Konstantins Kreuzzug

Kurzbeschreibung:

Am 27.1.2018 um 21:10 von EagleWriter auf StoryHub veröffentlicht

1. Kapitel: Klapptext

Nach Jahrhunderten der Expansion scheint die Welt für das Imperium Cantons fast grenzenlos. Doch die letzte verbleibende Stadt der einstmals unbeugsamen freien Königreiche, Xihuitzin, würde nicht einfach fallen. Regiert von mächtigen Magierpriestern und beschützt durch magische Anima und Mauern und die Unterstützung jener, die der Herrschaft des Kaisers noch entgegenstehen, beginnt eine Schlacht, deren Ausgang niemand vorhersehen kann. Und während die Legionen des Kaisers um die Stadt ringen offenbart sich in den Ruinen ihres Schlachtfelds langsam aber sicher eine tiefere Wahrheit über den vermeintlichen Herrscher der Welt, die geeignet ist, das Machtgefüge des ganzen Landes zu erschüttern. Und alle Seiten haben  ihre eigenen Pläne für die Aschen von Xihuitzin und die Zukunft.

Eine Stadt brennt.

Ein Königreich fällt.

Ein Kaiser stirbt.

2. Kapitel: Prolog

Prolog – Die Katastrophe von Xihuitzin

-Das Jahr 155 der Herrschaft des Hauses Belfare

 

 

Grégoire Bernardet, kaiserlicher Abgesandter und Botschafter seiner Majestät Kaiser Domenicus  Belfare für die Xihuitzin-Expedition kroch durch den Schlamm. Wären die Umstände anders gewesen, er hätte Lauch geflucht wie er es sich auf den langen Monaten der Expedition zu Eigen gemacht hatte. Über das Klima, über die verdammten Insekten, über den Dschungel über die Echsen und Spinnen und was es hier sonst noch gab... Jetzt jedoch hätte er einiges dafür gegeben, wenn sein größtes Problem wenn sein größtes Problem eine neugierige Riesenspinne auf seinem Rücken gewesen wäre. Schwer atmend richtete er sich wieder auf, stolperte einige Schritte und fiel erneut hin. Einer seiner Männer, einer der wenigen, die ihm verblieben waren, fiel direkt neben ihm… einen dünnen Blasrohrpfeil im Hals. Er würde nicht wieder aufstehen. Grégoire jedoch kroch, stolperte und hinkte weiter, so gut es der schlammige und von Wurzeln überwucherte Boden erlaubte. Die Regenfälle der letzten Tage hatten den Boden aufgeweicht und fast ungangbar gemacht. Die Pferde hatten sie schon vor Stunde zurück lassen müssen. Das Blätterdach über ihm lies nur wenig Sonnenlicht bis zum Boden gelangen und die Schatten schienen vor seinen Augen zu tanzen. Ein weiterer Mann fiel neben ihm, die blau-goldene Livree des Kaiserreichs Blutdurchtränkt, als ihn etwas in der Brust traf. Wie viele hatte er gehabt, als sie in die Wälder geflohen waren? Fort von den lebenden Steinen? Ein Musketenschuss ertönte gefolgt vom stumpfen Geräusch eines Pfeils, der sich in Fleisch bohrte. Es konnten nicht mehr viele übrig sein, so viel stand fest und Grégoire vermied es sich umzusehen. Nur raus aus dem Wald…raus aus dem Zwielicht und weg von den Kreaturen aus lebenden Stein und der unmöglichen Stadt und…

Etwas traf ihn. Unverhofft und hart du er landete erneut im Matsch, versuchte hoch zu kommen,

stellte jedoch fest, dass seine Glieder ihm nicht gehorchten. Die Schatten, die um ihn getanzt hatten, lösten sich auf, als erst einer, dann zwei, dann immer mehr Gestalten aus dem Dschungel auftauchten. Der Schmuck aus Federn und Steinen, den sie an ihren fein gewebten Kleidern trugen ließ sie fast eins mit der undurchsichtigen Vegetation werden, genauso wie die dunklen Farben auf ihren Gesichtern. Aber es waren Menschen. Grégoire war beinahe erleichtert. Wenigstens würde er durch die Hand von Menschen sterben, nicht von Dämonen mit glühenden, gelben Katzenaugen, wie er sie in den Höhlenartigen Pyramiden gesehen hatte. Er hätte gelacht, wäre er dazu in der Lage gewesen. Was hatte dieses Land nur aus ihm gemacht, das er dankbar für den eigenen Tod war? Er, der in den Hallen der fliegenden Stadt gestanden und mit den mächtigen Gespeist hatte… das schien jetzt so lange her, beinahe unwirklich. Der Mann der jetzt hier im Schlamm lag, wäre an den Tischen der Adeligen Cantons so fehl am Platz gewesen, wie diese in ihren farbigen Roben und goldenem Schmuck hier inmitten des Urwalds. Der Drang zu Lachen jedoch, verging ihm, als einer seiner Fänger sich zu ihm herunter beugte und irgendjemand außerhalb seines Sichtbereichs zunickte. Grégoire schloss die Augen, wartete auf den scharfen Schnitt einer Obsidianklinge, der nie kam. Und als der Grund bebte und Grégoire Bernardet von den Füßen gehoben wurde, schrie er. Er würde nicht hier sterben. Und das hieß er würde zurück gebracht werden. Zurück in die Höhlenartigen Kammern der großen Pyramiden. Zurück zu den Dämonen, die gerade vermutlich das  Blut seiner letzten Leibwächter tranken.

 

 

3. Kapitel: Kapitel 1

 

 

Das Jahr 228 der Herrschaft des Hauses Belfare

 

Cyrus schreckte hoch, als etwas die gesamte Stützkonstruktion des Zelts zum Beben brachte. Klirrend löste sich eine der ausgebrannten Glaslaternen, die von der Decke herab hängen und zersprang am Boden. Er musste nicht fragen, wer sie angriff, während er sich aufrichtete und seine Waffen suchte.

Der Schein von Feuern drang durch den dünnen Stoff der Zeltbahnen, die wenig daran taten, die Feuchtigkeit oder die Hitze des Tages abzuhalten. Die einzige Lichtquellen waren die Flammen draußen und eine fast heruntergebrannte Kerze, die glücklicherweise stehen geblieben war. Der Boden des Zelts war mit Stroh und verstreuten Habseligkeiten übersäht und er brauchte einen Moment um sich im Halbdunkel zu Recht zu finden.

 „Ein weiterer Ausfall?“, fragte einer der anderen  Männer im Zelt. Sie waren zu siebt. Nur zwei von ihnen kannte er beim Namen. Die übrigen fünf waren erst seit wenigen Tagen hier. Ersatz für die Gefallenen.  Cyrus hatte es schon vor einer Weile aufgegeben sich die Namen seiner Kameraden einzuprägen. Keiner von ihnen war so lange hier wie er. Und die wenigsten überlebten lange genug um zu merken, dass er kaum wusste, wie sie hießen.  „Verdammt, die Bastarde geben sich nicht leicht geschlagen, das muss man ihnen lassen. Gestern haben sie den Flügel der sechzehnten angegriffen. Sieht so aus als wären heute wir dran.“

„Und geschlagen sind sie noch lange nicht. Also raus da.“ Cyrus fand endlich sein Schwert und die Muskete, die er am Abend zuvor an einem der Pfosten der Hängematte gelehnt hatte. Die Erschütterung hatte das ganze verdammte Ding zusammenbrechen lassen und das allgemeine Chaos in dem viel zu kleinen Zelt noch verstärkt. Während die anderen noch Stiefle zuschnürten und Uniformen knöpften, stolperte der Wolf bereits ins Freie. Die Kleiderordnung der kaiserlichen Garde in den Kasernen und Festungen in Canton mochte streng sein doch hier, auf dem Schlachtfeld, galt vor allem das Überleben. Er riskierte lieber einem mies gelaunten Offizier in die Arme zu laufen als unter einem zusammengebrochenen Zelt begraben zu sein, während die Xihuitzin angriffen.

Die Waffen in der Hand stolperte er ins Freie. Die kühle, schwere Nachtluft schlug ihm entgegen. Es roch nach Teer, aufgeweichter Erde, Blumen die den nahen Dschungel überwucherten und…. Blut.

Cyrus sah sofort, was für die Erschütterung verantwortlich gewesen war.

Die Steinsoldaten. kamen. In langen Reihen, die sich vor der in der Finsternis nur als Silhouette erkennenden Pyramidenstadt aufreihten. Jeder ihrer Schritte erfolgte mit mechanischer Gleichartigkeit und brachte die Erde zum Beben, grub sich tief in den Schlamm des Lagers und zermalmte Palisaden und Zelte unter sich. Und Knochen.

Die Überreste ihrer Nachtwache lief im Schein  den Fackeln vor den Kreaturen davon. Ab und an wandte sich einer von ihnen um und feuerte Blind in die Nacht. Musketenkugeln prallten von den steinernen Körpern ihrer Gegner ab, ohne viel mehr als eine Kerbe zu schlagen. Die kleinsten waren nur so groß wie ein durchschnittlicher Erwachsener aber immer noch fast doppelt so breit. Im Dunkeln konnte man nur das sanfte glühen der in ihre Felsenkörper eingelassenen Kristalle sehen. Wie Adern, die jedoch kein Blut transportierten, denn diese Kreaturen lebten nicht, sondern reine, ungebändigte Magie. Die Essenz von Macht. Eine Macht, die der Kaiser wahrgenommen hatte. Und die seine Soldaten zu spüren bekamen.

Cyrus und die übrigen Männer, die einer nach dem anderen aus ihren Zelten gestolpert kamen, eröffneten das Feuer auf die Felsenkrieger. Eine Kugel mochte nicht viel ausrichten, aber einhundert brachten die leuchtenden Kristalle auf den Körpern dieser Kreaturen zum Erlöschen. Die Bewegungen der ersten Reihe der Steinkrieger wurden stockender, je mehr Juwelen zerbarsten und schließlich erstarrten sie ganz, nur um von den hinter ihnen folgenden Monstern zermalmt und zur Seite gestoßen zu werden.

Cyrus begann langsam zurück zu weichen, während andere versuchten ihre Waffen nachzuladen.

Nicht gerade ehrenhaft, aber so überlebte man hier, dachte er. Mit seinen siebzehn Jahren hatte er in den letzten Monaten zu viele  Menschen sterben sehen, weil sie versuchten den Helden zu spielen oder ihre Offiziere zu beeindrucken. Die Adeligen, die sich beweisen wollten, waren besonders schlimm. Idioten, die glaubte ihr Blut mache sie irgendwie unempfänglich für eine Kugel zwischen die Augen oder einen Steinfaust die ihnen die Beine brach und sie langsam verblutend im Gras zurück ließ.

Ein Heldenhafter Sturmangriff auf eine feindliche Stellung mochte in die Geschichtsbücher eingehen… aber der Grund dafür war nun einmal, das die meisten solcher Aktionen damit endeten, das die armen Narren in einem flachen Grab im Dschungel landeten.

Einem Mann viel der Ladestock aus den zitternden Händen, als ihn der erste Steinsoldat erreichte und wie eine Fliege bei Seite fegte. Bloß dass eine Fliege nicht dieses widerliche Geräusch von brechenden  Knochen und Organen an sich hatte, dachte Cyrus, der die Übelkeit nur schwer unterdrücken konnte. Er ließ die nutzlose Muskete fallen und zog das Schwert und das Messer aus seinem Stiefel. Er hätte auch einen Stock nehmen können, dachte der Wolf aber das Gewicht der Waffe hatte etwas Beruhigendes. Er war nicht ganz hilflos. Gegen  die größeren Konstrukte der Xihuitzin konnten selbst die imperialen Kanonen kaum etwas ausrichten, aber von denen hatte er bisher keine gesehen. Dafür jedoch die huschenden Schatten, die ab und an im Licht der magischen Kristalle ihrer Golems sichtbar wurden. Etwas jagte knapp an seinem Gesicht vorbei und blieb zitternd in einer Zeltstange stecken. Ein dünner, gefiederter Pfeil. Cyrus reagierte sofort und schleuderte das Messer in die Richtung aus der der Pfeil gekommen sein musste. Ein Schrei folgte aus der Dunkelheit, dann Flüche und mehr Rufe in einer Sprache die Cyrus nach wie vor nur Bruchstückhaft verstand.

Er machte sich nicht die Mühe nachzusehen ob sein Gegner wieder aufstehen würde. Die schatten haften Jäger Xihuitzins waren selten alleine unterwegs. Stattdessen wich er noch weiter in das Innere des Lager zurück, vorbei an irritiert oder verängstigt dreinschauenden Gesichtern. Viel zu jungen Gesichtern und den steinernen Mienen der Veteranen. Irgendwo schrien eine Handvoll Offiziere Befehle, versuchten die überraschten Männer zu organisieren, während die Felsenkrieger Zelte niederrissen, Pferde aufscheuchten und Menschen durch die Luft schleuderten oder zermalmten.

Wo blieben die Magier? Oder die Artillerie? Ihr Teil des Lagers lag an einem Hang und wenn Cyrus nicht alles täuschte müsste sich eine Anzahl Kanonen auf dem Gipfel des selbigen befinden. Das plötzliche aufflackern von Feuer beantwortete zumindest eine seiner Fragen. Einen kurzen Moment lang war das ganze Lager taghell erleuchtet, als ein Feuerball über die Köpfe der Kämpfenden und Fliehenden hinweg raste und eines der größeren Steinkonstrukte traf. Normale Flammen konnten einem lebenden Fels freilich wenig anhaben, doch magisches Feuer verhielt sich nicht wie gewöhnliche Flammen. Das grünliche Feuer sickerte wie Flüssigkeit in die Ritzen zwischen den quaderförmigen Steinblöcken der Kreatur und sprengte es von innen nach außen. Der entstehende Schrapnellregen zwang  Cyrus, sich hinter eines der Zelte in Sicherheit zu bringen. Im nächsten Moment war er auch schon dankbar dafür, als ein Pferd nur wenige Zentimeter an der Stelle vorbei preschte, an der er eben noch gestanden hatte. Aber irgendetwas stimmte damit nicht… Der Wolf rappelte sich wieder auf und sah verdutzt dem Mann auf dem Pferd hinterher, der scheinbar direkt auf die Reihen aus Steinkriegern zuhielt. Auch eine Möglichkeit Selbstmord zu begehen, dachte Cyrus bei sich, als ein weiteres dutzend Reiter aus dem Halbdunkel auftauchten und dem ersten Mann folgten. Ein jeder der Männer führte eine Lanze, an der ein im Dunkeln nicht erkennbares Banner wehte. Cyrus schüttelte den Kopf und fragte sich, welcher übereifrige Offizier diese armen Teufel in den Tod schickte. Was sollte ein Kavallerie-Angriff bitte gegen Wesen ausrichten, die weder Furcht kannten noch ein Schwert fürchten mussten? Die Steinkreaturen waren mächtige Kriegsmaschinen, aber eben nur dies. Maschinen. Sie verfügten nicht über die Intelligenz eines Menschen oder Gejarn. Es waren Zauber, die eine simple Aufgabe verrichteten, entweder bis diese erfüllt  oder sie zerstört waren.

Der erste der Reiter, der der Cyrus beinahe erwischt hätte, hatte nun die Felsenkrieger erreicht. Cyrus machte sich bereits auf das Übelkeit erregende Geräusch gefasst, wenn eine der Steinfäuste den Soldaten zwangsweise aus dem Sattel beförderte und seine Knochen brach. Stattdessen zog der Reiter das Schwert. Die auf der Klinge und am Heft  eingelassenen Runen schienen wie von selbst zu glühen. Die Schneide zerteilte den Fels wie Butter und trennte die Faust ab, die eben noch drauf und dran gewesen war, den Reiter zu töten. Lichtfunken stiegen von der glühenden Wunde auf und folgten der Flugbahn des Säbels der sich nun mitten in die Brust und das kristallenen Herz des Monsters bohrte. Der Reiter wurde nicht einmal langsamer, sondern riss sofort die Klinge zurück und wendete sich seinem nächsten Ziel zu. Dabei konnte Cyrus zum ersten Mal einen Blick auf sein Gesicht erhaschen. Oder das, was er stattdessen der Welt präsentierte. Eine goldene Totenmaske, die mit seiner übrigen Ausrüstung zu verschmelzen schien. Der goldene Mantel und die Rüstung schienen genauso alt und seltsam… unpassend. Sie gehörten nicht hierher, nicht auf ein Schlachtfeld voll Schießpulver und Kanonen. Das Metall schien fast fanatisch gut gepflegt, vor allem wenn man bedachte, dass sie sich inmitten von Dschungel und aufgewühltem Schlamm befanden.

