penetrante Knopfauge schüttelt prompt den faszinierend halb-japanischen Kopf, sodass ich unwillkürlich enttäuscht aufstöhne. „Die Frage spielt eine riesengroße Rolle, Chaz. Die ist sogar das Wichtigste dabei, glaube mir das. Du kriegst deine Belohnung, vertrau mir doch bitte! Dein Gewinn wird viel größer sein, als nur die Tatsache, dass ich dir hier im Park einen runterhole”, wispert er verheißungsvoll und küsst beschwichtigend mein dummes Gesicht. Ich weiß nicht, von welcher Belohnung er spricht oder warum er so deutlich betont, dass wir uns momentan in diesem Park aufhalten. Vielleicht will er mir damit verständlich machen, was für eine große Sache das ist, dass er mir gerade hier, quasi öffentlich einen abwichst. Normalerweise würde Mister mega vorsichtig Shinoda so ein unkalkulierbares Risiko wohl nicht eingehen, schätze ich.

Ruhelos bewege ich mich wieder unter ihm. Kann irgendwie nicht anders. Habe das quälende Gefühl, die tatenlose Unterbrechung nicht mehr viel länger auszuhalten. Scheiße, wenn man mega geil ist, und dann in so einer merkwürdigen Situation feststeckt, in der man auf jemanden angewiesen ist, der sonderbare Spiele mit einem spielt.

„Okay, Shinoda, ich vertraue dir. Aber du bist echt so ein fieser Wichser, mich erst total anzumachen und dann plötzlich hinterhältige Bedingungen zu stellen”, erkläre ich atemlos und grinse breit. Spiele für ihn automatisch den Belustigten. Obwohl ein Teil von mir den unfairen Patienten zornig anbrüllen will. Und der restliche Teil jetzt unheimlich gerne anfangen würde zu heulen. „Hey, Moment mal, du verwechselst da was, Chazy Chaz”, widerspricht Mike milde lächelnd und küsst mein Ohr, „Du hast dich ganz alleine angemacht, Mister Bennington. Damit hatte ich gar nichts zu tun. Du selbst warst es doch, der sich geradewegs steif gerubbelt hat.”

Obwohl der Clevere blöderweise recht hat, kann ich das nicht so hinnehmen. So seltsam, wie er es ausspricht, wird mir meine Selbstbefriedigung irgendwie peinlich. „Nein, das stimmt nicht. Du hast mich mit Gewalt auf die Bank geschubst und bist über mich hergefallen”, ächze ich vorwurfsvoll und knete nervös seine Hinterbacken. Es fällt mir schwer, nicht einfach selbst Hand anzulegen. Dreist meinen quälend pochenden Schwanz zu packen und mir in höchstens zwei Minuten einen runterzuholen. Zweifellos würde sich das geil anfühlen und die lauernde Dunkelheit in mir komplett vernichten. Zumindest temporär. Haargenau diese zwei Minuten lang.

Aber ich bin nicht alleine auf der merkwürdigen Sex-Bank. Der Zaubermann sitzt auf mir drauf. Dieser fremde, unglaublich gut aussehende Mitpatient aus Agoura Hills. Der sich wahrhaftig um mich kümmern möchte, pausenlos für mich da sein will, was immer das für ihn bedeutet. Wo es doch schon längst niemand mehr will. Weil ich manchmal so ein zynisches Arschloch bin.

Eine heiße Woge aus verschiedenen Emotionen überschwemmt mich plötzlich unvorbereitet. Sodass ich mich völlig hilflos an Mike festklammern muss. Mein Gesicht verwirrt gegen seine nackte Brust presse und mehrmals hart schlucke. Während ich noch damit beschäftigt bin, nicht die Nerven zu verlieren, spüre ich seine zärtlichen Finger, die tröstend über meinen Kopf streicheln, sich sorgsam durch mein viel zu kurzes Haar bewegen, als wollte er die einzelnen Haare ernsthaft zählen. „Ist schon gut, Chazy”, flüstert der Mann liebevoll, „Du brauchst keine Angst zu haben. Es ist keine schlimme Frage, die ich dir stellen will.”

Obwohl es mich herbe anpisst, dass der Kerl mir Angst unterstellt, muss ich doch insgeheim zugeben, dass er damit idiotischerweise vollkommen richtig liegt. Ich habe tatsächlich Angst vor seiner ominösen Frage. Weil ich weiß, dass Lügen jetzt nicht mehr gilt. Mir ist überdeutlich bewusst, dass ich ihm tatsächlich die Wahrheit sagen werde. Ich werde mich an die Spielregeln halten und aufrichtig zu ihm sein. Egal, was auch immer der Typ von mir wissen will. Es verwirrt mich, dass ich mir so uneingeschränkt sicher bin, diesmal ehrlich zu antworten. Schließlich könnte ich doch einfach weiterhin neue Ausflüchte suchen. Wahrscheinlich würde Mike das nicht mal merken. Aber irgendwas in mir hat auf einmal knallhart kapiert, dass mich das ständige Lügen im Endeffekt keinen Schritt weiterbringt. Keinen Schimmer, wo diese gruselige Einsicht auf einmal herkommt. Jedenfalls habe ich eingesehen, dass unehrlich sein mir nichts nützt. Im Gegenteil. Dadurch scheint alles nur schlimmer und noch viel komplizierter zu werden. Also werde ich es dieses Mal anders versuchen. Allerdings versetzt mich der Gedanke daran, was vielleicht nach der Wahrheit alles passieren wird, in grelle Panik.

„Mike”, seufze ich gegen seine Brust gelehnt, „Verdammt, Mike...” Es tut überraschend gut, mich an ihm festhalten zu dürfen. Ich genieße die Wärme seiner Haut an meinem Gesicht, seinen tröstlich vertrauten Geruch, das Kitzeln seines dichten, weichen Brusthaars. Eine Welle aus Geilheit sammelt sich augenblicklich in meinem Schritt, als ich seine kleine Brustwarze vorsichtig zwischen die Lippen nehme und leicht daran sauge. Die zitternde Gänsehaut, die sich daraufhin über seinen gesamten Körper ergießt, lässt mich wollüstig aufstöhnen. Mike zieht zischend Luft ein. Seine Hand schiebt sich frech zurück zwischen unsere Lenden, tief da unten, wo wir uns gierig ganz besonders eng aneinander schmiegen. Aber er rutscht auf meinen Schenkeln ein Stückchen zurück, sodass er meinen Penis ergreifen kann, der noch immer abwartend frei in der Luft steht. Als ich seine Finger an meinem empfindlichsten Körperteil spüre, die sich diesmal sofort emsiger ans Werk machen, schließe ich genüsslich die Augen. Richte mich mental und körperlich darauf ein, in nächster Zukunft abzuspritzen.

„Warum hast du deine langen Dreadlocks abgeschnitten, Chester Bennington?” fragt Mike Shinoda mit bemerkenswerter Sturheit. Sein Kopf ist irgendwo in der Nähe meines Ohrs, während er gleichzeitig mit steigender Schnelligkeit und Intensität meinen Schwanz wichst. Die abrupte Steigerung meiner sexuellen Gefühle lenkt mich von der Brisanz dieser Frage ab, sodass ich nicht richtig darüber nachdenken kann. Ich will auch gar nicht mehr denken jetzt. Nur noch genießen. Ausschließlich seine unglaubliche Präsenz wahrnehmen. Die tröstliche Gewissheit, mit meiner Erregung wahrhaftig nicht alleine zu sein.

Im ersten Moment bin ich lediglich überrascht, wie harmlos seine Frage glücklicherweise ist. Unwillkürlich stoße ich erleichtert Luft aus. Immerhin habe ich von dem neugierigen Mitpatienten etwas sehr viel Bedrohlicheres befürchtet. Indiskrete, höchst unangenehme Fragen über Drogen oder meine Eltern zum Beispiel. Meine vorschnelle Erleichterung und rapide wachsende Geilheit lenken mich zur Gänze von dem versteckten Zündstoff ab, der definitiv in meinen abgeschnittenen Dreadlocks lauert.

„Weil er mich ein Mädchen genannt hat... eine fucking Sängerin...”, keuche ich impulsiv an seiner Brust, ohne darüber nachzudenken. Schließe behaglich die Augen und spanne zitternd meine Beckenbodenmuskulatur an, um sie gleich darauf wieder zu entspannen. Unweigerlich seufzend. Alles ist gut. Ich bin mit mir ungeahnt zufrieden. Weil ich Mike Shinoda tatsächlich die reine Wahrheit gesagt und damit seine lästigen Spielregeln eingehalten habe. Ich bin kein unfairer Spieler gewesen. Jetzt kann er wirklich nichts mehr einfordern, denke ich erfreut, denn er hat von mir bekommen, was er unbedingt haben wollte. Die Wahrheit ist draußen. Du hast es geschafft, gratuliert mir anerkennend irgendwas in meinem Kopf. Stellt verwundert fest, dass Mikeys Spiel ja gar nicht so dramatisch war, wie ich befürchtet hatte.

Mein auf lustvolle Art gereizter, extrem empfänglicher Penis zuckt der unfassbar angenehmen Behandlung seiner Finger von allein entgegen. Halber Japaner weiß unterdessen genau, wie er mit mir umgehen muss, um mich geradewegs zum Orgasmus zu streicheln. Der Schwarzhaarige hat das schon einmal bei mir gemacht und lernt offenbar erstaunlich schnell. In meinem Schädel laufen autonom Erinnerungen ab, die mir köstliche Schauder durchs Rückgrat jagen. Als wir in seinem kleinen Zimmer waren. Zu zweit eng umschlungen auf seinem schmalen Einzelbett der Psychiatrie lagen. Sein schöner Körper war eng an meine Seite geschmiegt und er hatte meinen steifen Schwanz in seiner Hand. Das war der Hammer.

Dieses Mal ist es mindestens genauso geil. Es steigert sich rasant und ich habe keine Chance etwas zu tun, um es noch aufzuhalten. Will das auch gar nicht. Echt nicht. Dies hier könnte eventuell der verdammte Himmel sein. Seltsam glücklich stelle ich fest, dass in meinem irren Schädel faszinierende Stille herrscht. Das überwältigende Gefühl der sexuellen Erregung erfüllt mich vollständig. Unwiderstehlich drängt es auf eine ständige Steigerung dessen. Habe den berauschenden Höhepunkt im Visier. Nichts anderes mehr. Endlich bin ich von allen qualvollen Dämonen befreit worden. Das darf nie aufhören. Mike Shinoda aus Agoura Hills hat mich zum gefühlt tausendsten Male erlöst.

„Von wem sprichst du, Chester?” erkundigt mein Wohltäter sich verwundert. Seine irre behaglichen, überraschend fachkundigen Finger an meinem prallen Glied verlangsamen zögerlich ihre erlösenden Bewegungen. Stoppen sie letzten Endes ganz. Was mir überhaupt nicht gefällt. Am liebsten möchte ich impulsiv losheulen. Die enttäuschende Pause der heiß ersehnten Stimulation holt mich jedoch zwangsläufig aus meinem geilen Höhenflug. Ob ich das nun will oder nicht. Schlagartig wird mir bewusst, worüber wir hier gerade reden. Erschrocken richte ich mich von seiner Brust auf. Sehe ihn verwirrt an. „Was?” entfährt es mir alarmiert. Irgendwas stimmt nicht. Plötzlich habe ich das Gefühl, als würde es mir gleich gewaltig an den Kragen gehen. Das gefällt mir nicht. Versetzt mich ungewollt in helle Alarmbereitschaft.

Die großen, braunen Knopfaugen sind ganz ruhig. Mega wachsam. Tasten mich sorgfältig ab. Irrsinnig interessiert an der verfluchten Wahrheit. „Wer hat behauptet, dass du ein Mädchen bist? Wer hat dich eine Sängerin genannt?” will Mike vorsichtig wissen. Zurückhaltend. Aber ohne mich auch nur einen Moment lang aus den Augen zu lassen. „Du sollst ein Mädchen sein, nur weil du lange Haare hattest? Wegen der Dreadlocks?” setzt er fassungslos hinzu. Seine ganze gespannte Aufmerksamkeit liegt ausschließlich auf mir. Es irritiert mich enorm, wie wenig abgelenkt er ist. Wie gering beeindruckt von der ganzen gigantisch geilen Situation zwischen uns. Das kapiere ich nicht. Denn ich selbst bin gerade tierisch aufgegeilt.

Aus diesem Grund kann ich den Kontext und Mikes beunruhigende Absichten nicht richtig einschätzen. Mindestens drei Minuten starre ich ihn nur ratlos an. Der perfekt Gestylte wartet geduldig auf meine Antwort. Die faszinierenden, auffallend großen Mandelaugen sind voll mit scheinbar nie endendem Mitgefühl. Sein attraktiver Körper sitzt reglos schwer auf meinen Oberschenkeln. Wir bewegen uns nicht mehr. Sitzen einfach so da. Seine Hand an meinem Schwanz steht still. Das macht mich völlig fertig. Es dauert ewig, bis der Nebel in meinem Kopf sich ein wenig lichtet.

Moment mal, denke ich plötzlich maßlos verwirrt, das war nicht abgemacht. Schon wieder bricht der gewitzte Kerl seine eigenen Spielregeln. Shinoda hat immer nur von einer einzigen Frage gesprochen. Von weiter Nachhaken ist nie die Rede gewesen. Ich habe getan, was er wollte, habe ihm doch schon ehrlich geantwortet, fangen die ärgerlichen Überlegungen an, wirr in meinem geilen Kopf umherzurasen, und er muss mir jetzt gefälligst ohne Widerrede einen runterholen. Das war doch so vereinbart, wütet es in mir, schließlich sind es seine eigenen verdammten Gesetze und ich habe mich tatsächlich daran gehalten.

Aber Mikey tut es nicht. Der Patient weigert sich einfach. Hockt nur reglos auf mir. Mit angezogenen Beinen, die rechts und links an meinen Hüften anliegen. Auf der hölzernen Parkbank. Gut versteckt. Hinter den Sträuchern und den langen Zweigen der Trauerweide. Die bis auf den Boden hängen. In der Grünanlage der Psychiatrie wird es Abend. Die Dämmerung bricht herein. Um uns herum wird es kontinuierlich dunkler.

Aber die Umgebung nehme ich nur am Rande wahr. Bin gerade mächtig abgelenkt. Meine Situation wird bedrohlich. Der junge Mann auf mir ist unerbittlich. Frech stellt er weitere Fragen. Hartnäckig will er alles wissen. Bohrt gnadenlos in meiner Seele und gibt zum Verrecken nicht auf. Eigentlich müsste ich jetzt langsam mal stinksauer auf den Besonderen sein, fährt es mir konfus durchs Gehirn. Ich sollte ihm wirklich gehörig die Meinung sagen. Du musst den Patienten nur zornig anschreien, verlangt der Teufel in mir, je lauter du schreist, umso besser kann er dich hören. Du musst ihn in Grund und Boden brüllen. Womöglich kapiert der Arsch dann endlich, dass er so nicht...

„Scheiß Sean Dowdell”, krächze ich hilflos. Im nächsten Moment ist es vorbei. Es passiert von allein und erschüttert mich bis tief ins Mark. Die Antwort formt sich innerhalb von wenigen Sekunden in meinem Gehirn. Dringt fast simultan zwischen meinen Lippen hervor. Kann sie schlicht nicht aufhalten. Die passenden Schwingungen meiner Stimmbänder nicht zurückhalten. Ehe ich mich versehe, spreche ich schon die Wahrheit aus. Auch beim zweiten Mal bin ich erschütternd ehrlich zu Mike. Obwohl ich dem niedlichen Stachelkopf eigentlich gar nicht antworten wollte. Der dreist nachgefragt hat, wer mich als Sängerin verspottet hat. Stattdessen wollte ich den Kerl schreiend anschnauzen. Weil das bekloppte Spiel doch ganz anders geht.

So war das nicht vereinbart. Darauf bin ich nicht mal annähernd vorbereitet. Ich hatte doch nie und nimmer vor, darüber zu sprechen. Zu Niemandem. Diese niederschmetternde Episode sollte für immer in mir verschlossen bleiben. So eine Scheiße passiert eben. Und ich schließe sie immer sorgfältig in mir ein. Jedes einzelne Mal.

Aber plötzlich kann ich nicht anders. Etwas Gravierendes ist passiert. Gänzlich unerwartet. Unbemerkt. Schlagartig habe ich kapiert, dass wütend Rumkrakelen mir nicht helfen kann. Auf Dauer hilft Zorn überhaupt nicht. Auch Lügen oder Albernheiten bringen mir im Grunde nix. Habe ich doch alles schon zur Genüge ausprobiert. Nur das hier ist verwirrend neu für mich. In so einer Situation bin ich noch nie gewesen. Deshalb überwältigt es mich vielleicht so stark. Mike Shinoda die Wahrheit zu sagen, fühlt sich verwirrend gut an. Meine ungewohnte Ehrlichkeit erleichtert mich auf irgendeine merkwürdige Art. Die ich noch lange nicht begriffen habe.

Ich fasse das nicht! Chester Bennington ist von einem jungen Mann besiegt worden, der sein beeindruckend dichtes, kräftiges Haar zu tollen, schwarzen Stacheln hochgegelt hat. Ein Halbjapaner mit wundervollen, braunen Mandelaugen, einer niedlichen Stupsnase, sexy vollen Lippen und einem samtweichen Bart. Der aus der kleinen Stadt Agoura Hills stammt. In der Nähe von Los Angeles. Kalifornien. Ausgerechnet.

Restlos schockiert starre ich ihn an. Automatisch bin ich hingerissen von seiner unleugbaren Schönheit. Halte mich verzweifelt an seinem vertrauten Anblick fest. Suche Trost in seiner unmittelbaren Nähe. Weil die Welt um mich herum sich aufzulösen scheint. Ich bin völlig hilflos. Auf ganzer Linie verloren.

Sein zärtlicher Blick aus den fantastisch dunklen Augen ist ruhig. Besonnen. Wahnsinnig interessiert an mir. Der Typ ist trotz seiner unübersehbaren sexuellen Erregung irritierend konzentriert auf mich. Er sitzt schwer auf mir, sodass mir momentan keine Möglichkeit zur Flucht bleibt. Also verharre ich mangels verfügbarer Alternativen leidlich reglos auf der Bank. Etliche Minuten vergehen in angespanntem Schweigen. Vielleicht ist die Zeit auch längst stehengeblieben. Wer weiß das schon.

Während wir uns unentwegt anschauen, schwebe ich innerlich haltlos umher. Der Besondere ist mir so verdammt nahe. Keine Chance, an ihm vorbei zu denken. Keine Möglichkeit, einen klaren Gedanken einzufangen. Ich muss einsehen, dass Shinoda sehr viel stärker ist als ich. Das deprimiert mich irgendwie. Andererseits fühle ich mich auch erleichtert, ihm die Wahrheit gesagt zu haben. Dem fremden Menschen vertraut zu haben. Das ist absurd. So etwas riskiere ich normalerweise nicht. Ich bin nicht sicher, wie ich hier wieder rauskommen soll. Keine Ahnung, was ich jetzt tun soll. Im meinem verrückten Kopf ist schlagartig erneut die Hölle los. Der verfluchte Wahnsinn fängt von vorne an. Keine Spur mehr von wohltuender Stille.

Mein Freund Sean Dowdell und meine Band Grey Daze spuken prompt in meinem alarmierten Gehirn herum. Sean ist oft wie ein großer Bruder für mich gewesen. Hat mich beschützt, wenn ich auf der Straße verprügelt werden sollte. Grey Daze kriegen vielleicht endlich ein festes Arrangement im Electric Ballroom in Tempe. Meine Jungs dürfen jeden Abend vor Publikum spielen. Das wird sich herumsprechen. Sie verwandeln sich in eine richtig erfolgreiche Band. Ganz Phoenix wird über sie sprechen. Von Abend zu Abend werden immer mehr Leute den Electric Ballroom aufsuchen. Um sie spielen zu sehen. Aber ich werde nicht mehr dabei sein. Muss ich auch gar nicht. Die schaffen das auch ohne mich.

Ich weiß gar nicht, wie wir bei diesem unangenehmen Thema gelandet. Oder warum wir jetzt so beschissen lange darin feststecken. Das gefällt mir nicht. Meine Sehnsucht nach Ruhe im Karton killt mich. Mein Körper und meine Seele schreien gellend nach zärtlichen, heftigen Berührungen. Möchte jetzt echt dringend einen Orgasmus haben.

Keiner von uns sagt etwas. Halbjapaner hält noch immer meinen Penis in seiner Hand. Seine Finger umschlingen locker mein empfindliches, hart gestautes Fleisch. Ich wünsche mir, er würde mich endlich wieder liebkosen. Verzehre mich ganz erbärmlich nach seinen Streicheleinheiten. Blöderweise steht aber das von Mike angesprochene Thema wie eine gefährliche Bedrohung zwischen uns. Das ist total verhängnisvoll. Die psychische Belastung ist viel stärker, als ich erwartet habe. Der Frust kämpft wie ein Berserker gegen meine sexuelle Erregung an. Ich kann nothing dagegen tun. Es fühlt sich ätzend an und ich fürchte, dass meine Erektion sich bald von mir verabschieden wird. Mit aufkommender Wut spüre ich schon, wie sie in seiner Hand schwächer wird. Fuck! Das hier funktioniert nicht, wenn ich so maßlos erschüttert werde. Wenn ich derart überfordert werde. Wenn ich mir zwangsläufig so viele quälende Gedanken machen muss, kann meine Geilheit auf Dauer nicht dagegen bestehen.

Meine Eingeweide ziehen sich schmerzhaft zusammen, als der ganze Scheiß, der gestern bei diesem verfluchten Telefongespräch gesagt wurde, autonom damit anfängt, sich wie ein Tornado in meinem Kopf zu drehen. Was ich von Dowdell erfahren habe. Dass der Schlagzeuger mich wahrhaftig eiskalt aus seiner Band geworfen hat. Dass ich damit nicht umgehen kann. Weil es mir restlos den Boden unter den Füßen wegzieht. Was mich total fertigmacht.

Meine Finger graben sich grob in Mikeys weiches Hinterteil, weil ich mich dringend an ihm festhalten muss. Es ist mir mega peinlich, mitten in seiner Hand langsam zu erschlaffen. Aber ich bin machtlos. Verzweifelt fixiere ich sein wunderhübsches Gesicht. Ich kann Shinoda förmlich ansehen, wie angestrengt es in seinem klugen Gehirn arbeitet. Seine höchst intelligente Gedankenmaschine läuft auf Hochtouren. Vermutlich versucht er sich zu erinnern, wer Sean Dowdell ist, fürchte ich panisch und will sofort unbedingt verhindern, dass es dem Schwarzhaarigen womöglich wieder einfällt. Das wäre absolut verheerend, warnt mich mein sensibler Verstand schrill. Denn von dem Begriff Sängerin bis zu meiner Band Grey Daze ist es nicht weit. Und an der Person Sean Dowdell hängen zweifellos massig neue Fragen dran, die Mike mir in seiner einzigartigen Wissbegier unter Garantie alle stellen wird. Und die in eine verdammt kritische Richtung gehen, die ich im Moment unter keinen Umständen einschlagen will.

„Machst du jetzt weiter, bitte!” flehe ich förmlich, greife runter und versuche energisch, seine Hand dazu zu bewegen, das geile Wichsen wieder aufzunehmen. Es ist zwingend erforderlich, dass er das augenblicklich tut. Aber der verdammte Kerl rührt sich nicht. Hält meine beschämend schrumpfende Erektion nur locker fest. Halber Japaner ist gedanklich total abwesend. Und ich möchte jetzt wirklich lautstark losschreien. „Bitte mach weiter, Mike!” wiederhole ich verzweifelt, atemlos zwischen Erregung und Panik, „Ich hab deine Frage beantwortet. Ich war ehrlich zu dir. Zur Belohnung holst du mir einen runter, ja?” Beschwörend taxiere ich seine faszinierend weichen Züge.

Aber Mikey antwortet nicht. Sitzt einfach bewegungslos auf meinen Beinen. Mental durchweg abgelenkt. Grübelt noch immer konzentriert über meine Antwort nach. Während er mich beunruhigend traurig ansieht. Etwas betrübt ihn. Ich habe keinen Zweifel daran, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis der herausragend kluge Kopf die richtigen Schlussfolgerungen zieht. Natürlich wird er den von mir sträflich unüberlegt genannten Namen zielstrebig meiner Band zuordnen. Selbstverständlich fällt Mister Shinoda in kürzester Zeit wieder ein, wer Sean Dowdell ist. Weil ich dem Halbjapaner schon von meinem Freund und Bandkollegen erzählt habe. Und der besondere Kalifornier ein aufmerksamer Zuhörer ist.

Gar keine Frage, dass Mikey sich an Sean erinnert. Als Nächstes wird der neugierige Mitpatient mich zwangsläufig nach Grey Daze fragen. Auch diesmal werde ich ihm die Wahrheit sagen. Ich kann nicht anders. Und spätestens dann bin ich endgültig im Arsch.

Warnend schrille Alarmanlagen brennen plötzlich lichterloh in meinem irren Schädel. Unmöglich, mich auch nur eine Minute länger unter Kontrolle zu behalten. „Nun komm schon, Shinoda! Fuck, das sind doch deine verdammten Spielregeln! Du hast nur eine einzige Frage verlangt! Ich hab dir die Antwort gegeben, die du wolltest! Und jetzt will ich die Belohnung, die du mir versprochen hast!” fauche ich in greller Aufregung. Mitten in sein wunderschönes, verschrecktes Gesicht hinein.

17. You don't even know me


Michael Kenji Shinoda

Woher hätte ich wissen können, wie schrecklich problematisch das Thema für ihn ist? Hätte ich auch nur geahnt, was für ein irrer Zündstoff dahinter verborgen liegt, hätte ich es nicht angesprochen. Aber ich habe es bewusst gewählt. Weil es mir relativ gefahrlos erschien, ihn nach den Dreadlocks zu fragen. Ich wissen will, warum er sich von seinen langen Haaren getrennt hat. Unbewusst habe ich mir wohl eine harmlose Erklärung gewünscht. Vielleicht wollte er einfach mal einen neuen Look, verdammt! Hätte doch sein können. Oder er hat es aus Protest getan. Um gegen die erzwungene Einweisung in die Psychiatrie zu rebellieren. So etwas würde ich ihm zutrauen. Schließlich ist er randvoll mit spontanen Einfällen. Überlegt nicht immer erst, bevor er etwas macht. Handelt eher impulsiv. Chester ist ein schwieriger Charakter. Es ist nicht leicht, zu ihm durchzudringen. Nicht einfach, ihn zu durchschauen. Doch das merkt man erst, wenn man sich näher mit ihm beschäftigt. Seine sorglos-offenherzige Fassade ist nahezu perfekt.

Obwohl es so viele andere seltsam bedrohliche Dinge in Chesters Leben zu geben scheint, die mich allesamt mehr als brennend interessieren, habe ich ihm zuliebe lediglich sein Haar erwähnt. Mitfühlend habe ich ihn nicht nach seinem Drogenkonsum oder etwa nach seiner rätselhaften Familie gefragt. Obwohl diese Themen doch so viel gravierender zu sein scheinen und ihm offenbar jede Menge Probleme machen. Aber ich weiß ja, dass er darüber nicht sprechen möchte. Mein spontanes Spiel und meine Frage nach den abgeschnittenen Dreadlocks sollten ihm die Wahrheit entlocken. Den hermetisch Abgeriegelten zu einem ehrlichen Gespräch mit mir animieren. Ich wollte ihm zeigen, dass es nicht gefährlich ist, wenn er mit mir redet. Beweisen, dass ich ihm nichts zuleide tun möchte. Dass ihm nichts passieren wird und er mir vertrauen kann. Wollte seine unüberwindbar scheinende, psychische Mauer auf Umwegen zum Einsturz bringen. Ich wusste nicht, wie extrem schwierig das für ihn ist. Habe auf eine einleuchtende Antwort gehofft. Irgendeine Erklärung halt.

Niemand hat mich darauf vorbereitet, dass Chester an meiner mutmaßlich harmlosen Frage stattdessen zu zerbrechen droht. Mit so einer krassen Reaktion habe ich nicht gerechnet. Seine dunklen Augen funkeln so erbost, als wäre er dem Wahnsinn nahe. Aber ich kenne ihn inzwischen gut genug, um nicht mehr darauf hereinzufallen. Ich weiß, dass seine stürmische Wut nur das verstecken soll, was er in Wahrheit fühlt. Chester Bennington hat panische Angst. Das verstehe ich nicht. Es fällt mir schwer, damit umzugehen. Ich muss mich dazu zwingen, ruhig zu bleiben. Überlegt vorzugehen. Ich möchte keinen zweiten Fehler machen. Das wäre verheerend. Aber ich kann jetzt auch nicht mehr zurück. Seine drastische Reaktion beweist mir, dass er mir wider Erwarten tatsächlich die Wahrheit gesagt hat. Das ist offensichtlich. Eine Lüge könnte ihn nicht dermaßen quälen. Könnte ihn unmöglich so rasend wütend machen. Ich vermute, dass er Unwahrheiten und Halbwahrheiten gewöhnt ist. Bestimmt gibt es viele Lügen in seinem Leben. Womöglich ist es sogar komplett darauf aufgebaut. Der Sänger hat sich im Laufe der Zeit damit abgefunden. Aus ihnen hat er seine emotionale Schutzbarriere gebaut. Eine Lüge könnte ihn niemals so wahnsinnig stressen. Doch in all dem komplizierten Chaos ist plötzlich etwas Fantastisches passiert. Chester hat sich für die Wahrheit entschieden. Endlich fängt er damit an, sich mir zu öffnen. Ich weiß das. Auch wenn es eigentlich nicht danach aussieht, so bin ich mir in diesem Punkt trotzdem völlig sicher. Chester gerät in Panik, weil er ehrlich zu mir war. Ich bin auf dem richtigen Weg.

„Du hast nur eine einzige Frage verlangt!” wirft er mir wutentbrannt vor und fordert unerbittlich die Belohnung, die ich ihm versprochen habe. Wir haben ein seltsames Spiel angefangen. Er will, dass ich ihm einen runterhole. Und keine Fragen mehr stelle. Das war die Bedingung. Ich soll mich gefälligst an meine eigenen Spielregeln halten. In gewisser Weise hat Chester recht. Aber ich kann jetzt nicht aufhören. Kann mich nicht damit begnügen, was ich erreicht habe. Nicht darüber hinwegsehen. Ich muss dringend weiter fragen. Noch mehr Wahrheiten mühsam aus seinem psychischen Morast ausgraben. Auch wenn sie ihm schrecklich wehtun. Unmöglich, den richtigen Weg nicht fortzusetzen. Wo er sich mir doch endlich aufgetan hat. Es ist so ein entsetzlich langer und mühsamer Kampf gewesen, bis wir an diesem Punkt angekommen sind. Keine Ahnung, wie lange wir schon hier sind. Wie groß die Zeitspanne mittlerweile ist, in der wir auf emotioneller Ebene miteinander kämpfen. Es ist eine aufwändige Auseinandersetzung, die uns beide enorm aufwühlt. Aber mein Einsatz ist jede Mühe wert. Chester und ich haben einen riesengroßen Schritt nach vorne gemacht. Aufeinander zu.

Ich bin so aufgeregt, dass mein Herz hinter meinen Rippen wie verrückt hämmert. Mein Atem geht angestrengt. Ich bin geil auf ihn. Sitze unverändert auf seinem Schoß und sehe ihn an. Meine Beine fangen an wehzutun, weil sie schon so lange geknickt auf dem harten Holz der Parkbank liegen. Ich würde gerne aufstehen und ein bisschen herumlaufen, damit sie wieder richtig durchblutet werden. Es drängt mich nach körperlicher Bewegung. Trotzdem muss ich hier sitzenbleiben. Muss ihn mit meinem Gewicht auf der Bank festhalten. Wenn es sein muss, auch mit Gewalt. Damit Chester nicht weglaufen kann. Ich fürchte, dass er das unbedingt tun will. Flucht wird lohnender für ihn, je tiefer ich in seiner verletzten Seele grabe. Doch ich erlaube es ihm nicht. Ich zwinge meinen Mann zu bleiben. Lasse ihm keine Wahl. Chazy Chaz kommt nicht an mir vorbei. Kann meine Sorge um diesen wundervollen Menschen nicht abstellen. Dieses zauberhafte Wesen ist viel zu wertvoll, um ignoriert zu bleiben. Muss jetzt unbedingt am Ball bleiben. Ich spüre, dass seine pechschwarze Dunkelheit sich langsam lichtet. Nur die Wahrheit kann ihm helfen.

Bennington hat sich seine schönen, langen Dreadlocks nicht freiwillig abgeschnitten. Rigoros die Schere anzusetzen, war nicht wirklich seine eigene Entscheidung. Jemand hat ihn zu diesem krassen Schritt provoziert. Mein Mann wurde als langhaariges Mädchen und Sängerin verspottet. Fucking Sean Dowdell hat das getan. Ich erinnere mich an diesen Namen. Weil Chester mir schon von ihm erzählt hat. Der unsensible Kerl kam zur Sprache, als Chaz über seine Band geredet hat. Sean Dowdell ist der Gründer und Schlagzeuger von Grey Daze. Das komplizierte Abendessen ist mir noch in guter Erinnerung. Wie mühsam es war, mit dem frustrierten Mitpatienten zu kommunizieren. Aus lauter Verzweiflung habe ich ihm die Geschichte von Xero heruntergebetet. Daraufhin hat er mir widerstrebend von Grey Daze berichtet. Auch an diesem Abend im Speisesaal war es schrecklich schwer zu ihm durchzudringen. Aber es war nichts im Vergleich zu heute. Heute scheint es eine nahezu unlösbare Aufgabe zu sein. Dennoch habe ich es geschafft. Ich fasse es nicht, dass Chester mir die Wahrheit gesagt hat. Diese Erkenntnis macht mich völlig fertig. Dass er vor den Namen ein Fucking setzt, verrät mir schon einiges über seine gekränkten Gefühle. Sofort fängt meine Gedankenmaschine an zu arbeiten. Fieberhaft überlege ich, was das wohl bedeutet. Eigentlich sind die Zusammenhänge relativ logisch. Ziemlich schnell komme ich darauf, dass Sean Dowdell dem Sänger enorm viel bedeuten muss. Sean muss extrem wichtig für Chester sein. Sonst könnte der Drummer meinen Mann niemals so schwer verletzen.

Die psychische Wunde wirkt sich augenblicklich auch auf seinen Körper aus. Kaum hat Chester den Namen seines wahrscheinlich besten Freundes ausgesprochen, mit krächzender, für den Sänger aus Phoenix total untypisch schwacher Stimme, da scheint er auch schon innerlich in Flammen aufzugehen. Seine braunen Augen funkeln bedrohlich in der einsetzenden Dunkelheit. Chester reagiert dermaßen extrem, dass seine Erektion, die ich schon die ganze Zeit in meiner Hand halte, zwischen meinen gekrümmten Fingern prompt anfängt zu schrumpfen. Ich glaube, das sexuelle Erschlaffen seines Gliedes macht ihn noch wütender. Weil es ihn unter Garantie beschämt. Mir wäre so etwas auch schrecklich peinlich. Darum will er so dringend, dass ich mein Streicheln sofort wieder aufnehme. Natürlich will er kein Schlappschwanz sein. Das finde ich verständlich. Der Kerl flüchtet sich panisch in triebhaften Sex. Die körperlichen Gefühle sollen ihn von dem quälenden Schmerz in seiner Seele befreien. Der Kontext ist so offensichtlich, dass es mir vor Mitgefühl die Kehle zuschnürt. „Mike, bitte!” fleht Chester mich an, während er mich auffordernd ansieht. Da ist so eine wahnsinnige Intensität, so unglaublich viel hilflose Angst in seiner wundervollen Stimme, dass es mir kalt das Rückgrat herunterläuft. Ich kann ihn damit nicht allein lassen. Will ihm dringend helfen. Muss ihm irgendwie beistehen. Kurzentschlossen erfülle ich ihm seinen Wunsch. Mein Mann braucht das jetzt unbedingt. Es scheint lebenswichtig für ihn zu sein, dass er Ablenkung von seinem inneren Kampf erfährt. Undenkbar, den Patienten Bennington im Stich zu lassen.

Wir sitzen so eng voreinander, aufeinander, dass zwischen uns kaum Platz bleibt. Meine Hand steckt beinahe in der Mitte unserer Körper fest. Die Finger bewegen sich tief an seinem Unterleib. In schöner Regelmäßigkeit auf und ab. Reiben dabei zwangsläufig ganz unten gegen meinen Bauch. Direkt neben meinem Penis, was mich total kirre macht. Ich bin froh, dass der Reißverschluss und der Stoff meiner Jeans noch dazwischen ist. So kann ich zumindest versuchen, die intime Berührung zu ignorieren. Chesters Schwanz wird rapide kleiner in meiner Faust. Sein Fleisch wird weich und biegsam. Was das Wichsen schwieriger macht. Also beeile ich mich. Reibe grob und schnell an ihm, sodass er ungesteuert aufstöhnt. „Ja, verdammt. Das ist gut, Shinoda”, knurrt er atemlos. Seine Augenlider flattern nervös. Sein Atem geht krampfhaft. Sein dunkler Blick spiegelt seine zornige Entschlossenheit. Ich nehme meinen wunderschönen Mann mit allen meinen Sinnen wahr. Chester ist mir so nahe, dass ich ihn überall fühlen, ihn riechen und förmlich schmecken kann. Aber im schwachen Licht der einzelnen Parklaterne, die unten am Weg steht und die irgendwann angesprungen sein muss, ohne dass ich es auch nur gemerkt habe, kann ich den Mitpatienten kaum noch sehen.

Die überraschende Tatsache, dass es um uns her inzwischen dunkel geworden ist, macht mich ehrlich fassungslos. Gott, wie lange sind wir schon hier? Wo sind die vielen Stunden geblieben? Wieso geht die Zeit so schnell um? Es kommt mir vor, als hätte meine Familie sich gerade erst von uns verabschiedet. Aber das muss schon lange her sein. Sie sind am frühen Nachmittag hier gewesen. Gleich nach der Gestaltungstherapie, in der Chester nichts als grimmige Totenköpfe aus seinem Ton geformt hat. Himmel, wir haben wahrhaftig das Abendessen verpasst! Eventuell haben wir sogar bei irgendeiner wichtigen Therapiestunde gefehlt. Mit Sicherheit werden die beiden ungehorsamen Patienten schon vermisst. Drinnen im Gebäude herrscht wahrscheinlich die hellste Aufregung. Sie werden sich fragen, wo Chester Bennington und Mike Shinoda abgeblieben sind. Ob wir uns vielleicht unerlaubt aus dem Staub gemacht haben. Obwohl das hier, in der hermetisch abgeschlossenen Psychiatrie, ja gar nicht möglich ist. Sie wissen, dass meine Familie mich heute besucht hat. Dass wir gemeinsam durch den Park spaziert sind, war offiziell abgesegnet worden. Brad hat uns gesehen. Früher oder später werden sie sich denken können, dass Chaz und ich uns noch immer unerlaubt hier draußen aufhalten. Zwangsläufig wird jemand kommen, um nach uns zu suchen. Womöglich tun sie das schon längst. Fahnden gründlich nach uns. Voraussichtlich ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis uns das Personal auf unserer gut versteckten Bank findet und hier wegholt.

Chester und Mike sind unartige Patienten. Machen ständig Ärger. Verursachen Probleme. Halten uns nicht an die Regeln der Institution. Sind in unserer psychiatrischen Behandlung total unkooperativ. Bennington und ich werden den allergrößten Ärger kriegen. Natürlich werden sie uns vorwerfen, dass wir uns verbotenerweise zu lange im Park aufhalten. Es wird ihnen nicht gefallen, dass wir uns so unangemessen nahe sind. So viel intimen Körperkontakt zwischen den Patienten mögen sie überhaupt nicht. Sex ist streng verboten. Es ist ein Wunder, dass zwischenzeitlich noch kein Pfleger hier war. Das verstehe ich eigentlich gar nicht. Definitiv sind wir schon viel zu lange fort. Pfleger Ulli wird jedenfalls einen hysterischen Anfall kriegen, wenn er Chester und mich beim Sex auf der Parkbank erwischt. Wie immer wird er Chester die alleinige Schuld daran geben. Dabei ist es doch in Wahrheit ganz allein meine Schuld. Ich habe den Sänger dazu gezwungen, so lange mit mir hier draußen zu bleiben. Mit meinem ganzen Gewicht halte ich ihn gewaltsam auf unserer Parkbank fest. Zusätzlich halte ich Benningtons süßen, kleinen Schwanz in meiner Hand. Oh Gott, wir sind beide halbnackt! Wir haben wahrhaftig unsere Oberteile ausgezogen. Chesters T-Shirt liegt neben uns auf der Bank. Meins habe ich in einer komplett unüberlegten Aktion ziemlich weit weggeworfen. Keine Ahnung, wo es jetzt ist. Was für ein dämliches Spiel habe ich mir da eigentlich ausgedacht?

Das alles macht mich unglaublich nervös. Mein Herz überschlägt sich ein paarmal in jähem Schrecken. Meine aufgescheuchten Gedanken laufen in die falsche Richtung. Denn ich kann jetzt nicht aufgeben. Es ist mir schlicht nicht möglich, folgsam aufzustehen, unverzüglich zurück ins Gebäude zu gehen und damit vielleicht noch jedem Ärger aus dem Weg. Ich darf jetzt nicht an die Psychiatrie und ihre lästigen Gesetze denken. Sondern muss mich ausschließlich um meinen kranken Mann kümmern. Der heute so extrem dringend meine Hilfe braucht, dass alles andere dagegen belanglos wird. Auch wenn ihm das leider selber nicht mal ansatzweise klar ist. Vielleicht ist er in seinem Kampf schon zu lange allein. Er kennt es nicht anders. Ich bin davon überzeugt, dass meine Hilfe lebenswichtig für ihn ist. Lebenserhaltend. Aufgeben kommt einfach nicht in Frage. Aber es kann sicher nicht schaden, wenn ich mich ein bisschen mehr beeile, verlangt irgendwas in mir. Etwas treibt mich rigoros zur Eile an. Ich weiß nicht, wie viel gemeinsame Zeit uns noch bleibt. Kann nicht abschätzen, wie intensiv oder lange das Personal der Psychiatrie schon nach uns sucht. Zweifelsfrei wird es nicht mehr allzu lange dauern, bis sie uns letztendlich finden. Und damit schlagartig alles kaputt machen, was ich bis jetzt bei Chester erreicht habe. Ich sollte lieber realistisch bleiben. Das wäre sicher klug.

Meine Hand zwischen unseren aufgeregten Körpern bewegt sich unwillkürlich hastiger. Ruckartig fahren die geschlossenen Finger an seinem warmen, samtig weichen Fleisch auf und ab. Ein schneller, zielgerichteter Rhythmus. Ich reize seine sorgfältig beschnittene Eichel nicht gerade behutsam. Streiche zu grob über die besonders empfindlichen Stellen. Meine innere Hast diktiert mir diese raue Art von Berührungen. Habe dabei große Angst ihm wehzutun. Doch es scheint ihm wahrhaftig zu gefallen. Was mich nur so lange überrascht, bis mir plötzlich einfällt, dass Chester auch früher schon ein bisschen auf Schmerz stand. Als ich ihn noch an seinen langen Dreadlocks ziehen konnte. Der aufgebrachte Sänger knurrt zwischen stürmischer Wut und triebhaftem Genuss. Ein seltsam gutturaler Laut, der ganz tief aus seiner goldenen Kehle kommt. Unwillkürlich nötigt er mich näher an sich heran. Er lechzt nach mehr Körperkontakt. Aber ich sträube mich, denn ich brauche den Platz zwischen uns, damit ich ihn weiter auf diese intime Art anfassen kann. Er murrt unzufrieden und beugt sich vor, lehnt seinen hübschen Kopf gegen meine Schulter. Die Bewegung wirkt so verzweifelt, so schrecklich verloren, dass mir das Herz wehtut. Meine freie Hand streicht zärtlich durch sein kurzes Haar. Möchte ihn dringend aufmuntern. Seine Hände liegen beide auf meinem Hintern. Die Finger kneten hektischer meine Jeans, drücken kräftiger zu, je geiler er durch mich wird. Chester stöhnt, als sein Körper direkt an mir erzittert. Sein kleiner Schwanz wächst deutlich in meiner Hand. Was mich einerseits freut und andererseits wahnsinnig scharf macht. Aber ich darf mich jetzt nicht auf mich selbst konzentrieren. Hier geht es nur um ihn. Chester Bennington. Alles andere spielt gerade keine Rolle. Es existiert nicht mal mehr.

„Wer ist Sean Dowdell für dich?” frage ich ihn ganz leise. Flüstere es zart in sein großes, niedlich abstehendes Ohr hinein. Ich bin bewusst vorsichtig. Aber Chester stöhnt entsetzt auf, zuckt zusammen und verkrampft sich augenblicklich. Als hätte ich ihn geschlagen. Es dauert unheimlich lange, bis er mir antworten kann. Mein armer Mann hat so fürchterlich schwere Konflikte mit sich auszutragen. In seiner stark verwundeten Seele ist die Hölle los. Ich spüre das. Es tut mir weh. Aber ich weiß nicht, wie ich ihm dabei helfen kann. Vermutlich muss ich ihm Zeit geben. Damit er meinen unerwartet emotionalen Angriff verarbeiten kann. Also warte ich einfach ab. Seine Stirn liegt auf meiner Schulter. Ich glaube, dass er seine Augen fest geschlossen hat. Sein dürrer Brustkorb bewegt sich in schweren, lauten Atemzügen. Der schmächtige Körper zittert unter mir. Der Sänger aus Phoenix ist höllisch angespannt. Ich kann seine nervös zuckenden, verkrampften Muskeln fühlen. Spüre sein Herz hinter seinen Rippen pochen. Möglicherweise bleibt die Welt um uns herum gnädig stehen. Während meine geschlossene Hand unermüdlich an seinem Penis auf und ab fährt. Auf und ab. Auf und ab. Auf und ab. In gleichmäßig gefühlvollem Rhythmus. Geradewegs dem Ziel entgegen.

„Du weißt, wer Sean ist”, keucht er nach einer Ewigkeit abweisend, „Ich habe dir von ihm erzählt.” „Ja, aber bitte erkläre mir, was der Typ dir bedeutet”, formuliere ich meine Frage anders. Chester stößt ein kurzes, aggressives Lachen aus. „Was der Typ mir bedeutet?!” wiederholt er fassungslos. Als wäre ich nicht bei Verstand. Was mich ganz schön provoziert. „Warum hat Sean Dowdell so eine große Macht über dich, Chaz? Warum schneidest du dir deine schönen Haare ab, nur weil der Kerl eine blöde Bemerkung macht?” Ich verstehe das wirklich nicht. Chester macht mein Unverständnis sauer. Er atmet scharf ein. Erschaudert unter meiner groben Stimulation seines Gliedes. Zwischen meinen Fingern ist sein empfindliches Sexualorgan kontinuierlich größer geworden. Was mich total geil macht. Chesters Schwanz ist mittlerweile richtig steif. Ich habe das verursacht. Habe getan, was er wollte. Eine ungezügelte Mischung aus Zorn und Geilheit lodert in dem Tätowierten. „Das kapierst du nicht, Mikey!” wirft er mir wütend vor. Hebt den Kopf und starrt mich feindselig an. „Darum frage ich ja!” erwidere ich ungerührt, obwohl mein Herz vor Aufregung hämmert. „Ach, Mike...”, quengelt Chester gestresst, „Ich weiß nicht, was ich dir darauf antworten soll.” Sein Blick liegt verlangend auf meinem Mund. Nervös fährt er sich mit der Zunge über die schmalen Lippen. Ich fürchte, Herr Bennington überlegt mich zu küssen. Ich bin nicht sicher, ob ich ihm widerstehen kann. Vermutlich kann ich es nicht. Wenn er mich küsst, werde ich alles andere in kürzester Zeit vergessen. Ich bin ehrlich scharf auf meinen wunderhübschen Mann. Mein Schwanz ist hart in meiner Jeans. Ich möchte Chester küssen. Pausenlos. Aber das geht jetzt nicht. Das Thema ist einfach zu wichtig. Von diesem zähen Gespräch hängt nicht nur sein Leben ab.

„Bitte, Chaz. Erzähl mir von Sean. Warum kann er dich so leicht fertigmachen? Welche Macht hat er über dich? Wie hast du ihn kennengelernt?” dränge ich weiter in den hermetisch abgeriegelten Mitpatienten vor. Gequält verzieht er das schöne Gesicht. Schließt für einen Moment abwehrend die Augen. „Halt die Klappe, Shinoda...”, knurrt er atemlos, mit zusammengebissenen Zähnen, „Ey, du holst mir gerade einen runter, Blödmann...”, entgeistert, als wäre mein Wichsen die ultimative Entschuldigung für ihn, um nicht antworten zu müssen, öffnet die Augen und küsst mich. Überstürzt fällt sein Kopf nach vorne. Seine Lippen treffen hart auf meinen Mund. Halten sich panisch daran fest. Seine Zunge stößt so schnell in mich vor, dass ich keine Chance zur Gegenwehr habe. Augenblicklich wirbelt ein Schauder aus sexueller Erregung durch meinen Körper. Der sich begehrlich in meinem Schritt ansammelt. Unweigerlich stöhne ich auf und erwidere seinen Kuss. Ich kann nicht anders. Wie immer bin ich völlig machtlos gegen ihn.

Es ist ein wütender, grober Kuss. Ein irre stürmisches ineinander verhaken unserer Zungen. Ein aggressiver Kampf um die Vorherrschaft. Das fühlt sich so verdammt gut an. Prompt fangen meine Sinne an sich aufzulösen. Meine sexuellen Gefühle werden stärker. Zeitgleich geht in meinem Kopf der Alarm an. Weil ich mich von dem cleveren Kerl nicht ablenken lassen darf. Wiederholt zieht er die gleiche Masche ab. Schon wieder küsst er mich, damit ich nicht mit ihm sprechen kann. Chester benutzt seine Lippen als letzten Ausweg. Ich liebe diesen Mann. Die Weichheit seines schönen Mundes. Die feuchte Hitze seiner gelenkigen Zunge. Sein triebhaftes Keuchen. Sein betörender Geruch. Das Gefühl seiner schlanken Gestalt unter mir. Chester überwältigt mich mit erschreckender Leichtigkeit. Legt seine Hände um mich. Klammert sich gnadenlos an mir fest. Lenkt mich dermaßen ab, dass meine emsig wichsende Hand zwischen unseren Körpern unweigerlich aus dem Takt gerät. Wie leicht wäre es jetzt einfach in ihm zu versinken. Das mühsame Gespräch abzubrechen, ist gefährlich verlockend. Aber es ist keine Option. Obwohl es verdammt schwerfällt, halte ich eisern an meinem Vorhaben fest. Ich verbrauche meine letzte Kraft, um nach vielleicht zwei Minuten intensiven Küssens meinen Mund gewaltsam von seinem zu lösen. Indem ich mein Gesicht abrupt zur Seite drehe und die schnelle, harte Bewegung meiner Finger an seinem Penis konzentriert wieder aufnehme, mache ich seinen klugen Ausweichplan unmissverständlich zunichte.

Bei Chester verursacht mein Widerstand ein impulsives, bedrohlich zorniges Fauchen. „Das geht nicht!” protestiert er viel zu laut, „Du kannst jetzt nicht einfach...” Verwirrt bricht er ab. Atmet scharf ein und starrt mich nur noch an. Die braunen Augen sind pure, funkelnde Verzweiflung. „Bitte erzähl mir, welche Rolle Sean Dowdell in deinem Leben spielt”, fordere ich ihn beruhigend auf. Meine Stimme ist sanft. Duldet aber keinen Widerspruch mehr. Er soll wissen, dass ich nicht aufgeben werde. Dass ich mich durch Küssen auf Dauer nicht davon abbringen lasse. Ich denke, er kapiert es langsam. Denn Chester stößt aggressiv Luft aus und zischt atemlos: „Nein, warte mal! Moment mal! Hör auf!” Als ich darauf nicht reagiere, greift er wütend hinunter. Schiebt seine Finger energisch zwischen unsere eng voreinander sitzenden Körper. Stoppt meine Bemühungen an seinem steifen Glied mit einem brutalen Griff um mein Handgelenk. Chester greift so feste zu, dass ich vor Schmerz jaule. Der mega angepisste und mächtig aufgegeilte Mann ist überraschend stark. Seine aufbrausende Energie sorgt dafür, dass ich meine Hand nicht länger bewegen kann. Keinen einzigen Inch mehr. Automatisch fasse ich noch fester zu. Meine Finger schließen sich trotzig enger um seinen prall gestauten Schaft. Damit er mich nicht davon trennen kann. Auf keinen Fall werde ich kapitulieren. Keine Ahnung, was mit uns passiert. Unser lebenswichtiger Kampf nimmt bizarre Ausmaße an, die mich auf morbide Art faszinieren.

„Was soll das, Mike? Was ist das für ein Spiel?” verlangt Chaz drohend zu wissen. Die fantastische Stimme schwankt zwischen Verwirrung, Zorn und Geilheit. Sein Atem geht schwer und hastig. Der schmächtige Körper bebt vor Aufregung. Meine freie Hand liegt auf seinem Kopf. Zärtlich fahre ich über die warme Kopfhaut. Erfühle das extrem kurzgeschnittene Haar. „Das ist das Chester-sagt-Mike-die-Wahrheit-Spiel”, antworte ich lächelnd. Küsse ihn schnell auf die Wange, um ihn zu besänftigen. Er grinst freudlos. Zeigt mir knurrend seine weißen Zähne. „Nein, das ist das Mike-holt-Chester-einen-runter-Spiel”, widerspricht er verdrossen, „Und dabei wird nicht geredet, Shinoda.” „Ach, bitte, Chaz!” quengele ich unnachgiebig, sodass er genervt die Augen verdreht, „Bitte spreche doch mit mir darüber! Erzähl mir etwas über diesen Dowdell, ja? Wenn der Mann bewirken kann, dass du dich von deinen tollen Dreadlocks trennst, dann hat er einen riesigen Einfluss auf dich! Bitte erkläre mir das, okay?” bitte ich ihn aus ganzem, nervös zitterndem Herzen. Habe verstärkt das Gefühl, mein Leben hängt davon ab. Sehe ihn flehend an. Lege meinen Kopf schief. Und in meinen Blick meine ganze, instinktive Dringlichkeit.

