******************** Vertrauen von Schriftstellerin ******************** ++++++++++++++++++++ Kurzbeschreibung ++++++++++++++++++++ Im Sommer 90 trampte ich mit einer Freundin nach London, und wir wohnten in einem besetzten Haus. Die Leute da haben damals zu uns im Spaß gesagt, oder haben sie das etwa ernst gemeint: "Ihr in der DDR seid doch alle bei der Stasi gewesen." Ich fiel aus allen Wolken, denn ich hätte niemals geglaubt, dass die Stasi den Engländern überhaupt ein Begriff war, so kurze Zeit nach Mauerfall. Die fleißigen Männer und Frauen vom Geheimdienst haben unser Land weltberühmt gemacht. Sogar die Aborigines in Australien werden gewusst haben, was ein IM ist. Wer damit überhaupt nichts anfangen konnte, obwohl er in der DDR aufgewachsen ist, war ich. Ich war da völlig blauäugig. "Trotz der traumatischen Erfahrungen fährt Elke F. drei Monate später erneut zu einem Treffen mit Gerhard Thieme und dessen Vorgesetzten nach Frankfurt an der Oder. Bei einem Abend am Kamin eröffnet ihr jener Hannes, dass sie für die DDR ..." Quoirin, Marianne. Agentinnen aus Liebe  Wer hat Elke F. in Gehirn geschissen und was findet sie an "Jenem Hannes"? Aber: Wer werfe den ersten Stein? Vielleicht wäre es mir ganz genauso gegangen, wenn ich in Bonn in einem Ministerium als Sekretärin gearbeitet hätte und ich hätte "Jenem Hannes" oder wie die Ossi -Romeos alle hießen, auch aus der Hand gefressen. Im Sommer 90 trampte ich mit einer Freundin nach London, und wir wohnten in einem besetzten Haus. Die Leute da haben damals zu uns im Spaß gesagt, oder haben sie das etwa ernst gemeint: "Ihr in der DDR seid doch alle bei der Stasi gewesen." Ich fiel aus allen Wolken, denn ich hätte niemals geglaubt, dass die Stasi den Engländern überhaupt ein Begriff war, so kurze Zeit nach Mauerfall. Die fleißigen Männer und Frauen vom Geheimdienst haben unser Land weltberühmt gemacht. Sogar die Aborigines in Australien werden gewusst haben, was ein IM ist. Wer damit überhaupt nichts anfangen konnte, obwohl er in der DDR aufgewachsen ist, war ich. Ich war da völlig blauäugig. Aber irgendwie im Hintergrund spürte man das gefährliche Treiben dieser Truppe, die vor gar nichts zurückschreckte und der nichts heilig war. Die meisten Leute, die etwas wussten, hatten Angst, darüber zu reden. Ich erfuhr im November 89 erstaunt, dass die Normannenstraße gestürmt wurde. Ich hatte vorher von dieser Straße nie etwas gehört. Auch das Stasigefängnis in Hohenschönhausen war mir kein Begriff. Auch von dem Spitzelsystem, mit dem unser Land durchsetzt war, wusste ich nichts.  In einer Großstadt im Süden Ostdeutschland wurden kurz nach der Wende die Namen der IMs in der Zeitung veröffentlicht, was viele überhaupt nicht guthießen. Ein Bekannter, der von der dortigen Kunsthochschule zwangsexmatrikuliert worden war, erfuhr aus der Zeitung, dass alle seine Freunde bei der Stasi waren, was ihn so schockiert hat, dass er erstmal für lange Zeit niemandem mehr traute.  Von einem guten Kumpel von mir, den ich aber erst ein paar Monate nach der Wende kennengelernt habe, wurde immer behauptet, dass er früher bei der Stasi gearbeitet hat. In einem Interview mit einem ostdeutschen Liedermacher, das in der Zeitung abgedruckt war, hatte dieser erzählt, dass er in Ostberlin einen sehr guten Freund hatte, von dem er wusste, dass er ihm blind vertrauen konnte. Diesem Freund hatte er bei seiner Ausweisung aus der DDR wichtige Papiere anvertraut. Als er nach der Wende Einblick in seine Stasiakten nehmen konnte, klappte ihm die Kinnlade runter. Sein Freund war nämlich auch ein Stasimann. Ich konnte mir damals gar nicht vorstellen, dass man so naiv sein kann. Mein Kumpel, der, von dem behauptet wurde, dass er selber Stasimitarbeiter gewesen ist, wusste es besser, vielleicht schwang da Insiderwissen mit. Er hatte Verständnis für den Vertrauensseligen. Er meinte, dass die Leute, die Andere bespitzelt haben, sich extrem gut verstellen konnten. Er war auch der Meinung, dass selbst jemand so völlig Harmloses wie ich, die bloß ab und zu zu Blueskonzerten gegangen ist, zu Open Airs gereist ist und in die Szenekneipen gegangen ist, eine Akte bei der Stasi besitzt.   