Mittlerweile hatten auch die übrigen Reiter die Steinkrieger erreicht. Jeder trug den gleichen gold-gelben Mantel wie ihr Anführer nur ohne schwere Rüstung oder Masken und sie fegten hinweg, was die magische Klinge nicht bereits gefällt hatte.

Cyrus hatte natürlich von verzauberten Waffen gehört, so wie die meisten. Und wie die meisten, hatte er noch nie gesehen, welche Macht sie entfesseln können. Magie alleine war bereits fast unbezahlbar doch diese dauerhaft an einen Gegenstand zu binden erforderte Ressourcen und Methoden, die der Wolf sich nicht einmal vorzustellen wollte. Die wenigen magischen Artefakte in Canton, die sich nicht ohnehin in den Händen des Magierordens befanden, wurden meist von den alten Adelsfamilien verwahrt und hatten vermutlich seit der Zeit des ersten Kaisers kein Schlachtfeld mehr gesehen. Nein, die Fürsten Cantons spielten sich lieber damit als Offiziere auf und nahmen an Paraden weit ab der Grenzen teil, statt ihre Erbstücke einmal zu etwas nützlichem einzusetzen. Außer hier.

Cyrus fand es schwer, den Blick von dem Lichterspiel abzuwenden, das aufstieg, wann immer die Klinge des ersten Reiters eine der Steinkreaturen fällte und fragte sich wer diese Männer waren. Gesehen hatte er sie bisher noch nicht, also waren sie vermutlich erst seit kurzem hier. Vielleicht der übermutige Sohn irgendeines Fürsten, der sich beweisen wollte. Nun, Cyrus musste ihm lassen, das er ihnen heute Nacht vermutlich das Leben gerettet hatte, denn was von den steinernen Kriegern übrig war, wendete sich nun gemächlich um und versuchte, in Richtung der fernen Pyramidenstadt zu entkommen.

Die Reiterfolgten ihnen noch ein Stück und machten dann kehrt. Cyrus sah ihnen entgegen, während die Sonne langsam aufging und die Banner an ihren Lanzen enthüllte. Nicht der goldene Adler und der silberne Löwe Cantons, wie er erwartet hatte. Nicht das Doppelemblem der Kaiser. Es war ein Drache, ein schwarzes Monster das sich auf den Flaggen abzeichnete und ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Er kannte es. Aus Erzählungen, den auf den Schlachtfeldern Cantons wehte es seit Jahrhunderten nicht mehr. Oder fast. Cyrus suchte in der Gruppe von Reitern nach dem Mann mit der goldenen Totenmaske. Den Herrn der goldenen Garde. Den Lord Macon.

Der Teil des Lagers vor ihm lag in Ruinen. Einschlagskrater hatten Zelte verschluckt, Trümmer lagen überall verteilt und an einigen Stellen brannten außer Kontrolle geratene Feuer in den Überresten. Eine Mondlandschaft. Alles war so schnell vorbei gewesen, dass es ihm jetzt, in der einsetzenden Stille, beinahe unwirtlich vorkam.

Stille, die jedoch nicht lange anhielt. Die Rufe der Sterbenden und Verletzten klangen selbst über das dröhnen in seinen Ohren, das die Geschütze hinterlassen hatten. Er vermied es, sich nach ihnen umzusehen. Die Wunden die Kanonen und Steinfäuste hinterließen waren furchtbar  und er hatte schnell gelernt, dass es ihm half, sich nicht zu sehr damit zu beschäftigen. Wie viele dieser Männer die heute unter ihren eigenen Waffen gestorben waren, waren Freiwillige gewesen? Menschen und Gejarn, die geglaubt hatten, hier in der Fremde ihrem Kaiser zu dienen, vielleicht ein paar Abenteuer zu erleben und dann mit Gold in den Taschen in die Heimat zurück zu kehren. Die Wahrheit sah freilich anders aus. Immerhin da hatte er sich nie Illusionen gemacht. Im Gegensatz zu ihnen. Er würde hier sterben. Dessen war er sich gewiss. Irgendwo im Ringen um die Pyramidenstadt, die jetzt im Licht der aufgehenden Sonne Blutrot leuchtete. Oder auf dem nächsten Schlachtfeld. Oder dem übernächsten. Einen Ausweg gab es für ihn nicht. Aber immerhin würde er nicht sterben, wie die armen Männer, die man heute nicht unter den toten oder verwundeten finden würde. Es gab immer welche. Welche die die Steinmänner mitnahmen. Und hinter den Mauern von Xihuitzin gab es schlimmere Schickale als den Tod.

4. Kapitel: Kapitel 2 Damotes

 

Damotes versuchte die Schreie zu ignorieren, während er die Zeltstadt beobachtete, die sich um die Mauern der Stadt erstreckte. Rauch kräuselte sich über dem Lager, stieg von den Feuerstellen der kaiserlichen Armee auf. Der Angriff der letzten Nacht hatte nicht einmal eine sichtbare Bresche in das Gewirr aus Planen, Leinen und kleinen Versorgungsgebäuden geschlagen, die in den letzten Monaten und Wochen um die Stadt herum entstanden waren.  Die Farmen und kleineren Siedlungen, die die großen Pyramiden einst umgeben hatten, waren längst Teil des Belagerungsrings geworden und dienten nun ebenfalls als Unterkunft für die Soldaten Konstantins oder waren bis auf die Grundmauern nieder gebrannt, wo ihre Bewohner wiederstand leisteten und nicht hinter die sicheren Mauern geflohen waren.

Aber es war nicht das Lager, das seine Aufmerksamkeit an diesem Morgen auf sich gezogen hatte. Und auch nicht die sich endlos in alle Richtungen erstreckenden Baumwipfel, die sich sanft im Wind hin und her wiegten und deren Rauschen unachtsame Reisende oft für Stimmen hielten. Stimmen, die im nirgendwo verhallten und sie von den wenigen, sicheren Pfaden unter ihrem Blätterdach lockten. Hinein in das undurchdringliche Dickicht, das sich selbst hinter den gewaltigen Versorgungslinien der kaiserlichen Armee wieder schloss und mehr als eine ihrer Karawanen verschlungen hatte.

Es war etwas anderes. Etwas, das mit dem Horizont zu tun hatte. Damotes konnte noch nicht sagen was, aber mittlerweile war er sich sicher, dass es sich nicht um eine Sinnestäuschung oder eine ungewöhnliche Wolkenformation handelte. Am Horizont, jenseits der grünen Wipfel, war ein Schatten. Und er bewegte sich.  Nicht mit dem rhythmischen aufstäuben eines großen Vogelschwarms oder der schwebenden Eleganz eines Raumvogels, sondern gleitend, langsam… und unverkennbar näher kommend.

Damotes ließ das Fernglas sinken. Ein Geschenk der Archonten an ihn, vergoldetes Metall, in das eine Vielzahl feiner Runen geätzt waren… und das den Makel der Magie mit sich brachte. Zweifelsohne ein Stück aus den gewaltigen Archiven, die sich unter dem Sitz der Archonten und bis in das Grundgestein auf dem Helike stand erstreckten. Er mochte es nicht. Doch der Nutzen überwog seine persönliche Abscheu. Er mochte ohnehin nichts in dieser Stadt.

Damotes sah zu wie die magischen Fackeln unten in den Straßen mit Einbruch des Tages erloschen. Eine nach der anderen, während das Licht der aufgehenden Sonne sich seinen Weg die monumentalen Stufen der großen Pyramidenstadt hinauf suchte, bis hin zu ihrer Spitze, wo der Wind so schneidend Kalt war, das die drückende Hitze, die unten in den Straßen herrschte, nur eine ferne Erinnerung war.

Wenn er nach oben sah, zum Schlussstein von Xihuitzin war ihm als könnte er die Hand ausstrecken und die Wolken berühren.

Die Stadt war gewaltig, größer und auslandender selbst als Helikes innere Stadt und der große Obsidianturm der Archonten, gebaut aus Steinen, die aus Bergen gehauen schienen, welche die einzelnen Terrassen von Xihuitzin formten, die immer weiter in die Höhe stiegen, jede einzelne begrenzt von ihren eigenen, zyklopischen Mauern und den Rampen, die zur nächsten höheren Ebene führten. Ganz unten auf der breiten Plateauebene drängten sich die Gebäude, hohe Steinbauten, deren Architektur der Schwerkraft zu trotzen schien mit Strohdächern und leeren Fensterhöhlen hinter denen das rußige Licht von Kerzen brannte. Die einfache Bevölkerung lebte hier, die Bauern die die auslandenden Felder vor den Mauern der Stadt bestellten, bevor diese unter den Stiefeln der kaiserlichen Armee zertrampelt worden waren, Diener, halbfreie Sklaven und jene, die keine Beschäftigung fanden. Und so schwindelerregend und verwinkelt die Unterkünfte und Türme auch waren in denen sie Unterschlupf fanden, keiner reichte bis an die nächste Ebene heran. Als wollte man verhindern, dass die unteren einen Blick in das Leben derer erhielten, die über ihnen standen. Und über allem thronten die Priester und die Kammer der zwölf, direkt unter dem Schlussstein der Stadt.

Xihuitzin ließ sich nur mit einem Wort beschreiben. Monolithisch. Und er sollte all das verteidigen… Womit? Nicht einmal mit blindem Glauben und Hoffnung. Er kämpfte für nichts an diesem Ort, genau so wenig wie einer seiner Männer, wie ihm immer wieder schmerzhaft bewusst wurde. Was Helike hatte überdauern lassen, waren nicht bloße Nummern. Nicht bloßer geformter Stahl. Es waren die Männer die ihn führten, angefangen von Laos  bis hin zu den heutigen Schwertmeistern. Überzeugung. Disziplin. Und schiere Willenskraft. Xihuitzin spiegelte nichts davon wieder.

Und was war ein Paladin der ohne Überzeugung kämpfte? Ein Schwert und eine Rüstung. Nichts mehr. Genauso gut hätte er eines der steinernen Konstrukte sein können, die die Mauern der Stadt anstelle ihrer Bewohner patrouillierten.  Hätte Damotes die Wahl gehabt sich von diesen… Kreaturen oder einer Bande Söldner unterstützen zu lassen… Letztere konnte man immerhin mit genug Gold inspirieren. Sie waren nicht einfach nur leere Hüllen, egal wie mächtig sie erscheinen mochten. Auch Drachen waren mächtig, schienen für das ungeübte Auge sogar unbezwingbar. Schwerter glitten an ihren Schuppen ab wie an Stein und selbst Mytrhil bot nur unzureichend Schutz vor den Klauen eines solchen Monsters. Und keinen vor ihrem Feuer. Und doch hatte er mehr als eine der gewaltigen Echsen vom Himmel stürzen und unter den Klingen und Speeren der Paladine ausbluten sehen. Doch die letzte große Schlacht gegen ihre alten Erzfeinde war nun Jahrzehnte her. Damotes Haar war grau geworden und jene lebenden Helden von damals die Legenden der heutigen Generation.

Und der  Kaiser war eine ganz andere Art von Bestie. Eine mit tausenden Köpfen und Erscheinungen. Und sie alle brandeten nun gegen die Mauern der großen Pyramidenstadt. Nur eine noch nicht…

Damotes wollte erneut das Fernglas heben, wurde jedoch mitten in der Bewegung unterbrochen, als eine Stimme hinter ihm, seine Aufmerksamkeit auf sich zog.

„Lord Damotes….“ Er hätte die Kreatur, die aus einem dunklen Winkel der Mauern auftauchte, fast aus Reflex geköpft. Nur zwei Dinge retteten das Leben der in eine zerlumpte Robe gehüllten Gestalt. Erstens, es war klein. Ein guter Kopf kürzer als selbst die kleinsten Menschen und Damotes Klinge hätte nur Luft getroffen, selbst wenn er die Waffe nicht in der Drehung abgefangen hätte. Zweitens… Er kannte die Stimme. Kratzig und doch dünn, unangenehm und irgendwie nicht richtig. Natürlich kannte er keine Namen. Niemand in dieser Stadt machte sich die Mühe, sich an den Namen eines Kobolds zu erinnern.

Das Wesen, das vor Damotes stand ging ihm gerade einmal bis zur Brust. Was vom Gesicht unter einer grell bemalten Porzellanmaske sichtbar war, die die gesamte untere Gesichtshälfte bedeckte, wurde von zwei großen, gelblichen Augen beherrscht, die auf nichts Bestimmtes gerichtet schienen. Ein Amulett mit einem bläulich schimmernden Stein hing an einer Kette um den Hals des Wesens, das Licht darin schien langsam zu pulsieren. Dünne Finger, die in mit Metall beschlagenen Handschuhen steckten, fischten eine versiegelte Papyrusrolle unter dem weiten Mantel hervor, den der Kobold trug. Damotes nahm sie ohne ein Wort entgegen, achtete dabei jedoch peinlichst darauf, dass seine Finger nicht die der Kreatur berührten. Kobolde riefen das gleiche, unangenehme Kribbeln in seinem Körper wach, wie die Golem-Konstrukte, die die Stadt verteidigten und er musste dem Drang wiederstehen, den nächsten Brunnen zu suchen, um sich die Hände zu waschen. Es war nicht ihr Aussehen, das ihn abstieß. Ohnehin hatte er außer Augen und grünlicher Haut, die von dünnem, roten Haar oder Fell bewachsen war, noch nicht viel von den geheimen Boten Xihuitzin gesehen. Und Zähne, dachte er. Scharfe Zähne. Der Rest verschwand unter bunt bemalten Porzellan-Masken und weiten Roben, die viel Raum für Briefe, kleine Päckchen und geschickte Finger boten.  Für die Einwohner der großen Pyramidenstadt waren Kobole so alltäglich, wie anderswo Brieftauben. Und manchmal genauso störend, wie Schwärme der selbigen. Sie bewegten sich in den niedrigen Gängen und Korridoren,  welche die Mauern durchzogen und Straßen wie Kanäle untertunnelten und in die sich nur die mutigsten der Kinder Xihuitzin verirrten. Und man konnte sicher sein, dass alles, was nachts auf den Straßen zurück blieb, am nächsten Morgen in den Tunneln verschwunden sein würde. Es war eine Stadt unter und in der Stadt, die jeden Winkel, jede Straße durchdrang. Und da nur die wenigsten Leute es nötig sahen, Kobolde für ihre Botengänge zu entlohnen, nutzen jene jede Gelegenheit sich an tatsächlichen oder vermeintlich herrenlosen Gütern zu bereichern.

Damotes wendete der Kreatur den Rücken zu und brach das Siegel an der Schriftrolle. Sein Gesicht verfinsterte sich und einen Moment überlegte er, die Nachricht einfach zu ignorieren. Es war so typisch für die Priester, ihm lieber eine Nachricht zu schicken, anstatt das sich einer von ihnen auf den Weg die Stufen der Pyramide hinab machte um mit ihm zu sprechen. Von den zwölf, die auf der Spitze von Xihuitzin thronten ganz zu schweigen.

Er ließ das Pergament fallen und drehte sich zu dem Kobold um.“ Ich nehme an, mein Sohn  ist bereits vor Ort?“ Natürlich erhielt er keine Antwort. Wenn diese Kreaturen eines konnten, dann geheimnisse bewahren. Sie sammelten sie, wie eine Ratte Flöhe ansammeln mochte. Es war ihre Lebensgrundlage in dieser Stadt. Damotes machte eine wegwerfende Handbewegung und der Kobold verschwand in der gleichen Nische aus der er aufgetaucht war, irgendwo in den Schatten. Wüsste Damotes nicht, das es einen Durchgang geben mochte, er hätte nicht einmal eine Ahnung, wo er anfangen sollte zu suchen. Immerhin, sollte die Stadt fallen, würde dies auch den Untergang der Stadt unter der Stadt bedeuten. Das war etwas.

