******************** Freundschaftszug nach Moskau von Schriftstellerin ******************** ++++++++++++++++++++ Kurzbeschreibung ++++++++++++++++++++ In der Bahnhofsmitropa, Soldaten, Multi Kulti Liebe, Ein kleiner, schwuler Jude, Der Taugenichts, Mütterchen Wolga, Mit Kleidern ins Bett, Baikalsee, Die Prinzessin an der Autobahn, Sterne über dem Mississippi, Ein russischer Bär singt, Marina In der Bahnhofsmitropa, Soldaten, Multi Kulti Liebe, Ein kleiner, schwuler Jude, Der Taugenichts, Mit Kleidern ins Bett, Die Prinzessin an der Autobahn, Sterne über dem Mississippi, Ein russischer Bär singt, Marina   Здесь лапы у елей дрожат на весу, Здесь птицы щебечут тревожно, Живёшь в заколдованном диком лесу, Откуда уйти невозможно. ...   Hier neigen sich Zweige zu Boden so schwer.Hier singen die Vögel mit Bangen.Wer zu dir kommt, findet den Heimweg nicht mehr,dein Märchenwald hält ihn gefangen. Songwriter: владимир высоцкий Veröffentlicht: 1978   Ich fragte die russische Frau, die auf dem kleinen Markt an der Karl Marx Allee verkauft, ob sie am Wochenende auch nach Karlshorst kommt. Sie will nicht, aber aus ihrer Stimme höre ich etwas anderes raus. Verdrängt da etwa jemand seine Heimatsehnsucht? Es gibt sie schon seit einigen Jahren nicht mehr, aber bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Gasprom zwar nicht den Gashahn dafür aber den Geldhahn zugedreht hat, fanden jeden Sommer an einem Wochenende für drei Tage auf der Pferderennbahn in Karlshorst die Deutsch Russischen Festtage statt. Die Leute in Karlshorst und Umgebung und natürlich die Russen in Berlin, die ja die Nachfahren Dostojewskis, Puschkins und Turgenjews sind, haben sich schon das ganze Jahr darauf gefreut. Man löffelte Soljanka, das russische Nationalgericht, trank Wodka, sah Konzerte, Boxkämpfe, Pferderennen, Dichterlesungen, ärgerte sich mit dem zähen Schaschlyk rum und darüber, dass die Russen erst ihre Landsleute bedienten. In der Bahnhofsmitropa Mit Soljanka verbinden sich für mich sehr zwiespältige Erfahrungen. Soljanka war das Gericht, dass es früher auf die Karte von jeder Gaststätte und jeder Betriebskantine in der DDR geschafft hatte. Der Grund dafür war, das man dort einfach alles reinmachen konnte, was in der Küche übrig war. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt. Die Möglichkeit zur freien Rezeptgestaltung weckte in den Köchen der Restaurants und Kantinen ungeahnte kriminelle Energien. Ich entsinne mich noch an zwei besonders krasse Soljankamutationen. In meiner Lehrlingszeit musste ich jeden Sonntag zwei Stunden auf dem Bahnhof in Stralsund auf meinen Anschlusszug warten. Auf dem Bahnhof war es kalt und zugig, und man ging man in die Mitropa. Dort gab es nichts Eßbares außer der allgegenwärtigen Soljanka und angetrocknete Schrippen, auf denen sich die Wurst wellte. Die dortigen Köche hatten sie eine besonders fiese Geschmacksvariante kreiert, denn die Soljanka roch und schmeckte, und mir fällt kein treffenderer Begriff dafür ein, genauso wie Kotze. An jedem Sonntag, während der drei Jahre, an denen ich dort auf den Zug warten musste, keimte bei mir immer aufs neue die Hoffnung auf, dass sich an der Rezeptur was geändert hat. Aber die Soljanka schmeckt immer gleich. So eklig es auch war, um wenigstens etwas Warmes im Bauch zu haben, würgte man sich das runter. Vielleicht haben die DDR Bürger 89 die Regierung auch deshalb gestürzt, weil