Chester sieht mich einen Moment verblüfft an. Staunend kneift er die Augen zusammen. Ohne Brille kann er mich nicht richtig erkennen. Obwohl ich direkt vor ihm sitze. Unverändert auf seinem Schoß. Ich spüre, dass mit dem Sänger etwas passiert. Halte gespannt den Atem an. Ein paar Sekunden lang bleibt das Universum stehen. Plötzlich platzt ein schrilles Lachen aus ihm heraus. Das mich sehr viel mehr erleichtert, als ich ausdrücken könnte. Obwohl eine gigantische Portion Elend in Chester Benningtons hypernervösem Lachen mitschwingt und seine erwachte Wollust seine Augen trübt, so ist der depressive Kerl doch immerhin belustigt. „Ey, was stimmt nicht mit dir, Mikey?” verlangt er kichernd zu wissen, „Was läuft da in deinem Schädel? Wie zur Hölle soll ich dir was erzählen, während du mich geradewegs zum Abspritzen bringst. Das kann ich echt nicht, Alter!” „Versuch es doch mal”, schlage ich hastig vor, weil ich nicht fassen kann, dass er meine verrückte Bitte scheinbar tatsächlich in Erwägung zieht. Das ist mehr, als ich zu hoffen gewagt habe. Chester signalisiert endlich die Bereitschaft, sich mit mir und seinen schrecklichen Dämonen auseinanderzusetzen. Seine emotionale Mauer zeigt deutliche Risse. Da ist ein Licht am Ende des Tunnels aufgetaucht. Das meinen Ehrgeiz, noch mehr aus ihm herauszukriegen, enorm anfacht. „Versuche es, ja? Du wirst merken, wie gut es dir tut, darüber zu sprechen. Mir ging es doch auch so! Wenn du erst mal den Anfang geschafft hast, dann wird es immer leichter, ich schwör's dir, Chaz! Ich habe das selbst mit Brad erlebt. Nachdem ich ihm die Wahrheit gesagt hatte, ging es mir sehr viel besser, ehrlich! Willst du das für mich tun, Chester?” plappere ich aufgeregt. Mein Herz pocht schneller hinter meinen Rippen. Sodass ich nervös nach Luft schnappen muss.

Der Patient sieht mich ungläubig an. Echt entgeistert. Als würde er an meinem Verstand zweifeln. Es ist schwer, seinem verstörten Blick standzuhalten. Da glimmt so viel Angst in seinen Augen. Er fürchtet sich vor etwas, das ich nicht verstehen kann. Das er mir nicht zeigen will. Aber ich schlage mich tapfer. Während er über meine sonderbare Idee nachdenkt, die mir genauso spontan gekommen ist wie alles andere hier, versuche ich mir einzureden, dass es richtig ist, was ich mache. Dass es einen konkreten Sinn hat. Die Zusammenhänge einleuchtend sind. Meine einsamen Überlegungen brauchen ihre Berechtigung. Wenn ich Chester dabei einen runterhole, wird es für den Sänger leichter zu sprechen. Seine innere Hemmschwelle wird mit steigender Geilheit sinken. Weil er dann von seinen körperlichen Gefühlen abgelenkt wird. Der Schmerz in seiner Seele hat nicht mehr so viel Platz darin, solange Chester sexuell erregt ist. So lautet zumindest meine Theorie. Keine Ahnung, wie ich auf diesen merkwürdigen Einfall gekommen bin. Aber es scheint logisch zu sein. Und ich bete innerlich flehentlich, dass der Tätowierte auf meinen dreisten Vorschlag eingeht.

Es dauert vielleicht zwei Minuten, bis mein Mann sich entschieden hat. Minuten, die mir wie Stunden erscheinen. Eine kleine Ewigkeit vergeht. Bis Chester endlich eine Reaktion zeigt. Statt einer Antwort, gibt er zögerlich mein Handgelenk frei. Legt seine Hände zurück auf meinen Hintern. Schließt ergeben die Augen. Ich nehme das als Aufforderung, um meine Aktivitäten an seinem Schwanz wieder aufzunehmen. Mit mehr Zärtlichkeit als zuvor fahren meine Finger an seiner Erektion auf und ab. Reizen seine empfindsame Eichel behutsamer. Betasten gefühlvoller das Bändchen und den professionell beschnittenen Rand. Es fällt mir nicht leicht, ihn zu befriedigen. Weil es mich zwangsläufig selbst enorm geil macht. Die Wirkung auf uns beide ist gewaltiger als geahnt. Chester zuckt und keucht unter meiner intimen Berührung. Er stöhnt ganz leise. Erschaudert lustvoll. Was ich unmittelbar an meinem eigenen Körper spüre. Mein Schwanz wird härter in der Jeans. Presst sich unangenehm eng in die Unterhose. Unausweichlich. Zu gerne würde ich ihn herausholen. Dem wachsenden Organ mehr Platz verschaffen. Irgendwas tun, um den Genuss zu steigern. Mein aktivierter Trieb drängt mich dazu. Aber ich reiße mich zusammen. Konzentriere mich auf meinen wundervollen Mann. Obwohl ich es eigentlich gar nicht glauben kann, hat er meinem seltsamen Spiel wahrhaftig zugestimmt. Keine Ahnung, wie das alles passiert ist. Oder wohin es führen wird. Ich erinnere mich nicht, wie sich unsere bizarre Situation entwickelt hat. Oder auf welchem Weg wir an diesen absurden Punkt gelangt sind. Ich weiß auch nicht, warum Bennington sich auf mein unerforschtes Experiment einlässt. Möglicherweise spürt auch er, dass hier gerade etwas ganz Besonderes zwischen uns passiert. Da existiert plötzlich mehr Vertrauen zwischen uns, als jemals da war. Viel mehr Offenheit. Es geht hier um wirklich wichtige Dinge. Existenzielle Themen. Das Wichsen ist nur Mittel zum Zweck.

Trotzdem ist es berauschend, den Sänger dabei zu beobachten, wie er haltlos in seine geilen Gefühle abtaucht. Hemmungslos. Es ist wundervoll, seine sexuelle Erregung zu spüren, die ich wahrhaftig eigenständig steuern kann. Die wechselnde Intensität meiner Finger unten zwischen unseren Körpern bewirkt die Steigerung seiner Lust. Meine Finger kennen seine sensiblen Stellen, die ihm an seinem Schwanz besonders viel Vergnügen bereiten. Ich habe den Patienten wortwörtlich in der Hand. Und genieße meine Macht über ihn in vollen Zügen. „Du hast Glück... dass ich schon so verdammt geil bin...”, knurrt Chester vorwurfsvoll zwischen angestrengten Atemzügen, noch immer klingt Wut und Verlangen gleichermaßen in seiner zauberhaften Stimme, „Ich kann jetzt nicht mehr zurück... Will es nicht... Kann nicht aufhören... Sonst würde ich dich kräftig in den Arsch treten... du Spinner... Deine komischen Spiele sind total krank... Du hast sie doch nicht mehr alle...” Ich muss lächeln. Weil es total süß ist, wie er sich atemlos aufregt, während er gleichzeitig vor Begierde zittert. Die Muskeln seiner schlanken Oberschenkel zucken angespannt unter meinem Po. Seine braunen Augen glühen vor sexueller Leidenschaft. Was mich total fasziniert. Sodass ich meinen Blick nicht davon abwenden kann.

„Wer ist Sean für dich?” flüstere ich sanft. Küsse zart seine hohe Stirn. Wir sitzen so dicht voreinander, dass ich mich dafür nur minimal vorbeugen muss. Chester gibt ein komisch verzweifeltes Geräusch von sich. Eine Art boshaftes Fauchen. Durchzogen von Zorn und triebhafter Lust gleichermaßen. Seine Hände sind an meinem Arsch. Die langen Finger fahren nervös über die Jeans. Bewegen sich dann zögernd an meiner Rückseite nach oben. Streicheln hingebungsvoll meinen nackten Rücken. Seine Hände sind angenehm warm an meiner Wirbelsäule. Was mir eine Gänsehaut verursacht und mich erschaudern lässt. Dieser Kerl kann so wahnsinnig zärtlich sein. Das macht mich total verrückt. Sein gefühlvolles Streicheln rollt mir die Fußnägel auf. Es steht in krassem Gegensatz zu seiner spürbaren Aggressivität. Dem nervösen Aufruhr in seinem tollen Körper. „Dowdell spielt Schlagzeug... er ist... der Drummer meiner Band...”, stößt Chester widerwillig hervor. Jedes Wort scheint ihm extrem schwerzufallen. Als müsste er sich mit Gewalt zu dieser Antwort zwingen. Darum weiß ich sein mutiges Entgegenkommen sehr zu schätzen. Obwohl er mir nichts Neues erzählt. Diese Information war mir ja schon seit dem vorgestrigen Abendessen bekannt. Als wir über unsere musikalischen Ambitionen gesprochen haben. Ich weiß auch, dass Dowdell die Band gegründet und Chester als Sänger engagiert hat. „Wer ist der Typ für dich?” hake ich behutsam nach. Lasse ihn nicht aus den Augen. Er erwidert meinen Blick voller Trotz und Abneigung. Es tut mir weh, den gigantischen Schmerz in seinen Pupillen wahrzunehmen. Dennoch wende ich mich nicht ab. Ich muss jetzt da durch, wenn ich etwas erreichen will. Muss für uns beide stark genug sein. Ich kann das.

„Mike Shinoda... du bist echt... brutal...”, bemerkt Chester seltsam resigniert. Zeitgleich hört er sich beeindruckt an. Schnappt nach Luft und schüttelt sich in einer Mischung aus Unbehagen, Wut, Faszination und Verlangen. Im nächsten Moment stöhnt er genussvoll auf, weil ich meine intime Zärtlichkeit an seinem Schwanz unweigerlich intensiviere. Meine Finger streichen zart über seine samtige Eichel, hingebungsvoll am beschnittenen Rand entlang, wichsen ihn dann grob. Ich bin hinterhältig. Will auf diese direkte Art seinen emotionalen Widerstand brechen. Chaz hat recht. Ich bin brutal zu ihm. Ich kann spüren, wie sein steifer Penis in meiner Hand zuckt. Es pocht begehrlich unter der gespannten Haut. Warme Lusttropfen benetzen meine Fingerspitzen. Die geile Begierde in seinem Blick macht mich total scharf. „Du kannst es mir sagen, Chester. Du kannst mir vertrauen. Bitte, sag es mir einfach”, flüstere ich flehend. Sodass er widerspenstig aufstöhnt. „Das ist... nicht so einfach...”, widerspricht er derart niedlich hilflos, dass ich ihm nochmal beruhigend über den Kopf streichele. Mein Mund formt unterdessen automatisch die passenden Sätze dazu: „Versuche es, Chaz! Bitte, riskier's für mich, ja? Sei mutig! Vertrau mir! Es lohnt sich für dich, ich versprech's dir!”


Chester Charles Bennington

„Ich habe vielleicht eine Band für dich!” hatte mein Kumpel Scott schon von Weitem gerufen. Während er eilig quer über die Straße auf mich zugelaufen und mit aufgedreht glänzenden Augen vor mir stehengeblieben war. Weil die Greenway streng nikotinfrei ist, so wie wahrscheinlich jede verdammte High School in den USA, mussten wir zum Rauchen das Schulgelände verlassen. Was wir in den Pausen mit schöner Regelmäßigkeit taten. Obwohl auch das verboten war. „Was für eine Band?” hatte ich gelangweilt erwidert. Cool an meiner Zigarette gezogen. Betont desinteressiert getan. Seit dem letzten Schulfest, auf dem wir ziemlich katastrophale Cover-Songs gespielt hatten, waren die Jungs und ich im Streit auseinandergegangen. Wir waren uns total uneinig über das weitere Vorgehen gewesen. Heavy war nicht die erste meiner Bands, die sich schon nach kurzer Zeit getrennt hatte. Die meisten meiner musikalischen Mitstreiter, mit denen ich bisher geprobt hatte und in der Schule ab und zu aufgetreten war, hatten einfach nicht genug Ehrgeiz und Energie gezeigt, um aus unseren höchstens mittelmäßigen Schulbands etwas Größeres machen zu wollen. Was mich mittlerweile extrem frustrierte. „Mein großer Bruder Chris spielt Gitarre und will mit diesem Drummer, mit dem er immer abhängt, eine eigene Band gründen. Der Typ heißt Sean Dowdell. Die suchen dringend einen Sänger”, hatte Scott mich stolz informiert, „Die wollen uns im Studio treffen. Lass uns heute nach der Schule gleich mal hinfahren, okay, Chester?” Diese im Nachhinein bedeutungsvolle Szene aus der Vergangenheit ist in meinem vollends verwirrten Schädel seltsam gegenwärtig. Instinktiv halte ich mich daran fest. Brauche irgendeinen Punkt zum Festhalten. Die unerbittlich heiß brennende Wüstensonne über Phoenix, Arizona. Die kleine Gruppe ausgestoßener Loser. Die zum süchtigen Rauchen das Schulgelände verlässt. Mein fünfzehnjähriges Ich. Bemüht sich verbissen, meine spontane Begeisterung über das unerwartete Angebot vor den neugierigen Mitschülern bloß nicht zu zeigen.

Ich bin noch immer eingeklemmt. Zwischen der viel zu harten Parkbank aus Holz unter meinem Arsch und dem schwer auf meinem Schoß hockenden Mike Shinoda über mir. Doch die Unbequemlichkeit meiner derzeitigen Lage gerät zunehmend in Vergessenheit, löst sich in der Dunkelheit des Abends auf. Alles um mich herum wird seltsam unwirklich. Zuverlässig verdrängt von meinem sich rapide steigernden Gefühl der Geilheit. Mike arbeitet mit vollem Einsatz daran, mir einen runterzuholen. Damit macht er genau das, was ich von ihm verlangt habe. Als folgsamer Patient nähert er sich seinem Ziel mit unnachahmlicher Leidenschaft. Gleichzeitig besteht Knopfauge darauf, dass ich ihm etwas über Dowdell erzähle. Er will wichsen und reden zur selben Zeit. Zweifellos ist Shinoda vollkommen verrückt. Ich weiß nicht, warum ich sein beklopptes Spiel überhaupt mitspiele. Oder was das alles eigentlich bedeuten, was er damit bezwecken will oder wo es hinführen soll. Irgendetwas sagt mir, dass es vielleicht eine Chance für mich sein könnte. Dieses gefährliche Spiel mit der Wahrheit. Das ich noch nie gespielt habe. Eventuell wird es dadurch besser. Ich erinnere mich, dass es überraschend angenehm war, ehrlich zu Mike zu sein. Ein kleiner, hartnäckiger Hoffnungsschimmer besteht. Möglicherweise klinke ich aber auch lediglich komplett aus. Im Moment ersehne ich jedenfalls eine völlig andere Art von Befriedigung. Die eher wenig mit meiner verletzten Seele zu tun hat.

„Meine Band...”, presse ich atemlos heraus, erschaudere ungesteuert unter der fortwährenden Stimulation meines steifen Schwanzes, „Dowdell hat mich... als Sänger... in die Band geholt...” Mein Herz hämmert nervös in meiner Brust. Zwingt meinen Atem in ein angestrengtes Ringen um Sauerstoff. „Das weißt du doch!” setze ich vorwurfsvoll hinzu. Weil ich ziemlich sicher bin, dem Halbjapaner die Grey Daze Story schon mal erzählt zu haben. Mike nickt aufmerksam. „Wie war das für dich, als Sean dich engagiert hat?” will er neugierig wissen. Keine Chance, dass der Typ jemals aufgibt. Oder wenigstens temporär die Klappe hält. Seine braunen Augen funkeln aufgeregt in der Dunkelheit. Shinoda ist wahnsinnig interessiert an meinen wütend gestammelten Antworten. Zärtlich hält er meinen Penis in seiner fachkundigen Künstlerhand. Seine gekrümmten Finger fahren unermüdlich an meinem empfindsamsten Fleisch auf und ab. Betasten gefühlvoll die besonders sensiblen Stellen an der inzwischen ziemlich feuchten Spitze. Er weiß genau, wie er mich anfassen muss, um mich ohne Umwege zum Orgasmus zu wichsen. Nach nur einem einzigen erfolgreichen Probelauf in seinem Zimmer ist er bereits ein wahrer Profi geworden. Was mich ehrlich tief beeindruckt. Ich spüre ihn so dermaßen intensiv, dass mein verspannter Körper von allein anfängt zu zittern. Unten zwischen unseren ruhelosen Gestalten brennt unaufhaltsam ein sexuelles Feuerwerk ab. Die unvermeidliche Explosion rückt näher. Ich bin nicht sicher, ob ich die gewaltige Detonation überlebe. Schwanke heftig zwischen Panik und höllischer Begierde. Pure Lust durchströmt mich heiß, fokussiert sich autonom zwischen meinen Oberschenkeln. Während mein total konfuser Verstand sich hilflos an der Vergangenheit festkrallt. Im emotionalen Chaos ist ein Fixpunkt unerlässlich, um nicht haltlos in den Wahnsinn abzudriften.

Damals war ich gerade erst fünfzehn Jahre alt geworden. Absolut Nichts an meinem Aussehen erinnerte auch nur im Entferntesten an einen Rockstar. Niemand wäre auf die absurde Idee gekommen, mich außerhalb der High School öffentlich auf einer Bühne zu sehen. Chester Bennington war ein schüchternes, dürres Kind. Ein typischer Außenseiter. Ich galt als Nerd und Streber. Meine Mitschüler haben mich wie eine Puppe herumgeschubst. Weil ich eben anders aussah. Ich war klein, schmächtig und wog nur knapp 90 Pfund. Mein schlanker Körper bestand ausschließlich aus Haut, Knochen und Sehnen. Ich hatte braunes, seltsam lockiges Haar. Ein lächerlich ungezähmter Wuschelkopf. Natürlich trug ich meine riesige, runde, dicke Brille auf der klobigen Nase. Ohne die ich so gut wie gar nichts sehen kann. Als Sean mich im Francisco Studio zum ersten Mal erblickte, war er lediglich entsetzt. Der Drummer dachte sofort, das könne ja wohl nicht wahr sein. Am liebsten hätte er vor Fassungslosigkeit laut losgelacht. Eine Mischung aus Spott und Verzweiflung brodelte in seinem Bauch. Total entgeistert hat er sich gefragt, wen zum Teufel der kleine Bruder von Chris denn da bloß angeschleppt hat. Ob das überhaupt Scotts Ernst sein könnte, so jemanden wie mich als Sänger vorzuschlagen. Auf den ersten Blick schätzte Dowdell mich als einen schüchternen Verlierer ein. Für ihn und seine ernsthafte Band war ich unzweifelhaft eine Niete, ein ganz und gar unbrauchbares, viel zu junges Kind. Mit seinen zwei Jahren Vorsprung hielt er sich natürlich für sehr erwachsen. Außerdem sah ich viel jünger aus, als ich in Wahrheit war. Für Sean war ich nichts als ein typisch linkischer Nerd, und wie alle anderen hatte er recht damit. Ich war tatsächlich ein Nerd. Das merkwürdig karierte Hemd, das ich an diesem Nachmittag zufällig anhatte, und mein komischer Rucksack aus der High School verstärkten diesen vernichtenden Eindruck auch noch. Eigentlich hätte ich auf der Stelle umdrehen und nach Hause fahren können, ohne einen Ton gesungen zu haben. Nur wusste ich das damals noch nicht. Auf keinen Fall wollte Dowdell mich in seiner Band haben, für ihn war ich absolut ungeeignet. Unter gar keinen Umständen zog er mich als Frontmann und Sänger auch nur eventuell in Betracht. Während ich in dem Studio noch naiv fasziniert und total interessiert die professionelle Musikanlage bewundert habe, hatte Sean mich in Gedanken schon vom ersten Augenblick an rundheraus abgelehnt.

„Er wollte mich zuerst gar nicht...”, erzähle ich Mike keuchend, während ich ihn flehend anstarre. Es brennt lichterloh in meinen eng zusammengezogenen Eiern. Mein praller, steinharter Schwanz steht in Flammen. Die sexuellen Gefühle drohen mich vollends zu verschlingen, überspülen mich pausenlos in stärker werdenden Wellen. Kontinuierlich wird es schwieriger, zusätzlich mit dem Halbjapaner zu kommunizieren. Zeitgleiche Aufgaben überfordern mich. Wenn es um Sex geht, bin ich definitiv nicht multitaskingfähig, verdammt! Ich kapiere nicht, wie der Kerl dabei so konzentriert bleiben kann. So äußerlich gelassen. Wo ihn diese erregende Sache hier doch zweifellos ebenfalls aufgeilt. Das macht mich total fertig. „Sean wollte dich nicht?” fragt er ungläubig. Mein Kopf nickt bestätigend. Schnappe krampfhaft nach Luft. Mein Herz pocht einen rasenden Rhythmus. Erschaudere abermals unter Mikeys wahnsinnig zärtlichen Hand. Meine Nackenhaare stellen sich auf. Die körperliche Anspannung steigt von allein. Meine Beine zittern. Gleich bin ich soweit. Ohne wenn und aber. „Das musst du verstehen... Mike... ich war erst fünfzehn... gerade mal 90 Pfund... komische Haare... ein kariertes Hemd... schlampig abgeschnittene Hosen... dicke Brillengläser... ich sah nicht aus wie ein Rockstar...”, stammele ich zwischen tiefen Atemzügen. Abgehackt daher. Stöhne hemmungslos auf. Das geile Kribbeln wird stärker. Ich will mehr davon. Eine Steigerung des Wohlbefindens. Mein Körper zuckt gierig. Meine Hände liegen auf Mikes nacktem Rücken. Ich fühle seine warme, weiche Haut an meinen Fingern. Reibe mich an seiner körperlichen Nähe. Sauge hungrig seinen vertrauten Duft auf. Streiche hektisch seine perfekte Wirbelsäule entlang. Kralle mich dann nervös an ihm fest. Das beängstigende Gefühl, jeden Moment sämtlichen Halt zu verlieren, überschwemmt mich unvorbereitet. „Mike...”, stöhne ich unweigerlich, „Warte... ich kann nicht...” Ein kleiner Teil von mir hat ein bisschen Angst davor, was gleich passiert. Aber ich kann es unmöglich noch aufhalten. Mittlerweile bin ich völlig unfähig, diese kurz bevorstehende Ejakulation von mir abzuwenden. Der ganze Rest von mir kann sie kaum erwarten. Weiß nicht, wie lange ich das noch hinauszögern kann. Jede Form der Selbstkontrolle entgleitet mir. Mein triebhaftes Ich feiert sich selbst in meinen alarmierten Nervenbahnen. Giert unerbittlich nach noch mehr von diesem angenehmen Gefühl. Restlos entfesselte Sexualität. Stürmische Geilheit. Ich will endlich kommen. Kommen. Kommen.

„Dowdell hatte Vorurteile wegen deines Aussehens? Der spinnt doch! Das ist total dumm. Aber der hat sich gründlich geirrt, nicht wahr? Ich wette, als du angefangen hast zu singen, hat es ihm sofort die Sprache verschlagen, richtig? Mit deiner Stimme konnte der Typ dich doch gar nicht länger ablehnen! Wie war das Vorsingen für dich? Warst du sehr nervös? Welchen Song hast du für ihn gesungen, Chaz?” Die vielen Wörter erreichen mich nur noch nebelhaft. Ihr Sinn verschwindet in der Unendlichkeit. Die Fragen sind zu zahlreich für meinen vom Sex berauschten Verstand geworden. Ihr Inhalt entschieden zu belanglos. Mikes fantastischer Mund ist irgendwo in der Nähe von meinem rechten Ohr. Seine behagliche Stimme fließt wie süßer Honig durch meine Adern. Breitet sich wie eine warme Daunendecke in mir aus. Ihr gewohnter Klang ist sanft. Enorm zärtlich. Sensibel. Liebevoll. Empathisch. Neugierig. So verdammt gierig. Ich will, dass er mich härter anfasst. Muss ihn dringend an meinen Eiern fühlen. Aber ich habe die Jeans noch an. Die mich inzwischen wahnsinnig einengt. Das macht mich zunehmend verrückt. Shinoda kann in unserer innigen Lage nicht richtig an mich herankommen. Meine Hoden bleiben unerreichbar für ihn. Der Stoff meiner Kleidung verhindert den heiß ersehnten Kontakt. Der Platz reicht nicht aus. Alles ist viel zu eng zwischen unseren aufgegeilten Körpern. Das funktioniert so nicht.

Frustriert stoße ich Luft aus. „Warte...”, stöhne ich verzweifelt, „Moment mal... steh mal eben auf, Mike...” „Nein, Chester!” widerspricht er sofort erschrocken, „Du wolltest mir antworten, weißt du noch?” Seine wohltuende Hand an meiner Erektion kommt abrupt zum Stillstand. Halbjapaner hört sich unzufrieden an. Mein verzweifelter Wunsch hat ihn böse alarmiert. Der arme Stachelkopf ist total verwirrt. Studiert mich aufmerksam. Mit großen, runden Mandelaugen. Die mich sorgsam abtasten. Wahnsinnig misstrauischer Mitpatient. Vermutlich befürchtet er, dass ich ihm weglaufen will. Er hat ja so was von keine Ahnung. Als ob ich das jetzt noch wollte. Wo mein aufgewühlter Leib doch so höllisch kurz vor einem sphärischen Orgasmus steht. Weglaufen ist schon seit einer geraumen Weile keine Option mehr. Dafür hat Mike erfolgreich gesorgt. Auch wenn ihm das anscheinend gar nicht bewusst ist. „Ja, ich... antworte dir... das tue ich...”, verspreche ich hastig, ungeduldig, „Ich will nicht abhauen, Mann... ich will doch nur... meine Jeans runterziehen, damit du... bitte, Mike... es genügt, wenn du kurz aufstehst...” In flehender Verzweiflung taxiere ich ihn. Seine Miene ändert sich, als er meinen Wunsch begreift. Schlagartig. Das strahlende, mächtig aufgeregte Lächeln, das in seinem runden Gesicht aufblitzt, ist dermaßen faszinierend, dass ich verstumme und ihn nur noch paralysiert anstarren kann. Während mein wild hämmerndes Herz einen Salto nach dem anderen schlägt. Mein schmaler Brustkorb bewegt sich in krampfhaft ringenden Atemzügen. Auf und ab. Auf und ab. Auf und ab. Meine Muskeln zucken in mega aufgegeilter Anspannung. Mikes atemberaubende Schönheit blendet mich. Seine vollen Lippen laden mich unwiderstehlich zu einem entfesselten Kuss ein.

Aber als ich mich unwillkürlich verlangend zu ihm hin lehne, ist er schon geschickt von der Parkbank geklettert. Schlüpft mir einfach aus den Armen heraus, der Typ. Mit überraschender Schnelligkeit steht der Mitpatient vor der Bank. Mir entgeht nicht, dass er einen Moment lang auf unsicheren Beinen schwankt. Er hat so lange mit arg geknickten Knien auf mir gehockt, dass seine Beine unterdessen garantiert eingeschlafen sind. Unbehaglich greift er nach seiner Erektion. Die wohl zu eng in seiner Jeans feststeckt. Verstohlen schiebt er das unartige Organ in eine bequemere Position. Der unerwartete Anblick, wie er seinen steifen Schwanz zurechtrückt, turnt mich mächtig an. Restlos begeistert stöhne ich auf. Kann nicht anders. Kann mich nicht zurückhalten. Strecke gierig meine Hände nach ihm aus. Berühre hektisch seine behaarte Brust. Das Gefühl seiner weichen Haare an meinen sensiblen Fingerspitzen fährt mir ungebremst zwischen die Beine. Möchte dringend seinen Penis auspacken. Verzehre mich nach seinem perfekten Phallus. Er kommt schon näher und beugt sich zu mir herunter. Zielsicher greift er an beiden Seiten meiner Hüften nach dem Bund meiner Jeans. „Komm schon, Chaz, steh auf, ich helfe dir”, flüstert er verschwörerisch. Fieberhaft. Er ist atemlos.

Ich bin so verwirrt, dass ich ihm blind gehorche. Stemme mich ächzend von der Parkbank hoch. Stehe im nächsten Moment auf wackeligen Beinen vor ihm. Sodass Mike mir in einer bemerkenswert kraftvollen Abwärtsbewegung gleichzeitig Jeans und U-Hose herunterziehen kann. Der Stoff gleitet mühelos über meinen knochigen Hintern. Den ich anschließend zurück auf der harten Bank platziere, ohne dass mein benebelter Verstand sich einschaltet. Der Kerl zieht meine Hosen ungeduldig die langen Beine herunter. Überraschend selbstbewusst zerrt er den Stoff gleich bis hinab zu meinen blauen Chucks. Er hat es eilig. Ist spürbar erwartungsvoll. Als hätte er schon die ganze Zeit darauf gehofft. Mike Shinoda wollte mich gerne ausziehen! Der Kerl zögert nicht mal. Das Erstaunen darüber macht mich total alle. Ich brauche einen Moment, um die unglaublichen Tatsachen zu realisieren. Schüchterner Halbjapaner hat es wahrhaftig getan. Hat mir Jeans und Slip runtergezerrt. Meinen Unterleib völlig hemmungslos entblößt. Jetzt sitze ich mit nacktem Hintern auf der unbequemen Holzbank. Hier im Park. Geschlossene Psychiatrie. Wo jederzeit jemand vorbeikommen kann. Uns problemlos auf der Parkbank finden kann, obwohl sie ziemlich versteckt ist. Irgendein Pfleger vielleicht. Eine ahnungslose Krankenschwester. Ein seriöser Psychologe oder Arzt. Professor Paulsen. Mein Aufpasser Ulli. Ganz plötzlich. Ist doch nur eine Frage der Zeit, bis hier einer auftaucht. Das ist es doch schließlich immer. Früher oder später wird uns jemand aufspüren. Was mich aus irgendeinem Grund tierisch scharf macht. Die unbestrittene Gefahr, in der wir beide aktuell schweben, turnt mich mehr an, als ich vermutet hätte. Die Vorstellung, unversehens beim Sex mit Mike überrascht zu werden, steigert meine Erregung immens. Wer hätte das gedacht?

Hübscher Mann steht im Dämmerlicht vor mir. Sein Atem geht tief und laut. Unruhig tritt er von einem Fuß auf den anderen. Sein Blick liegt fasziniert auf meiner vollständig ausgebildeten Erektion. Die nun direkt vor meinem Bauch frei in der Luft steht. Shinoda fängt an zu beben. Stöhnt hingerissen auf, was ich extrem genieße. Das geile Geräusch lässt mich wohlig erschaudern. Prickelt behaglich in meinen sensiblen Sexualorganen. Bevor ich ihn noch länger vermissen kann, sitzt das Knopfauge schon wieder schwer auf meinen Oberschenkeln. Eilig nimmt er seine vorherige Position wieder ein. Greift überstürzt nach meinem ungeduldig wartenden Glied. Seine geschickten Finger schließen sich gefühlvoll um mein prall gestautes Fleisch. Fahren zärtlich mit dem Wichsen fort. Unglaublich intensiv. Die andere Hand schiebt er neugierig zwischen meine Beine. Die ich sofort so weit es geht für ihn öffne. Es berauscht mich, dass Mike längst begriffen hat, was ich von ihm will. Ich muss dem Kerl nichts erklären. Der Magier versteht mich wortlos. Drückt sanft auf meinen geil pochenden Eiern herum. Knetet meinen Sack zartfühlend in seiner Handfläche. Der talentierte Mann spielt genauso meisterhaft auf meinem nackten Körper, wie er es auf einem Keyboard vermag. Er ist ein Künstler. Ein Naturtalent. Ein Universalgenie. Oh, Fuck! Fuck! Genau danach habe ich mich ganz erbärmlich gesehnt. Seine warmen, zärtlichen Finger zwischen meinen Schenkeln schießen mich augenblicklich ab. Dieser besondere Mensch kann zaubern. In jederlei Hinsicht. Auch auf sexuelle Art. Explizit auf sexuelle Art. Mikey raubt mir meinen eigenen Willen. Jeder Widerstand ist längst Geschichte. Nur noch eine blasse Erinnerung. Das aufregende Gefühl wird rapide stärker. Erfasst meine inzwischen haltlos flatternde Gestalt. Ich spüre die überwältigende Wollust überall. In jeder Faser meines Seins. Fokussiert in meinen gespannten Hoden. Kurz vor dem Abschuss. Chester Bennington hat keine Chance gegen Mike Shinoda. Nicht die geringste.

„War Dowdell von deiner Stimme beeindruckt? Er war begeistert, nicht wahr, Chester? Was hast du für ihn gesungen? Welchen Song hast du ausgewählt? Was wollte er hören?” wispert der Schwarzhaarige atemlos in mein Ohr. Der Typ ist mir so nah, dass ich ihn mit allen Sinnen erfahren kann. Seine überragende Präsenz ganz und gar genießen kann. Doch sein fantastischer Mund will einfach nicht stillstehen. Der Mann ist so verdammt hartnäckig. So irre neugierig. Unermüdlich strebt er danach, sein Wissen über mich zu erweitern. Meine Hände fahren aufgescheucht über seine nackte Rückseite. Völlig unkoordiniert. Ich finde kein Ziel mehr. „Pearl Jam...”, stoße ich ächzend hervor, „Alive...” „Du hast Pearl Jam für ihn gesungen?” fragt Mike verblüfft, als hätte er etwas völlig anderes erwartet, „Das ist kein unkomplizierter Song. Was hat Sean gesagt? Er fand es geil, oder?” Knopfauge hat ja so recht. Die triumphale Erinnerung schlägt wie eine Bombe in meinen von sexueller Begehrlichkeit restlos besetzten Verstand ein. Irgendwer hatte Sean erzählt, dass ich wie Eddie Vedder singen könnte. Also lag es für mich logischerweise nahe, für mein Vorsingen einen Song von Pearl Jam auszuwählen. Zum Glück erwies sich meine Wahl als goldrichtig. Meine jugendliche Stimme hat dem überraschten Skeptiker sofort gefallen. Das konnte ich ihm deutlich ansehen. Schon mit den ersten Textzeilen wurde Sean von meinem Gesang gefesselt. So wie ausnahmslos Jeder, der an diesem heißen Nachmittag im Francisco Studio in Phoenix, Arizona Zeuge meines ersten professionellen Vorsingens wurde. Bei dem ich selbstredend alles gegeben habe. Ohne Kompromisse. Mehr als alles andere wollte ich in diese Band rein. Das war ein wundervoller Moment in meinem jungen Leben. Als der Drummer meine Version von Alive hörte, wurde ihm blitzartig klar, dass dieses sonderbare, viel zu dünne Kind tatsächlich singen kann.

„Warte...”, stöhne ich ausgeliefert, „.Warte, Mike...” Keine Ahnung, was da aus meinem blöde hechelnden Maul rauskommt. Eigentlich will ich gar nicht, dass er wartet. Worauf denn auch? Ich bin nur tierisch verwirrt. Mittlerweile hat der Kerl mich astronomisch geil gerubbelt. Mein point of no return ist weit überschritten. Mir ist klar, dass ich in spätestens einer Minute abspritzen werde. Alle Anzeichen in meinem Körper deuten unmissverständlich darauf hin. Konzentrieren sich von selbst darauf. Körperliche Mechanismen sind unaufhaltsam in Gang gesetzt worden. Uralte Triebe wurden durch rhythmische Reibung aktiviert. Ein sexueller Sturm wütet in mir. Der heiße Tornado ist unbezwingbar entfesselt. Umarmt mich hemmungslos mit reinem Wohlbefinden. Besiegt meinen wirren Verstand mit Leichtigkeit. Da bleibt nichts mehr von mir übrig. Nur noch mega geiles Gefühl. Sexuelle Spannung, die unerbittlich auf Erfüllung pocht. Keine Kontrolle mehr. Meine bis zum Platzen aufgestaute Wollust äußert sich peinlich ungeniert. Unfähig, noch irgendetwas davon geheim zu halten. Alle meine Muskeln spannen sich an. Ohne Ende zitternd. Der höllisch erregte Leib erstarrt von allein. Mein Herz schlägt ein rasendes Stakkato. Pausenlos angestrengtes Ringen um Sauerstoff. Komische Geräusche kommen aus meiner Kehle. Meine betörte Wahrnehmung konzentriert sich auf mich selbst. Purer Egoismus macht sich breit.

Ich glaube, der Kerl weiß es. Shinoda kann mir meinen nahenden Orgasmus anmerken. Beim aktuellen Grat meiner Erregung ist das aber vermutlich auch nicht mehr besonders schwierig. Seine zärtlichen Berührungen werden langsamer. Wollen die unausweichliche Ejakulation noch ein bisschen hinauszögern. Was mich ehrlich tötet. Reines, von impulsiver Gier getriebenes Verlangen steuert meine instinktiven Handlungen. „Mike...”, stöhne ich warnend, „Warte... Pass auf, Mike...” Woraufhin seine liebevollen Bemühungen an meinem Schwanz und meinen Hoden noch gefühlvoller werden. Anstatt von mir abzurücken, was er definitiv sofort tun sollte, um sich vor meinen Körperflüssigkeiten in Sicherheit zu bringen, kommt der verrückte Mann noch näher an mich heran. Er lehnt sich vertraulich an mich. Irre bedürftig. Das schöne Gesicht ist direkt neben meinem. Mikes weicher Bart schmiegt sich liebevoll an meine Wange. Sein leise seufzendes Luftholen klingt wie betörende Musik in meinen Ohren. Wir atmen unser einträchtiges Verlangen. Ein. Aus. Ein. Aus. Ein. Aus. Unsere nackten Oberkörper stützen sich warm aneinander. Ich nehme seinen kräftigen Herzschlag wahr. Mein eigenes Herz wird wahrscheinlich gleich auseinanderbersten. Das gemeinsame Ringen nach Sauerstoff bewirkt ein mir völlig fremdes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Ich empfinde eine ungeahnte Sicherheit bei diesem Kerl. Eine nie gekannte Geborgenheit umgibt ihn. Mein Schicksal gehört dem Besonderen. Ergebe mich bedingungslos in seine fachkundigen Hände. Mike Shinoda ist wahrhaftig bei mir. Chester Bennington ist in seinem höllisch geilen Höhenflug nicht allein. Spüre überwältigt, wie erregend sein angespannter Körper auf mir zuckt. Die starken Muskeln seiner Oberschenkel ziehen sich an meinen Hüften eng zusammen. Das gibt mir endgültig den Rest.

Meine Hände fallen hilflos von seiner wundervollen Gestalt. Die Finger krampfen sich um die Vorderkante der hölzernen Sitzfläche. Ich muss mich irgendwo festhalten. Will Mike in meiner unbeherrschten Begierde aber nicht wehtun. Darum darf ich ihn jetzt auf keinen Fall anfassen. Meine bis aufs Blut abgekauten Fingernägel würden sich im Moment der höchsten Ekstase vermutlich viel zu grob in seine weiche Haut bohren. Ich kann den Reflex nicht kontrollieren. Also halte ich mich an der Parkbank fest. Der urzeitliche, sexuelle Trieb feiert sich selbst in mir. Keine Möglichkeit ihm auszuweichen. Aber wer will das auch schon?! Genau das habe ich doch beabsichtigt. Habe mich mit all meiner Erbärmlichkeit danach gesehnt. Sex ist einfach zu mächtig. Entschieden zu wundervoll. Schlicht unwiderstehlich. Der instinktive Drang sich fortzupflanzen ist viel zu existenziell. Viel zu stark. Meine gesamte Existenz schreit danach. Ich will mehr. Mehr. Mehr. Meine Kehle gibt knurrende, hungrige Laute von sich. Innerhalb von drei Sekunden steigert sich das astronomisch geile Gefühl zum Overkill. Übermannt mich mit zielstrebiger Leichtigkeit. Ja, das ist es! Das ist es, weswegen die friedfertigsten Menschen zu unzähmbaren Bestien werden können. Das ist es! Was uns alle zeitweilig in triebhafte Tiere verwandelt, blind den angeborenen Instinkten gehorchend. Die magischen Sekunden kurz vor dem sexuellen Höhepunkt. Die man in anderen, besseren Sphären verbringen darf. Der überirdische Höhepunkt selbst. Gott und Himmel und Hölle und Teufel! Alles gleichzeitig. Kräftig umgerührt und elektrische Funken sprühend.

Ergeben schließe ich die Augen. Mein Atem stockt von allein. Öffne staunend den Mund. Die Gesäßmuskeln pressen sich fest zusammen. Meine Beine erstarren. Alles wird drastisch hart an mir. Spannt sich erwartungsvoll an. Macht sich selbstständig. Meine Sexualorgane sind so was von bereit, ihre naturgegebene Aufgabe zu erfüllen. Meine Hoden haben sich tief in meinen Unterleib zurückgezogen. Mein fast schmerzhaft steifer Penis wartet zuckend auf den Abschuss. Im nächsten Augenblick überrollt es mich. In krampfhaften, rhythmisch erfolgenden Intervallen. Durchflutet mich gewaltig, wie ein alles verschlingender Tsunami. Das Gefühl meiner sexuellen Entladung ist dermaßen geil, so allumfassend, dass ich unkontrolliert laut aufstöhne. Fühle nichts anderes mehr. Kriege nichts anderes mehr mit. Transzendente Geilheit macht mich himmlisch frei von allen Dämonen. Wie auch immer geartete Frustration, ansonsten mein ständig treuer Begleiter, existiert plötzlich nicht mehr. Ein paar Sekunden lang befinde ich mich jenseits von allem irdischem Elend. Mein Körper zuckt synchron zu dem druckvoll spritzenden Sperma aus meinem Schwanz. Das warme Zeug klatscht ein paarmal gegen meinen Bauch. Hoch bis auf meine Rippen. Läuft dann zähflüssig an mir hinab. Ich habe es ja kommen sehen.

Doch die Hure Sex ist hinterhältig. Sie lockt dich mit falschen Versprechungen. Wickelt dich ein mit verhängnisvollen Lügen. Packt dich bei deinen wehrlosen Urinstinkten. Entfesselt lediglich deinen innersten, brutal temporären Trieb. Nach vollendeter Ejakulation verflüchtigt sich meine sexuelle Erregung in unaufhaltsamer Geschwindigkeit. Das fantastische Gefühl der losgelösten Freiheit nimmt sie gnadenlos mit. Es drängt mich, die irre erleichternde Wollust auf irgendeinem Wege festzuhalten. Den körperlichen Genuss unendlich auszudehnen. Ich würde wahrhaftig alles tun, um das berauschende, rundum atemberaubende Gefühl noch ein bisschen länger genießen zu dürfen. Aber das ist unmöglich. Es funktioniert einfach nicht. Wie gewöhnlich habe ich keine Chance. Genau wie bei allen Drogen, ist auch die Wirkung von Sex frustrierend vergänglich. Die grausame Realität knallt wie ein pechschwarzer Blitz aus quälendem Schmerz in meinen vom heftigen Orgasmus beduselten Verstand.

„Oh, Fuck”, keuche ich atemlos, extrem erschöpft vom vollendeten sexuellen Höhepunkt, „Scheiße, Mike!” Halbjapaner regt sich auf meinen entkräftet zitternden Oberschenkeln. Verändert seine Sitzposition ein wenig, als er vorsichtig meinen langsam schrumpfenden Penis loslässt. Die andere Hand zieht er behutsam zwischen meinen Beinen hervor. Wischt sich die klebrigen Hände gemächlich an seiner Jeans ab. Der vernichtende Fakt, dass er mich loslässt, tut mir beinahe körperlich weh. Ich will nicht, dass er das macht. Will ihn viel länger spüren. Will ewig von diesem Mann gestreichelt werden. Aber ich weiß nur zu gut, dass das nicht passieren wird. Weil ich nämlich in der Realität bekanntlich alleine bin. Was zur Hölle versuche ich mir hier eigentlich vorzumachen? Ich weiß doch genau, wie das läuft. Verdammt, es gibt Regeln in meinem irdischen Dasein! Eine davon ist, dass sich niemand um Chester schert. Ignoriert zu werden ist meine Bestimmung. Verlassen zu werden mein Schicksal. Die grausame Wahrheit ist, dass ich nicht mal mehr eine scheiß Band habe. Graue Desillusionierung schlägt wie ein Donnerschlag in meine wehrlose Seele ein. Das Wichsen hat mich offensichtlich noch viel labiler gemacht. Der erlebte Orgasmus spuckt mich sensibler wieder aus. Meine Kehle zieht sich ungewollt zusammen. Bittere Enttäuschung liegt auf meiner Zunge.

Ich muss mich dringend zusammenreißen. Mike Shinoda sitzt auf meinem Schoß. Will nicht, dass der Süße meinen emotionalen Absturz bemerkt. Er hat sich so viel Mühe gegeben, mich aus meinem morastigen Tief herauszuholen. Halbjapaner hat es nicht verdient, dass ich haltlos in die Dunkelheit zurückfalle. Aber ich bin derzeit zu schwach, um es zu verhindern. Meine Gier nach Sex hat mich noch verletzlicher gemacht. Das ist der Preis, den Chester zahlen muss. Der Besondere sieht mich gerührt an. Mit großen, runden, glänzend braunen Mandelaugen. Einem derart verliebten Lächeln auf den wunderschönen Lippen, dass mir vor Unbehagen schlecht wird. Der Kerl hat keine Ahnung, was für ein kaputter Loser ich bin. Vollkommen verkorkst. Ich bin es nicht wert, dass man sich um mich kümmert. Kapiere einfach nicht, warum der Patient das pausenlos tun will. Sich um mich kümmern. Für mich da sein. Das ist absolut sinnlos. Da kann niemals irgendwas bei rauskommen.

„Das war schön”, flüstert Mikey verlegen, „Nicht wahr, Chester?” „Ja”, nicke ich hastig, „Das war fantastisch.” Was definitiv nicht gelogen ist. Durch ihn war es ein kleines Stück vom Paradies. Aber jetzt ist es nur noch Scheiße. Nichts als trüber, frustrierender Brei in meiner bescheuerten Birne. Fühle mich hilflos. Bin wahnsinnig entkräftet und ausgelaugt. Meine körperliche Entspannung löst sich in Depressionen auf. Alles an mir fällt wie ein Kartenhaus zusammen. Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll. Habe vergessen, worüber wir gerade gesprochen haben. Doch Mike erinnert mich sofort daran. „Hat Sean Dowdell dein Vorsingen gefallen?” fragt er umwerfend liebenswürdig. Noch immer wahnsinnig neugierig auf meine Antworten. Verwirrt starre ich ihn an. Während mein trommelnder Herzschlag sich nur widerwillig beruhigt. Meine Finger sind unverändert um die vordere Kante der Bank gekrallt. Kann mich nicht überwinden, sie da wegzunehmen. Klammere sie nur noch fester an die harten Holzstreben. Muss mich dringend irgendwo festhalten. Ich kann nicht verstehen, warum Mikey sich stur nicht an die gewohnten Regeln hält. Warum er sich stattdessen einfach eigene Gesetze schafft. Völlig neuartige Spielregeln aufstellt. Mit denen ich nicht gut umgehen kann. Ich bin es nicht gewohnt, dass sich jemand für mich interessiert.

„Ach... Shit... ich habe dich vollgewichst... Tut mir leid...”, stelle ich konfus fest. Obwohl es in unserer Position unvermeidlich war, dass sein an mich gelehnter Körper von meiner gewaltigen Ejakulation was abkriegt, verstört mich das weiße Zeug auf seiner Brust. Mike stößt ein amüsiertes Lachen aus. Das sich unerwartet tröstlich auf meine erschöpften Eingeweide legt. Er hebt die Hand und streicht genießerisch durch das Sperma, das sich in seinem dichten Brusthaar verfangen hat. Die zähflüssige Sauerei scheint ihm überhaupt nichts auszumachen. Im Gegenteil. Er scheint sie auf sinnliche Art zu mögen. Was mich total plättet. „Ja, das hast du”, gibt er lächelnd zu, „Und ich finde es wunderbar. Dich zu spüren, war höllisch geil, Chaz. Ich hab's total genossen.” Sein bezauberndes Lächeln spiegelt seine riesige Zuneigung zu mir. Ich fasse das nicht. Der verrückte Kerl liebt sogar meine verdammte Wichse! Ich kapiere nicht, was hier passiert. Wahrscheinlich bin ich einfach zu blöd dafür. Fuck, meine Kehle schnürt sich noch enger zu! Heiße Tränen steigen mir eigenmächtig in die Augen. Weil ich Mikes unerwartete Liebenswürdigkeit nicht verarbeiten kann. Weil ich mittlerweile so verflucht erledigt bin. Der pausenlose Kampf hat mich brutal ausgelaugt. Das heftige Abspritzen hat mich endgültig besiegt. Ich habe keine Kraft mehr. Der fremde Mann hat mir alles weggenommen.

Shinoda ist entschieden zu aufmerksam, um meine unangebrachte Traurigkeit nicht zu bemerken. Ich bin nicht in der Lage, meine stürmischen Gefühle vor ihm zu verbergen. Meine Emotionen sind stärker als ich. Das sind sie immer. Behutsam hebt Knopfauge die Hand. Streichelt liebevoll den klebrigen Samen von meiner Brust. Die zärtliche Berührung raubt mir den letzten Rest Selbstbeherrschung. Hart schluchze ich auf. „Wie hat Dowdell auf dein Vorsingen reagiert, Chester?” will Mike vorsichtig wissen. Ohne mich aus den Augen zu lassen. Seine gebündelte Konzentration liegt ausschließlich auf meinem Gesicht. Er merkt es. Natürlich merkt er es. Halber Japaner ist viel zu klug, um meine inneren Kämpfe nicht zu bemerken. Dem verfluchten Kerl entgeht rein gar nichts. „Er fand's klasse”, krächze ich wahrheitsgemäß, ferngesteuert, als würde ich unter Shinodas Bann stehen, was ich mutmaßlich auch tue, „Sean mochte meine Stimme. Als er sie hörte, wollte er mich sofort als Sänger für seine Band haben.” „Ich hab's gewusst!” triumphiert der Schwarzhaarige und ignoriert die dicken Tränen, die selbstständig aus meinen brennenden Augen tropfen, ohne dass ich sie aufhalten kann. „Mann, Chaz, der Typ konnte dich doch gar nicht ablehnen!” behauptet der restlos begeisterte Mitpatient, „Deine Stimme ist viel zu besonders, um sie nicht fantastisch zu finden. Was hast du ihm geantwortet?” „Dass ich zuerst meinen Dad fragen muss”, berichte ich ihm erbärmlich schluchzend von dem bisher bedeutendsten Moment in meinem armseligen Leben. Mühsam reiße ich meine verkrampften Finger von der Bank los. Wische mir in einer beschämten, hektischen Bewegung die Tränen aus den Augen. Was überhaupt keinen Sinn macht. Weil pausenlos neue kommen. Die seit etlichen Stunden angestaute Traurigkeit stürzt plötzlich so nass und zahlreich aus meinen Augen, als hätte ich unabsichtlich eine Schleuse geöffnet. Fuck, das mega geile Abspritzen hat mich total geschafft! Das ist zu viel gewesen. Der heftige Orgasmus hat meine Mauern hinterrücks zum Einstürzen gebracht. Ich bin völlig wehrlos. Es ist mir extrem peinlich, vor dem aufmerksamen Halbjapaner zu heulen. Zumal die Tränen absolut paradox erscheinen. Komplett fehlgeleitet. Die sind jetzt echt nicht angebracht. Schließlich erzähle ich ihm gerade von dem bislang schönsten Ereignis in meinem bedauernswerten Dasein. Es war der fundamentale Augenblick, als ich nach den schrecklichen Jahren der haltlosen Einsamkeit endlich eine eigene Familie bekam.

„Tut mir leid...”, jammere ich atemlos, wische wie bekloppt an meinen feuchten Augen herum, „Mike... entschuldige, ey... ich kann nicht...” „Ist schon gut”, erwidert er sanft. „Es ist okay, Chaz. Du darfst ruhig weinen”, erlaubt er großzügig. „Lass alles raus, hörst du? Es hilft, wenn du alles rauslässt. Das Weinen wird dir gut tun”, behauptet er verständnisvoll. Als wäre er mein Psychologe. „Du bist so ein Spinner, Shinoda!” protestiere ich fassungslos. Versuche ein spöttisches Grinsen. Das wegen dem Heulen gründlich misslingt. Während die Traurigkeit unbeirrt über meine Wangen läuft. Zahlreich von meinem Kinn heruntertropft. Ich fortwährend schluchzend nach Luft schnappen muss. Meine Nase anfängt zu schnoddern. Was total entwürdigend ist. Ich sollte mich schnellstens wieder einkriegen. Aber ich schaffe es nicht. Ich krieg das einfach nicht geregelt. Mike lächelt gutmütig. Nickt aufmunternd. Seine Finger streicheln liebevoll über mein Gesicht. Ganz zart über meine salzig feuchte Haut. Fahren mir tröstend über den dummen Kopf. „Und? Hast du deinen Vater gefragt, Chester Bennington?” reißt seine beachtliche Neugierde zum Verrecken nicht ab. Irritiert schaue ich ihn an. Durch die Tränen und ohne meine Brille verschwimmt seine Schönheit vor meinen Augen. Meine Gedanken haben ihr eigenes Ziel.

