******************** Beschuldigt von Vergil ******************** ++++++++++++++++++++ Kurzbeschreibung ++++++++++++++++++++ Verschiedene Blickwinkel, zusammenlaufende Fäden, ein Verbrechen, die Rekonstruktion eines verhängnisvollen Abends. -------------------- 1. Kapitel: Namenloses Kapitel -------------------- „Die Anklage wird jetzt ihr Eröffnungsplädoyer halten“, teilte die Richterin  Margret Bloom den Anwesenden mit. Der Staatsanwalt Vaughn White, ein älter, afroamerikanischer Mann, der eine dicke Brille trug, erhob sich und stellte sich vor das Pult der Richterin, damit die Geschworenen und Besucher ihn besser sehen konnten. Es waren nicht viele Zuschauer gekommen. Neben dem Opfer und seiner Mutter, saßen nur zwei ältere Herren und eine weitere junge Frau in den Bänken des Besucherbereiches und betrachteten schweigend den Prozess. Die Presse hatte sich scheinbar nicht die Mühe gemacht  zu kommen. Der Ankläger hob jetzt seinen Zeigefinger und begann zu sprechen: „Wir sind heute hier zusammengekommen, weil dieser Mann ein Verbrechen begangen hat.“ Er zeigt auf den Angeklagten, welcher für eine Sekunde zuckte, dann jedoch wieder zu seiner gelassenen Grundhaltung zurückkam. Bis auf das Tippen der Protokollantin war es vollkommen still im Gerichtssaal. Der Anwalt fuhr noch ein Bisschen lauter fort: „Es war der Abend des fünfzehnten März diesen Jahres als Amy Syndebuk ohne irgendwelche bösen Erwartungen auf die Geschäftsfeier von Vice Enterprises ging. Sie wollte eigentlich nur eine gute Zeit haben und sehen was es mit dem neuesten Projekt von Vice Enterprises auf sich hatte.“ Vaughn stoppte erneut, so dass sich alle Augen auf die junge Frau richten konnten, die in der ersten Reihe des Zuschauerbereiches saß. Man konnte ihr den Stress der letzten Monate deutlich ansehen. Obwohl sie ihr langes, blondes Haar präzise zu einem französischen Knoten gebunden und sich eine fast schon altmodisch wirkende Bluse angezogen hatte, zeigten die Blässe ihres Gesicht und der abwesende Ausdruck in ihren Augen wie ausgelaugt sie sein musste. Ihre Hände, die sie auf den Knien ablegt hatte, hatten sich zu Fäusten geballt, als der Staatsanwalt begonnen hatte über sie zu erzählen. Während alle sie anstarrten, begann sie zu schwitzen. Zu ihrem Glück zog der Ankläger nun wieder alle Aufmerksamkeit auf sich selbst, als er förmlich schrie: „Aber dort auf der Feier wurde sie brutal vergewaltigt.“ Wieder unterbrach er seinen Vortrag um seinen Worten die nötige Schwere zu verleihen. „Ich werde Zeugen vorladen, ihnen DNA-Beweise vorlegen und ein Video abspielen lassen. Das alles wird ihnen zeigen, dass es nur eine einzige Schlussfolgerung geben kann: Es war der Angeklagte, der Amy Syndebuk das angetan hat! Im Verlauf dieses Prozess werde ich beweisen, dass er diese unschuldige Frau erst betrunken gemacht hat, um sie dann von der Party wegzulocken und sich an ihr zu vergehen.“ Der Anwalt fixierte nun nach einander jeden einzelnen Geschworenen. Einerseits um ihnen zu signalisieren wie ernst es ihm war und andererseits, weil er überprüfen wollte welchen Effekt seine Worte gehabt hatten. „War das alles?“, wollte die Richterin anschließend von Vaughn wissen. Der Staatsanwalt nickte wieder und ging zu seinem Platz zurück. Jetzt forderte die Vorsitzende des Gerichts: „Dann kommt nun das Plädoyer der Verteidigung. Natürlich nur, wenn sie das möchten.“ Die Anwältin des Angeklagten Helen Keller-Just, eine sehr dicke Frau mit toupierten Haaren  und billigem Anzug, hielte sich von ihrem Stuhl und ging ebenfalls vor dem Richterpult in Position. Sie erklärte mit heißerer Stimme: „Was Misses Syndebuk passiert ist, das ist ohne Zweifel eine ganz schlimme Sache. Ich möchte ihr mein Mitgefühl versichern. Gerade als Frau kann ich gut in sie hineinversetzen und mir vorstellen, was gerade in ihr vorgeht.“ Danach stoppte Helen und schaute zum Opfer, auf deren Gesicht sich deutlich Wut zeigte. Ihre Mutter nahm ihre Hand und flüsterte ihrer Tochter etwas ins Ohr. Die andere nickte und ihr zorniger Blick wandelte sich wieder zu dem apathischen Ausdruck, den sie vor Helens Rede gehabt hatte. Die Anwältin ging jetzt zu ihrem Klienten herüber und legte ihm die Hände auf die Schultern. „Dennoch“, sagte sie selbstsicher, „Ist mein Mandant unschuldig an dem Verbrecher, dessen er von der Staatsanwaltschaft bezichtigt wird. Wenn sie wollen, dass Amy Syndebuk Gerechtigkeit widerfährt, dann müssen sie dafür sorgen, dass man meinen Mandanten freispricht, denn nur so kann der wahre Täter gefunden und vor Gericht gestellt werden.“ Helen setzte sich wieder auf ihren Platz, wischte sich mit der Hand über die Stirn und teilte der Richterin dann mit: „Damit wäre ich vorerst fertig.“ Margret nickte, räusperte sich und entschied: „Dann haben wir jetzt die Plädoyers gehört. Wir werden morgen mit der Präsentation der Beweise durch die Anklage beginnen. Das Gericht vertagt sich.