******************** La Moulinette oder zwei Satz neue Ohren von BerndMoosecker ******************** ++++++++++++++++++++ Kurzbeschreibung ++++++++++++++++++++ Menschen im etwas fortgeschrittenen Alter machen neue Erfahrungen. Nicht alles ist positiv daran, manches ist auch nur mit Humor zu ertragen. Vor etwa zwanzig Jahren verstarb meine Mutter. Obwohl sie seit Jahren kränkelte, traf uns ihr Tod völlig unvorbereitet, war sie doch trotz all ihrer Vorerkrankungen ungeheuer unternehmungslustig und gerade von einer längeren Reise zurückgekehrt. Alles ging seinen, in solchen Fällen, erforderlichen Gang. Nur noch ihr Haushalt musste aufgelöst werden und deshalb boten wir den verschiedensten Leuten gut erhaltene Sachen und Einrichtungsgegenstände an. Damit waren wir, obwohl beruflich sehr angespannt, recht erfolgreich. Was übrig blieb, ging den üblichen Weg aller weltlichen Dinge und landete beim Sperrmüll. Die Küchenmöbel übernahm zu unserer Freude die Vermieterin. Wir räumten die Küchenschränke; einiges konnten wir verschenken, anderes landete in der Mülltonne. Übrig blieben zum guten Schluss zwei ältere Küchenmaschinen. Den Dreimix übernahm unsere Tochter in ihren noch jungen Haushalt. Nun stand dort nur noch ein ziemlich unförmiges Ungetüm. Farblich zwischen Gelb, Orange und schmutzigem Graubraun angesiedelt – La Moulinette. Für uns ohne rechten Wert, da es bei uns nur selten etwas zu pürieren gibt, oder was immer dieses Ungetüm sonst noch zu leisten vermag. Trotzdem nahmen wir das gute Stück zu uns und verstauten es daheim in einem der Küchenschränke. Zum Einsatz kam La Moulinette nur sehr selten, maximal zwei- oder dreimal in all den Jahren. Und das ausschließlich, um jeweils eine Zwiebel zu pürieren.  Die Jahre gingen ins Land und aus den Jahren wurden Jahrzehnte. Der Mensch wird im Laufe dieser Jahre von Tag zu Tag älter. Er merkt es zum Glück nicht sofort, es geht bekanntlich in ganz, ganz kleinen Schritten voran. Unmerklich wird er älter und auch das ist leider unausweichlich, ab einem nicht zu bestimmendem Alter gebrechlicher. Dann, irgendwann ist es so weit, etwas fällt auf und das Altern ist weder zu verbergen noch schönzureden. Es kann beispielsweise das Treppensteigen, die Leistung des Gedächtnisses oder das Sehvermögen betreffen. Einschneidende Momente sind die, wenn der Mensch erkennt, dass er eine Prothese benötigt.  Wir wurden irgendwann zu Brillenträgern. Das ist bei uns beiden schon lange her und war kein großer Einschnitt in unser Leben. Wir sahen diese Prothese positiv, konnten wir doch wieder mehr von unserer Umwelt erkennen und auch das Lesen fiel uns wieder leicht. Das ging dann, abgesehen von einigen kleineren und größeren Einschränkungen, mehrere Jahrzehnte gut. Aber jetzt ist es passiert. Nachdem wir den Fernsehapparat immer lauter gestellt hatten, bei unseren Gesprächen immer öfter die Redewendung wie bitte benutzten, ging es uns auf, dass ein Besuch des HNO-Arztes hilfreich sein könnte. Ich war geschickt, schickte meine liebe Frau vor, damit sie das Ganze teste.  Die Diagnose fiel wie erwartet aus – fortgeschrittene Schwerhörigkeit, Hörgeräte dringend erforderlich. Fortan saßen wir abends auf der Couch und hatten neue Schwierigkeiten. Ihr war der Fernseher zu laut, mir war das Gerät zu leise eingestellt. Nachdem einige Zeit ins Land gegangen war, kam das, was kommen musste; jetzt bist du dran. Du gehst zum HNO-Arzt. So schallte es aus der Couchecke meiner lieben Frau. Die Diagnose, wie gehabt – fortgeschrittene Schwerhörigkeit, Hörgeräte dringend erforderlich. Tapfer vertraute ich mich einer Hörakustikerin an. Die verpasste mir einen Satz Hörhilfen, nannte diese Trainingsgeräte, die ich vierzehn Tage tragen solle und entließ mich mit der Belehrung, diese mindestens zehn Stunden täglich zu tragen und bitte, immer auf höchste Lautstärke eingestellt. Tapfer wie ich bin, immer eingedenk des so erwünschten Ehefriedens, tat ich wie geheißen. Ich verbrachte meine Tage wie immer, nur viel lauter. Ich ging zum Einkaufen in den Supermarkt, das Getöse ist für künstliche Ohren, ich sage es einmal so – gewöhnungsbedürftig. Dann aber, einige Tage später überkam mich ein Appetitgefühl auf Leberragout im Reisrand. Die Katastrophe nahm damit ihren Lauf, denn Leber kauft man nun einmal in der Metzgerei.  