Langsam machte er sich auf den Weg, die steilen Treppen hinauf zur Spitze der Pyramide, hinauf durch ausladende Gärten und vorbei an Wasserspielen, in denen sich das Licht der Morgensonne brach und kleine Regenbögen entstehen ließ. Unten jedoch, in der Tiefe, rannten weiterhin die Armeen des Kaisers gegen die Mauern an. Mit dem beginnen des neuen Tages begann auch die Belagerung erneut. Erste Kanonenschüsse hallten heran und Kugeln schlugen in die Mauern oder in die dicht an dicht stehenden Häuser des untersten Bezirks ein. Magische Flammen erloschen in den Straßen und ließen nur den Morgennebel zurück, der jedoch nicht einmal die Hälfte der Pyramide erreichte. Damotes stand jetzt bereits der Schweiß auf der Stirn. Dennoch machte er keine Anstalten, langsamer zu werden. Helike war heiß, dachte er. Die nahe Wüste brachte oft Sandstürme mit sich und mehr als ein leichtsinniger Rekrut verlor in voller Rüstung das Bewusstsein, wenn die Sonne das Metall aufheizte. Doch die Hitze hier war anders. Selbst die weiten, roten Mäntel der Paladine boten davor keinen Schutz und die Luft wirkte schwer, beinahe zähflüssig. Trotzdem hatte Damotes darauf verzichtet, einen Teil seiner Rüstung los zu werden. Wenn es eines gab, das man ihm von Kindesbeinen an eingebläut hatte, seit dem Tag an dem er den langen Weg der 100 Prüfungen beschritten hatte, dann war das, dass es so etwas wie Sicherheit in einem Krieg nicht gab. Ein Paladin lebte für einen Zweck. Sich den Feinden der Archonten in den Weg zu stellen. Durch einen Querschläger oder Schrapnell zu sterben, weil es bequemer war die Rüstung abzulegen war das genaue Gegenteil davon. Es war eine Verschwendung. Und es gab einen feinen Unterscheid dazwischen, zu erwarten das Männer für einen starben… und sie zu verschwenden, weil man ihrer Bequemlichkeit nachgab.

Das Mythril glänzte in der Sonne und die Schatten der hoch aufragenden Steinbauten griffen wie Klauen nach den unteren Ebenen, beinahe wie die Finger einer gewaltigen Hand. Als er den Namen Xihuitzin das erste Mal gehört hatte, hatte er gelacht. Gelacht über die Beschreibungen und die Verehrung mit dem die Abgesandten von ihrer Heimat sprachen, als sie in der inneren Stadt Helikes standen. Und noch mehr gelacht, als sie ihm sagten, was der Name bedeutete. Inzwischen lachte er nicht mehr. Nicht mehr seit er die Stadt das erste Mal gesehen hatte und die Pyramidenspitze in der Ferne in den Wolken verschwand. Jedes rechteckige Segment der großen Anlage erhob sich so hoch wie die Stadtmauern von Helike und jedes einzelne hätte Platz für einen Bezirk oder ein Viertel der Unterstadt geboten. Grünliche Flammen, die scheinbar aus dem nichts aufstiegen, erhellten Nachts die Straßen und erloschen jeden Tag pünktlich mit dem Tageslicht. Und mit dem Tageslicht kehrten auch die Jäger von ihrem Ausfall zurück. Zusammen mit ihrer Beute. Die Schreie, die Damotes bisher so sorgsam ausgeblendet hatte, wurden lauter, je weiter er sich der Spitze der Pyramide näherte. Er wusste, was ihn erwartete.

Xihuitzin war die Stadt der Götter und Wunder. Und die Götter brauchten Blut.

 

 

 

5. Kapitel: Kapitel 3

Kapitel 3

 

„Ich bin Eisen.“ Er wiederholte die Worte wie ein Mantra, während er zusah, wie man den Mann ins Licht brachte. Ein kümmerliches Licht, trotz seiner Herrlichkeit. Ein einzelner Strahl, der durch ein Gitter am Schlussstein der Pyramide einfiel, durch ein dutzend Prismen aus poliertem Kristall, die ihn bündelten, bis eine beinahe… fest erscheinende Säule entstand, die den Rest des Raumes nur umso düsterer erscheinen ließ. Die Kammer der Hohepriester war gewaltig, mehr eine Höhle als ein Gebäude so schien es. Die Decke der Kammer war hoch genug, das ein dutzend  gigantische Steinerne Wächter mühelos unter ihr Platz fanden, jeweils sechs am Nord und Südende der Halle. Sie waren reglos, die Kristalle in ihren Augen und Herzen dunkel, doch ein jeder hätte wohl mühelos über die äußeren Mauern von Xihuitzin geragt. Zwölf Throne ragten um den Kreis aus Licht herum auf, drei in einem inneren Ring angeordnet und neun weitere weiter außen. Von den Gestalten auf den neun äußeren Thronen waren nur Schatten zu erkennen und Priam wusste, das selbst aus der Nähe nicht mehr zu sehen gewesen wäre. Die blauen Roben, nicht unähnlich jener, die er selber trug verbargen Gesichter und Körper und ein Teil von ihm war froh darum. Er wollte nicht wissen wie diese Menschen aussahen… wenn sie den Menschen waren. Sie bewegten sich wie welche und Sprachen auch so aber was er von ihnen spürte… Priam schüttelte den Kopf. Macht. Bedrohung. Eine Kälte und das beständige Gefühl das seine Gliedmaßen einschliefen, wenn er sich ihr länger aussetzte. Er hatte gelernt sich der innersten Kammer der Pyramidenstadt nur vorbereitet, doch selbst mit den Abschirmungen zehrte dieser Ort an seinen Nerven… und rief die Stimmen herbei. Undeutliches Flüstern, Worte in einer Sprache die er nicht verstand, wenn es denn eine war und nicht nur das Nebenprodukt seines langsam zerfallenen Verstands. Nein, Priam wollte nicht wissen, was sich unter den fließenden, blau silbernen Roben der Hohepriester verbarg. Und was die Gestalten auf den inneren drei Thronen anbelangte… Priam sprach mit niemanden darüber, hatte nicht einmal Damotes davon erzählt, aber ein Teil von hm war sich sicher, sollte einer der drei ihn auch nur berühren, er würde den Verstand verlieren.

Die drei trugen nicht die schlichten Roben der restlichen Hohepriester, sondern Panzerungen, die wie aus grünem Glas gefertigt wirkten. Metall-Gelenke verbanden die einzelnen Platten zu einem weiten Umhang der bei jeder noch so leichten Bewegung seines Trägers, jedem Windhauch leise klirrte. Weite Kronen, die aus demselben, glasartigen Material gefertigt waren ragten über ihren Köpfen auf und Mosaiksplitter formten einen weiten Heiligenschein, in dem sich jedoch kein Licht zu fangen schien. Alle drei Hohepriester saßen regungslos da, starrten in das Licht und warteten. Priam wusste aus Erfahrung, dass die Säule einen blendete und die unbedeckten Gesichter der drei verbarg. Nur einmal hatte er geglaubt einen kurzen Moment so etwas wie ein Gesicht zu sehen, vor Monaten, als er und die übrigen Abgesandten aus Helike die Stadt das erste Mal betreten hatten. Und was er gesehen hatte, war definitiv nicht menschlich gewesen. Oder zumindest… nicht völlig. Das Gesicht hatte zu ätherisch gewirkt, die Züge feiner als was er für möglich gehalten hätte und in ihrer Perfektion umso beunruhigender. Perfekt, bis auf die blasse Haut, die dünn wie Pergament und uralt wirkte und  Adern durchschimmern lies und das leichte zittern, das ständig jeden Nerv zu durchlaufen schien. Es erinnerte ihn an das Zittern eines Tieres, das langsam ausblutete… starb. Und doch war das Gefühl der Macht das von diesen Wesen ausging überwältigend. Wie konnte etwas so mächtig sein… und doch den Anschein erwecken das es im Sterben lag? Konnten die zwölf überhaupt ihre Throne verlassen oder würden sie schlicht zu Staub zerfallen, nach all den Jahren und Jahrzehnten die sie hier in der Finsternis gewartet hatten. Aber wie kam er auf die Idee dass sie auf etwas warteten?

„Sie warten auf den richtigen Moment sich wieder zu erheben. Warten auf andere.“ Priam hätte beinahe laut aufgeschrien. Die Stimme kam von niemand im Raum, sie war in seinem Kopf, in seinen Knochen. Einen Augenblick lang hatte er sich ablenken lassen, hatte nicht auf seine mentalen Barrieren geachtet. Die innere Halle von Xihuitzin war voller Stimmen und Flüstern. Er hatte es schon früher gehört. An anderen Orten, aber selten so stark, als würden sich die Geister von Millionen in dieser kleinen Kammer konzentrieren. Lauern, genau wie die Zwölf auf ihren Obsidiansitzen. Worauf? Er schob die Frage als unwichtig beiseite, während er wieder begann seine leise Litanei herunter zu beten. „Ich bin Eisen. Außen aus Schmiedefeuer, Innen aus Willen.“ Er war kein Krieger, kein geweihter Paladin oder gar Schwertmeister wie sein Vater. Aber er war ein Archivar. Er war die Stimme von Laos Gesetz und er würde sich nicht entehren, in dem er sich von ein paar Geistern einschüchtern ließ. Trotzdem bereute er es, als Damotes Vertretung hier zu sein. Sein Vater hatte keine Geduld für die Riten dieser Stadt, geschweige denn Verständnis.  Helike kannte Geister und Magie und die Zerstörung die sie mit sich brachten. Und sie hatten sie überwunden. Und er war ein Teil Helikes. Priam zwang seine Aufmerksamkeit ins hier und jetzt zurück, zurück zu dem Schauspiel, das sich in dem Kreis aus Licht vor den Thronen abspielte.

Der letzte Gefangene war anders als die anderen. Die anderen waren Offiziere gewesen, manche auch einfache Soldaten, die man während der nächtlichen Ausfälle auf die Lager der kaiserlichen Armee gefangen genommen hatte. Männer und Frauen in den gelb-blauen Uniformen des Kaiserreichs. Insgesamt zwanzig waren es diesmal gewesen, die man vor den Stufen des inneren Tempels geopfert hatte. Priam hatte dabei zugesehen, zugesehen, wie die niederen Priester ihre Kehlen öffneten und Blut auf Altäre und schwere, bronzene Opferschalen fließen ließen. Blut, das durch eine Unzahl dünner Kanäle und Kapillaren ins Innere des Bauwerks strömte und sich einem Becken im Zentrum der Lichtsäule sammelte, wo einige der niederen Priester es auffingen und unter Gesängen und dem Geruch von Weihrauch nach draußen trugen. Vermutlich um den Blutgestank zu überdecken, während sie ihre Rituale abhielten. Rituale… Das war etwas, an das er sich in dieser Stadt hatte gewöhnen müssen. Statt der klaren Regeln Helikes war schien hier alles mit einem Nebel aus Mystik und  Anbetung überzogen. Selbst die kleinsten Handlungen, wie der Verkauf  oder die Zubereitung von Lebensmitteln wurden von ritualistischen Grußformeln oder Gesten begleitet. Und doch konnte Priam nie den Eindruck abschütteln, dass das alles falsch war. Nicht weil es nicht den lehren von Laos entsprach. Nein, es wirkte zu… künstlich, zu aufgesetzt als ob die Rituale die sie vollzogen nicht zu diesem Volk gehörten. Und je länger er in der Gegenwart der Hohepriester war, desto stärker wurde diese Überzeugung. Wesen die durch ihre bloße Anwesenheit Schrecken auslösen konnten, brauchten keine Götter besänftigen um Macht auszuüben. Diese Stadt war auf eine Art voller Wunder und selbst wenn Laos Lehren dies leugnen mochten, Priam konnte anerkennen, dass sie etwas Schönes waren. Und doch stand im Herzen von allem, dieser Schrecken hier.

Was nun jedoch geschah schien diesen Nebel zum ersten Mal seit Priams Ankunft vollkommen  zu zerstreuen. Denn dieser Mann war anders. Genauso geschlagen und abgekämpft wie seine Vorgänger aber älter wie es schien. Lange grau melierte braune Haare, die so gar nicht der strikten Kleiderordnung der kaiserlichen Garde entsprechen wollten, ein Gesicht das von Sorgenfalten und wettergegerbter Haut gezeichnet wurde… und Augen. Priam wusste nicht was, aber irgendetwas daran bescherte ihm eine Gänsehaut, als der Blick des Mannes einen Herzschlag lang auf ihm lag. Als ob diese eisblauen Augen alles in ihm gesehen hätten. Seine Gedanken, seine Motivation, selbst die Dinge die er sich selbst nicht über sein Wesen eingestehen wollte. Der Eindruck währte jedoch nur einen Augenblick lang, dann war da nur wieder der alte Mann, der von zwei in weite, grüne Roben gehüllten Gestalten hereingeleitet wurde. Die anderen Männer hatte man geschleift. Manche hatten nicht gehen können, entweder weil sie während der Schlacht verwundet worden waren oder sich so lange wehrten bis einer ihrer Entführer ihnen die Beine brach.  Für die Götter Xihuitzins zählte der Zustand des Körpers nichts. Nur ihr Blut. Der Neuankömmling jedoch ging aufrecht und auch wenn ihm Abscheu und Angst ins Gesicht geschrieben standen, wurde er nicht langsamer und ging seinen Bewachern sogar ein Stück voraus.  Er trug ein Gewand das aus grob gearbeiteten pelzen und Häuten gefertigt schien und geradezu einen barbarisch Anmutenden Kontrast zu den sauber gearbeiteten Uniformen der kaiserlichen Garde bildete.

Trotz der Angst auf seinem Gesicht war die Stimme des Mannes erstaunlich ruhig, beinahe sogar gelangweilt, als er schließlich im Zentrum der Lichtsäule stehen blieb, nur einen Schritt vor dem Blutbecken.

„Was wollt ihr?“ Sein Blick wanderte kurz über jede der zwölf Gestalten, bevor er erneut an Priam hängen blieb und schließlich dort hängen blieb, wo sich das Gesicht eines der drei innersten Hohepriester befinden mochte. Priam ging davon aus, das der Mann nicht mehr sah als er selbst. Blendendes Licht, das alle Züge verschwimmen ließ und schmerzte, wenn man zu lange auf eine Stelle blickte.

Einer seiner zwei Bewacher trat ihm in die Kniekehlen und zwang ihn damit zu Boden. „Ihr werdet die Hohepriester mit dem gebührenden Respekt ansprechen, Kreatur.“

Der Fremde gab etwas von sich, das wie ein Schmerzensschrei und ein unterdrücktes Lachen gleichzeitig klang.

„Ich bin die Kreatur hier, ja?“ Er machte keine Anstalten sich wieder zu erheben, sondern blieb auf den Knien und sah erneut zu den zwölf Gestalten auf ihren Thronen. Wenn er auf eine Antwort gehofft hatte, so erhielt er keine. Zumindest nicht von einem der Hohepriester.

„So wird es gelehrt. Die Priester haben uns vor eurer Art und euren Lügen gewarnt.“ Wieder einer der Wächter. Priam runzelte die Stirn. Was geschah hier gerade? Der kniende Mann sah nicht aus als gehöre er zur kaiserlichen Garde oder den Einwohnern Xihuitzin. Und aus Helike stammte er ganz sicher nicht. Erneut musterte er den fremden und konzentrierte sich diesmal auf die feinen Details, die Felle aus denen seine Kleidung bestand, die seltsamen Ketten und Talismanen um seinen Hals… Er hatte so etwas schon einmal gesehen. In Helikes Archiven, irgendwo in den langsam zerfallenden Schriftrollen und Folianten unter dem schwarzen Turm der Archonten. Angeblich lag hinter dem Kaiserreich nichts als eine endlose Einöde aus Eis und Schnee, so wie sich hinter Helike scheinbar nur noch die Wüste erstreckte. Und doch gab es jene, die in diesen Einöden überleben konnten. Die Whaid in den endlosen Sanddünen. Und in der Tundra Cantons… Dieser Mann war ein Eisnomade!  Allerdings beantwortete das weder die Frage wie jemand wie er hierher kam, noch wieso er die Hohepriester scheinbar… kannte? Und verachtete.

