Prinzessin Yeminé fährt Rollschuh

Am 14.6.2020 um 12:43 von rolandp auf StoryHub veröffentlicht

Prinzessin Yeminé sitzt auf dem dicken, kostbaren Teppich vor dem Bett des Königs. Der König sitzt im Bett mit einem goldbestickten Kissen im Rücken. Ein Diener steht seitlich am Bett mit einem Buch in der Hand, dem König zugewandt. Der König liest gerade das Ende der Geschichte vor.

Die Prinzessin sagt: „Oh, das war aber eine schöne Geschichte. Ich möchte noch eine Geschichte“. Der König lächelt, aber entschieden sagt er: „Nein, ich bin müde und muss mich ausruhen“. Prinzessin Yeminé klagt: „aber mir ist dann so langweilig…, was soll ich denn machen?“. Der König gibt dem Diener ein Zeichen, damit dieser das Zimmer verlässt. Die Prinzessin schickt es mit den Worten hinaus: „schau doch mal oben im Turm. Dort müsste noch eine Truhe stehen mit Rollschuhen. Probier´ das doch mal aus – aber sei vorsichtig!“.

Prinzessin Yeminé saust sofort los, quer über den Hof. Fast stolpert sie über die Schweine, die schon ungeduldig grunzen. Bald ist Fütterungszeit. Gerade kommt der Fischhändler mit seiner Kutsche auf der hinten ein riesiger Wasserbottich festgezurrt ist. Im Bottich schwimmen ein paar Fische und andere Tiere, die der Fischhändler gerne verkaufen möchte.

Die Prinzessin springt über eines der Schweine, kurvt um die Kutsche herum und rennt die vielen Stufen der Wendeltreppe hinauf bis ganz nach oben in das Turmzimmer. Tatsächlich, in der Ecke steht eine Truhe. Außer Atem kniet die Prinzessin vor die Truhe. Die Prinzessin muss ihre ganze Kraft zusammen nehmen, um den schweren Deckel aufzuklappen. Ganz weit unten findet sie die Rollschuhe, sie sind ziemlich verstaubt und sehen alt aus, aber die Rollen funktionieren noch gut.

Vor ein paar Wochen hat die Prinzessin gesehen, wie der Küchenjunge mit Rollschuhen gelaufen ist. Sie selber hat es aber noch nie ausprobiert. Eilig schlüpft sie in die Rollschuhe.

Als sie aufstehen will, fällt sie gleich wieder hin. Gleich probiert sie es noch einmal. Diesmal kann sie kurz das Gleichgewicht halten, beinahe fällt sie wieder hin, sie rudert mit den Armen, um nicht umzufallen. Dabei kommt sie ins Rollen und fährt wacklig los. Gerade noch möchte sie sich am Rand der Tür festhalten, aber schon ist es zu spät.

Sie stolpert die erste Treppenstufe hinunter, rutscht auf der zweiten aus. Obwohl sie sich am Geländer etwas festhalten kann, rollt sie immer weiter, die dritte, die vierte Treppenstufe. Sie wird schneller und schneller. Holpernd und ungestüm torkelt sie die Treppe hinunter. Mit Mühe kann sie sich aufrecht halten, um nicht kopfüber nach unten zu stürzen.

In diesem Moment steigen die Königin und ein Diener die Treppe nach oben. Er hält ein großes Silbertablett auf den Händen, darauf Kaffee und Kuchen für die Königin. Sie liebt es, mit dem Blick von oben auf das Dorf den Kuchen zu verspeisen. Prinzessin Yeminé kommt auf die beiden zugerast. „Achtung!“, schreit sie und hält schützend die Arme vor den Kopf.

Sie streift den Diener. Er lässt das Silbertablett fallen. Klappernd fällt es auf die Treppe. Die Königin will der Prinzessin ausweichen und stürzt. Die Kaffeekanne fliegt gegen die Wand und zerschellt. Die Prinzessin fliegt weiter die Treppe hinunter. Die Kaffeetasse zersplittert am Boden. Im Fallen möchte sich die Königin festhalten, aber sie landet mitten auf dem Silbertablett und bekommt nur dessen Henkel zu greifen. Das Silbertablett steht schief auf der Treppe und kommt ins Rutschen. Mitsamt der Königin, unter ihr der zerquetschte Himbeerkuchen, nimmt das Tablett an Fahrt auf und so gleitet die Königin auf dem Tablett die Treppe hinunter. Sie kreischt. Vor ihr die Prinzessin, ebenso kreischend. Hinter ihr der Diener, der eilig hinterher läuft.

