Ariadne- die Suche

Kurzbeschreibung:

Am 4.9.2021 um 23:22 von Sanfte auf StoryHub veröffentlicht

1. Kapitel: Prolog

Er kennt seine Pflicht, weiß, dass er sie töten muss. Frustriert fährt er sich mit der Hand durch die Haare, schockiert und zugleich erleichtert, die unliebsame Magierin loszuwerden.

Zu viel Macht hat sie über ihn, und sie steht ihm im Weg, bei dem, was er erreichen will.

Wenn er diese Ziele erreichen möchte, muss er die Frau opfern, mit der er sein halbes Leben erbracht hat. Seine Ehefrau, die ihm drei Kinder geboren hat, und ihren Einfluss nun auf diese ausübt.

Nein, dies kann er nicht zulassen, kann nicht zu lassen, dass sie alles verdirbt, worauf er hingearbeitet hat. Und doch; sie ist seine Gefährtin gewesen, und trotz allem nicht von seiner Seite gewichen.

Bis heute, denkt er, denn nun muss sie sterben.

Sie ist zu gefährlich; für sie alle.

Seine Hand wandert zu dem Fläschchen, dass er immer bei sich trägt, und starrt auf die Gestalt vor ihm, ihm hilflos ausgeliefert, die Augen flehend aufgerissen.

Sie bettelt um Gnade, beruft sich auf ihre gemeinsame Zeit, ihre Kinder.

In ihm erwacht erneut der Zorn, und er stößt das Fläschchen von sich, sodass es zu Boden fällt und zerbricht. Einen schmerzlosen Tod wollte er ihr geben, besser als die Flammen, die sie verschlungen hätten, hätte er sie dem Komitee ausgeliefert.

Doch sie weiß genauso wie er, dass er dies nicht kann, wenn er nicht sein Gesicht verlieren will; seine Frau ist ein Schandfleck in seinem Ruf, der unliebsame Flecken, der nicht zu reinigen ist.

Er muss es tun, doch die Drohungen aus ihrem Mund machen ihn rasend, lassen ihn alles vergessen.

Er hebt das Schwert, bereit, zu zustechen.

Ein Licht blendet ihn, und er reißt das Schwert zurück, dass beinahe ihren Bauch durchbohrt hätte. Fassungslos starrt er auf ihre Magie, die sie zu wirken beginnt, und auf das Metall, dass ihre Kräfte in sich aufsaugt.

Irgendetwas läuft hier schief, das weiß er, und die Erkenntnis über seinen Kontrollverlust lässt ihn nur noch wütender werden; ihr Kiefernknochen bricht unter seinem Schlag, und sie schreit auf, während Blut aus ihrem Mund läuft.

Hass brennt aus ihrer beiden Augen, bereit, den anderen zu vernichten. Doch sie ist wehrlos, kann nichts gegen ihn ausrichten, obwohl sie es so gerne tun würde.

Ihr Kopf wird zurück gerissen, und seine Augen begegnen ihren, während er ihr die Kleider vom Leib reißt, und sie entblößt. Oft hat er sie so gesehen, doch sein Blick löst in ihr eine Panik aus, die sie nicht kennt; wohlbehütet aufgewachsen, musste sie diese Angst nie spüren. Doch er rührt sie nicht an, durchbohrt sie lediglich mit Augen voller Hass.

Der Gedanke an die Kinder lässt die Tränen rollen, und erfüllt sie mit Verzweiflung und Entsetzen, doch sie spuckt ihm ins Gesicht; ein letzter Akt des Trotzes.

Sein zorniger Aufschrei hallt in den Gewölben wieder, und er schwingt das Schwert; rammt es direkt in ihre Brust.

Dann ist nichts mehr da als rotes Licht, dass sie verschlingt, und sie mit sich reißt.

 

2. Kapitel: Duell

,,Ariadne!", brüllte meine Mentorin Neve, und ich konnte gerade noch rechtzeitig zur Seite ausweichen, bevor mich ihr Feuerball umnieten konnte.

 

Ich atmete schwer, und während ich erneut nach der Energie grub, die mir das vorherige Ritual gegeben hatte, griff ich meine Lehrerin erneut an. Sie schonte mich nicht, und die zahlreichen Verbrennungen, Wunden und blaue Flecke, die ich bereits mit nach Hause gebracht hatte, konnte ich nicht einmal mehr zählen. Genauso wenig wie meine Besuche bei der Heilerin der Ausbildungsstätte, die mich inzwischen bereits beim Namen kannte.

 

Ich selbst hatte inzwischen genügend Energie umleiten können, um ein Schild zu formen, an dem Neves Angriff einfach abprallte. Unter dem Schutz des Zaubers stürzte ich nach vorne, schwang mein Schwert und hieb es exakt dorthin, wo eine Sekunden zuvor noch der Fuß meiner Gegnerin gestanden hatte. Dabei unterschätzte ich die Wucht des Schwertes, dass in der Erde stecken blieb, als wäre es das, welches Artus aus einem Stein ziehen musste, machte einen Überschlag, verlor die Kontrolle über mein Schutzschild und kam mit dem Rücken hart auf dem harten, vertrocknetem Boden des Trainingsplatzes auf.