„Ihr seid Scharlatane.“ , spie der Eisnomade. „ Das einzige was ich nicht verstehe ist, wieso ihr euch versteckt. Vor was, das ist mir allerdings klar. Also noch einmal. Was wollt ihr?“ Ein dünnes Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Möchtet ihr erfahren, wie ihr sterben werdet?“ Und bei diesen Worten wanderte sein Blick erneut zu Priam. „Ich weiß es. Ich weiß auch wie mein Ende aussehen wird.“

„Wo ist der Kaiser?“ Die Frage schien von keinem der zwölf Hohepriester direkt zu kommen. Die Stimme war dünn, schneidend wie eine Klinge aber gleichzeitig  kräftiger als Priam vermutet hätte. Es war das erste Mal, das sich einer der Hohepriester dazu herab lies, direkt in seiner Gegenwart zu sprechen, statt über Diener oder Boten zu kommunizieren. Normalerweise schienen sich die zwölf nur flüsternd mit ihren engsten Vertrauten zu unterhalten oder genauso leise untereinander, selbst in Damotes Gegenwart hatten sie kaum ein Wort mit ihren verbündeten gewechselt. Und nun schaffte ein Fremder Barbar es, dieses seltsame Ritual mit seiner bloßen Anwesenheit zu durchbrechen. Und dann die Frage…

Der Eisnomade schien beinahe amüsiert. „Ein interessanter Plan, den ihr da habt.“ , meinte er. „Ich glaube ich verstehe. Darum geht es euch also. Vielleicht sage ich euch sogar was ihr wissen wollte, wenn ihr mir zuerst eine Frage beantwortet. Wie ist es so, zum ersten Mal seit Jahrhunderten wirklich Angst zu spüren? Ihr wisst, dass ihr die letzten seid und dass er euch finden würde. Und jetzt ist es fast zu spät. Aber es wird nicht der Kaiser sein, der euch zerstört. Der Kaiser mit auf dem Weg hierher. Und er wird hier fallen.“

6. Kapitel: Kapitel 4

 


Mit einem Ruck löste Cyrus das Messer aus der Brust des gefallenen Mannes. Wenn man das Wesen vor ihm denn einen Mann nennen konnte. Cyrus nahm sich Zeit den Toten zu betrachten. Zumindest war er sich ziemlich sicher, dass er tot war. Das Messer war ein Glückstreffer gewesen und es zu werfen ein Risiko. Aber nun… er hatte wieder einmal Glück gehabt wie es aussah. Manchmal musste man eben darauf vertrauen dass alles gut wurde. Etwas anderes blieb einem auch nicht übrig, wenn man an diesem Ort nicht verrückt werden wollte. Er trat das Wesen vor ihm in die Seite. Es bewegte sich nicht. Seine Haut war Schwarz, aber nicht in dem Sinne wie es die Haut der Bewohner von Lasanta war, jener Hafenstadt von der aus sie sich ursprünglich Eingeschifft hatten um den langen Weg nach Süden anzutreten. Er konnte sich noch gut an die fremden Eindrücke erinnern, den Geruch von Gewürzen, die bunten, leichten Gewänder, die gigantischen Lagerhäuser am Hafen, die der rege Handel hervorgebracht hatte und die endlosen Reihen aus Schiffsmasten,… Nichts im Vergleich zu den mit schlamm verschmierten, grauen Zelten und endlosen Reihen aus Barrikaden und Sandsäcken, die sich um ihn herum erstreckten. Trotz der wichtigen Stellung, die ihre Provinz im Kaiserreich einnahm, blieben die dunkelhäutigen Einwohner Lasantas meist in ihrer großen Stadt am Meer und überließen es ihren weitreichenden Händlergilden die Geschäfte vor Ort zu übernehmen. Dieser Mann hier vor ihm, gehörte nicht zu ihnen. Seine Haut schien das Licht komplett zu schlucken, bis auf wenige Stellen, wo sie es irisierend in allen Farben des Regenbogens brach. Es war keine Farbe, sondern eine Art schuppiger Belag, der nicht natürlichen Ursprungs sein konnte. Und wie Cyrus wusste, seine Farbe wechseln konnte, bis der Krieger, der sie trug beinahe unsichtbar wurde, besonders bei Nacht oder im dichten Blätterwerk des Dschungels. Die Schuppen waren hart und fühlten sich beinahe wie Stein an, als wäre der Träger nur ein weiterer Golem, eine weitere Felskreatur. Die Schattengarde… die Kriegerelite von Xihuitzin, so hieß es. Auserwählt und irgendwie… verändert von den Hohepriestern deren Tempel sich in der Ferne abzeichneten. Neben seiner Schuppenhaut trug der Mann nur einen simplen Lendenschurz um seine Tarnung nicht zu gefährden. Und eine Axt, die neben ihm zu Boden gefallen war. Cyrus hob die Waffe vorsichtig auf und musterte sie kurz. Der Griff war aus dunklem Holz gefertigt und mit Leder umwickelt. Der Kopf schien aus einer Art Glas zu bestehen. Schwarz, wie die künstliche Haut seines Besitzers und Messerscharf. Cyrus wagte es nicht einmal die Schneide zu prüfen. Er wusste, zu was die Obsidianklinge eines Schattenkriegers in der Lage war. Doch wo das vulkanische Glas sonst schnell stumpf geworden wäre, blieben diese Schneiden scheinbar scharf und brachen selbst dann nicht, wenn sie auf cantonschen Stahl trafen. Ohne lange nachzudenken, hakte der Wolf die Axt unter seinen Gürtel, neben das zurückerlangte Messer, und stand auf.

Das Chaos der letzten Nacht war noch nicht ganz beseitigt. Einige Zelte hatten Feuer gefangen und in den unteren Rängen es Lagers waren noch immer Männer damit beschäftigt, Glutnester auszutreten oder vereinzelte Flammen mit nassen Decken zu löschen. Andere hatten sich in der morgendlichen Kühle, die mit dem Nebel aus dem Dschungel aufstieg um die Kochfeuer gesammelt. Cyrus konnte Kaffee riechen.  Die Männer hatten sich den Prozess die Bohnen zu rösten, die hier Wild wuchsen, von den Einwohnern des Landes abgeschaut und schnell zu schätzen gelernt. Besonders nach einer durchwachten Nacht mit wenig Schlaf. Cyrus schüttelte sich bei dem Gedanken. Es roch gut. Aber das Gebräu daraus schmeckte bitter und im Gegensatz zu vielen der Männer hatte er keinen Geschmack dafür entwickelt. Eigentlich, so dachte er, hatte er noch keinen Gejarn davon trinken sehen.

Langsam machte er sich auf den Weg zurück zu den Zelten seiner Kompanie, vorbei an weiteren Kochfeuern und verschlafenen Gesichtern. Renner und Boten liefen umher und tauschten Nachrichten aus anderen Bereichen des Lagers oder die neuesten Befehle aus. Offenbar hatte es auch noch Angriffe auf der anderen Seite gegeben, aber sie hatten diese Nacht die Hauptwucht des Ausfalls abbekommen. Einige Männer standen Wache, doch nicht viele. Bisher waren sie noch nie Tagsüber nagegriffen worden und so waren die Posten nur ein Vorwand. Ein Vorwand, damit sich die Männer sicher fühlten, dachte Cyrus. Aber es gab hier keine Sicherheit. Tote und Verletzte der letzten Nacht waren längst fortgebracht worden, an die verhältnismäßig ruhigen Ränder des Lagers oder den provisorischen Friedhof. So nannte es die Offiziere zumindest, dachte Cyrus. In Wahrheit war es einfach eine Grube, die man Abseits des Lagers im Dschungel angelegt hatte, entlang einer der provisorischen Versorgungsstraßen, die die Garde bei ihrer Ankunft hier geschlagen hatte. Davon jedoch, erzählten die Offiziere nicht. Auf dem Papier könnte man glauben sich bei der Garde zu verpflichten sei beinahe… risikolos. Dass das Kaiserreich sich um seine Männer kümmern würde. Das man in einer Grube im Dschungel langsam verrotten würde, nur von einer Handvoll Erde bedeckt, davon erzählten sie den Rekruten natürlich nichts.

Cyrus fühlte die altbekannte Wut in sich aufsteigen. Nicht auf die Männer um ihn herum. Sie waren genauso gefangen hier wie er. Und er selber… Er war nicht hier, weil er eine Wahl gehabt hatte, es sei denn die zu sterben. Lügen… falsche Tatsachen und Geschichten von Ruhm. Wie viele der Männer, die gestern gestorben waren, hatten geglaubt sie würden mit Gold und fremden Schätzen beladen nach Hause zurückkehren? Die Wahrheit sah freilich anders aus. Kalte, feuchte Erde und mehr nicht. Hier war kein Kaiser, der sie beschützte.

Um ihn herum herrschte reges Treiben. Einige Gardisten führten eine Gruppe von Pferden durch das Gewirr aus Leinen und Seilen, welche die Zeltreihen der Gardisten aufrecht erhielten, kleine Schlangen bildeten sich vor den feuern, die zum Kochen verwendet wurden und in einer Ecke ließ sich ein Mann in der Uniform eines Offiziers die Haare schneiden und beschwerte sich derweil lautstark: „Heinrich, wo ist mein anderer persönlicher Barbier? Brutus soll das Rosenöl mitbringen, mein Haar ist so trocken, so kann ich nicht in die Schlacht ziehen!" Er machte eine Handbewegung, die wohl „Beeilung“ bedeuten sollte, während er sich etwas auf seinem Stuhl zurück lehnte.

Der als Heinrich angesprochene Friseur zuckte lediglich mit den Schultern, während er sich hilfesuchend nach dem Gesuchten umsah. Der Mann trug ebenfalls die Kleidung eines Gardisten, aber Cyrus bezweifelte, das er tatsächlich je das Schlachtfeld sehen würde. Viele der höherrangigen Kommandanten brachten  ihre eigene Dienerschaft mit, besonders die Adeligen. Und da es nicht einmal der Kaiser gerne sah, wenn Mittel verschwendet wurden um den gesamten Haushalt eines Fürstensohns, der sich als Soldat versuchen wollte zu transportieren, hatten sie angefangen ihre persönlichen Diener in die Uniformen der Garde zu zwängen.

„Hier, mein Lord.“ Ein Mann tauchte aus dem Eingang eines größeren Zelts auf, eine kleine Flasche in der Hand. Der Geruch des Inhalts stach Cyrus in der Nase, als der Barbier sich an ihn vorbei drängte. Er beschloss, dass er nicht in der Nähe sein wollte, wenn der Barbier das Zeug öffnete und tauchte zwischen einigen Boten hindurch, die sich um den Offizier herum  aufgestellt hatten und auf ihn einredeten. Stattdessen machte er sich auf den Weg zum nächsten der großen Kochfeuer und ließ sich eine Schüssel mit etwas geben, das man mit viel gutem Willen als Haferbrei bezeichnen könnte in dem etwas schwamm, das vielleicht vor Monaten einmal frisches Fleisch gewesen sein mochte. Jetzt war es zäh wie Leder und einige der Männer scherzten darüber, dass ein Streifen davon eine Kugel abfangen konnte.

„Das Essen wird auch nicht besser.“ , meinte er an den Koch gerichtet.

„Wisst ihr, was diese Expedition kostet?“, erwiderte der Mann giftig. „ Das Imperium kann es sich nicht leisten, Getreide hierher zu importieren. Die Hälfte unserer Versorgungskarawanen verschwindet entweder oder wird angegriffen.“

„Es stirbt sich schlecht mit leerem Magen.“, warf einer der anderen Gardisten ein, die sich in der Nähe niedergelassen hatten um zu essen.

„Und was ist Moral wert, wenn es das Kaiserreich ruiniert? Ihr seid hier um zu kämpfen, nicht um euch wohl zu fühlen.“

„Der Kaiser wird auch nicht begeistert sein, wenn ihm die Hälfte seiner Männer desertieren, weil sie nicht mal mehr Frühstück bekommen.“ , warf ein Gardist ein, dessen Uniform ihn als einen niederen Offizier auswies.

„Wer weiß, vielleicht fallen heute endlich die Mauern.“

„Das sagt man uns seit Wochen.“

Cyrus ging langsam davon, auf der Suche nach einem ruhigen Platz zum Essen. Er hatte das Interesse an der Diskussion verloren. Und es war besser, dachte er, sich nicht zu sehr mir anderen zu beschäftigen. Anfangs hatte er diesen Fehler noch gemacht. Gesichter und Namen, die lange verschwunden waren. Es brachte wenig mit seinem Schicksal zu hadern. Das hatte er hier gelernt. Und immerhin… es konnte wenigstens nicht mehr schlimmer werden.

Vor ihm öffneten sich die Zeltreihen des Lagers zu einer kleinen Lichtung, auf der ein dutzend Pferde an dem grasten,  was tausende Stiefel an Grün übrig gelassen hatten. Zwei Männer kümmerten sich um sie, lösten Rüstungen und scheuerten sie mit Stroh ab, während eine größere Gruppe sich auf einer Reihe trockener Felsen niedergelassen hatte. Ein Feuer prasselte zwischen  ihnen und ihre Rüstungen lehnten in ordentlichen Haufen um ihre Waffen angeordnet in der Nähe. Golden glitzerte der Stahl in der Sonne. Und darüber wehte ein Banner, das Cyrus bereits verwirrt hatte, als er es das erste Mal gesehen hatte. Ein weißer Drache. Der Wolf runzelte die Stirn, während er an das Gefecht der letzten Nacht zurück dachte. Die goldenen Rüstungen, die Gestalten auf ihren Pferden, die beinahe gewirkt hatten, als hätten sie Flügel… Jetzt konnte er sehen, dass dieser Eindruck gar nicht so verkehrt gewesen war. Die Rüstungen im zertrampelten Gras verfügten über Rückenstangen, an denen dünne, metallische Federn befestigt waren, genauso golden wie der Rest der Panzerung. Bis auf das Wappen. Der Drache. Der Drache war verkehrt. Wer waren diese Männer?

Cyrus ließ sich seinerseits auf einem Stein in der Nähe nieder und beobachtete die kleine Gruppe genauer, während er aß. Es schmeckte nach nicht viel, aber eine langweilige warme Mahlzeit war besser als gar keine.

Einer der Ritter lehnte sich mit einer Tonpfeife im Gras zurück und rauchte. Die roten Stoppeln auf seinem Kopf waren auf einer Seite komplett geschoren und bildeten so das Abbild eines Drachen. Schon wieder. Warum dieses Wappen? Der Mann schien der einzige der Gruppe zu sein, der seine Rüstung nicht abgelegt hatte, lediglich der dazugehörige Helm hing an einem Lederriemen von seinem Gürtel, zusammen mit einem Reitersäbel und einem kleinen Faustschild. Während Cyrus die Gruppe weiter beobachtete, näherte sich eine weitere Gestalt über die Koppel. Der Neuankömmling hätte sich nicht weiter von den Rittern unterscheiden können. Er war groß, Cyrus war sich sicher, dass er mit dem Mann auf Augenhöhe gewesen wäre, wenn dieser ihn nicht sogar überragte, aber das war auch schon das einzig Eindrucksvolle an ihm. Seine Kleidung verriet ihn. Bunt wie ein Pfau dachte Cyrus. Ein Hemd, das nach der neusten Mode des Imperiums in zwei Farben gefärbt worden war und ein plumper Hut an dem eine gewaltige Pfauenfeder hing. Die Stiefel die er trug schienen auch weniger für den aufgeweichten Boden des Lagers und mehr für irgendeinen Ballsaal gemacht. Der Schlamm stand ihm bis zu den Knöcheln und hatte die einstmals sicher vergoldeten Schnallen seiner Schuhe verkrustet und er bewegte sich dementsprechend staksend. Wie ein Storch. Grazil aber irgendwie… lächerlich. Das einzige an ihm, was auch nur irgendwie in diese Umgebung zu passen schien, war der Degen den er trug, aber auch die Waffe wirkte wie alles an ihm mehr wie Zierrat. Und der Mantel. Der Mantel, den er trug war schlicht aber es war seine Farbe, die Cyrus hatte aufmerksam werden lassen. Türkis mit einem goldenen Emblem auf der Schulter, das er auf die Entfernung kaum ausmachen konnte. Das war auch nicht nötig. Jeder Soldat der kaiserlichen Armee kannte die Zeichen. Sein Leben konnte davon abhängen, das er sie kannte. Ein Magier? Cyrus hatte die Männer des Sanguis-Orden bisher selten im Lager gesehen. Sie hatten ihre eigenen Zelte, abseits der normalen Gardisten und ließen sich abseits des Schlachtfelds nur selten sehen. Und das mit gutem Grund, dachte Cyrus. Allerdings wirkte der hier nicht wie die üblichen Gestalten, die er mit dem Orden in Verbindung brachte. Zum ersten wirkte er jung und zum zweiten… nicht wirklich bedrohlich, dachte der Gejarn. Wäre es nicht für den Mantel gewesen, der ihn klar als einen Mann des Ordens auswies, Cyrus hätte ihn vermutlich nicht weiter beachtete. So jedoch warf der Neuankömmling nur mehr Fragen auf. Vor allem weil er anscheinend einen Bogen um die Gruppe goldener Reiter machte und stattdessen auf ihn zukam. Wenigstens konnte es nicht mehr schlimmer werden, dachte er.