sie den Fraß satt hatten. Eine zweite gruselige Soljankavariation wurde in meiner Betriebskantine hier in Berlin serviert. Die eine Hälfte der Suppentasse war mit flüssigem Fett gefüllt, aber was sich darunter befand, konnte man zu sich nehmen. So musste man immer mit seinem Löffel kühn die breite Ölschicht durchstoßen und ihn dann möglichst ruckartig wieder nach oben befördern, damit nicht zuviel Öl drauf liegen blieb. Auch hier war Soljanka die einzige Option. Es gab nicht wirklich viel anderes zu essen. Eigentlich war das Volksfest ja wohl dazu gedacht gewesen, uns Deutsche und die russischen Spätaussiedler, die nach der Wende nach Berlin gekommen waren, miteinander bekannt zu machen, aber man sah selten Angehörige der beiden Nationen im Gespräch miteinander. Zu DDR Zeiten herrschte offiziell Deutsch Sowjetische Freundschaft, natürlich nur auf dem Papier. Es gab bei uns auch dieselbe Pionierorganisation und die gleiche Jugendorganisation, bloß dass sie sich bei den Russen Komsomol nannte. Beides ist durch Perestroika und Maueröffnung wie durch Zauberhand verschwunden, und keiner heult ihnen eine Träne hinterher. Soldaten Ich hatte eigentlich immer viel übrig für die Russen, denn sie haben uns befreit. Wenn sie nicht gewesen wären, hätten wir vielleicht die Nazis immer noch. Deshalb winkte ich als Kind bei Militärparaden immer begeistert den russischen Panzersoldaten zu. Erst später habe ich erfahren, wie unmenschlich die einfachen Soldaten von ihren Vorgesetzen behandelt wurden und wie rigoros die sowjetische Militärgerichtsbarkeit war. Die Soldaten waren wohl bloß gesichtsloses Menschenmaterial für ihre Kommissare. Sie hatten in den drei Jahre Pflichtdienst in der DDR niemals Ausgang und keinen Heimaturlaub. Kein Vergleich mit den amerikanischen Soldaten, die in Westdeutschland stationiert waren. Im Umkreis von sowjetischen Miltärobjekten kam es häufig zu Vergewaltigungen, was auch nicht verwunderlich war. Ab und zu drehte auch mal jemand durch und schoß um sich. Auf einer Arbeitstelle, in einem Betrieb in Marzahn, wurde ich extrem gemobbt. Einmal war ich so verzweifelt, dass ich nach der Arbeit nicht gleich nach Hause gefahren bin, sondern ziellos durch Marzahn lief. Ich stieß auf einen winzigen russischen Soldatenfriedhof aus dem zweiten Weltkrieg. Ich las mir die Inschriften auf den Gräbern durch, und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen, dass die Meisten von ihnen so genauso alt waren wie ich jetzt, Anfang zwanzig. Und ich habe mir eingebildet, mir geht es schlecht. Multi Kulti Liebe In meiner Kindheit war ich mal eine Zeitlang heimlich in einen Jungen aus meinem Dorf verliebt. Er war mit seiner Familie aus Rußland übergesiedelt. Obwohl er noch ganz klein war, als er sein Land verlassen hatte, haftete für mich der geheimnisvolle Zauber seiner russischen Heimat an ihm. Er sah übrigens aus wie Oleg Vidow, der flachsblonde sowjetische Filmstar. Damals machte mir sogar der Russischunterricht Spaß. Ich brachte ihn immer mit der Wolga, dem Don, dem Jenissei, Sibirien, er kam wirklich aus Nowosibirsk und den Büchern von Tolstoi, Gogol und Tschechow in Verbindung. Mir war schon glasklar, dass wir beide später zusammen in seine russische Heimat, am liebsten nach Sibirien, zurückkehren werden. Ich bildete mir ein, dass er das auch wollte. Ich glaube seine russischen Heimatdichter hat er nie gelesen, da er ein richtiger