“ -------------------- 2. Kapitel: Kapitel 1 - Alexander Conrad -------------------- Inzwischen hatte er sich wieder eingelebt. Obwohl er die letzten Jahre in Deutschland verbrachte hatte, was das Land niemals wirklich seine Heimat geworden. Die meiste Zeit seiner frühen Kindheit hatte Alexander in den Vereinigten Staaten verbracht, weshalb er mit diesen die größte Verbundenheit verspürte. Hier lebte der Großteil seiner Familie und Freunde. Es war leichter gewesen wieder fußzufassen, als er gedachte hatte. Nach der Hochzeit von Manuel und Alexis hatte er sich erst für ein Austauschjahr in New York beworben, nur um dann komplett dort zu blieben, als er seinen Universitätsabschluss erhalten hatte. Diesen Neuanfang war er sich selbst schuldig gewesen. Weit weg von dem Mann, der ihm das Herz gebrochen hatte. Er hatte alle Gefühle der Schuld, Reue und Traurigkeit zurückgelassen. Jedenfalls redete er sich das gerne ein. Die Wahrheit war, dass er überhaupt keine Ahnung hatte in welche Richtung sein Leben jetzt gehen sollte. Er hatte einen Master in Linguistik und Literatur, doch niemand sagte einem was man genau damit machen konnte. Von seinem Vater hatte er das Angebot bekommen der Armee beizutreten, aber ehrlich gesagt, glaubte er nicht wirklich, dass das der richtige Weg für ihn war. Das ständige Reisen war er so leid, lieber wollte er sich an einem Ort niederlassen. Und welche Stadt war dafür besser geeignet als New York City? Der Big Apple bot einfach alles. Hier hatte er die Chance sich neu zu erfinden. Gerade verfolgte er mehrere Projekte. Während er tagsüber zu Castings für Schauspiel- und Modeljobs ging, schrieb er abends an einem Buch, das auf den Ereignissen seines eigenen Lebens basierte, wenn er nicht gerade als Kellner arbeitete um sich über Wasser zu halten. Das Leben in so einer Großstadt war nämlich ziemlich teuer. Er hatte außerdem das Angebot erhalten als Lehrer in einer privaten Highschool  zu arbeiten. Seine beste Freundin aus Kindertagen, Amy Syndebuk, welche ebenfalls unterrichtete, hatte ihm diese Chance vermittelt. Sie hatte ihrem Direktor von Alexander erzählt und dieser war so interessiert gewesen, dass er ihn zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen hatte. Eigentlich hatte sich Alexander niemals als Lehrer gesehen und wenn er den Job annahm, dann würde er keine Zeit mehr haben auf Castings zu gehen, aber die Bezahlung war wesentlich besser als das Kellnern und weniger hart. Er spielte wirklich mit dem Gedanken das Angebot zu akzeptieren, aber etwas in ihm sträubte sich noch. Woher dieses Zögern genau kam, wusste er nicht, doch er nahm es ernst. Gerade saß er an seinem Computer und arbeitete an dem Kapitel seines Buches, in dem er Manuel zum ersten Mal begegnete. Irgendwie musste er das Gefühl einfangen, dass er damals gespürt hatte. Diese Vorahnung, dass man gerade den Beginn von etwas großem erlebte. Wieder und wieder tippte er einen Satz, nur um ihn dann doch zu löschen. Irgendwie fand er nicht die richtigen Worte. Es war frustrierend. Er hatte schon mit dem Gedanken gespielt aufzustehen, um sich einen Kaffee zu machen, als das Telefon klingelte. Das Display zeigte an, dass es Amy war. Er hob ab und meldete sich: „Hi Amy, was gibt es?“ „Hallo Alexander, Ich wollte dich zu einer Party einladen“, antwortete seine beste Freundin. Er überlegte. Eigentlich musste er dieses Kapitel noch zu Ende schreiben, schließlich kämpfte er schon seit knapp einer Woche damit. Allerdings half das wenig, wenn er eine Schreibblockade hatte. Manchmal war es gut etwas Abstand zu gewinnen und das Problem dann von neuem anzugehen. Deshalb teilte er ihr mit: „Das klingt doch gut. Erzähl mir ein Bisschen was über die Party.“ „Es ist eine Geschäftsfeier von Nicks Firma“, begann Amy. Das war ihr Exfreund. Nick Jones gehörten fünfzig Prozent von Vice Enterprises, einem Unternehmen für Damenbekleidung und speziell Unterwäsche. „Läuft da etwa wieder etwas zwischen euch?“, fragte er sie. Nick hatte sich nicht unbedingt unter Kontrolle und war Amy mehrere Male untreu gewesen. Die ersten drei Ausrutscher hatte sie ihm verziehen, doch danach hatte sie sich von ihm getrennt. Alexander war überrascht gewesen, wie cool sie damals reagiert hatte und Nick trotzdem wieder vertraut hatte, nur um dann erneut betrogen zu werden. Doch jetzt versicherte sie ihm: „Auf gar keinen Fall. Diesen Fehler mache ich nicht noch einmal. Aber ich habe mich breitschlagen lassen zu dieser Feier für ihre neue Dessous-Kollektion zu gehen. Es wäre gut, wenn du mitkommst und verhinderst, dass ich etwas dummes mache.“ „Ja klar komme ich mit. Auf diesen Parties gibt es immer leckeres Essen und Champagner umsonst. Allein schon dafür lohnt es sich“, meinte er, „Außerdem will ich doch nicht, dass Nick dich rumkriegt. Wenn du zu viel Champagner getrunken hast, machst du manchmal Dummheiten. Das ist allgemein bekannt.“ „Danke! Es ist so lieb, wie du auf mich aufpasst“, bedankte sie sich. Alexander behauptete: „Das ist doch selbstverständlich. Du tut ja auch so viel für mich.“ „Das ist eine feine Veranstaltung, deshalb musst du Anzug und Krawatte tragen“, teilte Amy ihm mit. Ihr Gesprächspartner meinte: „Das ist doch gut. Ich sehe im Anzug noch besser aus als sonst.“ „Das stimmt natürlich“, entgegnete sie. Alexander schlug vor: „Ich mache mich fertig und komme dann mit dem Taxi zu dir. Wie klingt das?“ „Sehr gut! Ich warte auf dich“, sagte Amy zufrieden. Er beendete das Gespräch und sprang unter die Dusche.Etwa eine Stunde später stand er vor dem Haus, in dem sich Amys Wohnung befand. Er hatte sein bestes Outfit angezogen: Seinen formbetonten, schwarzem Anzug, ein aquamarinfarbenes Hemd und eine dunkelblauen Fliege dazu schwarze Lackschuhe. Seine Freundin ließ nicht lange auf sich warten. Auch sie hatte sich ziemlich aufgebrezelt. Ein rotes Kleid, das nur knapp die Knie bedeckte und darunter schwarze Seidenstrumpfhosen und farblich passende Pumps. Ihr dunkelblondes Haar hatte sie hochgesteckt. Die Lippen waren rot geschminkt, die Augen schwarz. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht ihre Sommersprossen zu überschminken. „Chic, chic!“, lobte Alexander sie und pfiff laut. Normalerweise kleidete sich Amy wesentlich konservativer. Sie lächelte verlegen und entgegnete: „Du aber auch.