******************** In einem anderen Leben von Sephigruen ******************** ++++++++++++++++++++ Kurzbeschreibung ++++++++++++++++++++ Lehrerin/Schülerin ; femslash | Emma verknallt sich zu schnell in Leute, mit ganz unterschiedlichem Ausgang -------------------- 1. Kapitel: Am Ende -------------------- Der zufriedene Ausdruck in Jajas Gesicht steht im Kontrast dazu, wie unbeholfen Emma sich dabei fühlt, sie über die Tanzfläche zu führen. Obwohl Frau Hartung ihr am Wochenende – wenn auch widerwillig – bei der Auffrischung der Grundlagen geholfen hat, ist sie mit einer Hirnhälfte immer bei ihren Füßen und kann sich gar nicht so sehr auf ihre Partnerin konzentrieren, wie sie gern würde. Den ganzen Abend hat es nur Jaja gegeben, Jaja in ihrem dunkelblauen Kleid, der dazu passenden Schleife im Haar und den Schuhen, die sie bis auf eine halbe Kopfhöhe an Emma heranbringen. Sie lässt Emma den vollen Saal vergessen, dessen Erwartung ihr die Vorfreude auf diesen Abend getrübt hat.   Als das Lied vorbei ist, zieht Jaja sie an den Händen von der Tanzfläche hinüber in die Nähe des Buffets. Grinsend schlingt sie Emma die Arme um den Hals und drückt ihr hinter diesem Sichtschutz den Nasenrücken gegen die Schulter. „Es ist kaum zu fassen“, nuschelt sie. „Mir ist, als hätten wir heute Morgen noch vor den Prüfungen gezittert und jetzt ist alles vorbei.“ „Es geht gerade erst los“, erwidert Emma und verschränkt die Finger hinter Jajas Rücken. „Am Montag sitzen wir im Auto.“ Nach Rom würde es gehen, aber nicht direkt. Spätestens für Innsbruck haben sie sich einen Zwischenhalt vorgenommen. Wahrscheinlich würden sie aber schon eine Weile in München bleiben. Für die ganze Dauer der Reise – und bis zum Ende des Sommers gibt es nichts, was sie verpassen könnten – wird sie Jaja nur für sich haben. Doch vorher ist da noch etwas, das sie erledigen muss.   Den Zettel mit Frau Fischers Adresse steckt Emma in die Brusttasche ihres Sakkos, als sie aus der stickigen Hitze des Saals hinaus in die laue Juninacht tritt. Sie hat nur nach Frau Hartung gefragt und sofort den Auftrag bekommen, sich aus Rom zu melden. Frau Fischer kann man schlecht etwas abschlagen. Von ihr wirkt das auch überhaupt nicht seltsam, im Gegenteil. „Steht draußen und pafft“, hat er Spaeth auf ihre Frage geantwortet. Zum Glück spart er sich den Kommentar zum Küssen, den er immer gebracht hat, wenn die Mädchen von der Raucherecke zurückgekommen sind. Dieses Mal hätte Emma sich vielleicht nicht verkneifen können, zu sagen: Darum hab ich nie damit angefangen.   Abseits der rauchenden Schülergrüppchen auf der Terrasse steht Frau Hartung am Fuß der Treppe, die Hände in den Taschen. Von einer Zigarette gibt es keine Spur mehr, doch als Emma bei ihr ankommt, kann sie es zwischen den Fliederbüschen noch riechen. Vor einer ganzen Weile jedoch hat sie beschlossen, dass es sie nicht interessiert. In Emmas Beisein hat sie nie geraucht, nicht einmal auf ihrem Balkon, wo sie jedes Recht dazu gehabt hat. Sie schaut an Emma vorbei, bis die sie erreicht hat. „Wo ist Jacqueline?“ „Drin geblieben. Unterhält sich mit den anderen.“ Emma legt eine Hand auf Frau Hartungs Rücken, traut sich kaum, sie zu berühren, und lotst sie um die nächste Ecke, sodass die Terrasse hinter den Büschen verschwindet. Am Geländer einer Plattform, von der aus man über die Ententeiche blicken kann, bleiben sie stehen. Die Worte, die Emma sich den ganzen Morgen lang für diesen Augenblick zurechtgelegt hat, haben sich in Nebel aufgelöst, der jetzt ihren Kopf füllt. Tränen steigen ihr in die Augen, viel zu früh, an der völlig falschen Stelle. Sie hat sich eigentlich vorgenommen, niemals vor Frau Hartung zu weinen. „Du siehst gut aus.