„Fährst du mich nach Hause, damit wir meinen Dad fragen können?” hatte ich Sean zurückhaltend gebeten. Weil ich unbedingt wollte, das mir jemand beim Überreden meines Vaters hilft. Von dem ich nicht wusste, wie er auf meinen Wunsch reagieren würde. Schließlich wollten wir diese Bandsache richtig ernsthaft angehen. Das sollte nicht nur ein unbedeutendes Hobby bleiben, und ich brannte darauf, ein wichtiger Teil davon zu sein. Mir war klar, dass meine neue Band zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde, um meine Ambitionen auf Dauer vor meinem Dad geheim halten zu können. Aus diesem Grund musste ich meinen Vater um Erlaubnis fragen, und ich brauchte tatkräftige Unterstützung dabei. Dowdell, der älter ist als ich, schien mir ein sehr geeigneter Kandidat dafür zu sein. Der vernünftig und reif wirkende Schlagzeuger versprach Aussicht auf Erfolg. Zu meiner Freude stimmte er zu, mir zu helfen. Zweifellos wollte er mich dringend als Sänger für seine Band gewinnen. Was mir ganz schön doll schmeichelte. Als wir bei mir zu Hause ankamen, trug mein Daddy seine dienstliche Uniform. Der engagierte Polizist war gerade auf dem Sprung zur Arbeit. Wie gewöhnlich, hatte er eigentlich keine Zeit für mich. Doch dann geschah das Wunder. Diesmal nahm Pops sich Zeit. Wider Erwarten hörte er mir aufmerksam zu. Vielleicht erkannte er die Wichtigkeit meines Anliegens. Das war ein alles entscheidender Moment in meiner musikalischen Laufbahn. Der mich bis heute erstaunt.

Unwillkürlich sehe ich mich auf dem Sofa sitzen. Zusammen mit Sean und meinem Dad. Gemeinsam in unserem Wohnzimmer. Unser kleines, weißes Haus. In Golden Sunburst Estates. Glendale. Phoenix. Arizona. „Das ist Sean Dowdell”, hatte ich extrem aufgeregt zu meinem Vater gesagt, „Er findet, dass ich gut singen kann. Er will mich in seiner Garagenband als Sänger haben.” Zuerst war Lee Russell sehr skeptisch. Nachvollziehbare Gründe machten ihm Sorgen. Selbstverständlich wollte er nicht, dass sein fünfzehnjähriger Sohn womöglich nächtelang in irgendeinem Club rumhängt, um dort ein Konzert zu spielen. Daddy hatte Angst, dass ich Drogen nehmen und über die Musik das Lernen vernachlässigen würde. Genau diese Einwände hatte ich befürchtet. Er muss gespürt haben, wie ernst mir die Sache mit der Band von Anfang an war. Vorsichtshalber bestand er darauf, dass die High School immer Vorrang haben musste. Als verantwortungsvoller Vater hat er mich nicht leichtfertig auf diese ungewisse Reise geschickt. „Wenn in einer Band zu sein wirklich das ist, was du tun willst, Chester, dann werde ich dir nicht im Wege stehen”, hatte Pops mir erklärt, „Aber du musst weiter zur Schule gehen, dein Bestes geben und deine Ausbildung beenden.” Hibbeliger Teenager Chester hat seinem Daddy natürlich alles versprochen, was der hören wollte. An diesem späten Nachmittag hätte ich ihm auch das Blaue vom Himmel herunter versprochen.

Zum Schluss hat Lee Russell mir erlaubt, dass wir zweimal die Woche in Seans Garage geprobt haben. Dafür werde ich ihm für immer und ewig dankbar sein. Dads unerwartetes Vertrauen in mich war ein positiver Wendepunkt in meinem Leben. Vor da an wurde alles viel besser für mich. Endlich hatte ich echte Freunde. Die wundervolle Musik. Ein gemeinsames Ziel. Aus zweimal die Woche proben wurde schnell vier- und dann sechsmal die Woche. Jede Menge Zeit im Tonstudio. Geile Konzerte in verschiedenen Clubs. Grey Daze. Ein Hauch von sich anbahnendem Erfolg. In Wahrheit habe ich es nur meinem Vater zu verdanken, dass wir mit Ausdauer, Fleiß und Mühe ein eigenes Album einspielen konnten. Lee hat an mich geglaubt. Er hat sich wahrhaftig Zeit für mich genommen. Die Jungs und ich haben gemeinsam ein ganzes Album erschaffen. Etliche Monate haben wir mit Feuereifer hart daran gearbeitet. Unser Debüt trägt den Namen Wake Me. Zwölf Songs sind drauf. Das Cover schmückt ein Bild von Samantha. Als erstes werde ich meinem Dad ein Exemplar von Wake Me schenken. Lee Russell hat endlich einen Grund, um richtig stolz auf mich zu sein. Der Gedanke daran ist wahnsinnig aufregend. Ich kann das kaum erwarten.

Die triumphal-euphorische Erinnerung schlägt ohne Vorwarnung ins Gegenteil um. Als mir plötzlich quälend einfällt, dass Sean mich gestern Abend aus meiner Band geworfen hat. Mein bester Freund hat mich eiskalt durch die Sängerin Jodi ersetzt. Weil ich hier in der beschissenen Psychiatrie festsitze. Gewaltsam hinter den unüberwindbaren Mauern festgehalten werde. Zwangsweise weggesperrt wurde. Weil ich auf nicht absehbare Zeit nicht mehr mit Grey Daze auftreten kann. Das nächste Mal werden Sean, Mace und Bobby ohne mich im Electric Ballroom spielen. Wo sie vielleicht endlich ein festes Arrangement bekommen. Oder sie spielen im Marquee Theatre. Oder im Gibson's. Im AZ. Und im Mason Jar. Bald werden sie jeden renommierten Club der Stadt erobern. Jodi wird meine Songs für sie singen. Zweifellos werden sie fantastisch sein. Ich bin schon immer eine Sängerin gewesen. Der jähe Schmerz ist so gewaltig, dass grelle, scharf stechende Blitze vor meinen nassen Augen tanzen. Jemand schlägt mitleidlos auf meinen Schädel ein. Reißt mir gnadenlos das verängstigt pochende Herz aus der Brust. Ich habe keine Ahnung, wie ich meinen letzten Rauswurf überstehen soll. Der Verlust meiner Band scheint vernichtend endgültig. Der grausame Fakt, Grey Daze und damit meinen Lebensmittelpunkt verloren zu haben, zersplittert meine labile Seele in abertausend kleinste Teilchen. Niemand kann mich je wieder vollständig zusammenfügen. Das ist echt zu heftig. Chester kann das gar nicht überleben. Vollkommen ausgeschlossen.

„Ja, wir haben meinen Dad gefragt”, erzähle ich Mike hektisch, „Lee hat's mir erlaubt. Seine Bedingung war, dass ich weiter zur Schule gehe. Das war kein Problem für mich. Wir haben angefangen, regelmäßig zu proben. Schon mit den ersten paar fertigen Songs sind wir aufgetreten. Wir haben viele Konzerte gespielt. Zwischenzeitlich sind wir mit unserem Material ins Studio gegangen.” Es fällt mir wahnsinnig schwer, die kratzigen Wörter aus meiner viel zu engen Kehle zu quetschen. Obwohl ich eisern dagegen ankämpfe, bin ich bei Weitem nicht stark genug, um meine schlagartig explodierte Frustration zu besiegen. Alles gerät außer Kontrolle. Der Schmerz wird jählings zu gigantisch. Die Qual endlos. Irgendwas in mir klinkt plötzlich aus. Ich kann mich einfach nicht zusammenreißen. Verdammter Verlierer, der ich bin. „Aber das kannst du gleich wieder vergessen! Das spielt jetzt alles sowieso keine Rolle mehr!” schnauze ich Mike dermaßen wütend an, als wäre das ganze Elend allein seine Schuld. Mein Atem geht angespannt. Keuchend zwischen lächerlichen Schluchzern. Zornig fixiere ich den Schwarzhaarigen. Der unbeweglich auf meinen Beinen sitzt. Sein rundes Gesicht ist direkt vor mir. Mein offenbar zu lange angesammelter, geballter Frust fokussiert und entlädt sich automatisch auf ihn. Vermutlich, weil gerade niemand anderes da ist. Irgendwie stimmt es ja auch. Der Besondere ist schuld daran, dass ich mich so hässlich erschöpft und besiegt fühle. Halbjapaner hat irgendwie dafür gesorgt, dass ich wie ein Mädchen weine. Ich bin wahrhaftig in Tränen ausgebrochen, und kann meine eigene Erbärmlichkeit nicht fassen. Sex und Wahrheit vertragen sich nun mal nicht. Mit seinem gefährlichen Spiel hat Mike mich schwach und angreifbar gemacht. Gestresst reibe ich mir mit den zitternden Fingern über die nassen Augen. Versuche verbissen, das peinliche Heulen endlich in den Griff zu bekommen.

Als ich ihn unvermittelt anschnauze, zuckt Shinoda erschrocken zusammen. Alarmiert starrt er mich an. Zu meiner Überraschung braucht er jedoch nur einen Moment, in dem er zweimal tief durchatmet. Beneidenswert schnell hat der Typ sich wieder vollkommen in der Gewalt. Ich kann ihn nicht einschüchtern, wird mir klar. Bin frustriert darüber. Aber auch irre beeindruckt. Nicht mal meine zornigste Stimme verunsichert ihn. Nicht umsonst ist Mike der Besondere. An den niemand sonst heranreicht. „Warum sagst du das, Chester? Warum spielt es keine Rolle mehr? Was in Himmels Namen ist denn nur passiert?” will der unfassbar Geduldige sanft wissen, „Bitte, sag's mir, Chaz! Deine Geheimnisse sind bei mir sicher! Du kannst sie mir ruhig anvertrauen, verstehst du?!” Seine schönen, braunen Augen sprechen mir in der Dunkelheit leise Mut zu. Vor Aufregung hält er die Luft an. Fängt auf meinen Schenkeln gespannt an zu beben. Mikey brennt höllisch auf eine Erklärung. Weil er ahnt, dass er seinem Ziel unverhofft beachtlich nahe gekommen ist. Er spürt, dass meine nächste Antwort der rätselhafte Grund für meine derzeitige Depression ist. Die mein Mitpatient mir ja schon seit heute Morgen beim Frühstück zielsicher und unerschütterlich anmerkt. Mister Mike Shinoda ist ein enorm intelligenter Psychiatriepatient. Der junge Mann ist außergewöhnlich empathisch. Er hat die überaus seltene Fähigkeit, hinter die Fassade zu blicken. Man kann ihm zum Verrecken nichts vormachen. Mittlerweile versuche ich es gar nicht mehr. Habe meinen Widerstand schon lange aufgegeben. Ein halber Japaner hat mich mit seiner bemerkenswerten Cleverness besiegt. Plötzlich ist da nichts mehr, woran ich mich festhalten könnte. Was übrig bleibt, ist nur die nackte Realität.

„Sean Dowdell hat mich radikal aus meiner Band rausgeworfen!” brülle ich wie am Spieß. Mitten in Mikes besorgtes Gesicht. Mein jähes Handeln ist tausendprozentig impulsiv. Ohne jede Ankündigung. Mein Verstand hatte nichts damit zu tun. Bevor ich die schreckliche Wahrheit aufhalten kann, ist sie mir auch schon entwischt. Wie einen tödlichen Stachel, reiße ich sie brutal aus meiner Seele heraus. Das kostet mich Jahre meines Lebens. Verdammt! Schluchze hart auf. Fühle mich absolut idiotisch. Laut ausgesprochen wirkt die Ursache meines Elends auf einmal niederschmetternd lächerlich. Das verstört mich total. Mike studiert mich mit all seiner konzentrierten Aufmerksamkeit. Nicht die kleinste meiner Regungen kommt an ihm vorbei. Verlegen wende ich den Blick ab. Nervös bewege ich mich unter ihm auf der Bank. Mein nackter Hintern tut weh. Bestimmt bohren sich winzige Splitter in meine ungeschützte Haut. Das unbequeme Holz ist viel zu hart. Wie lange will der penetrante Kerl eigentlich noch auf meinen Schenkeln sitzenbleiben? Der Typ ist so höllisch schwer. Ich kriege keine Luft mehr.

Mike braucht auch diesmal nur ein paar Sekunden, um sich von meinem peinlich unbeherrscht emotionalen Ausbruch zu erholen. Vorsichtig streicht er mir mit den Fingern über den blöden Schädel. Böse fauchend weiche ich ihm aus, weil ich gerade ziemlich angepisst bin, und er zieht seine Hand traurig seufzend zurück. „Chester, hör bitte mal! Ich verstehe, wie sehr dich das mitnimmt. Das ist ja auch total scheiße. Aber woher weißt du denn eigentlich, dass Sean dich aus der Band geworfen hat? Wann hast du überhaupt mit deinem Bandkollegen sprechen können? Wann konnte er dich ein Mädchen nennen?” hakt Mandelauge nach. Er ist unvermindert mitfühlend. Seine schöne Stimme klingt verwirrend zärtlich. Der schlaue Patient wundert sich. Er versteht nicht, woher ich diese vernichtenden Informationen habe. Die Neuigkeiten, die mir schon den ganzen Tag lang die Hölle heiß machen. Wie ein bösartiger Dämon hängen sie in meiner Seele fest. Mikey ist eben außergewöhnlich klug. So etwas fällt ihm auf. Ungereimtheiten machen ihn hellhörig. Er kann sich denken, dass die Katastrophe gestern Abend passiert sein muss. Irgendwann nach unserem einträchtigen, super geilen Abrocken. Gemeinsam haben Mike und ich den Xero-Song With You gesungen und gerappt. Zusammen waren wir richtig gut. Haben Vollgas gegeben. Im ständig sorgfältig abgeschlossenen Musikzimmer. Psychiatrie. Zu gefährlich, sich ohne Aufsicht dort in dem Raum aufzuhalten. Man könnte sich an einer Gitarrensaite aus Stahl erhängen. Oder erfolgreich erdrosseln. Es wäre möglich, sich damit die Haut aufzureißen. Vielleicht würde man es mit riesigem Kraftaufwand sogar schaffen, sich mit der Stahlsaite die eigenen Gliedmaßen abzutrennen. Die Chance, an so einer Verletzung zu verbluten, wäre dann zweifellos sehr groß. Meine depressiven Gedanken krallen sich wahrhaftig an merkwürdigen Selbstmordtheorien fest. Ich fürchte, ich verliere meinen Verstand.

„Gestern Abend etwa? Hast du gestern Abend mit Sean Dowdell gesprochen? Wie kann das denn sein, Chaz? Du bist doch hier total isoliert. Du darfst doch vorerst mit niemandem von außerhalb reden, oder?” forscht Mike engagiert weiter, dem mein bockiges Schweigen zu lange gedauert hat. „Ja, es war gestern Abend”, gebe ich knurrend zu, schnappe aufgewühlt nach Luft, „Ich habe mit Dowdell telefoniert.” „Verbotenerweise”, setze ich hastig hinzu, als der Schwarzhaarige zweifelnd die Augen aufreißt. „Wie hast du das denn geschafft? Woher hattest du das Telefon?” entfährt es dem Patienten baff. Da klingt eine gehörige Portion Anerkennung in seiner Stimme mit, die mich irgendwie stolz macht. Allerdings bin ich momentan dermaßen verwirrt, dass ich kaum noch was richtig gebacken kriege. Kämpfe noch immer einen aussichtslosen Kampf mit meinen Tränen, indem ich sie pausenlos krampfhaft herunterschlucke. Doch die kleinen Biester sind hartnäckig. Tauchen immer wieder neu in meinen mittlerweile heiß brennenden Augen auf. Vom vielen Schluchzen tut unterdessen mein Hals weh. Meine Nase läuft unaufhörlich. In den letzten Tagen hatte sich da einfach zu viel angestaut in mir. Der befreite Wasserfall lässt sich nicht mehr stoppen. Womöglich höre ich nie wieder auf zu heulen.

Auf eine verquere Art muss ich widerstrebend zugeben, dass ich dadurch langsam eine vage Erleichterung verspüre. Als würden die Dämonen sich mit den haltlosen Tränen selbst aus meiner Seele spülen. Die quälende Last wird erträglicher dadurch. Auch wenn ich mir das unerwartete Phänomen absolut nicht erklären kann, so komme ich trotzdem nicht daran vorbei, es zu empfinden. Die Besserung geht allerdings einher mit einer Schwäche, die ich nicht akzeptieren kann. Wenn die vertraute Wut und gewohnte Anspannung von mir abfällt, dann bleibt nichts mehr übrig. Habe das untrügliche Gefühl, je länger dieses merkwürdige Gespräch dauert, umso mehr geht es mir an den Kragen. Mit jedem weiteren wahren Wort verliere ich kontinuierlich an Kraft. Als würde Mike mir mit seinen gefährlichen Fragen hinterhältig sämtliche Energie aussaugen. Mein Orgasmus war teuflisch anstrengend. Ich verliere meine innere Stärke. Bin so schrecklich müde. Total erschöpft. Restlos ausgelaugt. Die jämmerliche Kapitulation rückt unaufhaltsam näher. Ich kann mit diesem bedrohlichen Gefühl nicht umgehen. Plötzlich macht es mir eine Heidenangst.

„Geh runter!” fordere ich Shinoda schroff auf, „Mir ist kalt! Ich will mich anziehen!” „Nein, bitte erkläre mir das zuerst! Wie hast du es denn bloß geschafft, in der geschlossenen Psychiatrie unbemerkt ein Telefon zu benutzen?” will Shinoda neugierig wissen, „Das ist doch absolut unmöglich, Chester!” Der Typ hört sich wirklich beeindruckt an. Gestresst und entnervt versuche ich, ihn gewaltsam von meinem Schoß herunterzuschieben. Aber der kräftige Mitpatient wehrt sich überraschend willensstark. Hastig schlingt er seine Arme um mich. Hält sich beharrlich an mir fest. „Nein...”, kichert er, wahrhaftig amüsiert, „Ich geh jetzt nicht runter, du. Zuerst will ich das verstehen, Chester!” Ich bin völlig fassungslos darüber, dass der attraktive Halbjapaner lacht. Es paralysiert mich innerhalb von Sekunden, wie wunderschön seine Fröhlichkeit ihn sofort macht. Wie sein Lachen sein halbasiatisches Gesicht blitzartig erstrahlen lässt. Noch weniger kapiere ich, dass ich bizarrer Weise ebenfalls anfange zu kichern. Irgendwie automatisch. Komplett unfähig, es zu verhindern. Meine armen Nerven sind total überreizt. Das muss wohl der Grund für mein Gelächter sein. Schließlich bade ich doch schon den ganzen Tag lang ausführlich in meinen hinlänglich vertrauten Depressionen. Zum Lachen habe ich nun wirklich keinerlei Grund. Unglaublich, dass der Magische mich mit seiner Heiterkeit infiziert.

Meine Hände liegen an seinen Schultern, um ihn grob von mir wegzudrücken. Was zu meinem Verdruss allerdings nicht funktioniert. Der verdammte Kerl ist viel zu stark für mich. Ein widerborstiger Betonklotz auf meinem Schoß. Er hat mich in ein besiegtes, erbärmliches Weichei verwandelt. Ein blöde kichernder Loser. Frustriert gebe ich es auf, den schweren Körper von mir herunterschieben zu wollen. Nun bleiben mir endgültig keine Ausflüchte mehr. Zischelnd zwischen Weinen und Lachen, hole ich tief Luft. „Gestern Abend nach der Musiktherapie...  du wurdest zu deinen Eltern ans Telefon gerufen...”, erinnere ich Shinoda mit provozierender, viel zu lauter, herrischer Stimme. Obgleich ich keine Ahnung habe, warum. Eigentlich will ich gar nicht aggressiv zu ihm sein. Ich weiß ja nicht mal, ob ich überhaupt noch wütend auf ihn bin. Oder wütend bin. Oder traurig bin. Oder verrückt.

Er nickt zustimmend. Macht eine auffordernde Handbewegung, damit ich weiterspreche. „Ich habe Ulli gefragt, ob ich auch telefonieren darf. Er hat mir erlaubt, meinen Dad anzurufen. Wegen dem Paket, das Pops mir schicken soll. Mit meinen Klamotten drin”, berichte ich aufgewühlt vom Anfang der gestrigen Tragödie. „Aber du hast stattdessen Sean Dowdell angerufen”, vollendet Mikey mein Geständnis, dem sichtbar ein Licht aufgeht. „Ich musste wissen, wie es mit Grey Daze weitergeht!” erwidere ich trotzig. Als müsste ich mein Fehlverhalten vor ihm entschuldigen. „Natürlich musstest du das!” gibt Shinoda mir verständnisvoll recht, „Aber Chester, hör mal! Selbst wenn Sean dich total dämlich und unüberlegt aus der Band rausgeworfen hat, so bedeutet das im Endeffekt gar nichts! Der Typ wird dich auf Knien wieder aufnehmen, sobald du nach Hause kommst! Ist doch klar, dass er dich sofort zurückhaben will! Er wäre ein Idiot, freiwillig auf dich zu verzichten! Ohne deine einmalige Stimme und deine Power ist Grey Daze doch höchstens noch Mittelmaß! Was meinst du, warum er dich damals nach dem Vorsingen unbedingt haben wollte?! Sean ist kein Idiot, denn er hat das Besondere in dir gesehen, Chaz! Deine Stimme hat etwas, das definitiv kein anderer hat! Du wirst sehen, dass sie ohne dich sowieso keinen Erfolg mehr haben! Das werden die ganz schnell auch kapieren, glaub mir! Sie werden es bereuen, dich voreilig rausgeworfen zu haben und es nicht erwarten können, dass du wieder als Sänger bei ihnen einsteigst. Daran besteht doch gar kein Zweifel! Bitte sei deswegen nicht mehr traurig, Chazy! Das wird sich alles wieder zum Guten ändern, vertrau mir, okay?”

18. Breaking a part of my heart to find release


Michael Kenji Shinoda

Chester Bennington weint. Dicke, runde Tränen stürzen aus seinen braunen Augen. Scheinbar endlos. Wie ein gigantischer Ozean. Die Tränen benetzen glitzernd seine schwarzen Wimpern. Funkelnde, winzige Sterne haften daran. Mit dem nächsten Wimpernschlag lösen sie sich auf. Bilden sich sofort neu. Die Tropfen sammeln sich zahlreich in seinen Augenwinkeln. Laufen in schmalen, nassen Bahnen an seinen Wangen hinunter. Hinterlassen glänzende Spuren auf seiner hellen Haut. Perlen emsig von seinem Kinn. Tropfen stetig hinab auf seine nackte Brust. Rollen über seinen Bauch. Verschwinden irgendwo in seinem krausen Schamhaar. Vermischen sich ungeniert mit seinem weißen Samen. Der unverändert auf seinem tollen Körper klebt. Durchsichtiger Schnodder läuft in zwei feuchten Linien aus seiner großen Nase. Über seine schmalen Lippen. Der Rotz tropft wie die Tränen von seinem niedlichen Kinn. Seine Finger wischen hektisch über seine Augen, die Nase und in seinem Gesicht herum. Aber obwohl er es pausenlos versucht, kann er damit den Ozean nicht aufhalten. Er kann seine Traurigkeit nicht wegwischen. Nichts davon kann er willentlich stoppen. Die angestauten Gefühle sind zu mächtig geworden. Die plötzliche Entladung folgt wie eine Explosion. Chester ist schon viel zu lange traurig gewesen. Zu viel Unverarbeitetes hatte sich in ihm angestaut. Letztendlich hat die Traurigkeit ihn übermannt. Wie alle seine Emotionen, zeigt er sie mir mit bestechender Ehrlichkeit.

Nie zuvor habe ich jemanden derart leidenschaftlich weinen gesehen. Chesters Weinen wird begleitet von seinem krampfhaften, heftigen Schluchzen. Das seine ganze, schmächtige Gestalt in jähe Zuckungen zwingt. Seine beiden Schultern gleichzeitig abrupt hochhebt. Bis sie gleich darauf entspannt hinabfallen. Jedes Mal begleitet vom krampfhaften Luftholen. Ein ruckartiges, ungesteuertes, irre grobes Einatmen schüttelt ihn. In pausenlos gleichmäßigem, abgehacktem Rhythmus. Unwillkürliches, sekündliches Ringen nach Sauerstoff. Das nicht von Vernunft gesteuert wird. Chester muss regelmäßig nach Luft schnappen, wenn er nicht an seinen Tränen ersticken will. Die Natur der Sache lässt ihm keine Wahl. Sein alarmierter Körper verlangt unerbittlich danach. Weil das entfesselte Weinen seine reguläre Atmung massiv behindert. Mein Mann funktioniert automatisch. Sein Körper hat die Kontrolle übernommen. Sein instinktiver Drang, am Leben zu bleiben, diktiert ihm diese unkontrollierte Bewegung.

Chester gibt sich hemmungslos seinen Gefühlen hin. Das ist so herzerweichend, dass ich am liebsten mit ihm weinen möchte. Gleichzeitig möchte ich aber auch vor lauter Freude weinen. Weil mir absolut klar ist, wie enorm wichtig diese Sache für ihn ist. Was sie in Wahrheit für ihn bedeutet. Was es für mich bedeutet. Es fühlt sich an, als hätte ich endlich das Ziel erreicht. Wir sind beide am Zielpunkt angekommen. Haben uns tapfer den weiten Weg bis hierher gekämpft. Der Kreis hat sich geschlossen. Chester hat mir vertraut. Er hat mir trotz all seiner Ängste und Zweifel die Wahrheit gesagt. Das geht mir so nahe, dass meine Augen von alleine feucht werden. Genau wie er, bin ich dagegen völlig machtlos.

Es ist ergreifend, Herrn Bennington dabei zu beobachten, wie er endlich seine inneren Dämonen loslässt. Wie seine Frustration in einem unerwarteten Orkan aus ihm herausbricht. Seine Angst aus seinen wundervollen Augen tropft. Seine zuvor fest verriegelte Seele sich schlagartig von jeglicher Wut und jedem Schmerz befreit. Definitiv habe ich noch niemals etwas Schöneres gesehen. Oder etwas, das mehr Bedeutung hatte. Ich hoffe, dass auch er begreift, wie richtig das ist, was hier geschieht. Wie sehr ich versucht habe, ihn an diesen Punkt zu bringen. Wie glücklich ich bin, dass wir es wahrhaftig geschafft haben. Gemeinsam. Und jetzt sind die beiden verrückten Psychiatriepatienten vollständig von der Rolle. Eine fremde Macht hat uns erfasst. Wir sind beide total high. Ganz ohne Drogen. Allein von unseren Emotionen. Die Hormone feiern eine berauschende Party in unserem Blut. Chemische Reaktionen finden in unseren Gehirnen statt. Davon sind wir komplett zugeknallt. Irgendwie euphorisch. Chester und ich weinen und lachen gleichzeitig. Ein schlicht zauberhafter Mensch ist gerettet worden. Zu verstehen, was mit Chester passiert, macht mich glücklicher, als ich verarbeiten oder auch nur erfassen kann. Das ist sehr viel mehr, als ich jemals zu hoffen gewagt habe. All diese unglaubliche Mühe. Der anstrengende, zähe Kampf hat endlich ein Ende gefunden. Ich habe wahrhaftig bewirkt, dass Chester all das loslässt, was ihn schon seit gestern Abend so entsetzlich quält. Was ihn womöglich schon sein ganzes Leben lang belastet. Wie ein schwarzer, undurchdringlicher Morast aus Schmerz hatte sich das Elend in seiner empfindsamen Seele festgesetzt. Mit dem herrlich ungezügelten Weinen befreit er sich endlich davon.

Wenn er sich irgendwann beruhigt, wird es Chester sehr viel besser gehen. Davon bin ich fest überzeugt. Es geht ihm ja jetzt schon besser. Hinter seinen traurigen Augen funkelt ein nie gesehenes Glück. Ich weiß nicht, was seinen emotionalen Befreiungssschlag letztendlich ausgelöst hat. Eigentlich spielt das auch gar keine Rolle mehr. Trotzdem vermute ich, dass seine ungewohnte Losgelöstheit mit seinem vorherigen Orgasmus zusammenhängt. Das Abspritzen hat den Mann spürbar erschöpft. Die Ejakulation hat ihn müde gemacht. Das ist ganz normal. Nur das die ziemlich heftige, körperliche Entladung bei ihm unwillkürlich die seelische ausgelöst hat. Dieser Zusammenhang erscheint mir nachvollziehbar. Ich glaube, sein sexueller Höhepunkt hat ihn dermaßen enthemmt, dass er direkt vor meinen Augen plötzlich in Tränen ausbricht. Es übermannt ihn schlagartig. Noch bevor er weiß, was mit ihm passiert. Chester hält das irrtümlich für eine Schwäche. Kerle weinen nicht vor anderen Kerlen. Tränen werden allgemein als unmännlich angesehen. Ich kann ihm ansehen, wie entsetzlich peinlich ihm das Heulen ist. Wie sehr er sich bemüht, seinen unbeherrschten Gefühlsausbruch irgendwie unter Kontrolle zu bekommen. Aber der Sänger aus Phoenix hat keine Chance. Da kommt jetzt gnadenlos alles raus, was er so sorgfältig in sich gehortet hatte. All der Schmerz und die Wut lösen sich in glitzernden Tränen auf. Wenn er doch nur wüsste, wie fantastisch das ist! Damit zeigt mein Mann eine Stärke, die kaum jemand bereit ist aufzubringen. Ich bin wahnsinnig stolz auf Chazy Chaz. Das glückselige Lächeln verschwindet nicht mehr aus meinem Gesicht. Ich glaube, es wird jetzt für immer dort bleiben. Für den Rest meines Lebens werde ich lächeln. Und mich an diesen Augenblick erinnern. Als Chester Bennington anfing zu weinen.

Mein Herz schlägt einen rasenden Takt. Es pocht übermütig in meiner Brust. Mein Atem geht fast so schwer wie seiner. Oh Fuck, es war so tierisch geil, ihn abspritzen zu sehen! Das berauschende Gefühl, von seinem warmen Sperma getroffen zu werden, hat mich um ein Haar selbst zum sexuellen Höhepunkt gebracht. Mein Schwanz ist so hart, dass es beinahe wehtut. Doch ich zwinge mich dazu, ihn vollkommen unbeachtet zu lassen. Voller Ehrfurcht und Faszination sitze ich auf Chesters nackten Oberschenkeln. Sehe ihn pausenlos an. Total reglos. Gemeinsam mit ihm auf unserer versteckten Parkbank. Wo gerade ein echtes Wunder geschieht. Wo ein Engel erlöst wird. Wahrscheinlich gehen wir nie wieder hier weg. Das würde mir sehr gefallen. Ich wünsche mir, dass dieser göttliche Moment ewig andauert. Kann meinen Blick nicht von seinem wunderschönen Gesicht wegnehmen. Ich muss jede Sekunde davon für immer in mir festhalten.

„Mann, du brauchst nicht mal ein Mikrophon, um jedem Individuum, das dir beim Singen zuhört, augenblicklich die Seele aus dem Leib zu pusten! Deine Stimme ist unfassbar gehaltvoll! Du hast so unglaublich viel Kraft in dir! Sieh doch, was du allein mit mir gemacht hast! Du hast mich aus der tiefsten Dunkelheit geholt, Chaz! Das hat niemand sonst geschafft! Dein Gesang ist viel zu besonders, als wollte Grey Daze auf Dauer auf dich verzichten!” beschwöre ich meinen grundlos verunsicherten Mann. Mit Nachdruck. Nicke energisch. Chester stößt ein verzweifeltes Lachen aus. Ungläubig schüttelt er seinen wunderhübschen Kopf. Ich kann nicht fassen, wie wenig der Kerl an sich glaubt. Wie gering er sein eigenes Talent einschätzt. Wie leicht man ihn aus dem inneren Gleichgewicht bringen kann. Schon ein unüberlegt ausgesprochener Satz genügt. Und er ist vollkommen am Boden zerstört.

Dringend muss ich Mister Bennington irgendwie aufbauen. Dem vorschnell entlassenen Sänger neuen Mut machen. Der arme Kerl ist wahnsinnig deprimiert. Weil Sean Dowdell ihn aus seiner Band hinausgeworfen hat. Gestern Abend hat Chester verbotenerweise seinen besten Freund angerufen. Um zu erfahren, wie es mit Grey Daze weitergeht. Anscheinend hat Sean ihn gefeuert. Ihn bei dieser Gelegenheit auch gleich ziemlich gehässig eine Sängerin genannt. Das war ganz schön gemein. Ich weiß nicht, warum dieser Typ das getan hat. Womöglich hat er sich gar nichts dabei gedacht. Fest steht jedenfalls, dass Sean meinen Mann damit um ein Haar kaputtgemacht hat. Mit der Kündigung seiner Aufgabe als Sänger hat der Schlagzeuger seinem Freund dessen Orientierung weggenommen. Alles, wofür er gelebt hat. Woran er sich festgehalten hat. Zweifellos ist seine Band das Allerwichtigste für Chester. Grey Daze zu verlieren, ist für ihn viel schlimmer, als er momentan ertragen kann. Der neue Patient befindet sich aktuell in einer extrem angespannten Situation. Die ihm überhaupt nicht gefällt. Er ist nicht freiwillig hier. Andere haben über seinen Kopf hinweg entschieden, dass er sich für eine unbestimmte Zeit hier aufhalten muss. Wegen seiner Zwangseinweisung in die geschlossene Psychiatrie in Kalifornien ist er sowieso schon total deprimiert. Und jetzt auch noch der Rauswurf. Das ist alles zu viel für ihn. Chester ist maßlos überfordert.

Endlich kenne ich die Gründe, die zu seiner astronomischen Frustration geführt haben. Chester hat sie mir wahrhaftig anvertraut. Jetzt kann ich endlich versuchen, ihm zu helfen. Obwohl ich seinen Schmerz über den Verlust seiner Band verstehe, so finde ich ihn doch unbegründet. Natürlich wird Grey Daze ihn wieder aufnehmen, sobald er zurück nach Phoenix kommt. Das ist doch gar keine Frage. So einen enorm talentierten, außergewöhnlichen Sänger finden die unter Garantie nie wieder. Ich kapiere nicht, wie der Tätowierte auch nur eine Sekunde lang daran zweifeln kann. Dieser Sean Dowdell hat sicherlich längst erkannt, dass er mit Chaz einen echten Goldschatz an Land gezogen hat. Ein Sänger, der Seinesgleichen vergeblich sucht, ist schlicht unersetzbar für eine Band. Die fantastische Stimme von Chester Bennington macht Grey Daze erst zu dem, was sie sind. Nämlich etwas ganz Besonderes. Daran gibt es nichts zu rütteln. Das ist eine unabdingbare Tatsache. Leider weiß Chester nicht um seine Einmaligkeit. Nicht mal ansatzweise. Der Sänger aus Phoenix glaubt wahrhaftig, dass die Jungs von Grey Daze ihn kinderleicht austauschen können. Der Dummkopf geht beileibe davon aus, dass sein Fehlen nicht die geringsten Nachteile für seine Band hat. So viel eigene Fehleinschätzung ist mir unbegreiflich. Chester fürchtet, nie wieder mit Grey Daze singen zu dürfen. Er geht davon aus, dass er mit seinen Bandkollegen, die wie eine Familie für ihn sind, nie mehr auf einer Bühne stehen und ein Konzert geben darf. Sein eigenes, unbestreitbares Können ist Chazy nicht mal in groben Grundzügen bewusst. Es betrübt mich, wie fürchterlich gering mein Mann sich selbst einschätzt. Der dumme Kerl hat keine Ahnung von seinen eigenen Qualitäten. Chaz glaubt tatsächlich, dass er seine geliebte Band endgültig verloren hat. Seine Annahme ist dermaßen absurd, dass ich darüber lachen muss, obwohl es traurig ist. Diesen Unsinn muss ich ihm dringend ausreden.

„Garantiert tut Sean sein unüberlegter Schritt inzwischen schon total leid. Der Blödmann bereut es längst, dass er dich rausgeworfen hat, glaub mir, Chaz. Sean war vielleicht nur gerade sauer auf dich und wollte dich schockieren. Aber wenn du ihn das nächste Mal anrufst, dann wird er dich sofort bitten zurückzukommen. Er wird dich sogar auf Knien anflehen, denk an meine Worte! Weißt du, wenn Dowdell nur ein bisschen Verstand hat, dann kann er ja gar nicht anders, als dich zurückzuholen. Ohne dich ist Grey Daze doch nur noch Durchschnittsware, und das weiß der auch. Ihm ist klar, wie fantastisch du singst, Chester. Er hat deine Stimme gehört. Du hast ihn vom ersten Augenblick an beeindruckt. Darum will er dich unbedingt wiederhaben, du wirst sehen”, rede ich leidenschaftlich auf Chester ein. Ich bin randvoll mit innerer Überzeugung für meine Beteuerungen. Nichts könnte meinen Glauben daran erschüttern. Weil ich es selbst erlebt habe, wie faszinierend mein Mann als Sänger ist. Habe ihn schon mehrmals singen gehört. Kenne seine engelsgleiche Stimme. Seine teuflischen Schreie. Die stürmischen Emotionen in seiner Performance. Die Niemanden unbeeindruckt lassen. Die mich gleich beim ersten Mal restlos überwältigt haben. Keiner wird ihn jemals ersetzen können. Das steht mal fest. Ich hoffe so sehr, meinen beunruhigten, tödlich gekränkten und emotional verletzten Mann von dieser unbestreitbaren Tatsache überzeugen zu können. Wenn Chester erst mal klar wird, wie wertvoll er für seine Band ist, werden seine Zweifel sich endgültig in Luft auflösen.

Gespannt beobachte ich sein Gesicht. Meine temperamentvollen Worte bewirken etwas bei ihm. Sie heitern ihn sichtbar auf. Entlocken ihm ein Lachen, das irgendwo zwischen Fassungslosigkeit und Belustigung liegt. Seine Reaktion auf meine flammende Rede ist rührend. Das reißt mich völlig hin. Es ist absolut betörend, wie Chester unter seinen Tränen lacht. Seine nassen Wimpern glitzern. Tausende Sterne leuchten auf. Seine schmalen Mundwinkel biegen sich nach oben. Die weißen Zähne blitzen. Er lacht atemlos. Während unaufhörlich neue Tropfen aus seinen Augen über seine helle Haut laufen. Chester ist gefühlsmäßig gefangen. Er schwankt zwischen unendlicher Traurigkeit und offensichtlichem Amüsement. Zweifellos gefällt mein Eifer ihm. Die absolute Sicherheit, die ich ihm mit meinen Worten übermittele, beeindruckt ihn. Die Leidenschaft an der Sache, die ich ihm bewusst zeige. Er genießt es, was ich zu ihm sage. Das ist so wundervoll, dass mir vor Zufriedenheit ganz warm wird. Die positive Aussage besänftigt ihn. Mein Versuch, ihm Mut zu machen, scheint bei ihm anzukommen. Mein unerwarteter Erfolg macht mich glücklich. Obwohl der Kerl mir offensichtlich nicht glaubt, so ist er doch immerhin amüsiert. „Ach, Mikey...”, krächzt er zwischen heftigem Schluchzen, „Fuck, Mann... Du bist so... verrückt... ich kann gar nicht...” Da ist jede Menge Verzweiflung in seiner tollen Stimme. Aber auch eine große Portion Fröhlichkeit. Maßlos verwirrt bricht er ab. Schüttelt derangiert den Kopf. Schnappt im nächsten Moment krampfhaft nach Sauerstoff. Lacht dermaßen bezaubernd, dass ich ihn nur noch küssen möchte. Sein Lachen wird unterbrochen vom atemlosen Luftholen. Sein ganzer, schmächtiger Körper zuckt dabei. Ich spüre ihn überdeutlich. Der Engel aus Phoenix sitzt direkt unter mir. Auf der Parkbank. So viel zuckersüße Verlegenheit in seinem Blick. So viel fassungsloses Staunen. Chester wirkt komplett verloren. Ich liebe ihn so doll, dass es beinahe wehtut.

„Wer war der Typ, der dich Sean Dowdell zum Vorsingen vorgeschlagen hat?” versuche ich spontan, ihm Halt zu geben. Etwas sehr Positives, woran er sich erinnern kann. Woran er sich festhalten kann. Ich merke ihm an, dass er sich gerne an sein erstes Vorsingen für Grey Daze erinnert. Diese Bilder in seinem Kopf machen ihn glücklich. Darauf kann ich aufbauen. Mein instinktives Handeln funktioniert. Seine schönen Augen fangen sofort an zu leuchten. Weil die passenden Szenen unwillkürlich in seinem Kopf auftauchen. „Der große Bruder von Scott... Chris... er spielt Gitarre... Scott ist ein Schulfreund von mir... Ey, Mike... Für mich war sein Bruder Chris der coolste Kerl der ganzen Schule... Wow, ich...hatte keine Ahnung... dass der überhaupt wusste, dass ich existiere...”, erzählt Chester mir mit so viel freudestrahlender Verblüffung, dass es mir vor Rührung warm die Wirbelsäule hinunterläuft. Mein Bauch kribbelt vor Glück. Offenbar kann Chaz noch immer nicht fassen, dass der große Bruder von Scott ihn damals wahrhaftig bemerkt hat. Das ist total süß. Behaglich erschaudere ich. Hebe unwillkürlich meine Hand. Streichele sanft über sein vertrautes, von Tränen nasses Gesicht. Lasse seine Tropfen langsam über meine Finger perlen. Sie sind ganz warm. Das fühlt sich faszinierend an. „Woher wusste Chris, dass du existierst?” frage ich lächelnd. Wische die nassen Finger an meiner Jeans ab. „Ich war nur ein dünner Junge mit zu großen Ohren und einer zu großen Nase. Aber er hatte mich singen gehört... in der Greenway High School... Ich war... in ein paar Schulbands... Wir hatten beim Homecoming gespielt...”, erläutert Chester. Abgehakt. Unterbrochen vom unaufhörlichen Schluchzen. Und konfusem Lachen. Obwohl er es die ganze Zeit krampfhaft versucht, bekommt er seine turbulenten Gefühle nicht in den Griff. Sie scheinen völlig außer Kontrolle geraten zu sein.

Der Sex mit mir hat ihn ungewöhnlich sensibel gemacht. Keuchend schnappt er nach Luft. Sein schmaler Brustkorb bewegt sich ruckartig. Das ist so niedlich, dass ich ihm spontan einen Kuss auf den feuchten Mund drücke. Kann einfach nicht anders. Als hätte Chaz nur darauf gewartet, hebt er überstürzt die Arme. Hastig legt er mir seine Hände auf den Rücken. Packt energisch zu. Drückt mich rigoros an sich. Versessen vertieft er meinen flüchtigen Kuss. Indem er mir seine heiße Zunge zwischen die Lippen drängt. Der Sänger stößt seine Zunge derart verzweifelt in meinen Mund, dass ich mich nicht wehren kann. Seiner bemerkenswerten Energie nicht ausweichen kann. Selbst, wenn ich es wollte. Unmöglich. Ich will es gar nicht. Im nächsten Moment küssen wir uns voller Leidenschaft. Mein Mann schmeckt nach flüssigem Rotz. Nach warmen, salzigen Tränen. Ich liebe es. Kriege nicht genug davon. Kann von Chester nie genug haben. Er schnauft zustimmend. Ein irre tiefes, zufriedenes Grollen kommt aus seiner goldenen Kehle. Fuck, bin ich geil auf ihn! Mister Bennington bei seinem Orgasmus zu erleben, hat mich verdammt nahe an den eigenen sexuellen Höhepunkt gebracht. Ich will dringend meinen steifen Schwanz rausholen. Der unangenehm eng in meine Jeans gepresst wird. Will mein Glied in Chesters Mund reinstecken. Oder in seinen Arsch. Oder abwechselnd. Arsch und Mund. Die konkrete Vorstellung davon macht mich noch geiler. Shit, ich muss mich zusammenreißen! Mein Penis pocht vor Verlangen in seinem Unterhosengefängnis. Im Gleichklang mit meinem hämmernden Herzschlag.

Chester ist wahnsinnig zärtlich zu mir. Aber zeitgleich ist da diese triebhafte Gier in ihm. Mit der er mich kinderleicht in seinen Bann ziehen kann. Mich innerhalb von Sekunden besiegen kann. So unvorstellbar viele, aufgestaute Gefühle in seiner sensiblen Seele. Die wie ein wilder Tornado aus ihm hervorbrechen. Chester Bennington ist wie ein Orkan aus menschlichen Emotionen. Damit zieht er jeden in seinen Bann. Weil es allen Menschen irgendwo vertraut erscheint. Sodass sie sich automatisch von ihm verstanden fühlen. Mein Atem geht tief. Unruhig rutsche ich auf seinen schlanken Oberschenkeln herum. Meine arg geknickten Beine zittern angespannt. Sie liegen dicht an seinen Hüften. Meine Knie stoßen gegen die Rückenlehne der Bank. Kann kaum noch ruhig sitzenbleiben. Meine Geilheit erhält aktuell entschieden zu viel Nahrung. Weil Chester mir so unfassbar nahe ist. Er hüllt mich mit seiner Liebe ein. Seiner göttlichen Existenz. Ich weiß nicht, wie lange ich dem standhalten kann. So viel herzerweichende Hilflosigkeit in seinen Augen. So schwindelig viel Sexappeal. Meine Zunge wird von seiner umgarnt. Sehnsüchtig tanzen unsere Zungen umeinander herum. Er fühlt sich in meiner Mundhöhle erstaunlich wohl. Ich genieße seine Zuwendung mehr, als ich je beschreiben könnte. Panisch saugt er an meiner Unterlippe. Leckt mir grob über die Mundwinkel. „Mikey... mein Mikey...”, ächzt er benommen. Zwischen ringenden Atemzügen. Seine linke Hand legt sich hart auf meinen Nacken. Die Finger drücken sich begierig in meine Haut. Um mich sicher festzuhalten. Meinen Kopf in die von ihm verlangte Position zu zwingen. In der er mich am tiefsten küssen kann. Mein Mann ist ungewohnt besitzergreifend. Hemmungslos zeigt er mir seine glühende Leidenschaft. Das turnt mich total an. Raubt mir sämtliche Sinne. Fokussiert sich autonom in meinem erregten Schritt. Ich fürchte, ich bin verloren.

Plötzlich lacht Chester. Mitten in unseren Kuss hinein. Unsere innig leckenden Zungen geraten unweigerlich aus dem Takt. Er lockert seinen Griff an meinem Nacken. Ihm ist etwas Lustiges eingefallen. „Als Sean und ich meinen Dad gefragt haben... ob ich in die Band rein darf... ich dachte, Sean wäre schon wahnsinnig erwachsen... aber in Wahrheit hatte er so viel Angst vor meinem Dad...”, kichert Chester belustigt. „Warum hatte Sean Angst?” frage ich verdutzt. Meine Stimme klingt rau. Weil ich so überirdisch scharf bin. Das ist mir ein bisschen peinlich. Doch Chaz scheint es gar nicht zu bemerken. „Mein Vater ist groß und stark, weißt du... eine beeindruckende Erscheinung... An dem Nachmittag, als ich mit Sean nach Hause kam, wollte er gerade los... zur Arbeit... Er hatte schon seine Polizeiuniform an... So ein Officer in Uniform wirkt ganz schön einschüchternd auf einen Siebzehnjährigen...”, erzählt der Sänger mir vergnügt. Grinst spöttisch. Zwinkert keck. Küsst mich aufs Neue. Schluchzt und lacht gleichzeitig. Chazy Chaz ist so cute, dass ich es kaum aushalten kann. Mein Kopf fällt automatisch nach vorne. Lehnt sich gegen seine Schulter. Ich verliere mich in ihm. „Ach, Chester...”, seufze ich erschlagen. Irgendwo an seinem Hals. „Mikey...”, flüstert er sanft. Nimmt seine Hand von meinem Rücken. Schiebt sie selbstbewusst zwischen unsere aufeinandersitzenden Körper. Seine unerwartete Regung alarmiert mich. Schlagartig. Fuck, er legt seine Hand genau auf meine Erektion! Seine Finger fangen sofort an, sich gezielt auf meinem Schwanz zu bewegen. Höllisch stimulierend. Gefühlvoll drückt er mein prall gestautes Sexualorgan. Reibt es auf überwältigende Art. Obwohl Jeans und U-Hose dazwischen sind, stöhne ich augenblicklich auf. Weil ich ihn so intensiv spüre, dass mir unweigerlich Hören und Sehen vergeht. Eine Woge aus purer Geilheit erfasst mich. Lässt mich ungesteuert erschaudern. „Chaz... Wow...”, kommt autonom aus meiner krächzenden Kehle. „Nein... nicht...”, protestiert irgendwas in mir, das total erschrocken ist. Obwohl ich von dieser Berührung nicht genug haben kann. Weil sie sich so verflucht geil anfühlt. Sofort will ich meine Hose ausziehen. Alle Hosen ausziehen. Will, wie Chester, mit nacktem Arsch auf der Bank sitzen. Nackt auf ihm drauf sitzen. Ihm meinen unverhüllten Schwanz schenken. Damit er nach Herzenslust damit spielen kann. Ich will unbedingt sein sexuelles Spielzeug sein.

„Chester...”, stöhne ich warnend. Als ich spüre, dass er mir frech die Jeans öffnet. Ungeschickt und viel zu hastig knöpfen seine gierigen Finger meine Hose auf. Das schockiert mich dermaßen, dass ich wie erstarrt bin. Ich muss ihn sofort daran hindern. Der verrückte Typ darf mich jetzt auf keinen Fall ausziehen. Was ich mir insgeheim wünsche und was real machbar ist, sind ja schließlich zwei paar Schuhe. Wir sind doch in diesem Park. Geschlossene Psychiatrie. Wir haben das Mittagessen verpasst. Oder war es das Abendessen? Inzwischen ist es schon dunkel geworden. Jemand sucht nach uns. Alle suchen nach uns. Womöglich ist unterdessen das gesamte Personal der Psychiatrie auf den Beinen, um die vermissten Patienten aufzuspüren. Irgendjemand wird uns finden. Jeden Moment taucht hier ein Pfleger auf. Das ist so sicher, wie die Tatsache, dass ich Mike Shinoda heiße. Ich darf jetzt unmöglich nackt sein. Das ist mir absolut bewusst. Trotzdem ersehne ich nichts anders. Als die Knöpfe meiner Jeans einer nach dem anderen aufspringen, blase ich unwillkürlich erleichtert Luft aus. Mein Schwanz drückt sich von Innen gegen den weichen Slip. Das fühlt sich gut an. Fühlt sich befreit an. Chester schiebt seine langen Finger in meine Jeans. Reibt sie sanft über meine Unterhose. Ertastet sorgfältig meine steinharte Erektion. Liebkost sie zart. Gezielte Zärtlichkeiten. Steigern meine sexuellen Gefühle unabwendbar. Was macht der verfluchte Kerl mit mir? Spinnt der denn jetzt total? Oder bin es vielleicht in Wahrheit ich, der verrückt wird?

Alles gerät außer Kontrolle. Meine Gedanken geraten vollständig durcheinander. Ungeduldig stöhne ich auf. Ich weiß, dass ich Bennington augenblicklich aufhalten muss. Ich muss seine gefährliche Hand von meinem empfindsamen Penis wegholen. Die wohltuenden Finger energisch aus meiner offenen Hose verbannen. Ihm gehörig die Meinung geigen. Aber ich kann mich einfach nicht dazu durchringen, das auch zu tun. Entschieden zu scharf bin ich darauf, von meinem Mann angefasst zu werden. Genau dort. „Chester... nicht...”, wende ich nochmal ein. Meine es eigentlich todernst. Doch meine Stimme ist ein raues Flüstern. Sie trieft vor Begierde. Es hört sich an, als würde ich ihn in Wahrheit dazu auffordern, mir unverzüglich einen runterzuholen. Oder wünsche ich mir das nur? Mann, ich bin total verwirrt! Ich muss das hier irgendwie...

Chester beugt sich an mein Ohr. „Ich will dich abspritzen sehen, Mike Shinoda”, flüstert er verwegen hinein. Leckt mir drängend über die Ohrmuschel. Um seinen delikaten Wunsch zu unterstreichen. Sodass ich unweigerlich erschaudere. Mein Herzschlag beschleunigt sich rapide. Angespannt ringe ich nach Sauerstoff. „Ohhh... nein... Chester... das geht jetzt nicht...”, protestiere ich alarmiert. Was mir unnatürlich schwerfällt. Weil mein Körper genau das Gegenteil verlangt. Weil plötzlich alles in mir sich wie irre nach einem heftigen Orgasmus sehnt. Die ganze Zeit schon habe ich mich diesbezüglich zusammengerissen. Habe mich erfolgreich zurückgehalten. Mich ausschließlich auf meinen verletzten Mann konzentriert. Habe ihn sogar mit der Hand befriedigt. Ihn zielgerichtet aufgegeilt. Damit er mit mir redet. Das war ein komplett unerforschtes Experiment. Aber zu meinem grenzenlosen Glück hat es funktioniert. Denn dadurch ist er wahrhaftig gerettet worden. Chester hat sich weinend von dem ihn erdrückenden Ballast in seiner Seele befreit. Vielleicht bin ich jetzt mal dran?, meldet sich eine ungewohnt rebellische Stimme in meinem Kopf. Nein, das ist undenkbar!, brüllt mein Verstand sofort dagegen an. Hier geht es nicht um mich. Es geht niemals um mich. Der Besondere ist viel wichtiger. Oder? Fuck, ich kann nicht mehr richtig denken! Das ständige Reiben meines enorm empfänglichen Schwanzes macht mich völlig kirre.

„Wenn das bei mir geht, dann geht das bei dir auch”, stellt Chester augenzwinkernd klar. Mit einer unnachahmlichen Logik. In seiner zärtlichen Stimme steckt jede Menge Entschlossenheit. „Chaz... nicht doch...”, stöhne ich. Zwischen Unbehagen und unendlichem Genuss. Zucke ungesteuert. Nah an seinem Körper. Meine Geilheit schreit nach mehr. Mehr davon. Mehr von ihm. Die Vernunft will sich von ihm befreien. Aufstehen und weglaufen. Schnell. Näher an ihn heranrücken. Meine Hände wollen ihn eigentlich wegdrücken. Halten sich aber nur panisch an ihm fest. Der Tätowierte lächelt zum Anbeten. „Hey du, ich habe jetzt einen Wunsch frei, Mike! Weißt du noch?... Dein verrücktes Spiel... Ich darf dir eine Frage stellen...”, erinnert er mich aufmerksam. Zeigt mir seine schönen Zähne. Frohen Mutes grinsend. „Ja, klar, stell mir deine Frage!” bitte ich ihn sofort erleichtert. In hoffnungsvoller Erwartung, dass der dreiste Kerl dann vielleicht damit aufhört, mich so entsetzlich wundervoll zu quälen. Doch seine frechen Finger an meinem Schwanz haben nicht die Absicht, das sein zu lassen, was sie gerade tun. Fortwährend streicheln sie durch den Stoff meiner Unterwäsche hindurch meine unfassbar harte, mittlerweile feucht triefende Erektion. Mist, meine fortgeschrittene Geilheit versaut mir meinen Slip!

