Grauzone

Kurzbeschreibung:

Am 8.10.2018 um 1:18 von Fuxich auf StoryHub veröffentlicht

An manchen Morgen ist die Welt grau, wenn ich aus dem Fenster blicke. Ich schwinge meine Beine aus dem Bett, setze die Füße auf den Hochflorteppich und weiß, dass alles gut laufen wird. Grauzone bedeutet Komfortzone.

Wenn die Welt weder schwarz noch weiß ist, fällt es mir leichter, in ihr zu verschwinden. Grautöne gibt es viele und die Übergänge sind fließend. Die langen Haare und geschwungene Oberlippe sind weiß. Die breiten Schultern und schmalen Hüften schwarz. Kategorien, Kategorien. Die Menschen lieben Kategorien.

Da heute ein guter Tag ist, wollen wir uns an diesen Kleinigkeiten nicht weiter aufhalten. Ich springe unter die Dusche, versuche nicht zu viel zu sehen und zu fühlen, um genauso grau aus ihr herauszusteigen, wie ich in sie hineingestiegen bin. Habe ich das erstmal geschafft, kann mich so schnell nichts mehr aufhalten.

Ein halbkalter Kaffee im Stehen, dann eine kurze Bahnfahrt und rein ins Getümmel. Leute, die sagen, dass die Uni ein bunter Ort sei, an dem man sich selbst finden könne, lügen. Die Uni ist genauso schwarz-weiß wie der Rest der Welt. Maschinenbau für die Hendriks und Pädagogik der frühen Kindheit für die Lisas. Diese Liste ist übrigens um 99 Stereotype erweiterbar.

„Morgen Luca", murmelt es von rechts in mein Ohr während ich an der Mensa vorbei schlurfe und den Rest meiner Kippe in einen Gully schnippe. „Morgen, Püppi." Ein kurzes Lächeln lässt meinen Mundwinkel zucken, als ich ihr einen Energyriegel unter die Nase halte. „Es ist Montag, so richtig Montag. Soviel kann ich dir sagen. Frag gar nicht erst nach." Mit einer ruppigen Bewegung reißt sie die Verpackung auf und nimmt einen großen Bissen. Als sie die Schokolade in ihre Backe schiebt und dabei so finster dreinblickt, sieht sie aus wie damals in der vierten Klasse, als ich ihr einen Frosch in den Ranzen gesteckt hatte. „Ich werd dich nicht ausquetschen, aber ich sag dir was: Heute ist ein guter Tag und das kannst du mir selbst mit deiner Montagmorgenlaune nicht vermiesen." Abrupt bleibt sie stehen. „Grauzone?" Ich nicke grinsend. Auch ihr Gesichtsausdruck erhellt sich. „Freut mich für dich."

Unsere Schritte hallen im Doppeltakt von den Wänden zurück als wir den langen Flur in Richtung Studierendensekretariat entlanglaufen. Ich öffne die schwere Glastür für sie und warte kurz, während sie ein paar Dokumente abgibt und gegenzeichnen lässt. Gedankenverloren schwelge ich in der Erinnerung an meinen letzten grauen Tag. Plötzlich ein Zettel vor meinem Gesicht. „Hier, ausfüllen. Geht um die Studienfahrt nach Lissabon." Noch nicht so ganz von meiner Erinnerung ablassen wollend fische ich einen Bleistift hinter meinem Ohr hervor und fülle Name, Geburtsdatum und Anschrift aus - und komme ins Stocken.

Geschlecht: weiblich, männlich. Bitte ankreuzen. So grau mein Tag bis gerade eben auch war, die Welt da draußen ist schwarz-weiß. Noch.