Wahrscheinlich haben die Leute im Ausland den Eindruck gewonnen, wir DDR Bürger wären alle in Widerstandsgruppen organisiert gewesen und hätten Tag und Nacht an nichts anderes gedachte, als die Regierung zu stürzen, weil wir so überwacht werden mussten. Aber das Gegenteil war der Fall. Ich weiß gar nicht, was die vielen hunderttausend Spitzel eigentlich rauskriegen wollten. Vielen gab ihre Tätigkeit für die Stasi aber auch eine Macht über andere. Auch wenn keinerlei politische Gründe vorlagen, konnten sie andere fertigmachen, die sie beneideten und beruflich oder auch privat als Rivalen ansahen. Sie waren der Typ Kollege, der sich beim Chef einkratzt, indem er Leute anschwärzt. Für mich ist es kein Kavaliersdelikt, dass der Sänger meiner Lieblingsband, der kurzzeitig für die Stasi gearbeitet hat und später selber jahrelang bespitzelt wurde, jemanden, der ihm eine Frau ausgespannt hatte, bei den Sicherheitsorganen denunzierte.  Nach der Wende sprach sich herum, dass ein Student aus unserer Seminargruppe bei der Stasi war. Ich habe mich eigentlich immer gut mit ihm verstanden. Er hatte mir mal erzählt, wie er und sein Bruder damals auf der Penne als langhaarige Spaßrebellen mit Witz und Charme die ganze Schule in Aufregung gehalten hatten, was ich ihm bei seinem Mundwerk auch glaube. Nicht lange darauf muss eine Wandlung bei ihm eingesetzt haben. Bei vielen Leuten, die sehr witzig sind, erschöpft sich ihre Aufmüpfigkeit schon im Witz. Das habe ich mal bei Karl Kraus gelesen. Vielleicht hatte er, der fünf Jahre älter war als wir, ja schon einen Offiziersrang inne und in der Normannenstraße wartete nach seinem Studium ein Schreibtisch auf ihn. Er war ein gutaussehender, intelligenter Bursche. Vielleicht ist vielen einsamen Sekretärinnen beim Bundesnachrichtendienst durch die Wende einiges erspart geblieben. Solche Typen wurden doch von der Stasi auf die angesetzt. Da sind die gar nicht fein gewesen. Skrupellos wurden die Gefühle der Frauen ausgenutzt. Ich habe Bücher mit den Erinnerungen von diesen Frauen gelesen, und mir standen die Haare zu Berge.  Aber eines habe ich nicht verstanden. Auf Bildern wirken diese "Kundschafter für den Frieden", wie die Herzensbrecher von der Stasi bezeichnet wurden, auf mich wie junge, kleinbürgerliche Ehemänner. Ich hätte sie auf den ersten Blick als verheiratet eintaxiert. Und die meisten dieser Stasiromeos waren auch wirklich verheiratet und hatten Kinder. Sie sahen eigentlich so aus, wie die jungen Männer bei uns auf dem Dorf, die ich als Schulmädchen dabei beobachtete, wie sie jedes Mal, wenn sie mit Frau und Kind aus dem Auto stiegen, um ihre Eltern zu besuchen, immer ein bisschen dicker geworden waren. Später ist mir klar geworden, dass für die Sekretärinnen, die Angst hatten, als sitzengeblieben zu gelten, solch ein Durchschnittstyp, der versprach mal ein Durchschnittsehemann zu werden, der absolute Traummann war. Sie wollten mit ihnen die Familien gründen, die die Männer eigentlich schon hatten. Aber trotzdem fragt man sich, warum haben sie diesen Kerlen nur so dermaßen aus der Hand gefressen? Die Ernüchterung für die benutzten Frauen kam im Knast und spätestens wenn sie nach der Wende ihren Romeo aufsuchen wollten und ihnen in seiner Neubauwohnung in Marzahn seine Frau die Tür öffnete, im Hintergrund die Kinder lärmten, und er sie völlig verleugnete. Ihre große Liebe war nur ein riesengroßer Fake. Liebe macht hörig. Eine verliebte Frau ist wohl oft nicht mehr Herr ihrer Sinne. Das hat wohl mit der jahrhundertelangen Gehirnwäsche zu tun, die sie uns Frauen verpasst haben. Schon in Grimms Märchen rettet einen der gute Prinz vor dem bösen Drachen und heiratet einen hinterher. Zum Glück ist die Bundesrepublik mit den armen, getäuschten, in ihren Gefühlen verletzten Frauen nicht so hart umgesprungen und die Gefängnisstrafen blieben überschaubar, und sie konnten danach wieder in ihr Berufsleben einsteigen. Letztens habe ich im Fernsehen mal ein ehemaligen Stasioffizier froh und frei über seine Schandtaten sprechen hören, die er natürlich gar nicht als Schandtaten ansah.  