Dorfbengel werden wollte. Und die lasen keine Bücher, sondern spielten Fußball, weshalb ich mich dann auch öfter am Sportplatz rumdrückte. In der Bibliothek, wo ich Stammgast war, habe ich ihn nie gesehen. Das Gegenteil war der Fall. Er bemühte sich, in seiner neuen Heimat, einem Dorf in Mecklenburg, wo ich auch wohnte, Fuß zu fassen und wollte gerne genauso sein wie die anderen Jungs, währenddessen mich gerade das Exotische an ihm reizte. Er litt wohl sehr darunter, dass sein Vater dem „Wässerchen“ zu sehr zugetan war und dass seine Mutter immer in Kopftuch und Filzstiefeln durchs Dorf ging und sich weigerte Deutsch zu sprechen. Sie ist wohl niemals in Deutschland angekommen. Das machte ihn härter. Eines Tages spürte er wohl, dass ich in ihn verliebt war und verspottete mich, in der er, mit dem sicheren Instinkt des Außenseiters, auch einen Außenseiter erkannte, vor den Anderen auf dem Schulhof. Vielleicht war das Überanpassung, denn so gemein zu einem Mädchen, dass sie mochte, was ja immerhin auch dem Ego schmeichelte, waren selbst die Frechsten unter den Jungs nicht. Zu meinem großen Glück sprangen die Anderen nicht darauf an und der Vorfall ging unter. Es hatte uns ja auch noch nie jemand ein Wort zusammen wechseln sehen. So viel Fantasie hatte Gottseihdank keiner. Sonst wäre es für sie ein gefundenes Fressen gewesen, und ich hätte ich auf dem Schulhof wohl einiges an Hänseleien über mich ergehen lassen müssen, wo ich es als Lehrerkind sowieso schon nicht einfach hatte. Das gab meiner Leidenschaft einen Dämpfer. Ich litt wohl, im zarten Alter von zwölf Jahren, unter einem besorgniserregenden Überschuß an Einbildungskraft. Vielleicht habe ich die heute noch. Meine erste Liebe ist für mich untrennbar mit diesigen, kalten Sonntagnachmittagen auf dem Dorf verbunden. Das kommt daher, weil sich meine Mutter mal wieder ein Amt andrehen gelassen hatte und ich ihr helfen musste. Sie, eine alleinstehende Frau, traute sich nicht, nein zu sagen. Alle gingen davon aus, dass sie jede Menge Zeit hat, im Gegensatz zu den verheirateten Frauen. Dieses Mal war sie zur Vorsitzenden vom Frauenbund gemacht worden. Weil alle so zufrieden mit ihr waren, wurde sie auch gleich noch zur Vorsitzenden der Volkssolidarität gemacht. So lief ich, gefühlt jeden Sonntag, oft bis zum späten Abend, durchs Dorf und verteilte handgeschriebene Einladungen an die Mitglieder. Oft war ich auch mit Spendenlisten von Tür zu Tür unterwegs oder verkaufte Plastikblumen. Darüber war ich aber gar nicht böse. Im Gegenteil, ich wartete immer schon ungeduldig, bis meine Mutter endlich alle Einladungen fertiggeschrieben hatte und ich ins Dorf laufen konnte. Das verschaffte mir Gelegenheit und einen Grund, um die Nähe meiner großen Liebe zu suchen, des 14 jährigen Jungen, der vor einigen Jahren mit seinen Eltern aus Rußland gekommen war und der am anderen Ende des Dorfes wohnte. Natürlich sah ich ihn auch in der Woche jeden Tag in der Schule, wo er mich aber nicht beachtete. Er wußte nichts von seinem Glück. Oft fuhr er auch allein auf seiner blauen Schwalbe kreuz und quer durchs Dorf. Deshalb löste jedes Motorengeräusch in mir Hoffnungen aus und klang in meinen Ohren wie Musik. Übrigens, nach einer Weile konnte ich schon das Motorengeräusch seiner Schwalbe von denen der anderen Mopeds unterscheiden. Wie alle Verliebten war ich der festen Überzeugung, dass meine Leidenschaft