Storys > Kurzgeschichten > Nachdenkliches > "Wat mat Du da?"

"Wat mat Du da?"

138
3
21.10.22 21:25
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

 

Eine junge Frau sitzt in einem Zugabteil, sieht in ihren Taschenspiegel und malt mit ihrem Lippenstift gekonnt ein strahlendes Rot auf ihren Mund. Sie presst die Lippen kurz zusammen und betrachtet nun das Ergebnis zufrieden im Spiegel.
"Wat mat du da?" wird sie von einem kleinen Mädchen gefragt, das plötzlich vor ihr steht und vielleicht gerade mal 3 Jahre alt ist und die Frau mit großen Augen mustert. "Ich mache mich ein bisschen hübscher" antwortet die Frau.
"Mutt du nich... das ist viel schöner" sagt das kleine Mädchen und deutet mit ihrem kleinen Zeigefinger auf das Herz der Frau.

 

Ein Geschäftsmann sitzt in einem Cafe und schreibt etwas auf einem Notizblock, während er mit seinem Handy telefoniert. Als er das Gespräch beendet, steht auf einmal ein kleines Mädchen vor ihm und fragt: "Wat mat du da?" Er schaut erst ein wenig verwirrt, fasst dann aber wieder schnell seine Gedanken zusammen und antwortet: "Ich spare Zeit, weil ich so viel mehr Geld verdienen kann."
Darauf sagt das kleine Mädchen: "Mutt du nich... das ist viel schöner" und zeigt dann mit ihrem Finger auf die kleine Blume, die der Mann während des Telefonats auf den Notizblock gemalt hat.

 

Ein grauhaariger älterer Mann baut einen Zaun um sein Grundstück und hat fast das Ende seines Bauwerkes erreicht, als er von einem kleinen Mädchen bei seiner Arbeit unvermutet mit einer Frage angehalten wird: "Wat mat du da?" Er schaut überrascht herunter auf das Mädchen vor sich und antwortet: "Mein Nachbar lässt dauernd seinen Hund draußen laufen, der mir dann immer wieder meine Blumenbeete kaputt buddelt - nur, um mich zu ärgern. Deswegen baue ich jetzt diesen Zaun."
Und das Mädchen sagt: "Mutt du nich... das ist viel schöner" und umarmt den alten Mann.

 

Eines Tages begegnet das Mädchen dem Tod und fragt: "Wat mat du da?" Der Tod steht in einem schwarzen Kapuzenmantel vor der Kleinen und antwortet mit tiefer Stimme: "Ich bin der, der jedem irgendwann begegnet und anderen ein Herz nimmt, das sie dann vermissen. Dafür hassen sie mich, denn sie wissen, dass ich kein Herz habe und ihr Leid nicht fühlen kann. Ich suche schon sehr lange nach diesem einen Herzen für mich... doch ich habe aufgegeben, es jemals zu finden."
Das kleine Mädchen sagt nichts, überlegt kurz und öffnet sein Herz... und der Tod sieht hinein und flüstert leise: "Mutt du nich... das ist viel schöner" und zeigt mit seinem knöchernen Finger auf das Leben, das das Mädchen noch vor sich hat...

 

 

Autorennotiz

Auf eure Gedanken zu dieser Kurzgeschichte bin ich sehr gespannt und freu mich auf Euch. :)

Feedback

Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!

2
Miras Profilbild
Mira Am 22.10.2022 um 19:36 Uhr
Liebe Silly,
Eine kleine süße Geschichte, die mich zum Lächeln und Nachdenken gebracht hat.
Vielen Dank dafür!
Ganz liebe Grüße
Mira
Sillys Profilbild
Silly (Autor)Am 03.11.2022 um 17:47 Uhr
Liebe Mira,
ich danke Dir vielmals für dein schönes Feedback und freu mich, dass Dir diese kleine Geschichte von mir gefallen hat.

Ganz liebe Grüße,
Silly. :)
2
Klatschkopies Profilbild
Klatschkopie Am 21.10.2022 um 23:30 Uhr Mit 1. Kapitel verknüpft
Warum denke ich jetzt an Momo? Oder anders gefragt: Hat Momo ne kleine Schwester? ;-)
Sillys Profilbild
Silly (Autor)Am 07.11.2022 um 2:23 Uhr
@BerndMoosecker Dankeschön lieber Bernd...
...denn die Hoffnung sollte unbedingt ganz viele kleine Schwestern haben..
:-)
BerndMooseckers Profilbild
BerndMoosecker Am 25.10.2022 um 16:00 Uhr
Momo hat bestimmt eine kleine Schwester. Dein Gedankengang beweist es :-)
Sillys Profilbild
Silly (Autor)Am 21.10.2022 um 23:58 Uhr
Keine Ahnung... Die Geschichte entstand beim Schreiben - wie so oft bei mir.
Momos kleine Schwester? Vielleicht... ich bin die jüngste von 3.. :)
1
BerndMooseckers Profilbild
BerndMoosecker Am 25.10.2022 um 15:58 Uhr
Liebe Silly,
fast eine Legende, ist Deine Kurzgeschichte. Die Gedanken des Kindes stimmen mich nachdenklich und und am Schluss auch versöhnlich, versöhnlich mit dem Tod. Nach meinem langen Lebensweg, hat der Tod für mich selbst jeglichen Schrecken verloren. Nur der Tod von Menschen, die mich länger oder kürzer auf meinem langen Weg begleitet haben, dringt in mein Herz und lässt mich in unheilbarer Traurigkeit zurück.
Liebe Grüße
Bernd
Sillys Profilbild
Silly (Autor)Am 03.11.2022 um 17:45 Uhr
Lieber Bernd,
ich danke Dir für deine Zeilen zu meiner kleinen Geschichte und freue mich, dass Du sie nicht nur mit den Augen gelesen hast.
Ja, dem Tod entkommt niemand - doch sollte man ihn nicht vorzeitig umarmen...

Ganz liebe Grüße,
Silly.

Autor

Sillys Profilbild Silly

Bewertung

3 Bewertungen

Statistik

Sätze: 32
Wörter: 440
Zeichen: 2.447

Kurzbeschreibung

Ein Kind stellt eine Frage - und bewegt die Welt...