 

7. Kapitel: Kapitel 5

 

 

Das letzte was er heute gebrauchen konnte, war sich mit dem Orden  auseinander zu setzen. Den Mann im Auge behaltend, legte er seine leere Schale beiseite und machte Anstalten aufzustehen. Bevor er jedoch dazu kam, mehr als einen Schritt zu machen, hob der Fremde eine Hand um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Cyrus überlegte kurz, einfach zu verschwinden So wie der Mann aussah, könnte er kaum zu ihm aufholen, wenn er jetzt einfach zwischen den Zelten verschwand. Auf der anderen Seite… Der Umhang des Zaubrers war jetzt deutlich zu erkennen, genauso wie das goldene Abzeichen eines Blutstropfens darauf. Er hatte sich also auch nicht getäuscht. Der Mann gehörte auf jeden Fall zum Orden. Vor einem Magier davon zu rennen und wenn er aussah, als wäre er in einen Eimer Farbe gefallen, war keine gute Idee. Und selbst wenn er davon kam, würde das Fragen aufwerfen. Das ganze Lager war angespannt, durch die ständigen Angriffe. Cyrus seufzte. Dem Mann zu entkommen, war es dann doch nicht wert, sich eine Kugel einzufangen. Aber nur fast, dachte er und ließ sich auf den Stein zurück fallen, während der Mann über die Wiese auf ihn zu stakste und stolperte. Als er Cyrus schließlich erreichte, war der Schlamm von seinen Stiefeln schon über seine Hosenbeine hinauf gewandert.

„Verzeiht…“ Der Fremde stützte die Arme auf den Knien ab und versuchte wieder zu Atem zu kommen. Er war jung, wie Cyrus feststellte, das Gesicht unter dem breiten Hut mit der Pfauenfeder wirkte weich und das paar blauer Augen wach und intelligent.  Einige Strähnen hellen Haares ragten unter der Kappe hervor und die Enden eines langen Schnurrbarts fielen ihm bis fast zum Kinn. „ Ihr gehört nicht zufällig zur Goldenen Garde?“ Die Stimme des Mannes klang dünn und hoch. Cyrus  erinnerte es ein wenig an das Piepsen einer Maus.

Der Wolf wusste nicht, was er erwartet hatte, aber die Frage sicher nicht. „Goldene Garde?“ Er sah zu der Gruppe Ritter, die nach wie vor in der Sonne saßen. Lediglich der Mann mit dem Drachensymbol im Haar sah einmal zu ihnen herüber, der Rest schien sie hingegen bisher nicht einmal bemerkt zu haben.

„Sind das die Männer dort im Feld? Dann fürchte ich, ist die Antwort nein.“ Cyrus musterte sein gegenüber nun etwas genauer. Der Mann wirkte wirklich nicht wie einer der typischen Magier des  Ordens. Jung und in keiner Weise bedrohlich… Gehörte er wirklich zum Orden?

„Zu schade. Ich hatte wirklich gehofft, mit einem von ihnen alleine reden zu können. Ja doch, es wäre wirklich wichtig für… nun, meinen Bericht.“ Er zog eine kleine Schreibfeder mit metallener Spitze aus seinem Gürtel und tippte sich damit gegen die Stirn. Und zu Cyrus erstaunen manifestierte sich ein Tintenfässchen direkt vor ihm in der Luft. Die Umgebung schien einen Moment wie statisch aufgeladen. Cyrus Füße kribbelten als wären sie eingeschlafen und das Fell an seinen Armen stellte sich auf. Also doch ein Magier… „Ich bin übrigens Anselm von Ansim. Sehr erfreut.“

Er nahm einen der schweren Lederhandschuhe ab, die er trug und streckte Cyrus eine Hand hin. Was soll man davon halten? fragte dieser sich stumm. Nach wie vor hatte er keine Ahnung,  wie er den Mann einschätzen sollte. Eine Bedrohung war er jedenfalls nicht. Oder doch? Immerhin war er ein Magier. Nun er konnte schlicht den ganzen Tag hier herumstehen und darauf warten, das er es herausfand. Cyrus gab sich einen Ruck und nahm die Angebotene Hand.

„Cyrus.“ , erwiderte er knapp. „Und warum geht ihr nicht einfach zu ihnen herüber wenn ihr mit ihnen reden wollt?“ Und euch so schnell wieder loswerden? fügte er in Gedanken hinzu.

„Nun… ähm. Ich muss doch zugeben das… Also ich bin vielleicht ein wenig…“ Er sah einen Moment zu der Gruppe hinüber. „Eingeschüchtert.“

Cyrus lachte. Er konnte sich nicht helfen und einen Moment war er sich fast sicher, dass Anselm das als Beleidigung auffassen musste. „ Ihr seid ein Magier.“, erwiderte er schließlich, als er sich wieder gefangen hatte.“ Wovor bitte habt ihr Angst? Einer von euch ist für die Offiziere so viel Wert wie eine ganze verdammte Kompanie. Wenn diese Männer auch nur daran denken Hand an euch zu legen lässt der Kaiser sie vermutlich Hängen und Vierteilen. Also, wer bitte sind diese Leute, das sie euch Angst machen?“

Einen Moment lang erwiderte Anselm nichts. „Also…“ r räusperte sich. „ Erst einmal, bin ich kein vollwertiger Zauberer. Nun das stimmt vielleicht nicht ganz aber… Meine Schule ist äußerst…speziell. Und vom Kaiser persönlich abgesegnet.“

„Was ihr lasst Tintenfässer aus Luft entstehe?“

Er kratzte sich einen Moment am Kopf. „Teils. Ich... Ich demonstriere es euch. Wartet einen Augenblick.“ Anselm schien sich wieder zu fangen und begann in einer Gürteltasche zu  kramen, bis er schließlich einen großen Bogen Pergament zu Tage förderte. Einen Moment drehte er das Blatt Papier zwischen den Händen, als versuche er es auszurichten, dann schien er schließlich den gewünschten Winkel gefunden zu haben. „ Bewegt euch einen Augenblick nicht.“ , wies er Cyrus an und bevor dieser auch nur dazu kam zu fragen, was vor sich ging, löste sich ein Lichtblitz aus den Fingerspitzen des Zauberers. Es war grell genug um ihn einen Augenblick zu blenden, dann war es auch schon vorbei.

Cyrus blinzelte. „Was war das?“

„Nun also der Orden nennt es Luxomantie und ich habe auch noch ganz andere Namen dafür gehört, beispielsweise die nutzloseste magische Schule, aber…“ Er drehte das Pergamentblatt um und hielt es Cyrus hin. „Ich habe darauf nie viel gegeben.“ Anselm lächelte zum ersten Mal, während der Wolf sich das Pergament besah. Es war nicht etwa leer sondern zeigte in genaustem Detail ein Bild von ihm selbst, so wie er noch vor wenigen Augenblicken dagestanden hatte, zusammen mit seiner Umgebung und den Zelten im Hintergrund. Selbst ein Teil er Schüssel, die er auf einem Felsen zurück gelassen hatte, war zu erkennen. Und es war nicht nur ein bloßes Bild, wie ihm klar wurde. Es war absolut perfekt, bis ins kleinste Detail.  Die feinen, schwarzen Linien auf dem Papier wirkten nicht wie Tinte, sondern wie Kohlepulver, als hätte sie etwas in das Material eingebrannt. Es war… beeindruckend, dachte Cyrus bei sich. Schön. Beeindruckende Dinge gab es hier ohne Ende… aber nur wenig Schönes.

„Nettes Kunststück.“ , meinte er, bevor er Anselm das Blatt zurück gab, aber die Faszination in seinen Augen war dem Magier wohl nicht entgangen.

„Es ist nicht bloß ein Kunststück. Es ist meine Arbeit.“ , erwiderte dieser mit sichtlichem Stolz. „Ich bin hier um diese Kampagne für den Kaiser und die Menschen des Reichs zu dokumentieren.“

Cyrus zog eine Augenbraue hoch. „Ich würde sagen, dann hätte der Kaiser jemanden schicken sollen, der keine Angst vor seinen Männern hat.“

„Es sind nicht seine Männer, die mir Unbehagen bereiten, Sir.“, erwiderte Anselm und sah ihn dabei herausfordernd an, wie um seinen Punkt zu unterstreichen.

„Nicht?“ Cyrus grinste und ließ dabei ein paar scharfer Zähne sehen. Falls das den Schreiberling beunruhigte so musste er ihm zugestehen, dass er es sich zumindest nicht anmerken ließ. „Aber die goldene Garde tut es?“

„Die goldene Garde gehört auch nicht dem Kaiser. Oder… nun ja, sie tut es schon nur nicht offiziell. Es ist… kompliziert.“

„Dachte ich mir.“ Das Drachenwappen, dachte Cyrus. Das Wappen war nach wie vor falsch. „ Tragen sie deshalb das Wappen der alten Kaiser?“

„Ich hätte nicht gedacht, dass ihr euch mit Geschichte auskennt.“

„Nun ich stecke voller Überraschungen. Also, was ist los mit dieser… goldenen Garde?“

„Wie gesagt, das ist eine komplizierte Geschichte.“ Anselm räusperte sich. „ Euch ist ja bereits aufgefallen, dass sie das Wappen der Ordeal-Kaiser tragen. Ist euch der Name Macon Ordeal geläufig?“

„Sollte er?“ Der Name klang auf eine Weise vertraut, dachte Cyrus. Trotzdem schien er sich nicht erinnern zu können.“ Irgendetwas mit Pferden…“

Nun war es an Anselm zu lachen. „Das dürfte die größte Untertreibung sein, die ich je gehört habe. Macon Ordeal war der Begründer dessen, was heute die goldene Garde ist. Ursprünglich die Überreste eines Kavallerie-Regiments, das sich mit ihm gegen seinen Vater stellte, zusammen mit einigen Kosaken aus Hasparen. Diese Männer führten die ersten Rebellion gegen die Ordeal-Kaiser. Später nahm Macon den Thron natürlich für sich in Anspruch aber seine Männer blieben und vermischten sich mit den Reiterstämmen Hasparens. Die Ordeal-Kaiser nach Macon rekrutierten ihre Elite-Kavallerie aus diesen Stämmen und diese Tradition blieb bestehen bis zu Simon Belfares großer Rebellion und dem Fall der Ordeal-Dynastie. Danach wurden die ehemaligen Regimenter der Ordeal-Kaiser aufgelöst, zusammen mit der Prätorianer-Garde und später zur kaiserlichen Garde umgeformt. Oder zumindest fast alle. Die goldene Garde bekämpfte Simon Belfare noch ein Jahrzehnt nachdem er den ´bernsteinthron für sich gesichert hatte und als man sie schließlich stellte… nun Simon Belfare war kein gnädiger Mann. Er stellte der goldenen Garde ein Ultimatum. Entweder sie würden sich ergeben und genau wie die restlichen Loyalisten entwaffnen lassen oder sterben. Die Antwort der Garde war… eindeutig.“

„Ich vermute einmal sie haben sich nicht ergeben.“

Anselm sah einen Moment ein wenig verlegen drein. „Sie haben ihn wissen lassen, sie würden darüber nachdenken, wenn er die Hintern ihrer Pferde küsst. Er ließ sie wissen, dass er ihre Pferde schlachten und ihnen vorsetzen würde. Am Ende der Schlacht waren nur noch etwa vierzig von ihnen am Leben. Allerdings hatte es den Kaiser fast alle seine Männer in Hasparen gekostet und die goldene Garde hatte mehr als nur ein paar Verbündete unter den Reiterstämmen und Pferdezüchtern der Provinz. Er hatte einen Sieg errungen der drohte ihm die gesamte Region zu kosten.“

„Er hat sie also begnadigt.“

„Richtig.“ Anselm nickte und zuckte mit den Schultern. „Auch wenn er nicht wirklich eine Wahl hatte und die Überlebenden der goldenen Garde wussten das. Also konnten sie die Bedingungen zu einem gewissen Grad diktieren. Sie würden sich dem Kaiser unterordnen, aber nicht ihre Waffen ablegen. Stattdessen würden sie ihre Rolle weiterhin ausführen und unter dem neuen Herrscher als Kavallerie-Einheit dienen. Sie haben ihn allerdings nie wirklich als Kaiser anerkannt und ziehen bis heute unter dem Banner der Ordeal-Kaiser in die Schlacht. Offenbar war es keinem von Simons Nachfolgern die Mühe wert, ihnen das auszutreiben und dabei zu riskieren, ganz Hasparen in einen kostspieligen Bürgerkrieg zu stürzen… wegen eines Stücks Stoffs. Man kann von den Belfare sagen was man will, aber sie sind Pragmatiker.“

„Und was? Ihr traut euch nicht zu ihnen zu gehen weil ihr ihnen nicht mit der Autorität des Kaisers drohen könnt?“

Der Magier, oder was er sonst sein mochte, sah einen Augenblick verlegen drein, antwortete jedoch nicht. Cyrus seufzte. Er hatte nur seine Ruhe gewollt. Einen  Moment überlegte er erneut, sich einfach davon zu stehlen. Anselm konnte wenig tun um ihn aufzuhalten, wenn er ihm sagte, dass das wirklich nicht sein Problem war. Aber irgendwie… Er hatte wirklich keine Lust für den Mann den Aufpasser zu spielen. Die Sache war nur…der Mann war ihm sympathisch. Vielleicht weil er ihn ein wenig zu sehr an ihn selbst erinnerte. Nicht verbraucht oder resigniert wie zu viele andere hier. Und scheinbar fasziniert aber auch eingeschüchtert von allem hier. Er atmete tief durch. War es ihm nicht ähnlich gegangen? Die erste Gelegenheit aus den Kasernen heraus zu kommen. Wieder das offene Land vor sich zu haben, statt vergitterter Fenster und schwerer Eichentore. Kaum zu glauben, dass das erst wenige Monate her war. Er fühlte sich alt, dachte Cyrus, dabei war Anselm an Jahren gemessen vielleicht sogar der Ältere von ihnen. Aber nicht an Erfahrung.

„Und wenn ich mit euch hingehe?“ Er versuchte freundlich zu klingen. Es gelang ihm scheinbar nicht ganz und einen Moment war er sich sicher, dass Anselm ablehnen würde.

„Das würdet ihr tun?“

„Ich sage es mal so. Es ist euer Begräbnis. Entweder ihr geht hin oder ich schleife euch.“ Wenn er schon nichts dagegen tun konnte, den Mann zu mögen, würde er jetzt garantiert nicht zulassen, dass er einen Rückzieher machte. „Eure Entscheidung. Aber wenn ihr vor ein paar Männern in Rüstung Angst habt…“

Anselm lächelte lediglich einen Moment. „Ich hatte eigentlich gedacht, ich störe euch, wisst ihr.“

„Oh, glaubt mir, ihr wisst nicht wie ich mit Leuten umgehe, die mir wirklich missfallen. Der letzte hat ein Messer in die Brust bekommen.“

DasLächeln des Magiers verschwand so schnell wieder, wie es gekommen war. Nach einem letzten Moment des Zögerns setzte er sich schließlich in Bewegung, Cyrus vorausgehend über das Feld und zu der kleinen Gruppe aus Männern der goldenen Garde.

