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Kapitel: | 3 | |
Sätze: | 160 | |
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Also soll ich mich vorstellen?, fragst du.
Ja, erwidere ich, deswegen habe ich die Kamera angemacht. Also sag etwas zu deiner Person.
Nun ja, beginnst du und zuckst mit den Schultern. Wir kennen uns doch, du weißt, dass ich 1929 in Rostock geboren wurde und seit 1939 und bis zum Ende des Krieges in der Hitlerjugend war – auch überzeugt davon, setzt du nach, dann hältst du inne und ich ahne, was in dir vorgeht. Ich war überzeugt davon, glühender Anhänger, wiederholst du in leicht schleppendem Tonfall. Ich war sogar stolz darauf, mein Vaterland in den letzten Stunden verteidigen zu dürfen.
Ich weiß, flüstere ich und räuspere mich: Aber dann kamen die Russen.
Du nickst: Ja, dann kamen die Russen und ich verstand und ich schwor mir, mich nie wieder so sehr verführen zu lassen, sondern immer zu prüfen, wem oder was ich folgen möchte. Wieder hältst du inne, schüttelst den Kopf. Ich spüre, dass es dich selbst nach all der Zeit noch immer Kraft kostet, darüber zu sprechen, dass du dich für den Jugendlichen, der du einst warst, schämst.
Bei Kriegsende warst du 16, bist wieder in die Schule gegangen, hast dein Abitur gemacht. Du siehst mich an, sagst jedoch nichts. Und mit 21 Jahren hast du dich an der Filmhochschule in Babelsberg für das Regiestudium beworben.
Ja, stimmst du mir nun zu und dann drängt es so schnell aus dir heraus, dass ich leicht zusammenzucke: Ich war Regisseur bei der DEFA, über 40 Jahre, zunächst im Studio für Dokumentarfilm, dann im Spielfilm und heute, heute da bin ich Handwerker.
Handwerker? Wie? Du meinst ... Und ich deute auf dein Haus, denn ich halte es für einen deiner Witze. Du aber schüttelst den Kopf. Nein, nein, das nicht. Ich meine damit, dass ich heutzutage nicht mehr Regisseur, sondern Handwerker bin.
Wie? Ich verstehe noch immer nicht. Na ja, sagst du, heute drehe ich nur noch Vorabendserien. Und bei dieser Arbeit ist eben nicht mehr der Regisseur gefragt, der seine eigenen Themen hat und sich überlegt, wie er sie inszeniert, sondern nur noch der Handwerker, der ein vorgegebenes Drehbuch abarbeitet.
Planwirtschaft also, versuche ich mich an einem Witz und du zwinkerst mir zu: Doch auch das will gelernt sein. Ja, aber wie gehst du damit um? Wie fühlst du dich dabei, dass du nicht mehr kreativ sein kannst?, möchte ich wissen.
Wie soll ich mich fühlen? Immerhin habe ich Arbeit, was nicht selbstverständlich ist. Noch dazu in dem Bereich, in dem ich gelernt habe. Und von dem Geld, das ich verdiene, kann ich mir doch einen gewissen Lebensstandard leisten.
Aber …, begehre ich auf. Es ist in jedem Fall besser, als daheim hinterm Fenster zu sitzen und auf die Straße zu starren, hältst du mir entgegen und wirst dabei ein wenig lauter: Ich möchte nicht darauf warten müssen, dass ein Produzent vorbeikommt, der bereit ist, meinen nächsten Film zu finanzieren. Denn das verbittert. Viel lieber bin ich unter Menschen. Und ich habe ein unheimlich freundliches und engagiertes Team um mich. Du machst eine kurze Pause: Aber lass uns über die Nachwendezeit später sprechen.
Ich nicke. Gut. Möchtest du mir stattdessen etwas über deine Art des Filmemachens erzählen? Welchen Themen hast du dich in der DDR zugewandt und wie hast du sie auf die Leinwand gebracht?
Du schmunzelst, dann schaust du kurz zur Seite, holst tief Luft. Meine Lehrer waren Gerhard Klein und Słatan Dudow. Orientiert habe ich mich auch an Bergman, Pasolini und Tarkowski. Ebenso wie sie interessierte ich mich schon immer für die Menschen um mich herum: für deren Wünsche, Sehnsüchte, Lüste, Leidenschaften, Sorgen, Ängste – für ihr Leben. Und dieses Leben wollte ich auf die Leinwand bringen. Mit reinstem Herzen, wenn ich das so sagen darf.