geteilt wurde und aus uns in absehbarer Zeit ein Paar werden würde und wollte die Realität nicht sehen. Ich dachte, dass uns nur noch die äußere Gelegenheit fehlte. Die wollte ich herbeiführen. Die Dorfbewohner, denen ich begegnete, fragen mich neugierig, weswegen ich hier am Sonntagabend allein auf der Dorfstraße rumlaufe. Ich erklärte ihnen meine Mission, und sie bewunderten meinen Einsatz für den guten Zweck und ließen meiner Mutter Grüße ausrichten. Um so näher ich seinem Zuhause kam, um so aufgeregter wurde. Wenn ich die letzte Treppe vor seiner Wohnung erklomm, fühlte ich mich schon völlig schwerelos. Nachdem ich geklingelt hatte, ging drinnen immer ein russisches Stimmengewirr los. Meist öffnete er die Tür, da er besser Deutsch sprach als seine Eltern. Seine Familie versammelt sich hinter ihm und betrachtete mich neugierig. Während ich Unterschriften gegen den Krieg in Vietnam sammelte und Plastikblumen für die Volkssolidarität verkaufte, schwankte mir der Boden unter meinen Füßen. Aber zum Glück merkte er nichts. Näher bin ich ihm nie gekommen, aber ich war damals ja auch erst zwölf Jahre alt. Er hat später ein Mädchen, das ein Dorf weiter wohnte, geheiratet. Ein kleiner, schwuler Jude Eines Tage fiel mir die "Recherche" von Marcel Proust in die Hand, und mir fiel auf, dass Proust in "Im Schatten junger Mädchenblüte", in der es um seine unerwiederte Liebe zu Gilbert, die wohl damals auch erst zwölf war, so alt wie er selbst, eigentlich meine erste große Liebe zu dem russischen Jungen aus meinem Heimatdorf beschreibt. Diese unglückliche Erfahrung, die aber andererseits auch von einer großen Süße war, in der aber die Sexualität noch fast keine Rolle spielte, weil wir ja noch zu jung waren, es sei denn das eine Ahnung der Lust, verkleidet, durch den Duft der Blüten, daherkam, bei mir waren es die endlosen blühenden Rapsfelder, etwas lockte mich ständig in dieses Feld hinein, in das ich mich mit meinem Fahrrad hineinstürzte wie in das offene Meer, dieses Rapsfeld nahm mich auf in sein geheimes Leben, rings um den schmalen Feldweg summte es und flimmerte es geheimnisvoll und bei Marcel waren es stattdessen die Weißdornhecken, hatte ich längst verdrängt, aber ein schwuler, jüdischer Junge schien 90 Jahre zuvor, im Paris vor der Jahrhundertwende, haargenau das Gleiche erlebt zu haben und hatte ebenfalls, im noch sehr jungen Alter, so heftig an der Liebe gelitten wie ich. Diese unglückliche Kinderliebe wurde bei uns beiden zur Manie. Manche Sätze in  "Im Schatten junger Mädchenblüte" kamen mir so bekannt vor, dass ich manchmal dachte, ich habe sie selber geschrieben. Als ihm Gilbert einen Brief schickt, küsst er jedes einzelne Wort und zerbricht sich den Kopf über die Neigung ihrer Buchstaben. Genauso war es bei mir.An ein Schriftstück von der Hand meiner heimlichen Liebe bin ich übrigens mit List und Tücke gekommen, weil meine Mutter seine Deutschlehrerin war und deshalb seine Aufsätze und Diktate korrigierte. Seine Angebetete hatte von ihrer Mutter die Gesichtszüge und von ihrem Vater die Haut und die Haarfarbe geerbt. Bei dem Jungen, aus meinem Dorf war es genau umgekehrt, weshalb ich, wenn ich ihn schon nicht sehen konnte, wenigstens Züge von ihm in seinen Eltern wieder gespiegelt fand, die ich oft auf der Dorfstraße traf und die sich wunderten, dass ich immer so freundlich grüßte. Ich sah in ihnen aber auch schon meine zukünftigen