Chester schüttelt entschieden den Kopf. „Nein, ich will keine doofe Frage!” erklärt er ungeduldig, „Ich will, dass du jetzt kommst, Spikey!” „Chester!” knurre ich drohend. Schüttele warnend den Kopf. „Das ist nur fair”, meint der Sänger stur, „Ich will dein Sperma auf meinem Bauch.” Prompt stelle ich mir vor, wie mein warmer Samen aus meinem Penis heraus auf seinen süßen Bauch spritzt. Das hat der Kerl doch absichtlich gesagt! Er will mich damit scharf machen! Und natürlich hat er Erfolg damit. Das sexuelle Bild geilt mich dermaßen auf, dass ich automatisch erzittere. Ungewollt lustvoll aufstöhne. Der Mann küsst mich sanft auf die Lippen. Lächelt liebenswert. Flüstert zärtlich: „Ich sehe doch, wie sehr du es willst, Mister Shinoda. Du kannst mir gar nichts vormachen.” Verdammt, er kann es mir ansehen! Selbstverständlich kann er das. Er ist ja nicht blöd. Jeder würde es mir momentan ansehen. Keine Ahnung, ob es fair ist. Oder was anderes. Oder ob ich möglicherweise komplett meinen Verstand verliere. Fest steht, dass ich es will. Oh yeah, ich will es! Entgegen jeglicher Vernunft. Mein angeborener Trieb hat längst die Oberhand geworden. Gott ist mein Zeuge. Meine Geilheit pocht lauernd in meinem Schritt. Mein Schwanz zuckt ruhelos. Meine Eier ziehen sich erwartungsfroh zusammen. Nervös atme ich tief ein. Lasse dann langsam die Luft aus meinen Lungen. Versuche krampfhaft, mich zu kontrollieren. Mein Blick hängt in Benningtons dunklen Augen fest. Seine schwarzen Pupillen ziehen mich unwiderstehlich in ihren Bann. Da ist so viel Leidenschaft in diesen von Tränen nassen Augen. So viel unerforschte Liebe glitzert darin. Das ganze Universum ist tief da drin verborgen. Es gelingt mir nicht, ihn aufzuhalten. Ich kann das einfach nicht mehr schaffen.

Paralysiert lasse ich es zu, dass er mir behutsam die Unterhose runterschiebt. Fremdgesteuert halte ich die Luft an. Der Baumwollstoff des Slips gleitet über meine empfindliche Haut. Langsam nach unten. Bis mein steifer Penis frei in der Luft steht. Direkt vor meinem Unterleib. Eng zwischen unseren Körpern. Das fühlt sich geil an. Fühlt sich tierisch befreit an. Ich spüre einen kühlen Luftzug an meiner Latte. Der mich höllisch heiß macht. Chester umfasst mich gefühlvoll. Der Mann guckt nicht hin. Behält unverändert mein Gesicht im Blickfeld. Unsere Augen genießen ihren magischen Kontakt. Während wir dicht voreinander sitzen. Ich fühle seinen Körper unter mir. Spüre meinen Mann mit allen Sinnen. Der Sänger aus Phoenix legt seine warmen Finger eng um mein erstarrtes Fleisch. Fängt vorsichtig damit an, sie achtsam auf und ab zu bewegen. Meine Vorhaut gleitet dabei rhythmisch über die besonders sensible Spitze. Streichelt die empfänglichen Nervenenden wahnsinnig liebevoll. In einem unbezwingbaren Takt. Sein Daumen streicht zärtlich über meine höllisch empfindliche Eichel. Augenblicklich stöhne ich begeistert auf. Weil seine hingebungsvolle Berührung so unglaublich intensiv ist, dass sich mir die Fußnägel aufrollen. Innerhalb von Sekunden ist alles andere komplett vergessen. Es spielt einfach keine Rolle mehr. Verschwindet in der Unendlichkeit seiner unfassbaren Liebe zu mir. Scheiß doch was auf die geschlossene Psychiatrie. Die existiert nicht länger. Scheiß doch auf irgendwelche Idioten, die nach uns auf der Suche sind. Da ist niemand anderes mehr. Nur noch Chester und ich. In einer fantastischen Welt. Aus purem Sex.

„Komm schon, Mikey...”, flüstert Chester liebenswürdig, lockt mich mit seiner unerreichten Faszination, „Komm schon...” Hell, ja, ich werde kommen!, Chazy Chaz, denke ich restlos verzaubert, Yeah, Mann, ich komme in höchstens einer Minute für dich! Definitiv ist das nicht gelogen. Ich stöhne zustimmend. Knurre genüsslich. Mein Mund ist irgendwo an seinem Hals. Meine Lippen saugen sich gierig an ihm fest. Mein Herz pocht wie verrückt. Mein Atem geht schwer. Mein angespannter Körper zittert auf seinen schlanken Oberschenkeln. Dränge seiner irre behaglichen Berührung von selbst entgegen. Dränge ihm entgegen. Chester Bennington. Er ist mein Anker der Sicherheit. In seiner Nähe kann mir ja gar nichts passieren. Absolut unmöglich. Ein Engel beschützt mich. Alles andere hat kein Gewicht mehr. Ist nicht länger existent. Meine Wahrnehmung fokussiert sich allein auf ihn. Auf das Wundervolle, was er mir schenkt. Die köstliche Lust in meinen Adern. Reines Verlangen in meinem Blut. Löse mich zunehmend auf. Im unbezwingbaren Rausch meiner eigenen Geilheit.

Sex im Freien gehört nicht zu meinen Routineerlebnissen. So ein unkalkulierbares Risiko gehe ich normalerweise nicht ein. Ehrlich gesagt, ist das hier eine hinreißende Premiere für mich. In der ich restlos übermannt werde. Hätte nie gedacht, dass Sex in einem quasi öffentlichen Park so dermaßen aufregend sein kann. So höllisch erregend. Das muss an Chester liegen. Dieser fantastische Kerl weiß zielsicher mit mir umzugehen. Mit ihm wird alles besonders. Neben ihm werde ich unbedeutend. Da gibt es kein Entkommen mehr für mich. Will ich auch nicht. Will der unendlichen Wohltat nicht entkommen. Will gar nichts anderes mehr. Nur noch das hier. Für den Rest meines Lebens. Nur noch Chester und Mike. Das wäre die perfekte Ewigkeit. Dauerhaft im stürmischen Rausch der Gefühle. Will für immer in seiner Nähe sein. Ich liebe ihn so sehr. Das ist stärker, als ich es je erlebt habe. Oder auch nur ungefähr geahnt. Überdeutlich registrierte ich, wie gewaltig die dynamische Erregung meinen Körper zum unausweichlichen Höhepunkt treibt. Kann es nicht aufhalten. Nicht erwarten. Ich will mehr. Viel mehr davon. Möglicherweise hat die graue Welt um uns sich längst in ein Paradies verwandelt. Bunte Schmetterlinge tanzen um uns herum. Um ein Haar kann ich fliegen sehen.

Plötzlich flammt irgendwo hinter mir ein viel zu helles Licht auf. Wie ein scharfes Messer durchschneidet die Helligkeit brutal die schützende Dunkelheit. Richtiggehend aus dem Nichts sind wir enttarnt. Der grelle Strahl ergießt sich unerwartet über Chesters wunderschönes Gesicht. Erschreckt ihn mindestens so heftig wie mich, sodass er rein instinktiv reagiert. Jäh zu grob geblendet, kneift er im Reflex die Augen zusammen.


Chester Charles Bennington

„Oh Jungs!” stöhnt jemand fassungslos, „Jungs, Jungs, Jungs!” Ich höre förmlich, wie missbilligend er den Kopf dabei schüttelt. Die dunkle Stimme knallt wie ein höllisch schmerzhafter Peitschenhieb mitten in meine schönste Wahrnehmung hinein. Seit Jahren habe ich mich nicht dermaßen wohlgefühlt. Womöglich habe ich das noch nie. Nicht auf diese Art, die ich ehrlich nicht kenne. Obwohl ich heule wie ein Mädchen, geht es mir ganz wunderbar. Zumindest glaube ich, dass es mir fantastisch geht. Meine derzeitige Stimmung ist zu neu für mich, als könnte ich mir über ihre Beschaffenheit ganz sicher sein. Ich weiß nur, dass meine Depressionen, die fürchterliche Dunkelheit und alle meine Dämonen aktuell jegliche Macht über mich verloren haben. Dieses normalerweise beschissen anhängliche Elend interessiert mich nicht mal mehr. Unter den peinlichen Tränen muss ich pausenlos lachen. Möglicherweise bin ich total verrückt geworden. Ich fühle mich befreit. Mein Kopf ist sonderbar unbeschwert. Das ist unfassbar behaglich. Anstelle des unerträglichen Lärms ist eine unbekannte Leere in mir aufgetaucht. Da herrscht absolute Ruhe. Die mich rundum zufrieden macht. Ich werde einen Teufel tun und meinen ungewohnten Zustand hinterfragen. Dazu ist er entschieden zu wertvoll.

Irgendwas ist mit mir passiert. Das ich noch nicht kapiert habe. Definitiv hat es etwas mit Mike Shinoda zu tun. Der Besondere ist bei mir. Betörend nah. Er sitzt noch immer auf meinen Beinen. Hält sich vertrauensvoll an mir fest. Meine Finger sind um seinen prächtigen Schwanz gewickelt. In behutsamer Gleichmäßigkeit bewege ich sie auf und ab. Versuche, zärtlich zu bleiben. Ich bin mächtig scharf drauf, dass der Süße in meiner Hand kommt. Bin mir absolut sicher, dass er das in kürzester Zeit tun wird. Schätzungsweise in ungefähr zwei Minuten. Mit geschärften Sinnen nehme ich ihn wahr. Seine elektrisierende Energie springt funkensprühend auf mich über. Es ist das reinste Farbenmeer. Spüre seine berauschende Geilheit in faszinierender Intensität. Alle meine ansonsten eher haltlosen Antennen sind hundertprozentig auf Mike ausgerichtet. Was mich seltsam glücklich macht. Ich habe merkwürdige Gefühle für diesen Mann. Die pure Zufriedenheit umspült mich. Wie ein schützender Kokon.

Doch die plötzlich brutale Störung macht schlagartig alles zunichte. Ich habe diesen Peitschenhieb nicht kommen sehen. Und auch nicht den Typen, der energisch die Peitsche schwingt. Der Kerl hat sich vollkommen unbemerkt an uns herangeschlichen. In der Dunkelheit konnten wir die nahende Gefahr nicht sehen. Vermutlich waren wir auch einfach nur zu abgelenkt. Zu leidenschaftlich mit uns selbst beschäftigt, um auf die Umgebung zu achten. Das hier ist die grausame Quittung. Dieser akustische Schlag in die Magengrube kommt buchstäblich unerwartet. Begleitet von einem visuellen Schlag aus grellem Licht in meinem Gesicht. Quasi aus dem Nichts heraus, treffen sie mich mit gnadenloser Härte. Ich bin in jeder Hinsicht unvorbereitet. Der Klang der alles zerstörenden Stimme kommt mir bekannt vor. Habe ich schon irgendwo gehört. Kann mich jedoch nicht erinnern wo. Oder wann. Ist mir im Moment auch scheißegal.

„Also das schlägt ja wohl dem Fass den Boden aus!” stellt eine zweite Person entgeistert fest. Sie ist hörbar angewidert. Was mir schlagartig alle Nackenhaare sträubt. Nicht wegen der Aussage an sich. Sondern weil ich Pfleger Ulli inzwischen aus tausenden Stimmen heraushören würde. Mike und ich schrecken gleichzeitig zusammen. Brutal aus dem gemeinsamen, sexuell umnachteten Paradies herausgerissen, finden wir uns übergangslos in einem schrecklichen Albtraum wieder. Mann, wir sind ehrlich schockiert! „Nein! Bitte... Nicht!” stöhnt das Knopfauge dicht an meinem Ohr, „Oh, Fuck... Chester... so ein Shit!” Seine schöne Stimme klingt total verzweifelt. Sodass es mir abrupt das Herz zusammenzieht. Seine Arme schlingen sich schutzbedürftig noch enger um meinen Rücken. Im schamvollen Bemühen, sich vor den indiskreten Blicken zu verbergen, rückt er hastig näher an mich heran. Meine Hand an seinem Glied wird unweigerlich zwischen uns eingeklemmt. Sodass ich meine Finger kaum noch bewegen kann. Ist wohl jetzt auch nicht mehr angebracht, schätze ich mal.

War ja klar!, denke ich, jählings enorm frustriert, war ja zu erwarten, dass früher oder später irgendwer vom Personal hier auftaucht. Die unartigen Patienten sind zu lange unauffindbar gewesen. Natürlich müssen sie uns suchen. Uns zurückholen. Aber warum ausgerechnet jetzt? Konnten die blöden Wichser denn nicht wenigstens noch fünf Minuten warten? Bis dahin hätte Mister Shinoda mir garantiert schon seinen ureigenen Samen geschenkt. Millionen winzig kleine Kaulquappen der Leidenschaft. Zu gerne wollte ich spüren, wie er mich mit seiner unwiderstehlichen Geilheit streichelt. Wollte den erfrischenden Duft seiner triebgesteuerten Lebendigkeit wahrnehmen. Das hätte mir total gefallen. Es wäre ein krönender Abschuss gewesen. Der reichlich verdiente Schlusspfiff seines erotischen Höllenspiels. Ich hatte es bereits deutlich vor mir gesehen. Habe es flehend herbeigesehnt. Sein warmes Sperma, wie es sich in rhythmischen Intervallen auf meiner Haut verteilt. Druckvoll gegen mein nacktes Fleisch spritzt. Sich dabei für immer mit meiner eigenen Wichse mischt. Das hätte nicht nur eine symbolische Bedeutung gehabt. Vor lauter Glück wäre ich vielleicht sogar ohnmächtig geworden. Zweifellos hätte ich mich göttlich gesegnet gefühlt.

Aber natürlich passiert das nicht. Wäre ja auch zu schön gewesen. An diesem verfluchten Ort gibt es keine perfekten Geschichten. Keine Happy Endings. Hier endet alles in einer Katastrophe. Ausnahmslos. Anstatt ihn hemmungslos abspritzen zu sehen, kommen meine Finger an seinem prall gestauten Penis erzwungenermaßen zum Stillstand. Fühle mich plötzlich wie erstarrt. Als könnte ich mich nicht mehr bewegen. Nur mein Herz hämmert unverändert schnell in meiner Brust. Der arme Kerl auf meinem Schoß lehnt sich peinlich berührt gegen mich. Presst seinen vor Erregung zitternden Leib gegen meine Vorderseite. Hält sich verzweifelt an mir fest. Schmiegt sein Gesicht seitlich gegen meins. Mikey ist schrecklich beschämt. Es sieht so aus, als wollte er sich am liebsten bei mir verstecken. Was irgendwie schmeichelhaft ist. Und ganz schön süß. Sein weicher Bart kitzelt meine Wange. Krampfhaft schnappt er nach Luft. Sein Brustkorb bewegt sich in tiefen, ringenden Atemzügen. Bei jedem Einatmen pressen sich seine Rippen so stark gegen meine Brust, dass ich sein wild pochendes Herz spüren kann. Das berührt mich innerlich. „Shit...”, flucht er an meinem Ohr, leise, aber inbrünstig, „Fuck... Chaz! Verdammte Scheiße!” In Gedanken stimme ich ihm zu. Aber so was von. Ätzender geht es wirklich nicht. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen. Mike und mich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Damit uns diese niederschmetternde Peinlichkeit erspart bleibt. Der zu erwartende Ärger an uns vorbeigeht. Damit uns niemand jemals finden kann.

Wütend reiße ich meine Augen wieder auf. Wegen der plötzlich grellen Helligkeit hatte ich sie instinktiv geschlossen, um nicht zu erblinden. Ungeniert fährt das viel zu neugierige Licht über unsere nackten Leiber. Erforscht ausgiebig unsere intime Sitzposition auf der Bank und mitleidlos jeden Inch bloßer Haut. Das geht mir unglaublich auf den Sack. „Mann, mach das Licht aus!” drohe ich höllisch angepisst. Bewirkt aber nur, dass der helle Strahl abrupt zurück in mein Gesicht gelenkt wird. Die verfluchte Taschenlampe blendet mich aufs Neue. Gnadenlos. Fortwährend. Nervös keuchend starre ich angestrengt über Mikes Schulter. Zwei schemenhafte Gestalten stehen vor mir. Die schwarzen Schatten sind groß. Ziemlich furchteinflößend. Auf so einen Scheiß bin ich nicht im Geringsten vorbereitet. Habe keine Lust, mich bedroht zu fühlen. Die Dunkelheit ringsum und das helle Licht in meinen Augen machen es mir verdammt schwer, etwas richtig zu erkennen. Darüber hinaus habe ich meine Brille nicht auf. Was meine Welt sowieso enorm unscharf werden lässt. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass es zwei Männer sind, die wie aus heiterem Himmel vor unserer Parkbank stehen. Auch die zwei unterschiedlichen Stimmen sprechen dafür, dass das unerwartete Verhängnis gleich im Doppelpack über uns hereinbricht. Jeder der beiden Kerle hat eine eigene Taschenlampe in der Hand. Gehässig fördern sie damit alles zutage, was definitiv niemand sehen sollte. Außer Mike und mir.

„Was in Gottes Namen tust du denn da bloß?” keift Pfleger Ulli mich verständnislos an, „Denkst du allen Ernstes, so etwas ginge hier bei uns auch nur ungefähr in Ordnung, Bennington?” Zu gerne würde ich ihn fragen, was er mit so etwas meint. Scheint mir aber irgendwie unklug zu sein. Bevor mir eine passende und möglichst clevere Antwort einfällt, legt der andere Mann dem wahnsinnig aufgeregten Pfleger schon beschwichtigend seine Hand auf die Schulter. „Jetzt zieht euch bitte erst mal wieder an, Jungs”, fordert er die kriminell lasterhaften Patienten bemüht ruhig auf. Hinter seiner verärgerten Strenge glaube ich einen Hauch von Belustigung herauszuhören. Dieser Mann amüsiert sich heimlich über uns. Endlich erkenne ich die Stimme. Sie gehört dem sympathischen Kerl, der mir vor ein paar Tagen den genauen Weg zu dieser versteckten Bank im Park beschrieben hatte. Damals wollte er unbedingt, dass ich den Mitpatienten Shinoda hier treffe. Aber jetzt, wo wir uns tatsächlich an dem von ihm zugewiesenen Ort aufhalten, scheint es dem wankelmütigen Akademiker plötzlich gar nicht mehr recht zu sein. Außerdem hat der blöde Typ vorhin erst etwas von einem Psychiatrieaufenthalt von mehreren Monaten gefaselt. Mich damit fast zu Tode erschreckt. Sodass ich vollkommen meine Contenance verlor. Natürlich in Gegenwart von Mikes Familie. Seine Eltern und so. Bekloppte Psychologen.

„Ja, hallo?! Könntet ihr bitte mal langsam von der Bank aufstehen, ihr Zwei!?” verlangt Ulli herrisch, „Oder brauchen die Herren dafür erst noch eine Extraeinladung?” Zweifellos ist der alarmierte Mann jeglicher Fassung beraubt. Widerwillig knurre ich ihn an. „Könntet ihr euch bitte mal langsam verpissen?” kann ich mich nicht zurückhalten, die Störenfriede aufzufordern. „Pssst! Nein, Chester, nicht!” erschrickt der brave Mikey schockiert an meinem Ohr. Seine Hände streichen prompt beruhigend über meinen nackten Rücken. Sein schöner Körper ist völlig erstarrt. Verkrampft hockt er auf meinem Schoß und rührt sich nicht. „Wieso? Stimmt doch!” erwidere ich trotzig. Meine freie Hand liegt auf seinem knackigen Popo. Nervös fange ich damit an, seine linke Hinterbacke zu kneten. Was ihn sofort unruhig werden lässt. „Lass mich los, Chaz”, flüstert er unglücklich, „Ich muss mich anziehen.” Es gefällt mir nicht, sein Elend mitzuerleben. Kann es unmöglich akzeptieren, wenn es dem Besonderen nicht gut geht. Diesen gravierenden Missstand muss ich auf der Stelle korrigieren. Ich kann nicht umhin, ihm einen schnellen Kuss auf die flauschig bärtige Wange zu drücken. Der Süße tut mir leid. Ich weiß ganz genau, wie er sich jetzt fühlt. So kurz vor dem sexuellen Höhepunkt daran gehindert zu werden ist absolut verheerend. Es gibt wohl kaum etwas, das sich noch unangenehmer anfühlt. Oder quälender zu ertragen ist. Einen komplett aufgebauten Orgasmus nicht erleben zu dürfen ist ehrlich riesengroße Scheiße. Aber das mächtig aufgegeilte Knopfauge ist erstaunlich tapfer. Er hat sich bemerkenswert gut im Griff. Dafür bewundere ich ihn echt. Das soll ihm erst mal einer nachmachen.

„Lass mich bitte los, Chester!” wiederholt Mike flehend, als er merkt, dass ich meine Hand zwischen uns nicht wegnehmen will, „Komm schon, bitte!” „Ey, geht’s noch?!” regt der entgeisterte Pfleger sich auf, „Ihr hört jetzt augenblicklich auf zu knutschen, ist das klar?” Ich muss grinsen, weil sich das irgendwie ein bisschen neidisch angehört hat. So, als wollte er eigentlich auch gerne geküsst werden. Vielleicht hat er niemanden, der ihn küssen will, überlege ich spöttisch. „Knutschen ist hier unerwünscht, und das wisst ihr beiden sehr genau!” motzt Ulli verdrossen. Anscheinend meint er meinen flüchtigen Kuss auf Mikes Wange, der Spinner. „Chester, bitte”, raunt Shinoda ungeduldig, „Ich will mich anziehen.” Aber ich glaube ihm nicht. Verzweifeltes Knopfauge will sich gar nicht anziehen. Viel lieber möchte er jetzt kommen. Andere haben verlangt, dass er sich anziehen muss. Und Mike Shinoda ist ein folgsamer Patient. Unbehaglich fängt er damit an, kaum merklich auf meinen Beinen herumzurutschen. Doch ich will seinen wahnsinnig tollen Schwanz jetzt nicht loslassen. Schon aus Prinzip nicht. Will mir zum Verrecken nicht vorschreiben lassen, was ich tun muss. Ich bin noch nicht fertig mit ihm. Habe noch einen Wunsch frei. Außerdem fühlt Mister Halbjapaner sich viel zu fantastisch an. Sein steifes Glied pulsiert in meiner Hand. Seine Haut ist herrlich warm und samtig. Mikey ist so hinreißend gut gebaut, dass ich ihn unbedingt noch länger fühlen will. Ich will ihn zärtlicher anfassen. Möchte das hier dringend zu Ende bringen.

Anstatt ihn loszulassen, wie er es zweifelsfrei dringlich verlangt, schlinge ich meine Finger demonstrativ fester um sein pralles Fleisch. Bewege meine Hand ein wenig auf und ab. Versuche hartnäckig, ihn gezielt zu streicheln. Soweit ich das in der Enge unserer gegeneinander gepressten Körper überhaupt noch hinkriege. Mein Daumen fühlt einen zähen Tropfen Sperma auf seiner Spitze. Der mir augenblicklich einen behaglichen Schauder der Zufriedenheit durch den Körper jagt. Zu meiner Überraschung reicht meine verstohlene Berührung vollkommen aus, um den Schwarzhaarigen jäh in Panik zu versetzen. „Oh... nein...”, wimmert Mike ausgeliefert, die bebenden Lippen atemlos an meinem Ohr, „Chester... um Himmels Willen...” Mein Grinsen wird automatisch breiter. Mein Herzschlag beschleunigt sich von allein. Ich bin aufgeregt. Voller Tatendrang. Wenn es nach mir ginge, dann würde ich den scharfen Mann auf meinen Beinen jetzt erlösen. Ich würde es mit bedingungsloser Hingabe tun. Eine unendliche Galaxie aus sexuellen Genüssen möchte ich ihm zu Füßen legen. Milliarden hell funkelnder Sterne der Leidenschaft.

Aber leider sind da zwei wütende Kerle bei uns. Die absolut etwas dagegen haben. „So, das reicht jetzt, Leute!” bestimmt der Psychologe schroff und legt dem Patienten Shinoda derart energisch seine Hand auf die Schulter, dass der erschrocken zusammenzuckt. „Steh jetzt bitte auf, Mike!” bittet er den Verschreckten gewollt autoritär. „Lass ihn sofort los, Chester!” wendet er sich im nächsten Moment in einem Befehlston an mich, der unmissverständlich keinen Widerspruch duldet und mich ganz schön stark provoziert. „Chaz, bitte hör auf Doktor Doyle. Befolge bitte, was er verlangt”, rät Halbjapaner mir beschwörend. Flüstert es leise, aber verstörend eindringlich in mein Ohr hinein. „Später, okay?” verspricht er hoffnungsvoll, „Später, Chazy, ja?” Seine panisch wispernde Stimme ist ein betörender Hauch aus purer Geilheit. Den ich lockend in meinem ganzen Körper spüre. Seine prallen Lippen sind direkt an meinem Ohr. Kitzeln mich mit seinem angestrengten Atem. Sein hübsches Gesicht ist mir so nah, dass ich meine Wange gierig an seinen Bart schmiegen kann. Sein vertrauter Duft umschmeichelt meine Sinne. Ich will das nicht kampflos aufgeben, verdammt! Es ist zu schön, als dass ich freiwillig darauf verzichten könnte. Außerdem weiß ich doch genau, wie sehr Mikey sich nach dem Orgasmus sehnt. Später ist viel zu spät. Ich kann ihn unmöglich im Stich lassen. Das ist absolut undenkbar. Ein gestresstes Keuchen kommt aus meiner Kehle. Mache mich innerlich bereit für einen wie auch immer gearteten Kampf. Alle meine Muskeln spannen sich an. Bereit zuzuschlagen. Das passiert völlig automatisch. Auch wenn ich keine Ahnung habe, wie der Kampf konkret aussehen soll. Oder was ich jetzt überhaupt noch machen kann, um unsere verfahrene Situation zu verbessern. Ich weiß nicht, wie ich die verdammte Katastrophe hier noch retten kann. Meine Hilflosigkeit frustriert mich gigantisch. Ich habe das unbestimmte Gefühl, dem Mitpatienten etwas schuldig zu sein. Weil Mike Shinoda irgendwie bewirkt hat, dass ich mich so viel besser fühle. Gefühlt habe. Bis zu dem Augenblick, als die beiden Hampelmänner auftauchten. Seitdem geht es mir wieder scheiße. Zunehmend. Alles ist zusammengebrochen. Meine neuartige, innere Gelassenheit ist wie weggeblasen. Ich bin total verwirrt. Frustriert und wütend. In meinem Kopf läuft so einiges durcheinander. Fieberhaft versuche ich nachzudenken. Irgendeine richtige Wahl zu treffen.

Doch die Entscheidung wird mir von höherer Stelle abgenommen. Schon drei Sekunden später packt Pfleger Ulrich mich plötzlich grob am Arm. „Nun lass ihn schon los, Bennington!” faucht er ungeduldig, „Müssen wir euch wirklich gewaltsam trennen? Willst du das etwa?” „Ach kommt, Jungs! Reißt euch bitte mal zusammen. Das kann doch jetzt nicht euer Ernst sein”, gibt der andere auch noch seinen komplett überflüssigen Kommentar dazu ab. Mike richtet sich sofort auf. Abrupt beendet er den tröstlichen Hautkontakt unserer Gesichter. Verzweifelt sieht er mich an. Seine wunderschönen Mandelaugen leuchten traurig in der Dunkelheit. Sie funkeln irre beschwörend. Vielsagend. Bedeutungsvoll. Ich wünschte, ich könnte ihn klarer sehen. Dann wüsste ich vielleicht, was er mir damit sagen will. Oder die anderen Kerle. Ich glaube zu erkennen, dass alle drei Personen mich eindringlich fixieren. Unmissverständlich auffordernd. Es sieht so aus, als wäre ich jetzt an der Reihe. Schätze mal, ich habe endgültig verloren. Einfach keine andere Wahl mehr. Zumal der Pfleger immer heftiger an meinem Arm zehrt, mit dessen Hand ich Mikes Penis festhalte. Das macht mich total wütend. „Lass mich los, Ulli!” fauche ich drohend in seine Richtung. Aber der Typ rührt sich nicht. Sein Blick richtet sich fragend auf den anderen Mann. Der Psychologe nickt. Also lässt Ulli mich los. Damit sind die Prioritäten wohl geklärt. Doktor Doyle hat demnach das Sagen. Das ist derart lächerlich, dass ich eigentlich laut lachen möchte. Blöderweise ist mir aber gerade nicht danach zumute. Das Lachen ist mir unbemerkt abhanden gekommen. Da ist nur noch Wut in mir übrig. Es tötet mich, dass ich Mikey verlassen muss. Dass ich ihn loslassen muss. Aufgeben muss. Ohne mein Ziel erreicht zu haben. Mitten in unserem seltsam erotisch-brutalen Spiel fällt mitleidlos die Guillotine. Schneidet jäh mein verwundetes Herz entzwei. Meine Kehle schnürt sich zu. Neue, heiße Tränen steigen mir in die Augen. Die ich längst überwunden glaubte. Ärgerlich will ich sie wegschlucken. Klappt aber nicht richtig. Widerstrebend löse ich meine merkwürdig verkrampften Finger von dem fantastischsten Schwanz der Welt. Ziehe meine Hand zögerlich zwischen unseren Leibern hervor. Die beiden Taschenlampen sehen akribisch dabei zu. Kaum ist meine Hand frei, wird das viel zu grelle Licht wieder auf mein Gesicht gerichtet. Ich hasse das. Aber total.

Mike rutscht auf meinen Beinen ein Stückchen zurück. In wilder Hast knöpft er sich die Jeans zu. Es fällt ihm schwer, obwohl seine mächtige Erektion die vernichtenden Umstände wohl kaum schadlos überstehen wird. Genaugenommen hat sie schon in meiner Hand spürbar ihre Standfestigkeit verloren. Von dem Moment an, als das Unheil in Gestalt der Autoritäten auftauchte, hat sein Schwanz sich vor Schreck zurückgezogen. Als seine Hose sittsam geschlossen ist, klettert der Halbjapaner verlegen von mir herunter. Dringend möchte ich ihn festhalten. Mikey unbedingt noch länger auf meinem Schoß sitzen haben. Ich will nicht, dass er unser verrücktes Spiel beendet. Nicht auf diese Weise. Das war nämlich etwas Besonderes. Das ich noch nicht vollständig kapiert habe. Es hat mir verwirrend gutgetan, mit dem Stachelkopf darüber zu sprechen, was mit mir los war. Das war nicht nur blödes Gelaber. Meine von ihm über Umwege herausgepresste Ehrlichkeit hatte eine erstaunlich positive Wirkung auf mich. Der junge Mann aus Agoura Hills ist unbestreitbar magisch. Mike hat mich nicht angelogen. Als er mir versprach, dass es mir danach besser gehen würde, war das die reine Wahrheit. Ich kann diesem Menschen vertrauen. Dieses Gefühl ist so neu, dass ich es kaum begreifen kann. Alles in mir will ihn zurückhalten. Aber ich kann mich nicht rühren. Vollkommen bewegungslos, bleibe ich allein auf der Bank sitzen.

Der komische Psychologe hilft dem Patienten beim Aufstehen. Sein Name ist Doktor Doyle. Er stützt seinen Schützling. Hat ihn wahrhaftig fürsorglich am Arm gepackt. Offenbar hat er gemerkt, dass Mike ein bisschen wackelig auf den Beinen ist. Was bei seiner nervösen Verfassung nicht wundert. Schließlich hatte der Süße um ein Haar einen scheiß Orgasmus, verdammt! Von diesem körperlichen Ausnahmezustand kann er sich gar nicht von jetzt auf gleich erholen. Es braucht seine Zeit, bis er von seinem sexuellen Höhenflug wieder runterkommt. Ich weiß das. Nur schert es hier offensichtlich niemanden. Als der halbe Japaner auf sichtbar unsicheren Füßen vor der Bank steht, fragt der Kerl ihn besorgt: „Alles okay, Mike?” Was für ein Hohn!, denke ich fassungslos und blase entrüstet Luft aus, wie kann der blöde Typ nur eine derart unsensible Frage stellen, wo er es doch war, der alles kaputt gemacht hat?! „Gerade nicht so sehr”, murmelt der Stachelige beschämt in seinen Bart. Scheu sieht er zu Boden. Ohne Frage ist es Mikey mega peinlich, dass wir so mitten drin im Sex von Ulli und Doyle erwischt worden sind. Am liebsten würde der Schwarzhaarige sich wohl augenblicklich in Luft auflösen. Ohne Frage fühlt der Gute sich astronomisch unwohl. So ratlos vor der Bank stehend, wirkt er rührend verloren. Sein deprimierter Anblick bricht mir das Herz. Sofort möchte ich aufspringen. Meinen besonderen Mitpatienten beschützend in den Arm nehmen. Seine Traurigkeit wegstreicheln. Ihn leidenschaftlich auf seine tollen Lippen küssen. Spontan einen guten Witz machen. Über den er herzhaft lachen kann. Ich würde alles dafür geben, den Stacheligen jetzt lachen zu sehen.

Aber mein Pfleger erinnert mich in seiner unnachahmlichen Art daran, dass die angenehm beruhigende Zeit der zärtlichen Umarmungen und lustigen Späße endgültig vorbei ist. Mit nur einem Satz steht er unmittelbar vor mir. Sodass ich mich anstrengen muss, um nicht schockiert zusammenzuzucken. Oder aus lauter Nervosität ängstlich vor ihm zurückzuweichen. „Gott, Chester, zieh dir endlich deine Hosen hoch!” fährt er mich fassungslos an, „Das kann doch nicht wahr sein, hör mal! Worauf wartest du denn noch? Soll ich das für dich machen, oder was?” In einer unfreundlichen Mischung aus Ekel und Spott verzieht Ulrich das Gesicht. Richtet seine Taschenlampe ziemlich pietätlos genau auf meinen Schwanz. Irritiert blicke ich an mir herunter. Mir war gerade gar nicht bewusst, dass meine Jeans und der Slip unten an meinen Knöcheln hängen. Irgendwie hatte ich mich unterdessen daran gewöhnt, mit nacktem Arsch auf der Holzbank zu sitzen. Der warme, kalifornische Wind fühlt sich auf der bloßen Haut überraschend gut an. Fast so gut, wie manchmal der heiße Wüstenwind in Arizona. Aber Ulli gönnt mir das natürlich nicht. Der verdammte Penner gönnt mir ja gar nichts. „Sag mal, ist das da etwa Sperma auf deinem Bauch?” stellt er zwischen höhnischem Grinsen und kaum verhüllter Verachtung fest. Während er seine Taschenlampe indiskret prüfend über meinen Unterleib lenkt. „Nach was sieht das denn für dich aus, Ulli?” erwidere ich gepresst. Weil seine Frage so dermaßen bescheuert ist, dass ich eigentlich laut schreien möchte. Ich reagiere nur gespielt gelangweilt. Das mit der Wichse ist mir jetzt doch ein bisschen peinlich. Außerdem muss ich mich irre anstrengen, um möglichst ruhig zu bleiben. Weil tief in mir drin mein großer Zorn anfängt zu brodeln, gegen den ich verbissen ankämpfe. Wütend zu werden bringt jetzt auch nichts mehr, versuche ich mir gestresst einzureden. Aggressive Aktionen würden mir mit Sicherheit nur noch größeren Ärger einbringen.

Träge beuge ich mich herunter. Greife meine Jeans und die Unterhose am Bund. Ziehe den engen Stoff unbeholfen meine langen Beine hinauf. „Was in Gottes Namen habt ihr beiden denn hier veranstaltet, Shinoda und du? Habt ihr etwa gedacht, das merkt keiner? Seid ihr denn vollkommen verrückt geworden?” geht Ulli mir unglaublich auf die Nerven. Ich erwidere nichts, weil mir das einfach zu blöd ist. Angestrengt mühe ich mich mit dem lästigen Anziehen meiner Kleidung ab. Hasse es, dass der Mann mir dabei kontrollierend zusieht. Ich hasse es, dass ich kein Taschentuch habe, um mich abzuwischen. Hasse die scheiß helle Taschenlampe. Die ein Verstecken der peinlichen Beweise meiner Lust unmöglich macht. Fühle mich schmutzig und klebrig. Hoffe inständig, dass der Kerl die Klappe hält. Noch besser endlich abhaut. Aber mein Pfleger gibt nicht auf. Ulli nimmt seinen Job beschissen ernst. Er wird mich auf keinen Fall in Ruhe lassen. Überdies ist er total neugierig, der blöde Sack. „Weißt du, wie du aussiehst, Chester?” fragt er unheilvoll und wartet meine Antwort gar nicht erst ab. „Als wärst du hemmungslos in Tränen ausgebrochen, weil dir einer abgegangen ist”, dringt seine penetrante Stimme an mein Ohr, „Gleich erzählst du mir sicher noch, du hättest unabsichtlich ejakuliert.” Voller Hohn bläst Ulrich Luft aus. Der Pfleger ist wirklich außer sich. Die ganze Zeit bewegt er sich zwischen Fassungslosigkeit, Spott und Wut. Nichts davon gefällt mir. „Ich erzähle dir gar nichts”, stelle ich gleich mal energisch klar. Zum Glück kommentiert er das nicht. Es pisst mich herbe an, dass er meine Tränen bemerkt hat. War aber wohl nicht zu vermeiden. Das macht mich schwach vor ihm. Lässt mich wie ein heulendes Weichei dastehen. So etwas macht mich ehrlich wütend. Mein Herz hämmert unverändert schnell hinter meinen Rippen. Aufgebracht ringe ich nach Luft, als ich meinen Hintern kurz von der Bank hebe und umständlich die Hosen heraufzerre. Während ich mit nervös zitternden Fingern ungeschickt die Jeans schließe, wandert mein Blick hektisch durch die Gegend. Auf der instinktiven Suche nach Mike. Ich will ihn in meiner Nähe haben. Muss seine beruhigende Aura spüren. Aber der Besondere ist weggegangen. Mit seinem Psychologen steht er ein Stückchen abseits der Bank. Der studierte Mann redet leise auf ihn ein. Hat ihm wahrhaftig beschützend den Arm um die Schultern gelegt. Arzt und Patient sprechen irritierend vertraulich miteinander. Ein quälender Stich aus Irgendwas pikt in meine Seele. Vielleicht ist es Wut. Oder Eifersucht. Oder Neid. Keine Ahnung. Ich will nicht, dass Mike so weit weg steht. Er soll sofort zu mir zurückkommen. Ich brauche diesen Kerl. Dringend. Drohe in die Dunkelheit zu stürzen, wenn er nicht bei mir ist. Ich will mich unbedingt an ihm festhalten können.

„Was ist los, Chester? Hat es dir die Sprache verschlagen?” will Ulli spöttisch wissen. „Was passiert denn jetzt?” fahre ich ihn ungeduldig an. Was mir im nächsten Moment schon leidtut. Ich wollte ja nicht aggressiv werden. Aber ich habe mich nicht gut im Griff. Weil das eine Frage ist, die mich zunehmend beschäftigt. Und enorm beunruhigt. Ich will nicht, dass Mikey wegen mir Stress kriegt. Mir ist bewusst, dass ich allein der Grund bin, warum der artige Halbjapaner verbotenerweise zu lange hier draußen im Park geblieben ist. So etwas hat er vorher nie gemacht. Garantiert hat Mister Shinoda noch nie Ärger verursacht. Oder die wichtigen Hausregeln der Psychiatrie missachtet. Wie gewöhnlich ist alles meine Schuld. Dieser Umstand belastet mich. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. „Ja, was glaubst du denn, was jetzt passiert, Chester Bennington? Was würdest du an meiner Stelle tun? Wie würdest du auf so etwas wie das hier reagieren?” fordert Ulli mich ärgerlich heraus. Seine blauen Augen funkeln anklagend in der Dunkelheit. Der Typ taxiert mich. Als hätte ich ein unverzeihliches Staatsverbrechen begangen. Genervt weiche ich seinem verurteilenden Blick aus. Ich habe keine Lust auf sein blödes Spielchen. „Hey, das ist dein Problem, Ulli. Du bist der Pfleger. Ich bin nur der Patient”, wehre ich ihn widerspenstig ab. Meine Augen finden wie ferngelenkt zurück zu Mike. Er steht noch immer viel zu nah bei seinem Psychologen. Ich möchte unbedingt wissen, was die beiden so vertraut miteinander zu bereden haben. Argwöhnisch frage ich mich, ob sie vielleicht über mich sprechen. Ob Mike womöglich dem fremden Doktor erzählt, warum ich meine Dreads abgeschnitten habe. Warum ich dringend wollte, dass Mike mir einen runterholt. Ob er ihm unser geheimes Sexspiel erklärt. Aber obwohl ich angestrengt lausche, kann ich ihre Worte nicht verstehen. Es nervt mich, dass die miteinander flüstern. Als gäbe es hier ein Riesengeheimnis. Von dem ich mich frustrierend ausgeschlossen fühle.

„Ja, klar, du machst es dir natürlich wieder ganz einfach”, stellt mein Pfleger enttäuscht fest, „Du baust eine Scheiße nach der anderen und ich kann sehen, wie ich mit dir fertig werde, nicht wahr?” Mein Blick fliegt zurück zu ihm. „Du hättest ja auch einfach nicht herkommen können!” kann ich mich nicht bremsen, ihm vorwurfsvoll an den Kopf zu knallen. In spöttischer Verzweiflung hebt Ulli die Hände. Bläst theatralisch Luft aus. Demonstrativ schaut mein Pfleger zum Himmel hinauf.  Als könnte ihm vielleicht da oben jemand helfen. Wahrscheinlich wünscht Ulrich sich flehend einen Blitz. Der mich augenblicklich trifft. Damit er endlich von mir befreit wird. Automatisch gucke ich auch nach oben. Das mit dem Blitz wäre gar nicht so schlecht, kommt mir ein verstörender Gedanke. Plötzlich sehne ich mich danach, dass so ein tödlicher Stromschlag mich blitzartig erlöst. Ich würde es sogar in Kauf nehmen, dass ich dabei unansehnlich angekokelt werde. Aber das passiert natürlich nicht. Wie auch. Wäre ja viel zu einfach. Der weite, kalifornische Himmel über uns ist lediglich schwarz. Es gibt nur den Mond. Zunehmender Halbmond. Unzählige Sterne. Überall verteilt im All. Blitze sind wohl gerade ausverkauft. Auf einmal möchte ich dringend zurück nach Arizona. Ich vermisse den heißen Wüstenwind. Millionen Arten von Kakteen. Rasselnde Klapperschlangen. Wilde Stinktiere und Eidechsen. Die im Dunkeln über unsere trockenen Straßen huschen.

„Habe ich dich eben richtig verstanden, Chester? Du schlägst also ernsthaft vor, dass ich das hier einfach vergessen soll?” vergewissert Ulrich sich ungläubig bei mir. Nur mühsam reiße ich mich vom Anblick des Mondes los. Der irgendwie beruhigend ist. In ein paar Tagen wird Vollmond sein. Ich wünschte, ich dürfte mir den Vollmond von Phoenix aus angucken. Oben auf dem Camelback Mountain. „Ja genau”, stimme ich Ulli entschieden zu, „Weil das hier nämlich gar nichts ist. Zwischen Mike und mir ist nichts passiert, worüber du dich derart aufregen musst.” Ulli stößt ein freudloses Lachen aus. Der Kerl sieht mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. „Chester, das kann unmöglich dein Ernst sein. Ihr sitzt hier beide halbnackt auf der Bank und befummelt euch gegenseitig. Dabei wisst ihr sehr genau, dass Sex zwischen den Patienten nicht erlaubt ist. Das habe ich dir schon einmal erklärt, Freundchen. Sexualität lenkt dich lediglich von deiner lebenswichtigen Therapie ab”, hält er mir verständnislos vor. „Außerdem habt ihr das Abendessen versäumt”, setzt er gestresst hinzu. „Na und?” rutscht mir unüberlegt heraus, „Ist doch scheißegal.” Mein Herz schlägt einen zornigen Takt. Definitiv bin ich nicht sein Freundchen. Meine Geduld ist fast verbraucht. Ich möchte nur noch aufstehen und ihm kräftig eine reinhauen. Es wird zunehmend schwieriger, mich davon abzuhalten. Möglicherweise merkt Ulli mir das an. Er schließt für einen Moment die Augen. Atmet ein paarmal tief durch, um sich zu beruhigen. Dann sieht er mich wieder an. „Darüber wirst du mit Professor Paulsen reden müssen, Chester. Du solltest ihm sehr aufmerksam zuhören. Vielleicht kann er dir ja begreiflich machen, wie der Hase hier läuft”, erklärt er merkwürdig resigniert. Prompt liegt mir eine spöttische Bemerkung auf der Zunge. Über fruchtbare Hasen und ihre pausenlose Bereitschaft zu Kopulieren.

Aber als ich gerade den Mund aufmachen will, drehen der Psychologe und Mike, die ich genau im Blickfeld habe, sich plötzlich zu mir um. Sehen mich an. Kommen beide auf mich zu. Erwartungsfroh klappt mein Maul wieder zu. „Sag mal, Chester, weißt du vielleicht, wo Mike sein T-Shirt hingeworfen hat?” will der Psychologe lächelnd von mir wissen. Der süße Halbjapaner wirft mir einen peinlich berührten Blick zu. Der junge Mann ist derart niedlich, dass ich ihn auf der Stelle küssen möchte. „Nö”, behaupte ich achselzuckend. Glaube mich zu erinnern, dass Mikey sein Shirt weit hinter die Bank gepfeffert hat. Die Erinnerung daran, mit wie viel überraschender Leidenschaft das Knopfauge sich für mich ausgezogen hat, verursacht mir ein angenehmes Kribbeln zwischen den Beinen. Unwillkürlich seufze ich und setze mich anders hin. Doktor Doyle lässt seine Taschenlampe suchend durch die Umgebung wandern. Auch der Schwarzhaarige blickt sich aufmerksam um. Ich hoffe, sie finden das T-Shirt nicht. Shinoda soll für immer und ewig mit freiem Oberkörper herumlaufen. Damit ich pausenlos seine wunderschöne, kräftig behaarte Brust ansehen kann.

„Apropos T-Shirt”, fällt Ulli ein, „Zieh dich bitte unverzüglich an, Bennington. Wir gehen jetzt alle gemeinsam zu Professor Paulsen.” Mike stößt ein schockiertes Ächzen aus. Starrt den Pfleger entsetzt an. Offenbar gefällt ihm diese Ankündigung nicht. Zweifellos verspürt Shinoda so gar kein Verlangen nach einem Gespräch mit dem diensthabenden Oberarzt der Psychiatrie. Ullis Information scheint ihn ziemlich aus der Fassung zu bringen. Doch sein Psychologe ist sofort diensteifrig zur Stelle. Nochmal legt er ihm beschwichtigend den Arm um die jäh eingesunkenen Schultern. Redet leise auf ihn ein. Was mich ehrlich ankotzt. Ich möchte dem Arzt seinen scheiß Arm abhacken. Damit er endlich damit aufhört, den Besonderen ständig auf diese vertrauliche Art anzufassen. Die Dringlichkeit meines impulsiven Verlangens verwirrt mich. Mike hat irgendwas mit mir gemacht. Meine besitzergreifenden Gefühle für den Halbjapaner sind unnatürlich heftig geworden. Ich weiß gar nicht, was mit mir passiert ist. Nachdenklich nehme ich mein T-Shirt. Das zusammengeknüllt neben mir auf der Bank liegt. Ziehe es umständlich über den Kopf an. Danach wische ich mir fahrig mit den Fingern über die rotzige Nase und die nassen, dick geschwollenen Augen.

19. Taking you out of my blood to bring me peace


Michael Kenji Shinoda

Wir sind zu weit weg von der Bank. Auf der ich Chester zurücklassen musste. Mindestens 4 Yards trennen mich von ihm. Wir stehen in der Nähe der Bäume in der Dunkelheit. Irgendwo zwischen den Sträuchern. Wo mein Psychologe mich mit unnachgiebiger Gewalt hingelenkt hat. Es ärgert mich, wie dringend Brad räumlichen Abstand zwischen Chester und mich bringen wollte. Wie wichtig es ihm war, uns unverzüglich zu trennen. Obwohl ich das nicht wollte, hatte ich keine Chance, mich der autoritären Willkür zu widersetzen. Doyle sitzt nun mal am längeren Hebel. Daran gibt’s nix zu rütteln. Darum stehe ich jetzt hier. Allein mit dem Doktor. Nur seine verhasste Taschenlampe spendet Licht. Momentan hält er sie nach unten. Auf die Wiese gerichtet. Sein Arm liegt schwer auf meinen nackten Schultern. Vertraulich lehnt er sich an mich. Redet beschwörend auf mich ein. Seine Stimme säuselt wie Gift in meinen Adern. „Als ich dir geraten habe, dass du deinem Herzen folgen sollst, da habe ich nicht gemeint, dass du nichts anderes mehr tun sollst, als deinem Herzen zu folgen. Verstehst du, was ich dir damit sagen will, Mike?” Nein, ich kapiere gar nichts. Nicke aber artig. Brads Tonfall ist sanft. Aber ungewöhnlich eindringlich. Er redet betont artikuliert. Der studierte Mann will unbedingt, dass ich ihm aufmerksam zuhöre. Er will von mir verstanden werden. Ich hätte nie gedacht, dass mein Psychologe derart unsensibel sein kann. Dass er so wenig empathisch ist. Oder dass ich einmal in diesem Ausmaß wütend auf Doktor Doyle sein könnte. Ich habe nicht geahnt, dass ausgerechnet er es sein würde, der den peinlichsten Moment meines Lebens heraufbeschwört. Sein indiskretes Handeln auch noch vollkommen in Ordnung findet. Seiner Meinung nach ist sein grobes Einschreiten auf ganzer Linie gerechtfertigt. Das kann ich ihm ansehen. Meine Enttäuschung über den Mann sprengt alle Grenzen.

Es ist ihm wahrhaftig egal, dass ich momentan niemandem aufmerksam zuhören kann. Keine wie auch immer verlangten Antworten geben kann. Dazu bin ich schlicht nicht fähig. Befinde mich in einem nagelneuen Ausnahmezustand. Ich brauche Zeit, um mich zu beruhigen. Muss erst mal von diesem irren Trip mit Chester herunterkommen. Mich auf diese vollkommen gegensätzliche Situation einstellen. Warum merkt Brad das nicht? Es ist doch sein Job, Menschen richtig einzuschätzen. Warum lässt er mich denn nicht wenigstens ein paar Minuten in Ruhe? Aber nein, Doktor Doyle quatscht unermüdlich auf mich ein. Registriert nicht mal, dass ich nahe daran bin durchzudrehen. Oder ignoriert er das nur? Mein Schädel ist ein einziges, höllisch aufgegeiltes Chaos. Bin krampfhaft damit beschäftigt, mich zusammenzureißen. Meinen heißgelaufenen Körper wieder herunterzufahren. Meine aufgebrachte Seele zu beschwichtigen. Das erfordert meine ganze Kraft. Verlangt fast übermenschliche Konzentration. Irgendwie die Contenance zu bewahren, ist gegenwärtig meine oberste Priorität. Obwohl es unerwartet schwierig ist, nicht vollends auszurasten, bleibe ich zumindest oberflächlich ruhig. Viel lieber möchte ich sehr laut schreien. Will dem rücksichtslosen Kerl lautstark begreiflich machen, was er angerichtet hat. In was für ein göttliches Wunder er niveaulos wie ein Berserker hineingeplatzt ist. Würde mich dabei betont artikuliert ausdrücken. Damit er mich auch ja versteht. Aber Doyle hat keine Ahnung, dass er den schönsten Sieg, den ich je errungen habe, in ein peinliches Desaster verwandelt hat. Er weiß nicht mal, was Chesters tränennasse Augen für eine bahnbrechende Bedeutung haben. Auch Pfleger Ulli hat nicht den geringsten Durchblick, was mit seinem depressiven Schützling geschehen ist. Wie bewundernswert vertrauensvoll und mutig Chester war. Als er mir nach unserem langem Kampf endlich die Wahrheit sagte.

Im Hintergrund höre ich den ahnungslosen Pfleger mit seinem Mündel sprechen. Obzwar ich den genauen Wortlaut akustisch nicht verstehen kann, hört es sich nicht nett an, was Ulrich zu dem Sänger sagt. Da klingt so ungerecht viel Spott und Verachtung in Ullis Stimme mit. Es verlangt mich enorm, meinen Mann vor dieser fiesen Behandlung zu beschützen. Überhaupt sehne ich mich wie verrückt nach Chazy Chaz. Kann es kaum hinnehmen, auf diese grausame Art von ihm getrennt worden zu sein. Noch vor zwei Minuten stand ich haarscharf vor einem alles erlösenden Orgasmus. Chester hatte meinen steinharten Schwanz in seinen geschickten Fingern. Streichelte mich auf seine ureigene Art. Die mich zuverlässig sämtlicher Sinne beraubt. Da war nur noch meine Geilheit übrig. Die ganze Welt war ein einziger Rausch aus fantastischen Gefühlen. Chesters liebevolle Aura hüllte mich ein. Seine Zärtlichkeit war alles, was noch zählte. Ich wollte mehr davon. Die Welt war absolut perfekt. Bis zu dem schrecklichen Augenblick, als das unerwartete Aufflammen der hellen Taschenlampen von Brad Doyle und Ulrich Miller sämtliches Glück mit einem Hammerschlag zerstörte. Jetzt ist es zu spät, um noch irgendwas verbergen oder gar abstreiten zu wollen. Das Personal der Psychiatrie hat uns auf frischer Tat ertappt. Chester Bennington und Mike Shinoda sind in flagranti beim streng verbotenen Sex auf der Parkbank erwischt worden. Die Konsequenzen sind noch nicht absehbar.