“ Die beiden gaben sich Küsschen auf die Wangen. Er hielt ihr den Arm hin und sie hakte sich ein. Mit der anderen Hand signalisierte er dann, dass sie ein Taxi suchten. Innerhalb von Sekunden stoppte ein Wagen und sie stiegen ein. Amy sagte dem Fahrer ihr Ziel und er setzte sich in Bewegung. „Wieso hast du eigentlich noch Kontakt zu Nick?“, wollte Alexander wissen. Sein Gegenüber erzählte: „Wir haben nach der Trennung abgemacht, dass wir Freunde bleiben. Er tat mir so leid, dass ich das Angebot gar nicht ausschlagen konnte.“ „Das geht nie gut aus. Dabei wird früher oder später immer einer verletzt“, behauptete Alexander sicher. Sie lächelte und widersprach: „Das weiß man immer erst, wenn man es versucht. Ich weiß du hast einige nicht so gute Erfahrung damit gemacht. Aber Nick war für mich nie das, was Manuel für dich war.“ „Dann ist ja gut. Trotzdem gehst du da hin, obwohl du glaubst, dass er dich verführen will?“, wunderte ihr Gegenüber sich. Amy wurde rot und gab zu: „Es ist ganz schön, wenn man begehrt wird.“ „Es ist in letzter Zeit wohl nicht so gut gelaufen“, riet Alexander mitfühlend. Amy war schüchtern und hatte Probleme auf andere Menschen zuzugehen. Obwohl sie ohne Frage attraktiv war, schreckte ihre Art viele Männer ab. In ihren schlechtesten Augenblicken konnte sie sehr bieder rüberkommen.„Ich weiß, dass Nick mir nicht gut tut, du bist ja da, um schlimmeres zu verhindern“, erinnerte sie ihn. Er nickte. Im Grunde konnte er sie nur zu gut verstehen. Sie hoffte immer noch, dass Nick sich ändern würde, damit sie zusammen sein konnten und hielt ihn deshalb in ihrem Leben. Er hatte etwa ähnliches mit Manuel gemacht. Doch damals hatte es nicht funktioniert und das würde es bei Amy bei auch nicht. Allerdings musste sie das wohl auf die harte Tour selbst lernen. Er konnte nur für sie da sein. „Ich hoffe Nick hat wieder den Cateringservice gebucht, die diese kleinen Plunderstücke machen“, wechselte er das Thema. Seine Freundin legte ihren Kopf auf seine Schulter und meinte: „Die sind wirklich gut. Aber bitte iss diesmal nicht so viele, dass du wieder Bauchweh bekommst.“ „Das kann ich nicht versprechen“, lehnte er ab. Sie lachten. „Du bist der Beste“, dankte sie Alexander noch einmal. Dieser schüttelte jedoch nur den Kopf und widersprach: „Du bist die Beste.“ Er schaute aus dem Fenster auf das erleuchtete Manhattan. Jede Nacht in dieser Stadt war ein Versprechen. Unzählige unvergessliche Erfahrungen warteten nur darauf gemacht zu werden. Sie erreichten das Hotel, in dem die Party stattfand, bezahlten den Fahrer und stiegen dann aus. Die Feier war schon in vollem Gange, als sie den riesigen Saal betraten. „Nick hat sich das wieder einiges kosten lassen“, zeigte Alexander sich beeindruckt. Der Raum mit den barockähnlichen Wänden, wurde von drei riesigen Kronleuchtern in gleisendes Licht gehüllt. In der einen Ecke stand eine schicke Mahagonibar, auf der anderen Seite befand sich eine Bühne, auf die man ein DJ-Pult gestellt hatte, damit die Leute tanzen konnten. Dieses war allerdings im Moment noch nicht in Betrieb. Stattdessen spielte eine Live-Band Jazzstücke. Zwischen den schick gekleideten Gästen huschten Kellner mit Getränken und Häppchen hin und her. Kleine Grüppchen von Menschen hatten sich um die Stehtische versammelt, aßen, tranken und unterhielten sich. Es dauert nicht lange und sie wurden vom Gastgeber begrüßt: „Wenn das nicht die schönste Frau der Welt!“ „Nick, es ist schön dich zu sehen“, erwiderte Amy und die beiden umarmten sich. Nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten, hielt Alexander dem anderen die Hand entgegen und sagte: „Hey Nick, es ist nett, dass du uns eingeladen hast.“ „Wir kennen uns doch! Andreas richtig? Freut mich Mann“, meinte der Gastgeber. Gelassen korrigierte er Nick: „Nicht ganz, mein Name ist Alexander.“ „Oh, sorry. Ich und Namen, das ist echt nicht meine Stärke“, entschuldigte der Gastgeber sich. Er wandte sich dann wieder Amy zu und behauptete: „Du siehst einfach umwerfend aus! Das ist doch das Kleid, dass ich dir zu unserem ersten Jahrestag geschenkt habe.“ Sie schaute zu Alexander, der ihr einen missbilligenden Blick zuwarf, antwortete dann jedoch: „Das kann sein, aber ehrlich gesagt ist das schon so lange her, dass ich mich nicht mehr richtig erinnern kann.“ Er wollte etwas sagen, doch sie ließ ihm keine Gelegenheit dazu: „Wir wollen dich nicht noch weiter in Beschlag nehmen. Du hast sicher noch viel zu tun.“ Dann packte Amy Alexanders Hand, um ihn zur Bar zu ziehen. Nick blieb stehen und sah ihnen verwundert hinterher. „Das war ja eiskalt“, kommentierte Alexander diese Aktion. Etwas verunsichert wollte sie wissen: „Denkst du ich war zu hart?“ „Nein, nein, ich bin beeindruckt! Du hast es ihm echt gezeigt“, lobte er sie lächelnd. Sie hatten gerade Rotwein bestellt und versuchten immer wieder unauffällig zu Nick herüber zu sehen. Der Gastgeber redete gerade mit einem älteren Ehepaar. Nicht besonders interessant. „Ich liebe dieses Lied!“, wechselte Amy das Thema. Alexander stimmte zu: „Ja es ist sehr schön.“ „Lass uns tanzen“, schlug sie ihm vor. Er reichte ihr die Hand und sie gingen zur Tanzfläche. Alexander nahm die rechte Hand seiner Freundin in seine und positionierte die andere über ihrer Hüfte. Im Takt der Musik begannen sie sich nun zu bewegen. „Du bist ein guter Tänzer“, machte ihm Amy ein Kompliment. Er lächelte und erzählte: „Ich habe einen Tanzkurs für den Abiball gemacht, das ist so eine Art deutscher Prom zum Schulabschluss.“ „Das gibt es da also auch“, bemerkte sie, „Ich war damals nicht auf meinem Abschlussball.