******************** Vor dem Fall I: Der Seher von Vergil ******************** ++++++++++++++++++++ Kurzbeschreibung ++++++++++++++++++++ In den verlassenen Ruinen einer längst vergessenen Zivilisation sucht ein einzelner Mann nach den Spuren der Vergangenheit, als zwei Soldaten ihn gefangen nehmen. Früher einmal musste dieser Ort vor Leben geradezu gesprüht haben. Nostradamus ließ seinen Blick über den weitläufigen Platz schweifen, auf dem wahrscheinlich der Wochenmarkt abgehalten worden war. Jetzt waren nur noch Ruinen übrig, zerfallene Steinhaufen, von denen man nicht einmal mehr sagen konnte, was sie einmal gewesen waren. Wie alt mochte dieser Ort wohl sein? Hundert Jahre? Tausend Jahre? Vielleicht sogar noch älter? Niemand wusste es und eigentlich interessiert auch keinen. Das Leben war hart und man hatte einfach keine Zeit dafür sich Gedanken über irgendwelche Ruinen zu machen. Nostradamus war daher eine Ausnahme. Jemand, der unbedingt wissen wollte, was sich in den vergangen Zeiten zugetragen hatte. Nun stand er hier und suchte. Was er genau suchte, wusste er selbst nicht. Irgendwelche Hinweise, die ihm Aufschluss geben konnten, warum die Welt sich so verändert hatte. Die Strahlen der Sonne brannten heiß und er schwitzte. Die Hälfte seines Wassers hatte er schon aufgebraucht, deshalb musste er sparsam sein und noch etwas für den Rückweg übrig lassen. Um sich etwas auszuruhen, setzte er sich in den Schatten eines besonders großen Steinhaufens. Was mochte er früher gewesen sein? Vielleicht das Rathaus, wo wichtige Entscheidungen getroffen wurden, oder ein Palast? Es war wirklich eine Schande, dass er die Antwort wahrscheinlich niemals finden würde. Manches war für immer verloren. Nein, so durfte er nicht denken! Nostradamus raffte sich auf und machte einige Schritte. Akribisch suchte er den Boden nach irgendwelchen Fundstücken ab. Doch außer Stein, Sand und Staub war absolut nichts zu finden. Enttäuscht trat er gegen einen großen Brocken. Zu seiner Überraschung begann dieser auseinanderzubrechen und gab damit den Blick frei auf etwas seltsam Glänzendes. Das konnte nicht bloß ein weiterer Stein sein. Dieses Mal hatte Nostradamus wirklich etwas gefunden. Er warf sich auf die Knie und begann die Trümmer zu entfernen, um den Gegenstand freizulegen. Aufgeregt hielt er dann wenige Minuten später einen goldenen Kelch in der Hand. Dieser war einfach wunderschön. Scheinbar hatte ihm selbst die Zeit, welche er unter den Steinen begraben war, nichts ausgemacht. Das erste Relikt aus einer längst vergangen Zeit. Es musste noch mehr geben! Vorsichtig schob er den Becher in eine Tasche seines Mantels und untersuchte dann einen anderen Trümmerhaufen. Gerade wollte er damit anfangen diesen abzutragen, als er plötzlich Schritte hinter sich hörte und sich kampfbereit umdrehte. Man musste immer darauf gefasst sein, an Orten wie diesen Räuberbanden zu treffen, denn auch sie wurden von der Gelegenheit zu plündern angezogen. Allerdings standen ihm keine Diebe gegenüber, sondern zwei Soldaten von Dornenkrone. „Was wollt ihr denn hier?“, fragte er sie, wobei er gar nicht versuchte zu verbergen, dass sie ihn störten. Ein langgewachsener rotblonder Mann, der in der zu kleinen Lederrüstung schlaksig wirkte, antwortete: „ Dornenkrone verlangt, dass du sofort zurückkommst. Sie braucht dich.“ „Ich bin beschäftigt. Sie kann warten, Melekay“, widersprach Nostradamus entschlossen. Jetzt brüllte der andere, ein kleiner älterer Mann mit Vollbart: „ Unsere Königin hat von dir verlangt, dass du zurückkommst und ihr eine Weissagung machst. Wenn du nicht freiwillig mit uns gehst, dann bringen wir dich mit Gewalt zurück.