Schwiegereltern, wovon niemand etwas wusste, außer ich. Genauso ging es Marcel mit den Eltern von Gilbert. Mit Proust bin ich angefixt worden, als ein Radiosprecher vom Rias anlässlich seines Geburtstages, im Morgenprogramm eine Stelle aus der "Recherche" vorlas. In umständlichen, betulichen Sätzen wird eine Prinzessin beschrieben, die eine Treppe hochschreitet. Da hört sich nicht weiterweltbewegend an, aber plötzlich entstand vor meinen Augen genau dieses Bild. Dieser Proust war ein Hexer. Ich wusste sofort, dass das, was ich gerade hörte, ganz etwas Neues war, dass mir bisher noch nie begegnet war. Am Zeitungskiosk lag eines Tages ein Büchlein mit Auszügen aus der "Recherche" von Proust. Es war schon frech, wie er sich traute, seine Leser mit ellenlangen Schachtelsätzen in die Flucht zu treiben, aber plötzlich stellte sich bei mir wieder dieses merkwürdige Gefühl ein, den ich schon beim ersten Mal, als ich den kurzen Auszugs im Radio gehört hatte, gehabt habe. Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Hier konnte Jemand mit Worten zaubern. Man musss nur ein paar von den magischen Schachtelsätzen aus seinem Buch vor sich hin murmeln, dann öffnet sich der Eingang in ein andere Welt, so ähnlich wie in den "Chroniken von Nurnia", wo sich der Einstieg in ein Paralleluniversum im Kleiderschrank befindet.  Als ich mir nach der Wende alle Teil der "Recherche" besorgte, lebte ich mehr mit Baron Carlus, der schönen Odette, Gilberte und der kleinen Melodie als in meiner realen Welt. Man kann die "Recherche" an irgendeiner Stelle aufschlagen wie eine Bibel und entdeckt immer etwas aus seinem eigenes Leben wieder, von dem man gar nicht gedacht haben würde, dass das jemand Anderes auch erlebt hat. Mit Kleidern ins Bett Meine Mutter hat mir viel über die Vergewaltigungen nach Kriegsende erzählt. Sie hat eine Tante und Freundinnen, die das auch erlebt haben. Aber offiziell durfte darüber nicht geredet werden. Auch die „Säuberungen“ in der Stalinzeit wurden in der DDR unter den Tisch gekehrt. Ich bin mal als Teenie in einem sowjetischen Roman, ich glaube sogar, es war ein Kriegsroman von Simonow, über eine Bemerkung gestolpert, die ich mir nicht erklären konnte. Ich fragte meine Mutter, und sie erzählte mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit, was es damit auf sich hatte, und dass sie Stalin sogar aus seinem Grab an der Kremlmauer wieder ausgegraben haben. Ein Russe hat zu mir gesagt, dass er der Meinung ist, dass die Kommunisten, die bei den Nazis im KZ saßen, noch gut dran waren. Sie wußten wenigstens, weswegen sie dort waren, ganz im Gegensatz zu den Gefangenen des NKDW. Diese Geschehnisse, damals in der Sowjetunion, sind ein Trauma, dass heute viele Russen versuchen zu verdrängen. Viele in Rußland haben sich damals ähnlich mit Schuld beladen, wie viele von uns Deutsche in der Nazizeit. Ein ganzes Volk war involviert, auch die Vorfahren derjenigen, die heute in Berlin leben. Entweder waren sie selbst Opfer oder sie denunzierten als Täter andere, waren Aufseher im Gulag oder Mitglied im Erschießungskommando. Damals musste jeder vor jedem Angst haben. Viele Leute sind ja schon mit Kleidern ins Bett gegangen und hatten den gepackten Koffer neben sich stehen gehabt, weil sie befürchteten, abgeholt zu werden. Viele sowjetische Soldaten, die die Kriegsgefangenschaft überlebten, wurden gleich in den Zug nach Workuta gesteckt