Ich ächzte, und sah schutzlos in das Gesicht meiner Mentorin, die nun ebenfalls das Übungsschwert schwang. Behände, und mit protestierendem Rücken rollte ich mich zur Seite, drückte mich federnd nach oben ab, und bekam das Schwert am Griff zu fassen. Trotzdem war ich nicht schnell genug, und der Knauf entglitt meinen schweißnassen, staubigen Fingern. Mich innerlich für meine Unfähigkeit verfluchend, wich ich ihr erneut aus, und ging auf Abstand. Ich benötigte dringend eine Waffe, bevor ich mich an einen Nahkampf wagte. Mein Schwert hatte ich leider an meine Lehrerin verloren, die nun erneut auf mich zukam- mit erhobenem Schwert. 

Bevor sie dazu kam, mich in Stücke zu schlagen, sprang ich auf den Zaun hinter mir, der den Platz eingrenzte, und balancierte darüber, während ich Neve nicht aus den Augen ließ.,,Cere!", brüllte ich, und ließ damit das Holz unter mir die Ranken nach meiner Gegnerin ausstrecken. Sie wickelten sie an Armen und Beinen ein, machten sie bewegungsunfähig. ,,flore!", wisperte meine Mentorin jedoch, und mir wurde klar, dass ich sie ebenfalls hätte knebeln müssen, während die Blüten des Baumes in bunte Farben explodierten und mir die Sicht nahmen. 

 

Die Beschwörung zuvor hatte mich geschwächt, und somit war ich nicht schnell genug, um aus dem Blütenradius herauszukommen.

Der einzige Trumpf, den ich jetzt besaß, war, dass weder ich noch Neve jetzt etwas sehen konnten. Ich ließ mich zu Boden fallen, und ließ den Zaun hinter mir, während ich mich durch das Dickicht wühlte; immer auf jedes Geräusch achtend, dass mir verraten konnte, wo sich meine Angreiferin befand. Ich brauchte dringend Wasser oder eine ähnliche Flüssigkeit, die mit Energie geladen war. Auch ein Stein war nicht verkehrt, doch der harte Boden war zu ausgetrocknet und zu hart, sodass es mich zu viel Energie gekostet hätte, nach ihm zu bohren.

 

Doch während ich einen Energieball formte, war ich abgelenkt, und nahm die Bewegung hinter mir zu spät war. Die Gestalt in Form meiner Mentorin warf mich um, und innerhalb von Sekunden drückte sie mir ihren Dolch an den Hals. Jetzt hatte ich zwei Möglichkeiten; entweder, ich kämpfte weiter, und bedeutete damit meinem Gegner, dass ich auf Leben und Tod kämpfen würde, oder ich ließ eine weiße Rose aus meiner Handfläche sprießen, um mich zu ergeben. 

Bei meinem vorherigen Mentor hatte ich immer weiter gekämpft, aber Neve wusste man nie; ich wusste dass sie die Etikette eines Kampfes sehr ernst nahm, und es bereitete mir ernsthafte Sorgen, dass sie mich beim Training irgendwann wirklich umbringen würde.

Hey, würde sie sagen, das Mädel wollte kämpfen. Also haben wir gekämpft!

Das der Kräfteunterschied hier verdammt groß war, würde sie mit keinem Wort erwähnen, während meine armen Schwestern an meinem Grab standen und trauerten, weil ich mich mit meiner Lehrerin angelegt hatte. Nein, das würde ich nicht riskieren. 

 

Um meine Absicht zu verdeutlichen, entfaltete sich in meiner Handfläche eine Knospe, und Neve nahm schwer atmend den Dolch von meiner Kehle. Unter meinem verdutzten Blick verwandelte sich dieser zurück in einen Setzling, der von einem Windstoß ins offene Gelände zurückgetragen wurde. 

 

Ein kurzer Zauber genügte, und die Blüten wurden zu Knospen, von Knospen zu Ranken und blieben schließlich liegen. Neve hatte die Zeit des Gegenstandes um wenige Sekunden zurückversetzt. Ein komplizierter und gefährlicher Zauber, der verbotenerweise gerne von Eltern angewendet, die sich ihr Kind jünger wünschten; wobei es passieren konnte, dass die Mutter erneut schwanger wurde, und der Teenager von der Welt verschwand. Unangenehm, und für beide Parteien sehr schmerzhaft. Deshalb wurde dieser Zauber nur an die Elite weiter gegeben, die unter strenger Kontrolle des Komitees stand. 

Das Komitee. Die Versammlung der mächtigsten Magier unserer Welt, die dafür sorgten, dass diese Welt nicht im Chaos versank. Eine Regierung, die Gesetze entwickelte und dafür sorgte, dass diese eingehalten wurden. Mein Vater, der dafür sorgte dass diese eingehalten wurden. Er war derjenige, der dafür sorgte, dass schwarze Magie unterbunden und verfolgt wurde; und darüber seine Familie vergaß. 

 

Kein Wunder, dass ich und meine Geschwister eine um so viel stärkere Bindung zu unserer Mutter gehabt hatten, als unser Vater jemals hätte erreichen können. Wie auch, denn er war ja nie da- und wenn doch, dann verbrachte er zumeist noch immer Stunden in seinem Arbeitszimmer, über irgendwelchen Dokumenten gebeugt, und über jeden schimpfend, der es wagte, ihn zu stören.

 

Und dann war meine Mutter verschwunden- und meine engste Bezugsperson war einfach weggefallen.

Diejenige, die für uns da war, sich um uns sorgte.

