******************** Eine Episode aus dem Leben des Leutnant Gerthold von Dhyani ******************** ++++++++++++++++++++ Kurzbeschreibung ++++++++++++++++++++ Der Große Krieg endete in einem Waffenstillstand und hinterlässt den 20er Jahren ein fragiles Gleichgewicht sich gegenüberstehender Großmächte. In dieser alternativen Realität geht ein Leutnant der kaiserlichen Armee in einer Kolonie unredlichen Geschäften nach. Ist dies seine Welt? Nein! Seine Welt ist in Berlin. Wien. Konstantinopel. Sie besteht aus Empfängen, Bällen und Galas der gehobenen Gesellschaft. Wo er gesehen wird. Bewundert. Anerkannt. Und wenn es schon Dienst in einer Kolonie sein muss, wäre Tsingtau angemessen. Gemäßigtes Klima. Zivilisierte Umgebung. Entwickelte Strukturen. Zu viele Chinesen zwar, aber sei es drum. Allemal besser als dieser vermaledeite Dschungel, der alles daran setzt, ihn zu peinigen und das Leben schwer zu machen. Mit seinem schwülheißen Klima, all dem Getier und den nicht minder abstoßenden Klangbild. Vor allem nachts. Der Mischung aus Schweiß, Schmutz und Hoffnungslosigkeit. Dazu der unerträgliche Dilettantismus von allen Seiten. Hinnehmbar bei den Untergebenen, denen viele deutsche Tugenden fremd sind und weder mit guten Worten noch dem Knüppel vermittelt werden können. Unfassbar bei seinen Vorgesetzten, die sein Potential nicht erkennen wollen. Nein. Es ist nicht seine Welt. Daher bemüht er sich nach Kräften, seinem Schicksal nachzuhelfen. Wenn alles planmäßig verläuft, wird er zum Ende des Tages hin um etliche Goldmark reicher sein. Die ihm sein neues Leben ermöglichen werden. Diese Hoffnung treibt ihn an. Sie hilft ihm, all diese Ödnis und Unvollkommenheit zu ertragen. Drei Askaris vor ihm schlagen mit Macheten den Weg frei. Ihre Gewehre tragen sie lässig geschultert. Ein Umstand, den er später durch zusätzliches Exerzieren zu beheben gedenkt. Neben sich weiß er den Askari-Unteroffizier, seine Stimme und seine Muskeln den Gemeinen gegenüber. In gebührendem Abstand folgen sein Bursche, zwei weitere bewaffnete Askaris und der Führer der Trägerkolonne mit seiner langen Reitgerte. Die Träger, ein halbes Hundert Männer, bilden den Nachhut und transportieren die Ausrüstung der Abteilung. Unruhe an der Spitze. Die Askaris sind stehen geblieben und hacken ein Hindernis frei, das quer über dem Elefantenpfad liegt, dem sie seit Tagen in südliche Richtung folgen. Ein umgestürzter Baum ist es. Ein prüfender Blick. Ein zweiter, um sich zu vergewissern. Jawohl. Diese Kerben im Stamm sind das Zeichen. Ein Blick auf die Uhr. Das ist deutsche Präzision! Das Schicksal ist ihm wohl gesonnen. “Rastlager.”, bestimmt er. Der Askari-Unteroffizier bellt Befehle, woraufhin seine Leute den Teil des Pfades vor dem Hindernis von Gehölz befreien und sich anschließend unter den Bäumen an den Rändern postieren und die Umgebung im Auge behalten. Währenddessen sind die Träger herangekommen und stapeln die Ausrüstung sorgsam auf den frei gemachten Fläche. “Gutgut.” Sein Bursche erscheint mit einem Klappstuhl, den er hinter ihm aufstellt, so dass er sich nur noch auf die Sitzfläche fallen lassen muss. Eine Zigarette aus dem silbernen Etui. Der Bursche reicht Feuer. Ein tiefer Zug. Na also. Wie man sich doch mit ein wenig Disziplin das Leben angenehm gestalten kann! Zehn Zigaretten später ist er nicht mehr ganz so entspannt. Doch ein Geräusch bringt ihn auf andere Gedanken. Lange genug war es unterschwellig. Doch nun dringt es in das Bewusstsein der Männer. Es verdichtet sich allmählich zu einem monotonen Hämmern schwerer Otto-Motoren. Der Geruch verbrannten Benzins steigt ihm in die Nase. Aaaaah, ein Hauch Zivilisation. Herrlich! Ein Überlandwagen bahnt sich seinen Weg auf breiten Ketten. Auf der großen, auf der Wanne installierten Plattform stehen drei Männer, zwei weitere halten sich im mittig angeordneten Fahrstand auf. Seine Geschäftspartner haben ihm gegenüber den Namen der Gesellschaft verheimlicht, in deren Auftrag sie handeln. Dabei ist es so einfach, dieses Detail