oder sofort erschossen, da sie als Verräter galten. Das schöne ist, dass es solche Typen wie Berija, ein berüchtigter NKDW Chef, auch getroffen hat. Wer mit den Wölfen heult … Mit dem Verdrängen ist es so eine Sache. Ein Volk, das sich nicht mit seiner Geschichte auseinandersetzt, läuft Gefahr, sie zu wiederholen. Der Taugenichts In meiner Kindheit gab es jedes Jahr im Fernsehen der DDR das Festival des sowjetischen Films. Ich machte meiner Mutter weis, dass ich das für die Schule sehen muss und durfte abends aufbleiben. Ich erinnere mich noch gut an die genialen Verfilmungen von „Der Postmeister“ von Puschkin und die von „Der Taugenichts“ einem Roman von Tschechow, in dem es darum ging, dass ein junger Mann und seine Frau, die aus dem Bürgertum stammen, ein einfaches Bauernleben auf dem Land führen wollten, was aber nicht klappte. Das Leben der Ex DDR Bürger weist viele Parallelen zu dem Leben der Spätaussiedler auf, von unserm vielen Russischunterricht mal ganz zu schweigen. Ich kann heute noch aus dem Stehgreif „Abende an der Moskwa“ auf Russisch singen, und ich denke viele der deutschen Besucher der Festtage könnten das auch. Russisch war die Sprache unseres Brudervolkes und ich hatte, mit Abitur und Studium, insgesamt wohl so zirka 10 Jahre Russischunterricht hinter mir. Aber stellt euch vor, ich spreche kein Russisch und die meisten, die ich kenne, auch nicht. Das Problem war, dass man sein Wissen nicht anwenden konnte. Keiner hatte Kontakt zu Russen. Bei den Reisen mit dem „Freundschaftszug“ wurde man abgeschirmt von der russischen Bevölkerung. Am schwarzen Brett, im Lichthof von unserem Institutsgebäude, hing eines Tages ein Zettel. Man sollte sich einschreiben, wenn man in den Semesterferien mit dem Freundschaftszug für drei Wochen nach Moskau fahren wollte. Es war spottbillig. Ich trug meinen Namen gleich mit auf die Liste ein. Die oberste FDJ Tussi von unserm Studienjahr sprach mit an und sagte mir, dass ich nicht mitfahren darf, weil ich wegen meiner Studiendisziplin nicht würdig genug dafür bin, mit dem Freundschaftszug unser Bruderland zu besuchen. Aber wie das immer so ist, etliche andere traten von der Reise zurück, und es wurden Plätze frei. So hätte ich doch noch die Möglichkeit gehabt mitzufahren, aber mein verletzter Stolz erlaubte mir das nicht. Das bereue ich heute noch. Sterne über dem Mississippi Mir hat mal jemand erzählt, dass er und ein Freund sich von so einer Reise mit dem Freundschaftszug abgeseilt haben und illegal im Land unterwegs waren. Sein Traum war, dass er unbedingt einmal den Baikalsee sehen wollte. Das ist ihnen doch tatsächlich gelungen. Ich weiß nicht, ob er bei seiner Rückkehr in Stasihaft genommen wurde, aber es hat bestimmt mächtig Ärger gegeben. Vielleicht musste er zur Strafe eine Verpflichtungserklärung als IM unterschreiben. Aber er bereut es nicht. Die Sehnsucht nach dem Baikal hatte ihn schon als Kind durch das Lesen von russischen Büchern gepackt. Ich habe auch mal etwas von total verrückten jungen Männern aus Dresden gehört, die sich, zu DDR – Zeiten, selbst ein Boot bauten, nach einer Konstruktionsanweisung, die in einer englischsprachigen Zeitschrift abgedruckt war. Die Zeitung hatten sie in einer Bibliothek heimlich fotografiert, koopieren war verboten. Sie nahmen das Boot wieder auseinander und schmuggelten es in Einzelteilen über die russische Grenze. Irgendwie waren sie an