Die Metzgerei ist von den Geschäften, die wir frequentieren am weitesten entfernt, für geübte Wanderer aber leicht in einer guten halben Stunde zu erreichen. Nur auf dem Weg liegt ein Kreuzungsbereich, in dem fünf Straßen zusammengeführt und wieder entwirrt werden. Alle stark verkehrsbelastet, vor allem vom Schwerlastverkehr, der die umliegenden Gewerbe- und Industriegebiete ansteuert oder verlässt. Gekrönt wird das ganze Gebilde von einer darüber hinweg führenden Schnellstraße und der Eisenbahnüberführung der Bahnstrecke zwischen Düsseldorf und Köln. Schon immer fanden wir den Lärm im gesamten Kreuzungsbereich unerträglich; und immerhin braucht man zur Passage locker sieben bis acht Minuten. Wir gingen also los, um Leber zu erwerben. Anfangs durch stille Straßen, den Park, der unseren Stadtteil durchzieht und über den Friedhof. Damit war dann es dann vorbei mit der Ruhe, denn am Ende des Friedhofs trifft der zum Einkauf eilende auf den ersten Industriebetrieb. Schritt für Schritt näherten wir uns nun der großen Kreuzung. In meinen Ohren breitete sich ein Dröhnen aus, das sich von Meter auf Meter steigerte. Auf den an diesem Tag nassen Fahrbahnen verursachte das Abrollen der Räder ein Geräusch, das ich mit einer Art zischendem Klingeln vergleiche.  Als wir an der Großkreuzung ankamen, fuhren gleichzeitig zwei Schwerlastwagen los. Dem Donnern der schweren Dieselmotoren versuchte ich durch schnelleres Gehen zu entkommen. Es half nichts und bewirkte lediglich, dass wir außer Atem gerieten. Doch dann war es geschafft, noch eine Ampelanlage und wir bogen in die viel ruhigere Fußgängerzone ein, in der die Metzgerei beheimatet ist. Nach Luft ringend erreichten wir den zu dieser Tageszeit gut besuchten Metzgerladen, reiten uns in die Schlange der Wartenden ein. Aus einem Hinterzimmer ertönte grausiger Lärm; das Kreischen einer elektrischen Knochensäge. Wir überstanden es tapfer und kauften 400 Gramm Leber, machten uns auf den Rückweg. Der Kreuzungsbereich laut wie auf dem Hinweg löste bei mir einen starken Fluchtreflex aus. Ich legte den Schnellgang ein und kam erst auf dem Friedhof wieder zum Stehen. Meine liebe Frau, völlig außer Atem, ordnete eine Ruhepause an. Der Rest des Weges verlief gewohnt ruhig.  Zu Hause machten wir uns umgehend an die Zubereitung des Lebergerichts. Wir kochten den Reis, schnitten die Leber in mundgerechte Stücke und weichten Gewürzkuchen in einer Tasse ein. Das Anbraten der Leber war stressig, da unerhört laut, aber noch erträglich. Ich gab eingeweichten Gewürzkuchen hinzu, ließ das Ganze auf kleiner Flamme köcheln. Nebenbei schälte ich eine große, recht scharfe Zwiebel, die ich viertelte. Ich suchte und fand La Moulinette. Nichts Böses ahnend stellte ich das, wie eh und je in undefinierbarer Farbe erstrahlende, gute Stück auf die Arbeitsplatte, stecke den Stecker in die Steckdose. Zwischendurch ab und zu in dem Lebergericht rührend öffnete ich den Deckel von La Moulinette und legte die Zwiebelviertel in das Schnitzelwerk von La Moulinette. Ich nahm den Topf mit der Leber vom Herd, da ich sie nicht verkochen lassen wollte und schließlich sollte für den Rest der Garzeit das, noch zu erzeugende, Zwiebelmus zugefügt werden.  So wandte ich mich wieder der Moulinette zu. Ich setzte den Deckel auf das Gerät. Und dann geschah es. Ein Druck auf den Deckel setzte La Moulinette in Betrieb. Ein explosionsartiges Geräusch erfüllte den Raum, meine Liebe flüchtete laut schreiend aus der Küche. Den Deckel der Moulinette loslassend flüchtete auch ich, genauso kopflos. Ich registrierte nicht einmal, dass das Getöse umgehend verstummte, sobald ich La Moulinette losließ. Auf jeden Fall war es so, erst im hintersten Winkel der Wohnung, dem Schlafzimmer, endete die Flucht. Mit Entsetzen in den Gesichtern schauten wir uns an und beruhigten uns nur langsam. Ich ergriff nach einiger Zeit die Initiative, empfahl meiner lieben Frau im hinteren Teil der Wohnung zu bleiben und schloss auf dem Rückweg zur Küche alle Türen hinter mir. In der Küche, vorgewarnt durch den vorherigen Versuch, näherte ich mich vorsichtig La Moulinette. Vor der Moulinette stehend, holte ich tief Luft, hob die Hände und drückte entschlossen auf den Deckel von La Moulinette. Wieder erhob sich das donnernd tosende Geräusch, das sich, je weiter sich die Zwiebel in ein Püree verwandelte, zu einem lauten Heulen erhob. Es war geschafft – das Püree wurde zur Leber gegeben, ein paar Minuten leicht köcheln lassen, abschmecken – fertig. Meine Liebe erschien in der Küche, wir richteten in einer Auflaufform den Reisrand, platzierten das Lebergericht in dessen Mitte. Meine liebe Frau bat mich die Küche zu verlassen, da sie sich allein in der Küche, beim Aufräumen besser erholen könne.  Nun zu guter Letzt kann ich nur noch berichten, das Gericht schmeckte uns, es übertraf unsere Erwartungen bei Weitem; und, nur für den Fall, dass es meinen geneigten Lesern nicht aufgefallen sein sollte, diese Geschichte ist ein Lobgesang auf die Hörgeräte. ++++++++++++++++++++ Autorennotiz ++++++++++++++++++++ Das Original der Geschichte findet Ihr hier: erzaehlungen.moosecker-hassels.de/text/text_02_pdf.php?v=oeffentliche_adobe&d=la_moulinette.pdf ******************** Am 9.12.2018 um 14:59 von BerndMoosecker auf StoryHub veröffentlicht (http://sthu.de/s=_%C3%96v-j) ********************