“ „Warum nicht?“, fragte er, während sie sich mehrmals im Kreis drehten. Amy zögerte, antwortete dann jedoch: „Nachdem du nach Deutschland gezogen bist, hatte ich einfach kein Glück mit den Männern.“ „Das klingt ja, als wäre wir zusammen gewesen“, scherzte Alexander. Sie begann zu lachen und rief: „Das waren wir doch auf. Wir waren ziemlich jung, deshalb ist nichts passiert. Und natürlich wegen der unpassenden Sexualität. Wenn die nicht wäre, hätten wir bestimmt schon längst geheiratet.“ Sie begann mit geschlossenen Augen zu lachen.  „Es könnte so einfach sein“, meinte er leicht melancholisch. Die beiden tanzten für den Rest des Liedes ohne etwas zu sagen, hielten aber Augenkontakt. Als die Band den folgenden Song anstimmte, schlug Alexander vor: „Lass uns etwas essen gehen.“ „Du willst schon aufhören? Na gut, dann lass uns einen Happen essen“, meinte Amy. Er ließ sie los und ging dann zu einer Kellnerin, welche ein Tablett mit Tapas hielt. Ohne sich zu genieren, nahm er mehrere davon herunter und stellte sie auf einen der Tische. „Bedien dich nur!“, bat er seine Freundin. Statt auf sie zu warten, begann er zu essen. Mit vollem Mund urteilte er: „Das ist sehr, sehr gut!“ Amy nahm einen Bissen, verschluckte sie dann jedoch und begann zu husten. Nachdem er ihr auf den Rücken geklopft hatte, entschied Alexander: „Ich werde dir etwas zu trinken holen.“ Eilig lief er zur Bar. „Ein Wasser bitte!“, bestellte er. Ein Blick zu Amy zeigte ihm, dass es ihr gut ging oder sie zumindest nicht ersticken würde. Der Barkeeper teilte ihm mit: „So, ihr Wasser ist fertig mein Herr.“ Erst jetzt betrachtete er den Mann. Er sah gut aus. Ein Latino mit dunklen Augen und geschorenem Kopf. In seinem rechten Ohr hatte er einen Brilliantohrring. Der Barkeeper lächelte ihn an und fragte: „Kann ich  noch etwas für sie tun?“ Alexander erwiderte das Lächeln. Er musste sich schnell etwas überlegen: „Ich würde gerne noch etwas trinken. Was würden sie mir denn empfehlen?“ „Das kommt ganz darauf an, was sie mögen. Etwas klassisches oder eher etwas ausgefallenes“, entgegnete der Mann. Um das Gespräch noch etwas zu verlängern, bat er: „ Sagen sie mir was ihr Lieblingsgetränk ist?“ Sein Gegenüber hatte ein verlegenes Lächeln auf den Lippen als er antwortete: „Ich mag Schokoladenmartinis.“ Obwohl er sein Gegenüber sehr anziehend fand, konnte Alexander es sich nicht verkneifen die Nase hochzuziehen. Entweder hatte der Mann einen schlechten Geschmack oder er war mies im Flirten. Er entschied: „Ich nehme einen Gin Tonic.“ Er legte einen 10 Dollarschein auf die Theke und fügte hinzu: „Und sie möchte ich auf einen Schokomartini einladen.“ „Das ist sehr großzügig“, bedankte sich der Barkeeper, „Ich mixte dann schnell mal ihren Drink.“ Alexander nickte. „Wolltest du mir nicht etwas zu trinken holen?“, fragte Amy, die plötzlich hinter ihm aufgetaucht war. Er reichte ihr das Wasser und riet seiner Freundin: „Stürz es nicht sofort runter.“ Sie nahm einen Schluck, dann sagte sie: „Vielen Dank. Das habe ich gebraucht. Du kümmerst dich so gut um mich.“ „Ist doch klar“, winkte er ab. Amy schlug vor: „Wie wäre es, wenn wir noch eine Runde auf dem Paket drehen?“ „Warum nicht“, stimmte er zu, obwohl er eigentlich keine Lust hatte. Lieber wollte er weiter mit dem Barkeeper flirten. Allerdings war er ja als Amys Begleitung da und er würde später bestimmt noch die Gelegenheit haben mit dem Mann zu reden. Sie kehrten also auf die Tanzfläche zurück. „Ich glaube ich muss dir etwas sagen“, flüsterte Amy so leise, dass Alexander es nicht sofort verstanden hatte. Während er versuchte den heißen Barkeeper zu beobachten, entgegnete er: „Ja, ich höre dir zu.“ „Wo schaust du denn immer hin?“, fragte seine Freundin und drehte ihren Kopf in Richtung der Bar. Er lächelte verlegen und wich ihrem Blick aus, bevor er zugab: „Ich habe vorhin mit diesem sexy Typen geflirtet, der mir das Wasser für dich gegeben hat.“ Amy zog die Augenbrauen hoch und starrte ihn an. „Ich weiß eigentlich bin ich heute hier, um dir seelischen Beistand zu leisten. Es ist einfach passiert“, begann er sich zu rechtfertigen, „Aber was wolltest du mir eigentlich sagen?“ Sein Gegenüber schloss die Augen. Plötzlich begann sie zu lächeln und antwortete: „Ach gar nichts. Es ist einfach schön, dass du wieder nach Amerika zurückgekommen bist.“ „Das finde ich auch. Du hast mir in Deutschland am meisten gefehlt“, behauptete er. Die Band begann ein langsames Lied zu spielen, was Amy zum Anlass nahm sich an ihn zu kuscheln. „Das ist mein Lieblingssong von Jim Morris“, freute sie sich. Alexander stöhnte. Mit Amys Kopf auf seiner Brust, legte er seine Arme um sie und begann sich langsam um die eigene Achse zu drehen. Noch einmal wanderten seine Augen zur Bar. Tatsächlich blickte das Objekt seiner Begierde gerade auch in seine Richtung. Er lächelte Alexander sogar an. Scheinbar war der andere wirklich an ihm interessiert. In seinem Bauch erwachten die Schmetterlinge und sein Herz begann schneller zu schlagen. So hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Er zwinkerte dem Barkeeper zu. Die letzten Takte des langsamen Liedes endeten und Amy entschied: „Ich muss mal kurz für kleine Mädchen.“ „Lass dir Zeit“, meinte Alexander abwesend. Als sie den Raum verlassen hatte, lief er schnurstracks zur Bar zurück. -------------------- 3. Kapitel: Kapitel 2 - Pierre Gillesbie -------------------- „Was soll das alles bedeuten?“, fragte Ron Granger, wobei er sich bemühte besonders interessiert zu klingen. Pierre setzte ein falsches Lächeln auf, bevor er dem Moderator erklärte: „Das bedeutet mein lieber Ron, dass ‚Rick & Morty‘ nur eine Fernsehsendung ist, die vordergründig unterhalten soll. Nicht jede Szene stellt irgendwelche metaphysischen oder moralischen Konzepte dar.