herauszufinden. In diesem Teil des Nirgendwo besitzt nur die Deutsch ostafrikanische Bergbaugesellschaft Überlandwagen. Ein weiteres Beispiel jenes unglaublichen Dilettantismus! Dennoch haben die Herren das, was er begehrt. Er erhebt sich in seiner steifen preußischen Art und streicht seine Tropenuniform glatt. Das sie einigermaßen passabel wirkt, ist einzig seinem Bedürfnis nach korrekter Kleiderordnung zu verdanken. Die Uniform eines deutschen Offiziers strahlt Autorität aus. Repräsentiert Kaiser und Armee. Überall! Der Überlandwagen hält auf der anderen Seite des querliegenden Baumes. Die Motoren beenden ihr wummerndes Lied von Kraft und Monotonie. Einer der Männer auf der Plattform stützt sich mit beiden Händen auf die vordere Seitenwand und schenkt dem Offizier ein breites Lächeln. “Das schätze ich an der deutschen Armee. Absolute Präzision, selbst in diesem Winkel der Welt.” “Eine Tugend, von der Sie nicht viel zu halten scheinen!” “Touché, mein lieber Gerthold! Fünf Tagesmärsche vom nächsten Stützpunkt entfernt und mit nur vierzig Minuten Abweichung zum ausgemachten Zeitpunkt ist eine ordentliche Leistung. Sie sollten sich ein gewisses Maß an Toleranz zulegen. Ebenfalls eine Tugend.” Leutnant Gerthold kommt nicht umhin, das Gesicht zu verziehen. Toleranz. Dieses Modewort von Leuten, die sich der Disziplin und Einhaltung getroffener Abmachungen nicht unterordnen können, widert ihn an. Dabei liegt es doch auf der Hand, dass eine anständige Planung die Lösung solcher Unzulänglichkeiten ist! Aber, ach. “Haben Sie das Geld?” Der Mann auf der Plattform zückt einen ansehnlichen ledernen Beutel, in dem es aufreizend klimpert und wirft ihn Gerthold zu. Der prüft seinen Inhalt sorgfältig und zeigt sich zufrieden. Er dreht sich halb zu ihrem Lager um und deutet auf die dort abgelegte Ausrüstung. “Zehn Kisten mit je drei Mauser Karabinern 98k und Zubehör. Beste Arsenalware. Dazu die geforderten zehntausend Patronen.” “Ich vertraue Ihnen voll und ganz, mein lieber Gerthold. Ein deutscher Offizier steht zu seinem Wort.” Der Leutnant nickt. ‘ … und scheut nicht einer Prüfung auf Richtigkeit.’, fügt er in Gedanken hinzu. Sei es drum. Er hat nicht vor, seine Partner zu übervorteilen. Dafür steht für ihn zu viel auf dem Spiel. “Waffen und Munition auf den Wagen!” Der Askari-Unteroffizier bestätigt die Anweisung und gibt sie an den Führer der Träger weiter. Dieser wiederum bringt mit vielen Worten und der Reitgerte seine Leute auf Trab. Kaum ist die erste Waffenkiste auf den Überlandwagen verladen, tönen Trommeln durch den Urwald. Nicht sonderlich nah, aber auch nicht so weit entfernt, wie man unliebsame Überraschungen gerne hätte. Unbekannt ist Gerthold diese Form der Kommunikation nicht. Nur hat er sie in diesem Teil der Kolonie nicht erwartet; hier hat er sie noch nie vernommen. Eigenartig. Auch die anderen Männer halten inne und lauschen. Können sich ebenfalls keinen Reim darauf machen. “Die hiesige Bevölkerung hat Notiz von unserer Anwesenheit genommen.” Die Zivilisten nehmen das langsame rhythmische Trommeln nicht ernst und wenden sich wieder der Verladetätigkeit zu. Plötzlich verstummen die Trommeln. Unmittelbar folgend ein Schrei. Gellend, markerschütternd! Zivilisten wie Askaris legen ihre Waffen an und suchen nervös nach Zielen. Gerthold runzelt die Stirn. Einer der etwas abseits stehenden Träger, ist außer sich. Immer wieder dreht er sich um sich selbst in dem Bestreben, etwas von seinem Rücken zu wischen. Dabei vollzieht er Schnappatmung in Perfektion. “Nicht Dschungelfest.” Die Trägerkolonne war vor wenigen Tagen im Stützpunkt eingetroffen. Soweit er es mitbekommen hatte, stammen sie vom Rand der Serengeti. Steppenland. Der Dschungel ist ihnen fremd und unheimlich. Deshalb wollte er die Truppe gar nicht dabei haben, doch waren keine erfahrenen Träger verfügbar. Die Aktion aufzuschieben war indes auch keine Option. So muss er sich nun mit einem Träger herumschlagen, der wohl die Nerven verloren hat und mit seinem Verhalten die ganze Abteilung