Gerade dadurch wurdest du zu einem der provokantesten Regisseure in der DDR, werfe ich ein.
Du zuckst mit den Schultern. Als Regisseur muss man wissen, was die Leute bewegt, was sie umtreibt. Denn das ist die Voraussetzung, um gute Geschichten erzählen zu können. Und gute Geschichten sind Geschichten, die alle angehen. Natürlich provozierte das dann, wenn du da beispielsweise eine junge Frau hast, die von der Liebe träumt und eben nicht vom Aufbau der Sozialistischen Gesellschaft.
Du spielst auf deinen Film Die Legende von Paul und Paula an. Da frage ich mich, inwieweit sich Menschen wie Paula von der Sozialistischen Gesellschaft getragen wissen. Wird ihnen überhaupt das Recht zugestanden, so zu sein, wie sie sind?
Ja, so, sagst du. Wir haben hier die von der Politik propagierte Allbeglückung – und die traf in gewisser Weise ja auch zu. Du warst in der DDR abgesichert. Dir fehlte zum Leben erst einmal nichts. Du hattest eine Wohnung und eine Arbeit. In deinem Viertel gab es ein Ambulatorium, eine Kaufhalle, eine Leihbücherei. Kinos und Theater waren nicht weit. Vor allem Kinos gab es ja an jeder Ecke, Ladenkinos, Wohnzimmerkinos, Kinokisten.
Ein hohes Gut, werfe ich ein, von unschätzbarem Wert ist das.
Ja, gibst du mir recht. Es kamen zwar nicht immer Filme, die sehenswert waren. Aber immerhin gab es Kinos. Und für deine Kinder gab es Krippen- und Kindergartenplätze. Dann die Schule und am Nachmittag der Hort oder Arbeitsgemeinschaften und Sportvereine. Die Kinder waren untergebracht und bis zum Abend versorgt. Das Leben war durchstrukturiert und, mehr noch, sinnvoll genutzt. Aber bei all dem, was uns Sicherheit gab, wurde doch der einzelne Mensch vergessen – und eben auch das, was ihn erst zum Menschen macht.
Die Liebe in all ihren Facetten.
Natürlich kannst du das an der Liebe festmachen, stimmst du mir zu. Aber es ist mehr noch das, was die Menschen glücklich macht. Gerade um diesen Widerspruch ging es mir: hier ist das Ideal, der Sozialistische Humanismus, der vorgibt, die Bedürfnisse der Menschen befriedigen zu können. In der Realität aber sahen sich die Menschen in ihrem Bedürfnis nach Glück oftmals gar nicht ernstgenommen.
Die Individualität und der Drang, sich selbst auch anders zu erfahren, als es die Gesellschaft vorgibt, war nicht erwünscht und wurde unterdrückt, sage ich. Wie auch der Film Solo Sunny von Konrad Wolf zeigt.
Ja natürlich! Und das war auch einer der größten Fehler, die die DDR gemacht hat. Sie schrieb den Menschen vor, wie sie zu sein hatten, ohne darauf zu achten, dass der Mensch auch zutiefst menschliche Bedürfnisse hat. Dass wir alle Individuen sind, die sich, wie in Paulas Situation nicht nur nach staatlicher Sicherheit, sondern eben auch nach leidenschaftlicher Liebe sehnen, die ihr dann eben auch wichtiger ist als all der sozialistische Aufbau.
Ach, ja, unterbreche ich dich, zur leidenschaftlichen Liebe fällt mir noch etwas ein. Ich halte inne und wundere mich darüber, wie ich das tun kann, dich einfach so zu unterbrechen. Du aber siehst mich nur an, scheinst geradezu gelassen zu sein. Ich meine, setze ich daher etwas ruhiger nach, mich hat die Kompromisslosigkeit, mit der Paula ihre Liebe auslebte so sehr berührt. Und mehr noch, dass diese Kompromisslosigkeit aus ihr herauskam, einfach so, ohne, dass sie überlegen musste.
Du schmunzelst, nickst, sagst dann: Ja, wir wollten zeigen, dass die Liebe kompromisslos ist.