“ „Aber Pietre, beruhig dich und lass mich das machen“, versuchte Melekay ihn zu besänftigen. Der andere Soldat verzog nur verärgert das Gesicht und rollte mit den Augen. Nostradamus war klar, dass er keine Wahl hatte. Er war kein Kämpfer und diese beiden würden ihn in der Luft zerreißen, wenn er versuchen würde sich zu wehren. Deshalb gab er nach: „ Einverstanden, gehen wir, damit ich es schnell hinter mich bringen kann.“ „Ich bin froh, dass du zur Vernunft gekommen bist“, behauptete Melekay und lächelte ihn freundlich an. Nostradamus zwang sich das Lächeln zu erwidern und folgte den beiden Soldaten anschließen zu ihren Pferden, die sie einige Meter von den Ruinen entfernt abgestellt hatten. „ Wir haben nur zwei Pferde. Aber keine Angst du musst nicht laufen, sondern kannst hinter mir sitzen“, schlug Melekay ihm vor. Das war um Längen besser, als mit dem stinkenden Pietre auf einem Pferd zu sitzen, deshalb nahm Nostradamus dieses Angebot gerne an. Auf dem Rücken der Tiere zu reisen, war wesentlich angenehmer als zu laufen, das musste er zugeben. Außerdem ging es viel schneller. Während sie die glühend heiße Wüste durchquerten, wollte Nostradamus wissen: „ Was hat Dornenkrone denn?“ „Als würde sie einfachen Soldaten wie uns das erzählen. Nicht jeder genießt eine so privilegierte Position wie du und gehört zu ihren engsten Vertrauten“, antwortete Pietre und versucht erst gar nicht zu verstecken wie neidisch er war. Melekay bat: „ Du musst seine unfreundliche Art entschuldigen. Er ist schlecht gelaunt, weil die Lage momentan angespannt ist.“ „Angespannt?“, wiederholte Nostradamus fragend. Der andere nickte und erklärte: „ Wir werden in letzter Zeit öfter von einem Nomadenclan angegriffen. Sie stürmen heran, stehlen Wasser und Nahrung und sind dann genauso schnell wieder weg, wie sie gekommen sind. Deshalb haben wir momentan auch nicht genug Verpflegung.“ Nostradamus wusste aus Erfahrung, dass Dornenkrone bei Nahrungsknappheit ihren Soldaten immer am meisten gab, damit diese zufrieden waren und fit für eventuelle Kämpfe. Wenn sie sich also beklagten, hatten diese Nomaden scheinbar einen Großteil der Lebensmittel erbeutet und der Rest reichte nicht einmal um die Krieger zu versorgen. Vermutlich hatte Dornenkrones Wunsch ihn zu sehen mit diesem Problem zu tun. Pietre meckerte ihn an: „ Warum gehst du eigentlich in eine solche Einöde? Wir müssen dann nämlich Zeit und Kraft aufwenden, um nach dir zu suchen. Wenn ich der König wäre, dann würde ich dich irgendwo einsperren.“ „Dann ist es ja gut, dass du nicht der König bist“, konterte Nostradamus, „ Eisenkrone braucht mich und gesteht mir deshalb Freiheiten zu.“ „Hast du einen Hinweis auf diese Zivilisation gefunden?“, fragte Melekay. Überrascht stellte er eine Gegenfrage: „ Woher weißt du, was ich gemacht habe?“ „Das letzte Mal als ich dich abgeholt habe, hast du mir davon erzählt“, behauptete Melekay. Obwohl es ihm schmeichelte, dass der Soldat sich das gemerkt hatte, log er: „ Nein, leider war schon wieder nichts dabei. Es ist als wären alle Hinweise verschwunden.“ „Bis auf die Gebäude selbst“, widersprach Melekay. Da hatte er recht, allein die Gebäude bewiesen, dass es diese Zivilisation gegeben haben musste. Pietre unterbrach ihr Gespräch: „ Pah! Du hast deinen Kopf in den Wolken. Du solltest lieber im hier und jetzt leben, anstatt irgendwelchen vergangen Zeit nachzuspüren.