 

Plötzlich war mir diese Verpflichtug zugefallen; und ich hatte sie sobald wie möglich an meine Schwester Aya abgegeben, als ich das Angebot bekommen hatte, hier auf das Internat zu wechseln.

 

Neve gab mir mit einem Nicken zu verstehen, dass mein Unterricht für heute beendet war, und ich stieg den Hügel nach oben, über die lebendigen Stufen, die man vor Jahrtausenden aus den Wurzeln wachsen lassen hatte. 

Allgemein wurde hier nicht aus toten Materialien gebaut. Magier verabscheuten tote Orte. Im Toten verschwand die Energie, wurde nicht von ihm aufgenommen. Und zudem waren wir zu sehr mit der Natur verbunden, als dass wir ihr schaden konnten. Wir konnten ihre Energie spüren, sie umleiten und damit Magie wirken- doch wir spürten das, was wir ihr dabei antaten. 

Wir. Schwarze Magier spürten es nicht. Sie konnten sich nehmen, was sie wollten. Und sie zu finden, und zu verhindern dass sie schlimmes taten, dass war meine Aufgabe. Meine zukünftige Aufgabe. Die Aufgabe einer Jägerin.

Ich setzte gedankenverloren einen Fuß vor den anderen, beachtete die von Blüten gezierte, weiße Allee, die sogar ihm Winter blühte, neben mir keines Blickes sondern richtete meinen Blick auf das Gebäude der Akademie. Seine reich verzierten, hölzernen Tore waren geöffnet, und seine vielen Giebel, Erker und Türmchen waren kaum zu übersehen. Ganz, wie es in Magierkreisen Gang und Gebe war, wurde sie von einer breiten, blauen Gracht umgeben, der mit Seerosen geschmückt war. Eine schmale Steinbrücke führte in anmutigem Bogen über das klare Wasser, welches vor Energie geradezu pulsierte.

 Denn es gab zwei Möglichkeiten für uns Magier, unsere eigene Energie auf lange Zeit zu speichern: in Wasser; und in Stein. Kristallen. Durch die enorme Energie, die bei ihrer Entstehung wirkte, speicherten sie diese auf lange Zeit, und ermöglichten es uns, diese zu entziehen und nach Belieben hinzuzufügen, ohne Lebensenergie ziehen zu müssen. Und Wasser- nun Wasser hatte schon immer sein eigenes Köpfchen gehabt. Nicht umsonst galt es sogar bei der nichtmagischen Bevölkerung als Quelle des Lebens. Auch hier im Wasser wirkte Energie- jeder einzelne Regentropfen sammelte beim Fallen Energie an, die wir ihm entziehen konnten. Und ihm hinzufügen konnten. Doch das Studium der Magie war ein höchst komplizierter Zweig der Wissenschaften, und es gab Menschen, die dessen Forschung ihr ganzes Leben widmeten- ohne dem Rätsel näher zu kommen; es erklären zu können. Und ich selbst verstand noch nicht einmal einen Bruchteil dessen.

Die kühle Eingangshalle empfing mich mit wohltuendem Schatten, und bildete einen angenehmen Kontrast zu den heißen Sommertemperaturen draußen. Ich erschauderte, während ich verstaubt und verschwitzt durch die stillen Korridore lief, um mich in meinem Zimmer duschen und umziehen zu können. Meine Schritte hallten auf dem weißen Marmorboden, und ich lief an den Portraits berühmter Schulabgänger vorbei. Deprimierend, vor allem da die meisten von ihnen schon längst tot waren. Der gesamte Gang war einfach nicht farbig, und gerade deshalb hatte ich meinem Zimmer einen gänzlich anderen Look verpasst; ich war ein lebenslustiger Mensch, und brauchte nun einmal Farbe in meinem Leben. 

Als ich gerade in den Gang einbog, indem mein Zimmer lag, stürmte mir meine Freundin Audrey entgegen, die mich fröhlich begrüßte. Sie hatte ihre dunkelblonden Haare zu einem unordentlichen Pferdeschwanz gebunden, und in der Hand hielt sie einen grünen Bikini. Ich ahnte, was sie vorhatte, bevor sie mich flüchtig an der Schulter berührte und mich anlächelte. ,,Kommst du mit zum See? Alex und Kilian kommen auch mit!", fragte sie und hielt ihren Bikini hoch. Ihr verschlagenes Lächeln entging mir jedoch nicht. Innerlich stöhnte ich auf. Seit sie und Alex, wie Alexander von uns gerufen wurde, zusammen gekommen waren, versuchten die beiden mich und Kilian zu verkuppeln- was Kilian zu gefallen schien, mich jedoch einfach nur nervte. Mein Herz war vergeben. Auch wenn es vor langer Zeit abgestorben war. Trotzdem zwang ich mich zu einem Lächeln, und nickte. ,,Klar, warum nicht? Aber lass mich noch kurz duschen, bevor ich zu euch runter komme. Ich komme gerade vom Training." Audrey warf mir einen mitfühlenden Blick zu. ,,Neve hat dich ganz schön malträtiert, was?", fragte sie und zog eine Grimasse. Ich zuckte mit den Achseln: ,,Solange es mich später weiterbringt, beklage ich mich nicht.". Sie zog als Antwort nur eine Augenbraue hoch, und rümpfte die Nase. ,,Du stinkst nach Schweiß. Bevor du dich nicht gewaschen, geschminkt und ordentlich parfümiert hast, gehe ich mit dir nirgendwo hin.", erklärte sie, und folgte mir zu meinem Zimmer. Ich verdrehte nur die Augen, öffnete meine Zimmertür und ließ sie eintreten. 