Zwei junge Frauen aus unserer Seminargruppe spielten eine sehr unrühmliche Rolle für den weiteren Verlauf meines Lebens. Beide waren die  geborenen Denunziantinnen. Da war wohl die Stasi mit im Spiel, obwohl ich völlig unpolitisch war. Meine Freundin Doreen, die da viel realistischer war als ich, hatte mich schon gleich zu Anfang vor der einen gewarnt, und Doreen sollte leider recht behalten. Sie war an ihrer Schule, wo sie Abi gemacht hat, schon Freundschaftsratsvorsitzende gewesen, das war jemand der Andere anschwärzte. Ich mochte sie eigentlich, weil sie lebhaft und lustig war, ein Energiebündel und ein geborenes Organisationstalent, aber sie mochte mich wohl ganz und gar nicht. Sie hatte, genauso wie der Kommilitone, den ich schon erwähnt habe, in ihrer frühesten Jugend, als sie noch auf der Penne war, Szeneerfahrungen in der Bluesszene ihrer Heimatstadt  gemacht. Ich hoffe, dass die Beiden nicht schon damals für die Stasi im Einsatz waren und ihre langhaarigen Kumpels verpfiffen. Ich hielt Doreens Befürchtungen jedenfalls für übertrieben. Die andere Frau aus unserer Seminargruppe war nicht ganz so gefährlich, weil sie zwar auch vorm Anschwärzen nicht zurückschreckte, aber sie wirkte dermaßen falsch und konnte sich nicht so gut verstellen wie die anderen Beiden, dass bei jedem sofort die Alarmglocken läuteten. Bei ihrem Anblick ergriff einen schon ein unangenehmes Gefühl. Viele sagten nach der Wende, dass sie angeblich niemandem geschadet haben, aber man muss sich mal vor Augen halten, dass derselbe Menschentyp, den sie verkörperten, unter den Nazis für die Gestapo gespitzelt hätte und unter Stalin für den NKDW. Wenn du am Endsieg gezweifelt hätte, hätten diese Leute dich an die Gestapozentrale in der Prinz Albrecht Straße ausgeliefert und du wärst in Plötzensee unters Fallbeil gekommen. Dann wäre in Berlin bestimmt eine Straße nach mir benannt worden und vor meinem steinernen Monument hätten Thälmannpioniere ihr Gelöbnis abgelegt. Ob einem das was nützt, wenn später Straßen nach einem benannt werden?  Die beiden Studentinnen, übrigens hübsche junge Frauen, denen Außenstehende das gar nicht zugetraut haben würden, waren wohl schon vor dem Abitur angeworben worden und arbeiteten auf einen gutbesoldeten Arbeitsplatz bei den Inneren Organen hin, wo sie nach dem Studium gute berufliche Perspektiven für sich sahen. Für diese Leute war die Wende bestimmt ein Horror. Ein paar Jahre mussten sie zittern. Nach dem ersten Schrecken, sitzen sie jetzt bestimmt schon lange wieder beruflich fest im Sattel und bereuen nichts. So ein Menschentyp, wie sie, findet doch in jedem System seinen Platz.  Ich habe mal im Internet recherchiert, ob zu DDR Zeiten wirklich schon in der Schule Jugendliche von der Stasi angeworben worden sind. Das lief demnach so ab. Der Schuldirektor, der meist mit den Organen zusammengearbeitet hat, wurde informiert, wenn die Stasi einen geeigneten Kandidaten ausgespäht hatte. Er musste die Sekretärin nach Hause schicken und den Schüler ins Sekretariat bestellen. Dort warteten schon zwei graue Eminenzen, die möglichst nicht durch den Haupteingang eingetreten  waren. Vielleicht sind sie durch den Schornstein gekommen oder auf einem Hexenbesen durchs Fenster geflogen. Der Stasi ist alles zuzutrauen. Nachdem der Schuldirektor den Schüler reingelassen hatte, musste er aus dem Zimmer gehen und sie mit ihm allein lassen. Er war natürlich zu strengstem Stillschweigen verpflichtet. Ich will Kotzen.  ******************** Am 26.8.2022 um 10:48 von Schriftstellerin auf StoryHub veröffentlicht (http://sthu.de/s=g%E2%82%ACC2x) ********************