verunsichert. “Bring ihn zur Vernunft!” Zwischen dem Askari-Unteroffizier und dem Trägerführer kommt es zu einem angeregten Wortwechsel, in dessen Anschluss beide auf den Schwarzen einreden. Als das nichts hilft, beginnt der Trägerführer mit der Reitgerte auf ihn einzuprügeln, bis er wimmernd am Boden liegt. “Sagt, Dschungel ihn berührt. Am Rücken.”, erklärt der Askari-Unteroffizier und zuckt mit den Schultern. Die Trommeln setzen ein. Wie es scheint, mit schnellerem Takt. Näher. Gespenstig. Die vierte Kiste ist verladen, als die Trommeln erneut verstummen. Aufgeregtes Murmeln unter den Askaris. Einer fehlt! An seinem Standort liegen Gewehr und sein Fez. Keine Spur von dem Soldaten. “Jetzt wird aber der Hund in der Pfanne verrückt. Was geht hier vor? Sucht ihn!” Zwei Askaris stochern halbherzig mit ihren Macheten im Busch herum, während ihre Kameraden Feuerschutz geben. Von neuem spielen die Trommeln ihr Lied. Deutlich schnellerer Takt. Deutlich bedrohlicher. Gerthold schaut zu den Trägern. Die Kerle stehen kurz vor dem Wahnsinn. Zittern wie Espenlaub und trotz ihrer Hautfarbe scheinen sie aschfahl zu sein. Dieses Mal kommt ihm keine Abfälligkeit in den Sinn. Es ergeht ihm ähnlich. Die Trommeln verstummen. Gehetzt schauen sich die Männer um. Keiner fehlt. Doch - ein Schrei lässt Gerthold herumwirbeln. Sieht, wie ein Askari in die Höhe gehoben und im dichten Blätterdach eines Baumes verschwindet. Für einige Sekunden raschelt es im Geäst, dann fallen Gewehr und Koppel mit den Patronentaschen zu Boden. Der Offizier zielt mit seiner Pistole auf die Stelle, an der der Soldat verschwunden ist und gibt einige Schüsse ab. Eine Reaktion bleibt aus. Die Männer erstarren, als die Trommeln mit donnerndem Stakkato einsetzen. Zuviel für die Träger. Sie lassen alles stehen und liegen und stürmen mild mit den Armen gestikulierend davon. Es fehlt nicht viel und die verbliebenen Askaris hätten es ihnen gleich getan. Noch hält sie der Drill bei Vernunft. Langsam weichen sie zum Überlandwagen zurück. “Nun los doch! Lasst uns den Rest aufladen und von hier verschwinden!” Mit vereinten Kräften wuchten sie Kiste um Kiste auf die Plattform. Noch vier Munitionsbehälter. Noch zwei. Stille. Einem der Zivilisten versagen die Nerven und knallt mit seinem Gewehr ziellos in die Gegend. “Famos! Wahrlich famos. Kein Schleifer bringt solch einen Haufen so auf Trab wie die Angst vor dem Unbekannten. Bravo!” Aus dem Dschungel heraus applaudiert es. Hoffnungslose Verwirrung bei Gerthold. Mit der 08 in der Faust starrt er in den Dschungel, um die Quelle dieser bodenlosen Kränkung ausfindig zu machen. Seine Untergebenen wie auch die Zivilisten tun es ihm gleich. Einer von ihnen konnte sich nicht mehr zurückhalten und hat sich in die Hose gemacht. Uringeruch verbreitet sich. “Genug der Posse! Ich schlage vor, dass Sie die Waffen niederlegen und sich ergeben. Andersfalls setzen wir das Spiel fort und ich lasse jeden einzelnen aus dem Kreise der Vertrauten pflücken und im Dschungel verschwinden. Seid gewiss: eure Knochen wir niemand finden.” Ein kurzer Trommelwirbel. Der erste Zivilist lässt seinen Karabiner fallen und verschränkt die Hände hinter dem Kopf. Seine Kollegen zögern nur kurz und folgen dann seinem Beispiel. Gerthold spürt eine gähnende Leere in sich. Aus. Keine rauschenden Feste in Berlin, Wien oder Konstantinopel. Keine Dienststellung in Tsingtau. Nur dieses elende Dreckloch von Dschungel, der ihn nicht gehen lässt. Schwer lässt er sich auf eine Waffenkiste fallen. Die Pistole in seiner Hand wiegt schwer. Ist es das Ende? Nein. Ein deutscher Offizier gibt so schnell nicht auf! Diese Schlacht mag verloren sein. Der Krieg indes ist noch lange nicht entschieden. Berlin muss warten. Doch nicht lange. Der Leutnant lässt die Pistole fallen. Mit Verachtung im Blick wendet sich der Askari-Unteroffizier von ihm ab und gibt seinen Männern ein Zeichen. ******************** Am 6.11.2018 um 19:08 von Dhyani auf StoryHub veröffentlicht (http://sthu.de/s=Sw%C3%A41%24) ********************