 

 

 

 

 

 

 

8. Kapitel: Kapitel 6

 

 

Anselm blieb stehen. Der Mann hatte erneut die Feder gezückt und hielt das Tintenfass und einen Bogen Pergament in einer Hand. Cyrus konnte die dünne, feine Handschrift des Magiers auf dem Blatt erkennen. Offenbar hatte er sich einige Fragen aufgeschrieben, die er den Männern stellen wollte. Das hieß, wenn sie den je dazu kamen. Eines der Pferde in ihrer Nähe schnaubte, als wollte es Cyrus missfallen Ausdruck verleihen. Die morgendliche Kühle begann allmählich sich zu verflüchtigen und die Sonne brannte auf das Stück ungeschützter Erde hinab. Cyrus sah zurück zu den Zelten, die wenigstens etwas Schatten boten und dem äußeren Ende der Koppel. Er hätte einfach dort sitzen bleiben sollen, dachte er.  Es gab wirklich bessere  Orte um stecken zu bleiben. Der Boden war vom Morgentau aufgeweicht und zog bei jedem Schritt an seinen Stiefeln und das Gras war rutschig.  Vor ihnen lagerten die Mitglieder der goldenen Garde. Rauch stieg von einem kleinen Feuer auf über dem in einem Topf etwas vor sich hin kochte. Zwei Männer in goldenen Umhängen waren damit beschäftigt, eine Gruppe Pferde zu striegeln, andere saßen im Gras, eine Gruppe schien in ein Kartenspiel verwickelt. Ein Mann, der neben dem goldenen Mantel die schwarze Weste eines Schmied trug, besah sich Rüstungen, Speere und Schwerter, die man in seiner Nähe zu ordentlichen Stapeln angehäuft hatte. Seltsamerweise konnte Cyrus unter all der Ausrüstung  nur eine Handvoll Feuerwaffen entdecken, meistens abgenutzte Radschlosspistolen und nur einige wenige kurzläufige Gewehre mit einem modernen Steinschloss. Der einzige der Männer, der keiner besonderen Tätigkeit nachzugehen schien, war der Tonpfeifenraucher, der nach wie vor auf einem Stein saß und die übrigen Soldaten beobachtete. In seinen Händen drehte er etwas, das in der Sonne golden glitzerte.

„Und ihr bleibt wirklich da?“ , wollte Anselm wissen. Sie standen kaum zehn Schritte entfernt von der Stelle an der sich die Männer der goldenen Garde niedergelassen hatten aber der Schreiberling weigerte sich, einen weiteren Schritt zu tun. Das war ein Fehler gewesen, dachte er. Er war wirklich nicht in der Laune dem Mann den ganzen Tag gut zuzureden. Er könnte einfach verschwinden.

„Ihr seid ein Feigling.“ , knurrte er verächtlich und gab dem Mann einen Schubs, der etwas stärker ausfiel als gedacht. Was werde ich?, dachte er einen Moment, während er dem stolperndem Anselm nach sah. Der Mann war bloß eingeschüchtert. Das war er auch gewesen. Anfangs. Vorsichtig. Cyrus schüttelte den Kopf. Und war er das nicht noch immer? Viel zu vorsichtig. Er wollte Anselm nicht mögen. Ich habe zu viele sterben sehen, dachte er. Ich habe meinen Vater sterben sehen. Auf einem Feld, das diesem hier gar nicht so unähnlich ist. Einen Augenblick überlegte er sich zu entschuldigen, aber Anselm stolperte bereits zwischen die nach wie vor im Gras sitzenden Gardisten. Cyrus Schubs war tatsächlich viel zu Grob ausgefallen und der Mann stolperte in den ersten Reiter hinein, der es gerade noch schaffte, sich zu ihm umzudrehen. Klirrend zerbrach irgendetwas und Cyrus sah, wie sich ein größer werdender, blauer Fleck auf der Uniform des Gardisten ausbreitete. Das Tintenfass!

Der Mann stolperte sichtlich erschrocken zurück, während Anselm, nun haltlos, ins Gras stürzte und der Länge nach hinschlug.

„Soll das ein Scherz sein?“ Der nun tintenbefleckte Gardist packte Anselm an den Schultern und zog ihn scheinbar mühelos auf die Füße… und in die Luft. Seine Augen blitzten gefährlich.

„Verzeihung.“ , murmelte Anselm, dessen Füße wehrlos in die Luft traten. Cyrus legte derweil eine Hand an den griff der Axt. Mit einem „Verzeihung“ war das hier nicht getan, fürchtete er. Der Mann war auf ärger aus. Die ständigen Angriffe, ohne selber mehr tun zu können, als abzuwarten, wann die Mauern fallen würden, hatte die Leute nervös gemacht. Aggressiv. Und Anselm hatte bedauerlicherweise das Pech gerade einen von ihnen eine Möglichkeit zu geben, diese Aggression auch auszuleben.

„Ich würde ihn wirklich los lassen.“ , warnte Cyrus den Mann. Langsam besah er sich seinen potentiellen Gegner von Kopf bis Fuß. Er Mann war groß, dachte er bei sich. Mit geschorenem Kopf und einem dünnen Bart in dem einige graue Haare glitzerten. Die Uniform die er trug ähnelte Cyrus eigener, wurde jedoch durch den  goldfarbenen Mantel ergänzt, der ihm schon zuvor aufgefallen war. Vermutlich das Erkennungszeichen der goldenen Garde. Normalerweise duldeten die Offiziere der kaiserlichen Armee nicht viel Variation in der Ausrüstung einzelner Regimenter, aber wenn stimmte, was Anselm ihm über diese Leute erzählt hatte, sahen sich die Ritter Hasparens auch nicht wirklich als der Garde angehörig.

Die  Gefährten des Mannes erhoben sich nun ebenfalls einer nach dem anderen und sahen sich verwirrt nach dem Tumult in ihrer Mitte um. Alle, bis auf den Gardisten, der Cyrus schon zuvor aufgefallen war. Der, der nach wie vor seine Rüstung trug. Er warf lediglich einen kurzen Blick in ihre Richtung, bevor er sich desinteressiert wieder seiner Tonpfeife zuwendete. Augen, die beinahe wie flüssiges Gold wirkten. Katzenhaft. Der Drache, der auf seine Schädelseite rasiert war, fing das Licht ein. Cyrus wusste nicht wieso, doch der kurze Moment genügte ihm um ein mulmiges Gefühl zu bekommen. Mehr, als es der Riese vor ihm tat. Mit dem wurde er fertig, da war er sich ziemlich sicher. Aber der andere Mann… Irgendetwas an ihm ließ das bisschen Angst, dass er sich nach Monaten hier behalten hatte wieder zum Vorschein treten.

„Ärger Kazimier?“ , fragte einer.

„Ich glaube der Wolf hier hat einen Freund.“ Der als Kazimier angesprochene Mann sah Cyrus mit schief gelegten Kopf an. „ Und wenn ich ihn nicht los lasse?“ Der Spott in seiner Stimme entging Cyrus keineswegs, aber wenn er erwartete, dass der Wolf darauf ansprang, hatte er sich getäuscht.

„Wollt ihr wirklich einen offiziellen Abgesandten des Kaisers verletzen?“

„Des Kaisers, ja?“ Der Mann sah zu Anselm, der sich nach wie vor in seinem Griff wand.

„Ich… ja. Ich bin als Beobachter hier, Herr. Ich soll zusammenfassen was hier vorgeht, damit man im Kaiserreich von euren Taten weiß. Offenbar gibt es die letzten Monate eine gewisse… Einbuße an Rekruten und…“

„Verschont mich.“ Der Gardist setzte Anselm ab und Cyrus atmete durch. „Ihr könnt eurem Kaiser berichten, dass er mir eine neue Jacke schuldet. Und jetzt zieht Leine, Schreiberling.“ Er gab dem Magier einen erneuten Schubs. Diesmal jedoch war Anselm vorbereitet und der Schlag brachte ihn nur dazu, einige Schritte nach vorne zu stolpern. Wo er erstarrte.

„Tun wir was er sagt.“, meinte Cyrus und bedeutete Anselm ihm zu folgen. „Das war ein kurzes Abenteuer und ich schätze ihr…“

„Nein.“ Die plötzliche Schärfe in der Stimme des Mannes ließ ihn einen Schritt zurück weichen und selbst der Gardist, der ihn eben noch geschüttelt hatte, verengte die Augen zu schlitzen. Das einzige Geräusch, das die einsetzende Stille durchbrach war ein leises Kichern, das möglicherweise nur Cyrus auffiel. Ein Kichern, das von der Gestalt des in Gold gerüsteten Ritters kam. Der Mann hatte nach wie vor keine Anstalten gemacht aufzustehen, sah aber nun mit deutlichem Interesse zu ihnen herüber. Die Tonpfeife war verschwunden, dafür jedoch hatte er nun etwas aufgesetzt, das für Cyrus wie eine goldene Totenmaske aussah. Nur seine Augen waren zu erkennen.

„Ich würde vorschlagen, dass ihr euch nicht mit Kazimier anlegt, Kleiner.“ Die Stimme des Ritters war leise aber ernst, während er in Richtung des Gardisten nickte. Kazimier lächelte unterdessen nur überlegen.

 „Anselm?“ Der Wolf legte den Kopf schief und besah sich den jungen Mann erneut. Anselm hatte den Kopf gesengt und eine Hand am Schwertgriff. „Wir sollten wirklich verschwinden.“

Statt zu antworten, wirbelte der Schreiber herum und schlug Kazimier mit aller Kraft ins Gesicht. Cyrus konnte Knochen knirschen hören, während der Gardist mit einem Aufschrei Rückwärts stolperte und sich die Wange hielt. Anselm hingegen schüttelte lediglich die Schmerzende Hand und ließ Kazimier dabei nicht aus den Augen.

„Mein Name ist Anselm von Ansim. Meine Väter kontrollieren die Hälfte der Ländereien um Risara. Ich bin ein Magier des Sanguis-Ordens. Ich habe unter Tyrus Lightsson studiert und  ich bin kein Feigling.“ Cyrus fühlte, das diese letzten Worte vor allem an ihn gerichtet waren. Mit einer fließenden Bewegung zog Anselm den Degen und richtete die Waffe auf den Gardisten. „Und ich verlange Genugtuung.“

„Anselm…“ Cyrus trat rasch zwischen den Schreiber und den Gardisten. „Ich hatte ihn gerade so weit, dass er nicht mehr versuchen wollte, euch umzubringen.“

Anselm lächelte nur. „Wisst ihr, Cyrus. Risara ist für zwei Dinge bekannt. Die erste ist Wein.“ Mit diesen Worten trat er an dem Wolf vorbei. Cyrus schüttelte lediglich den Kopf. Das konnte nicht gut gehen.

Kazimier lachte lediglich, während er einem der anderen Gardisten bedeutete ihm ein Schwert zu geben. Die Klinge, die ihm der Mann zuwarf, war ein Reitersäbel. Schwer genug um einen Schädel durch einen bloßen Knaufschlag zu spalten und scharf...

„Bis zum ersten Blut.“ , stellte er lächelnd fest, während er sich einen Helm reichen ließ und begann, seine Rüstung anzulegen. Das Metall schimmerte golden in der Morgensonne. Deutliche Kratzer spiegelten sich auf dem Metall wieder und bewiesen deutlich, dass dieser Mann bereits mehr als eine Schlacht hier gesehen hatte… und überlebt. Anselm hingegen hatte nicht einmal passendes Schuhwerk für diesen Untergrund, dachte Cyrus.  Geschweige denn mehr Schutz als ihm seine simple Kleidung bieten mochte. Er machte Anstalten,  erneut dazwischen zu treten, aber Anselm reagierte schneller als er und hielt ihm mit einer Hand zurück.

„Ich werde das klären.“ , erklärte er grimmig. „Nicht ihr. Ich bin kein Feigling.“

„Das wird ihn,“ und dabei nickte er in Richtung Kazimier, „ Nicht davon abhalten euren Kopf einzuschlagen. Schaut her, ich weiß ihr fühlt euch gekränkt und es tut mir leid was ich gesagt habe, aber bringt euch deshalb nicht um. Ich kann das für euch übernehmen. Ich bin mir… relativ sicher, dass ich ihn erledigen kann.“ Auch wenn er sich dessen nicht völlig sicher war. Unbewaffnet in einem Kampf Mann gegen Mann hatte er vielleicht einen Vorteil. Aber jetzt waren Waffen im Spiel.

„Nein.“

„Ich will euch wirklich nicht auf dem Gewissen haben.“

Anselm machte sich nicht die Mühe, erneut zu antworten, sondern drehte ihm lediglich den Rücken zu.

„Ist ja euer Leben.“ , meinte Kazimier, bevor er die Waffe hob und sich auf den Magier stürzte. Anselm wich zurück durch die Reihen der rasch beiseite springenden Männer der goldenen Garde. Schlamm spritzte auf und verfärbte seine bunte Kleidung, während Kazimier ihm mit einem Sprung nachsetzte. Stahl blitzte erneut auf, als der Gardist den Säbel kreisen ließ und Anselm nur um Haaresbreite verfehlte. Dieser duckte sich unter dem Hieb durch und kam in Kazimiers Seite wieder nach Oben… die Klinge auf seine Kehle gerichtet.

Cyrus konnte hören wie ein kurzes Raunen durch die Menge ging. Der einzige, der den Kampf scheinbar genauso stumm verfolgte, wie er selbst, war der seltsame Anführer der goldenen Garde selbst. Die goldenen Augen schienen jeder Bewegung der beiden Männer voraus zu gehen… als ob er sie erahnen würde. Und der unleserliche Ausdruck auf dem Gesicht des Mannes wandelte sich langsam in ein dünnes Lächeln.

 „Wisst ihr eigentlich wer Tyrus Ligthsson ist?“ , fragte Anselm.Die Degenklinge hielt er dabei locker vor sich, nach wie vor auf den Hals seines Gegners gerichtet. Cyrus runzelte die Stirn. Der Mann klang mit einem mal… sicher, dachte er. Gar nicht mehr wie der eingeschüchterte Schreiberling für den er ihn gehalten hatte. War das nur eine Maskerade oder echte Selbstsicherheit? Risara war für zwei Dinge bekannt, dachte er. Das erste war Wein. Und was war bitte das zweite?

„Irgendeiner eurer Magierlords, nehme ich an. Ich hoffe er ist tot, dann lernt ihr ihn kennen.“ Kazimier schlug die Waffe mit einer geübten Bewegung zur Seite und drang erneut auf Anselm ein.

Dieser bewegte sich fast gar nicht. Cyrus nahm lediglich war, wie er die Hand drehte. Metall blitzte und der Magier parierte den Angriff, fast mühelos, wie es schien, obwohl Kazimier deutlich stärker sein musste. Oder?

„Ordensmeister für euch.“ Ein dutzend rasche Stiche, die Kazimier dazu zwangen zurück zu weichen. Und nicht nur das, dachte Cyrus. Keiner der Schläge schien wirklich auf seinen Körper zu zielen. Anselm versuchte gar nicht, seinen Gegner zu treffen. Spielte er nur mit ihm? Das schien mehr zu irgendeinem dieser adeligen Narren zu passen, die so viel auf ihre großartige Ausbildung und Ehre gaben, das sie darüber vergaßen, das ihr Gegner sie nur töten brauchte um das alles nutzlos werden zu lassen. In einem öffentlichen Duell galt es als unschicklich seinen Gegner gezielt zu töten, statt nur zu versuchen, ihn zu verletzen und damit kampfunfähig zu machen. Aber das hier war ein Schlachtfeld. Und Kazimier ein Krieger, kein neidischer Adeliger. Oder steckte etwas anderes dahinter?  Kazimier seinerseits, ließ jedenfalls keinen Zweifel daran, dass er vorhatte, Anselm den Schädel einzuschlagen, sollte dieser ihm eine Gelegenheit dazu geben. Jeder Angriff war geeignet, dem deutlich kleineren Mann  sauber in zwei Hälften zu teilen und auch wenn Anselm die Hiebe noch so oft parierte oder auswich, mehr als einige Minuten konnte er das nicht durchhalten. Dafür fehlte ihm schlicht die Ausdauer, über die der erfahrenere Mann verfügte.

„Ich möchte euch wirklich nicht wehtun.“

„Zu Schade.“ , erwiderte Kazimier und zwang Anselm, erneut einem Angriff auszuweichen. Der Magier kam ins straucheln und schaffte es gerade noch zu verhindern, der Länge nach hin zu schlagen. Der Boden war rutschig und uneben. Anselm mochte schneller als sein Gegner sein, aber wenn er das Gleichgewicht verlor wäre der Kampf so gut wie entschieden. Erneut tastete Cyrus nach dem Axtgriff an seiner Hüfte. Allerdings… wenn er Kazimier die Axt in den Rücken rammte, würde sich vermutlich die ganze  Garde auf sie stürzen. Nun… wäre nicht das erste Mal, dachte er. Mehr als ihn zur schwarzen Garde zu stecken konnten sie nicht tun.