Es war nichts weiter spektakuläres: eine blau gestrichene Wand mit einem weißen Schreibtisch, auf dem sich sämtliche meiner Dokumente türmten, und über dem ich Fotos und Collagen angebracht hatte. Die Regale, die ebenfalls voller Papiere waren und bedenklich wackelten, hatte ich mit magischen Glühwürmchen beleuchtet. Ein Kleiderschrank nahm fast die Hälfte der Wand ein, und ein Bücherregal trennte meinen Schlafbereich mit Bett und Nachttisch von einer kleinen Sitzgruppe vor einem Kamin, mit Sitzsack, Sofa und ein paar Sesseln. Eine zweite Tür führte zu meinem Badezimmer, auf dass ich nun zusteuerte, ohne Audrey zu beachten, die soeben auf einem Sessel Platz genommen hatte. 

Ich riss mir die verschwitzten Klamotten vom Leib, und ließ das kalte Wasser auf mich herabrieseln. Wie Regen fielen die Tröpfchen auf meine Haut, und ich schloss die Augen, genoss die Stille, vermischt mit dem Prasseln des Strahles. Mir war klar, dass mich gleich drei Menschen bestürmen würden, und versuchen würden, mich und Kilian zusammen zubringen. Ich schrubbte mir den Sand von der Hand, und schäumte mich kräftig mit Shampoo und Duschgel ein. Der Duft von Vanille durchströmte das Badezimmer, und erinnerte mich an Moms Vanillepudding, den sie immer zum Nachtisch gemacht hatte. Ich inhalierte den Duft tief ein, und erlebte noch einmal Jahre voller schöner Erinnerungen, als unsere Familie noch nicht zerbrochen war. Als Mom noch lebte. Erinnerte mich an ihren Vanillepudding, ihr Lachen und die Zeit mit ihr. Wir hatten meistens gemeinsam gebacken, und soviel gelacht, bis unsere Bäuche davon wehtaten, um davon abzulenken dass Dad kaum Zeit mit uns verbrachte; dass jemand fehlte. Jemand, der uns wichtig war. 

Meine Tränen vermischten sich mit dem Wasser und dem Schaum, der nach unten gespült wurde. Ich schmeckte das Salz der Tränen und den bitteren Geschmack des Shampoos, ließ meinen Tränen freien Lauf. Projizierte ihr lachendes Gesicht vor mein inneres Auge, und weinte.

Irgendwann, wie in Trance, stellte ich das Wasser ab, rubbelte mich trocken und zwängte mich in einen Bikini, der mindestens zwei Jahre alt sein musste, und mir eigentlich schon zu klein war, und warf mir schlussendlich ein langes, weißes Sommerkleid über, welches mir Audrey mir in der Zwischenzeit hingelegt hatte. Ich schüttete mir kaltes Wasser ins Gesicht, um meine verquollenen Augen zu verstecken, kämmte mir die Haare und trat in Flip-Flops nach draußen, von wo aus Audrey mir einen wissenden Blick zu warf. Sie war taktvoll genug, nicht nachzufragen, sondern umarmte mich einfach. 

Ich ließ es geschehen, vergrub meinen Kopf an ihrer Schulter, bis ich meine aufgewühlten Gedanken beruhigt hatte. Sie kannte mich zu gut. 

Schließlich löste ich mich aus ihrer Umarmung, lächelte sie traurig an und schnappte mir ein Strandtuch. Ich straffte die Schultern, klemmte mir das Tuch unter den Arm und trat aus der Tür.

,,Bereit?", fragte sie. ,,Mit dir doch immer!", antwortete ich, und stapfte los.

3. Kapitel: Kaltes Bad

Arm in Arm schlenderten Audrey und ich den Gang entlang, mit Bikini und Strandtuch unter den Arm geklemmt.

Audrey war verdächtig guter Laune, doch ich war mit meinen Gedanken weit weg. Die Prüfungen standen bevor, die ich auf jeden Fall als Beste abschließen wollte. Sehnsüchtig warf ich einen Blick zurück, doch meine Freundin zog mich unnachgiebig weiter. Wie gern ich die Zeit jetzt zum Lernen genutzt hätte, statt mit Audrey, ihrem Freund und meinem- in den Augen der anderen- Seelenverwandten verbringen zu müssen.

Wir verließen das Gebäude, und bogen nach rechts ab, um nicht zum Trainingsplatz, sondern zum See zu gelangen.

Ich trottete neben meiner Freundin her, und während sie fröhlich vor sich hin summte, brummte mir der Schädel.