“ Nostradamus kam nicht zum Antworten, denn in diesem Moment erreichten sie den Fuß des Gebirges, um den die Zelte aufgeschlagen worden waren, die Dornenkrone stolz ihre Stadt nannte. Etwa hundert Menschen lebten hier. Eine vergleichsweise hohe Zahl, die nur deshalb erreicht werden konnte, weil man das Wasser, das über dem Gebirge abregnete, auffangen konnte. Auch Nostradamus war hier geborenen und hätte als Sohn eines Soldaten eigentlich ebenfalls in den Militärdienst Dornenkrones treten sollen, doch wegen seiner Gabe diente er ihn auf eine andere Weise. In der Stadt angekommen, stiegen sie von den Pferden ab. Pietre blieb mit den Tieren zurück, während Melekay ihn zum Zelt ihrer Anführerin begleitete. Dornenkrones Wohnort war verglichen mit den anderen ziemlich prächtig, denn er bestand aus drei kleineren Zelten, die man zusammengenäht hatte. So hatte sie viel mehr Platz und konnte sich sogar den Luxus von Räumen leisten. Sie traten an den  Wachen vorbei in den Eingangsbereich, der als Empfangszimmer diente. Dornenkrone hielt hier ihre Audienzen ab und besprach Pläne mit ihrem General. Wie eigentlich immer saß sie locker auf ihrem Thron, hatte die Beine über eine der Lehnen gelegt und lauschte dem Spiel einer Mandoline. Als sie Nostradamus jedoch erblickte, sprang sie auf und ging ihm entgegen. Während sie über seine Wange streichelte, begrüßte sie ihn: „ Da ist mein kleiner Seher ja endlich. Ich habe dich schon erwartet. Gut gemacht Melekay. Du kannst jetzt gehen.“ „Ja meine Königin“, verabschiedete der Soldat sich, machte eine Verbeugung und verließ das Zelt dann. Als er weg war, vermutete Nostradamus: „ Etwas sagt mir, ich bin nicht hier, um nur den nächsten Regenschauer vorauszusagen.“ „Beeindruckend“, meinte Dornenkrone sarkastisch: „ Haben dir das die Winde geflüstert?“ Die schlanke, blonde Frau, deren Spitzname von der aus Dornenbüschen geflochtenen Krone auf ihrem Kopf kam, war bereits über hundert Jahre alt, aber ein Betrachter hätte sie wohl eher auf vierzig geschätzt. Ihr richtiger Name war längst vergessen, denn alle die ihn gekannt hatten, waren bereits gestorben und sie selbst sich weigerte ihn zu verraten, weswegen sie nur noch als Dornenkrone bekannt war. Nostradamus zweifelte manchmal daran, dass sie ein Mensch war, allerdings fühlte er sich deshalb auch mit ihr verbunden, denn auch bei sich selbst hatte er wegen seiner Kräfte hin und wieder Zweifel an seiner Menschlichkeit. „Ich möchte, dass du versucht mir zu sagen, ob ich einen Angriff gegen die Nomaden wagen soll“, erklärte sie ihm. Mit so etwas hatte er gerechnet. Angewidert verzog er die Mundwinkel. Doch seinem Gegenüber war das nicht entgangen und sie stellte klar: „ Ich weiß, was du davon hältst mich militärisch zu beraten, aber es ist notwendig.“ „Ich will an meinen Händen nicht das Blut unschuldiger Menschen haben. Du weißt, dass sie alle sterben werden, wenn du ihre Krieger besiegst.“ „Was sollen wir denn machen? Die Zivilisten aufnehmen? Dazu fehlen uns die Möglichkeiten. Diese Stadt ist ausgelastet, mehr Menschen können wir nicht beherbergen“, stellte Dornenkrone klar. Wütend rief Nostradamus: „Ich habe echte Städte in meinen Visionen gesehen. Das hier ist keine Stadt, sondern höchstens ein Zeltplatz.“ Dornenkrone packte ihm am Kragen und drohte „Pass auf wie du mit mir sprichst, schließlich bin ich deine Königin. Ich lasse dir einiges durchgehen, weil deine Gabe mir nutzt, aber auch das hat seine Grenzen. Es wird Zeit, dass du akzeptierst, dass das Vergangene endgültig vorbei ist. Das muss ich auch.