Anselm hatte es unterdessen geschafft, sich wieder zu fangen. Ein Hieb des Mannes zertrennte das Kinnband von Kazimiers Helm. Ein weiterer schleuderte ihn von dessen Kopf. Cyrus stieß einen ließen Pfiff aus. Aber wenn Anselm nicht bald aufhörte, Treffer zu verschenken, würde Kazimier ihn durch simple Erschöpfung besiegen.  Dann jedoch geschah es. Anselm stolperte, ein Bein knickte unter ihm ein und Kazimier sah seine Chance gekommen. Anselm trat ihn mit aller Kraft gegen das Schienbein und der Gardist knickte mit einem Aufschrei ein. Anselm nutzte den Moment und brachte seinen Gegner endgültig zu Fall. Kazimier fuchtelte wild mit dem Säbel durch die Luft, in der Hoffnung seinen Gegner irgendwie zu treffen, dann schlug er neben Anselm in den Schlamm. Der Gardist erholte sich allerdings schneller, als Anselm gehofft zu haben schien. Mit einem Aufschrei warf der Mann sich herum und schwang erneut das Schwert nach dem liegenden Magier... Und traf nur Erde, als Anselm sich blitzschnell zur Seite rollte. Dreck und Schlamm verschmierten seine bunte Kleidung, während er die Klinge nach oben stieß, direkt in Kazimiers ungeschützte Seite. Der Gardist erstarrte. Keiner der umstehenden rührte sich, während Anselm langsam aufstand und die Klinge mit einem Ruck zurückzog. Die dünne Spitze der Waffe war blutgetränkt. Aber  nicht mehr. Kazimier starrte ungläubig zwischen der oberflächlichen Wunde und dem Magier hin und her, während Anselm wortlos zu Cyrus trat und sich den Dreck aus dem Gesicht wischte.

„Die zweite Sache für die Risara bekannt ist, mein Freund: Wo viel getrunken wird, gibt es zu viele Narren, die meinen einen Kampf anfangen zu müssen. Mein erstes Duell habe ich mit vierzehn ausgetragen.“ Er klopfte dem verdutzt dreinsehenden Wolf auf die Schultern. „Davor habe ich keine Angst.“

Nein, dachte Cyrus. Aber er hatte sein verdammtes Leben riskiert, nur um den Mann möglichst wenig zu verletzen. In einem Kampf, den er selbst begonnen hatte. Warum?

„Ihr hättet ihn töten können.“ Der Mann mit den roten Haaren und der goldenen Rüstung löste sich aus der Menge der umstehenden Männer. Er klang seltsam… amüsiert, dachte Cyrus. Und das beunruhigende Gefühl, das er schon zuvor gehabt hatte, ließ ihn nach wie vor nicht los. Irgendetwas an der Ausstrahlung dieses Mannes war seltsam. War er der Anführer dieser Männer? Vermutlich. Aber das erklärte nicht, wieso er Cyrus so unruhig machte. Es waren seine Augen. Er kannte diese Augen. Hatte sie an viel zu vielen Orten gesehen und doch… Und seine Stimme…

Langsam trat er vor und hob Kazimiers verlorenen Helm auf. Das einstmals makellose, goldene Metall wies nun eine deutliche Beule auf, dort wo Anselm es getroffen hatte. Dieser ließ sich schwer atmend auf ein Knie sinken. Schlamm tropfte aus seinen Haaren und von seiner Kleidung, während er die Klinge mit einem Stück seines Mantels säuberte.

„Sir Kazimier. Ihr seid besiegt.“ Immer noch klang der Anführer der goldenen Garde geradezu amüsiert. Betont langsam drehte er sich zu Anselm um.  Kazimiers Gesicht hingegen zeigte nur eines. Und Cyrus wusste, dass er vorsichtig sein musste. Nicht hier im Lager, nein. Aber wenn er dieses gesicht auf dem Schlachtfeld sehen würde…  „Und was euch angeht… Schreiberling. Ihr habt einen meiner besten Ritter zuerst gekrängt und dann geschlagen. Was meint ihr, sollte ich deshalb mit euch machen?“

 

9. Kapitel: Kapitel 7

 

 

Anselm fühlte sich unwohl. Ich wollte doch nur mit ihnen reden, dachte er. Nun, das hatte nicht wirklich funktioniert wie gehofft. Stattdessen stand er jetzt schlammverschmiert vor dem Anführer der goldenen Garde selbst und hatte sich mit einem seiner Ritter geschlagen. Nicht, das es ihm darum leid tat. Zumindest noch nicht. Goldene Augen bohrten sich direkt in seine. Er fürchtete allerdings noch Gelegenheit dazu zu bekommen. Einen Moment sah er sich hilfesuchend nach Cyrus um, der jedoch genauso wenig zu verstehen schien, was hier vor sich ging. Er hätte sich nicht hinreißen lassen dürften, dachte Anselm.  Aber die Vorwürfe des Wolfes hatten irgendwie getroffen. Nicht, das er solche Aussagen nicht gewohnt wäre… Es gab schon beim Orden genug, die seine Spezialisierung als eine Spielerei ansehen. Und wenn seine Familie wüsste, das sich ihr an den Orden verlorener Sohn nicht als imperialer Kampfmagier bewies…  Anselm verbannte diese Gedanken für den Moment. Fest stand, er hatte sich hinreißen lassen. Und warum? Weil so seltsam es schien, die Worte des Gejarn mehr trafen, als die seiner Kollegen. Er mochte Cyrus und trotz dessen schroffer Art hatte er versucht, ihn zu beschützen. Nun… das hatte auch schon mal besser funktioniert…

Der Anführer der goldenen Garde schien nach wie vor auf eine Antwort zu warten. Oder vielleicht genoss der Mann es auch einfach, sein Umfeld nervös zu machen. Irgendetwas an dieser Gestalt war… beunruhigend. Die goldene Rüstung, die sie trug schien beinahe zu schwer um bequem zu sein, trotzdem bewegte der Mann sich mit ungewohnter Leichtigkeit, als ob er das Gewicht nicht einmal spürte. Dabei war er von der Statur her nicht größer als Anselm selbst und Kazimier überragte ihn leicht um einen Kopf. Und trotzdem hätte er sich lieber mit drei wie Kazimier geschlagen, als mit diesem Mann. Was sollte das heißen, was er mit ihm machen sollte?

„Hetman Macon.“ Kazimier, der Mann den er soeben überwunden hatte, trat vor ihn und zum ersten Mal war er ziemlich froh über die Gegenwart des Mannes. Zumindest unterbrach es kurz den Blick dieser seltsam goldfarbenen Augen. „Ihr könnt nicht…“

„Ich tue, was ich für richtig halte. Ihr wurdet fair und ehrlich besiegt. Akzeptiert das und entehrt euch nicht weiter, indem ihr meine Befehle in Frage stellt.“ Die Stimme des Anführers war leise aber duldete keinen Wiederspruch. „Und jetzt zurück in die Reihe mit euch. Das gilt für jeden hier.

Kazimier senkte respektvoll den Kopf und zog sich zurück. Hetman Macon nickte zufrieden.

 Und was euch angeht…“  Er tippte Anselm mit der Pfeife gegen den Brustkorb. „ Das hier gehört jetzt euch.“

Zu Anselms Überraschung drückte ihm der von Kazimier als Hetman Macon angesprochene Hetman den verlorenen Helm des Mannes in die Hand. Dutzende fragen schossen ihm durch den Kopf. Macon? Wie in Macon Ordeal? Aber der Mann war seit fast einem halben Jahrtausend tot. Vielleicht eine Art Ehrentitel für ihren Anführer?

Langsam nahm der Mann die goldene Maske ab und befestigte sie an einem Haken an seinem Gürtel.

Zum ersten Mal konnte Anselm sich diesen Hetman Macon genauer zu besehen. Die roten Stoppeln auf seinem Kopf verstärkten noch die eher groben Züge des Mannes, auch wenn die hohen Wangenknochen ihm etwas Aristokratisches verliehen. Dunkle brauen standen im Gegensatz zu diesen seltsamen, goldfarbenen Augen, deren Ton genau dem der Rüstung zu entsprechen schien. Schwere Stahlplatten, die selbst einen stärkeren Mann eigentlich fast in die Knie zwingen mussten. Von den mit goldenen Metallfedern gespickten Schwingen, die sich auf dem Rücken befanden, einmal ganz abgesehen. Feine, mit Kristallen ausgelegte, Runen waren in das Metall geätzt und bildeten ein dünnes, ineinander verwobenes Geflecht. Und sie waren nicht nur Dekoration, dachte Anselm. Er konnte das leichte Kribbeln in seinen Füßen fühlen, wenn er sie sich zu lange besah. Magie. Starke Magie, mächtiger als alles, was der Orden hier bisher eingesetzt hatte. Zwischen den Runen waren in Gold gefasste Wappen und Symbole eingelassen. Drachen, Pferde… Symbolik der alten Kaiser und speziell von Macon Ordeal. Nicht zu verwunderlich, dachte er, aber konnte es sein, das dieser Mann tatsächlich die alte Rüstung des Kaisers trug? Wenn ja, erklärte dass vielleicht warum ihn seine Männer als Hetman Macon ansprachen. Sein Blick wanderte zurück zum Gesicht des Hetmanen.

„Ihr seid eine Frau…“

„Nein.“ Und das war scheinbar auch alles, was Hetman Macon dazu sagen würde. Zumindest legte etwas in der Stimme des Mannes ihm nahe, das Thema nicht weiter zu verfolgen. Nun… er hatte gerade ohnehin genug Fragen. Und trotzdem… Hatte er sich etwa geirrt? Oder war die Antwort etwas ganz anderes? Er hatte darüber gelesen, aber traf es auf Macon zu?  Anselm beschloss, sich die Reaktion zu merken. Wenn er eines wusste, dann das er vorsichtig sein musste. Er bewegte sich auf sehr gefährlichem Gebiet, so oder so.

„Ich… schätze einmal… Danke?“ Er drehte den Helm in den Händen. Einer nach dem anderen verschwanden die übrigen Männer der goldenen Garde und wendeten sich wieder ihren Aufgaben zu, bis schließlich nur noch er, Cyrus und Hetman Macon zurück blieben.

„Ihr glaubt, das sei mein Dank?“ Der Hetman lächelte kalt. „Ihr seid also auf Wunsch des Kaisers hier. Irgendein verzogener Adeliger, der sich für den Militärdienst zu fein ist, selbst wenn das nur heißt, mit einem Degen herum zu fuchteln und von anderen zu verlangen, dass sie in ihren Tod laufen. Schön.“

„Tatsächlich… Sir, habe ich keinen Zugriff auf das Geld meiner Familie. Das letzte mal Kontakt mit ihnen hatte ich als ich fünf war.“ Oder zumindest, den letzten erfreuliche. „Ich… gehöre zum Orden.“

„So viel dachte ich mir, aber wenn ihr wirklich einer der Magier währt, hättet ihr Kazimier in Staub verwandelt und die Sache erledigt. Oder?“

Etwas an dieser Frage irritierte ihn. Es ging hier nicht darum, zu wissen ob er wirklich ein Magier war, dachte Anselm. Aber um was dann? Ob er hätte töten können. Und wieso wollte er das wissen? Es spielte keine Rolle, dachte er. Es spielte keine Rolle, was dieser Hetman Macon plante, solange er dazu stand, was er war. Der Grund, aus dem der Orden ihn nicht hatte benutzen können.

 „Nein.“, erklärte er schlicht. „Nicht solange ich eine andere Möglichkeit habe. Ich hätte ihn töten können. Mit oder ohne Magie ich… ich habe mich schlicht dagegen entschieden.“ Und er würde sich immer dagegen entscheiden. Das war die schlichte Wahrheit. 

Die Antwort schien Macon das erste Mal aus dem Konzept zu bringen. „Wie dem auch sei. Ihr habt Kazimier besiegt. Es erscheint mir nur angemessen, das ich euch daher seinen Platz anbiete.“

,,Also…“ Anselm sah sich erneut hilfesuchend nach Cyrus um. „Ich danke euch, wirklich, aber…“

„Ich würde annehmen, wenn ich ihr wäre. Lady Macon wäre sicher… gekränkt.“ Und er glaubt nicht, das ich bei ihr so viel glück hätte, wie bei Kazimier.“

„Es heißt Hetman Macon. Und nein, ich habe nicht gesagt, dass er Ablehnen kann.“

„Wisst ihr, ich versuche eigentlich wirklich dafür zu sorgen, dass er sich nicht umbringen lässt. Wenn ihr ihn für eure Garde rekrutieren wollt würde es das doch erheblich schwerer machen.“ ,warf Cyrus ein.

„Ich würde behaupten, das ist euer Problem, Gardist.“

„Es heißt Cyrus.“ , gab der Wolf spöttisch zurück.

„Wie dem auch sei, ich nehme an , der Kaiser wäre sicher sehr betrügt, wenn sein neuestes Spielzeug kaputt geht und keine Berichte mehr mit den Schatzkarren nach Canton zurück kehren. Ich hindere euch jedoch sicher nicht daran, auf ihn acht zu geben. Wir können einen Magier gebrauchen aber ich werde sicher nicht auf ihn aufpassen. Und was den Orden angeht, tue ich ihm anscheinend einen gefallen.“

„Hat sie damit recht, Anselm? Der Orden wird doch sicher ein Wort mitreden wollen, bevor euch jemand… Zwangsverpflichtet?“

„Ich fürchte tatsächlich nicht. Oder zumindest…“Der junge Magier kratzte sich am Kopf. „Sie werden such vermutlich Zeit lassen, irgendetwas deswegen zu unternehmen, Der Orden… sagen wir einfach es hat seinen Grund warum ich hier bin.“

Cyrus grinste breit. „Großartig. Hört ihr das? Er ist wertlos für euch.“

„Ich glaube nicht, das ihr das beurteilen könnt.“

„Darf ich vielleicht auch noch was dazu sagen?“ Anselm sah einen Moment unsicher zwischen den beiden Männern hin und her.

„Nein.“ Sowohl Cyrus als auch Macon sprachen fast gleichzeitig.

„Warum ich…“ , murmelte Cyrus. „Wie kommt ihr darauf, dass ich ihn nicht einfach sterben lasse und verschwinde? Ihr gewinnt nichts dadurch.“

„Oh, sagen wir einfach, ich verlasse mich darauf, das ich euch richtig einschätze.“

„Ihr könntet enttäuscht werden. Das haben schon ganz andere versucht… mein Hetman.“ Cyrus grinsen tat nicht wirklich viel dazu bei, Anselm zu beruhigen. Der Wolf konnte nicht wirklich darüber nachdenken, ihn bei der goldenen Garde allein zu lassen. Wo war er hier eigentlich rein geraten…“

„Ich schätze… er meint das nicht so?“ , fragte er  mit dünner Stimme.

„Oh, er meint das genau so.“ , erwiderte Macon. „Aber er wird es nicht tun. Nicht weil es hn wirklich sören würde, wenn unter den Karren mit Schätzen und Kunstwerken ausgerechnet eure Berichte fehlen würden. Ihr seid hier um zu sehen. Und das werdet ihr, glaubt mir.“

„Ihr setzt ziemlich viel Vertrauen in mich. Und warum bitte wollt ihr Anselm haben, wenn er nicht für euch kämpfen wird?“

„Ich habe meine Gründe einen Magier in der Nähe haben zu wollen. Belassen wir es dabei.

Aber wofür?, dachte Anselm. Es schien keinen Sinn zu machen. Der Orden hatte dutzende seiner Mitglieder hier, wieso glaubte der Hetman der goldenen Garde ausgerechnet ihn zu brauchen? Ein Magier konnte eine Schlacht entscheiden, aber er gehörte nicht zu dieser Art von Magiern und das hatte er mehr als deutlich gemacht. Also um was ging es hier? Was gab es hier an Magie bei der er Hilfreich sein könnte. Die Antwort schien seltsam einfach.

„Es geht um die Rüstung.“ , stellte er fest.