Pässe oder Einladungen gekommen, oder sie hatten eine Urlaubsreise und machten sich aus dem Staub. Im Land angekommen, bauten sie ihr Boot wieder zusammen. Sie mussten es tagelang nachts durch Morast tragen. Es durfte sie ja keiner sehen. Die Fahrt auf den großen Strömen des russischen Riesenreiches war herrlich. An Kartenmaterial hatten sie nicht wirklich viel mehr als ihren Schulatlas dabei. Die Flussfahrt war natürlich total illegal. So kompliziert war es, wenn wir unserem angeblichen Bruderland einen Besuch abstatten wollten. Ein Arbeitskollege, der Spätaussiedler war, hat mir begeistert davon erzählt, wie er als Jugendlicher mit Kumpels eine mehrwöchige Floßfahrt auf Mütterchen Wolga gemacht hat. Vielleicht kennt ihr „Huckleberry Finn“. Meine Lieblingsstelle ist, wo er und Jim auf ihrem Floß liegen und in die Sterne am nächtlichen Himmel schauen, währenddessen sie mit der Strömung auf dem Mississippi treiben. So stelle ich mir wunschloses Glück vor. In meiner Kindheit haben sie uns mit russischen Kinderbüchern und Kinderfilmen gefüttert. Aber wenn man dann auf das Land neugierig geworden ist und den Jenissei, die Wolga, den Don, den Ob, den Irtysch und die Tundra und die Taiga mal mit eigenen Augen sehen wollte, musste man verbotene Pfade beschreiten. Die Prinzessin an der Autobahn In den Achtzigern habe ich mal beim Trampen an der Tankstelle in Schöneweide eine russische Studentin kennengelernt. Sie war ein schönes Mädchen mit langen hellblonden Haaren und wollte nach Leipzig, wo sie Germanistik studierte, also in meine Richtung. Wir beschlossen uns zusammenzutun. Irgendwie hatten wir uns vertan und landeten statt in Leipzig in Dresden. Wir bemerkten unseren Irrtum und der Fahrer ließ uns kurz vor Dresden aussteigen. Ich hatte eine Flasche Gin dabei, da ich mich mit Freunden treffen wollte und bot ihr einen Schluck davon an. Sie sagte nicht nein. Das hätte ich ihr gar nicht zugetraut. Als Russin war sie an harte Sachen gewöhnt. Man hatte Temperament. Wir standen beschwipst und fröhlich an der Autobahn, lachten uns halb tot und waren ein Herz und eine Seele. Der nächste Fahrer, der uns retour mitnahm war von ihrer blonden Schönheit wohl völlig geblendet. So wie sie sah bestimmt die Frau seiner Träume aus. Ständig drehte er sich zu uns um und redete und fuchtelte mit den Händen, so dass ich schon Angst bekam, dass er dabei das Lenkrad vergaß. Sie erzählte mir, dass ihre Großmutter eine Fürstin war, aber ihren Palast hatten sie natürlich nach der Oktoberrevolution verloren. Die Erinnerung an verlorenen Glanz lebte wohl immer noch in der Familie. Trotzdem sie eine Fürstenurahnin war, und eigentlich in eine goldene Kutsche gehörte, und nicht als Tramperin an die Autobahn, war sie sehr lustig und ungezwungen. Wir kamen bis Halle, wo ich sie nachts noch zum Zug nach Leipzig brachte. Es war ja nur noch eine kurze Strecke. Ich winkte ihr hinterher. Ein Abschied fürs Leben. Mir tat es leid, denn ich mochte sie. Ich hatte insgeheim gehofft, dass sie noch zu dem Winzerfest, wo ich hinwollte und wo Freunde von mir waren, mitkommt. Das Wochenende fing ja gerade erst an. Es hätte ihr dort bestimmt gefallen. Die Situation, in der wir steckten, war wohl zu verschieden, dass wußten wir beide. Aber als sie weg war und ich auf dem Bahnhof zurückblieb, fühlte ich mich mit einem Mal allein. Ein russischer Bär singt Bei dem Volksfest in Karlshorst blieb