Zur Zeit habe ich sowieso andere Probleme. Mit meiner brutal abgebrochenen, sexuellen Erregung stehe ich selten dumm da. Meine geschockte Erektion ist immer noch damit beschäftigt, sich beleidigt zu verabschieden. Das passiert nur zögerlich. Beinahe widerwillig. Mein unzufriedener Penis vermittelt mir ein unangenehm ziehendes Gefühl, das ich nicht kenne. Meine Hoden fühlen sich so prall an wie noch nie. Die beiden Eier pochen höllisch unbefriedigt. Als würden sie jeden Moment wütend aus ihrem Sack herausspringen. Das ist kaum auszuhalten. Ich muss mich anstrengen, um mir nicht gequält stöhnend beide Hände in den Schritt zu pressen. Aber das würde fraglos ziemlich dämlich aussehen. Es würde meine ohnehin vernichtend beschämende Lage nur noch armseliger machen. Darum tue ich es nicht. Versuche an etwas anderes zu denken. Mein Blick liegt nervös in der Dunkelheit. Die Sträucher und Bäume sind unbemerkt schwarze Schatten geworden. Mit Einbruch der Dämmerung haben die Vögel aufgehört zu singen. Nur die kalifornischen Grillen zirpen. Die Ruhe des Parks ist unheilvoll. Ich wünsche mir sehnlichst eine dunkle Ecke für mich allein. In der ich mich in aller Ruhe regenerieren kann. Oder noch lieber einfach kommen darf. Es endlich hinter mich bringen. Den sexuellen Druck loswerden, der unerreicht drastisch auf mir lastet. So kurz vor dem Höhepunkt gewaltsam daran gehindert zu werden ist eine neue Erfahrung für mich. Die ich auf keinen Fall wiederholen möchte. Vermutlich gibt es kaum etwas, das noch schwieriger zu ertragen ist. Oder was sich ätzender anfühlt. Ich weiß es nicht. Mir reicht's jedenfalls auf ganzer Linie.

„Chester kann nicht die Lösung deiner Probleme sein, Mike. Du darfst dich nicht hinter einem fremden Leben verstecken. Es wird Zeit, dass du endlich hervorkommst und dir Gedanken über dich selbst machst. Kannst du mir folgen? Verstehst du das, Mike?” will Brad Doyle wissen, das Gesicht unverändert nah an meinem Gehörgang, „Begreifst du, wie falsch der Weg ist, den du eingeschlagen hast?” Scheinbar wird der Doktor langsam ungeduldig. Jedenfalls hört er sich so an. Irgendwas an seinen Worten oder dem Tonfall seiner Stimme schreckt mich auf. Dringt unerwartet zu mir durch. Sorgt dafür, dass mir bewusst wird, dass der Mann tatsächlich die ganze Zeit geredet hat. Nur habe ich ihm nicht zugehört. Weil ich anderweitig beschäftigt bin. Es fällt mir ungeahnt schwer, mit dieser verhassten Situation zurechtzukommen. Meine Gedanken sind ganz woanders. Sie wollen hartnäckig bei Chester bleiben. Bei dem Wundervollen, das wir an diesem denkwürdigen Abend gemeinsam erreicht haben. Die befreienden Tränen aus seinen tiefgründigen Augen. Ich spüre noch immer seine raffinierte Zunge in meinem Mund. Seine warme Hand an meinem gierig zuckenden Schwanz. Ich habe den frischen Geruch seines Spermas in der Nase. Das an meinem freien Oberkörper klebt. Himmel!

Der aufdringliche Psychologe ist mir entschieden zu nah. Seine muskulöse Gestalt in der legeren Kleidung lehnt sich seitlich gegen mich. Sein Arm liegt wie Beton auf meinen Schultern. Weil ich kein T-Shirt anhabe, nehme ich den Kerl viel deutlicher wahr, als mir lieb ist. Ich ertrage Brads unangebrachte Anhänglichkeit nicht. Seine übertriebene Vertraulichkeit ist mir suspekt. Weiß aber nicht, wie ich mich dagegen wehren soll. Will den Bediensteten der Psychiatrie nicht noch mehr verärgern, indem ich mich unkooperativ zeige. Doktor Doyle ist ohnehin schon mächtig sauer auf mich. Leider ist er es, der die wichtigen Beurteilungen über mich schreibt. Das habe ich erst in den letzten Tagen kapiert. Von meinem Psychologen hängt es ab, ob und wann ich hier wieder raus darf. Obwohl ich ohne Chester sowieso nicht gehen will. Na ja. Momentan sieht es diesbezüglich ohnedies nicht gut aus. Mir ist klar, dass Chester und ich gerade ganz schön tief in der Scheiße stecken. Also gebe ich mir noch mehr Mühe. Zwinge mich vehement zur Konzentration. Will dem Kerl ehrlich zuhören. Aber es scheint unmöglich, seinen beschwörenden Worten zu lauschen. Mein heißes Blut rauscht aufgebracht in meinen Ohren. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Will sich einfach nicht beruhigen. Das Atmen ist ein ständiges Ringen um Sauerstoff. Mein Körper zittert noch unter den Auswirkungen des fürchterlichen Schocks, den ich wie aus heiterem Himmel verpasst bekam, als plötzlich aus der schützenden Dunkelheit heraus das grelle Licht anging. Wenn ich irgendwann einmal eine Rangliste über die peinlichsten Momente meines Lebens aufstelle, dann wird dieser garantiert ganz oben landen. Aktuell belegt er jedenfalls mit Abstand den ersten Platz. Es frustriert mich, dass ich so ungünstig lange brauche, um mich davon einigermaßen zu erholen.

„Was meinst du dazu, Mike? Bitte rede doch mit mir! Kannst du das denn wenigstens einsehen, was ich dir erklärt habe?” säuselt Brad mir bedeutsam ins Ohr. Vor Unbehagen stellen sich die Härchen in meinem Nacken auf. Weil der Typ mir so dicht auf der Pelle hängt, dass ich mich anstrengen muss, um ihn nicht wütend von mir wegzustoßen. Der unbarmherzige Doktor hat mich eiskalt von Chester getrennt. Mich schätzungsweise 4 Yards von dem Sänger weg dirigiert. Uns bewusst so platziert, dass ich mit dem Rücken zur Bank stehe. Mit seinem Arm auf meinen Schultern und seinem ganzen Körper sorgt er dafür, dass ich mich nicht umdrehen kann. Die Absicht dahinter ist offensichtlich. Ich soll Chester nicht ansehen. Soll mich ausschließlich auf mich selbst konzentrieren. Ja, ja, immer die gleiche Leier! Seit dem ersten Tag meines Aufenthalts hier haben sie mir das pausenlos eingetrichtert. Konzentriere dich auf dich selbst, Mike! Du bist der Hauptdarsteller deines Lebens! Nur du allein kannst dafür sorgen, dass es dir gut geht! Du musst dich um dich selbst kümmern! Niemand anderes kann das für dich tun! Langsam wird es langweilig. Doyle hat keinen Plan davon, wie undenkbar das ist. In jeder Hinsicht unmöglich. Es wurde in dem Moment nicht mehr durchführbar, als Chester in mein Leben trat. Ich mache mir Sorgen um Chaz. Fürchte seine unbeherrschten Aggressionen. Chesters ungestüme Wut könnte womöglich alles noch schlimmer machen. Ein Teil von mir wartet angespannt darauf, dass der labile Sänger jeden Moment anfängt zu toben. Lausche auf seine zornigen Schreie. Chazy Chaz hat allen Grund dazu, um mega angepisst zu sein. Aber ich höre nichts. Offenbar hat der Tätowierte sich noch genügend im Griff. Um nicht unangemessen laut zu werden. Das beruhigt mich jedoch kaum. Weil ich inzwischen weiß, dass sich das jederzeit plötzlich ändern kann. Manchmal ist der impulsive Patient Bennington unberechenbar.

„Hör mal, was soll das denn bedeuten? Warum antwortest du nicht? Redest du nicht mehr mit mir? Bist du etwa beleidigt? Sei doch um Himmels Willen nicht so stur und kindisch, Mike! Sprich bitte mit mir, Mister Shinoda!” Brads gleichbleibend ruhige Stimme hat einen deutlich schärferen Tonfall angenommen. Das fällt mir sofort auf. Seine gut geschulte Geduld nähert sich unüberhörbar ihrem Ende. Seine dunklen Augen durchbohren mich. Auf der flehenden Suche nach Antworten. Die ich ihm nicht geben will. Tatsächlich bin ich wütender auf meinen Psychologen, als ich jemals war. Bin nicht mal sicher, ob ich ihm je wieder vertrauen kann. Er lenkt den viel zu hellen Strahl seiner Taschenlampe von unten in mein Gesicht. Will wohl überprüfen, ob ich überhaupt noch wach bin. „Mir ist kalt, Brad. Ich möchte mich jetzt gerne anziehen”, bitte ich ihn so ruhig wie möglich. Lüge ihn nicht an. Versuche ein entschuldigendes Lächeln. Das mir überraschend gut gelingt. Langsam bekomme ich meinen maßlos schockierten Körper wieder unter Kontrolle. Meine horrende Nervosität legt sich. Darüber bin ich extrem froh. Sogar das lästige Puckern in meinen böse frustrierten Eiern lässt spürbar nach. Arrangiere mich zwangsläufig mit meiner Misere. Ich bin stolz auf mich. Weil ich das trotz der krass verschärften Umstände hinkriegen kann. Der auffrischende Wind des kalifornischen Abends weht kühl auf meine vom Sex verschwitzte Haut. In der Gegenwart meines Psychologen und des Pflegers fühle ich mich mit nacktem Oberkörper nicht wohl. Es scheint mir deshalb eine hervorragende Idee zu sein, endlich mein T-Shirt zu holen. Mich anzuziehen ist schon lange überfällig.

Brad sieht mich einen Moment verdutzt an. Dann erwidert er mein Lächeln. Irritierend zögernd. Ungewohnt misstrauisch. Aber der ärgerliche Mann lächelt. Was mich weitaus mehr erleichtert, als ich zugeben würde. „Du hast mir gar nicht zugehört, nicht wahr?” erkundigt der Psychologe sich bemerkenswert gefasst. „Sei bitte ehrlich, Michael!” verlangt er warnend. „Doch, ich habe dir genau zugehört”, behaupte ich entrüstet, „Aber ich möchte jetzt nicht darüber sprechen.” Mein versöhnliches Lächeln verändert sich nicht. Habe es mir erfolgreich ins Gesicht gemeißelt. Hoffe, dass er diese reichlich abgenutzte Ausrede gelten lässt. Auch wenn sie nicht gerade originell ist. Meistens bin ich damit ganz gut durchgekommen. Wenn ich gerade null Bock auf einseitige Psychologengespräche hatte. So wie jetzt. Der Doktor mustert mich eine Weile. Sichtbar unzufrieden. Tue so, als würde mir das nichts ausmachen. Erwidere seinen prüfenden Blick gespielt gelassen. Aber es wird schwieriger mit der Zeit. Meine Augen und mein Herz haben ein anderes Ziel. Sehne mich verstärkt nach Bennington. Habe schon viel zu lange nicht nach ihm gesehen. Muss unbedingt wissen, wie es ihm geht. Kann unmöglich verhindern, dass mein Kopf sich suchend in Richtung Parkbank dreht. Als hätte Chester eine Fernbedienung. Irgendwas zieht mich magnetisch zu dem zauberhaften Engel hin. Doch Brad durchschaut meine zielgerichtete Bewegung. Noch ehe ich sie vollendet habe, schaltet er sich vehement ein. Mein unbewusst offenbartes Begehren gefällt meinem Psychologen überhaupt nicht. Mit seiner ganzen Körperkraft verhindert er, dass ich mich zu Chester umdrehen kann. Sein muskulöser Arm um meinen nackten Schultern hält mich unerbittlich fest. Seine Finger bohren sich drohend in mein Schultergelenk. Während er unerwartet tiefsinnig mit mir spricht. Das geht jetzt echt zu weit!

„Nein, Mike Shinoda. So einfach ist das diesmal nicht. Es spielt jetzt keine Rolle mehr, ob du das möchtest oder nicht. Du wirst darüber sprechen müssen. Chester Bennington ist keine dauerhafte Option für dich. Du bewegst dich in eine völlig falsche Richtung. Du machst den Fehler, dich hinter deinem Mitpatienten zu verstecken, kaum dass du aus deiner Apathie erwacht bist. Dabei musst du dich vorrangig um dich allein kümmern, Mike. Das ist der Grund, warum du hier in der Psychiatrie bist. Du musst lernen, Verantwortung für dich selbst zu übernehmen. Nicht für einen Mitpatienten. Und erst recht nicht für Chester. Dein Handeln hat Konsequenzen. Du wirst dich damit auseinandersetzen müssen, was hier passiert ist. Ob du willst oder nicht.” Versuch doch mal, mich dazu zu zwingen!, fährt es mir spontan durch den Kopf. Jäh überfüllt mit zornigem Trotz. Seine zudringliche Behandlung gefällt mir nicht. Seine Warnungen machen mich sauer. Ich möchte so etwas nicht hören. Kann es auch gar nicht einsehen. Brad hat doch keine Ahnung, wovon er da spricht, mache ich seine Erklärungen in Gedanken bedeutungslos. Er gönnt mir nur mein Glück mit Chester nicht, der Arsch! Blicke ihn grimmig an. Absolut ungehorsam. Was eigentlich gar nicht zu mir passt. Früher bin ich niemals ungehorsam gewesen.

Doktor Doyle erwidert meinen feindseligen Blick mit einer Traurigkeit, die mich irgendwie berührt. Eine halbe Minute später fühle ich mich idiotisch. Weiß auch nicht, warum ich mich wie ein widerspenstiges Kleinkind aufführe. Muss wohl daran liegen, weil ich momentan sowieso total neben mir stehe. Ich kriege ja kaum einen zusammenhängenden Gedanken zustande. Mir ist jedoch klar, dass ich mir im Endeffekt nur selbst schade, wenn ich meinem Psychologen aus lauter Starrsinn schon von vornherein keine Chance gebe, mir zu helfen. Schließlich hat der Doktor solche Gefühle jahrelang studiert. Garantiert weiß er, wovon er redet. Das bezweifele ich ja in Wahrheit gar nicht. Seine fachliche Kompetenz habe ich in dem Augenblick kapiert, als er mir vor einigen Tagen aus meinem letzten Tief herausgeholfen hat. Als nach der ersten Gruppentherapie mit Chester meine ganze Welt aus den Fugen geraten war. Als ich gelernt habe, dass nur die Wahrheit mir helfen kann. Prompt muss ich daran denken, was Brad mir an diesem Vormittag in meinem Zimmer geraten hatte. Seine damaligen Worte stehen in krassem Gegensatz zu dem, was er mir jetzt zu erklären versucht. Das kann ich nicht einfach so hinnehmen. „Du hast gesagt, Chester ist gut für mich! Du hast behauptet, er bringt mich weiter! Du hast dich darüber gefreut, dass Chester mich aus meiner tiefen Depression aufgeweckt hat! Du hast mir sogar zu meinen fantastischen Fortschritten gratuliert, Brad!” beschwere ich mich verzweifelt, „Gilt das jetzt plötzlich alles nicht mehr?”

Mist, ich bin viel zu unbeherrscht! Versuche verbissen, mich irgendwie zu drosseln. Aber mein Körper und meine Seele sind in diesem unglaublich abgedrehten Zustand. Eine sonderbare Mischung aus unterdrückter Geilheit, hartnäckigen Resten von verrücktem Glück, Scham und Wut erfüllt mich. Die ich kaum richtig zu fassen kriege. Geschweige denn ausreichend kontrollieren kann. Obwohl ich mir ehrlich Mühe gebe. Und mich schon halbwegs beruhigt gewähnt hatte. Brads merkwürdige Warnungen machen das jedoch nicht besser. Im Gegenteil, ich spüre, wie seine provozierenden Hinweise mich abermals aufregen. Die kämpfen böse gegen meine gerade erst erlangte Gelassenheit an. Ich kann es nicht leiden, wenn jemand mir Chester ausreden will. Das weckt automatisch sämtlichen Widerstand, den ich in mir trage. Aufsässig blicke ich den jungen Psychologen im nervigen Schein seiner Taschenlampe an. Zu meiner Überraschung werden seine dunklen Augen ganz weich. Ein gerührtes Lächeln umspielt seine Lippen. Was mich seltsam fasziniert. Sodass ich ihn gespannt betrachte.

„Du hast recht, Mike. Es ist außergewöhnlich, wie du durch Chesters Gesang endlich einen Weg aus deiner emotionalen Blockade gefunden hast. Alles, was ich dir bei unserem Gespräch Anfang der Woche in deinem Zimmer gesagt habe, entspricht nach wie vor meiner Überzeugung. Das verliert nicht plötzlich seine Gültigkeit”, räumt er gutmütig ein. Klar, und jetzt kommt das große Aber!, denke ich frustriert, als der Doktor das verdammte Wort auch schon ausspricht. „Aber das war am Dienstag, Mike. Heute haben wir Samstag. Du steigerst dich da in etwas hinein, das nicht gut für dich ist. Seit Dienstag hast du nichts anderes getan, als dich ausschließlich um Chester Bennington zu kümmern.” „Woher willst du das wissen?” entfährt es mir unüberlegt in jäh aufbrausendem Verdruss. Zwei Sekunden später fällt mir deprimiert ein, dass Doyle ja immer alles weiß. Das war doch von Anfang an so. Seit ich bei ihm in Behandlung bin, erfährt mein Psychologe grundsätzlich jede Kleinigkeit, die mit mir zusammenhängt. Die Pfleger und Therapeuten müssen ihm wohl regelmäßig Berichte über mich abliefern. Das ist ganz schön spooky. Und ärgerlich, weil ich deshalb Brads Behauptung nicht abstreiten kann. Aber ich habe keine Lust mehr, mich über ihn zu ärgern. Will mich nicht mal mit ihm zanken.

Mir ist etwas anderes aufgefallen. Ein Wort hat plötzlich meine Aufmerksamkeit erregt. Heute ist Samstag?, wundere ich mich verblüfft. Es ist ein ungewohntes Gefühl für mich, dass der Name des aktuellen Wochentags scheinbar irgendeine Bedeutung für mich hat. Das berührt mich irgendwie. Erinnert mich an eine andere Zeit. Die ich lange vergessen hatte. Mein Leben vor der Psychiatrie. Als noch Stundenpläne, Seminare und Bandproben meine Tage ausfüllten. Ich wusste gar nicht, dass heute Samstag ist, grübele ich verwirrt. Wochentage sind mir ewig egal gewesen. Sie hatten einfach keinerlei Bedeutung. Aber jetzt knüpft mein Gehirn plötzlich von allein neue Verbindungen. Sortiert die vergangenen Tage automatisch zu einer vollständigen Woche. Schafft Ordnung im zu lange gleichgültig akzeptierten Einheitsbrei. Da taucht eine tröstliche, vage vertraute Struktur in meiner bislang total unübersichtlichen Zeitrechnung auf. Heute ist Samstag, denke ich. Fühle mich seltsam zufrieden damit. Das ist der Grund, warum meine Familie heute Nachmittag vollzählig hier war, um mich in der geschlossenen Psychiatrie zu besuchen. Mom, Dad und Jay hatten alle gemeinsam Zeit, weil heute Samstag ist, wird mir klar. Es ist ein überraschend berauschendes Gefühl, diesen Zusammenhang nach einer Ewigkeit der strukturellen Haltlosigkeit kapiert zu haben. Da malt sich ein zufriedenes Grinsen in mein Gesicht. Das ich unmöglich verhindern kann. Es drängt mich, Brad von meiner bahnbrechenden Entdeckung zu erzählen. Ein neues Stückchen Ordnung in meinem intellektuellen Wirrwarr. Das muss ihm doch gefallen, hoffe ich aufgeregt. Vielleicht besänftigt es ihn sogar. Damit er die peinliche Sache hier endlich auf sich beruhen lässt.

Aber mein Psychologe kommt mir zuvor, indem er sich aufs Neue vertraulich an mein Ohr lehnt, noch bevor ich den Mund aufmachen kann. „Hör mal, Mike, ich weiß ganz genau, was momentan mit dir passiert. Glaub bitte nicht, dass ich dich nicht verstehen kann”, betont Brad verschwörerisch, „Du bist schließlich ein potenter junger Mann mit normalen Bedürfnissen. Es ist ganz natürlich, dass deine Sexualität dich beschäftigt. Schließlich ist sie eine ziemlich lange Zeit von deiner Depression unterdrückt gewesen.” „Ähm... was?” stottere ich schockiert. Entsetzt reiße ich die Augen auf. Fühle mich hinterrücks vor den Kopf geschlagen. Nehmen die vernichtenden Peinlichkeiten denn heute Abend überhaupt kein Ende mehr? Das kann doch wohl nicht wahr sein! Wenn Brad plötzlich über Sex redet, dann wird es wirklich unangenehm. „Sexuelle Triebe sind bei Männern deines Alters existenziell, Mike. Ich weiß also sehr genau, warum du dich so unwiderstehlich zu Chester hingezogen fühlst. Du bist gerade erst dabei, deine homosexuellen Neigungen zu erforschen. Es ist verständlich, dass du von deinen neuen Empfindungen überwältigt wirst”, spricht Doyle unverdrossen weiter. Als würde er meine geschockte Reaktion gar nicht bemerken. Das geht mir entschieden zu weit. Seine Ausdrucksweise verwirrt mich enorm. Homosexuelle Neigungen? Was soll das bedeuten, verdammt?! Fühle mich so einem gefährlich persönlichen Gespräch momentan nicht gewachsen. Das geht mir zu tief unter die Haut. Spüre verärgert, wie mir die heiße Röte der Verlegenheit ins Gesicht schießt. Meine Ohren fangen unweigerlich an zu glühen. Das gefällt mir nicht. Meine Augen töten den unverschämten Kerl auf vielerlei unschöne Arten. Doyle lächelt mich beruhigend an. „Das muss dir nicht peinlich sein, Mike. Du musst nur verstehen, dass die Psychiatrie nicht der Ort sein kann, wo du deine Sexualität...”

„Lass uns später darüber reden, Brad! Mir ist kalt! Ich muss mich jetzt ehrlich anziehen!” unterbreche ich ihn hastig. Meine Stimme klingt grob. Duldet keine Widerrede. In einer impulsiven, schwungvollen Drehbewegung, auf die der Doktor zum Glück nicht gefasst war, schaffe ich es endlich, seinen entschieden zu aufdringlichen Arm von meinen nackten Schultern zu werfen. Gleichzeitig gehe ich hektisch zwei Schritte rückwärts von ihm weg. Damit er mich nicht sofort wieder anfassen kann. Obwohl ich dringend zu Chester hinsehen möchte, behalte ich sicherheitshalber den unverschämten Mann im Auge. Er braucht nur einen Moment, um meine drastische Verweigerung zu akzeptieren. „Na gut, Mike”, seufzt er resigniert, „Aber wir müssen so bald wie möglich darüber sprechen, was du dir von deinem Mitpatienten Bennington eigentlich versprichst.” „Das muss ja wohl nicht jetzt sein!” zische ich fassungslos. „Nein. Jetzt beschäftigen wir uns erst mal mit eurem unakzeptablen Verstoß gegen die Hausordnung”, erwidert Doyle gelassen. Was mir ehrlich gesagt auch nicht verlockender erscheint. Der peinlichste Moment meines Lebens scheint noch immer nicht vorbei zu sein. Ich weiß nicht, wie lange ich diese fortwährende Demütigung noch durchstehen kann. Brad nickt zum Glück entgegenkommend. „Wo ist dein T-Shirt?” fragt er unvermittelt. Damit habe ich jetzt nicht gerechnet. Siedend heiß fällt mir auf, dass ich keinen Schimmer habe, wo mein Kleidungsstück vorhin gelandet ist. Ich erinnere mich ja kaum noch, es ausgezogen zu haben. Zu diesem Zeitpunkt war ich zu umfassend in das besondere Spiel involviert. Das ich mir spontan für Chester und mich ausgedacht hatte. An irgendeiner Stelle habe ich mir das T-Shirt über den Kopf gezogen. Habe es verführerisch weit weg geschleudert. Weil Chester das so gerne von mir wollte. Weil ich wollte, dass er mit mir spricht. Himmel nochmal! „Ich weißt nicht genau. Ich habe es irgendwo hingeworfen”, muss ich meinem Psychologen zu meiner Schande gestehen. Er grinst ein bisschen schlüpfrig. Was mein Gesicht prompt noch heißer werden lässt. Bestimmt bin ich mittlerweile so rot wie eine Tomate. Mindestens. Das ist total blöd. Am liebsten möchte ich den Kopf in den Sand stecken.

Stattdessen sehe ich hilfesuchend zu Chester hin. Finde ihn sofort. Angestrahlt von Ullis Taschenlampe ist der Sänger schlicht unübersehbar. Erleuchtet von einem Scheinwerfer. So wie es ihm gebührt. Der einzige Lichtblick in der uns umgebenden Dunkelheit. Mein Atem stockt angesichts seiner unbestreitbaren Einzigartigkeit. Die sofort ins Auge fallende Tatsache, dass Chesters zartes Gesicht vom heftigen Weinen voller roter Flecken ist, feuchte Spuren aus Rotz und salzigen Tränen auf seiner Haut glänzen und seine stark geröteten Augen dick geschwollen sind, kratzt seine Schönheit nicht mal ein wenig an. Der zauberhafte Engel sitzt immer noch auf der Parkbank. Genau dort, wo ich ihn aufgrund höherer Gewalt vorhin verlassen musste. Inzwischen hat er allerdings seine von mir in einem Anfall von triebhafter Ungeduld bis zu den Knöcheln heruntergezogenen Hosen wieder hochgezogen. Was ich schade finde. Aber total verstehen kann. Für Chester muss das unerwartete Auftauchen der beiden Autoritätspersonen mindestens so peinlich gewesen sein wie für mich. Im Gegensatz zu mir ist er zu diesem Zeitpunkt sogar gänzlich unbekleidet gewesen. Dafür hatte ich gerade um ein Haar einen Orgasmus. Er und ich waren uns wirklich unglaublich nahe. Shit, daran darf ich nun gar nicht mehr denken! Ich vermisse Chester. Enorm. Unsere Augen finden sich wie selbstverständlich. Klammern sich instinktiv Halt suchend aneinander fest. Sein geliebter Anblick verursacht ein widersinnig beruhigtes Gefühl in meiner Seele. Es geht mir erheblich besser, seit ich ihn sehe. Was immer das bedeutet. Ich glaube, Chaz hat mich die ganze Zeit beobachtet. Was mein Herz dazu veranlasst, ein paar freudige Hüpfer zu tanzen. Ich wünschte, ich wäre noch mit dem Besonderen allein.

Brad folgt meinem Blick zur Bank. Sichtbar ungehalten. Der studierte Kerl sieht wahrhaftig genervt aus. „Meinst du, dein Liebhaber weiß es?” fragt er mit unüberhörbarem Spott. Der mich mehr ärgert, als es sollte. „Frag ihn doch!” kläffe ich unfreundlich, noch bevor ich mich zurückhalten kann. Das lässt Brad sich nicht zweimal sagen. Dankenswerterweise übergeht er meine unangebrachte, viel zu aggressive Stimmlage. Dafür macht er sich ohne Umschweife auf den Weg Richtung Parkbank. Wo Chester und sein Pfleger Ulrich uns offenbar schon erwarten. Uns neugierig entgegen blicken, als wir auf sie zugehen. Muss mich beeilen, um mit dem zielstrebigen Psychologen Schritt zu halten. Ich bin froh, dass ich inzwischen wieder einwandfrei laufen kann. Als Doyle mich gewaltsam von der Bank und von Chester wegzog, da sind mir fast die Knie eingeknickt. Meine Beine waren vom ewig langen Sitzen auf der harten Holzbank grauslich eingeschlafen. Die verkrampften Muskeln trugen mich zu meinem Verdruss kaum noch. Um ein Haar wäre ich auf die Nase gefallen. Wenn Brad mich beim Wegzerren nicht geistesgegenwärtig gestützt hätte, dann hätte Mike garantiert Gras gefressen.

„Sag mal, Chester, weißt du vielleicht, wo Mike sein T-Shirt hingeworfen hat?” wendet mein Psychologe sich zu meinem Schrecken an den Besonderen. Lächelt dabei unübersehbar spöttisch. Ulli, der spürbar ungeduldig neben der Bank steht, zieht eine zweideutige Grimasse zwischen Verachtung und Hohn. Ich würde jetzt gerne im Erdboden versinken. „Nö”, behauptet Chester achselzuckend. Sein amüsiertes Grinsen lässt mich vermuten, dass mein Mann zumindest die ungefähre Position meines T-Shirts sehr wohl kennt, aber nicht verraten will. Weil er sich wie ich prompt daran erinnert, aus welchem geilen Grund und in welchem aufregenden Zusammenhang ich mein Oberteil für ihn ausgezogen und stürmisch durch die Gegend geschleudert habe. Chester will, dass ich noch länger kein T-Shirt trage. Ihm gefällt meine behaarte Brust. Mein Herz fängt an zu klopfen. Kann meinen Blick nicht von diesem Kerl aus Phoenix wegnehmen. Etwas zieht mich heftig zu Chazy hin. Möchte den Brünetten jetzt unheimlich gerne küssen. Über seine kunstvoll tätowierte Haut streicheln. Will von ihm angefasst werden. Am liebsten an sehr intimen Körperstellen. Will dringend dort weitermachen, wo wir vorhin von den doofen Trampeltieren Brad Doyle und Ulrich Miller derart gehässig unterbrochen wurden. Wie auf Knopfdruck fangen meine Eier an, erwartungsvoll zu zucken. Ein erregter Schauder erfasst mich, sodass ich unwillkürlich die Schultern hochziehe, die Schenkel zusammenpresse und leise seufze. Chester bemerkt meine ungesteuerte Erregung. Seine Augen liegen die ganze Zeit sehnsüchtig auf mir. Ich muss mich dringend davon ablenken. Sonst springe ich gleich zu meinem Mann auf die Bank, setze mich zurück auf seinen Schoß und verabschiede mich von sämtlichen erlernten Umgangsformen, was Sex in der Öffentlichkeit betrifft. Wenn man einmal damit angefangen hat, dann wird es von Mal zu Mal scheinbar immer leichter, die strengen Gesetze der Psychiatrie zu missachten. Mit Chester habe ich schon so viele Verbote übergangen, dass es mir gar nicht mehr so schlimm erscheint. Das macht mir ein bisschen Sorgen.

Nervös reiße ich mich von Chesters verlockendem Anblick los. Lasse meine Augen auf der Suche nach meinem T-Shirt durch die Umgebung schweifen. Aber mir wird schnell klar, dass das im Dunkeln völlig aussichtslos ist. Doyle ist damit beschäftigt, mit seiner Taschenlampe den Bereich rund um die Bank abzuleuchten. Kann das denn sein, grübele ich verstört, dass ich mein Shirt derart weit weggeworfen habe, dass wir es wahrhaftig nicht wiederfinden können? Oder liegt es nur daran, weil es zu dunkel zum Suchen ist? Ist das Shirt in irgendein Erdloch gefallen? Weit oben auf einem Baum gelandet? Hat der Parkgeist es verschluckt? Ich weiß es nicht. Jedenfalls können weder Brad noch ich irgendwo ein Kleidungsstück aufstöbern. Nicht mal die helle Taschenlampe fördert mein gutes T-Shirt zutage. Das ist total ärgerlich. Ich mochte dieses Shirt. Will es gerne wiederhaben. Ich will nicht noch länger halbnackt sein. Frage mich verbittert, wie viele unangenehme Überraschungen mir in nächster Zeit wohl noch aufgebürdet werden. Der Abend ist unterdessen weiter fortgeschritten. Was man auch an den sinkenden Temperaturen merkt. Langsam wird mir wirklich kalt. Ich bin es leid, von Brad und Ulli mit unbekleidetem Oberkörper gesehen zu werden. Chester ist der Einzige, der das darf. Der talentierte Sänger war schlauer als ich. Er hat sein T-Shirt vorausschauend neben uns auf die Bank gelegt. Wo er es problemlos wiederfinden kann. Genau genommen handelt es sich dabei auch um eins meiner Kleidungsstücke. Aber ich habe es Chester geliehen. Also gehört es vorläufig ihm. Obwohl ich den verhüllenden Stoff gerade echt gerne anziehen würde.

„Apropos T-Shirt”, spricht der Pfleger plötzlich seinen Schützling an, „Zieh dich bitte unverzüglich an, Bennington. Wir gehen jetzt alle gemeinsam zu Professor Paulsen.” Die überraschende Information schlägt wie eine Bombe bei mir ein. Ich weiß auch nicht, warum ich nur einen Moment lang daran geglaubt habe, die Katastrophe hier könnte nicht noch schlimmer werden. Offensichtlich habe ich mich gründlich geirrt. Ein Gespräch mit dem Oberarzt der geschlossenen Station ist so ziemlich das letzte, was ich jetzt führen will. Oder jemals führen will. Die Peinlichkeiten dieses fürchterlichen Abends steigern sich dadurch nochmal beträchtlich. Schockiert stöhne ich auf. Starre Ulli entgeistert an, als mir das Ausmaß seiner Ankündigung schlagartig klar wird. Mein erster Impuls, so schnell wie möglich davonzulaufen und mein Heil in der Flucht zu suchen, wird im nächsten Augenblick von meinem Psychologen vereitelt. Der schon wieder ungefragt seinen blöden, starken Arm über meine ungeschützten Schultern legt. Was mich langsam richtig ankotzt. Ohne Frage hat Brad meine sträflich unbeherrschte Reaktion auf Ullis Bemerkung richtig gedeutet. Das nervt mich, dass der Typ mich so leicht lesen kann. Ich muss mich viel besser in den Griff bekommen. „Keine Sorge, Mike! Professor Paulsen will sich nur mit Chester und dir unterhalten”, redet Brad beruhigend auf mich ein. „Warum denn? Will er uns noch eine Strafpredigt halten, oder was? Das habt doch Ulli und du schon ausführlich getan!” kann ich mich nicht bremsen, meinem Unmut Luft zu machen. Mein Herz schlägt zu schnell. Noch immer fällt es mir ungewöhnlich schwer, so ruhig zu werden, wie ich eigentlich sein müsste, um das hier halbwegs schadlos zu überstehen. Meine Nervosität steigt rapide an, als ich mir vorstelle, wie dieses Gespräch mit dem Oberarzt wahrscheinlich verlaufen wird. Welche entsetzlich peinlichen und privaten Themen da sicherlich angesprochen werden. Über die ich garantiert nicht sprechen will. Erst recht nicht mit dem Chef der ganzen Einrichtung.

Ich erinnere mich kaum an den Leiter der Station. Der schwer beschäftigte Mann lässt sich nicht allzu oft bei den Patienten sehen. Mit Sicherheit bin ich schon mal in seinem Büro gewesen. Ganz am Anfang hat er garantiert mit mir gesprochen. Aber das war in dieser anderen Zeit. Als Erinnern sich nicht für mich lohnte. Keinen Plan, was gleich auf Chester und mich zukommt. Angenehmer wird es jedenfalls bestimmt nicht. Das macht mich völlig verrückt. Ich weiß gar nicht, wo meine coole Gleichgültigkeit geblieben ist. Sehne mich heftig in meine ruhige Dunkelheit zurück. Leere Stille. Sonst nichts. Im Moment möchte ich nur noch erreichen, dass mir endlich wieder alles egal sein kann. Lange Zeit habe ich mich dort sehr zufrieden gefühlt. Das war ein tröstlicher, immer gleichbleibender Zustand. Die Erinnerung daran drängt sich mir plötzlich mit aller Macht auf. Apathie scheint mir gefährlich vertraut zu sein. Mein Leben war angenehm, als nichts eine Bedeutung hatte. In meiner Lethargie war ich in emotionaler Sicherheit. Jetzt ist alles so schrecklich nervenaufreibend geworden. Anstrengend und kompliziert. Ich fühle so viele Dinge, die ich mir nicht erklären kann. Ich möchte mich nicht mehr ärgern. Nicht mehr enttäuscht werden. Oder dermaßen peinlich berührt wie an diesem Abend.

Verzweifelt schaue ich zu Chester hin. Versuche verbissen, mich an dem Wunder festzuhalten, das wir beide heute erlebt haben. Dem fantastischen Sieg, den wir mit Hilfe der Wahrheit errungen haben. Wie wahnsinnig glücklich wir gewesen sind. Als seine unerträgliche Last endlich von Chester abfiel. Wie wir gemeinsam gelacht und gleichzeitig geweint haben. Hemmungslos. Befreit. Betrunken von Glück. Das werde ich nie im Leben vergessen. Unser Sieg gegen die gefährliche Depression war etwas ganz Besonderes. Mache mir bewusst, dass Chesters Rettung das darauffolgende Desaster mehr als wert ist. Mann, für den Besonderen würde ich doch alles in Kauf nehmen! Wenn meine beschämende Erniedrigung der Preis für Chesters Seelenheil ist, dann ertrage ich sie gerne. Für diesen Menschen würde ich alles tun. Ohne Ausnahme. Während ich Bennington mit pochendem Herzen beobachte, dämmert mir langsam, dass manche Gefühle es mehr als alles andere wert sind, intensiv gefühlt zu werden. Ich fange an zu verstehen, dass beglückende Gefühle uns vielleicht dabei helfen können, die weniger guten zu überstehen.

Meine Augen halten sich an Chester fest. Der Sänger zieht sich gerade mein T-Shirt an. Es ist das schwarze mit den silber-blauen, psychedelischen Kreisen und Symbolen vorne drauf. Auf Anhieb hat Chaz sich eins meiner interessantesten T-Shirts ausgesucht. In Sachen Kleidung hat der Patient eindeutig Geschmack. Der ehemalige Dreadlockträger hat Stil und legt viel Wert auf seine äußere Erscheinung. Es gefällt ihm, schöne, saubere Kleidung zu tragen. Chester möchte gepflegt und gut aussehen. Dabei sieht er doch immer gut aus. Besonders nackt ist der junge Mann wunderschön. Allein die Erinnerung an seinen unbekleideten, lang- und feingliedrigen, schlanken Körper lässt meinen Blutdruck schon ansteigen. Sehe seine auffallend helle Haut mit den sorgfältig gestochenen, bunten Tattoos unweigerlich vor mir. Die Anmut seines weichen Gesichts. Die unergründliche Tiefe seiner braunen Augen. Voll mit grenzenloser Liebe beobachte ich ihn. Es amüsiert mich, wie unbeholfen er sich das T-Shirt überzieht. Wie ungeschickt seine Arme hoch ausgestreckt mit dem dehnbaren Stoff kämpfen, während sein Kopf irgendwo blind im Shirt feststeckt. Beinahe möchte ich dem herrlichen Tollpatsch zu Hilfe eilen. Oder lauthals über ihn lachen. Die Belustigung über seine Verrenkungen brodelt tief in meinem Bauch.

„Da kommst du so leicht nicht wieder raus, Mike Shinoda. Diesmal nutzen deine gewöhnlichen Ausflüchte nichts. Das ist zu gravierend, was hier zwischen Chester und dir passiert ist. Und wie ich hörte, war es auch nicht das erste Mal, dass man euch in verfänglicher Lage gesehen hat. Du wirst Professor Paulsen erklären müssen, warum du wiederholt die Hausregeln brichst”, muss Brad mir vorwurfsvoll einbläuen. Tötet damit abrupt jeden Anflug von Amüsement in mir. „Woher weiß der Professor eigentlich, dass wir zu lange im Park waren?” nuschelt Chester mit dem Gesicht im blickdichten Baumwollstoff. „Tja, ihr habt eben Pech gehabt. Euer Fehlen beim Abendessen ist ihm gemeldet worden. Darum hat er uns mit der Suche beauftragt und will unverzüglich mit euch sprechen, sobald wir euch gefunden haben”, antwortet sein Pfleger hämisch grinsend. Der Typ lässt keinen Zweifel daran, wie klasse er es findet, dass die verboten dauergeilen Patienten erwischt wurden und sich zur Strafe vor dem Oberboss verantworten müssen. Chester knurrt irgendwas, das verdächtig nach „Fuck you” klingt. Der Sänger aus Phoenix müht sich noch immer mit dem widerspenstigen Kleidungsstück ab. Mein Blick fällt auf seinen schlanken Bauch. Den unverschämter Ulli neugierig mit dem grellen Licht seiner Taschenlampe absucht, kaum das Chaz sich zum Anziehen weit nach oben gestreckt hat. Da ist jede Menge Samenflüssigkeit auf Chesters Gestalt. Besonders in der dunklen Spur aus feinen Haaren, die sich von seinem Bauchnabel bis unter den Bund seiner Jeans zieht, fällt das auf. Man sieht die Spuren des Spermas auf seiner Brust. Das weiße, zähe Zeug ist feucht glänzend an ihm hinabgelaufen. Chaz ist nicht der einzige, der damit vollgespritzt wurde. Wir haben beide etwas davon abgekriegt. Haben uns das Ergebnis seiner explodierenden Geilheit brüderlich geteilt. Warme Wichse auf unserer Haut zerrieben, als wir uns begehrlich eng aneinander schmiegten. Fuck, ich darf gar nicht erst anfangen daran zu denken, wie unerreicht geil das war, als das Feuer seiner sexuellen Erregung meine nackte, vom innigen Sex sensibilisierte Haut traf!

„Nein! Das ist nicht drin, Brad! Das geht auf gar keinen Fall! So etwas könnt ihr unmöglich von uns verlangen!” gehe ich aufgebracht auf Doyle los, der mich überrascht mustert. Mein Psychologe kennt es nicht von mir, dass ich derartig selbstbewusst Einwände erhebe. Normalerweise halte ich eher den Mund. Tue einfach das, was mir gesagt wird. Jedweden Auseinandersetzungen gehe ich lieber aus dem Weg. Doyles Interesse ist prompt geweckt. Achtsam zieht er seinen Arm von meinen Schultern. Lässt mich wachsam nicht aus den Augen. Ulrich und Brad sorgen beide dafür, dass ihre Taschenlampen mich für meinen unerwarteten Auftritt auch genügend anstrahlen. Das geht mir total auf den Geist. „Was meinst du denn, Shinoda? Welche Beschwerde hast du vorzubringen?” fragt Pfleger Ulli mit einem kaum verhüllten, anzüglichen Grinsen. Das mich ganz schön ankotzt. Natürlich hat er das Sperma auf Chesters Bauch ebenfalls gesehen. Er hat die verfänglichen Spuren ja gerade ausführlich genug studiert. Ich bekomme das unangenehme Gefühl, die beiden Männer mit den Taschenlampen können meine privaten Gedanken lesen. Die sich natürlich gerade um Chester Bennington und sphärische Orgasmen drehen. Ob ich will oder nicht. Außerdem nehmen Pfleger Ulrich Miller und Doktor Brad Doyle mich offensichtlich gar nicht ernst. Das kann ich beim besten Willen nicht länger tatenlos hinnehmen.

„Denkst du etwa, ich gehe ohne T-Shirt zum Professor? Soll ich so halbnackt, wie ich bin, vor den Mann hintreten und Abbitte leisten? Das kannst du doch nicht ernsthaft von mir erwarten, Brad! Jetzt aber mal echt! Gib mir wenigstens Gelegenheit, um mich vorher sauber zu machen! Du siehst doch, dass ich mich waschen und frische Sachen anziehen muss! Und für Chester gilt das ganz genauso!” konzentriere ich mich ärgerlich auf den Menschen, der schon ziemlich lange für meine psychologische Behandlung zuständig ist. Vor allem hat Brad den höheren Dienstrang, trifft also momentan die endgültigen Entscheidungen. Es ist auch bestimmt nicht verkehrt davon auszugehen, dass man mit dem studierten Doyle vernünftiger reden kann als mit Chesters zugewiesenem Pfleger, der schon die ganze Zeit nur zweideutig grinst, blöde Grimassen zieht und sich über Chaz und mich lustig macht. Mit vor Wut hämmerndem Herzen warte ich auf eine Reaktion. Aber bevor Brad auf meinen berechtigten Einwand reagieren kann, bekomme ich plötzlich Unterstützung von unverhoffter Seite. „Jou, Mike! So ist das richtig! Lass dir nichts gefallen! Yeah, Wooow, du bist fantastisch! Zeig's ihnen, Mike! Sei stark! Weiter so! Mike! Mike!” jubelt Chester unvermittelt los. Sofort richtet sich sämtliche Aufmerksamkeit mitsamt der Taschenlampen von mir weg und auf den anderen Patienten. Der Sänger aus Phoenix, Arizona hat es doch noch geschafft, sich das schwarze T-Shirt ordnungsgemäß anzuziehen. Hellauf begeistert springt er von der Bank hoch. Hebt kämpferisch eine Faust in die Luft. Klatscht ein paarmal anfeuernd in die Hände. In wilder Zustimmung trampelt er mit seinen blauen Chucks auf der Wiese herum. „Yeah, Mike! Yeah Mike! Zeig's ihnen! Woooow! Shinoda for President!” ruft mein Mann enthusiastisch.

Im Gegensatz zu den beiden sichtbar ratlosen Idioten weiß ich auf Anhieb genau, warum Chaz sich so übermütig aufführt. Er tut es, um mir in meinem ungewohnten Kampf beizustehen. Aber das ist nicht der einzige Grund. Mein fantastischer Mann will mich mit seiner ungebremsten Show auch aufmuntern. Und natürlich hat er prompt Erfolg damit. Obwohl mir gerade wahrlich nicht danach zumute ist, muss ich über Chazys allzu stürmische Zustimmung lauthals lachen. Es ist einfach zu komisch, wie er da jubelnd und anfeuernd herumtanzt. Als würde ich irgendeine gute Vorstellung für ihn abliefern. Als hätte die ganze peinliche Situation, in der wir nun mal gerade stecken, in Wahrheit nicht die geringste Bedeutung. Ich vergöttere die lebendige Energie, die Chester mit allen seinen hübschen Fasern ausstrahlt, während er wie wild auf der Stelle herumtrampelt. „Ach, halt die Klappe, Chaz!” kichere ich verlegen. „Nein, das ist total geil! Sei stark, Mike! Du darfst dir nichts gefallen lassen!” erwidert der Tätowierte zärtlich. Seine dunklen Augen funkeln in wunderbarer Zufriedenheit. Mein Amüsement gefällt ihm. Zweifellos hat er es mit seiner albernen Aktion beabsichtigt. Chester liebt es, mich zum Lachen zu bringen. Ich liebe es, wann immer er es versucht. Seine Hand bewegt sich zögernd in meine Richtung. Der Sänger möchte mich anfassen. Ich kann es nicht erwarten, von ihm berührt zu werden. Stehe völlig reglos da. Was würde ich darum geben, wenn ich ihn jetzt küssen dürfte.

Doch sein brutaler Pfleger erinnert ihn sofort daran, dass wir an unserer Parkbank nicht länger ungestört sind. Grob packt er Chester am Arm, bevor er mich erreichen kann. Reißt den Patienten rückwärts von mir weg. „Hör auf mit dem Mist, Bennington! Es ist ja offensichtlich allein deine Schuld, dass ihr beide euch waschen müsst! Nur weil du nicht an dich halten konntest, dürfen wir euch jetzt erst noch unter die Dusche stellen!” motzt Ulli hörbar angewidert. Es befriedigt mich nicht, dass meine spontane Beschwerde offenbar wider Erwarten bei Brad und Ulrich Gehör gefunden hat. Beruhigt mich nicht die Bohne, dass Chester und ich uns anscheinend tatsächlich erst waschen dürfen, bevor wir vor den Oberarzt geschleift werden. Mein Lachen stirbt, weil ich es ungerecht und fies finde, wie unsensibel der doofe Pfleger meinen Mann behandelt. Ich ertrage es nicht, wenn jemand Chester wehtut. Doch der tapfere Tätowierte scheint mittlerweile daran gewöhnt zu sein. Chester wehrt sich nicht dagegen. Lächelt mich nur verschwörerisch an. Mit diesem unerreicht liebevollen Lächeln. Von dem ich regelrecht dahinschmelze.

„Also dein T-Shirt werden wir wohl im Dunkeln nicht mehr finden”, meldet Brad sich, nachdem er nochmal oberflächlich die Umgebung abgesucht hat, „Ich werde morgen danach suchen.” „Das kann ich doch auch selbst machen”, wende ich peinlich berührt ein. Finde es ziemlich merkwürdig, wenn mein Psychologe in der Grünanlage nach meiner Kleidung sucht. Wenn das zufällig jemand mitkriegt, dann bin ich für ewig das Gespött der ganzen Einrichtung. Doch Doyle schüttelt energisch den Kopf. „Nein, das kannst du nicht. Du wirst den Park der Psychiatrie so bald nicht mehr betreten dürfen, Mike. Darauf darfst du dich schon mal einstellen. Der Grund dafür dürfte wohl klar sein.” Bevor ich diese unerfreuliche Information verdaut habe, fordert mein Psychologe ungeduldig: „So, und jetzt lasst uns bitte endlich reingehen.” Brad macht eine halbe Körperdrehung zum Parkweg hin, der bis auf die paar Laternen im Dunkeln liegt. Der Mann will unverzüglich ins Gebäude hinein. Anscheinend hat er es auf einmal total eilig. Möglicherweise wartet der Herr Professor schon auf uns. Der Gedanke daran verknotet mir die Eingeweide.

„Nein, wir können noch nicht gehen. Ich muss erst meine Brille finden”, widerspricht Chester mit Bestimmtheit. Mit einem heftigen Ruck befreit er seinen Arm aus Ullis festem Griff. Macht ein paar Schritte zur Seite. Sieht sich suchend in der Nähe der Holzbank um. In der Dunkelheit kann er das voll vergessen. Eine Brille findet man noch viel schlechter als ein T-Shirt. Zumal keine der beiden Taschenlampen ihm bei der wichtigen Suche helfen zu wollen scheint. Was ich total gemein finde. Während ich mich mit den Augen danach umsehe, erinnere ich mich, dass Chazy seine Brille vorhin überraschend weit weggeworfen hat. Ich war erschrocken, weil er so unachtsam mit seinen Gläsern umging. Der junge Mann war jäh gestresst. Weil das harte Plastikgestell uns kumulativ im Weg war. Als wir uns leidenschaftlich geküsst haben. Die Erinnerung an seinen Kuss facht in meinem Unterbauch ein warmes Feuer an. Himmel, ich bin immer noch total geil auf meinen Mann! Die ganze Scheiße hier ändert gar nichts an meinen Gefühlen für ihn. „Vergiss deine Brille, Bennington! Die werden wir jetzt garantiert nicht suchen! Du bist selbst schuld, wenn du nicht auf deine Sachen aufpasst!” regt Ulrich sich verständnislos auf. Wütend macht er einen großen Schritt auf ihn zu. Packt seinen dünnen Arm abermals zu grob. Als wollte er den Patienten mit aller Gewalt festhalten. Damit Chester nicht weglaufen kann. Aber wohin sollten wir schon laufen? Dies ist die geschlossene Psychiatrie, verdammt! Wir sind doch hier von undurchdringlichen Mauern umgeben. Da gibt es keinen einzigen Ausweg.


Chester Charles Bennington

Boah, ey, unter anderen Umständen könnte diese heiße Sache hier ganz anders laufen! In meinem Kopf sehe ich jedes Detail genau vor mir. Am liebsten würde ich mich von hinten an ihn heranschleichen. Würde ihn überraschen, wenn er am wenigsten damit rechnet. Mit einer Hand würde ich ihn im Nacken packen. Die Finger in seine attraktiven Halsmuskeln graben. Sanft seine Wirbelsäule beugen. Seinen Oberkörper genügend weit nach vorne drücken. Vorsichtig. Aber keinen Widerspruch duldend. Darauf achten, dass er sich an der Wand abstützen kann. Damit er nicht womöglich noch umkippt. Mein anderer Arm würde ihn energisch von hinten umschlingen. Zärtlich und trotzdem besitzergreifend. Ich würde meinen Arm fest um seine tolle Taille legen. Das würde ihm zusätzliche Stabilität verleihen. Während meine Finger ihn ausreichend vorbereiten, würde ich ihn pausenlos streicheln. Keinen Inch seines faszinierenden Körpers lasse ich unbeachtet.

Ich müsste ihm und mir genügend Zeit dafür geben. Damit ich Fehler vermeide. Ich habe keine Erfahrung mit dieser Variante. Aber sie reizt mich beträchtlich. Genau genommen viel stärker, als ich erwartet habe. Es überrascht mich, dass Mike Shinoda diese unwiderstehliche Anziehungskraft auf mich ausübt. Natürlich würde ich gut auf ihn achtgeben. Damit er sich nicht ernsthaft verletzt. Ich bin sicher, er würde keine Einwände erheben. Mike würde nicht mal auf die Idee kommen, sich gegen mich zu wehren. Das Knopfauge wäre völlig hingerissen von meinem erotischen Überfall. Meine stürmische Begierde würde ihn höllisch scharf machen. Der Gedanke gefällt mir. Kribbelt angenehm in meinen Intimteilen. Malt automatisch ein dummes Grinsen in mein Gesicht. Es wird noch dämlicher, als ich anfange mir auszumalen, wie mein steifer Schwanz bis zum Anschlag in seinem knackigen Popo verschwindet. Immer wieder möchte ich heftig in ihn hineinstoßen. In einem triebhaften, orgiastischen Rhythmus. Mich dabei nicht zurücknehmen. Einfach alles geben. Mit Händen und Zunge unaufhörlich seine weiche Haut liebkosten. Yeah, ey!

Ein impulsiver, irre tiefer Atemzug vibriert in meiner Lunge. Verselbstständigt sich zu einem lustvollen Stöhnen. Meine Eier fangen an zu zittern. Allein das Pornokino in meinem Kopf turnt mich so stark an, dass ich vollkommen verdattert bin. Oh Fuck, ich muss sofort damit aufhören, mir diese unerforschte Sache vorzustellen! Ich habe keine Lust, mich tödlich zu blamieren, indem ich hier und jetzt eine Latte kriege. Wäre ja sowieso sinnlos. Meine sexuellen Phantasien sind komplett gegenstandslos. Da wird auf keinen Fall was draus. So verlockend die geile Vorstellung auch ist. Momentan ist sie schlicht und ergreifend nicht durchführbar. Nicht mal ein bisschen Fummeln ist erlaubt. Die besagten Umstände sprechen eindeutig dagegen.