Aber auch anarchisch, füge ich hinzu, schnappe nach Luft: Bist du der Ansicht, dass Veränderungen, egal, welcher Art sie sind, einer gewissen Kompromisslosigkeit bedürfen und eben auch einer Anarchie?
Du schweigst, schweigst lange und siehst mich derweil an. Und wieder meine ich in deinem Blick jene, von Melancholie getragene Sehnsucht zu erkennen. Ich halte still, versuche zu begreifen. Da nickst du plötzlich und sagst ungewöhnlich leise: Ja, jeder Veränderung – egal, ob im Zwischenmenschlichen oder im Großen, Gesellschaftlichen und Politischen – wohnt wohl Anarchie inne.
Unmittelbar nach der Wende hast du – wie so viele deiner Kollegen auch – die Kündigung erhalten. Da warst du gerade erst 60 Jahre alt.
Ich möchte doch noch einmal auf die Frage zurückkommen, wie ich mich jetzt fühle. Vielleicht ließe sich korrekterweise fragen, wie wir uns fühlen, sagst du in ruhigem Ton und kratzt dich mit dem Daumen an der Stirn.
Wen meinst du mit wir?
Na, die, die in der DDR Kunst machten, erwiderst du. Freilich nicht alle – und vielleicht spreche ich ja auch wirklich nur für mich selbst. Aber wenn ich mich so umhöre … Du siehst zu Boden, zuckst mit den Schultern.
Sag mir, wie du dich fühlst, falle ich dir ins Wort.
Da hebst du den Blick, siehst mich an und es scheint mir so, als wollest du mich fragen, warum ich das überhaupt wissen möchte. Mich verunsichert das und ich lasse die Kamera sinken. Doch in dem Moment sagst du sehr leise und dennoch deutlich: Die Leute werden mir fremd. Ich kann mich immer weniger in sie hineindenken, jetzt, nach der Wende.
Es drängt mich plötzlich danach, dich zu fragen, ob du auch deswegen keine Filme mehr drehst, weil du die Sprache der Menschen nicht mehr sprichst, ihren Ton nicht mehr triffst, oder zumindest denkst, das nicht mehr zu können.
Du zuckst mit den Schultern, nickst zugleich. An Ideen mangelt es nicht. Eine Liebesgeschichte. Eine Ost-West-Geschichte. So etwas in der Richtung. Was meinst du, würde das die Menschen interessieren? Was kann denn an der Liebe falsch sein?
Ich sage nichts, schweige. Mir tut es leid, dich so direkt gefragt zu haben, weil ich doch weiß, was in dir vorgeht, wie sehr du an deinem Simplicissimus nach dem Drehbuch von Franz Fühmann hängst. Die DEFA hatte dieses Projekt in den frühen 80er Jahren abgelehnt. Es hieß, es sei mit seinen 18 Millionen DDR-Mark zu teuer. Und nach der Auflösung der DEFA? Da hast du auf Volker Schlöndorff, den aus dem Westen kommenden Geschäftsführer der Babelsberger Filmstudios, gehofft. Aber wieder hieß es, der Film könne nicht gemacht werden, da zu teuer. Ich weiß, wie tief der Schmerz in dir sitzt, gerade weil sich bei Schlöndorffs eigenen Projekten diese Frage nie stellte. Während er Der Unhold drehte, bot er dir das Drehbuch für Rennschwein Rudi Rüssel an. Der Simpel, wie du dein Projekt liebevoll nennst, hätte eine rauschende Techno-Party für den Weltfrieden werden sollen. Ich überlege kurz, ob ich dich darauf nicht doch ansprechen soll. Entscheide mich jedoch dagegen. Später. Vielleicht.
Früher, sagst du in meine Gedanken hinein, früher da waren wir eine Gemeinschaft, trotz allem. Oder gerade weil? Du versuchst zu lächeln und wirkst doch plötzlich so verlassen: Heute gibt es nichts mehr, wofür wir gemeinsam eintreten oder kämpfen könnten. Etwas, das uns alle eint, oder zumindest, an dem wir in irgendeiner Weise alle beteiligt wären. Heutzutage werden Werte wie Mitmenschlichkeit und gegenseitige Rücksichtnahme aus einer falsch verstandenen Freiheit zur Privat- wenn nicht gar zur Geldsache erklärt und daher nichtig.