Fast unten angelangt rauscht die Prinzessin an einem offenen Turm-Fenster neben der Treppe vorbei, mit Mühe kann sie auf der Treppe bleiben. Die Königin hat nicht so viel Glück. Die Königin, die Überreste des Himbeerkuchens und das Silbertablett fliegen durch das Fenster hinaus. Der Fischhändler hört den Lärm und schaut nach oben. Er kann nicht glauben, was er sieht, aber da segelt die Königin, kniend auf einem Silbertablett über ihn hinweg. Im Flug nach unten lässt die Königin das Tablett los und stürzt kopfüber in den großen Wasserbottich. Eine gewaltige Wasserfontäne spritzt nach oben.

„Aus dem Weg“, schreit die Prinzessin und schießt aus dem Turmeingang heraus. Mal auf dem einen Bein, mal auf dem anderen, mit den Armen wild um das Gleichgewicht kämpfend, flitzt sie über den Hof. Sie stolpert mit dem einen Bein, wird um 180 Grad herumgerissen und holpert nun rückwärts auf den Stall zu. Vor dem Stall steht der Futtertrog der Schweine. Gerade eben mit den Küchenabfällen gefüllt – die Schweine fallen gierig über das Mahl her.

Mit einem lauten Platsch landet die Prinzessin rückwärts mitten im Futtertrog. Ein Teil des Schweinefutters wird hinausgeschleudert und befleckt die hungrigen Schweine. Ein anderer Teil klebt an Prinzessin Yeminé, an ihrem Kleid, an ihren Haaren, einfach überall. Die beiden Rollschuhe haben sich gelöst und krachen gegen die hölzerne Stalltür. Für einen kurzen Augenblick sind die Schweine erschrocken zurückgewichen, jetzt drängen sie sich wieder begierig an den Futtertrog, tauchen ihre Schnauzen in das Futter und schnüffeln an der Prinzessin auf der Suche nach etwas Essbarem.

Schon spürt die Prinzessin eine Schweineschnauze an ihrer Wange. So schnell war sie noch nie aufgesprungen. Sie rutscht aus und fällt nochmals in das Futter, nun bäuchlings. Beim zweiten Mal gelingt es ihr, hinauszuklettern.

Sie flieht zum Eingang, der zum Esszimmer führt. Die Schweine stutzen, merken dann, wie ihr Futter davonläuft und folgen der Prinzessin im Schweinsgalopp. Prinzessin Yeminé jagt durch das Esszimmer, die Schweine hinterher; sie rennt am Tisch vorbei, die Schweine darunter durch. Am Ende des Tisches bleiben die Schweine zunächst kurz am Tischtuch hängen bis es sich mit einem Ruck löst und von ihnen mitgeschleift wird.

Außer Atem erreicht die Prinzessin den Gang. Ein Diener springt aus dem Weg, als zunächst Prinzessin Yeminé - etwas übel riechend - und dann das grunzende Tischtusch mit seinen vielen Schweinebeinen an ihm vorbei rennen.

Endlich hat die Prinzessin das Schlafzimmer des Königs erreicht. Der König schläft. Rasch klettert die Prinzessin über das Bett. Der König wacht just in dem Moment auf, als zwei Schweine über seinen Kopf springen. Erschrocken fährt er aus dem Bett und sieht zu seinem Entsetzen, wie die Prinzessin und die Schweine im Zimmer im Kreis herumjagen und eine breite Schneise der Verwüstung und des Drecks hinterlassen. Die Schweine grunzen, die Prinzessin kreischt, der König kreischt.

Vorsichtig bewegt sich der König rückwärts zur Tür und ruft lauthals nach den Dienern. Da sieht er, wie etwas Wasser an seinen königlichen Pantoffeln vorbei ins Schlafzimmer fließt. Er hört ein klatschendes Geräusch und plötzlich fühlt er, wie etwas Nasses, Kaltes, Glitschiges nach seiner Schulter greift. Der König fährt herum und wieder entfährt ihm ein schriller Schrei. Es ist die Königin, aber sie ist platschnass, Wasser trieft aus ihren Haaren, die über ihrem Gesicht kleben. Ein paar Algen haben sich in ihren Haaren verfangen, eine kleine Schildkröte fällt aus ihrem Gewand, das von Kaffee und Himbeerkuchen besprenkelt ist. Überall tröpfelt und fließt es. „Prinzessin Yeminé“, schreit die Königin und fuchtelt mit einem zappelnden Fisch, den sie in ihrer Hand hält, „ab auf Dein Zimmer!“.

Eine Stunde später. Die Prinzessin sitzt im heißen Wasser der Badewanne und spielt mit der Schildkröte, die sie heimlich mitgenommen hat. Der König klopft an der Tür und tritt dann ein. „Da hast Du ja wieder etwas angestellt“, sagt der König, „aber es ist ja noch mal gut ausgegangen. Wir haben alles wieder dorthin gebracht wo es hingehört, nur die Diener müssen noch eine Weile putzen“. „Entschuldigung, es tut mir leid“, sagt die Prinzessin und hat etwas Tränen in den Augen, „aber ich wollte ja nur…“. Der König streichelt ihren Kopf und sagt, „schon gut, das nächste Mal passen wir besser auf“.