Mike ist der erste Mann in meinem Leben, zu dem ich mich tatsächlich auch körperlich hingezogen fühle. Auf so eine merkwürdig stürmische Art. Ich kann ja nicht mal damit aufhören, immer wieder zu ihm hinüberzusehen. Er steht direkt neben mir. Nackt. Unter seinem eigenen Wasserstrahl. Verstohlen wäscht er sich die letzten Spuren unseres geilen Parkbankspiels vom fantastischen Körper. Mit dieser niedlichen Schüchternheit. Die er so oft an den Tag legt. Und die ich jedes Mal zum Anbeten finde. Diesen merkwürdigen Waschraum hatte Mike garantiert nicht im Sinn, als er darum bat, sich vor dem Gespräch mit dem Professor erst noch waschen zu dürfen. Ich glaube, der Halbjapaner hat seine Bitte schon in dem Moment bereut, als Ulli und Brad uns ausgerechnet hierher führten. Genauso sicher bin ich mir, dass die beiden Kerle uns in dieses Zimmer geführt haben, um uns ordentlich zu bestrafen. Ich hätte nicht gedacht, dass es in der modernen Psychiatrie wahrhaftig noch solche altertümlich anmutenden Waschräume gibt. Mit sterilen, weiß gekachelten Wänden und einem ebendiesen Fußboden. Erhellt von kalt weißem Neonlicht. Mit fünf in einer Reihe aus der Wand ragenden Duschköpfen. Ohne jeglichen Sichtschutz. Mitten im Raum steht eine gruselige Badewanne. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Wanne genau dort platziert wurde, damit man sie von allen Seiten problemlos erreichen und denjenigen, der da drin baden muss, hundertprozentig unter Kontrolle behalten kann. Das möchte ich mir wirklich nicht vorstellen.

Gegenüber der offen einsehbaren Duschen ist lediglich eine lange, niedrige Bank. Auf der die beiden Männer sitzen, die uns den ganzen Mist hier eingebrockt haben. Unermüdlich überwachen sie Mike und mich mit Adleraugen. Ich kann nicht fassen, dass der Psychologe und der Pfleger uns rotzfrech beim Waschen unter der Dusche beobachten, die geilen Spanner. Es ist offensichtlich, dass Mike den dreisten Eingriff in seine heilige Privatsphäre noch viel weniger verkraften kann als ich. Seine runden Wangen und die hübschen Ohren leuchten in dieser süßen Farbe. Die mich von jeher total verzaubert. Die ganze Zeit hält er peinlich berührt den Blick gesenkt. Bewegt sich unauffällig. In verschämter Unbehaglichkeit. Immer darum bemüht, dass Brad oder Ulli nicht zu viel von ihm zu sehen kriegen. Erst recht keine intimen Körperstellen. Dabei muss er die wirklich nicht verstecken. Himmel, Shinoda ist so wahnsinnig perfekt gebaut! Da könnte ich ehrlich total neidisch werden. Es macht mich wahnsinnig an, wie das Wasser an seinem wunderschönen Penis hinabläuft. Pausenlos unten von seiner Vorhaut tropft. Der geile  Anblick verursacht ein aufregendes Kribbeln zwischen meinen Beinen. Das könnte ich mir den ganzen Tag lang ansehen. Wahrscheinlich wäre ich wunschlos glücklich damit.

„Reiß dich zusammen, Bennington! Guck gefälligst auf deine eigenen Körperteile!” ruft Ulli hämisch von der Bank herüber. Dem mein indiskreter Blick auf Mikes Gemächt natürlich nicht entgangen ist. „Ihr könntet dann auch mal langsam fertig werden, Jungs!” mahnt der Psychologe ungeduldig. Seufzend schließe ich die Augen. Halte meinen Schädel mitten unter den rauschenden Strahl. Damit ich die blöden Idioten nicht mehr hören muss. Nein, ich bin wirklich nicht scharf drauf, denen vorzuführen, wie eine Erektion bei mir aussieht. Die würden sich nur noch mehr über mich amüsieren. Den Gefallen tue ich ihnen nicht. Meine Tattoos schockieren die schon genug. Andauernd starren die sie an. Denken wohl, ich merke das nicht. Wenigstens ist das Wasser angenehm warm. Von mir aus bleibe ich noch ewig hier stehen.

Kurz darauf spüre ich eine Bewegung neben mir. Die meine Neugierde weckt. Sodass meine Augen wieder aufklappen. Mein Kopf schaut nach links. Shinoda hat sein Wasser abgedreht. Verlegen wendet er sich seinem Psychologen zu. Die Hände züchtig über den beneidenswert ausgestatteten Schritt gelegt. „Gibst du mir mal bitte ein Handtuch, oder was?” blafft er wütend zu Doyle hin. Tötet den Psychologen leidenschaftlich mit seinen tollen Mandelaugen. Mikey ist richtig angepisst. So hat er sich den weiteren Verlauf dieses nach einigen Verrücktheiten recht vielversprechend gewordenen Abends sicher nicht vorgestellt. Ich mir auch nicht. Es gab eine Zeit, da dachte ich tatsächlich, dass jetzt alles gut wäre. Das war irgendwann auf der Parkbank. Nachdem ich dem Besonderen den echten Grund meines radikalen Haarschnitts verraten hatte. Es gibt mir zu denken, dass es mir eine Weile außergewöhnlich gut ging, als die schmerzhafte Wahrheit plötzlich aus meiner verletzten Seele raus war. Als ich wie ein kleines Mädchen geweint habe. Und wie ein komplett Durchgeknallter gelacht. Ohne mich kontrollieren zu können. Keine Ahnung, was der kluge Mitpatient mit mir angestellt hat. Irgendwie hat Shinoda es geschafft, die schwarzen Dämonen in ihre Schranken zu weisen. Dafür liebe ich den Halbjapaner mehr, als ich jemals ausdrücken könnte.

Mike hat all diese zauberhaften Dinge zu mir gesagt. Mit dieser unerschütterlichen Leidenschaft. Die ich nicht wage anzuzweifeln. Dass Sean mich unter allen Umständen als Sänger behalten will. Grey Daze nur darauf wartet, bis ich zurück nach Phoenix komme. Dass meine Band auf keinen Fall auf mich verzichten kann. Und verdammt, ich will Shinoda das glauben! Mit aller Macht versuche ich darauf zu vertrauen, dass seine wahnsinns Träumereien die Wahrheit sind. Dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ich wieder mit Grey Daze singen darf. Das fühlt sich so an, als wäre meine Situation nicht so aussichtslos, wie ich lange Zeit befürchtet habe. Als wäre meine Karriere als Sänger einer Rockband entgegen meiner festen Überzeugung noch nicht vorbei. Es tut unfassbar gut, daran zu glauben. Der süße halbe Japaner hat mich gerettet. Wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich noch immer rätselhaft befreit. Mein Kopf ist ganz ruhig. Im Moment ist da keine Dunkelheit in mir. Nicht mal Hass auf Doyle oder Miller kann ich noch empfinden. Halte die Beiden lediglich für absolute Nervensägen. Die sich entschieden zu viel rausnehmen. Es macht den Angestellten der Psychiatrie wahrhaftig Spaß, Mike und mich zu demütigen. Für unseren Verstoß gegen die Hausordnung lassen sie uns gerne leiden. Keine Ahnung, wo das noch hinführen soll.

Der junge Psychologe kommt mit einem weißen Handtuch angewackelt. Genau so eins habe ich an meinem ersten Tag hier von Ulli überreicht bekommen. Gehört wohl zur Standardausrüstung der geschlossenen Station. Zum bequemen Abtrocknen nach einer Dusche ist der Stofffetzen aus Frottee jedoch eindeutig zu klein. Noch so ein Quatsch, der garantiert in Doyles Absicht liegt. Der studierte Mann lässt nichts unversucht, um es den unverzeihlich straffällig gewordenen Patienten so schwer wie möglich zu machen. Damit wir auch ja kapieren, dass wir mit unserem heimlichen Sexspiel im Park etwas richtig Schlimmes falsch gemacht haben. Die haben echt keine Ahnung, was zwischen Mike und mir abgegangen ist. Wie fantastisch das eigentlich ist. Auch wenn ich es ehrlich nicht verstehe, so fühlt es sich doch richtig gut an. Ich frage mich, ob so ein fieses Verhalten für Psychologen normal ist. Oder ob Brad damit irgendwas erreichen will. Vielleicht ist das winzige Handtuch Bestandteil seiner sorgfältig ausgeklügelten Therapiestrategie für Mike. Soll eine zusätzliche Strafe für uns sein. Oder er ist einfach nur ein gedankenloser Blödmann. Dass Pfleger Ulli seine gehässige Freude an meiner Schmach hat, wundert mich dagegen überhaupt nicht.

„Soll das ein Witz sein?” kreischt Mikey fassungslos. Als der Handlanger grinsend vor ihm stehenbleibt. Mit großen, braunen Augen starrt der Patient das weiße Tuch an. Das der andere ihm am ausgestreckten Arm hinhält. Nach einem verächtlichen Schnaufen nimmt der Schwarzhaarige das kleine Handtuch folgsam entgegen. Schlingt es sich hastig als provisorischen Sichtschutz um die Lenden. Mikey ist heilfroh, dass er sich endlich mit irgendwas bedecken kann. So splitternackt vor seinem Psychologen und dem ständig feixenden Pfleger fühlt der Süße sich offensichtlich mega unbehaglich. Obwohl ich es oft genieße, von Menschen angeschaut zu werden, finde ich diese bizarre Situation auch nicht so prickelnd. Nackt zu duschen ist doch irgendwie ziemlich persönlich. Dennoch bin ich froh, meine Haut gereinigt zu haben. Sie war schmutzig vom Schweiß und Samen. Das war unangenehm. Obwohl die hier nur so eine neutrale Flüssigseife in einer unbeschrifteten Plastiktube anbieten, die eigentlich nach gar nichts riecht und wahrscheinlich irgendein billiges No-Name-Produkt für Krankenhäuser ist, habe ich mich gründlich damit eingerieben. Jetzt bin ich wenigstens sauber. Genau wie Mister Shinoda. Meine Augen hängen schon wieder an ihm fest. Automatisch. Es war irre aufregend, neben ihm zu duschen. Die vielen Wassertropfen auf seiner nass glänzenden, wunderschön gebräunten Schulter und seinem starken Rücken turnen mich total an. Zu gerne möchte ich den talentierten Rapper zärtlich abtrocknen. Oder das Wasser gefühlvoll von seinem seidigen Körper lecken. Das würde ihm bestimmt gefallen. Und mir erst. Shit, so etwas darf ich mir gerade echt nicht vorstellen! Sonst habe ich gleich doch noch den erigierten Salat.

„Jetzt beschwere dich nicht, Mike! Du hast mich doch darum gebeten, vor dem Gespräch mit dem Professor erst unbedingt noch duschen zu müssen”, meint Brad gelassen. „Ja, aber damit kann ich mich ja wohl kaum richtig abtrocknen!” motzt Mike überraschend selbstbewusst. „Tja, tut mir leid. Es ist nichts anderes hier”, seufzt Doyle achselzuckend. Sieht sich pro forma nochmal prüfend in dem gruseligen Waschraum um. Als wüsste er nicht schon längst, dass hier keine größeren Handtücher gelagert werden. Es ist nur das verfügbar, was Ulli und Brad netterweise für uns organisiert haben. Mike schnauft nochmal. Unmissverständlich wütend. Dann läuft er los. Schnurstracks durch den weiß gekachelten Raum. Zielstrebig zu der niedrigen Bank nach gegenüber. Wo er unsere Kleidung hingelegt hat. Der Psychologe folgt ihm aufmerksam. Als müsste er ständig in seiner Nähe bleiben. Der ist bei Mike genauso nervig anhänglich wie Pfleger Ulli bei mir. Bevor wir von den beiden Aufpassern in dieses Badezimmer gejagt wurden, durfte das Mandelauge sich auf seinen Wunsch hin neue Klamotten aus seinem Zimmer holen. Die hat er hierher mitgebracht.

Nun steht er neben der langen Bank. Trocknet sich oberflächlich ab. Zieht sich in großer Eile die frischen Kleidungstücke an. Achtet auch diesmal peinlich genau darauf, dass nicht zu viel von seinem fantastischen Körper offenbart wird. Dennoch fällt mir seine Gestalt direkt ins Auge. Die lebendige Energie seiner hektischen Bewegungen fesselt mich. Der Mitpatient ist dermaßen attraktiv, dass ich ihn eine Weile mit offenem Mund anstarre. Fühle mich tröstlich zufrieden damit. Stehe reglos unter dem warmen Wasser. Das ohne Ende behaglich über meine Haut fließt. Beobachte diesen seltsamen Mann. Lasse meine trüben Augen ausführlich über die vertraute Person wandern. Von den nackten Füßen ausgehend. Seine muskulösen Beine hinauf. Behaarte Unterschenkel. Muskulöse Oberschenkel. Obwohl ich ihn auf die Entfernung fatalerweise nur unscharf erkennen kann, registriere ich die ästhetisch runde Form seines Hinterns. Die raffinierte Taille. Die behaarte Brust. Den breiten Rücken. Die langen Arme. Geschickte Hände. Seine Finger können mich kinderleicht um den Verstand bringen. Er kann mir damit die abenteuerlichsten Gefühle schenken. Die ich nie zuvor gefühlt habe. Mike spielt auf mir so talentiert, wie auf einem Keyboard. Genauso gewandt zieht er sich an. In Windeseile trägt er graue Boxershorts. Dann schlüpft er in schwarze Cargos. Schwarzes Unterhemd. Knöpft routiniert ein rot-schwarz kariertes Hemd zu. Zum Schluss sitzt er auf der Bank. Zieht sich schwarze Socken und Turnschuhe an. Sicher hat er dieses schicke Outfit gewählt, weil er vor dem Professor einen guten Eindruck machen will. Shinoda sieht anziehend gepflegt aus. Sogar mit ungestylten, nassen Haaren. Seine Kleidung steht ihm hervorragend. Ich verstehe nicht, warum er sich vorhin im Park so unglaublich viel Mühe mit mir gegeben hat. Warum der junge Mann partout nicht einsehen will, dass ich diesen ganzen Aufwand gar nicht wert bin.

„So, das reicht jetzt endgültig! Mach den Mund zu, Chester! Hör auf zu starren! Du bist nicht zum Träumen hier!” Erschrocken zucke ich zusammen. Schließe überstürzt die Lippen. Beiße mir dabei unabsichtlich auf die Zunge. Fuck! Plötzlich steht Ulli direkt neben mir. Ich habe nicht mal gemerkt, dass mein Pfleger von der Bank aufgestanden und zu mir herübergekommen ist. Mit einem raschen Handgriff dreht er meine Dusche ab. Auffordernd hält er mir eins dieser viel zu kleinen Handtücher unter die Nase. „Nu mach endlich hinne, Bennington! Andauernd muss man auf dich warten! Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit!” tadelt er mich ungehalten, „Professor Paulsen möchte heute auch mal Feierabend machen!” Seine blauen Augen blitzen angriffslustig. Ulli wartet nur darauf, dass ich freche Widerworte gebe. Habe ich jetzt aber keine Lust drauf. Darum nehme ich einfach nur gehorsam das weiße Handtuch von ihm. Der frisch gewaschene Stoff fühlt sich unangenehm hart an. Reibe mit dem kratzigen Frottee über meine klatschnasse Haut, um mich abzutrocknen. Seit das Wasser abgedreht ist, fange ich an zu frieren. Es ist nicht warm genug in diesem Zimmer. Wenn ich mich recht erinnere, befinden wir uns irgendwo im Keller des riesigen Gebäudekomplexes. „Beeil dich bitte, Chester!” kann Ulli nicht für fünf Minuten die Klappe halten. Noch schlimmer als seine andauernden Ermahnungen ist aber seine lästige Angewohnheit, mich bei jeder Gelegenheit anzufassen. Schon spüre ich wieder seine flache Hand auf meinem Rücken. Die mich ungeduldig Richtung Umkleidebank schiebt. Versuche der Berührung auszuweichen, indem ich hastige Schritte darauf zu mache. Aber Pfleger Ulli klebt förmlich an mir. Der Mann läuft neben mir her, ohne den ungeliebten Körperkontakt zu unterbrechen. Erst als wir vor der Bank stehen, lässt er mich los. Mike war so nett, mir ebenfalls neue Anziehsachen mitzubringen. Dabei war das meiner Meinung nach gar nicht nötig. Ich hatte mir doch erst gestern frisches Zeug von ihm geliehen. Vielleicht dachte er, ich hätte mir wie er die klebrigen Hände an der Jeans abgewischt. Na ja, egal. Weil der Halbjapaner ausnahmslos hochwertige, stylische Kleidung besitzt, mache ich mir keine Sorgen. Es ist schlicht ausgeschlossen, dass er mir hässliche Klamotten ausgewählt hat.

Tatsächlich gefallen mir die schwarze Jeans und das graue Sweatshirt von Mike, die Ulli mich antreibt anzuziehen. Schwarze Unterwäsche und Socken sind natürlich auch dabei. Hilfsbereiter Shinoda hat an alles gedacht. Als er in seinem Zimmer seine Kleidungstücke aussuchte, durfte ich ihn nicht begleiten. Musste zusammen mit Ulli draußen auf dem Gang warten. Mir wurde mehrmals erklärt, wie absolut verboten das ist, wenn Patienten fremde Zimmer von anderen Patienten betreten. Dieser Hinweis kam allerdings zu spät. Ich war ja längst in Mikeys persönlichem Raum. Das war der Tag, an dem ich den Hübschen zum ersten Mal nackt sehen durfte. Als wir zusammen in seinem schmalen Einzelbett lagen. Erst gestern hat er mich in seinem Bett zum ersten Mal zum Ejakulieren gebracht. Das war fucktastisch. Obwohl ich danach irgendwie abgestürzt bin, würde ich das jederzeit nochmal machen. Von mir aus sogar jeden Tag. Die spinnen doch, Mike und mich gewaltsam trennen zu wollen. Das können die ehrlich total vergessen. Mike Shinoda aus Agoura Hills ist aktuell der einzige Lichtblick für mich. Dank ihm bin ich an diesem unsagbaren Ort nicht allein. Mister Shinoda hat als Einziger die Macht, mich aus der tiefsten Dunkelheit herauszuholen. Das hat der Zauberer mir heute mehr als eindrucksvoll bewiesen. Der Mann hat diese magische Aura. Wenn er bei mir ist, fühle ich mich besänftigt. Die plötzliche Gewissheit, Mike in meiner Nähe zu haben, stimmt mich friedlich.

Sitze auf der Bank. Schnüre mir mit den langen Schnürsenkeln die Chucks an die Füße. Stelle fest, dass die blauen Schuhe nicht mehr optimal zu meinem neuen, schwarz-grauen Outfit passen. Muss ich aber jetzt mit klarkommen. Weil mir kalt ist, bin ich dankbar für das flauschige Sweatshirt. Das Frieren wird blöderweise schlimmer. Irgendwas stimmt nicht. Langsam fange ich an, mich vage unwohl zu fühlen. Momentan ist es jedoch ein rein körperlicher Missstand. Ich weiß nur zu genau, was es ist. Diese beschissenen Begleiterscheinungen des kalten Entzugs. Das ätzende Frösteln. Das Schwitzen. Das schmerzhafte Reißen in den Knochen. Die Krämpfe in allen Eingeweiden. Der außergewöhnlich krasse Stress der letzten halben Stunde muss die Wirkung der Medikamente gekillt haben, die Ulli mir heute Morgen wie immer verabreicht hat. Das hat mir gerade noch gefehlt! Habe unglaublich Bock auf eine Zigarette. Eine Flasche Bier wäre jetzt auch nicht verkehrt. „Ey, Ulli, hast du nochmal so ein Pflaster für mich?” frage ich meinen vorschriftsmäßig ganz in weiß gekleideten Pfleger so freundlich wie möglich. Ich weiß nicht mal, wo oder wann ich mein Nikotinpflaster verloren habe. Die Dinger verschwinden ständig unbemerkt von meinem Arm. Ulli steht direkt vor mir. Starrt mich unhöflich an. Schüttelt den blonden Kopf. „Nein, du bekommst erst morgen früh wieder deine Medikamente, Chester. Die Vergabe erfolgt in regelmäßigen Abständen. Heute gibt’s nichts mehr für dich”, knallt der gemeine Kerl mir mitleidlos vor den Kopf. Ich kann mich nicht davon abhalten, ihn impulsiv zornig anzufauchen. Was ihn lediglich selbstgefällig grinsen lässt. Ulrich Miller lässt sich von mir nicht einschüchtern. Das habe ich schon lange kapiert.

„Herrjeh, jetzt gib ihm doch ein Pflaster!” mischt Mike sich genervt ein, der aufhorchend zu uns hinsieht und meinen Pfleger böse fixiert, „Du hast doch gesehen, dass er keins mehr trägt. Sei nicht immer so ein Arsch, Ulli!” Shinodas überraschende Courage und seine Wortwahl verblüffen mich dermaßen, dass ich mich verschlucke. Haltlos zu husten anfange. Ullis Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen, während er den mutigen Aufständischen lauernd betrachtet. Ein paar Sekunden lang taxieren die beiden Männer sich feindselig. Im nächsten Moment ist schon Brad zur Stelle. „Das ist nicht dein Problem, Mike! Hör bitte damit auf dir Gedanken um fremde Angelegenheiten zu machen! Diese Entscheidung obliegt allein Chesters Arzt”, verbessert er den halben Japaner unzufrieden, bevor er seine Aufmerksamkeit auf uns beide richtet. „Und zu Essen bekommt ihr Jungs heute auch nichts mehr. Wer mutwillig das Abendessen versäumt, der geht eben leer aus. Da müsst ihr wohl bis zum Frühstück warten”, erklärt der Psychologe den Ungehorsamen in mahnender Stimmlage. Damit würgt er Mikes Widerspruch ab, der sichtbar schon in den Startlöchern stand, nun aber unausgesprochen bleibt. Ulli schlägt mir unaufgefordert auf den Rücken, bis ich meinen Hustenanfall überwunden habe. Seine Schläge sind hart. Der Mistkerl tut mir weh. Darum beeile ich mich, mich zusammenzureißen. Der Wegfall des Abendessens klebt mir wiederum ein verächtliches Grinsen ins Gesicht. Ich habe sowieso keinen Hunger. Allein der Gedanke an Essen verursacht akute Übelkeit in meinem überempfindlichen Magen. Brad Doyle kann sich sein Abendessen gerne an den Hut kleben. Wenn er denn einen tragen würde. Aber der Typ hat nur die legere Kleidung an, die anscheinend typisch für ihn ist und aus Jeans, Hemd und modernen, braunen Herrenschuhen besteht. Soll wohl jedem direkt klarmachen, was für ein cooler Psychologe er ist.

„Sind die Herren Shinoda und Bennington dann vielleicht mal endlich so weit?” fragt er mit beißendem Spott. Lässt seinen Blick prüfend zwischen Mike und mir hin und her schwenken. Mike steht energisch von der Bank auf. „Nein, ich brauche einen Kamm!” verlangt er ungehalten, „Ich kann nicht ungekämmt...” „Sonst noch Wünsche? Jetzt reicht es aber langsam, Mike!” unterbricht Brad ihn gestresst stöhnend. „Guck mich doch an! So zerzaust gehe ich zu keinem Professor!” macht Knopfauge angriffslustig deutlich. Taxiert ihn wütend. Demonstrativ fährt er sich mit den Fingern durch sein nasses, strubbeliges, pechschwarz glänzendes Haar. Ein Vorteil meiner neuen Frisur ist es, dass meine kurzen Stoppeln in Windeseile von allein getrocknet sind. Was ich mit einem kurzen Handstreich über den Schädel verdutzt feststelle. Bei den Dreadlocks hat das immer ewig gedauert, bis die trocken waren. „Also gut”, gibt Doyle überraschend schnell nach, „Wir gehen auf dem Weg zu Professor Paulsen nochmal an deinem Zimmer vorbei, damit du dich kämmen kannst. Dann ist es aber endgültig genug.” Mike nickt zufrieden. Lächelt mich siegesbewusst an. Sein Lächeln paralysiert mich auf der Stelle. Dieses triumphierende Funkeln in seinen wundervollen Augen. Himmel, der Typ ist fantastisch!

Ich bin total beeindruckt davon, was für ungewohnt dicke Eier der niedliche Halbjapaner heute Abend in der Hose hat. Als die beiden autoritären Nervensägen vor einer halben Stunde plötzlich aus heiterem Himmel bei uns an der Parkbank auftauchten, da war das Mandelauge dermaßen schockiert, dass er sich kaum noch rühren konnte. Der Arme war tödlich beschämt und schrecklich eingeschüchtert. Was natürlich auch daran lag, weil er gerade haarscharf vor seinem sexuellen Höhepunkt stand. Dieser erzwungene Verzicht war irre schwer für ihn. Inzwischen hat er die unausbleiblichen Peinlichkeiten des Beim-Sex-Erwischtwerdens aber überwunden. Je länger Brad und Ulli uns Gesellschaft leisten, umso mehr scheint Mike sich an ihre Anwesenheit zu gewöhnen. Der taffe Kerl hat jetzt keine Angst mehr. Das zeigt er uns mit jeder Faser seines Selbst. Der Patient aus Agoura Hills lässt sich nichts gefallen. Sein unerschütterlicher Mut strahlt aus seinen wunderschön großen, runden Augen. Ich bin vollkommen hingerissen von seiner unglaublichen Energie.

Auf einer Bühne ist er der Hammer!, weiß ich plötzlich mit absoluter Sicherheit. So viel physische Präsenz kann man nicht lernen. Man hat es, oder eben nicht. Mike Shinoda hat sie hundertprozentig, diese magische Power, die dazu gemacht ist, um die Massen restlos zu begeistern. Gott, er gehört mitten ins Scheinwerferlicht, erkenne ich fasziniert, er ist ein musikalisches Geschenk an die Menschheit! Die unverhoffte Entdeckung ist verdammt aufregend. Sie turnt mich dermaßen an, dass mein Herz ein paar Sprünge macht. Davon werde ich wahrhaftig ein bisschen hart. Was mich dazu veranlasst, tief einzuatmen und unruhig auf der niedrigen Bank herumzurutschen. Ohne das menschliche Naturwunder aus den Augen zu lassen. Mike steht auf irgendeiner großen Bühne. Mit dem Mikro in der Hand rappt er sich die Seele aus dem Leib. Bewegt seinen tollen Körper anmutig im Hip-Hop-Takt der Musik. Bewundert von tausenden Zuschauern. Die alle bei seinem Anblick vollständig ausrasten. Einschließlich mir. Ich stehe in der ersten Reihe. Der Saal kocht. Liegt ihm ausnahmslos zu Füßen.

„Du träumst schon wieder, Freundchen!” weckt die spöttische Stimme von Ulli mich jäh aus dem inspirierenden Film, der autonom in meinem Kopf abläuft. Jetzt ist keine Zeit für fantastische Zukunftsaussichten. Mein Pfleger schlägt mich derart brutal auf die Schulter, dass ich dadurch fast von der Bank falle. Es ist ein Wunder, dass bei dem Schlag mein Schultergelenk nicht aus seiner Pfanne springt. Ullis Brutalität macht mich ehrlich sauer. „Komm zurück zu uns, Bennington! Deine ungeteilte Aufmerksamkeit ist gefragt!” feixt Ulrich, packt meinen Arm und zerrt mich grob von der Bank hoch. Verwirrt sehe ich mich um. Mike und Brad stehen an der Tür. Bereit zum Aufbruch. Alle warten nur noch auf mich. „Nimm deine Klamotten mit!” weist der Blonde mich ungeduldig an. Deutet auf die Kleidung, die ich mir erst gestern aus Mikeys Kleiderschrank ausgewählt hatte. Vor dem Duschen hatte ich sie auf die Bank gelegt. Erst jetzt fällt mir auf, dass Mike ebenfalls seine alten Klamotten im Arm trägt. „Was passiert jetzt damit?” frage ich konfus. Obwohl mich das gar nicht interessiert. Greife mir die Jeans, den Slip, die Socken und das T-Shirt. „Mike nimmt die Sachen mit in sein Zimmer. Er wird sie wohl in den Wäschesack stecken, wenn sie schmutzig sind”, erklärt Ulrich mir vorwurfsvoll. Als müsste ich das doch eigentlich wissen. Ich weiß nichts von irgendwelchen Wäschebeuteln. Ist mir aber auch egal.

Brad schaltet das Licht aus. Gehorsam verlasse ich mit den anderen den gruseligen Waschraum im Keller. Laufe neben Ulli die vielen langen Gänge entlang, die fester Bestandteil der geschlossenen Psychiatrie sind. Mein Blick liegt auf Mikes superben Hintern, der sich auf unwiderstehliche Art vor meinen Augen wiegt. In der schwarzen Cargo und dem karierten Hemd sieht er atemberaubend gut aus. Der oft schüchterne Patient wirkt so, als wäre er unterdessen auf alles vorbereitet. Bereit die Welt zu erobern. Das gefällt mir. Ich wünschte, er wäre immer so selbstsicher. Der Halbjapaner hat einen schnellen, aufrechten Schritt. Als er neben seinem Psychologen durch die Flure flitzt, ist er ihm in jeder Hinsicht ebenbürtig. Leider bin ich lange nicht so fit wie Shinoda. Ich fühle mich erschöpft. Schaffe es kaum, mit dem Tempo der anderen mitzuhalten. Offenbar hat der doofe Psychologe es mittlerweile richtig eilig. Das alles hat ihm sowieso schon viel zu lange gedauert. Mit seinem Handy kündigt er Professor Paulsen unsere baldige Ankunft an. Das Handy in seiner Hand weckt mein Interesse. Ich wusste nicht, dass der Bedienstete ein Telefon dabeihaben darf. Das muss ich mir dringend für später merken. Ich muss Sean anrufen und ihn fragen, ob er mich als Sänger von Grey Daze zurückhaben will. Die vage Möglichkeit stimmt mich froh. Die Aussicht, demnächst schon wieder in Paulsens Büro zu sitzen, gefällt mir weitaus weniger. Ich war schon viel zu oft dort. Habe mir schon jede Menge Mist von dem Oberarzt anhören müssen. Seins war das erste Büro, in das ich in der Nacht meiner Ankunft geführt wurde. Der Kerl hat mir schon viele Vorwürfe gemacht. Über absichtlich vom Tisch heruntergeschubste Tabletts. Über Essensverweigerung. Nicht eingehaltene Psychiatriegesetze. Vor allem hat der Mann meinen Dad angerufen, ohne mich um Erlaubnis zu fragen. Das war total daneben. Noch niemals habe ich mich bei Professor Paulsen wohlgefühlt.

Nach einem kurzen Abstecher vor Mikes Zimmer, wo ich ihm seine Klamotten gebe, die er mit seinem eigenen ausgedienten Kram irgendwo drinnen entsorgt und sich anschließend ordentlich kämmt, stehen wir viel zu schnell vor dem besagten Büro des Obermackers. Brad klopft höflich an die weiße Holztür. Im nächsten Moment sind wir auch schon alle drin. Ulli schließt die Tür hinter uns. Brad schiebt Mike und mich zwei Schritte in den Raum hinein. Bedeutet uns dann mit strenger Miene stehenzubleiben. Brad und Ulli bleiben irgendwo hinter unserem Rücken in der Nähe der Tür. Die Tatsache, dass ich von meinem Pfleger kaltherzig dazu gezwungen wurde, meine Brille im Park liegenzulassen, stresst mich zunehmend. Ich hätte besser auf das wichtige Teil aufpassen müssen. Ohne die Brille bin ich so gut wie blind. Aber mittendrin in Mikeys sexuellem Psychospiel hatte ich eben andere Gedanken als die Gläser. Nun bereue ich es, meine Brille so fahrlässig weit weggeworfen zu haben, dass ich sie nicht auf Anhieb wieder aufsetzen konnte. Mache mir Sorgen, wann ich mein Eigentum wohl zurückbekommen werde. Ob es überhaupt jemand in der Nähe der Parkbank finden und mir zurückgeben wird. Ich hätte Pops darum bitten sollen, mir ein oder zwei Ersatzbrillen mit einzupacken, fällt mir eindeutig zu spät ein. Dann hätte dieses unselige Telefonat mit meinem Dad wenigstens halbwegs einen Sinn gehabt. Aber natürlich hat Chester vor lauter Aufregung nicht daran gedacht. Das ist total ärgerlich.

„Aha, da haben wir ja unsere Ausreißer!” ruft Professor Paulsen erleichtert, der hinter seinem protzigen Schreibtisch sitzt. Aus irgendeinem Grund steht der Mann auf. Wie immer trägt er weiße Arztkleidung. Kommt langsam auf Mike und mich zu. Die wir nebeneinander mitten im Büro stehen. Als wären wir unartige Schulkinder. Die in der High School beim Rauchen oder Knutschen erwischt wurden. Und jetzt vom Direktor gemaßregelt werden. Was total lächerlich ist. Der Gedanke bringt mich zum Schmunzeln. „Das gefällt mir ja gar nicht, was ich da von Ihnen beiden hören muss”, meint der Oberarzt besorgt. Er stellt sich so nah vor uns hin, dass ich ihn fast schon deutlich sehen kann. Seine Miene spiegelt die Besorgnis in seiner Stimme, als er uns eine Weile aufmerksam studiert. Mein blödes Grinsen stirbt. Mike und ich stehen einfach nur da. Schweigend. Bewegen uns nicht. Lassen die unhöfliche Musterung über uns ergehen. „Wie war denn der Besuch Ihrer Familie heute für Sie, Mike?” wendet der Arzt sich schließlich an den Mitpatienten, „Sie hatten Ihre Eltern ja eine ganze Weile nicht gesehen, nicht wahr?” „Ja”, bestätigt Mike leise. „Wie haben Sie den Besuch Ihrer Angehörigen erlebt?” fragt Paulsen neugierig. „Das war okay”, meint der Schwarzhaarige still. Es ist offensichtlich, dass er sich vor dem Professor nicht wohlfühlt. Mikey verspürt wenig Lust, dem interessierten Oberarzt irgendwas zu erzählen.

Mein Kopf wendet sich dem Halbjapaner zu. Bin ganz berauscht von seiner Schönheit. Das attraktive Gesicht. Der flauschige Bart. Er hat sich das nasse, glänzend schwarze Haar akkurat nach hinten gekämmt. Sieht sehr seriös aus. Sein Blick liegt auf dem Professor. Der vor ihm steht und ihn konzentriert betrachtet. Mike weicht diesem prüfenden Blickkontakt nicht aus. Der Patient ist noch immer mutig. Das erregt mich total. Ich muss mich herbe zurückhalten, um nicht nach Shinodas Hand zu greifen. Am liebsten würde ich den Besonderen in den Arm nehmen. Irgendwas tun, damit er merkt, dass ich nicht nur direkt neben ihm stehe, sondern auch voll und ganz auf seiner Seite. Wenn es sein muss, dann würde ich diesen Menschen wie ein wild gewordener Löwe verteidigen. „Können Sie mir erklären, warum sie darauf bestanden haben, dass Chester Ihnen beim Besuch Ihrer Eltern Gesellschaft leistet?” horcht der Professor den Mitpatienten aus. Weil meine Augen seine Attraktivität genießen, entgeht mir nicht, dass dem Schwarzhaarigen kurz der Atem stockt. Er schluckt. Unbehaglich. Gibt sich einen Ruck. „Ich wollte meinen Eltern meinen besten Freund vorstellen. Chester ist der Grund, warum ich zurück in die Welt gefunden habe”, erklärt mein Mikey mit klarer Stimme. Lässt keinerlei Zweifel aufkommen, wie ernst und wichtig ihm diese Sache ist. Ich weiß nicht warum, aber dafür möchte ich ihn jetzt gerne küssen. Auch wenn diese sonderbare Geschichte zu groß ist, als könnte ich sie auch nur im Ansatz kapieren. Mein Begehren, ihm mit innigen Zärtlichkeiten meine Anerkennung zu zollen, wird von allein stärker. Die Vorstellung macht mich nervös. Sodass ich ungewollt damit anfange, unruhig auf der Stelle herumzutreten. Mit den Händen ruhelos über meine Oberschenkel streiche. Über meinen Bauch. Verhake meine Finger. Löse sie. Verhake sie.

Neugierig sehe ich zum Professor hin. Sein Blick trifft mich. Abschätzend. Dann guckt er erneut den anderen Patienten an. „Ich habe Chester diesen Ausflug in den Park erlaubt, damit er Ihnen beim Besuch Ihrer Eltern beistehen konnte. Obwohl Herr Bennington aus anderen Gründen momentan keine Parkspaziergänge mehr gestattet sind, habe ich Ihnen zuliebe ein Auge zugedrückt”, erläutert der Oberarzt an Mike gewandt. Das hört sich an, als müsste Mike ihm zum Dank dafür eigentlich die Füße küssen. Kann mich nicht davon abhalten, verächtlich Luft auszustoßen. Der Kopf des Professor schnellt sofort zu mir. Missbilligend. Fuck! Ich muss mich besser unter Kontrolle behalten. Versuche ein versöhnliches Lächeln. Aber er schaut schon wieder Shinoda an. Der auf das Entgegenkommen des Professors keine Reaktion gezeigt hat. „Was Ihnen jedoch nicht erlaubt ist, Mike, dass ist es, eigenmächtig ihren Parkaufenthalt nach eigenem Ermessen zu verlängern. Von dem verpassten Abendessen will ich jetzt gar nicht reden”, muss das Mandelauge sich vorwurfsvoll anhören. Jetzt kommen wir dem Kern der Sache wohl langsam näher, denke ich geringschätzig, das ist alles nur dummes Gelaber, sicher fängt er gleich damit an, richtig böse loszumotzen.

Mein sinnloses Herumhampeln wird unwillkürlich stärker. Ich spüre das. Kann es aber trotzdem nicht abstellen. Meine Füße wollen ständig auf der Stelle herumtreten. Meine Arme bewegen sich um meinen Körper. Die abgekauten Fingernägel kratzen über meine Jeans. Es gefällt mir nicht, wenn Mike von diesem strengen Mann getadelt wird. Ist doch sowieso alles meine Schuld gewesen. Mikey hat das nur für mich getan. Die Hausregeln missachtet und all das. Es macht mich verrückt, dass der Professor die ganze Zeit den Besonderen ansieht. Als wäre Mike Shinoda der alleinige Verbrecher hier. Das kann ich unmöglich akzeptieren. Weil in Wahrheit doch ich der Buhmann bin. Das bin ich schließlich immer. Ich. Chester Bennington. Nicht Mike. Auf keinen Fall ist es Mike, der die Verantwortung trägt. Unbedingt möchte ich irgendwas sagen. Etwas Cleveres tun, um dem dummen Oberarzt klarzumachen, dass er zu lange den falschen Patienten anguckt. Aber verdammt!, mir fällt einfach nichts ein. In meinem Kopf ist ein wirres Vakuum entstanden. Habe unglaublich Bock zu rauchen. Könnte dringend ein wenig Alkohol vertragen. Möchte schnellstmöglich aus diesem ätzenden Büro raus.

„Sie sind inzwischen lange genug bei uns, um die Hausordnung zu kennen”, meint der Oberarzt nach wie vor an Mike gewandt, „Können Sie mir erklären, was Sie dazu veranlasst hat, mit Chester zusammen nach dem Besuch Ihrer Eltern unerlaubt lange im Park zu bleiben?” „Das hat er doch nur wegen mir gemacht!” platzt es gestresst aus mir heraus. Konnte diesen entscheidenden Satz unmöglich zurückhalten. Die Augen von Paulsen huschen augenblicklich zu mir. „Mit Ihnen unterhalte ich mich nachher noch ausführlich, Chester”, informiert er mich fast beiläufig. „Was soll das heißen?” entfährt es mir alarmiert. Ich dachte wir wären jetzt hier, um mit dem Mann zu sprechen. Warum muss er mich gesondert abfertigen? Das ist doch alles völliger Schwachsinn! Am liebsten würde ich mich umdrehen und einfach rausgehen. Mike natürlich mitnehmen. Trampel aber nur blöde auf dem grauen Teppich herum. Habe unweigerlich meine Finger im Mund. Kaue aggressiv darauf herum. Spüre eine Bewegung hinter mir. Die mich erschrocken herumfahren lässt. Pfleger Ulli legt mir seine aufdringliche Hand auf den Rücken. Tätschelt mich beschwichtigend. Seine Augen sind genauso blau wie die von Professor Paulsen. Ich hasse es, dass ich meine Brille nicht trage. Die unklaren Bilder vor meinen Augen verursachen mir langsam rasende Kopfschmerzen. „Du bist gleich an der Reihe, Chester. Halte dich bitte so lange zurück”, raunt Ulli mir beschwörend ins Ohr. „Wieso denn? Es geht doch hier um mich!” protestiere ich verständnislos.

„Wir hatten noch etwas Wichtiges zu besprechen”, meldet Mike sich unerwartet an meiner anderen Seite. Sodass ich mich rasch zu ihm umdrehe. Ich bin verwirrt. Die ganze Situation gefällt mir nicht. Etwas Seltsames liegt in der Luft. Das ich als äußerst bedrohlich empfinde. Auch wenn ich es nicht konkret benennen könnte, macht es mich unglaublich nervös. Es fühlt sich an, als würde es mir gleich gewaltig an den Kragen gehen. „Konnten Sie dieses wichtige Thema nicht beim Abendessen besprechen?” will Paulsen achtsam wissen. Mike schüttelt den Kopf. „Nein, das war absolut vertraulich”, erklärt er mit Nachdruck. Oberarzt macht eine bedeutsame Pause, um den Schwarzhaarigen eingehend zu betrachten. Auch diesmal hält Mike der abschätzenden Begutachtung mühelos stand. Ich bin stolz auf den Besonderen. Er schlägt sich total tapfer. Würde jetzt gerne anerkennend mit den Fingern durch seinen weichen Bart kraulen. Beiße aber nur blöde auf meinen Fingerspitzen herum. „Würden Sie mir verraten, worum es da bei diesem vertraulichen Gespräch zwischen Herrn Bennington und Ihnen ging?” wagt Paulsen sich behutsam vor. Ohne Mike auch nur eine Sekunde lang aus den fachkundig prüfenden Augen zu lassen. „Er sagt doch, es war streng vertraulich!” fährt es ungeduldig aus mir heraus. Der Gedanke, dass Mike ihm womöglich jeden Moment etwas über unser privates Spiel oder sogar den Grund meines radikalen Haarschnitts verraten könnte, frustriert mich jäh aufs Schärfste. Ich will nicht, dass der Professor diese Dinge über mich weiß. Das macht mich total schwach vor dem Typen. Vor allen Kerlen hier im Zimmer würde ich wie ein depressives Weichei dastehen. Bevor ich auch nur einen Moment darüber nachdenken kann, habe ich den Professor auch schon unfreundlich angezischt. Wie eine kampfbereite Klapperschlange. Drei Sekunden später bereue ich es, schon wieder so unbeherrscht gewesen zu sein. Der Blick des studierten Mannes aus diesen stahlblauen Augen bohrt sich derart tief in meine verschreckte Seele hinein, dass ich unwillkürlich gequält aufstöhne. Es fällt mir schwer, diesen autoritären Augen standzuhalten. Aber ich zwinge mich dazu. Was Mike kann, das werde ich auf jeden Fall auch hinkriegen, verdammt!

20. Breaking a part of my heart to find release

 

Michael Kenji Shinoda

Chesters wütende Energie überflutet das Büro von Professor Paulsen wie eine Monsterwelle den Strand von Santa Monica. Auf so viel Leidenschaft war ich nicht vorbereitet. Seine Power ist nahezu beängstigend. Gewaltig. Niemand in diesem eher spartanisch eingerichteten Raum kann davon unberührt bleiben. Es ist eine magische Kraft, die mich beinahe von den Füßen fegt. Fast glaube ich, Chesters aufbrausenden Zorn sogar körperlich zu spüren. Als würden seine jäh außer Kontrolle geratenen Emotionen als kribbelnde Elektrizität über meine Haut streichen. Sodass ich unwillkürlich erschaudere.

Stehe direkt neben ihm. Lasse meinen Blick über sein angespanntes Gesicht wandern. Seine Augen sind starr auf den Professor gerichtet. In wütend aufgeladener Konzentration. Jeder Muskel in Chesters Leib ist angespannt. Ein Raubtier, kurz vor dem tödlichen Sprung. Sein Atem geht angestrengt. Ich wette, sein Herz schlägt ein schnelles, heftiges Stakkato. Chester ist dermaßen geladen, dass er nicht eine Sekunde lang stillstehen kann. Seine Füße in den blauen Chucks treten seltsam aggressiv auf dem Boden herum. Sein schlanker Körper befindet sich in sichtbar unkontrolliertem Bewegungsdrang. Er dreht sich, windet sich, schwankt hin und her. Wie ein unartiges, kleines Kind, hat er seine Fingerspitzen in den Mund gesteckt. Wie besessen beißt er auf den Resten seiner längst abgekauten Fingernägel herum. Die rechte Hand fährt unermüdlich über seinen Bauch. Seinen Oberschenkel. Die Finger kratzen nervös über die Jeans. Dann wieder über den Bauch. Schieben das graue Sweatshirt hoch. Betasten fahrig das schwarze Unterhemd. Das ich ihm wie all die anderen Sachen geliehen habe.

In meinem Zimmer vorhin hatte ich keine Zeit, um ihm irgendwas Schönes herauszusuchen. Brad hat mich die ganze Zeit angetrieben, mich gefälligst zu beeilen. Darum habe ich einfach das genommen, was mir als Erstes in die Hände fiel. Die schwarze Jeans und das graue Langarm-Shirt stehen ihm jedoch gut. Auch wenn die Jeans ihm wie erwartet ein bisschen zu lang ist. Chester kann sowieso alles tragen. Für mich selbst habe ich das karierte Hemd und die Cargo gewählt. Ich wollte Professor Paulsen mit einem adretten Aussehen gnädiger stimmen. Nun denke ich jedoch, dass es dem Oberarzt vollkommen egal ist, welche Kleidung ich trage. Oder ob mein Haar ordentlich gekämmt ist. Wegen dieser unseligen Parkgeschichte wird er mich trotzdem in Grund und Boden stampfen.

Ich erinnere mich nicht, jemals in Paulsens Büro gewesen zu sein, obwohl ich das höchstwahrscheinlich war. Alles ist zweckmäßig eingerichtet, so wie es in der gesamten Station üblich ist. Natürlich gibt es auch hier kein Glas. Keine scharfen Kanten. Niedrige Aktenschränke an der Seite. An den Wänden hängen ein paar gerahmte Diplome hinter durchsichtigem Plastik. Gelbe Raufasertapete. Grauer Teppichboden. Relativ große Fenster. Draußen ist es zu dunkel, um irgendwas zu sehen. Drinnen erhellt das obligatorische Neonlicht die unangenehme Szenerie. Sorgt dafür, dass die fünf anwesenden Männer sich in den Scheiben der Fenster spiegeln. Der Raum an sich ist nicht besonders geräumig. Weswegen der mächtige Schreibtisch schon die Hälfe des zur Verfügung stehenden Platzes einnimmt. Ein teuer aussehender Bürostuhl steht hinter dem Schreibtisch. Zwei normale Stühle für Besucher befinden sich davor. Doch offensichtlich sollen wir uns nicht darauf hinsetzen. Zur Strafe werden uns die vorhandenen Sitzgelegenheiten verwehrt. Die Verbrecher müssen stehenbleiben.

Wir sind die schuldig Angeklagten vor dem strengen Richter. Nebeneinander stehen wir mitten im Büro. Wo Brad und Ulli uns kürzlich platziert haben. Chaz und ich wurden hier aufgereiht. Wie zum Appell. Psychologe Brad Doyle drückt sich irgendwo hinter uns in der Nähe der Tür herum. Pfleger Ulrich Miller steht direkt hinter Chester. Er hat dem spürbar Aufgebrachten beruhigend die Hand auf den Rücken gelegt. Tätschelt ein wenig hilflos Chesters knochiges Kreuz. Was den Patienten aus Phoenix, Arizona aber nur noch mehr zu stressen scheint. Professor Paulsen steht unmittelbar vor uns. Der Mann in der weißen Oberarztkleidung begutachtet seine Patienten mit unangenehmer Inbrunst. Als wären wir zwei total defekte Individuen. Dessen rätselhafte Fehlfunktionen er unter allen Umständen aufspüren will. Der etwa vierzigjährige Mann sieht besorgt aus. Was mich irritiert. Ich sehe hier keinen Grund zur Besorgnis. Außer vielleicht Chesters ansteigende Wut. Die uns allen wie ein losgelassener Wirbelsturm entgegenschlägt.

Vermutlich bin ich der Einzige in diesem Büro, der genau weiß, dass hinter Chesters stürmischem Zorn lediglich seine Angst steckt. Chazy Chaz fürchtet anscheinend, dass ich dem Professor etwas über unser Erlebnis im Park erzähle. Dabei würde ich mir doch eher die Zunge abbeißen, als das zu tun. Alles, was Chester mir jemals anvertraut, ist bei mir absolut sicher verwahrt. Warum weiß der Sänger das nicht? Wie kann er nur davon ausgehen, dass ich den Männern hier etwas über den Grund seiner Depressionen erzähle? Oder warum er sich sein wundervolles Haar abgeschnitten hat. Oder was wir gemeinsam auf der Parkbank erlebt haben. Chesters mangelndes Vertrauen in meine Verschwiegenheit kränkt mich mehr, als gut für mich ist. Unbehaglich fällt mir auf, dass man offenbar richtig doof verletzlich wird, wenn man jemanden wirklich mag. Chester Bennington könnte mich wohl mit einem Schlag vollständig vernichten. Alles, was er dafür tun müsste, wäre lediglich, mich nicht mehr in seiner Nähe haben zu wollen. Das Gefühl des Ausgeliefertseins an Chesters Gunst nervt irgendwie. Ich will nicht in dieser Form angreifbar sein. Will nicht von jemandem abhängig sein. Weiß aber nicht, was ich dagegen machen soll. Am liebsten möchte ich dem Tätowierten auf der Stelle sagen, dass er sich keine Sorgen zu machen braucht, ob ich irgendwas ausplaudere. Will ihm klarmachen, dass seine angstbesetzte Wut vollkommen unbegründet ist.

Aber Chesters ganze Konzentration liegt gebündelt auf Professor Paulsen. Den er fortwährend wie ein gefährliches Raubtier fixiert. Wobei Bennington der Tiger ist. Und der Oberarzt die ins Visier genommene Beute. Obwohl Chester erst halb so alt, einen Kopf kleiner und sehr viel schlanker als Paulsen ist, wirkt er durch seine spürbare Entschlossenheit absolut bedrohlich. Als könnte der Sänger es jederzeit mit dem größeren, muskulöseren Mann aufnehmen. Ich weiß jedoch, dass Chester bei einem Kampf auf jeden Fall den Kürzeren ziehen würde. Paulsen ist ihm an körperlicher und geistiger Kraft zweifellos weit überlegen. Zur Not würde der Arzt einfach noch ein paar starke Pfleger zu Hilfe rufen. Die wären in Nullkommanichts hier. Das sind die immer. Als würden sie irgendwo gut versteckt jederzeit auf Abruf bereitstehen. Derartiges habe ich in der Psychiatrie schon öfter gesehen, als mir lieb ist. Kein Patient konnte sich jemals erfolgreich gegen diese geballte Gewalt wehren. Chester hat gegen Paulsen nicht die geringste Chance. Was den mutigen Sänger jedoch nicht davon abhält, unbeirrt den harten Kerl zu markieren. Das ist ganz schön niedlich irgendwie. Als würde er mich gegen Paulsen verteidigen wollen. Allerdings mache ich mir Sorgen, dass die Situation wegen Chesters impulsiver Wut möglicherweise außer Kontrolle gerät.

Die beiden ungleichen Männer belauern sich einige Zeit. Das Schweigen knistert beängstigend in der Luft. Der engagierte Professor der Psychologie zeigt fachliches Interesse an einem ungewöhnlich komplizierten Patienten. Chester Bennington fühlt sich ungerechtfertigt angegriffen. Ärgerlich hebt er die Schultern hoch. Windet sich genervt nach vorn. Rollt unbehaglich mit den Schultergelenken. Um Ullis beschwichtigend tätschelnde Hand auf seinem Rücken loszuwerden. Aber der dumme Pfleger ignoriert die abwehrenden Bewegungen. Ulrich will diesen unangebrachten Körperkontakt nicht beenden. Wahrscheinlich setzt er unbeirrt auf die entspannende Wirkung seiner zärtlichen Zuwendung. Erreicht damit jedoch einzig und allein das Gegenteil. „Ganz ruhig, Bennington”, raunt er meinem Mann ins Ohr. Ich stehe nah genug neben ihnen, um jedes Wort zu verstehen. Ich hasse es, dass Ulli Chester andauernd anfasst. Dieses vertrauliche Flüstern des Pflegers ist echt das Letzte.

„Möchten Sie mir erzählen, was Ihnen so außerordentlich wichtig war, dass Sie mit Mike unerlaubt lange im Park darüber gesprochen haben?” fragt Professor Paulsen unvermittelt. Die Frage war eindeutig an Chester gerichtet. Der Arzt lässt den Sänger nicht aus den wachsamen Augen. Selbstverständlich hat der erfahrene Psychologe Chesters nur wenig kontrollierten Zorn registriert. Paulsen will dem unübersehbaren Unmut des Patienten mit ärztlicher Neugierde auf den Grund gehen. Einerseits erleichtert es mich, dass der Chefarzt nicht länger mich auf diese gnadenlos forschende Art studiert. Bin froh, wenn der autoritäre Typ mich links liegen lässt. Habe keine Lust, seine blöden Fragen zu beantworten. Andererseits weiß ich aber nur zu gut, dass das nicht lange gutgehen wird, wenn er sich jetzt stattdessen den anderen Patienten vornimmt. Chester ist viel zu wütend und temperamentvoll, um diese Situation vernünftig bewältigen zu können. Mister Bennington wird unsere ohnehin schon beschissene Lage noch viel schlimmer machen, wenn er womöglich anfängt durchzudrehen.