,,Ich wette mit dir, dass du heute wieder Stunden über diesen ganzen Wälzern verbracht hast!", wandte sich Audrey plötzlich an mich, und fixierte mich scharf. ,,Dir ist schon klar, dass das ungesund ist, oder? Was machst du da eigentlich den ganzen Tag?", fragte sie, stemmte die Hände in die Hüften und versperrte mir somit den Weg. Und auch wenn ich wusste, dass diese Fragen eher rethorisch gemeint waren, blieb ich ebenfalls grinsend stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. ,,Also, erst einmal versuche ich zur Zeit, den Satz des Jyros zu widerlegen und meine Hypothese offiziell aufstellen zu lassen", erklärte ich, und sprach schnell weiter, ,,und in Grundlagen der Energie arbeite ich gerade an einem Extraprojekt über die Entstehung von Koinsonen", redete ich bereitwillig weiter, und bekam prompt einen fassungslosen Blick seitens Audrey zu geworfen, der zwischen Entsetzen, Langeweile und Besorgnis hin und her wechselte. Ich quittierte den Blick mit einem süffisantem Grinsen, und streckte ihr spielerisch die Zunge heraus.

 

Audrey nahm die Prüfungen gelassen, doch ich sah darin die Chance, zu den Besten zu gehören, und endlich einen Auftrag vom Komitee zu erhalten. Im Gegensatz zu meiner Freundin; denn Ehrgeiz war Audrey fremd.

 

Dabei war, wie jedes Jahr, ein Auftrag angekündigt worden, für den Jahrgangsbesten, der es schaffte, in allen Fächern der Beste zu sein. Und da ich nun einmal dringend diesen Auftrag gewinnen wollte, verbrachte ich viele Stunden in der Bibliothek oder in meinem Zimmer über Büchern und uralten Wälzern gebeugt, um Theorien und Kampftechniken zu verbessern und auswendig zu lernen. 

 

Eine seltene Sommerbrise wirbelte meine braunen Haare in mein Gesicht, und ließ den seichten, leichten weißen Stoff meines Kleides um meine Fußknöchel spielen. Mit einer kurzen Handbewegung bannte ich sie in die ursprüngliche Frisur zurück, während der erdige, mit Blättern gesäumte Weg Sand wich, und wir durch ein kleines, nadeliges Küstenwäldchen liefen. 

 

,,Schon Wahnsinn, was die Akademie hier bewirkt hat, oder?", fragte Audrey abwesend, und fixierte einen Sizumenbusch, der neben ihr aus dem Boden ragte, als ob nicht zwei Meter von ihm entfernt noch ein dichter Laubwald stände. ,,Das war nicht die Akademie!", belehrte ich sie, ,,sondern der Einfluss von Koions Macht. Im Prinzip ist das hier nichts anderes als eine Koinson, deren spezielle Macht kanalisiert wurde.", erklärte ich ungefragt weiter. Audrey verdrehte die Augen, sparte es sich jedoch, auf die Legende einzugehen, die jeder von uns kannte. ,,Manche behaupten sogar, dass die Akademie dort gegründet wurde, wo Imelias Bumerang auf die Erde traf.", dozierte ich weiter, während ich meine Flip-Flops abstreifte, und barfuß weiter lief. Ich liebte das Gefühl von weichem Sand unter meinen Zehen. ,,Andere behaupten, James Oldtowns Sohn hätte damals hier ein Blutritual durchgeführt, was seine Tilgung aus den Annalen und die starke, vorhandene Energie rechtfertigen würde. Andererseits ist noch immer die Frage, wie Oldtown damals die Lebensenergie in solch einem Maße kanalisieren und einfangen konnte. Immerhin war er alleine, und um Energie in diesem Maße praktizieren zu können, muss das hier ein Massengrab-", Audrey unterbrach meine Rede. ,,Es reicht Ari, okay?", sie war grün im Gesicht, wie immer, wenn sich das Gespräch der Blutmagie zu wandte. Ich selber hielt dieses Thema für absolut normal, und klappte gerade den Mund auf, um ihr Widerworte zu geben, erinnerte mich jedoch gerade rechtzeitig daran, dass sie durch Blutmagie ihre Tante verloren hatte, und verstummte.

 

So schwiegen wir beide, uns bewusst, das wir beide einen großen Verlust erlitten hatten, was uns nur noch mehr zusammen schweißte, bis sich die Kiefern lichteten, und wir auf den türkisblauen Karstsee blicken konnten, der spiegelglatt vor uns lag. 

Er reichte weit in das Gelände hinein; an seine eine Seite grenzte der Kiefernwald, an seiner anderen, mir gegenüber, ein kleines Gebirge, und auf der anderen Seite, westlich gelegen, wurde er von einem Bach gespeist. Kurzum; es war der perfekte Ort zum Entspannen. 

 

Zumindest, wenn man allein war; mit Kilian und Alex zusammen im Bikini auf einem Handtuch zu liegen gehörte nämlich eigentlich ganz und gar nicht zu den Dingen, die ganz oben auf meiner To Do Liste standen. Und dem würde ich auch nicht müde werden, es zu zeigen; doch wenn ich ehrlich war, machten mir meine kleinen Streitereien mit Kilian zugegebener Weise eigentlich Spaß. 

 

Gemeinsam mit Audrey vor mir bahnte ich mir den Weg durch das Gestrüpp zu unserem Lieblingsplatz, den wir vor zwei Jahren während der Geländespiele entdeckt hatten. Das Gras schnitt mir in die Füße, doch ich ignorierte den Schmerz, den ich mittlerweise gewöhnt war. Kleine Narben zeugten von den wenigen Verletzungen, die ich mir ohne Neves Hilfe zugezogen hatte.