man unter sich. Wahrscheinlich ist das normal so. Man sah auch keine Deutsch Russischen Pärchen sondern nur Iwanuschka und Aljonuschka, wie sie Hand in Hand gingen, und später verrenkten sie sich gemeinsam bei der Disco im Untergeschoß der Trabrennbahn die Gliedmaßen. Techno war also auch schon in Dneprpetrowsk angekommen, wer hätte das gedacht. Aber für uns war das Highlight immer die Filmvorführung am Sonnabend nach Sonnenuntergang in russischer Sprache und mit deutschen Untertiteln. Ich weiß auch nicht, warum mir das immer so gut gefallen hat, wahrscheinlich war es die herrliche sommernächtliche Atmosphäre auf der Trabrennbahn. Die Filme waren meist großer Mist. Nicht umsonst saßen wir nach einer Weile immer nur noch alleine vor der Leinwand. Nach dem Ableben von Wassili Schukschin, der Regisseur von „Kalina Krasnaja“, hat die russische Filmkunst wohl sehr gelitten. Dieses Mal hatte sich das Auswahlkomitee selbst übertroffen. So ein hanebüchener Blödsinn war mir schon lange nicht mehr untergekommen. Ständig starteten und landeten Flieger, geheimnisvolle KGB Agenten traten auf, eine Drogenkurierin gerät in Schwierigkeiten. Es ging „nur so nebenbei“ auch um einen Sänger, der unter Drogenentzug litt. Langsam fiel bei mir der Groschen. Sollte das etwa? Nein, das konnte nicht sein. Aber tatsächlich, dieses Machwerk in James Bond Manier behandelte das Leben der russischen Liedermacherikone Wladimir Wyssozki (1938 bis1980). Wir wollten eigentlich schon aufstehen und gehen, aber ein Film über Wyssozki, dem bekanntesten russischen Liedermacher, von dem ich schon zu DDR Zeiten gehört hatte, interessierte uns nun doch. Sein Gesangsstil ist aber gewöhnungsbedürftig. Seine Stimme erinnert mich an einen russischen Bären oder an eine singende Kalaschnikow. Er kann aber auch schnurren wie ein маленький котенок (kleiner Kater), siehe Liebeslied am Anfang des Textes. Die, die diesen Film verzapft haben, gehören in den Gulag gesteckt, bei Brennesselsuppe und saurem Roggenbrot, die einem dort tagtäglich gereicht wurden. Beim Schwellenverlegen für die Baikal Amur Magistrale, während sich ihre Spitzhacke in den Permafrostboden vergräbt, können sie ihre Untaten bereuen. Es kommt eigentlich nur raus, dass Wyssozki eine riesengroße Droge war, nichts über sein Leben, seine Lieder, seine ungeheure Popularität bei der russischen Bevölkerung. Zu seiner Beerdigung kamen übrigens 50000 Leute. So eine einseitige Darstellung hast Du nicht verdient Wladimir Semjonowitsch. Am Schluß des Films erreicht endlich die Drogenkurierin ihr Ziel, und nachdem Wladimir Wyssozki spürt, wie die belebenden Stoffe wieder durch seine Adern strömen, springt er wie neu auf die Bühne und bringt den ausverkauften Konzertsaal zum Kochen. Der Film heißt übrigens „Danke, für mein Leben“. Marina Danach war es spät geworden. Fast alles war um die Uhrzeit schon geschlossen und die Trabrennbahn lag verlassen da, aber vor der letzten Imbissbude, die noch geöffnet ist, sitzen Jugendliche mit Gitarre und singen Lieder aus ihrer fernen Heimat. Wir gesellen uns zu ihnen. Und wißt ihr welches Lied ich dort gehört habe? Sie sangen doch tatsächlich mein Lieblingslied „Здесь лапы у елей дрожат на весу“, das Wladimir Wyssozki für seine Frau Marina Vlady schrieb. ******************** Am 4.2.2022 um 15:01 von Schriftstellerin auf StoryHub veröffentlicht (http://sthu.de/s=c%5DqDL) ********************