Das macht mir langsam echte Sorgen. Darum lasse ich meine Augen konzentriert auf seinem Gesicht. Will es unbedingt rechtzeitig mitkriegen, wenn ihm die Sicherung durchbrennt. Hoffe, die Katastrophe irgendwie verhindern zu können. Chester sieht aus, als würde er sich nur noch mit letzter Kraft zurückhalten. Als wollte er dem Professor eigentlich lieber sofort an die Gurgel springen. Seine zornigen Emotionen schlagen mir als leidenschaftliche Energie entgegen. Pure Lebendigkeit. Die ich in jeder einzelnen Faser meines Selbst fühlen kann. Diese unverwechselbare Mischung aus Wut und Lebenswillen habe ich heute schon einmal gespürt. Als er beim Frühstück im Speisesaal Spin gesungen und mich dabei explizit angesehen hat. Nur Chester verfügt über diese einzigartige Art von selbstbewusster Power. Zweifellos macht sie ihn zu etwas Besonderem. Das mir ganz warm ums Herz werden lässt. Meine Augen saugen seinen geliebten Anblick hungrig in sich auf. Trotz seiner ungestümen Wut ist der Sänger aus Phoenix wunderschön. Sogar seine Fuck-you-Mentalität wirkt irgendwie menschlich und sensibel. Ich muss mich herbe zurückhalten, um ihm nicht zärtlich über die Wange zu streicheln. Möchte seine roten Lippen küssen. Mache mir mühevoll bewusst, dass jeder intime Körperkontakt zwischen uns unsere eh schon aussichtslose Lage nur noch schwieriger machen würde.

Chester stößt ein verächtliches Schnaufen aus. Mit wachsender Nervosität spüre ich, dass die enorm angespannte Situation brenzliger wird. Aufmerksam erwarte ich, dass Chester jeden Moment anfängt zu schreien. Oder dem Professor womöglich tatsächlich eine reinhaut. Oder sich plötzlich umdreht. Und in wilder Panik aus dem Büro stürmt. Der Tätowierte ist derart angepisst, dass seine braunen Augen bedrohlich glühen. Seine Atmung geht unnatürlich schwer. Sein schlanker Körper wirkt sprungbereit. Alle Muskeln sind auf einen gewalttätigen Kampf ausgerichtet. Ich verstehe nicht, warum der Herr Professor noch immer rundum gelassen wirkt. Der Kerl sieht den mega aufgeregten Patienten vollkommen reglos an. Im höchsten Maße interessiert. Aber in keinster Weise alarmiert. Offenbar beurteilt er die Lage längst nicht so bedrohlich wie ich. Sie bringt ihn nicht mal ansatzweise aus der Ruhe. Bemerkt der Leiter der geschlossenen Psychiatrie etwa Chesters inneren Aufruhr gar nicht? Oder ist es ihm nur egal? Der Frieden in Paulsens Büro hängt jedenfalls ein paar ewige Sekunden lang am seidenen Faden.

Doch der drohende Sturm geht diesmal zum Glück an uns vorbei. Anstatt zu schreien, den Arzt zu verprügeln oder wegzulaufen, nimmt mein Mann lediglich die filigranen Finger aus seinem schönen Mund. Streicht damit hektisch über seine schwarze Jeans. Seine Füße in den blauen Chucks wollen einfach nicht stillstehen. „Nein, das ist total vertraulich, worüber Mike und ich gesprochen haben”, wiederholt der Brünette nur mühsam beherrscht, „Das geht Sie nichts an. Ich erzähle Ihnen gar nichts!” „Es ist wirklich sehr schade, dass Sie so unkooperativ sind, Chester”, erwidert der Professor betrübt, „Damit machen Sie sich nur selbst das Leben schwer. Leider zeigen Sie ja auch in anderen Bereichen keine große Bereitschaft, an Ihrer Therapie mitzuarbeiten.” „Das stimmt nicht! Ich habe überall mitgemacht!” widerspricht Chester unzufrieden, „Ich habe in jeder Therapiestunde mitgearbeitet!” „Sie waren körperlich anwesend”, verbessert Paulsen ihn milde lächelnd. „Ich habe alles getan, was von den Therapeuten verlangt wurde!” protestiert der Sänger verwirrt. Sein alarmierter Blick huscht verunsichert zur Seite. Geradewegs auf mich. Das flehende Braun seiner Augen schneidet mir abrupt ins Herz. Da ist so viel Angst hinter seinem Zorn, dass ich mich zurückhalten muss, um ihn nicht auf der Stelle tröstend in den Arm zu nehmen. Ich möchte das verängstigte Kind vor Paulsen und der ganzen bösen Welt beschützen. Aber bevor ich mich rühren kann, fokussiert der Brünette sich schon erneut auf den Mann in der Oberarztkleidung, der direkt vor ihm steht.

Es macht mich traurig, dass Chester sich momentan so schrecklich unwohl fühlt. Vor nicht mal einer Stunde war unsere Gegenwart eine vollkommen andere. Allein mit mir auf der Parkbank ist der Arizona-Boy für kurze Zeit glücklich gewesen. Sein unübersehbares Wohlgefühl und seine erstaunte Erleichterung, den für ihn unerträglichen Schmerz in sich losgelassen und mit mir geteilt zu haben, hatten mich mindestens genauso glücklich gemacht wie ihn. Es war überwältigend, als sich nach unserem langen, ungewissen Kampf endlich alles in ein nie zuvor erlebtes, irgendwie verrücktes Glück auflöste. Aber jetzt haben die übereifrigen Bediensteten der geschlossenen Psychiatrie jeden Anflug von Zufriedenheit in uns gnadenlos kaputtgemacht. Nur noch Scham und Wut sind übrig. Ich habe keine Ahnung, wie ich das wieder reparieren soll, was sie derzeit in dem Besonderen anrichten. Fühle mich hilflos. Wünschte, ich könnte meinen Mann einfach bei der Hand nehmen. Augenblicklich hier verschwinden. Stattdessen muss ich machtlos dabei zusehen, wie der Professor den sensiblen Sänger unaufhaltsam attackiert. Paulsen quält Chester, ohne seine abwehrende Reaktion darauf zu verstehen. Der dumme Psychologe sollte den Patienten lieber zufriedenlassen. Merkt der Oberarzt denn nicht, dass Chaz gerade dringend Ruhe braucht? Sein langer, höllisch schwieriger Kampf gegen seine Depression und mit der Wahrheit hat den Sänger aus Phoenix spürbar erschöpft. Weiß der hinreichend studierte Professor etwa nicht, dass er seinen Patienten mit jedem vorwurfsvollen Wort noch tiefer verletzt? Dass jede weitere, in jedem Fall unfaire Anklage immer neue Holzscheite auf Chazys zorniges Feuer wirft? Damit es bloß noch heißer in ihm brennt? Die unfassbare Ignoranz von Professor Paulsen ist für mich nur schwer zu ertragen.

„Wie gesagt, Herr Bennington, mit Ihnen werde ich mich noch ganz ausführlich unterhalten. Ich habe den Eindruck, dass wir beide eine Menge zu besprechen haben. Aber bitte gedulden Sie sich noch ein wenig. Zuerst möchte ich einige wichtige Punkte mit Herrn Shinoda klären, ja?” wechselt der Leiter der geschlossenen Station behutsam das Thema. Trifft damit jedoch bei dem Tätowierten auf wenig Gegenliebe. „Nein, ich bin kooperativ!” will der junge Mann aus Arizona den eben ausgesprochenen Vorwurf nicht widerstandslos auf sich sitzenlassen, „Ich habe sogar für sie gesungen, als sie es verlangt haben!” „Ja, das stimmt! Chester hat bei allen Therapien mitgewirkt! Er war nicht nur körperlich anwesend! Das kann ich bezeugen! Chester hat aktiv Sport getrieben, kreativ mit Lehm gearbeitet, Musik gemacht und selbstständig ein Bild gezeichnet!” mische ich mich ungefragt ein. Im jäh unbezwingbaren Verlangen, meinem Mann beizustehen. „Danke, Mike”, sagt Paulsen daraufhin leise. Was mir irgendwie den Wind aus den Segeln nimmt. Der Professor schließt kurz die Augen. Atmet tief ein. Ein amüsiertes Lächeln umspielt seine Lippen. Das auch Chester nicht entgeht. Ich kann dem Besonderen ansehen, wie stark die verstohlene Belustigung des Professors ihn provoziert. Schließlich ist er gerade alles andere als witzig. Chester meint seine Verteidigung bitterernst. Darum will er auch ernst genommen werden. Es würde mich nicht wundern, wenn Mister Bennington jeden Augenblick in einer schwarzen Rauchwolke explodiert.

„Von Ihren diversen gesanglichen Darbietungen hier bei uns habe ich schon viel gehört, Chester. Sie singen auch sehr gerne, wenn es niemand verlangt, richtig? Schon in der Nacht Ihrer Einlieferung haben Sie mit ihrer Stimme die ganze Station aufgeweckt”, bemerkt Paulsen mit nur wenig verstecktem Spott, „Erst heute Morgen haben Sie die Patienten und Pfleger beim Frühstück freiwillig mit Ihrem Gesang unterhalten, nicht wahr, Herr Bennington?” Der Oberarzt lacht fröhlich, als er den Kurzgeschorenen eingehend betrachtet. Damit macht der Kerl echt alles verkehrt, was man bei Chester überhaupt nur falsch machen kann. Mein labiler Mann will unter Garantie nicht ausgelacht werden. Von Niemandem. Ich bin empört über Paulsens spöttische Erheiterung dem talentierten Sänger gegenüber. Chester ringt hörbar nach Luft. Ein tiefes Grollen kommt aus seiner goldenen Kehle. Das definitiv nichts Gutes verheißt. Den Professor jedoch völlig unbeeindruckt lässt. Chesters schöner Körper hampelt unermüdlich aufgescheucht herum. Die Beine bewegen sich ohne Ende auf der Stelle. Die Arme schlenkern haltlos um ihn herum. Als wüsste er nicht mehr wohin mit seinen langen Gliedmaßen. Ich fürchte, er will dem Professor für seine spöttische Bemerkung am liebsten eine scheuern. Abrupt krallt Chaz seine abgekauten Nägel so tief in seine schlanken Oberschenkel, dass es ihm garantiert wehtut. Mein Mann muss sich mit Gewalt davon abhalten, den Oberarzt zu schlagen. Gütiger Himmel!

Plötzlich bin ich hellwach. Es wird höchste Zeit, dass ich mich irgendwie einschalte. Sonst endet das hier in fünf Sekunden in einem heillosen Desaster. Kurzentschlossen wende ich mich dem Professor zu. Der Chesters auffällig nervöse Ruhelosigkeit mit amüsiertem Interesse beobachtet. „Warten Sie nur ab, bis Sie ihn selbst mal singen hören! Dann werden Sie garantiert nicht mehr darüber lachen! Weil es Ihnen nämlich dermaßen die Socken auszieht!” behaupte ich im Brustton der Überzeugung. Im nächsten Augenblick schnappe ich entsetzt nach Luft. Meine eigene, komplett unüberlegte Frechheit schockiert mich. Nie im Leben hätte ich erwartet, dass ich einmal auf so eine respektlose und herausfordernde Art mit dem verantwortlichen Leiter der geschlossenen Station sprechen würde. Noch vor Kurzem hätte ich so etwas nie gewagt. Doch die spontane Bemerkung ist schneller draußen, als ich sie aufhalten kann. Ich habe einfach nicht darüber nachgedacht. Nicht nur Paulsen richtet seine Aufmerksamkeit daraufhin sofort wieder auf mich. Auch Chester dreht sich so schnell zu mir um, dass ich erschrocken zusammenzucke. Beide Männer sind unübersehbar überrascht. „Bleib ruhig, Chester!” mahnt Pfleger Ulrich beschwörend. Legt ihm dämpfend die Hand auf die Schulter. Verweilt jedoch vollkommen unbeachtet von dem Patienten. Der mich nun mit großen, unergründlich tief braunen Augen anstarrt. Chester ist tatsächlich baff. Als wären mir plötzlich Hörner gewachsen. Mein Blick fällt nervös auf seine schmalen Lippen. Die leicht geöffnet sind. Weil er so angestrengt atmet. Seine weißen Zähne blitzen hervor. Der heftige Drang, ihn grob zu küssen, überfällt mich komplett unvorbereitet.

„Niemand lacht hier über irgendwen, Mike!” verbessert Paulsen mich achtsam, „Ich bezweifele nicht, dass Chester eine schöne Singstimme hat.” „Seine Stimme ist nicht nur schön! Die ist absolut fantastisch!” muss ich dem ahnungslosen Kerl unbedingt klarmachen, bevor da noch irgendwelche Unklarheiten entstehen. Meine Augen hängen an Chester fest. Wollen sich nie wieder von ihm losreißen. Dieses hübsche, exakt geschnittene Gesicht. Die hellroten Lippen. Seine majestätische Nase. Die leicht geschwungenen Brauen. Die tollen Augen. Die mich fassungslos studieren. Da sind so viele sonderbare Gefühle in dem dunklen Braun seiner Iris versteckt. Die ich allesamt dringend kennenlernen will. Ich möchte jedes tief verborgene Geheimnis dieses Menschen ergründen. Auch wenn mich das vermutlich den Rest meines Lebens kosten wird. Die Idee fesselt mich. Unweigerlich. Es fühlt sich an, als würde die Zeit um uns herum abrupt stehenbleiben. Das Büro und alle darin befindlichen Personen verlieren schlagartig jegliche Bedeutung für mich. Allein Chester und ich existieren noch. In dieser magischen Dimension gibt es nur uns Zwei. „Shi-no-da...”, flüstert Chester so leise, dass es niemand außer mir verstehen kann. Der Besondere singt meinen Namen. Ausschließlich für mich. Mit so unglaublich viel Zärtlichkeit. In seiner sanften Stimme. In seinen schwarzen Pupillen. Eine Welle echter Dankbarkeit umspült mich. Leidenschaftliche Zuneigung. Sorgt dafür, dass meine Seele vor Freude weinen will.

„Was finden Sie an Chester Bennington noch alles fantastisch, Mike?” poltert die dunkle Stimme von Paulsen. Mitten in mein verstärktes Herzklopfen hinein. Irritiert fährt mein Kopf zu dem grob störenden Mann herum. Seine blauen Augen liegen interessiert forschend auf mir. Da war so ein spezieller Unterton in seiner Frage. Der mich jäh erschreckt hat. Als wäre dem gelehrten Herrn Professor der Psychiatrie plötzlich etwas Wichtiges klargeworden. „Was?” frage ich völlig verwirrt. „Was gefällt Ihnen an Chester? Können Sie das aufzählen, Mike?” fordert der freundliche Oberarzt mich geruhsam auf. Blitzartig dämmert mir, dass ich gerade möglicherweise zu viel von mir offenbart habe. Dem verdammten Kerl etwas über mich suggeriert habe, das ich niemals verraten wollte. Zum Beispiel, dass ich meinen Mitpatienten rundherum fantastisch finde. „Nein... das... ist nicht...”, stottere ich blöde herum. Fühle mich in jeder Hinsicht überfahren. Mist, meine Wangen werden ganz heiß! Das ärgert mich total. Unbehaglich weiche ich dem prüfenden Blick des Professors aus. Starre stattdessen den grauen Teppichboden an. „Lassen Sie ihn doch einfach in Ruhe!” höre ich Chester neben mir. Der Tiger kämpft an meiner Seite. Die faszinierendste aller Stimmen ist ein wütendes, feindseliges Fauchen. Fuck, das läuft alles völlig verkehrt hier! Ich wollte die ohnehin explosive Situation doch im Griff behalten. Darauf aufpassen, dass der labile Sänger nicht übermäßig aggressiv wird. Stattdessen führe ich mich wie der hinter letzte Vollidiot auf. Der sich selbst nicht ausreichend unter Kontrolle hat. Der ungewollt private Gefühle offenbart. Die lieber unter Verschluss bleiben sollten. Zu viele Minuten lang ist es unerträglich still in Professor Paulsens Büro. Mit den aktuell fünf anwesenden Männern ist der unpassend kleine Raum restlos überfüllt. Niemand sagt etwas. Keiner bewegt sich. Als würden alle gemeinschaftlich den Atem anhalten.

Als der sichtbar wartende Oberarzt endlich kapiert, dass ich ihm heute nicht mehr antworten werde, holt er resigniert seufzend tief Luft. „Nun gut”, beschließt er unheilvoll, wendet sich ab und geht bedächtig zurück hinter seinen massiven Schreibtisch, „Sie beide lenken sich gegenseitig auf eine derart drastische Weise ab, dass leider gemeinsam kein vernünftiges Gespräch möglich ist. Darum hat es sich meines Erachtens nach als unerlässlich herausgestellt, dass Chester den Raum verlassen muss, damit ich mich in Ruhe mit Mike unterhalten kann.” „Nein, das betrifft uns doch beide!” wendet Chaz sofort gestresst ein, „Mike und ich waren zusammen im Park!” „Ja, und dieser ungenehmigte Vorfall erfordert eine umfassende Klärung”, erläutert Paulsen ruhig, „Aber es ist offensichtlich besser, wenn ich getrennt mit Ihnen beiden darüber spreche.” „Finde ich überhaupt nicht besser!” teilt Chester ungehemmt seine alarmierte Meinung mit. Entlockt mir damit ein nervöses Lachen. Das sich dummerweise genauso verzweifelt anhört, wie ich mich derzeit fühle. Außerdem wirkt mein schrilles Kichern gerade völlig deplatziert. Weswegen ich mir verstört auf die Zunge beiße, um es zu stoppen.

Zögernd hebe ich den Kopf. Wage einen vorsichtigen Blick auf den zweifelsfrei fest entschlossenen Oberarzt. Paulsen sitzt wieder hinter dem Ungetüm von Schreibtisch. Seine Miene sieht völlig neutral aus. Gelassen gibt er Ulli ein unmissverständliches Handzeichen. Der Patient Bennington soll unverzüglich hinausbegleitet werden. Sofort macht der gehorsame Pfleger sich diensteifrig daran, seinen Schützling aus dem Zimmer zu befördern. Aufs Neue packt er den dünnen Arm viel zu grob. Zerrt heftig daran. Zielstrebig Richtung Ausgang. Der Tätowierte sträubt sich allerdings dagegen. „Nein, ich will jetzt nicht raus! Sie können mich nicht einfach wegschicken wie ein Kind! Das geht mich ja wohl was an, was Sie mit Mike besprechen! Ich sehe nicht ein, dass Sie hinter meinem Rücken über mich reden!” protestiert Chester dermaßen angepisst und getrieben, dass mein Herz sich gequält zusammenzieht. Beim Entscheidungsträger findet er mit seinen Einwänden jedoch keinerlei Gehör. „Herr Bennington, bitte seien Sie doch vernünftig. Sie schaffen es doch gar nicht, einem Gespräch schweigend zu lauschen. In der letzten halben Stunde haben Sie mir deutlich genug gezeigt, dass es Ihnen nicht einmal möglich ist, einfach nur Ruhe zu bewahren, solange ich mich mit Herrn Shinoda befasse. Im Gegenteil. Schon seit Ihrem Eintreten in mein Büro befinden Sie sich fortwährend in einem überaus nervösen Zustand der hellen Aufregung. Ich bin daher zu der ärztlichen Diagnose gelangt, dass eine emotionale Pause Ihnen dabei helfen wird, einen klaren Kopf zu bekommen. Bitte warten Sie kurz draußen, Chester. Sie können mit Ihrem Pfleger auf dem Flur bleiben. Versuchen Sie bitte, sich zu beruhigen. Ich habe mit Mike lediglich einige wichtige Punkte zu klären. Das Gespräch dauert nicht lange. Gleich danach rufe ich sie wieder herein”, verspricht der Professor in milder, geduldiger Tonlage. Erfolgreich erlernte Deeskalation. Sein abschätzender Blick auf den widerspenstig zappelnden Sänger ist voller Verständnis, Mitgefühl und einem überraschend großen Anteil an Besorgnis.

Für seine zugegebenermaßen professionell psychologisch hervorgebrachte Bitte erntet Paulsen allerdings nichts als ein weiteres, reichlich verächtliches Schnaufen des uneinsichtigen Patienten. Im nächsten Augenblick streift mich ein konfuser, hilfesuchender Blick von Chester. Der meinen Herzschlag abrupt zum Erliegen bringt. Geschockt zieht sich meine Brust zusammen. Die nackte Panik, die in Chesters schönen Augen glüht, erschüttert mich. Jedes Molekül von mir will ihm augenblicklich beistehen. Habe aber keine Idee, wie diese Hilfe momentan konkret aussehen könnte. Meine Ratlosigkeit macht mich vollkommen fertig. Bevor mir etwas Hilfreiches einfällt, wird mein Mann schon gewaltsam am Arm gepackt und brutal von mir weggezogen. Mein Psychologe Brad Doyle, der die ganze Zeit untätig und unbeachtet am Ausgang herumgelungert hat, öffnet amüsiert lächelnd die Tür für ihn. Energisch bewegt sich Ulli mit Chester im Schlepptau darauf zu. „Fuck you! Lass mich los!” blafft der Brünette widerborstig seinen Pfleger an. Doch Ulli denkt nicht daran, seinen harten Griff um Chesters Oberarmknochen zu lockern. „Jetzt zieh hier keine kindische Show ab, Bennington. Du hast doch selbst gehört, dass es Zeit für dich wird, um dich endlich mal zu beruhigen”, meint Ulli entnervt zu ihm. Mit unerbittlich roher Gewalt schafft er es, den Arizona-Boy gegen dessen Willen aus Paulsens Büro zu zerren.

Chester wirft mir einen zweiten, ebenso verwirrten Blick zu. Der zwischen Angst und ungeheurer Wut liegt. Am liebsten möchte ich ihm nachlaufen. Irgendwas tun. Damit ich in seiner Nähe bleiben kann. Es ist offensichtlich, dass Chazy Chaz mich nicht alleinlassen will. Dass er nicht ausgeschlossen werden will. Nicht ignoriert werden. Seine kraftvollen Schritte stemmen sich aggressiv gegen die von Ulli. Aber sein muskulöser Pfleger ist überraschend stark. Zusätzlich ist der Kerl fest entschlossen. Seine Erfahrung bei der Arbeit in der Psychiatrie hat Ulrich Miller gelehrt, wie er mit widerspenstigen Patienten umgehen muss. Das merkt man. Zur Not würde er meinem Mann wohl auch den Arm auskugeln, um seinen Auftrag zu erfüllen. Ohne mit der Wimper zu zucken würde Ulli Chester verletzten. Da bin ich mir sicher. Seine mitleidlose Rohheit nehme ich diesem gewalttätigen Pfleger extrem übel. Schneller, als mir irgendwas Hilfreiches dazu einfällt, haben Ulrich und Chester das Zimmer schon verlassen. Ich verachte mich selbst. Weil ich nur dämlich dastehe. Das unschöne Schauspiel tatenlos beobachte. Dem Sänger lediglich unglücklich hinterhersehe. Ohne ihm zu helfen. Hinter dem Rücken von Pfleger und Patient schließt Brad leise die Bürotür. Grinst mich gemein triumphierend an. Sein vielsagender Blick spricht Bände. Da siehst du, was passiert, wenn man nicht artig ist! Lass dir das eine Lehre sein, Mike Shinoda! Brads Arroganz macht mich mächtig sauer.

Schneller, als ich es verstehen kann, bin ich mit Professor Paulsen und meinem Psychologen Brad Doyle allein in diesem fürchterlichen Büro. Die Abwesenheit von Chester tut mir beinahe körperlich weh. Sodass ich wahrhaftig ein gequältes Stöhnen unterdrücken muss. Jede Faser von mir will ihm unverzüglich nachlaufen. Seine böse angegriffene Verfassung überwachen. Sicherstellen, dass es ihm gut geht. Etwas tun, damit es ihm besser geht. Aber ich stehe nur wie angewurzelt mitten im Raum. Als wären meine Füße auf diesem grauen Teppich angenagelt. Fühle mich seltsam erstarrt. Bin heimtückisch beraubt worden. Der Täter sitzt hinter seinem eindrucksvollen Schreibtisch aus dunklem Holz. Plötzlich hat er zwei aufgeschlagene Akten vor sich liegen. In denen er interessiert zu lesen scheint. Da sind geschnitzte Verzierungen an den Rändern der massiven Tischplatte. Die ich mir abwesend ansehe. Mein Kopf fühlt sich sonderbar leer an.

Mit Professor Paulsen über den gerade erst vergangenen Abend zu sprechen, ist so ziemlich das Letzte, was ich momentan tun möchte. Danach kommt ehrlich nicht mehr viel. Aber ich ahne, dass ich mich vor diesem Gespräch nicht verstecken kann. Da muss ich jetzt durch. Ob ich will oder nicht. Meine gegenwärtige Misere habe ich mir selbst eingebrockt. Ich hätte viel besser aufpassen sollen, dass Chester und ich nicht erwischt werden. Schon gar nicht bei sexuellen Spielchen. Wir hätten nicht zu lange dem Psychiatriegebäude fernbleiben dürfen. Hätten daran denken müssen, pünktlich beim Abendessen zu erscheinen. Aber hinterher ist man ja immer schlauer. Außerdem war jede einzige Minute, die ich heute mit dem Besonderen auf der versteckten Parkbank verbracht habe, absolut wichtig und notwendig. Es ging da um Chesters Leben, verdammt!

Dummerweise habe ich keinen blassen Schimmer, wie ich das dem Professor erklären soll. Sein Blick liegt abschätzend auf mir. Wendet sich dann erneut den Akten zu. Ich spüre das, obwohl ich ihn nicht ansehe. Halte meine Augen starr auf den Schreibtisch gerichtet. Mit seinen aufwändigen Schnitzereien war das Möbelstück bestimmt nicht billig. Zweifellos ist es ein Schreibtisch, der eines Chefarztes und Stationsleiters würdig ist. Ich habe aber keine Lust, mich von Paulsens Mobiliar oder seiner Stellung irgendwie beeindrucken zu lassen. Auch wenn andere hier uneingeschränkt das Sagen haben, muss ich mir noch lange nicht alles gefallen lassen. Die bequemen Zeiten, in denen ich apathisch war, sind nun mal definitiv vorbei. Jetzt kann ich mein Schicksal wieder in meine eigene Hand nehmen. Chester Bennington hat das bewirkt. Chester allein hat mir mein Leben zurückgegeben.

Ein erbauliches Gefühl von Dankbarkeit, Entschlossenheit und Tatendrang überflutet mich. In meinem leeren Schädel taucht die Überlegung auf, wie ich diese ungeliebte Situation am schnellsten hinter mich bringe. Damit ich mich danach wieder um Chester kümmern kann. Ich sollte möglichst klug vorgehen. Das aufgezwungene Gespräch mit dem Chefarzt der geschlossenen Abteilung so intelligent wie machbar führen. Der beste Weg, bei dieser Auseinandersetzung die Oberhand zu behalten, scheint mir die Flucht nach vorn zu sein. Wenn ich dieses Gespräch kontrollieren will, dann darf ich dabei keinerlei Scheu zeigen. Mich auf keinen Fall entmutigen lassen. Nicht mal von dem Herrn Professor, der irgendwie ganz schön einschüchternd ist. Obwohl er noch nicht allzu alt ist, in den mittleren Vierzigern vielleicht, ist Paulsen ein in seinem Fach offenbar erfahrener Arzt. Der sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen lässt. Immerhin hat er es in seinem Alter schon zum Chefarzt der geschlossenen Psychiatrie gebracht. Der Mann strahlt eine beeindruckende Kompetenz aus. Jeder prüfende Blick von ihm scheint ungehindert bis in die Tiefen meiner Psyche zu gelangen. Es macht mich verrückt, dass der Kerl so lange schweigt. Erst schickt er Chester hinaus, weil er angeblich so dringend mit mir allein einige wichtige Punkte klären will, und nun sagt er keinen Ton. Sitzt unbeeindruckt hinter seinem protzigen Schreibtisch. Blättert und liest seelenruhig in irgendwelchen dicht beschriebenen Papieren. Als hätte der Typ plötzlich alle Zeit der Welt. Das finde ich ganz schön unhöflich. Nicht nur Chester gegenüber. Dem er versprochen hat, es würde nicht lange dauern. Anstatt womöglich noch ewig darauf zu warten, das Paulsen mich endlich anspricht, ergreife ich lieber selbst das Wort.

„Ich weiß schon, was Sie mir sagen wollen, Herr Professor! Das können Sie sich ehrlich sparen!” informiere ich meinen Gegner kurzentschlossen. Meine Stimme ist laut und klar. Mein Blick auf ihn voller Selbstsicherheit. Wundere mich über meinen eigenen, unverhofften Mut. Irgendwas will mir weismachen, dass ich zu forsch bin. Zu respektlos dem studierten Herrn Professor gegenüber. Aber ich ignoriere diese Stimme der guten Erziehung. Die diensthabenden Männer in diesem Raum wollten es ja nicht anders. Doyle und Paulsen haben mir keine Wahl gelassen. Ich musste hierher in das Büro kommen, um mich ihrer Anklage zu stellen. Das hier ist ein aufgezwungener Kampf. Den ich unter allen Umständen gewinnen will. Und zwar so schnell wie irgend möglich. „Ach ja?” entfährt es Paulsen verblüfft. Sein Kopf hebt sich von diesen ominösen Akten. Um mich abschätzend anzusehen. Mein Nicken ist sehr entschieden. „Ja, ich bin genau im Bilde darüber, was mir vorgeworfen wird. Doktor Doyle hat mir schon im Park jeden Punkt meiner Straftaten aufgezählt”, stelle ich von vornherein fest.

Eine Bewegung hinter mir sorgt dafür, dass ich mich umdrehe. Mein Psychologe kommt von der Tür her auf mich zu. Sieht mich überrascht an. Brad scheint über meine Forschheit nicht gerade glücklich zu sein. Schnell wende ich mich wieder dem Professor zu. „Ich halte es nicht für notwendig, wenn sie Doktor Doyles Anklage noch einmal wiederholen”, teile ich dem Oberarzt unverfroren meine Ansicht mit. „Das ist doch keine Anklage, Mike! Wir sind hier nicht in einer Gerichtsverhandlung!” stöhnt Brad fassungslos. Mein Psychologe, auf den ich nach wie vor extrem wütend bin, bleibt sichtbar alarmiert neben mir stehen. Woraufhin ich ihm einen kurzen Blick zuwerfe. Seine betrübte Miene verrät mir, dass er sich von mir komplett falsch verstanden fühlt. Tja, Pech gehabt, Brad!, denke ich angepisst. Energisch wende ich mich abermals dem Professor zu. Der unverändert auf seinem Thron sitzt. Mich nachdenklich mustert. „Wenn das keine Anklage ist, dann verstehe ich nicht, warum ich überhaupt hier bin. Es geht doch bei diesem Gespräch ausschließlich darum, dass ich gegen die Hausordnung verstoßen habe, nicht wahr?” spreche ich Professor Paulsen direkt an. Mit seinem andauernden Schweigen macht der Kerl mich total nervös. Dieser streng prüfende Blick aus seinen stahlblauen Augen, mit dem er mich fortwährend studiert, ist auf Dauer nur schwer zu ertragen. Aber ich zwinge mich dazu, mich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Während ich unruhig auf seine Antwort warte, versuche ich entspannt zu wirken.

Zwei Minuten später macht der anstrengende Typ endlich seinen Mund auf. „Dass Sie heute Abend mutwillig die Hausordnung missachtet haben, steht hier nicht zur Diskussion, Mike”, verbessert er mich sanft, „Das ist schlicht eine Tatsache. Doktor Doyle und Pfleger Ulrich haben Sie ja immerhin in flagranti bei ihrem intimen Treiben mit Chester erwischt, nicht wahr?” Meine Augen weiten sich entsetzt. Sämtliche Eingeweide in mir ziehen sich schockiert zusammen. Fuck, natürlich hat Brad dem Professor jedes Detail haarklein erzählt, was er im Park gesehen hat! Wahrscheinlich hat mein Psychologe auf dem Weg hierher viel ausführlicher mit seinem Chef telefoniert, als ich in meinem derzeitigen Schockzustand realisiert habe. Paulsen scheint jedenfalls genau zu wissen, was alles Unerlaubtes zwischen Chester und mir passiert ist. Die plötzliche Erkenntnis, dass der Chefarzt der geschlossenen Psychiatrie wahrhaftig mein aktuelles Sexualleben kennt, ist mir unglaublich peinlich. Verärgert spüre ich, wie mir infolgedessen das heiße Blut ins Gesicht schießt. Meine Ohren fangen an zu brennen. Am liebsten möchte ich mich irgendwo verstecken. Oder unverzüglich aus diesem beschämenden Zimmer flüchten. Wo das Gespräch bestimmt nicht einfacher wird. Aber Wegzulaufen wäre ganz schön kindisch. Total schwach. Stattdessen entscheide ich mich nochmal für die Flucht nach vorn. Vor Doyle und Paulsen will ich keine Schwäche zeigen.

„Herrgott, ja! Chaz und ich hatten Sex im Park, na und?” fährt es ärgerlich aus mir heraus, „Das ist ja wohl kein Weltuntergang, wenn wir einmal das Abendessen versäumen! Ich finde wirklich, dass Sie aus einer Mücke einen Elefanten machen!” Mein Herz schlägt zu schnell. Ich gebe mich souveräner, als ich mich in Wahrheit fühle. Aber ich bin fest entschlossen, mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. Mein Blick liegt unverändert herausfordernd auf Paulsen. Darum sehe ich sein amüsiertes Schmunzeln sofort. Trotzdem er es schon im nächsten Moment hinter einer freundlich interessierten Miene verbirgt. Dieser Mann nimmt mich überhaupt nicht ernst, verdammt!, fährt es mir wütend durch den Sinn. „Das ist doch gar nicht der Punkt, Mike!” bemängelt Doyle unzufrieden an meiner Seite. Gleichwohl ich momentan mit dem Professor spreche, wende ich mich genervt dem Psychologen zu. „Was ist denn deiner Meinung nach der Punkt, Brad?” frage ich ungeduldig. Er stößt ein deprimiertes Seufzen aus, bevor er antwortet: „Der Punkt ist, dass du dich schon wieder hinter etwas versteckst, Mike. Monatelang warst du emotional in deiner Depression verschwunden. Kaum bist du daraus erwacht, verschwindest du hinter Chester Bennington.”

„Wollten Sie nicht etwas Wichtiges mit mir besprechen?” mache ich hastig einen Schritt auf Professor Paulsens Schreibtisch zu. Fixiere den Oberarzt flehend. Ich muss von Brad wegkommen. Mit dem ich jetzt wirklich nicht länger reden will, wenn er schon wieder mit der Tour anfängt. Was Brad mir wiederholt klarzumachen versucht, mag vielleicht sogar irgendwie stimmen. Kann ja von mir aus sein, dass ich mich zu viel mit Chester beschäftige. Aber ich möchte das nicht hören. Will mir den zauberhaften Mitpatienten auf keinen Fall ausreden lassen. Dazu ist der Besondere viel zu wichtig für mich geworden. Auch wenn ich das alles kaum kapieren kann, was zwischen Chaz und mir passiert, so scheint es mir doch unglaublich bedeutend zu sein. Unsere magische Connection ist entschieden zu gewaltig, als könnte ich jemals damit aufhören. Ich sehe auch gar nicht ein, wofür unsere Trennung überhaupt gut sein sollte.

„Was sagen Sie dazu, Mike? Stimmen Sie Doktor Doyle zu?” fordert der Professor mich zu meiner Frustration auf. Dieses Thema gefällt mir nicht. „Das ist absoluter Unsinn!” erwidere ich überzeugt, „Ich verstecke mich nirgendwo. Chester hatte heute Abend ein Problem, bei dem ich ihm geholfen habe. Das ist alles.” „Du hilfst ihm schon seit Tagen bei seinen Problemen. Du tust nichts anderes mehr, als dich um Chesters Probleme zu kümmern”, wendet Doyle ein, den ich komplett unbeachtet lasse. „Chester ist ein neuer Patient auf unserer Station, dem ich versucht habe zu helfen. Das gebe ich zu. Für ihn ist schließlich alles noch völlig fremd hier. Darum habe ich mich bemüht, ihm die ersten Tage in der Psychiatrie ein bisschen zu erleichtern. Daran kann ja wohl nichts falsch sein”, erkläre ich ruhig, bevor ich tief Luft hole. „Es tut mir leid, was heute Abend passiert ist, Herr Professor. Chaz und ich haben die Zeit vergessen. Wir haben uns nicht an die Regeln gehalten. Das wird bestimmt nicht nochmal vorkommen. Ich verspreche es Ihnen”, versuche ich mein Glück mit einer Entschuldigung. Hoffe inbrünstig, dass der neugierige Oberarzt mich bald gehen lässt. Ich muss dringend nach dem Sänger sehen. Muss sichergehen, dass es Chester draußen auf dem Flur gut geht. Muss dafür sorgen, dass sein unsensibler Pfleger Ulli endlich damit aufhört ihn zu schikanieren.

„Können Sie die Bedenken Ihres Psychologen nachvollziehen?” hakt Paulsen interessiert nach. Der Kerl verschränkt seine Arme auf dem Schreibtisch. Um sich verstärkt auf mich zu konzentrieren. Ich zwinge mich dazu, mich von dieser irritierenden Geste nicht nervös machen zu lassen. „Na gut, es sieht vielleicht so aus, als würde ich nichts anderes mehr tun, als mich um den neuen Patienten zu kümmern. Aber das ist nicht wahr. Im Gegenteil, ich habe mir viele Gedanken um mein eigenes Leben gemacht”, spiele ich auf gut Glück eine Karte aus, von der ich annehme, dass sie bei den Obrigkeiten gut ankommt. „Ach, Mike!” stöhnt Brad schon wieder los, „Sei doch wenigstens ehrlich!” Es macht mich fuchsteufelswild, dass mein Psychologe mich dreist als Lügner darstellt. Wütend fahre ich zu ihm herum, bevor ich mich bremsen kann. „Mir ist bewusst, dass du ein guter Psychologe bist, Brad. Das bezweifle ich gar nicht. Aber so weit ich weiß, kannst du trotzdem noch nicht in meinen Kopf reingucken”, blaffe ich unangebracht provozierend. Brad sieht traurig aus, als er leicht mit dem Kopf schüttelt. „Wir wollen dir hier alle nur helfen, Mike”, muss er mir eindringlich zuflüstern. Als ob ich das nicht schon längst wüsste. Seit meinem ersten Tag hier wollen mir doch pausenlos alle nur helfen. Allerdings haben sie trotz ihrer unbestrittenen Bemühungen nie herausgefunden, was mir eigentlich fehlt. Allein Chester hat das gewusst. Chester hat es irgendwie gespürt. Ein fremder Mann aus Phoenix in Arizona, dem ich zuvor noch nie begegnet war, hat mich auf Anhieb repariert.

„Was Doktor Doyle befürchtet, entspricht nicht den Tatsachen”, wiederhole ich mit Nachdruck an Professor Paulsen gewandt, „Ich denke sehr viel über mein Leben nach. Bei den Therapien arbeite ich immer mit. Nun, weil ich mich in den letzten paar Tagen ein bisschen intensiver um einen neuen Patienten gekümmert habe, verliere ich noch lange nicht meine eigene Situation aus den Augen.” Hey, das hat sich richtig gut angehört!, registriere ich verdutzt. Sofort bin ich stolz auf mich. Weil ich mich so ruhig und vernünftig geäußert habe, dass mir eigentlich niemand mehr etwas vorwerfen kann, finde ich. Die merkwürdige Reaktion von Doktor Doyle, der in einer lächerlich verzweifelten Geste beide Hände in die Luft wirft, die Augen schließt und entgeistert mit dem Kopf schüttelt, bringt mich bestimmt nicht aus der Fassung. Meine ganze Aufmerksamkeit liegt auf Professor Paulsen. Der mir noch immer keinen Stuhl angeboten hat. Was ich total unhöflich finde. Der Kerl sitzt da wie ein Pascha auf seinem bequem aussehenden Bürosessel. Lässt Doyle und mich die ganze Zeit stehen. Seine Augen ungeniert prüfend über mein Gesicht wandern. Gastfreundschaft ist was anderes. „So weit ich weiß, arbeiten Sie erst seit Mitte dieser Woche aktiv bei den Therapien mit, Mike. Davor haben Sie sich für eine ziemlich lange Zeit nirgendwo beteiligt. Ich finde es daher sehr erfreulich, dass Sie mit Hilfe des besagten Patienten einen Weg aus ihrer Depression gefunden haben”, erkennt Paulsen lächelnd an, bevor er sich nach einer kurzen Kunstpause erkundigt: „Kennen Sie und Herrn Bennington sich schon länger?” „Nein, wir haben uns erst hier kennengelernt”, betone ich, „Chester brauchte Hilfe. Ich habe sie ihm gegeben. Daran kann ich nichts Verwerfliches finden.” „Nun, wenn diese Hilfe sexuelle Handlungen beinhaltet, dann verstößt das eindeutig gegen die Regeln, die hier in der Psychiatrie für alle Patienten gelten, und die nicht ohne Grund aufgestellt wurden”, wendet Paulsen sanft ein.

Gestresst unterdrücke ich ein Stöhnen. War ja klar, dass er nochmal auf den Sex zu sprechen kommt! Hektisch suche ich in meinem geschockten, peinlich berührten Kopf eine möglichst clevere Erwiderung auf diesen brisanten Vorwurf. Der wie hartnäckiges Kaugummi an mir zu kleben scheint. Kann aber so schnell keine finden. Mist, das berührt mich zu tief! Der Sex mit Chester ist so wahnsinnig intensiv. Seine zärtlichen Berührungen. Total berauschend. Absolut besonders. In mir drin noch so verwirrend gegenwärtig, dass ich unmöglich mit jemandem darüber sprechen kann. Erst recht nicht mit dem wissbegierigen Professor der geschlossenen Psychiatrie. Den mein Sexualleben ja nun mal überhaupt nichts angeht, verdammt! „Das... es hat uns überrascht... irgendwie... ich konnte nicht...”, stottere ich blöde herum. Habe das alarmierende Gefühl, damit alles lediglich noch schlimmer zu machen. Darum beiße ich mir eilig auf die Lippen. Um das peinlich hilflose Gestammel zu stoppen. Das unwillkürlich aus mir heraus drängt. Schließe die Augen. Versuche, mich zu sammeln. Atme dreimal tief durch. Fokussiere mich auf das, was ich dem Mann begreiflich machen will.

Nach einer Minute habe ich mich wieder im Griff. Abermals bin ich stolz auf mich. Weil ich die Augen innerlich gestärkt wieder öffne. „Hören Sie bitte, Professor Paulsen. Chester und ich haben uns leider hinreißen lassen. Ich weiß, dass das falsch war. Mir ist absolut klar, warum Sex hier in der Psychiatrie keinen Platz haben kann. Und ich sehe das sinnvolle Verbot auch ein. So etwas wird sich garantiert nicht wiederholen, okay?” erkläre ich mit beeindruckend souveräner Stimme. Die mich selbst überrascht. Sogar das mit dem äußerst schwierigen Blickkontakt zum Professor kriege ich richtig cool hin. Wenn Chester mich jetzt sehen könnte, überlege ich zufrieden, dann wäre er bestimmt stolz auf mich. Chester, denke ich. Spüre eine bekannte, heftige Sehnsucht in mir aufflackern. Die mich immer dann befällt, wenn der Besondere nicht in meiner Nähe ist. Ich muss unbedingt zu ihm. Muss mich vergewissern, ob der sensible Sänger da draußen auf dem Flur mit Ulli und seiner Wut klarkommt.

Paulsen mustert mich eine Weile. Nachdenklich. Versuche so zu tun, als würde mich das nicht verrückt machen. Lächele ihn zurückhaltend an. „Also sind Sie nicht der Meinung, dass eine räumliche Trennung von Mister Bennington Ihnen bei Ihrer persönlichen Therapie von Nutzen sein könnte, Mike?” erkundigt sich Professor Paulsen behutsam. Der jähe Schrecken, der mich schlagartig erfasst, lässt sich kaum im Zaum halten. Die plötzliche Angst, dass sie Chester und mich womöglich gewaltsam auseinanderreißen wollen, ist für mich unerträglich. Ein Leben ohne Chazy Chaz kann ich mir nicht mal vorstellen. Schon gar nicht hier. In der verdammten Psychiatrie. Ohne Chester wird alles fürchterlich in sich zusammenstürzen. Mit letzter Kraft setze ich erbittert meine ganze Konzentration ein. Um auch weiterhin vernünftig und gelassen zu wirken. Obwohl ich jetzt gerade wirklich enorm gerne schreien möchte. Mein Blick huscht instinktiv zu Brad Doyle. Der unverändert neben mir steht. Mich genauso ungeniert beobachtet, wie der Professor es schon die ganze Zeit praktiziert. Keine Ahnung, warum ich mir ausgerechnet von Brad Hilfe erhoffe. Vielleicht, weil ich mich daran erinnere, dass mein Psychologe mir schon mal geholfen hat. Weil ich ihm in Bezug auf Chester wahrhaftig mein durcheinandergeratenes Herz ausgeschüttet habe. Als ich vor ein paar Tagen nicht mehr weiter wusste. Weil mir das Gespräch mit Brad überraschend gut getan hat. Mich innerlich gestärkt hat. Weil Doktor Doyle mein persönlich zugewiesener Psychologe ist. Weil ich eigentlich Vertrauen zu diesem Mann haben müsste.

Heute Abend hat Brad mich entsetzlich enttäuscht. Ich bin nach wie vor wütend auf seine plumpe Einmischung. Sein mieses Bestreben, mich wiederholt in Verlegenheit zu bringen. Trotzdem sehnt sich etwas in mir nach Doktor Doyles Beistand. Der Mann scheint momentan meine einzige Chance zu sein. Darum nehme ich meine ganze Vernunft und Kraft zusammen. Sauge Luft in meine Lungen. Als ich ihn entschuldigend ansehe. „Hör mal bitte, Brad. Ich verstehe gut, was du meinst. Es stimmt ja auch, dass ich mich in den letzten Tagen ziemlich viel mit Chester beschäftigt habe. Aber du brauchst dir deswegen ehrlich keine Sorgen zu machen. Chester hatte eine schwierige Zeit. Er brauchte dringend jemanden, der ihm auch außerhalb der Therapien ein bisschen unter die Arme greift. Es waren schließlich seine ersten Tage hier. Aber jetzt geht es ihm schon viel besser. Chester hat sich inzwischen prima eingelebt. In Zukunft werden wir bestimmt nicht mehr so oft zusammen sein. Das war doch nur vorübergehend. Weil Chester hier neu war, verstehst du? Aber das wird jetzt aufhören, Brad. Ab sofort kümmere ich mich nur noch um meine eigenen Angelegenheiten, okay?” rede ich beschwörend auf meinen jungen Psychologen ein. Lächele absolut verständnisvoll. Lasse mich von der gequälten, eindeutig ungläubigen Miene, die in seinem zweifelnden Gesicht auftaucht, nicht von meinem angestrebten Ziel ablenken. Ich bin gerade richtig gut in Fahrt. Darum spreche ich entschlossen weiter. Diesmal direkt an den Herrn Professor gerichtet.

„Um auf Ihre Frage zurückzukommen, Professor Paulsen: Nein, ich bin nicht der Meinung, dass Sie Chester extra auf eine andere Station verlegen müssen, nur um ihn räumlich von mir zu trennen. Herr Bennington gewöhnt sich langsam an das Leben in der Psychiatrie. Für ihn wäre es garantiert nicht vorteilhaft, wenn er sich nochmal neu orientieren müsste. Obendrein sehe ich gar keinen Grund, um uns zu trennen. Chester und ich sind beide Patienten hier. Wir haben festgestellt, dass wir uns gut verstehen. Warum dürfen wir also nicht befreundet sein? Unsere Freundschaft hilft uns beiden bei unserer Therapie, das kann ich Ihnen versichern, Herr Professor! Der beste Beweis dafür ist doch, dass ich mit Chesters Hilfe einen Weg aus meiner Depression gefunden habe, nicht wahr? Nichts anderes konnte mir helfen. Erst seit Chester hier ist, bin ich wieder aktiv an meinem Leben beteiligt. Das können Sie nicht abstreiten, Herr Professor. Chester und ich behindern uns nicht bei unserer Selbstreflexion, wie Doktor Doyle befürchtet. Ganz im Gegenteil. Wir unterstützen uns jeden Tag gegenseitig. Wenn Sie uns jetzt plötzlich jeglichen Kontakt verbieten, dann wird es uns sehr viel schlechter gehen. Besonders Chester würde enorm darunter leiden.”

Das Heben von Paulsens dichten Augenbrauen signalisiert mir, dass er Einwände erheben will. Weil ich mir schon denken kann, welchen peinlichen Punkt er aufs Neue ansprechen will, komme ich ihm hastig zuvor. „Sie haben recht, Herr Professor. Das mit dem Sex lassen Chester und ich in Zukunft natürlich sein. Wir werden auch bestimmt keine Regeln mehr missachten. Ich entschuldige mich nochmals dafür. Es tut mir leid, dass wir so unbeherrscht waren. Es hat uns halt erwischt, was soll ich dazu sagen? Aber ich kann Ihnen hier und jetzt garantieren, dass sich so etwas nicht wiederholen wird, okay? Ab sofort lassen wir unsere Klamotten an”, verspreche ich mit einem schüchternen Lächeln. Registriere erfreut, dass die beiden Männer belustigt schmunzeln müssen. Mich mit einer gewissen, überraschten Zufriedenheit studieren. Mann, das läuft richtig gut! Noch einmal bin ich stolz auf mich. Weil ich so vernünftig, kooperativ und klar mit dem Chefarzt und Brad gesprochen habe, dass sie keinen Grund mehr haben, um mir nicht zu glauben. Obwohl mein Herz mir nervös hinter den Rippen pocht, versuche ich ganz ruhig zu bleiben. Erwachsene Einsicht zu zeigen. Geduld aufzubringen. Gelingt mir ausgesprochen gut, muss ich sagen. Mein verständiger, schuldbewusster Blick wandert vorsichtig fragend zwischen Brad Doyle und Professor Paulsen hin und her. Innerlich triumphierend bemerke ich, dass beide Entscheidungsträger ernsthaft über meine Worte nachzudenken scheinen. Mein Ziel rückt spürbar in greifbare Nähe. Yeah, ich glaube, meine wortreiche Erklärung hat die total beeindruckt!


Chester Charles Bennington

Es wird unruhiger draußen. Bringt die friedliche Welt in Unordnung. Das kann ich sogar ohne Brille erkennen. Die Schatten der hohen Palmen wiegen sich verstärkt im Mondschein. Die Bäume des Parks flattern im Wind. Im Licht der Laternen offenbaren die biegsamen Zweige ihre unfreiwilligen Bewegungen. Schwarze Wolken huschen über den dunklen Nachthimmel. In wilder Hast ziehen sie in Schwaden über den hellen Schein des Dreiviertel-Mondes. Ein Sturm kommt auf. Wenn ich meine Fingerspitzen auf das hermetisch abgeriegelte Fenster lege, kann ich das leichte Vibrieren in der Luft spüren. Mir doch egal, ob da fettige Abdrücke auf dem sauberen Glas zurückbleiben. Ich presse alle zehn Finger fest gegen die angenehm kühle, glatte Scheibe. Damit das Zittern aufhört. Der Schmerz vom Nägelkauen nachlässt. Funktioniert aber nicht.

Wenn ich könnte, würde ich das Fenster öffnen. Ich würde meine Nase weit hinaus in den Wind strecken. Den feuchten Geruch des nahenden Unwetters genießen. Warten, bis das ferne Donnergrollen näher kommt. Ich würde alles dafür geben, um jetzt da draußen zu sein. Möchte mitten im tosenden Sturm tanzen. Irgendeinen Song dabei singen. Laut. So tun, als würde ich auf einer Bühne stehen. Wenn es anfängt zu regnen, will ich bis auf die Knochen nass werden. Zum ersten Mal kalifornischen Niederschlag auf meinem Körper spüren. Das würde sich bestimmt geil anfühlen. Würde mich von meinen frustrierend zahlreichen Problemen ablenken. Doch das mehrfach verschlossene Fenster verhindert die Erfahrung von kühlem Wind auf meiner Haut. Kein streichelndes Wasser wird mich treffen. Abgesperrte Türen machen es mir unmöglich, ungehindert hinauszugelangen. Alles, was ich von offizieller Seite aus tun darf, ist allein in meinem Zimmer zu sitzen. Auf der harten, schmalen Fensterbank verweilen. Reglos sein. Den Blick durch das gut geputzte Glas nach draußen lenken. Übervoll mit Sehnsucht hinausschauen. Meine Gedanken in die Freiheit entkommen lassen. Während mein Körper hinter den Mauern zurückbleibt. Seit ungeklärten Ewigkeiten bin ich eingesperrt.

Wenn es nach Ulli ginge, müsste ich schon lange in meinem Krankenhausbett liegen. In Morpheus Armen ruhen. Das ist es, was der Blonde von mir verlangt hat. Bevor er mich verließ. Beruhigen. Ins Bett legen. Schlafen. Ullis Vorstellung davon, wie ich diese Nacht problemlos überstehen könnte, ist erfrischend gewöhnlich. Allerdings hat der naive Pfleger keine Ahnung, wie undenkbar das momentan für mich ist. Ins Bett legen wäre vielleicht noch drin. Beruhigen und schlafen sind jedoch nicht realisierbar. Nichts könnte aktuell entfernter von mir sein als erholsamer Schlaf. In meiner derzeit beschissen nüchternen Verfassung gehe ich in jeder einzigen Sekunde die Wände hoch. Als Ulli mich nach dem Gespräch mit dem Professor hierher brachte, hat er darauf bestanden, dass ich diesen merkwürdigen Krankenhaus-Schlafanzug anziehe. Den er mir an meinem zweiten Tag hier angedreht hat. Natürlich stammt auch diese Kleidung aus dem offenbar reichhaltigen Psychiatrie-Fundus. Was das groß aufgenähte, schwarze Emblem auf der hellblauen Baumwolle jedem verrät, der einen Blick auf meine Brust wirft. Weil gewissenhafter Pfleger Ulli niemals eher abhaut, bevor ich seinen Wünschen nachgekommen bin, habe ich den lästigen Pyjama eben angezogen. Ist doch scheißegal, was ich anhabe oder nicht.