“ „Du redest als wärst du dabei gewesen“, entgegnete der Seher trotzig. Die Königin ließ ihn wieder los und meinte traurig: „ Das war ich.“ Verblüfft über diese Offenbarung, fragte er: „Was hat sich verändert? Wie alt bist du wirklich?“ Dornenkrone sank auf ihren Thron und antwortete: „ Weißt du nicht, dass es sich nicht gehört eine Frau nach ihrem Alter zu fragen.“ „Warum verschweigst du uns allen wer du wirklich bist?“, wollte er wissen. Er hatte dieses Versteckspiel satt. Streng forderte sie: „ Kein Wort mehr! Wenn du dazu bestimmt wärst es zu wissen, dann hättest du es mit deiner Gabe schon längst herausgefunden. Aber da es dir nicht zu gelingen scheint, sollst du es auch nicht wissen, akzeptiert das endlich. Und jetzt tu endlich worum ich dich gebeten habe.“ Nostradamus stöhnte. Leider stimmte was sie sagte, selbst mit seinen Fähigkeiten hatte er nicht herausfinden können, wer sie eigentlich war. Schließlich gab er nach, zog eine Schale aus einer Tasche seines Umhangs und füllte diese mit dem restlichen Wasser aus seiner Trinkflasche. Mit voller Konzentration blickte er auf die Oberfläche der Flüssigkeit. „Ich sehe einen Kampf. Verluste auf beiden Seiten. Die Zelte stehen in Flammen und Reiter metzeln deine Untertanen nieder. Nichts bleibt mehr übrig von deiner Stadt. Die letzte Hoffnung ist verloren.“  Fassungslos starrte Dornenkrone ihn an. Das war nicht das, was sie hören wollte. „Das kann nicht sein. Wir sind zahlenmäßig überlegen, wenn wir es auf einen Kampf ankommen lassen, dann müssten wir problemlos gewinnen“, behauptete sie. Um sie etwas zu beruhigen, erinnerte er sie: „ Du weißt, dass ich nur die Möglichkeit einer Zukunft sehe. Allein, dass du jetzt davon weißt, könnte die Ereignisse schon verändern.“ „Ja, das weiß ich. Deshalb werde ich dich auch hier festhalten, bis der Angriff vorüber ist“, teilte sie ihm mit. Entsetzt fragte Nostradamus: „ Warum?“ „Ich kann es nicht riskieren, dass du irgendjemandem von dieser Vision erzählst. Außerdem will ich wissen wo du bist, sollte ich deine Hilfe in nächster Zeit noch einmal brauchen“, erzählte sie ihm. Aufgebracht sagte er: „ Ich habe dir bis jetzt immer treu gedient. Es gibt keinen Grund mich wie einen Verbrecher zu behandeln.“ „Du hast allerdings auch noch nie eine Vorhersage wie diese gemacht. Es steht zu viel auf dem Spiel. Ich will das alles hier nicht verlieren, deshalb bleibst du hier und wirst versuchen deine Prophezeiung zu präzisieren.“ Damit war das letzte Wort gesprochen. Er hatte gar nicht die Macht sich ihr zu widersetzen. Was auch immer sie verlangte, musste er ausführen. Unzufrieden blickte er ein zweites Mal auf die Schale und damit in die Zukunft.Inzwischen wurde Nostradamus schon mehrere Stunden in dem Zelt festgehalten. Er war erschöpft. Dornenkrone war unzufrieden, da seine Visionen keine weiteren Details hervorgebracht hatten. Ihre Niederlage war das Einzige, was er wieder und wieder vorhersagte. Die Königin könnte ihre Verunsicherung nicht mehr verbergen. „Das ist zu ungenau. Es könnte alles Mögliche bedeuten. Wenn wir angreifen, werden sie uns besiegen, wenn wir nicht angreifen, dann attackieren sie uns überraschend und überrumpeln uns. Du musst einen Weg finden mehr Informationen zu erhalten“, wies sie ihn an. Wie sollte er das denn machen? Scheinbar konnte sie Gedanken lesen, denn sie schlug vor: „ Such nach etwas anderem. Etwas, dass nur entfernt mit dem Angriff zu tun hat. Zum Beispiel meine Zukunft.