Moment!, unterbreche ich dich, du willst sagen, dass Werte nur dann wirklich gelebt werden, wenn sie an etwas, weit über den Menschen Hinausragendes geknüpft sind?
Ich würde nicht so weit gehen, es als weit über den Menschen Hinausragendes zu bezeichnen, erwiderst du, sondern an etwas Aufrichtiges, etwas, woraus sich unsere Gesellschaft als Gesamtheit speisen kann. Haben wir das nicht und fehlt uns also diese Begründung, geraten Sinn und Zweck unserer Werte recht schnell in Vergessenheit. Oder anders ausgedrückt: Den Menschen nur zu sagen: Das sind unsere Werte, aber was ihr damit anstellt, ist euch überlassen, treibt die Gesellschaft nur immer weiter auseinander. Jeder strebt nach seinem eigenen Vorteil und vergisst dabei den Anderen. Der öffentliche Raum wird zum eigenen Wohnzimmer. Der Andere hat darin keinen Platz mehr. Auch ist allgemein nichts Verbindendes mehr zwischen den Menschen, nichts Unverbrüchliches mehr, keine Aufrichtigkeit. Es geht nur noch um das Ich. Ich, ich, ich … Bei den letzten Worten wirst du lauter und speist sie förmlich aus.
Ich spüre deinen Ekel vor dem, was du beschreibst. Kann ihn verstehen, trage ihn ja selbst in mir. Und wie gehst du damit um?, möchte ich wissen. Wieder zuckst du mit den Schultern, wendest dich um, gehst die vier Stufen hinab in deinen Garten, diese grüne, von hohen Tannen umstandene parkähnliche Anlage. Ich folge dir, greife nach deiner Hand. Du schaust kurz zu mir hinüber, ein Lächeln zuckt um deinen Mund. Und dann kommt die Frage, die ich zuvor schon erwartet hatte: Warum möchtest du das eigentlich alles wissen?
Weil ich verstehen will, das Damals – auch, um es gegen Missdeutungen schützen zu können, schiebe ich ein wenig zu rasch hinterher.
Du lachst leise schnaubend. Ein hehres Ziel. Doch wirst du es nicht verhindern können, sagst du und löst dich aus meinem Griff. Denn andere haben sich unserer Vergangenheit bereits bemächtigt, sie verfügen über sie, um uns über sie zu belehren und uns zu erzählen, wie das damals so war – hier, bei uns im Osten.
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Schriftstellerin • Am 04.01.2023 um 14:21 Uhr | |||
Hallo Klatschkopie, mich macht Dein Text neugierig auf die Fortsetzung. Du wolltest doch noch ein paar Zeitzeugenberichte. Hier ein paar Links zu Texten von mir auf anderen Websits: kulturring.berlin/hundert-jahre-gross-berlin/artikel?tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bnews%5D=1315&cHash=6f0704b12c4f13dd745e701c720f1558 wortkrieger.de/threads/kennt-einer-nancy.68053 wandel.kulturring.berlin/geschichten/ueber-uns-der-himmel-ueber-berlin Daraus geht hervor: so absichert waren wir gar nicht. Ein Frohes neues Jahr wünscht Schriftstellerin Mehr anzeigen |
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Gesko • Am 17.03.2024 um 11:41 Uhr | |||||||
Na, da sind wir ja doch einer Meinung: Jeder Veränderung wohnen Anarchie, Umsturz, Rebellion inne - ob im politischen oder individuellen Sinne. Da ist doch auch bei Dir dieses ständige "sich selbst neu erfinden", dass Dich in Deinem Kommentar zu meiner Satire übers Älterwerden scheinbar so gestört hat. Das "röche nach Verzweiflung", hast Du geschrieben. Und ich sage: Wonach sonst? Wäre da nicht Verzweiflung, gäbe es keine Veränderung. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, ob im Politischen, Sozialen oder Persönlichen bleibt er lieber im gewohnten Elend, als etwas zu verändern. Wäre da nicht die Liebe. Zu sich selbst. Zu anderen. Zur Freiheit ... und um deretwillen ist der Mensch bereit zum Umsturz. Das ist es, was ich bei älteren Menschen oft vermisse: Anarchie, Rebellion ... Deinen Text über das Interview habe ich sehr gerne gelesen, er bietet mir interessante Einblicke. Danke dafür. Mehr anzeigen |
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