Da der Sand jedoch an manchen Stellen wegrutschte, grub ich meine Zehen fest hinein, wartete, bis Audrey unten angekommen war, und sprang leichtfüßig in den weichen Sand. Doch Pechvogel, wie ich nun einmal war, lösten sich meine Schuhe aus meiner Hand, und landeten wenige Meter von mir entfernt im Wasser.

Es waren vielleicht nur einige Meter, doch es reichte, um es mir unmöglich zu machen, die Schuhe trockenen Fußes aus dem Wasser zu ziehen.

 

Fluchend rappelte ich mich auf, klopfte mir den Sand vom Kleid und hob seinen Saum hoch, um in das eiskalte Wasser zu staksen.

Fast wäre ich ausgerutscht, konnte mich jedoch gerade noch rechtzeitig an einem ins Wasser hängenden Zweig festhalten; dabei löste sich allerdings mein Griff, und mein fußlanges, weißes Kleid glitt ins Wasser.

,,Nein!", kreischte ich, wollte den Stoff noch zu fassen kriegen, und versuchte, das Wasser zurückzudrängen, unterschätzte in meiner Hektik allerdings die Energie des Wassers, die mit einem Mal in mich drang, als ich mich mit ihm verband, und eins mit dem Wasser wurde.

 

Überrascht gelang es mir nicht rechtzeitig, den Fluss aus purer Energie abzuwürgen, und starrte geschockt auf die Welle die sich nun vor mir aufbaute, und drohte, und alle mit sich zu schleudern.  

,,Ähhh... Dornröschen? Hast du vor, uns zu ertränken, oder was wird das?", wagte Kilian vorsichtig zu fragen. Ich warf ihm nur einen bösen Blick zu. ,,Sei lieber vorsichtig was du sagst, Märchenprinz!", knurrte ich, und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf das kleine Dilemma einer Welle, die sich in bestimmt dreieinhalb Metern Höhe vor mir auftürmte. 

Alex hatte sich bisher aus dem Schlagabtausch herausgehalten, mischte sich jetzt jedoch doch ein: ,,Ich bringe schon mal das Picknick in Sicherheit...", murmelte er, packte Audrey und schleifte sie mitsamt unserer Sachen mit sich. 

 

Solch ein Dilemma war uns allen schon einmal passiert; doch ich war erstens kein Anfänger und lag auch nicht auf dem selben niedrigen Duell wie Alex oder Jacob.

Und sollte dann tatsächlich einer der Mentoren hiervon erfahren, würde das meiner Einstufung ganz und gar nicht gut tun.

 

,,Ich warne dich", knurrte ich also, ,,sollte einer der Mentoren hier von erfahren, bist du so tot wie Schneewittchen, als sie in den vergifteten Apfel gebissen hat!", fauchte ich, was ihn jedoch lediglich zu amüsieren schien. ,,Ich will euch ja nur ungern widersprechen, aber Schneewittchen hat es durchaus geschafft, diese Attacke zu überleben."

Verdammt, dabei hatte ich gehofft er würde zumindest dieses Menschenmärchen nicht kennen.

,,Und so gerne ich auch ein Prinz bin, möchte ich nicht so gerne wie der Prinz der kleinen Meerjungfrau ein Bad nehmen", erklärte er.

,,Und mit Verlaub, eure Hoheit, aber ich gedenke ebenfalls nicht, dass ihr eine Meerjungfrau sei-", weiter kam er nicht, denn ich ließ mit einem zornigen Aufschrei die Welle los, die für einen kurzen Moment über uns aufragte, und dann auf uns hereinbrach. 

 

Ich wurde zu Boden gerissen, während die Kraft der Welle mich unter Wasser Purzelbäume schlagen ließ, schnappte nach Luft und bekam nur Wasser in die Lungen. Je länger ich unten wartete, dass sich das Wasser oben wieder beruhigte, desto größer wurde der Druck auf meine Lungen, bis ich mich schließlich abstieß, um doch einmal kurz nach Luft zu schnappen. 

 

Als ich auftauchte, sah ich einen triefnassen Kilian neben mir stehen, der wie ich hustend und spuckend nach Luft rang, und sich dann auf etwas hinter mir konzentrierte.

Ich wirbelte herum, ohne zu wissen, was mich erwarten würde, als die zweite, zwar weniger starke, aber trotzdem kräftige Welle über mich hereinbrach. Wieder wurde ich zu Boden gedrückt, atmete Wasser ein, doch diesmal stieß ich mich schneller wieder ab, um aufzutauchen. 

Hustend strich ich mir den Schlamm aus den Haaren, und spuckte einen Mund voll Seewasser aus. Kilian tauchte ein paar Sekunden nach mir wieder auf. ,,Ehrlich Dornröschen, ich hätte dich sanftmütiger eingeschätzt!", hustete er, und klaubte sich einen Fisch aus seinen kurzen blonden Haaren. Ich verdrehte zur Antwort nur die Augen, und blickte mich suchend nach Aubrey um, die besorgt zu mir herunterblickte. ,,Alles okay mit euch?", fragte sie, und musterte die Wassermassen, die sich nun langsam wieder in den See zurückzogen. Ich schüttelte mich zur Antwort, und schälte mich aus meinem Kleid, das triefend und tropfend vor meiner Nase baumelte. Tatsächlich hatte es das kurze Bad verhältnismäßig gut überstanden, allerdings war ich mir nicht sicher, ob ich den ganzen Seeschlamm wieder aus ihm herausgewaschen bekommen würde. ,,Also mir geht es gut, wie steht es bei dir, Dornröschen?", fragte Kilian, der unangekündigt hinter mir auftauchte. ,,Geh zur Seite, Märchenprinz!", knurrte ich, doch er machte keinerlei Anstalten zurückzuweisen.