“ „Da muss ich ganz klar widersprechen!“, mischte sich der Vorsitzende des ‚Rick & Morty‘-Fanclubs ein, „Die Szene in der sich Morty ein Brot schmiert ist eindeutig eine Anspielung auf Kants Konzept des Sündenfalls. Er hat die Wahl zwischen Apfelmarmelade und Erdnussbutter. Nachdem er die Apfelmarmelade gewählt hat, beschließt er den Befehl seines Vaters zu missachten und seinem Großvater zu folgen.“ Pierre stöhnte. Er rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. Zu seinem Glück meinte nun auch Ron: „Wir hier beim philosophischen Plausch beschäftigen uns ja häufiger mit versteckten Botschaften in der Kunst, aber das scheint sogar mir etwas weit hergeholt.“ Der Präsident des Fanclubs wollte sich beschweren, doch der Moderator kam ihm zuvor: „Leider sind wir schon am Ende unserer Sendung angekommen. Ich bedanke mich bei meinen Gästen und hoffe sie auch nächste Woche wieder einschalten.“ Pierre sprang förmlich auf. Er hatte keine Lust mehr auf weitere Gespräche auf diesem Niveau. Die Sendung war ja meistens eher langweilig und nichtssagend, aber heute hatte sich Ron echt selbst unterboten. Er ging zu Miceala, seiner Assistentin, und forderte: „Sag den Produzenten, dass ich nicht mehr zur Verfügung stehe, wenn sie über die Philosophie irgendwelcher Fernsehserien reden wollen. So ein Schwachsinn ist doch Zeitverschwendung.“ „Aber sie erwähnen doch dein neues Buch, wenn du zu Gast bist. Danach gehen die Verkaufszahlen jedes Mal nach oben“, erinnerte sie ihn. Er rollte mit den Augen. Dieses verdammte Buch. Genau wie die Sendung war es doch auch nur ein Gehaltscheck für ihn. Das bedeutete doch alles nichts. Bei seiner ersten Veröffentlichung war es ja noch ganz spannend gewesen zu sehen was hinter den Kulissen des Verlagswesens geschah, doch inzwischen langweilte ihn auch das nur noch. Nicht das Schreiben selbst, aber die Vorgänge, welche danach kamen. Die Promotion, die Lesereisen, die TV-Shows, die Fotoshootings und Interviews, in denen man eigentlich gar nichts sagte, das aber mit möglichst blumigen Worten. Wenigstens brachte ihm dieses ganze Spektakel genug Geld, um so zu leben wie er wollte. Er war nicht mehr abhängig vom Geld seiner Eltern, sondern konnte alle Entscheidungen selbst treffen. Natürlich hielt das die beiden nicht davon ab sich in sein Leben einzumischen. Miceala meinte: „Wir sollten jetzt von hier verschwinden. Das Abendessen mit deiner Mutter werden wir sonst nicht rechtzeitig erreichen.“ „Sie kann warten“, behauptete Pierre. Doch seine Assistentin warnte ihn: „Sie wissen doch am besten wie sehr sie Verspätungen hasst.“ „Das tue ich, aber es ist mir egal. Sie hat keine Druckmittel mehr, mit denen sie mich zwingen kann nach ihrer Pfeife zu tanzen“, sagte er mehr zu sich selbst. Miceala fragte: „Also soll ich den Wagen noch nicht holen?“ „Doch, doch, hier will ich ja auch nicht bleiben. Wir können also genauso gut direkt zu dem Restaurant fahren, in dem sie mich treffen will“, entschied er.  Die beiden liefen durch die Gänge, bevor sie das Aufnahmestudio durch die Hintertür verließen. Eine Limousine fuhr wenige Sekunden später vor und sie stiegen ein. Während seine Assistentin jetzt begann Dinge in ihr Tablet zu tippen, nahm er sich einen Moment um aus dem Fenster zu schauen. New York war so langweilig. Alle taten immer so als wäre der Big Apple eine Art Mikrokosmos, in dem einfach alles möglich war, aber in Wirklichkeit war es auch nur eine Stadt. Vielleicht lebte er auch einfach schon zu lange hier. Es war möglicherweise an der Zeit ein Jahr in Europa zu verbringen um die Batterien wieder aufzuladen. „Wir sind da“, teilte ihm der Fahrer mit. Miceala sagte ohne aufzuschauen: „Ich fahre zu deiner Wohnung zurück und versuche mit dem Verlag über die nächste Lesereise zu verhandeln. Ich weiß ja, dass du Chicago und Seattle nicht so gerne magst.“ „Das ist sehr nett von dir“, bedankte er sich. Jetzt schaute sie doch auf und fragte ihn: „Soll der Chauffeur hier auf dich warten und dich später direkt zu der Party von Vice Enterprise bringen oder willst du davor noch mal zu deiner Wohnung damit du dich umziehen kannst?“ „In den Sachen hier kann ich nicht zu der Veranstaltung gehen. Das ist ein förmlicher Anlass“, meinte er. Sie nickte und verabschiedete sich dann: „Ich wünsche dir viel Spaß heute Abend. Und grüß deine Mutter von mir.“ Er rollte mit den Augen und verließ die Limousine. Eilig betrat er das Restaurant, ging direkt am Maître d’hôtel, der ihn begrüßen wollte, vorbei und setzte sich auf den Platz seiner Mutter gegenüber. „Da bist du ja endlich“, begrüßte sie ihn ohne von der Speisekarte auf zu sehen. Pierre entgegnete: „Es war schön dich zu sehen, aber ich muss jetzt gehen.“ „Deine Art von Humor ist so kindisch“, kritisierte sie ihren Sohn, noch immer ohne ihnen auch nur eines Blickes zu würdigen. Pierre antwortete nichts, sondern nahm nun seinerseits eine Speisekarte und begann darin zu lesen. Eine Kellnerin kam zu ihnen an den Tisch und fragte: „Haben sie sich schon entschieden?“ „Wir nehmen eine Flasche des Cabernet Sauvignon und einen Krug mit Vichy-Wasser. Ich nehme den Lachs mit Mandelsplittern und den schwarzen Tagliatelle“, antwortete seine Mutter. Er entschied: „Und ich nehme das Steak.“ Sein Gegenüber schaute ihn vorwurfsvoll an. „Rotes Fleisch ist nicht gut für dich. Er nimmt auch den Lachs“, änderte sie seine Bestellung. Die Kellnerin schaute ihn unsicher an, bis er sagte: „Schon gut.