“ Ihre Mühe, dem Moment die Spannung zu nehmen, ist deutlich aus diesen Worten herauszuhören. Doch gerade von ihr haben sie für Emma die gegenteilige Wirkung. Sie sind nicht alltäglich und werden es nie sein. Von einer Frau wie ihr, bei der keine Ellenbogenfalte falsch liegt, bedeuten sie sogar noch mehr als von Jaja, die durch einen Container Putzlappen tauchen könnte und hinterher umwerfend aussähe. Sie machen deutlich, wie wenig Emma gerade hier sein möchte. „Sie sehen aus wie immer“, erwidert Emma mit belegter Stimme. Es ist das Wahrste und zugleich Dümmste, was sie in diesem Augenblick hätte sagen können. Absolut faszinierend. Wie ein Kunstwerk, von dem man seinen Blick nie wieder nehmen möchte. Auf den Punkt. Doch Anzug, Lidstrich und Lippenstift trägt sie an jedem Tag, egal ob in der Schule oder am Wochenende, selbst auf der matschigen Wiese beim Downhill im letzten Sommer, und genau das trägt sie heute. Emma ist froh darüber. Frau Hartung im Kleid hätte sie wahrscheinlich vollkommen aus dem Konzept gebracht, das passt nicht zusammen. Zum Glück versteht Frau Hartung das Kompliment auch und lächelt. Normalerweise sagen sie solche Dinge überhaupt nicht. Aber heute, zur letzten Gelegenheit, kann man das wohl tun. „Wenn Sie wüssten, wie gern ich jetzt mit Ihnen nach drinnen ginge, um Sie zum Tanz aufzufordern.“ Emma wartet, aber der Satz bleibt für sich zwischen ihnen hängen. Fast so lang, dass Emma sich nicht sicher ist, ob sie ihn wirklich ausgesprochen hat. Frau Hartung steht nur auf das Geländer gestützt da und schaut Emma an. Vielleicht versucht sie, herauszufinden, ob das ernst gemeint ist. Ist es. Dass sie es nicht tun kann, wissen sie aber auch beide. Sie haben das Wochenende gehabt, damit müssen sie wohl zufrieden sein. Das Glück herauszufordern, ist keine gute Idee. Das ganze Jahr über ist es auch nicht sonderlich schwer gewesen. Zurückhaltung und sich nichts anmerken lassen, das hat Emma schon vorher lange geübt. Frau Hartung ihrerseits sieht man niemals irgendetwas an. Entschuldigend lächelnd schiebt Emma ihre Hand in Frau Hartungs dunkle Locken und zieht ihren Kopf sanft zu sich heran. Im Wissen, dass es das letzte Mal ist, vielleicht für immer, nimmt Emma sich vor, auch diesen Kuss für immer zu behalten, das Gefühl von ihren Händen auf dem Rücken, ihre Hüften, die Emmas berühren, nur vielleicht nicht die Tränen, die ihr jetzt doch über die Wangen laufen. Sie kommt sich kitschig vor, dabei wollten sie das nie sein.   Frau Hartung hält sie weiter fest, auch nachdem sie sich voneinander gelöst haben. Sie streichelt durch Emmas Haare. „Ich hoffe du weißt, welchen weiten Weg du gekommen bist. Du hast Jacqueline gefragt, ob sie dich heute Abend begleitet, und sie hat ja gesagt. Denk daran, wenn ihr unterwegs seid.“ Emma nickt nur stumm. Es ist seltsam, ausgerechnet mit Frau Hartung darüber zu sprechen, was aus ihr und Jaja werden soll. Aber sie hat sich immer alles angehört, alles über Jaja und auch alles, was wohl ungesagt über Herrn Spaeth mitgeklungen ist. Nach der unüberwindbar erscheinenden Anfangshürde ist alles so einfach gewesen. Jaja nimmt viele Dinge hin und lässt andere Dinge verschwinden, aber Frau Hartung, so kommt es Emma vor, versteht das alles. „Und vielleicht schreibst du auch.“ Emma richtet sich auf, um Frau Hartung in die Augen zu sehen. „Es ist doch langweilig, wenn Sie wissen, von wem und von wo die Karte kommt.