“ „Soll ich das wirklich machen? Was wenn es dir nicht gefällt?“, ging er lieber auf Nummer sicher. Sie lächelte ihn herausfordernd an und meinte: „ Sagst du nicht immer, dass du nur die Möglichkeit einer Zukunft siehst? Letztlich bleibe ich doch die Herrin meines Schicksals.“ Zufrieden nickte Nostradamus und begann in die Schale zu blicken, dann orakelte er: „ Ich sehe eine weiße Taube mit prächtigen Flügeln. Sie trägt einen Olivenzweig im Schnabel. Plötzlich stürzt  sie auf den Boden, einen Dornenbusch wächst auf einem Thron, das Wasser einer Oase färbt sich rot, Schwerter kreuzen sich, Flammen heißer als die Sonne.“ Nachdem er diese Worte gebrochen hatte, blieb es einen Augenblick still, dann jedoch brach es auch Dornenkrone heraus: „ Das ist alles? Bloß Bilder? Das ist gar nichts.“ „Es ist mehr, als ich jemals zuvor über dich herausfinden konnte“, gestand er. Nicht sonderlich überrascht sagte sie: „Es ist egal. Prophezeiung hin oder her, ich darf mich nicht zu abhängig machen von dem was du sagst. Wenn ich zögere, dann werde ich verlieren.“ „Vermutlich“, stimmte Nostradamus vorsichtig zu. Dornenkrones Stimmung hatte sich von einem Moment zum anderen völlig verändert. Sie wirkte gelöst, fast schon zufrieden. „Ich werde alles für einen Angriff vorbereiten lassen. Noch vor Morgengrauen werden wir angreifen.“ „Aber du weißt doch nicht einmal, wo sie sich genau aufhalten“, versuchte der Seher sie umzustimmen. Doch sie erwiderte ruhig: „ Ich habe da eine Ahnung.“ Die Königin wollte das Zelt schon verlassen, als sie stehen blieb und ihm mit zugewandtem Rücken sagte: „ Wenn der Angriff erfolgreich war, werde ich dich hinrichten lassen.“ Entsetzt sprang Nostradamus auf, so dass die Schale zu Boden fiel. Er konnte nicht glauben, was er da eben gehört hatte. „Warum?“, war alles was er herausbrachte. Jetzt drehte sie sich noch einmal zu ihm um und enthüllte: „ Die Bilder deiner Vision sind nicht bloß zufällige Aneinanderreihungen. Sie alle sagen etwas über mich aus. Ich kann nicht zulassen, dass du herausfindest was sie bedeuten.“ „Ich verspreche dir nicht darüber nachzudenken“, versicherte er. Doch Dornenkrone schüttelte nur lächelnd den Kopf und erklärte: „ Du bist neugierig und musst immer allem auf den Grund gehen. Außerdem hast du selbst zugegeben, dass du bereits versucht hast mehr über mich herauszufinden. Meine Vergangenheit muss im Dunklen bleiben, das ist sogar wichtiger für mich als deine Gabe.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie dann hinaus ins Freie. Nostradamus überlegte wie er fliehen konnte, aber ihm fiel nichts ein. Draußen standen die Wachen, die ihn einfach abstechen würden, wenn er versuchte davonzulaufen. Er konnte nichts machen, als auf den Tod zu warten.Inzwischen war Dornenkrone mit all ihren Männern aufgebrochen, nur Melekay hatte sie zurückgelassen, um Nostradamus zu bewachen. An einen Pfeiler gefesselt saß der Seher auf den Boden und überlegte fieberhaft wie er aus dieser Lage entkommen konnte. Der Soldat saß einige Schritte von ihm entfernt auf einem Stuhl und blickte ins Leere. Plötzlich sagte er: „ Als wir noch Kinder waren, warst du der einzige, der mich nie ausgelacht hat. Ich war so ungeschickt und ein ziemlicher Angsthase, deswegen wollten die anderen Jungs nie mit mir spielen. Aber du hast sie irgendwie immer dazu gebracht mich mitzunehmen.