 

Doch meine Geduld war aufgebraucht, ich war genervt und enttäuscht von mir, und zusätzlich auch schon so gereizt und müde. Ich musterte ihn, ballte meine Hand kurzerhand zur Faust und rammte sie ihm knapp unter sein Brustbein.

Das hatte ich oft genug geübt, und es entfaltete seine Wirkung sofort. Seine Körperspannung wich, als seine Muskeln unter dem Schlag kurz nachgaben, und so war es ein leichtes für mich, ihn in das Wasser zu stoßen.

 

Audrey schnaubte leise und warf mir einen warnenden Blick zu, hielt mir jedoch trotzdem die Hand hin und zog mich aus dem Wasser.

 

Alex wandte sich diskret ab, als ich halb nackt aus dem Wasser stieg, bis Audrey mir ein Handtuch reichte, mit dem ich mich trocken rubbeln konnte.

Was ich dankbar tat.

Noch bevor Kilian wieder auftauchten konnte, hatte ich mich bereits in das flauschige Weiß eingewickelt, die Haare nach hinten geworfen und zusammen mit Audrey im Schlepptau abgerauscht.

 

Natürlich war das eine dumme Idee gewesen.

4. Kapitel: Gefunden

Klitschnass, triefend und bibbernd wagte ich es nicht, im trockenen Kiefernwald ein Feuer in meiner Hand zu entzünden. Audrey neben mir hatte mir ebenfalls ihr Handtuch um die Schultern gelegt, was mir jedoch nicht sonderlich half, da das aufziehende Gewitter die Luft merklich abkühlte. ,,Wieso nennt Kilian dich eigentlich Dornröschen?", fragte sie lauernd, während wir uns immer weiter vom See entfernten. Innerlich stöhnte ich auf. ,,Er hat mich mal morgens vor dem Training geweckt.", antwortete ich so karg wie nur möglich, um ihr die weiteren Parallelen mit Dornröschen zu ersparen. 

Aber Aubrey wäre nicht Aubrey, wenn sie nicht nachgehakt hätte. ,,Nur aufgeweckt? Wirklich nur aufgeweckt?", fragte sie, und ihr Gesichtsausdruck gefiel mir gar nicht. ,,Ja, nur aufgeweckt!", knurrte ich, und richtete meine Aufmerksamkeit auf den Weg vor mir, darauf bedacht, nicht rot anzulaufen. ,,Nur aufgeweckt? Aber ihr habt schon eine Nacht miteinander verbracht, oder? Komm schon, ich will die Details hören!", empörte sie sich. ,,Audrey!", schimpfte ich, konnte jedoch nicht verhindern, dass meine Wangen sich röteten und mein Kopf einer Tomate glich. ,,Ha! Ich wusste es!", triumphierte sie, und pikste mir mit ihrem Zeigefinger in die Brust. ,,Na los, ich will alles hören!" ,,Verdammt, Au, es war nur eine Nacht, also-", sie unterbrach mich ungläubig. ,,Du hast mit diesem heißen Typen Sex und dann krallst du ihn dir noch nicht einmal?", fragte sie ungläubig, und musterte mich, als sei ich verrückt. Ich zuckte mit den Achseln: ,,Ich brauchte ihn für ein Ritual, und da-". sie unterbrach mich erneut. ,,Du hast ihn dir nur für ein ritual geklaut, und dann fallen lassen?! Spinnst du?!", fragte sie entsetzt, und starrte mich an, sodass ich unter ihrem taxierendem Blick schließlich nach gab. ,,Okay, okay, vielleicht fand ich ihn auch einfach nur heiß, aber-", so langsam bekam ich das Gefühl, dass es ihr Spaß machte, mich zu unterbrechen. ,,Na also! Nichts aber!", Audrey klang fürs erste zufrieden, und warf einen besorgten Blick in den Himmel. 

,,Sieht so aus, als ob wir gleich in den Wolkenbruch kommen!", murmelte sie besorgt und warf mir einen scharfen Blick zu: ,,Nach der Welle da solltest du jetzt vielleicht nicht direkt in Kontakt mit Regentropfen kommen, bevor sie den Boden berühren!", knurrte sie, und obwohl ich protestieren wollte, musste ich ihr Recht geben. Es gab kein Wasser, dass mit mehr Energie geladen war, als ein Regentropfen, der vom Himmel fiel- und momentan hatte ich genügend Energie darauf verwendet, meine Welle zu stoppen, als das ich jetzt eine solche Überflutung- im wahrsten Sinne des Wortes- an Energie nicht schnell genug stoppen würden könnte. ,,Auf drei rennen wir!", bestimmte ich, und spannte meinen Körper an. Audrey gab mir mit einem Nicken zu verstehen, dass sie einverstanden war, und dann sprinteten wir los.

Es war ein wunderschönes Gefühl, in gleichmäßigen Schritten über den Waldboden zu laufen; meine Füße hämmerten im Takt auf den weichen Boden, und ich, berauscht von dem Gefühl, öffnete meinen Körper für die Energie, ließ die Schranken fallen. 