“ Er kannte seine Mutter gut genug, um zu wissen, dass es nutzlos war ihr eine Szene zu machen. Nachdem die Bedienung verschwunden war, legte er die Speisekarte beiseite und schlug vor: „Wie wäre es, wenn du mir noch einen Aperitif bestellst? Du hast doch sicher eine Idee worauf ich Lust haben könnte.“ „Ach mein Schatz, ich habe doch nur das Beste für dich im Sinn. Du achtest einfach nicht genug auf dich selbst“, warf sie ein. Die Kellnerin brachte ihnen die Getränke, weshalb Pierre sich mit einer Entgegnung zurückhielt. Als sie wieder allein waren, wechselte seine Mutter das Thema: „Josefs Verlobungsfeier war wirklich sehr schön. Diese Cheryl ist ein nettes Mädchen.“ „Das ist sie“, stimmte er zu, weil er keine Diskussionen wollte. Die Feier der beiden war eine der langweiligsten Abenden seines Lebens. Pierre wusste nicht was mit Josef in der letzten Zeit los war. Er hatte sich völlig verändert. Von dem coolen Typen, bei dem man niemals wusste was passieren würde, wenn man mit ihm abhing, war nichts mehr übrig geblieben. Er engagierte sich jetzt in Komitees für die Umwelt und besuchte experimentelle Theateraufführungen. Pierre hatte auf diesen Schwachsinn keine Lust, weshalb sie sich so gut wie nie trafen. „Josef war früher ein Herumtreiber, aber er ist erwachsen geworden und ist bereit sich niederzulassen“, behauptete seine Mutter, „Wann wirst du dir endlich ein angemessenes Mädchen suchen und heiraten?“ „Irgendwann“, antwortete er einsilbig. Diese Frage stellte sie ihm bei jedem Treffen. Die Wahrheit war, dass er vermutlich niemals vor den Traualtar treten würde. Beziehungen waren nicht so sein Ding. Er hatte einfach nicht das Bedürfnis sich an jemand anderes zu binden. Als Single konnte man jede Menge Spaß haben ohne Verantwortung übernehmen zu müssen. Natürlich hätte er das niemals seiner Mutter gesagt. „Ich habe die Richtige noch nicht gefunden“, formulierte er einen Satz, der auch aus einer romantischen Komödie hätte stammen können. Seinem Gegenüber schien das nicht aufgefallen zu sein, denn sie behauptete: „Das wirst du schon noch, immerhin kommst du aus einer reichen Familie, die ihre Linie bis ins Frankreich des 15. Jahrhunderts zurückverfolgen kann.“ „Ich bin auch ein Bestsellerautor, der als bester seines Jahrgangs ein Elitecollege abgeschlossen hat“, fügte er seine eigenen Leistungen zu ihrer Liste hinzu. Sie nickte. Für seine Mutter zählten seine Erfolge nicht viel, denn ihrer Meinung nach konnte jeder ein Buch schreiben oder an einer Universität studieren, aber nur wenige hatten das Glück in eine angesehene Familie hineingeboren zu werden. Ironischerweise war ihr dieses Glück nicht vergönnt gewesen, denn sie hatte seinen Vater heiraten müssen um eine Gillesbie zu werden. „Wie war das nochmal in New Orleans aufzuwachsen? Als einzige Weiße in einem schwarzen Viertel? Die kleine Mary träumt von der großen, weiten Welt und einem Leben in Reichtum“, ärgerte er sie. Ihre Miene wirkte wie versteinert, als sie sagte: „Du solltest nicht über Dinge reden, von denen du nichts verstehst.“ Zumindest hatte er sie so ruhig gestellt. Ihr Lachs kam und sie begannen stumm zu essen. Warum konnten nicht alle ihre Treffen so verlaufen? Zu seinem Pech nahm seine Mutter ihr Gespräch jetzt wieder auf: „Was war mit dieser Jane? Ihre Familie war auf der Mayflower und ihnen gehörten mehrere Hotelketten.“ „Und sie war öde. Ein Butterbrötchen hat mehr Persönlichkeit als diese Frau. Ihr einziges Hobby war Shoppengehen.“ Seine Mutter zog die Mundwinkel zusammen. Solche Gründe hatten für sie wenig Gewicht, immerhin kam Janes Familie ja mit der Mayflower nach Amerika. Sie war absolut furchtbar im Bett, aber dafür aus gutem Hause. „Wie geht es Vater?“, wechselte nun er das Thema. Sein Gegenüber wirkte nicht gerade erfreut über diese Frage. Die beiden vertrugen sich nicht mehr und reduzierten ihre gemeinsame Zeit auf ein Minimum. Sie hätten sich wohl scheiden lassen, wenn es ihnen ihr katholischer Glaube nicht verboten hätte. Seine Mutter erzählte: „Es geht ihm nicht schlecht. Ich glaube er arbeitet an einem neuen Deal oder so etwas.“ „Faszinierend“, kommentierte er ihren Bericht. Den Rest des Essens nervte sie ihn mit Geschwafel über die anderen Mitglieder ihrer Frauengruppe. Er hörte nur mit einem Ohr zu und schaute alle fünf Minuten auf seine Armbanduhr. Als seine Mutter aufgegessen hatte, entschuldigte er sich, verzichtete auf einen Nachtisch und rief seinen Chauffeur an, damit dieser ihn abholte. In seiner Wohnung angekommen, sprang er schnell unter die Dusche und zog dann einen seiner teuersten Anzüge an. Die Feier, auf die er gleich gehen würde, war die seines alten Rivalen Nick Jones. In der Schule waren sie die besten Freunde gewesen, hatten sich zum Ende aber wegen einer Frau zerstritten und redeten seitdem bei jeder Gelegenheit schlecht übereinander. Dennoch luden sie sich auch zu jeder Party ein, meistens um dem anderen den eigenen Erfolg unter die Nase zu reiben. Seine neue Kollektion war so eine Chance für Nick es Pierre zu zeigen. Allerdings würde er es ihm nicht so leicht machen. In diesem Anzug sah er verdammt gut aus und er würde Nick ausführlich über den Erfolg seines neusten Buches berichten. Perfekt gestylt ging er zur Limousine zurück. „Ein großer Abend?“, wollte der Fahrer wissen, während er an einer roten Ampel hielt. Pierre lachte, dann antwortete er: „Das kann man wirklich nicht sagen. Es ist eine Party für eine neue Unterwäsche-Kollektion.