Mein Kopf ist mit anderen Dingen beschäftigt. Wie gewohnt sind es Erinnerungen aus der Vergangenheit, die mich unaufhörlich quälen. Nur das sie sich diesmal allesamt um den just vergangenen Abend drehen. Vernichtende Beschlüsse wurden gefasst. Mit denen ich nicht klarkomme. Rätselhafte Vorkommnisse. Die ich trotz meiner fortlaufenden Bemühungen nicht begreifen kann. Allem voran die letzte Begegnung mit Mike. Als der Halbjapaner nach endlos unerträglicher Wartezeit endlich aus dem Büro des Professors herauskam, wurde er auf dem Flur in gewollt großem Abstand von Doyle an mir vorbeigeführt. Mehr als ein flüchtiger Blickkontakt war den beiden in Ungnade gefallenen Patienten nicht erlaubt. Weil Ulli mich fast im gleichen Moment in das Büro hineinzerrte, blieb uns kaum Zeit uns anzusehen. Das waren nur ein paar Sekunden, in denen ich Shinodas faszinierendes Gesicht sah. Aber die hatten es in sich. Dieser merkwürdige Augenblick geht mir seitdem nicht mehr aus dem Schädel raus. In Mikes wunderschön großen, braunen Augen glänzte so überraschend viel Zufriedenheit. Sein triumphierendes Victory-Zeichen und der Daumen nach oben verwirren mich noch immer enorm. Offenbar dachte Mike zu diesem Zeitpunkt, dass alles in Ordnung wäre. Als könnte uns nichts Schlimmes mehr passieren. Obwohl wir wegen unserem Spiel im Park gerade vor dem gigantisch angepissten Tribunal standen, war mein Mikey davon überzeugt, dass dieser Scheiß glimpflich überstanden wäre.

Das verstehe ich nicht. Obgleich ich in einer Tour verzweifelt darüber nachdenke, komme ich nicht dahinter, wie der beneidenswert optimistische Mitpatient sich dermaßen irren konnte. Oder bin ich derjenige, der sich irrt? Vielleicht hat der Professor ihm etwas völlig anderes erzählt als mir. Über den Schwarzhaarigen wurde eventuell ein sehr viel milderes Urteil gefällt. Mit dem er sehr gut leben kann. Möglicherweise ist das der Grund, warum ich vorher wie ein dummes Kind aus dem Zimmer geschickt wurde. Trotz meiner Proteste durfte ich nicht hören, was der Chefarzt dem Halbjapaner mitteilte. Hat Paulsen Shinoda angelogen? Oder mich? Warum zur Hölle war Mike auf dem Flur so rundum gut gelaunt? Wie kann das Knopfauge unsere fatale Situation klaglos akzeptieren? Macht es ihm denn gar nichts aus? Warum nimmt er unsere beschissene Strafe einfach so hin, wie irgendwelche Idioten sie uns aufzwingen? Weiß der California-Boy etwa mehr als ich? Habe ich etwas nicht richtig mitgekriegt? Meine grenzenlose Ratlosigkeit macht mich vollkommen verrückt.

Bei den zahlreichen Vorwürfen, die ich mir anschließend von dem strengen Herrn Professor anhören musste, war jedenfalls nicht ein einziges Wort dabei, das mich dazu veranlassen würde, davon auszugehen, dass alles in Ordnung wäre. Nicht mal annähernd. Paulsen hat mir eiskalt den Boden unter den Füßen weggezogen. Das Schlimmste daran ist, dass ich mich wahrhaftig noch immer an jeden seiner vernichtenden Sätze erinnern kann. Nach wie vor dröhnt der tiefe Bass seiner in höchstem Maße von mir enttäuschten Stimme unverändert anklagend in meinem irren Schädel herum. Betont behutsam ausgesprochene Sätze quälen mich stärker, als ich kompensieren kann. Mir war nicht mal klar, dass der verantwortliche Chefarzt der Station, seit ich hier bin, jeden meiner Schritte aufmerksam mitverfolgt. Womöglich kann ich diesen Abend in Professor Paulsens Büro nie wieder vergessen. Bis ans Ende meines Lebens werde ich seine Vorhaltungen in meinem Kopf hören. Werde den anklagenden Blick seiner blauen Augen sehen. Fuck! Das halte ich bestimmt nicht lange durch.

„Sie haben uns wiederholt bewiesen, dass Sie mit Freiheiten, die Ihnen gewährt werden, noch nicht eigenverantwortlich umgehen können, Chester. Bisher haben Sie jedes Entgegenkommen Ihres Pflegers auf schamlose Weise ausgenutzt. Sie werden sicher verstehen, dass wir Ihnen aus diesem Grund vorerst keine Freiheiten mehr einräumen werden. Diese Maßnahme dient dazu, damit Sie gar nicht erst nochmal in Versuchung kommen, ihre regelwidrigen Ideen so impulsiv wie bisher in die Tat umzusetzen. Dazu gehören auch Ihre ungenehmigten, gesanglichen Auftritte, Chester. Bitte unterlassen Sie das in Zukunft. Sie sind hier nicht als Alleinunterhalter angestellt. Derartiges versetzt die ganze Station lediglich in unnötige Unruhe. Sie haben schon sehr viel mehr Wirbel unter den Patienten ausgelöst, als ich gutheißen kann. Warten Sie bitte, bis Sie von einem Therapeuten oder Ihrem Psychologen zum Singen aufgefordert werden. Innerhalb der Therapien werden sie sicherlich noch oft die Gelegenheit bekommen, um sich gesanglich auszudrücken, okay?”

Jeder Vorwurf und Entschluss des Professors ist wie ein schmerzhafter Messerstich in meiner Seele. Paulsen hat mir höllisch tiefe Wunden beigebracht. Die ich immer noch genauso brutal spüre. Es fühlt sich an, als hätte der Kerl eben erst zugestochen. Ich weiß gar nicht, wie ich die quälend lange Anklage mit all ihren Konsequenzen überhaupt lebend überstehen konnte. Erinnere mich nur vage an meine schockierte Reaktion darauf. Kann mich kaum noch an den Weg erinnern, auf dem Ulli mich nach dem vernichtenden Urteil in mein Zimmer gebracht hat. Irgendwann waren wir plötzlich hier. Beruhigen. Ins Bett legen. Schlafen. Das waren Ullis letzte Anweisungen. Darauffolgend hat mein Pfleger mich alleingelassen. Er hat das Licht in meinem Zimmer ausgeschaltet. Die Tür hinter sich zugemacht. Nur Finsternis bleibt zurück. Vermutlich ist das etliche Stunden her. Schätzungsweise ist es bald Mitternacht. Es nervt mich, dass ich keine Uhr habe. Ich kann noch nicht mal die verfickte Uhrzeit ablesen. Dann würde ich wenigstens wissen, wann diese schreckliche Nacht endlich vorüber ist. Stattdessen bleibt mir nur, den fernen Horizont im Auge zu behalten. Auf die Dämmerung zu warten.

Mittlerweile waren es schon zu viele Nächte, in denen ich hellwach gewesen bin. In der Psychiatrie habe ich bisher noch keine einzige Nacht durchgeschlafen. Der scheiß Entzug ist schuld daran. Verdammte Dämonen in meinem Gehirn. Beständiges Kichern in der Düsternis. Fremde Stimmen in der Luft. Endlos qualvolle Stunden liegen schon hinter mir. Trotzdem erscheint mir die Gegenwart besonders unerträglich zu sein. Anscheinend geht das immer noch schlimmer. Auch wenn ich es langsam nicht mehr glauben mag. Wie immer bin ich vollkommen machtlos gegen den lauernden Wahnsinn. Die Fensterbank, auf der ich sitze, ist dermaßen hart, dass mein Hintern anfängt wehzutun. Das Sims ist zu schmal, als könnte ich mich bequem darauf aufhalten. Andauernd drohe ich herunterzufallen. Trotzdem bleibe ich hier sitzen. Halte mich wie besessen an dem bedrohlichen Schauspiel des nahenden Gewitters fest. Außerhalb meines Fensters. Den stärker werdenden Vibrationen der Glasscheibe an meinen zerkauten Fingerspitzen. Meine Wirbelsäule ist seltsam verdreht. Zum Fenster hingewandt. Habe die Beine so weit es geht an meinen Körper herangezogen. Meine Knie berühren meine Brust. Die nackten Fußsohlen stehen direkt hinter meinen Arsch auf dem kalten Stein der Fensterbank. Instinktiv biete ich so wenig Angriffsfläche wie möglich an. Was auch diesmal total sinnlos ist. Weil der Angreifer wie gewöhnlich mitten in meinem Kopf sitzt. Heute ist es die dunkle Stimme von Paulsen. Der unangenehm tiefe Bass. Der mich die ganze Zeit an meinen Dad erinnert. Kaltblütig in mir nachhallt. Die schockierenden Worte des Professors gönnen mir keine Atempause. Scharfe Messer, die unerbittlich auf mich einstechen.

„Leider lassen Sie sich in Ihren spontanen Entscheidungen viel zu undifferenziert von ihrer stark ausgeprägten Genusssucht leiten, Chester. So ein unreifes Verhalten können wir in der Psychiatrie aus vielerlei Gründen nicht erlauben. Aber Sie sind auch damit nicht allein. Genau wie bei der Bekämpfung ihrer multiplen Drogensucht, können wir Sie auch bei dieser Problematik unterstützen. Wenn Sie Ihren sexuellen Trieb nicht ausreichend unter Kontrolle haben, dann können wir Ihnen kurzzeitig mit Medikamenten helfen. Bei der Einnahme haben Sie nichts zu befürchten. Diese Tabletten haben keinerlei Auswirkungen auf Ihre Zeugungsfähigkeit oder Ihre spätere Potenz. Der Wirkstoff wird Sie lediglich vorübergehend von Ihrem körperlichen Leidensdruck befreien, Chester. Das wäre sehr hilfreich für Sie. Dann werden Sie nicht länger von Ihren sexuellen Bedürfnissen abgelenkt, sondern können viel unbeschwerter damit anfangen, ernsthaft an Ihrer Therapie mitzuarbeiten.”

Ich schwöre, als der Professor mir diesen Scheiß reindrückte, in seiner betont verständnisvollen, psychologisch geschulten Art, da haben sich meine Eier abrupt in Panik höllisch tief in meinen Leib zurückgezogen. Vor lauter Schreck wurde mir plötzlich ganz anders. Sodass ich ungesteuert anfing zu schwanken. Mein Pfleger Ulli mich festhalten musste. Damit ich nicht auf den Teppichboden falle. An diesem Punkt dachte ich ehrlich, es könnte nicht noch desaströser werden. Aber da hatte ich mich gründlich geirrt. Das Allerschlimmste hatte fucking Paulsen sich bis zum Schluss aufgespart. Garantiert mit Absicht. Als finalen, siegreichen Schlag sozusagen.  

„Da wir mit all unseren Therapiebemühungen bis jetzt leider noch nicht richtig an Sie herangekommen sind, Chester, habe ich mir Gedanken darüber gemacht, wie wir Sie noch besser dabei unterstützen und zu einem positiven Gelingen beitragen können. Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg Ihrer psychiatrischen Behandlung scheint mir zweifellos die räumliche Trennung von Ihrem Mitpatienten Mike Shinoda zu sein. Dabei geht es mir einzig und allein um Ihr persönliches Vorankommen, Chester. Ihre intime Beziehung zu Mike hindert Sie offenbar erheblich daran, sich auf den Grund Ihres Hierseins und Ihre aktuelle Lebenssituation zu fokussieren. Eine vorübergehende Trennung kann daher nur von Vorteil für Sie beide sein. Am Montag werden Sie deshalb einstweilen auf eine andere geschlossene Station verlegt. Später können wir Ihre Situation dann je nach Ihrer Entwicklung nochmal neu beurteilen.”

Meine todunglücklichen Eingeweide ziehen sich krampfhaft zusammen. Als die vernichtende Wahrheit von Paulsens zartfühlend formulierter Urteilsverkündung aufs Neue ungewollt durch meine Gedanken tobt, stöhne ich schmerzerfüllt auf. Lasse hastig die nutzlose Glasscheibe los. Um meine Arme eng um meine Beine zu schlingen. Ich muss mich dringend festhalten. Damit ich nicht in einer unheilvollen Finsternis verschwinde. Meine Stirn sinkt hinab auf meine Knie. Vergrabe meine Nase in der weichen Baumwolle des Schlafanzugs. Atme ringend tief ein. Der Stoff des Pyjamas riecht nach dem billigen Krankenhauswaschmittel. Das ich inzwischen zu oft gerochen habe. Ich mag diesen Geruch nicht. Er erinnert mich daran, dass ich schon viel zu lange in der Psychiatrie festsitze. Dass ich andauernd hässliche Klamotten tragen muss. Weil ich an diesem Ort nicht mal eigene Kleidung besitze. Eigentlich möchte ich sehr laut schreien. Krächze aber nur unzusammenhängendes Zeug vor mich hin. Wirre Gedankenfetzen bilden autonom völlig unartikulierte Laute. Die ungefiltert aus mir herausplatzen. Als wäre ich plötzlich komplett durchgeknallt. Mein Körper zittert unkontrolliert und derart heftig, dass ich um ein Haar von der verfluchten Fensterbank falle. Ich kriege keine Luft mehr. Akute Panikattacke.

Mit fest geschlossenen Augen zwinge ich mich zu atmen. Bewusst einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Es dauert eine Weile. Bis das Zittern meiner Knochen nachlässt. Ich mich wieder halbwegs unter Kontrolle habe. Die furchteinflößenden Bilder in meinem Kopf wollen mich beharrlich fertigmachen. Das geht nicht!, denke ich seit Stunden in Endlosschleife, die dürfen mich nicht von Mike Shinoda trennen. Das ist absolut ausgeschlossen. Wie um alles in der Welt soll ich denn ohne den Besonderen überleben? An diesem abgeriegelten Ort ist es komplett undenkbar, dass ich ohne Mike klarkommen könnte. Ohne ihn funktioniere ich hier nicht. Ich brauche dringend Mikes besondere Magie. Seine unantastbare Schönheit. Die rätselhafte Zuversicht in seinen tollen Mandelaugen. Wenn er mich so ansieht, als wäre ich von speziellem Wert für ihn. Als würde er tatsächlich an mich glauben. Die beruhigende Aura seiner Anwesenheit. Darauf kann ich unmöglich verzichten. Ohne Mike überlebe ich in der Psychiatrie keinen einzigen Tag. Allein bin ich dem Untergang geweiht. Definitiv.

Plötzlich erleuchtet ein greller Blitz die Welt. Um mich herum. Den ich sogar mit geschlossenen Augen wahrnehme. So unfassbar hell ist er. Das unerwartete Flackern schreckt meinen Kopf unwillkürlich von den Knien hoch. Während ich erschrocken die Augen aufreiße, wendet sich mein Blick wie ferngelenkt dem Fenster zu. Auch ohne Brille kann ich erkennen, was da los ist. Draußen bricht langsam die Hölle los. Der angekündigte Sturm ist unterdessen nähergekommen. Gefährliches Donnergrollen liegt in der Luft. Der dicht bepflanzte Park der Psychiatrie wird von rauen Winden durcheinandergewirbelt. Das Glas klirrt leise in stärker werdenden Böen. Was ich registriere gefällt mir. Das Gewitter vor meinem Fenster passt hervorragend zu dem tosenden Sturm in meinem Herzen. Der heillosen Unordnung in meinem Verstand. Perfektes Timing für ein kalifornisches Unwetter. Als hätten die sich heimlich abgesprochen. Natur und Chester verstehen sich. Auch nonverbal.

Als die ersten Regentropfen die Fensterscheibe treffen, fange ich wie ein Idiot an zu lachen. Mein Brustkorb wird grob davon geschüttelt. Haltlos ringe ich nach Sauerstoff. Das ist kein schönes Lachen. Das egoistisch aus mir herausdrängt. Es fühlt sich nicht gut an. Diese gezwungene Art von Lachen kenne ich aus reichlicher Erfahrung. Es ist lediglich ein Ausbruch meines zu lange gewohnten Irrsinns. Den ich niemals aufhalten kann. Mit der Zeit wird es unaufhörlich schwieriger, innerhalb des schockierten Chaos in meinem Gehirn noch einen klaren Gedanken zu finden. Ich fürchte, ich verliere den Verstand. In meinem gequälten Schädel bilden sich zögernd verhängnisvolle Selbstmordpläne. Nicht vorhandene Gürtel werden an Schranktüren gehängt. Eng um meinen Hals gelegt. Diese gefährlich verlockenden Fantasien laufen selbsttätig in mir ab. Ich habe keinerlei Einfluss mehr darauf. Nicht eine Sekunde länger kann ich tatenlos hier sitzenbleiben. In diesem dunklen Zimmer, allein in der absoluten Leere, werde ich gnadenlos zugrunde gehen. Da ist kein Licht am Ende des Tunnels. Niemals ist da eins. Das habe ich doch alles schon zur Genüge durchgekaut.

Die plötzliche Idee fällt mich aus dem schwarzen Nichts an. Irgendwo in dem undurchschaubaren Chaos meiner verknoteten Gehirnwindungen muss sie wohl gelauert haben. Buchstäblich in letzter Sekunde, rettet der Einfall mich vor der sicher geglaubten Vernichtung. Augenblicklich versetzt er mich in noch größere Aufregung. Das ist wie ein zu lange überfälliger Weckruf aus der tödlich lähmenden Dunkelheit. Kurzerhand springe ich von der schmalen Fensterbank herunter. Oder falle ich da runter? Ich bin mir nicht sicher. Jedenfalls schaffe ich es mit letzter Kraft, meinen jäh in die Tiefe stürzenden Körper irgendwie abzufangen. Setze meine nackten Füße rechtzeitig auf das kalte, graue Linoleum. Kurz bevor ich auf meiner dummen Fresse lande. Ich brauche ein paar taumelnde Schritte. Um mich ausreichend zu stabilisieren. Damit ich aufrecht stehenbleiben kann. Meine Knochen schmerzen. Jede Faser meiner Existenz tut weh. In Professor Paulsens Chefarztbüro sind neue, hässliche Wunden in meine sensible Seele gerissen worden. Die ich nicht noch länger allein tragen kann. Ungeklärte Fragen spuken mir kontinuierlich im Kopf herum. Wie ein böswillig stechender Hornissenschwarm. Fortwährend peinigend. Mir will nicht aus dem Sinn, wie absurd zufrieden Mike aussah. Als er aus dem Chefarzt-Zimmer kam. Bei unserer letzten Begegnung war der sonderbare Kerl total relaxed. Als wäre das Knopfauge frohen Mutes mit allem einverstanden, was der Professor für unsere Zukunft beschlossen hat. Als würde es Shinoda überhaupt nichts ausmachen, wenn wir uns ab Montag nie mehr wiedersehen.

Damit kann ich mich unmöglich abfinden. Ich will nicht glauben, dass ihm unsere bevorstehende Trennung egal ist. Dass er sich möglicherweise sogar darüber freut, mich bald loszuwerden. Unbedingt muss ich wissen, was den rätselhaften Halbjapaner dazu veranlasst hat, mir auf dem Flur vor dem Büro mit seinen talentierten Fingern ausgerechnet ein Victory-Zeichen und den Daumen nach oben zu zeigen. Sieg und Thumbs Up?! Bizarrer geht's ehrlich nicht! Mikes unerwartet optimistische Gesten widersprechen so extrem meinen eigenen Empfindungen, dass ich deswegen fast durchdrehe. Rigoros eine Erklärung verlange. Sofort. Das frustrierende Gefühl, etwas enorm Wichtiges nicht richtig mitgekriegt zu haben, wird erfahrungsgemäß nicht von alleine verschwinden. Ich muss auf der Stelle wissen, was eigentlich los ist.

Unter keinen Umständen kann ich damit bis morgen warten. Meine aktuelle Situation wird zunehmend gefährlicher. Noch zwei Minuten allein in diesem dunklen Raum. Und mein Verstand verabschiedet sich endgültig von mir. Die komplette Auflösung meiner ohnehin stark angegriffenen Selbstkontrolle ist unausweichlich. Ich kenne diesen labilen Zustand der Unsicherheit zu gut, um die typischen Anzeichen nicht zu verstehen. Ich hasse es, dass man in diesem Gebäude die Fenster nicht öffnen kann. Früher oder später würde ich wohl versuchen, das einzige Fenster in meinem Zimmer einzuschlagen. Obwohl ich sicher zu recht daran zweifele, dass ich die Glasscheibe allein mit roher Gewalt kaputtkriegen würde. Dies hier ist am Ende noch immer die geschlossene Psychiatrie. Ich wäre garantiert nicht der erste Patient, der seine Wut an einer der Fensterscheiben abreagiert. Darauf sind die doch vorbereitet. Das haben die bedacht, als sie das Fenster einbauten. Der pure Versuch reizt mich trotzdem erheblich. Schon allein deshalb, damit ich diesen geilen Sturm da draußen spüren kann. Ich will, dass mir der ungezähmte Regen kalt ins Gesicht klatscht. Nicht nur von außen gegen das Glas. Aber ich darf jetzt nichts Unüberlegtes tun. Nicht die langweilig genormte Einrichtung meines zugewiesenen Raumes zertrümmern. Obgleich es mich auch diesbezüglich gewaltig in den Fingern kribbelt. Roher Vandalismus würde mir allerdings kein bisschen weiterhelfen. Im Gegenteil. Sie würden sich nur noch unangenehmere Strafen für mich ausdenken. Ich möchte erst gar nicht darüber nachdenken, wie die Konsequenzen aussehen könnten. Jedenfalls würde es meine Lage unter Garantie nicht verbessern.

Das konkrete Ziel, dass ich glücklicherweise irgendwo in meinem konfusen Schädel gefunden habe, verspricht dagegen Aussicht auf Erfolg. Mike Shinoda wird mir helfen. Das tut er schließlich immer. Der wahnsinnig attraktive Halbjapaner hat diese mystische Macht, alles irgendwie ins Gute umzukehren. Ich verstehe nicht, warum ich nicht schon viel eher auf ihn gekommen bin. Die Lösung meiner Probleme scheint auf einmal lächerlich einfach zu sein. Fast möchte ich lauthals darüber lachen. Wenn mir das früher eingefallen wäre, hätte ich mir etliche Stunden in nervenaufreibender Ungewissheit ersparen können. Aber Chester ist nun mal nicht der hellste Stern am Himmel. Meine Dämlichkeit dürfte mittlerweile hinlänglich bekannt sein. Mike dagegen ist der cleverste Kerl, den ich kenne. Ich kann es nicht erwarten, ihn wiederzusehen. Mister Shinoda wird mir mit Sicherheit erklären können, was hier eigentlich gerade abgeht. Warum er der irritierenden Meinung ist, dass nur irgendwas davon in Ordnung wäre. Die Vorstellung, den Besonderen unverzüglich danach zu fragen, beschleunigt meinen Herzschlag rapide. Das macht mich enorm ungeduldig. Am liebsten möchte ich augenblicklich losrennen.

Doch etwas mahnt mich, lieber überlegt vorzugehen. Während ich ruhelos in meinem Zimmer auf und ab laufe, grübele ich darüber nach, ob ich mir meine geliehenen Klamotten anziehen soll, bevor ich mich auf den Weg zu Mikes Zimmer mache. Falls irgendwo auf der Station zufällig eine Tür offensteht, dann könnte ich leichter abhauen. Draußen würde ich gar nicht auffallen, wenn ich normale Kleidung trage. Im Schlafanzug dagegen schon. Wer rennt schon im Pyjama durch die Straßen? Sie würden mich sofort aufgreifen. Natürlich hierher zurückbringen. Die Kehrseite der Medaille ist, dass ich auf den endlosen Fluren der Psychiatrie in Erklärungsnot geraten würde, falls mich irgendein Pfleger überrascht. Wie sollte ich rechtfertigen, dass ich mitten in der Nacht Straßenkleidung anhabe? Sie würden selbstverständlich annehmen, dass ich mich aus dem Staub machen will. Das würde sicherlich großen Ärger geben. Im Schlafanzug dagegen kann ich einfach behaupten, ich hätte mich auf dem Weg zum Klo verlaufen. Das wäre absolut plausibel. Würde keinen übermäßigen Verdacht erregen.

Weil ich die Wahrscheinlichkeit, in den Gängen der geschlossenen Psychiatrie zufällig auf einen patrouillierenden Pfleger oder eine Krankenschwester zu treffen, bei nüchterner Betrachtung weitaus höher einschätze als die Chance, dass irgendeine Tür nach draußen nicht abgeschlossen ist, entscheide ich mich vorsichtshalber für den Schlafanzug. Auch wenn ich echt nicht gerne in dem hässlichen, hellblauen Teil herumlaufe, scheint es mir für das Gelingen meines lebenswichtigen Vorhabens von frustrierender Notwendigkeit zu sein. Abgesehen davon würde es ein paar Minuten dauern, mich jetzt erst noch umzuziehen. Das wäre Zeit, die ich nicht mehr habe. Der Gedanke daran, vielleicht genau um Mitternacht Mikes Zimmer aufzusuchen und das niedliche Knopfauge vermutlich im Schlaf zu überraschen, versetzt mich in nervöse Euphorie. Ich kann jetzt unmöglich länger warten.

Hektisch mache ich ein paar Schritte zirka in Richtung der Tür. In der Dunkelheit stoße ich heftig gegen den blöden Tisch. Der mein Vorankommen massiv behindert. Fluchend gebe ich dem Tisch einen wütenden Tritt. Mit meinen nackten Füßen war das allerdings keine gute Idee. Stöhnend reibe ich mir den schmerzenden Fuß. Danach den ebenso geprellten Oberschenkel. Das wird ein weiterer blauer Fleck in meiner Sammlung. Der sich zu dem Hämatom gesellt, das Shinoda mir vor zwei Tagen in der Bibliothek verpasst hat. Mike Shinoda, fährt es mir wohlig warm durch den Kopf. Mit einem dümmlichen Lächeln. Versuche dann eilig, mich zu orientieren. Ich hasse diesen verfluchten Raum. Das kurze Aufflackern eines weiteren Blitzes vor meinem Fenster offenbart mir seine ungefähren Proportionen. Zwei Sekunden später ist es wieder stockdunkel. Gewaltiger Donner bricht über die Welt herein. Lässt die Luft erzittern. Stürmischer Regen peitscht lautstark gegen das Glas. Der Sturm hat mich eingeholt. Verwirrt blicke ich zum Fenster hin. Gleichzeitig fällt plötzlich von der anderen Seite unversehens Licht in den Raum. Jemand hat vom hell erleuchteten Flur aus meine Zimmertür aufgemacht. Erschrocken fliegt mein Kopf in die Richtung der ungewöhnlichen Störung. Um zu sehen, wer da dreist mitten in der Nacht hereinkommt. Das Licht in seinem Rücken sorgt dafür, dass ich nur den Schatten einer menschlichen Gestalt erkennen kann.

Drei Sekunden darauf flammt die helle Neonröhre an meiner Zimmerdecke auf. Abrupt geblendet, schließe ich die Augen. „Warum bist du noch wach, Chester? Kannst du nicht einschlafen?” erkundigt sich jemand mitfühlend. Ich kenne diese zurückhaltende Stimme nicht. Als ich vorsichtig die Augen öffne, erblicke ich einen Mann in weißer Kleidung. Der an der offenen Tür steht. Vermutlich ist es ein Pfleger. Obwohl der Typ auf die Entfernung verschwommen bleibt, bin ich mir ziemlich sicher, ihn noch nie zuvor getroffen zu haben. „Wer sind Sie?” frage ich nicht sehr intelligent. Oder etwa gastfreundlich. Das unerwartete Auftauchen dieser Person bringt mich völlig aus dem Konzept. In Gedanken war ich schon längst in Mikeys Zimmer. Habe den Süßen in seinem Bett schlummernd vorgefunden. Den Besonderen zärtlich wach geküsst. Mit meinen Fingern sanft durch seinen schönen Bart gestreichelt. Mir vorgestellt, wie verschlafen er mich anlächelt. Mit verliebten, braunen Knopfaugen. Stattdessen muss ich mich jetzt unfreiwillig mit dem fremden Kerl auseinandersetzen. Der einfach ungefragt in mein Zimmer kommt. Das Licht einschaltet. Mich durch sein Auftauchen daran hindert, augenblicklich zu Shinoda zu gelangen. Das macht mich ziemlich wütend.

„Ich habe mich dir noch nicht vorgestellt. Ich bin Pfleger Griffin, und du darfst mich gerne duzen, Chester. An diesem Wochenende habe ich den Nachtdienst auf deiner Station”, informiert der Mann mich freundlich. „Was willst du denn?” erwidere ich ungehalten. Fuck, ich schaffe es nicht, meine jähe Frustration aus meiner Stimme herauszufiltern! Das ist nicht gut, wenn der Pfleger womöglich deswegen misstrauisch wird. Ich muss mich dringend zusammenreißen. Leidlich interessiert gehe ich ein paar Schritte auf ihn zu. Damit ich ihn deutlicher sehen kann. Er bleibt reglos an der Tür stehen. Betrachtet mich offenbar abschätzend. „Ulli hat mich darüber informiert, dass du heute Abend ein recht schwieriges Gespräch mit Professor Paulsen hattest, worüber du dich sehr aufgeregt hast. Dein Pfleger hat mich deshalb darum gebeten, im Laufe der Nacht regelmäßig nach dir zu sehen, ob mit dir alles in Ordnung ist”, erklärt der Eindringling ruhig. Es pisst mich herbe an, dass Ulli mir jetzt sogar schon auf den Sack geht, obwohl er gar nicht anwesend ist. Das ist doch totale Scheiße, wenn dieser andere Pfleger die ganze Nacht lang andauernd hier reinkommt! Dann merkt er doch sofort, wenn ich nicht mehr in meinem Zimmer bin! Leichte Panik überfällt mich.

„Nein... ähm... das ist nicht...”, stammele ich dämlich. Bevor ich mir verärgert auf die Zunge beiße. Nachdenken, Chester! Erst denken, dann den Mund aufmachen! Das hat schon früher meine Mom immer zu mir gesagt. Als meine Zunge grundsätzlich schneller war als mein Gehirn. Als ich noch ein ADS-geplagtes Kind war. Mit noch zwei widerwilligen Schritten nach vorne stehe ich nahe genug vor Griffin. Damit ich mir den lästigen Kerl einigermaßen klar ansehen kann. Stelle überrascht fest, wie ungewöhnlich jung er aussieht. Der kann kaum älter als ich sein, schätze ich verwirrt. Vielleicht ein Student der Psychologie. Der hier einen studentischen Nebenjob macht. Oder so etwas Ähnliches. Griffin hat kupferrotes, kurzes Haar. Hellblaue Augen. Ein sommersprossiges Gesicht. Das mich freundlich anlächelt. Geduldig abwartend. Ja klar, der Mann ist die Ruhe in Person. Schließlich hat er doch die ganze Nacht Zeit. Er will ja auch nicht dringend einen besonderen Patienten aufsuchen.

„Also... ähm... mit mir ist alles in Ordnung, Griff”, behaupte ich gelassen, knipse ein müdes Lächeln an, „Wie du siehst, geht es mir super. Es ist gar nicht erforderlich, dass du noch öfter herkommst.” Seinem verstärkt prüfenden Blick halte ich locker stand. Den bin ich mittlerweile an diesem Ort gewohnt. Wo man pausenlos begutachtet wird. Sein amüsiertes Lachen, das daraufhin einsetzt, irritiert mich dagegen enorm. „Warum liegst du denn dann nicht in deinem Bett, Chester? Wenn es dir wirklich so super gehen würde, wie du behauptest, dann müsstest du schon seit Stunden friedlich schlafen”, meldet Griffin unüberhörbare Zweifel an meiner Aussage an. Die mich ehrlich wütend machen. Ich habe keine Lust, mich vor ihm zu rechtfertigen. Will mit diesem fremden Kerl weder meine derzeitige Verfassung noch meine offensichtliche Schlaflosigkeit diskutieren.

„Hör mal, das kannst du mir ruhig glauben, wenn ich dir sage, dass es mir gut geht”, beschwere ich mich angefressen. Woraufhin er sofort beschwichtigend beide Hände hebt. „Natürlich glaube ich dir das, Chester!” will er mir vergeblich weismachen, „Aber es wäre schon schön, wenn du dich jetzt ins Bett begeben würdest. Morgen warten neue Aufgaben auf dich, die du viel besser bewältigen kannst, wenn du ausgeschlafen bist.” „Ja, das weiß ich”, erwidere ich gereizt, „Ich habe die ganze Zeit geschlafen. Der Krach draußen hat mich geweckt. Als du hereingekommen bist, war ich gerade erst wachgeworden. Ich wollte nur eben aufs Klo gehen. Danach lege ich mich sofort wieder hin, okay?” Die Tatsache, dass ich genauso gut lügen kann wie er, amüsiert mich irgendwie. Wenigstens veranstaltet das stürmische Gewitter unterdessen in der Tat einen ziemlichen Radau vor meinem Fenster. Blitze flackern durch den Raum. Gleich darauf folgen laute Donnerschläge. Sodass der argwöhnische Pfleger zumindest diese Lärmquelle nicht abstreiten kann. Meine Augen suchen in seinem Gesicht verzweifelt nach Verständnis. Finden es aber nicht. Griffin zieht vielsagend die kupferroten Augenbrauen hoch. Was mir deutlich macht, dass er mir kein Wort glaubt. Fuck! Sein tiefsinniger Blick richtet sich bedeutungsschwanger über meine Schulter. Verharrt auf irgendeinem Punkt hinter meinem Rücken. Verwirrt drehe ich mich um. Damit ich sehen kann, was da seine Aufmerksamkeit erregt hat. Kapiere zuerst nicht, was der nervige Typ überhaupt meint. In meinem langweiligen Zimmer steht alles an seinem Platz.

Ein paar Minuten lang stehe ich einfach so dort. Keiner von uns sagt etwas. Niemand bewegt sich. Während ich ratlos nach einer Erklärung suche. Erst nach peinlich langer Leitung fällt mir endlich auf, dass mein Bett noch genauso aussieht, wie ich es heute Morgen auf Ullis Anweisung hin zurechtgemacht habe. Jeden Tag verlangt mein Pfleger dieses überflüssige Ritual von mir. Die Steppdecke ist ordentlich über die Matratze gelegt und sogar glattgestrichen worden. In diesem Bett hat zweifellos niemand gerade noch geschlafen. Es wurde heute Nacht nicht mal angerührt. Das scheiß Möbelstück sieht eindeutig unbenutzt aus. Ulli hat zwar darauf bestanden, dass ich den Schlafanzug anziehe. Aber nicht überprüft, ob ich mich ins Bett lege. Als mein Pfleger hinausging und das Licht ausschaltete, stand ich wie angewurzelt mitten im Raum. Beruhigen. Ins Bett legen. Schlafen. Doppelt Fuck! Wütend fahre ich zu Griffin herum. Sehe ihn herausfordernd an. Der Mann hat mich bei einer Lüge ertappt, na und? Was geht es irgendeinen fremden Pfleger überhaupt an, ob ich schlafe oder nicht? Das ist ja wohl ganz allein meine Sache! Der verdammte Kerl soll mich in Ruhe lassen! Aber schnell! Ich habe keinen Bock auf so einen sinnlosen Mist. Mike wartet vielleicht schon auf mich. Die plötzliche Vision, dass der attraktive Halbjapaner hellwach in seinem Bett liegt und sehnsüchtig auf meinen Besuch hofft, versetzt mich abrupt in heftige Nervosität. Unwillkürlich spurtet mein Herzschlag los. Sodass ich überrumpelt nach Luft schnappen muss.

„Alles okay, Chester?” will Griffin besorgt wissen. Der mich entschieden zu interessiert beobachtet, als könnte er meine explodierende Wut und Ungeduld nicht sofort bemerken. Dass der rothaarige Pfleger nicht weiter auf meiner aufgeflogenen Lüge herumtrampelt, versöhnt mich irgendwie mit ihm. Zu meiner Erleichterung erwähnt er mein entlarvend gemachtes und seither unbenutztes Bett nicht mal. „Mir geht’s gut, Griff”, beharre ich stur, „Ich wollte nur eben kurz zur Toilette, darf ich?” In seinem hellhäutigen Gesicht taucht wieder dieses amüsierte Lächeln auf. Aus dem ich nicht recht schlau werde. Lacht der Pfleger heimlich über mich? Oder ist er einfach nur ein freundlicher Mensch? „Selbstverständlich darfst du auf die Toilette gehen, Chester”, betont er sanft, „Du kannst sicher sein, dass dir hier niemals jemand verbieten wird aufs Klo zu gehen.” Obwohl sich der letzte Satz arg spöttisch und sarkastisch angehört hat, beschließe ich spontan, besser darüber hinwegzusehen. Ich habe keine Zeit mehr, mich noch länger mit Griffin aufzuhalten. Untrennbare Stahlseile ziehen mich zu Mister Shinoda hin. In meinem Kopf ist langsam gar kein Platz mehr für andere Gedanken. Nur noch die an den wunderhübschen Halbjapaner. „Tja... also dann...”, bemerke ich vage. Unschlüssig, ob ich jetzt einfach hinausgehen soll. Ob ich das überhaupt darf. Ohne das Griffin mich aufhält.

Nach kurzem Zögern mache ich einen Schritt an ihm vorbei. Richtung einladend offen stehender Tür. „Warte mal bitte, Chester”, bittet Griffin prompt. Im nächsten Moment hat er mir schon bremsend seine Hand auf die Schulter gelegt. Das ist eine provozierend dominante Berührung. Die ich total verabscheue. Viel zu zahlreich hinnehmen muss. Meine Organe ziehen sich widerwillig zusammen. Als ich notgedrungen neben ihm stehenbleibe. Ihn fragend ansehe. „Hör mal, Chester. Wenn du heute Nacht auch weiterhin derartig massive Schwierigkeiten mit dem Einschlafen hast, dann kann ich dir gerne ein homöopathisches Mittel geben. Bitte zögere nicht, mich gegebenenfalls danach zu fragen. Das pflanzliche Mittel wird dir helfen dich zu entspannen”, schlägt er mir fürsorglich vor. Um ein Haar hätte ich lauthals aufgelacht. Wovon redet der ahnungslose Mann da? Meint er etwa Baldrian? Oder Johanniskraut? Alles unter Whiskey oder Heroin hat bei mir schon lange keine Wirkung mehr! Vielleicht würde Morphium helfen. Oder Methaqualon. Aber das wird er mir unter Garantie nicht anbieten. Der hilfsbereite Griffin. Es ist richtig süß, wie naiv der junge Mann ist. Wie er sich scheinbar ohne Ende Sorgen um mich macht. Als würde es ihn wahrhaftig interessieren, wie's mir geht. Pfleger Griffin fühlt sich tatsächlich für mich verantwortlich. Die Erinnerung an tröstlich einschläfernde Barbiturate und andere suchterzeugende Drogen macht mich plötzlich unglaublich nervös. Unbehaglich winde ich mich unter der zartfühlenden Hand auf meiner Schulter weg. Woraufhin der Pfleger mich sofort loslässt.

„Danke, Griff. Echt, das ist total nett von dir. Ich werde darauf vielleicht zurückkommen. Aber ich muss jetzt ehrlich...”, krächze ich gepeinigt. Wackele bedeutsam mit dem Kopf. Verdrehe vielsagend die Augen. Mache ein paar unwohle, unmissverständliche Bewegungen. Klemme mir die Hände zwischen die Beine. Als würde ich mir jeden Moment in die Hosen pinkeln. Das rätselhaft amüsierte Lächeln in Griffins Gesicht steigert sich als Folge davon zu meiner Überraschung in pure Belustigung. „Ach, Chester! Du bist einfach köstlich! Weißt du, Ulli hat wirklich nicht übertrieben, als er mir von dir erzählt hat. Du bist tatsächlich ein einmaliges Original, Mister Bennington!” lacht der Pfleger verwirrend angetan. Lässt seine hellblauen Augen unverhofft wohlwollend über meine gezwungen tänzelnde Gestalt wandern. Diese verblüffende Reaktion habe ich gar nicht beabsichtigt. Ich wollte ihn mit meinen menschlichen Verrenkungen und Grimassen sicher nicht unterhalten. Aber wenn er über mich lacht, dann ist das allemal besser, als wenn er mich misstrauisch fixiert. Lachen ist eigentlich schon die halbe Miete. Das weiß ich aus reichlicher Erfahrung. Zufrieden stimme ich in sein Lachen ein. „Glaubst du mir jetzt endlich, dass es mir super geht? Mir fehlt nichts. Du brauchst nicht nochmal nach mir zu sehen, denn mit mir ist alles wunderbar in Ordnung. Ich bin richtig gut drauf, Griff! Siehst du das?” vergewissere ich mich vorsichtshalber. Laut kichernd nickt er. Während er vergeblich versucht, sich zu beruhigen. „Ja, ist gut, Chester, ich glaube dir das!” ächzt er vergnügt. Schlägt mir kumpelhaft auf die Schulter. Dieser neue Pfleger kennt mich nicht, verstehe ich schlagartig. Und dass dieser Umstand mich retten wird. Wenn Rotschopf nur eine vage Ahnung davon hätte, wie ich aktuell in Wahrheit drauf bin, dann würde er mich wohl die ganze Nacht lang keine Sekunde mehr aus den Augen lassen.

Das berauschende Gefühl, den dummen Pfleger besiegt zu haben, malt ein triumphierendes Grinsen in mein Gesicht. „Wenn du heute Nacht nochmal in mein Zimmer kommst, und ich durch deine Schuld aus einem geilen Traum gerissen werde, dann bringe ich dich um, Griffin!” drohe ich ihm nur halb im Scherz, was er zum Glück nicht merkt. Als ich mir mit der Zunge aufreizend über die Lippen fahre, frivol die Augen verdrehe und mir lasziv stöhnend in den Schritt packe, um zu demonstrieren, welche feuchten Träume ich meine, kann der lustige Mann sich kaum noch halten vor Lachen. Er muss sich tatsächlich an meinem Arm festhalten. Damit er vor lauter Begeisterung nicht umfällt. Das ist total witzig. Wie leicht der Typ sich täuschen lässt. Das gefällt mir. Während ich noch ein paar obszöne Faxen mache, bewege ich mich langsam durch die offene Tür Richtung Flur. Weil Griffin sich vor Lachen taumelnd an meinem Arm festhält, geht er zwangsläufig mit mir mit. Auf diese Weise verlassen wir beide meinen zugewiesenen Ruheraum. Treten fast beiläufig auf den Gang hinaus. Es wird Zeit, mich endlich auf den Weg zu machen. Mister Shinoda wartet unterdessen schon viel zu lange auf mich. Mikey ist ganz allein. In seinem privaten Zimmer. In seinem schmalen Einzelbett. Ich muss ihn fragen, was in Paulsens Büro passiert ist. Muss erfahren, was das alles überhaupt zu bedeuten hat. Ich will dringend seinen tollen Körper berühren. Seine prallen Lippen küssen. Auf keinen Fall will ich den magischen Halbjapaner noch länger warten lassen.

„Warte, warte!” ruft Griffin atemlos. Nötigt mich stehenzubleiben. Indem er auffordernd an meinem Arm zieht. Sobald ich anhalte, lässt er mich los. Knipst das Licht in meinem Zimmer aus. Schließt behutsam die Tür. Sieht mich lächelnd an. Was denn nu noch?, frage ich mich gestresst. Während ich mit ihm in dem viel zu hell ausgeleuchteten, menschenleeren, endlosen Flur stehe, verändert sich die lockere Atmosphäre zwischen uns. Spürbar. Es beunruhigt mich, als der Pfleger zunehmend ernster wird. Mich eine Weile aufmerksam studiert. Als wollte er einer ungeklärten Sache zwingend auf den Grund gehen. Weil mir plötzlich keine Witze mehr einfallen, kann ich nichts weiter tun, als seine neuerliche Prüfung schweigend hinzunehmen. Sein offensichtliches Misstrauen macht mich extrem nervös. Weswegen mein Körper automatisch anfängt herumzuhampeln. Auch dieses Mal kann ich die unwillkürlichen Bewegungen nicht im Zaum halten. Ich kann nur hoffen, dass der Mann mein ausdauerndes Auf-der-Stelle-treten und die Finger, die sich in Höhe meiner Oberschenkel krampfhaft in den hellblauen Stoff meiner weichen, dehnbaren Pyjamahose krallen, auf die irrtümliche Information zurückführt, dass ich dringend pissen muss.

„Es ist schön, wenn es dir gut geht, Chester”, beginnt Griffin nach einiger Zeit derart vorsichtig, dass klar wird, dass er von meiner unbedenklichen Gefühlslage keineswegs überzeugt ist. Meine prompt genervte Erwiderung würgt er sofort mit einer beruhigenden Handbewegung ab. „Ich will auch deinen erholsamen Schlaf gar nicht mit weiteren unangemeldeten Besuchen stören”, fährt er fort und entlockt mir damit ein erleichtertes Stöhnen, bevor ich es unterdrücken kann, „Aber du musst mir eins versprechen, Mister Bennington. Wenn es im Laufe der heutigen Nacht irgendetwas gibt, das ich für dich tun kann, dann kommst du damit zu mir. Ganz egal, was es ist, oder wie spät es vielleicht ist. Es spielt keinerlei Rolle, ob du einen Beruhigungstee trinken willst, oder einfach nur jemanden zum Reden brauchst. Ich bin dazu da, um dir zu helfen, Chester. Aus diesem Grund sitze ich die ganze Nacht vorne an der Anmeldung. Wenn ich zufällig gerade mal nicht da bin, dann komme ich garantiert bald zurück. Du kommst in jedem Fall zu mir und fragst mich um Hilfe. Du versuchst nicht, das mit dir selbst auszumachen, ja? Du holst dir Hilfe bei mir. Versprichst du mir das, Chester? Kann ich mich auf dich verlassen?”

Die flehende Art, in der er mich eindringlich bittet, und die ängstliche Besorgnis in seinen hellblauen Augen schnüren mir unversehens die Kehle zu. Pfleger Griffin scheint verwirrend viel daran zu liegen, dass ich ihn mitten in der Nacht mit meinem Scheiß belästige. Als hätte der seltsame Typ tatsächlich irgendein aufrichtiges Interesse daran, sich mit meinen Problemen zu beschäftigen. Eine hilfreiche Lösung für mich zu finden. Ohne Frage nimmt er seinen Nachtwächter-Job ungewöhnlich ernst. Das berührt mich tiefer, als ich nachvollziehen kann. Sodass ich ein paarmal schlucken muss. Bevor ich mit ihm sprechen kann. „Ja... danke, Griffin... das ist nett...”, stottere ich hilflos. Ein trauriges Lächeln taucht in seinen Zügen auf. Einen Moment lang habe ich das Gefühl, als wollte er über mein Gesicht streicheln. Was mich total durcheinanderbringt. Doch Griffin tut es nicht. Sieht mich nur weiterhin beschwörend an. „Bitte glaube mir Chester. Nichts ist so schlimm, wie es uns im ersten Augenblick vorkommen mag. Sehr oft erscheinen uns die Dinge nur unlösbar. Nach einer Weile ist unsere Situation dann gar nicht mehr so katastrophal, wie wir zuvor gedacht haben”, flüstert der blauäugige Pfleger beinahe. Irgendwas an seiner gefühlvollen Stimme erregt mich plötzlich. Auch wenn ich mir meine widersinnige Reaktion darauf beim besten Willen nicht erklären kann. Ein geiler Schauder läuft mir vom Nacken ausgehend geradewegs die Wirbelsäule hinab. Explodiert irgendwo unten zwischen meinen Beinen. Sodass ich unweigerlich erzittere. Leise seufze. Meine voreiligen Härchen stellen sich auf. Elektrisiert.

„Wow... ja, Griff. Das ist wahr...”, antworte ich atemlos. Aus keinem besonderen Grund. Streng genommen weiß ich schon gar nicht mehr, was er gesagt hat. Meine unerwartete Erregung hat mich komplett verwirrt. Sein trauriges Lächeln verwandelt sich innerhalb von Sekunden in ein amüsiertes. Darüber bin ich froh. Mit von mir belustigten Menschen kenne ich mich viel besser aus als mit furchtsam besorgten. „Also wirst du mich aufsuchen, wenn du mich heute Nacht brauchst, Chester Bennington?” will Griffin noch einmal auf Nummer sicher gehen. „Aber klar doch!” töne ich grinsend, fixiere ihn provozierend, „Du wirst schon sehen, was du davon hast! Ich werde dir heute Nacht so oft auf die Nerven gehen, dass du dir wünschen wirst, du hättest einfach die Klappe gehalten!” Zufrieden registriere ich die rapide ansteigende Belustigung des Pflegers. Sein gutmütiges Kopfschütteln. „Ach, Chester...”, seufzt er ratlos.

Ich bin dermaßen nervös und ungeduldig, dass ich mich nicht bremsen kann. Impulsiv fange ich damit an, um den sonderbaren Kerl herumzutanzen. Weil er das anscheinend witzig findet und sein Lachen lauter wird, drehe ich noch ein bisschen stärker auf. Indem ich ihn spielerisch gegen die Brust boxe. „Du wirst mich noch zum Teufel wünschen, Pfleger Griffin!” prophezeie ich unheilvoll. Rolle drohend mit den Augen. Ziehe dämonische Grimassen. Woraufhin der Rothaarige sich geschlagen seinem unbeschwerten Amüsement ergibt. Kichernd die Arme hebt. Um meine neckischen Schläge niedlich mädchenhaft abzuwehren. Mit einem Blick über die Schulter visiere ich die Tür zur Herrentoilette an. Bewege mich tänzelnd und boxend darauf zu. Will endlich vorankommen. Griffin folgt mir scheinbar arglos. Blöderweise muss ich wohl zuerst den mir höchst vertrauten Waschraum aufsuchen. Ich muss ja wenigstens so tun, als würde ich aufs Klo gehen. Bevor ich endlich zu Mike Shinodas Gemächern eilen kann. Ich hasse es, dass dieser aufdringliche Pfleger mir so viel Zeit gestohlen hat. Inzwischen könnte ich schon lange in Mikeys warmem Bett liegen. Mit ihm zusammen natürlich. Seine unvergleichliche Zärtlichkeit auf meiner nackten Haut spüren. Seine heiße Zunge in meinem Mund. Seine Finger an meinem Schwanz. Die geile Vorstellung macht mich total kribbelig.

Als wir schließlich direkt vor der Tür zur Herrentoilette angekommen sind, versetze ich Griffin einen letzten Schubser gegen die Rippen. „Hör auf, Chester!” beschwert der junge Mann sich japsend. Während er lachend ein paar Schritte zurück taumelt. Der Kerl hat tatsächlich nicht ein einziges Mal zurückgeschlagen. Scheint unseren einseitigen Kampf aber irgendwie zu genießen. Darüber möchte ich sicher nicht nachdenken. „Du kannst jetzt zur Anmeldung gehen, Griff. Oder wo auch immer du hingehen willst. Mach einfach deine Arbeit weiter, okay? Um mich brauchst du dich nicht zu kümmern. Mit mir ist ehrlich alles okay. Ich erledige hier, was zu erledigen ist. Und dann lege ich mich gleich ins Bett, versprochen!” rede ich hastig auf ihn ein. Ich habe ihm nicht versprochen, in welches Bett ich mich lege, beruhige ich mein ungewohnt böse aufmuckendes Gewissen. Versuche, in meinen beschwörenden Blick die ganze Dringlichkeit meines Wunsches zu legen.

Pfleger Griffin kommt zögernd auf mich zu. Bleibt dicht vor mir stehen. Sieht mich eine Weile aufmerksam an. Dieser Angestellte der geschlossenen Psychiatrie ist genauso groß wie ich. Weswegen wir uns geradewegs in die Augen blicken können. Schon wieder taucht dieser nervige Argwohn in seiner hellblauen Iris auf. Der komische Typ hat echt viele Sommersprossen auf der kleinen Nase, stelle ich konfus fest. Als ich seine optische Prüfung notgedrungen ein weiteres Mal dulde. Die unzähligen braunen Punkte in seinem Gesicht fallen auf seiner hellen Haut total auf. „Okay, Chester”, seufzt er endlich, „Aber wir verstehen uns, nicht wahr? Du suchst dir bei mir Hilfe, wenn du sie brauchst?” „Ja, bestimmt! Keine Sorge, Griff”, verspreche ich milde lächelnd. Obwohl ich ihn gerade viel lieber anschreien möchte. Warum er sich denn nicht endlich mal langsam verpisst. Im nächsten Moment hebt der eindeutig beunruhigte Pfleger plötzlich seine Hand. Legt sanft seine Finger auf mein Gesicht. Tätschelt mir ein paarmal unbeholfen über die Wange. Seine überraschende Berührung fühlt sich an, wie ein zärtliches, niedlich schüchternes Streicheln. Deshalb werde ich augenblicklich stocksteif. Schlagartig ist mein Schädel komplett leer. Kann den verwirrenden Menschen vor mir nur noch verdattert anstarren.

Feedback

Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!

Autor

Tonmonds Profilbild Tonmond

Bewertung

Eine Bewertung

Statistik

Kapitel: 20
Sätze: 42.165
Wörter: 363.703
Zeichen: 2.168.019

Kurzbeschreibung

Mit seinem Leben in der geschlossenen Psychiatrie hat Mike sich mittlerweile recht gut arrangiert, indem er einfach gar nichts an sich heranlässt. Eines Nachts taucht plötzlich Chester vor ihm auf und wirbelt sein isoliertes Leben vollständig durcheinander. Von da an ist für Mike nichts mehr, wie es einmal war...

Kategorisierung

Diese Fanfiction wurde mit Liebesbeziehung (problematisch) getaggt.