Ein wunderschönes Gefühl durchfuhr meinen gesamten Körper, pushte meine Muskeln hoch, ließ mich noch mehr Geschwindigkeit aufnehmen. Ich wurde immer schneller, bemerkte nicht, wie mich die Energie langsam verließ, wie ich immer mehr davon verbrauchte. 

Ich war in einen Rausch verfallen, der tödlich geendet hätte, hätte Aubrey mich nicht wieder zu Bewusstsein gebracht. Ein Klatschen riss mich zurück in die Realität, ließ meine Wange brennen.

Mit einem brutalen Ruck zog sich die Energie zurück, verließ meinen Körper, und ließ mich vollkommen entkräftet zurück. Ich wankte, konnte nicht mehr. ,,Was zur Hölle ist heute nur los mit dir!", schimpfte eine weitentfernte, weibliche Stimme, ich fühlte wie mich Hände stützten, bevor alles um mich herum in einen Wirbel aus Rot verschwamm.

                                                                                  ***

Ich war vielleicht zwei Sekunden bewusstlos gewesen, aber dies hatte gereicht, um Aubrey in Panik verfallen zu lassen. Kurzum; ich befand mich sitzend auf dem Boden, während eine panische Audrey meine Wangen mit Schlägen malträtierte. ,,Ist schon gut, Au, mit mir ist alles okay.", versuchte ich sie halbherzig zu überstimmen, doch sie packte mich am Arm, und schob mich vorwärts. ,,Ich verstehe einfach nicht, wieso du heute so die Kontrolle verloren hast!", schimpfte sie, während sie mich zu stützen versuchte. ,,Sonst bist du doch auch nicht so unvorsichtig!", bemerkte sie besorgt, und musterte mich. Ich schüttelte nur den Kopf: ,,Ich weiß es doch auch nicht, Aubrey. Aber letztendlich verliert jeder mal die Kontrolle." ,,Aber du doch nicht! Und schon gar nicht zwei Mal hintereinander! Du solltest da dringend was machen, Ari!", rief Audrey lauter als beabsichtigt aus. Ich zuckte nur mit den Achseln, und achtete darauf, nicht zu stolpern. Wir kamen dem Gebäude der Akademie immer näher, und ich drehte mich noch einmal kurz zu Aubrey um. ,,Du erzählst doch bitte niemand anderem davon, oder?", bat ich sie. Audreys Gesicht blieb unergründlich. ,,Aber vielleicht kann dir dann ja jemand helfen und-", ich unterbrach sie: ,,Au, wenn das irgendjemand erfährt, dann kann ich mir die Prüfungen an den Hut stecken." ,,Aber vielleicht ist das doch ganz gut!", warf sie zweifelnd ein. Ich schüttelte nur den Kopf. ,,Ich sag dir Bescheid, wenn es noch einmal passiert, okay? Dann können wir ja zusammen zur Heilerin gehen.", antwortete ich matt, nicht mehr dazu fähig, mit ihr zu streiten. 

Audrey zögerte kurz, dann nickte sie. ,,Okay, aber du sagst es mir wirklich!", bestimmte sie. Ich schwieg, was sie jedoch als Zustimmung wertete. 

Kurz vor meinem Zimmer trennten wir uns; Aubrey bog in den rechten Korridor ein, ich nahm den linken.

Vor meiner Zimmertür stach ich mir kurz in den Finger, und bestätigte damit meinem Blut, dass ich kein Fremder war, öffnete die Tür und ließ mich auf einen Sessel plumpsen. Ich schloss die Augen, entspannte mich und genoss die Stille, ohne dass mich meine Gedanken wieder einholten. 

Ich musste eingeschlafen sein, denn das nächste, an dass ich mich erinnerte, war das Klopfen einer Brieftaube an der Fensterscheibe. Müde wankte ich zum Fenster, öffnete ihr das Fenster und ließ sie hereinflattern. Brav ließ sie sich auf meinem Schreibtisch nieder, und ließ neben dem Brief auch einen Klecks Vogelkacke auf meinen Teppich fallen.

Ich würgte, und ließ das Biest, welches mein Zimmer offensichtlich als Klosett betrachtete, nicht aus den Augen. 

Ich traute diesen Biestern sowieso nicht, seitdem mich eine von den Zuchttauben meines Vaters in einem Alter von sechs Jahren angegriffen hatte; zwar waren diese noch nicht fertig trainiert gewesen, doch seit dem hatte ich einen ziemlichen Respekt vor den gefiederten Viechern, die überallhin kackten. 

Besonders gerne die meines Vaters, wie es sich herausstellen sollte.

Seufzend nahm ich mir vor, den Teppich später mit einem kurzen Zauber zu reinigen, wenn ich wieder auf dem Damm war. Bis dahin musste der Klecks wohl liegen bleiben. Dann schnappte ich mir den Brief, ließ mich zurück auf meinen Sessel plumpsen, öffnete ihn und begann zu lesen.

Meine Augen folgten den Buchstaben, verschlangen die Worte meiner Schwestern, ohne sie zu verstehen; sie verschwammen vor meinen Augen, ließen mich zusammensacken.

Kraftlos ließ ich das blütenweiße Papier fallen, hörte das Segeln und bemerkte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten.

Dieser Tag sollte für immer in meinem Gedächtnis bleiben; der Tag, an dem ich die Hoffnung verlor, meine Mutter wiederzufinden.