“ „Das klingt doch sexy“, meinte der Fahrer. Damit zeigte er nur, dass er niemals auf so einer Feier gewesen war. Der Wagen setzte sich nun wieder in Bewegung, dennoch setzten sie ihr Gespräch fort. Pierre erklärte ihn: „Die Unterwäsche wird da nicht zu sehen sein. Es werden eher die Menschen geehrt, die an ihrer Entstehung beteiligt waren. Es ist ziemlich fein und sogar ein bisschen bieder. Man isst Kaviar, trinkt Champagner und knüpft Geschäftskontakte.“ „Ich verstehe. Das hört sich ja fast wie Arbeit an, nur das man währenddessen essen kann“, sagte der Fahrer nachdenklich. Damit hatte er nicht ganz unrecht. Die Reichen und Schönen taten gerne so als hätten ihre Zusammenkünfte etwas mystisches, doch in Wirklichkeit waren es nur ganz normale Party mit viel zu teurem Essen. Natürlich wusste Pierre trotzdem wie man das Beste aus so einer Situation machte. Es gab auf solchen Festen jede Menge wunderschöner Frauen, außerdem half der Alkohol die eigene Stimmung zu lockern und nur Not konnte man immer noch einen Notfall vortäuschen, um sich vorzeitig vom Acker zu machen. Früher hätte er mit seine Freunden auf die Party mitgenommen, aber keiner von ihnen hatte Zeit. Josef war wieder bei einer von Cheryls Aktionen, Jim tourte mit seinem Debutalbum durch Europa, Ziggy begleitete ihn als Manager und Shorty nahm gerade an einer Reality TV-Show über das echte Leben der Studenten aus New Jersey teil. Wenn er das so durchdachte, wunderte er sich, dass vier von ihnen im Showbusiness gelandet waren. Wie standen die Chancen dafür? Er hatte keine Gelegenheit mehr den Gedanken zu beenden, denn sein Fahrer verkündete: „Wir sind da! Ich wünsche ihnen viel Spaß.“ „Danke“, verabschiedete sich Pierre. Weil es draußen kalt war, ging er schnell in das Hotel hinein, wo die Party bereits in vollem Gang war. Er war spät dran, aber dadurch hatte die Stimmung schon ein für ihn angemessenes Niveau erreicht. Jetzt musste er nur noch das Gespräch mit Nick hinter sich bringen, dann konnte der angenehme Teil des Abends beginnen. Tatsächlich ließ der Gastgeber nicht lange auf sich warten. „Französisch-Pete!“, rief Nick mit nach oben gerissenen Armen. Der Angesprochene erinnerte ihn: „So sollst du mich doch nicht nennen!“ Sie umarmten sich kurz, allerdings mit so wenig Körperkontakt wie möglich. „Du hast es also geschafft“, freute der Gastgeber sich. Pierre behauptete: „Ich hatte heute nichts besseres vor, da dachte ich, dass ich genauso gut vorbeischauen könnte.“ „Das ist nett von dir“, sagte Nick, „Du hast die Sache mit Staceys Mom scheinbar endlich abgeharkt.“ Dieser schleimige Kerl wagte es wirklich ihm zu unterstellen, dass er der Grund für ihren Streit war. „Das habe ich. Für mich war das keine so große Sache. Dich hat das doch so getroffen?“, entgegnete er mit gespielter Anteilnahme. Die rechte Augenbraue seines Gegenübers zuckte, doch dann lächelte er und sagte: „Nein es war einfach nur ein Schock, dass du auch mit ihr geschlafen hast. Aber es war jetzt kein Drama oder so.“ „Dann sind wir also cool?“, fragte Pierre. Nick antwortete: „Na klar! Wir waren die besten Kumpels und keine MILF der Welt kann das ändern.“ Er war sich in diesem Moment wirklich nicht sicher ob seine früherer bester Freund das aufrichtig meinte oder nicht. In Wahrheit konnte er einen Kumpel in seiner momentanen Lage wirklich gut gebrauchen. „Ich ruf dich morgen mal an, dann können wir besprechen wann wir abhängen“, schlug er Nick vor. Dieser hielt ihm die Faust hin und meinte: „Das wäre super.“ Pierre schlug mit seiner Faust gegen die des anderen, dann entschied er: „Ich gehe jetzt mal zur Bar und hole mir etwas zu trinken.“ „Tu das! Ich muss mal weiter, es gibt noch so viele Leute, mit denen ich sprechen muss. Wir sehen uns später“, verabschiedete Nick sich und ging zu einer älteren Frau, welche er mit Küsschen auf die Wange begrüßte. Auf der Suche nach etwas Spaß machte sich Pierre auf den Weg zur Bar. Sofort fiel ihm eine Frau im roten Kleid auf, die ihm den Rücken zugedreht hatte und auf einem der Hocker saß. Dieser Anblick gefiel ihm so gut, dass er beschloss sie anzusprechen. Er setzte sich auf den Platz neben sie und bestellte einen Scotch bei einer der Kellnerinnen, da die Bar unbesetzt war. Einige Minuten ignorierte er sie, dann sah er zu ihr herüber. Sie war hübsch. Vielleicht eher süß als wirklich sexy. Andererseits konnte so ein erster Eindruck ja auch täuschen. Ihr Kleid war jedenfalls tief ausgeschnitten, also war sie unter Umständen doch verrucht. Sie trank Wein. Bisher hatte sie noch nicht zu ihm herübergesehen, obwohl er sie schon fast eine Minute angestarrt hatte. Ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, missfiel ihr etwas. Pierre entschied sie auf ihn aufmerksam zu machen und fragte: „Arbeiten sie bei Vice Enterprises?“ „Nein“, sagte sie ohne ihn anzusehen. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Noch einmal versuchte er es mit einer Frage: „Welchen Wein trinken sie da?“ „Ich weiß nicht so genau“, antwortete sie, während sie auf ihr Glas schaute. Scheinbar war das hier eine sinnlose Aktion. Diese Frau war nicht interessiert. Er wollte schon aufstehen und sich anderweitig umsehen, als sie plötzlich sagte: „Sind solche Parties nicht sonderbar?“ „Wie meinen sie das ?“, wollte er wissen. Noch immer hatte sie ihn keines Blickes gewürdigt. Die Frau zuckte mit den Schultern, versuchte dennoch eine Antwort zu geben: „Ich weiß nicht so genau wie ich es sagen soll. Wir feiern eine Unterwäschekollektion in einem Ballsaal in Abendgarderobe.“ „Es ist gewissermaßen absurd“, stimmte er zu. Daran gab es eigentlich keinen Zweifel, aber irgendwie musste man seine Zeit ja verbringen. „Eigentlich geht es ja nicht wirklich um die Unterwäsche. Das ist mehr der Vorwand“, erklärte er dann, „Würden sie die anderen Leute hier belauschen, dann wüssten sie, dass niemand hier über dieses Thema redet.