“ -------------------- 2. Kapitel: Briefkastenmoment -------------------- Am Morgen noch war es Emma wie eine gute Idee vorgekommen. Das letzte Puzzleteil zur Erfüllung einer lang gehegten Idee war ihr beim Aufwachen zugefallen. Jajas Begeisterung sprach ebenfalls nur dafür, sie kannte sich mit solchen Dingen bestens aus. Warum also zweifelte sie jetzt, da sie mitten in Rom vor einem Briefkasten stand und die Sonne schon langsam den Schatten aus ihrem Gesicht vertrieb? Weil sie nicht wusste, wie Frau Hartung reagieren würde, wenn sie diese Postkarte finden würde. Seit sie sich zum letzten Mal gesehen hatten, zum Abschlussball, waren Jahre vergangen. Und das, was Emma von Zeit zu Zeit noch immer schlaflose Nächte bereitete, war für sie vielleicht nichts weiter als eine unbedeutende Erinnerung. Würde sie ihre Schrift überhaupt noch erkennen, oder war alles verblasst, verschwommen in der Masse an Schülerhandschriften, die sie über die Jahre vorliegen hatte? Wohnte sie überhaupt noch in derselben Wohnung? (Natürlich, Emma sah den Wagen öfter vor dem Haus stehen, wenn die Sehnsucht nach dem überwältigenden Gefühl jenes Sommerabends sie in die Gegend trieb.) (Es war nicht mehr dasselbe.) Jajas Ermutigungen allein war es zu verdanken, dass sie sich aufgerafft hatte, herzukommen. Zur Erfüllung des letzten Schrittes reicht es jedoch nicht ganz, vielleicht hätte sie dazu mitkommen müssen. Emma hatte es aber nicht über sich gebracht, ihr zerknautschtes Morgen-Ich dem Kissen zu entreißen. Außerdem musste sie sich allein dazu überwinden, fünf Jahre der Funkstille einzureißen, in denen so viel passiert war. War das überhaupt gewünscht? Was, wenn Frau Hartung es ihr übelnahm, dass sie so lang nichts von sich hatte hören lassen? Was werden sollte, war niemals zur Sprache gekommen. Emma war fürchterlich darin, Kontakt zu halten, und es hatte sich nie ein Moment ergeben. Erst jetzt. Sie müsste nur über ihren Schatten springen. Wenn es doch so einfach wäre. Aber das war es nicht mal immer, wenn es um Jaja ging, und da war es bisher immer gut ausgegangen. Du bist einen weiten Weg gekommen, klangen Frau Hartungs Worte ihr in den Ohren. Es war so lang her. War Emma überhaupt bereit, ihr wieder gegenüberzutreten, jetzt vollkommen ohne jedes Risiko? Wie sollte sie mit Zurückweisung umgehen, falls Frau Hartung das nicht konnte? Wie sollte sie jemals wieder eine ruhige Minute verbringen, wenn diese Karte einmal unterwegs war? »Fassen Sie sich ein Herz, junger Mann«, sagte eine Stimme neben ihr auf Englisch mit italienischem Akzent. Im Schatten eines Hauseingangs stand eine Dame mit graumeliertem Haar, an deren Füßen eine Einkaufstasche lehnte. Wie lang beobachtete sie Emma schon? »Sei wartet bestimmt schon darauf.« Das freundliche Lächeln der Frau trieb Emma beinahe die Tränen in die Augen. Hitze, die nichts mit der Junisonne zu tun hatte, wallte in ihr auf. Wortlos riss sie die Klappe auf und ließ die Karte in der Dunkelheit verschwinden, außerhalb ihrer Verfügungsgewalt. Nun gab es kein Zurück mehr. Sie konnte nur hoffen. Wortlos, weil sie Sorge hatte, ihre Stimme nicht kontrollieren zu können, verbeugte sie sich (wobei sie wahrscheinlich aussah wie ein Roboter), und hastete zurück zum Hotel, wo Jaja bestimmt schon auf sie wartete. ++++++++++++++++++++ Autorennotiz ++++++++++++++++++++ eine Sammlung von Kurzgeschichten, irgendwann auch in der richtigen Reihenfolge ******************** Am 13.6.2017 um 20:48 von Sephigruen auf StoryHub veröffentlicht (http://sthu.de/s=xwA%280) ********************