“ Nostradamus schwieg. Ihm war nicht nach reden. „Die anderen Kinder haben dich respektiert, obwohl sie dich schon damals für seltsam hielten. Ich habe  dich ziemlich beneidet. Du warst wie ich ein Sonderling, aber die anderen haben dich trotzdem nicht ausgeschlossen“, gab Melekay zu. Der Seher lachte und schätzte: „ Heute empfindest du wohl nicht mehr so.“ „Ich hatte mich so oft gefragt, was du hast, das ich nicht habe, konnte allerdings keine Antwort finden. Aber dann wurden wir älter und das Blatt wendete sich. Ich wurde Soldat und hatte endlich eine Chance mich zu beweisen. Plötzlich gehörte ich dazu. Und du? Du warst außen vor. Du hättest auch Soldat werden können, aber du hast abgelehnt. Warum hast du das getan? Dein Vater war Soldat genau wie dein Großvater. Deine Familie hatte eine lange Tradition, die du gebrochen hast“, erzählte Melekay, was Nostradamus schon längst wusste. Er antwortete: „ Ich habe meinen Vater nie kennengelernt, weil er vor meiner Geburt getötet wurde und mein Großvater starb als ich neun war, während er einen Wassertransport gegen Räuber verteidigte.“ „Das sind ehrenvolle Tode“, entgegnete Melekay ungerührt. Gereizt rief Nostradamus: „ Ja, es ist das Schicksal eines Soldaten im Kampf zu sterben. Er wünscht sich den Heldentod sogar. Aber ich wünsche mir etwas anderes. Das hast du auch einmal. Bevor du allen beweisen musste, wie großartig du bist.“ Melekay schaute verlegen zur Seite. Damit war die Konversation wohl beendet. Doch dann machte der Soldat den nächsten Versuch: „ Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass ich dich noch immer mag.“ „Ach wirklich?“, wunderte sich der Seher. Natürlich war Melekay netter zu ihm gewesen, als die anderen, aber er hatte gedacht, dass dies nur an der freundlichen Art des Soldaten lag. Amüsiert scherzte der andere: „ Hast du das nicht vorausgesehen?“ Nostradamus schüttelte nur den Kopf. Melekay zog jetzt seinen Dolch und zerschnitte damit die Fesseln des Sehers. „Was tust du da?“, fragte er. Der Soldat antwortete: „ Ich helfe dir bei deiner Flucht. Dornenkrone wird dich nach ihrer Rückkehr hinrichten lassen.“ „Du musst mit mir kommen. Es ist nicht sicher, dass Dornenkrone den Kampf gewinnt. Ich habe es in einer Vision gesehen“, gestand Nostradamus seinem Gegenüber. Doch Melekay lehnte ab: „ Dann muss jemand die Bewohner der Stadt beschützen. Ich bin Soldat, deshalb wird das meine Aufgabe sein.“ „Dann bleibe ich auch. Ich kann dich und die anderen doch nicht im Stich lassen“, entschied Nostradamus eilig. Doch der Soldat schüttelte den Kopf, er legte ihm eine Hand auf die Schulter und sagte: „ Du darfst dein Leben nicht wegwerfen. Wenn du bleibst, dann wirst du sterben.“ „Du aber auch“, stellte der Seher klar. Den Ausdruck in Melekays Augen hatte er so noch nie gesehen. Diese eiserne Entschlossenheit entsprach nicht dem normalen Wesen des Soldaten. Er meinte: „ Wir wissen nicht wie Dornenkrones Angriffs verlaufen wird. Vielleicht gewinnt sie ja, dann ist unsere Stadt nicht in Gefahr. Und wenn sie verliert, dann werde bin ich hier und werde die anderen beschützen.“ Noch immer zögerte Nostradamus einfach so zu verschwinden, auch wenn er wusste, dass er in dieser Stadt keine Zukunft hatte. „Geh und verwirkliche deinen Traum. Ich werde dasselbe tun“, forderte Melekay ihn auf. „Du bist ein mutiger Mann geworden“, lobte der Seher ihn. Lächelnd erwiderte der andere: „ So wie du es mir einmal prophezeit hast.“ Sie umarmten sich. „Sei vorsichtig“, bat Nostradamus, bevor er das Zelt verließ. ******************** Am 25.9.2017 um 22:31 von Vergil auf StoryHub veröffentlicht (http://sthu.de/s=KWhbM) ********************