“ Jetzt drehte sie sich zu ihm hin und musterte ihn, bevor sie ihm in die  Augen schaute. Er hatte schon schönere Frauen gesehen, aber ihr Gesicht hatte etwas Vertrauenserweckendes. Es war ein Bisschen so als würde er sie schon kennen. Sie hielt ihm die Hand entgegen und stellte sich vor: „Mein Name ist Amy Syndebuk.“ „Dänisch?“, fragte er, während ihres Handschlags. Amy antwortete: „Die Familie meines Vaters ist dänisch, ich war allerdings noch niemals dort.“ „Ich bin Pierre, Pierre Gillesbie“, sagte er. Nun meinte sie: „Das klingt Französisch.“ „Ja, ich komme aus New Orleans“, erklärte er. Amy lächelte. Jetzt hatte er es wohl geschafft ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. „Sind sie ganz alleine hier?“, fragte sie. Pierre antwortete: „Das bin ich. Was ist mit ihnen?“ Sie zögerte, nahm einen Schluck Wein und räusperte sich dann. Die Antwort war mit Sicherheit nicht Nein. „Ich bin mit einem Freund hergekommen, aber der ist verschwunden“, erzählte sie genervt. Freundlich behauptete Pierre: „Da habe ich aber Glück, sonst wäre ich nicht in den Genuss ihrer Gesellschaft gekommen.“ Sie lachte. Mit einem Lächeln versuchte er zu signalisieren, dass er das ernst meinte. Amy jedoch meinte: „Sie wissen was eine Frau hören will, Pierre. Gutaussehend und charmant. Sie sind eine echte Bedrohung.“ „Eine Bedrohung?“, wiederholte er, „Sie müssen keine Angst vor mir haben.“ „Das habe ich auch nicht gemeint“, entgegnete sie. Er konnte sein Gegenüber nicht einschätzen. Spielte sie mit ihm oder war sie einfach etwas unbeholfen. Am besten er machte ihr ein Kompliment: „Eine schöne Frau wie sie muss solche Avance gewöhnt sein.“ „Naja“, sagte sie und lächelte. Ihr Blick wanderte durch den Raum. Er beschloss seine Taktik zu wechseln und sich verletzlich zu geben: „Ich finde es schwierig auf andere Menschen zuzugehen, besonders wenn es jemand ist, der mir gefällt.“ „Das verstehe ich“, sagte sie und streichelte mit ihrer Hand über seinen Arm. Scheinbar gefiel ihr diese sensible Masche. „Die meisten hätten sich nicht getraut das zuzugeben“, meinte Amy. Pierre stimmte ihr zu: „Aber ich bin nicht wie andere Männer. Alles was ich will, ist eine Frau zu finden, mit der ich mich wohl fühle.“ „Ja“, sagte sie nachdenklich, „Das ist der Traum.“Hatte er zu dick aufgetragen und sie misstrauisch gemacht? „Aus welchem Film haben sie die Zeile geklaut?“, wollte Amy dann wissen. Sie lächelte und klang nicht wirklich böse. Er behauptete: „Das war mein Ernst.“ „Ja klar, ihr voller Ernst. Sie suchen einfach die richtige Frau für lange Spaziergänge am Meer und gemeinsame Schaumbäder“, entgegnet sie ungläubig. Pierre blieb gelassen und stellte die Frage: „Was hat sie nur so zynisch werden lassen?“ „Es wird sie überraschen, aber ich habe schon den einen oder anderen Mann gedatet und denen ging es meist um etwas anderes. Das gilt besonders für Kerle, die einen an der Bar ansprechen“, erklärte sie und trank ihr Glas leer. Weil er nicht wusste, was er sagen sollte, wollte er wissen: „Und was wollen sie?“ Damit hatte sie scheinbar nicht gerechnet, denn sie öffnete den Mund, sprach es dann aber nicht aus. „Also“, wagte sie einen zweiten Anlauf, brach jedoch erneut ab. Zufrieden nahm Pierre einen Schluck Scotch. So gefiel ihm das Gespräch schon wesentlich besser. Er erkundigte sich: „Kann ich ihnen noch einen Wein bestellen?“ „Warum nicht. Ich hätte gerne einen Roten“, meinte Amy. Er nickte und suchte den Barkeeper, welcher jedoch immer noch verschwunden war. Amy stand nun auf und bat: „Entschuldigen sie mich bitte einen Augenblick. Ich muss mal für kleine Mädchen.“ „Natürlich“, entgegnete er. Sie stand auf und ging in Richtung der Toiletten. Sie würde wohl wieder zurückkommen. Er trank von seinem Scotch, der wirklich sehr gut war. Amy wurde nun von Nick aufgehalten, der ihr irgendetwas zuflüsterte. Sabotierte dieser Mistkerl etwa gerade seine Chance bei der Frau zu landen? Pierre war jedenfalls alarmiert. Sie ging nun wirklich zu den Toiletten. Eine Frau tippte ihm von hinten auf die Schulter. Wiederwillig drehte er sich zu ihr um, was sich als gute Entscheidung herausstellte. Es war Mona Poe, die er noch aus seiner Studienzeit kannte. Sie waren nicht wirklich befreundet gewesen, hatten sich aber oft auf Parties unterhalten. Sie trug ein Kleid, dass dem Anlass eigentlich nicht ganz entsprach, weil es zu offenherzig war. Es hatte nicht nur einen Ausschnitt bis zum Bauchnabel, sondern auch einen Beinschlitz. Ihre gemachten Brüste wippten hin und her, als sie sagte: „Hi Pierre! Cool dich hier zu sehen. Es ist schon eine Ewigkeit her, dass wir uns gesehen haben.“ „Mona, wie geht es dir?“, fragte er sie, bevor sie sich Küsschen auf die Wange gaben. Sie lächelte herausfordernd und meinte: „Es ist hier eher fade. Ich habe etwas Gras dabei und könnte mir vorstellen es mit dir zu teilen.“ „Das klingt gut“, gab Pierre zu. Ihr Lächeln wurde noch breiter und sie wollte wissen: „Also sollen wir von hier verschwinden?“ Er schaute in Richtung der Toiletten. Amy war noch nicht zurückgekommen. Vielleicht würde sie das auch nicht. Er hatte zwar schon einmal mit Mona geschlafen, aber es war besser es ein zweites Mal zu tun, als sich eine Abfuhr von Amy zu holen. „Lass uns gehen“, entschied er. Mona griff seine Hand und gemeinsam gingen sie zum Ausgang. ******************** Am 25.9.2017 um 22:07 von Vergil auf StoryHub veröffentlicht (http://sthu.de/s=y%24%C3%BCL8) ********************