Zum zweiten  Mal zeigte die selbstsichere Maske des Hetmanen Risse. „Ihr seid Aufgewecker als ich gedacht habe. Ein weiterer Grund euch nicht gehen zu lassen. Ich schulde euch allerdings keine Rechenschaf, Oder Antworten. Wir werden das besprechen, wenn es so weit ist.“ Der Hetman wendete sich wieder Cyrus zu. „ Und wenn ihr auf ihn aufpassen wollt… nun ihr werdet genauso wie er meinen Befehlen folgen.“

„Auch das haben schon ganz andere versucht.“

„Dann geht. So wie ich es sehe, bekomme ich entweder einen Magier. Oder einen Magier und seinen Aufpasser dazu. Was ihr davon haltet, interessiert mich nicht.“

Cyrus seufzte. „Wir werden darüber noch reden. Aber für den Moment gehe ich nirgendwo hin.“

„Danke.“ , bemerkte Anselm.

„Was? Dafür das ich euch nicht sterben sehen will? Ich dachte, das häten wir schon geklärt. Tut mir nur einen gefallen  und versucht euch nicht wieder mit irgendjemanden anzulegen.“

„Nicht solange ihr mich nicht schubst.“

„Immerhin kann es kaum schlimmer werden.“

„Ich fürchte, da habt ihr unrecht.“ Anselm tippte ihn locker auf die Schulter und al Cyrus sich zu ihm umdrehte, sah er, dass der junge Magier bleich geworden war. Seine Augen waren geweitet und starrten… worauf? Nicht auf die Stadt wie Cyrus vermuet hätte. Nicht auf die zyklopischen Wälle von denen jeder Zeit ein neuer Ausfall stattfinden könnte. Anselms Blick ging über das Lager und den Dschungel hinweg zum Horizont. Oder dort, wo der Horizont gewesen wäre. Die Wolken teilten sich wie ein Vorhang, vor dem, was nun aus ihnen auftauchte. Ein Schatten, so gewaltig, dass er die aufgehende Sonne verdeckte und das Lager in Schatten tauchte. Langsam, fast so als würden sie sich aus dem Nebel formen, tauchten Türme, Figuren und Gebäude aus den Wolken auf. Paläste aus Marmor und Gold, die das Licht der verdeckten Sonne wiederspiegelten und von innen aus zu leuchten schienen. Schwebende Inseln, eine jede groß genug um eine eigene Stadt zu bilden, verbunden über Brücken aus reinem Silber. Ewige Wasserfälle stürzten in die Tiefe und fielen als menschengemachter Regen auf das Lager nieder. Männer schrien, andere wendeten sich ab und bedeckten die Augen, andere fielen auf die Knie. Cyrus hingegen konnte nur wortlos starren, als die Wolken endgültig zerrissen und das, was dort inmitten der weißen Nebel hing völlig enthüllte. Es war eine Stadt, so gewaltig, das sie den gesamten nördlichen Horizont einnahm und wie ein himmlisches Gegenbild zu den dunklen Granitmauern von Xihuitzin stand. Er hatte Geschichten darüber gehört, natürlich. Jeder hatte das. Und viele hier hatten sie gesehen und versucht zu beschreiben. Nichts davon hatte ihn auf das hier vorbereitet.  Es war ein Wunder, geboren aus Magie und dem Willen eines einzelnen Menschen alles zu beherrschen. Ein Palast aus Gold Und Marmor und eine Erinnerung an das, wofür diese Männer kämpften. Die fliegende Stadt des Kaisers war hier…

Siebzig Jahre nach ihrem Verschwinden, war die Rache für die Bernardet-Expedition gekommen. Und zum ersten Mal seit Monaten wirkte Xihuitzin nicht länger unbezwingbar.

 

10. Kapitel: Kapitel 8

 

Stille. Und Furcht  Priam konnte die Angst der Hohepriester spüren. Die Verwirrung. Keine der zwölf gestalten hatte sich gerührt, seitdem der Mann gesprochen hatte. Lediglich die Handvoll Schattengardisten regten sich in den dunklen Winkeln der Kammer, fast unsichtbar mit ihrer sich ewig verändernden Haut Aber wovor fürchteten sie sich? Vor den Worten jenes seltsamen Mannes, den sie selbst in ihre Mitte gebracht hatten? Des Eisnomaden, wenn Priam mit seinen Vermutungen richtig lag.

„Was soll das heißen?“ Die Frage wurde mit einer Stimme gestellt, die kaum etwas Menschliches hatte. Dünn und doch gefährlich wie das zwischen einer Schlange. Falls der Eisnomade sich bedroht fühlte, zeigte er es jedenfalls nicht. Nach wie vor behielt der Mann eine Haltung, die wenn man bedachte, wo er sich befand, fast beunruhigender war, als die Gegenwart der Priester. Aber nur fast, dachte Priam. Warum hatten sie darauf bestanden, dass er hier war? Nichts hiervon ergab einen Sinn für ihn. Aber die At wie der Seher ihn angesehen hatte, hatte ihn beunruhigt Mehr noch, es hatte ihm Angst gemacht, Mantra hin oder her. Es war nur Spekulation aber… was wenn er  gar nicht auf Wunsch der Hohepriester hier war… Es würde bedeuten, dass dieser Mann über die Macht verfügte, den Hohepriestern Bedingungen zu stellen. Und diesem Gedanken schloss sich ein weiterer an, einer der vielleicht noch wichtiger war. Damotes hätte ebenfalls längst hier sein sollen. Auch seine Anwesenheit die der Zeremonie war gewünscht worden. Ich glaube, das ist das erste mal, das ich ganz froh bin mit diesen… Kreaturen alleine zu sein, dachte er. Was immer heute hier noch geschehen sollte, es machte ihn unruhig. Immerhin wäre sein Vater so nicht gefährdet.

„Es bedeutet, das mir das Ende jetzt klar ist.“ So wenig Sinn die Worte des Mannes für Priam machten, keiner der Hohepriester schien seine Verwunderung zu teilen. Wobei… schwer zu sagen ohne ihre Gesichter zu sehen, dachte er.

„Dann sprecht. Was hat er vor? Ihr seid nicht noch am Leben um uns zu drohen, Seher. Wir kennen eure Art. Versucht nicht, uns zum Narren zu halten. Euer Leben ist so bedeutungslos, wie das eures Volkes. Eure Prophezeiungen sind so ungenau und leer, wie eure eigene Zukunft.“

„Ach ist es das? Nun, ich fürchte, dann müsst ihr etwas deutlicher werden. Wer hat was vor? Ich bin immerhin nur ein einfacher Sterblicher.“

„Der Falamir. Der den ihr euren Kaiser nennt. Konstantin Belfare.“

Falamir? Was war das für ein Wort? Priam runzelte die Stirn. Er kannte die Sprache dieser Stadt aber dieses Wort… es klang mehr wie ein Name, doch der Hohepriester hatte es wie einen Titel verwendet. Und er kannte ihn. Irgendwo hatte er diesen Namen bereits einmal gesehen. Irgendwo in den Archiven… Etwas in Verbindung mit einem tiefblauen Juwel, das er einst in den Gewölben gefunden und katalogisiert hatte. Es war ein Name, der etwas mit Magie zu tun hatte. Und das alleine reichte, um misstrauisch zu sein.

„So nennt ihr ihn also? Ich schätze, er würde sich geehrt fühlen, selbst wenn ihr es nicht so meint. Und was seine Pläne angeht… Welche Pläne hatte Falamir? Euch aufzuhalten. Der Kaiser jedoch wird nicht so gnädig sein, euer Leben zu schonen. Er hat etwas… Radikaleres im Sinn.“

„Ihr habt es selbst gesagt, Seher. Er wird uns nicht überwinden. Nichts kann das.“

Der Eisnomade lächelte dünn. „Ich wäre mir dessen nicht so sicher. Eure Zeit ist lange vorüber. Und eure Existenz wird nicht ewig geduldet werden.“

„Verspottet uns nicht.“ Die Gestalt des ersten Hohepriesters schoss in die Höhe. Glass klirrte und eine ausgemergelte, skeletthafte Hand schoss in die Höhe. Graue Haut spannte sich über Finger, deren Nägel sich zu langen Krallen  krümmten. Der Seher wurde von den Füßen gerissen, seine Beine traten in die Luft, die sich mit einem mal verdichtet zu haben schien. Priam konnte die plötzliche Ladung in der Luft spüren, als stünde ein Gewitter bevor. Der Seher schrie auf, als seine Knochen durch eine unsichtbare Kraft gequetscht wurden, die Kleidung wurde ihm an den Leib gepresst.  Und doch blieb sein Lächeln, so verzerrt es war und auch wen Priam das Gesicht der Hohepriester nicht erkennen konnte, er konnte sich den Gleichgültigen Ausdruck darauf vorstellen. Die vollkommen Gelassenen Art, wie sie mit dem Leben anderer umsprangen. Der Druck verschwand und der Mann fiel wie eine Puppe mit durchgeschnittenen Fäden zu Boden. Hustend richtete er sich auf. Die blauen Augen blitzten.

„Wenn ihr glaubt, das ihr mir Schmerzen zufügen könnt, seid ihr närrischer als ich dachte. Ich kenne de Augenblick und die Umstände meines Todes. Ich habe sie tausende Male erlebt.“ Blut tropfte aus seinem Mundwinkel hinab auf die Steinfließen und floss hinab zu den Sammelkanälen die den Boden der Kammer durchzogen.

„Und was würde  uns daran hindern euch jetzt und hier zu töten und jede Prophezeihung Lügen zu strafen?“

Die Luft im Raum schien mit einem mal kälter zu werden. Der Seher erwiderte nichts, sondern sah seine zwölf Kerkermeister nur herausfordernd an. Priam war überzeugt, das der Mann nun sterben würd. Während dieser ganzen seltsamen Unterhaltung hatte er nichts getan, als die Hohepriester zu provozieren. Sie hatten gar keine andere Wahl, selbst wenn sie nicht geplant hätten ihn zu töten. Nicht, wenn sie ihre Überlegenheit beweisen wollten. Selbst die Schattengarde schien sich etwas weiter in die Dunkelheit zurück zu ziehen. Der Seher würde sterben… und vielleicht war das das beste. Es würde diesen verwirrenden Alptraum beenden und er alles hier vergessen können. Alles was hier geschah, warf zu viele Fragen auf. Fragen zu den Dingen die er in Helikes Archiven gesehen hatte… und die aus gutem Grund unter dem Stein der inneren Stadt begraben lagen. Magie stand gegen Helikes Gesetze. Es war nicht gut, sich damit zu beschäftigen, davor hatte Damotes ihn zu oft warnen müssen. Priam atmete tief ein, wartete darauf, dass einer der Hohepriester erneut die Hand hob und den Eisnomaden nieder streckte.

Mit einem gewaltigen Schlag flogen die Türen des Tempels auf. Licht flutete herein und vertrieb die Schatten aus den tiefen Winkeln der Kammer. Priam atmete aus. Frische Luft… und Wärme, die ein Gefühl von Heimat mit sich brachte. Die Hitze des Dschungels war nicht vergleichbar mit dem läuternden Feuer der Wüste, aber im Augenblick war sie Priam genau so willkommen.

Die Schattengarde, die sich eben noch verborgen gehalten hatte, reagierte sofort und sprang vor. Messer fuhren aus Scheiden, ihre Klingen so dunkel wie die Haut ihrer Träger. Obsidian. Blasrohre und Pfeile richteten sich auf den Eingang.

Der Mann, der dort stand maß die Männer mit langsamem Blick. Den roten Umhang der Paladine, hatte er sich über einen Arm gelegt, die andere Hand lag locker am Schwertgriff. Die grauen Haare wurden von einem schlichten Ring aus geschwärzten Metall gekrönt, das Symbol, das den Neuankömmling als einen Schwertmeister Helikes auswies. Die schwere Rüstung die er trug, schien er kaum zu spüren. Zwanzig weitere Gestalten in ähnlicher Kleidung folgten ihm, bewaffnet mit Speeren, die sie im Gegensatz zur Schattengarde in Habachtstellung hielten.

Damotes beachtete die auf ihn gerichteten Waffen gar nicht, als er weiter in die Halle trat. Die dunklen Phantome waren die persönliche Leibgarde der Hohepriester, doch für Damotes hätten sie auch Kinder sein können, die sich ihm in den weg stellten. Priam wusste, was er dachte. Das gleiche wie er. Diese Männer waren keine Krieger. Sie versteckten sich in den Schatten, zu kleinen Einheiten aufgeteilt  in den Dschungeln, die die Stadt umringten um die Versorgungswege der Garde zu überfallen. Aber was wäre das Wert, wenn die Mauern fielen und der Kampf in den Taghellen Straßen der Stadt stattfand. Nichts. Wie sollte man aus diesen Dieben und Meuchelmördern Soldaten machen, wenn es nötig würde?

Mit einem Blick erfasste er die zwölf Gestalten auf ihren steinernen Thronen, den am Boden knienden Seher und das Blutbecken. Die Abscheu stand ihm ins Gesicht geschrieben. Einer der Männer der Schattengarde trat vor um sich ihn in den Weg zu stellen. Der erste Fehler, dachte Priam. Der zweite war, die Waffe auf Damotes zu richten. Priam wusste, was geschehen würde, noch bevor sich jemand rührte. Damotes Geduld war mehr als erschöpft. Mit einer einzigen, fließenden bewegung, glitt das Schwert aus der Scheide und durchtrennte den Arm des Schattens. Blut spritzte hoch, als der Mann mit einem Aufschrei zurück stolperte. Die übrigen Schatten stürzten einige Schritte vor… erstarrten jedoch als sie den Ausdruck auf Damotes Gesicht sahen.

„Gebt mir einen Grund.“ Damotes Gesicht glich einer Totenmaske. Blass, gespannt und irgendwie… dünn.

Die Schatten wichen zurück. Zwei von ihnen halfen dem Verletzten auf die Füße und brachten ihn in eine Nische. Er schrie noch immer. Schreie… wie viele davon hatte er hier schon gehört, dachte Priam.

Seltsamerweise konnte er die Stimmen der Hohepriester selbst über das allgemeine Chaos hinweg hören. So als ob ihre Worte als einzige von der Höhlenartigen Kammer verstärkt würden. Panische Fragen. Angst.

„Was reden sie da?“ , verlangte Damotes zu wissen.

„Sie wollen wissen, was  du glaubst hier zu tun.“ , übersetzte Priam rasch. Zumindest, war das das was die meisten zu Wissen verlangten. Wenn sie nur nicht alle durcheinander reden würden. Das Flüstern in diesem Raum war schlimm genug.

„Dieser Ort macht mir Kopfschmerzen.“  Damotes rieb sich die Schläfen und schob das Schwert zurück in die Scheide. „Was bei allen Heiligen geht hier eigentlich vor? Wissen sie überhaupt was da draußen los ist?“

Priam übersetzte die Frage, formulierte sie allerdings deutlich höflicher. Die Spannung im Raum war ohnehin schon greifbar genug, ohne das Damotes die Hohepriester noch weiter beleidigte.  Die Antwort fiel ziemlich kurz aus.

„Nein.“

Damotes seufzte schwer und gab seinen Männern ein Zeichen, sich zurück zu ziehen. Einer nach dem anderen verschwanden die Paladine und ließen ihn, Priam und die Hohepriester alleine zurück. Die Schattengarde tat das gleiche und zog sich wieder in die dunklen Winkel der Halle zurück, wo sie so gut wie Unsichtbar wurden. Zum ersten Mal wirkte sein Vater wirklich… alt, dachte Priam. Erschöpft von all dem hier. Und doch hatte er sich freiwillig gemeldet, als es hieß, dass man eine Expedition gegen den Kaiser entsenden wollte. Es hätte genug jüngere Schwertmeister gegeben, die die Aufgabe hätten übernehmen können. Und doch hatte er darauf bestanden. Priam fürchtete, zu wissen wieso.

Damotes gab sich Mühe, wieder gerader zu stehen, aber der müde Ausdruck aus seinen Augen verschwand nicht ganz. Und war da nicht ein momentaner, grüner Schimmer gewesen? Priam wusste es nicht zu sagen.

„Die fliegende Stadt ist hier.“ , erklärte Damotes ruhig. „Der Kaiser selbst ist angekommen.“

„Endlich.“ Einen Augenblick war Priam sich sicher, sich verhört zu haben. „Wie es vorherzusehen war.“ Er konnte nicht sicher sagen, wer der zwölf gesprochen hatte, aber einen Moment zögerte er die Worte zu übersetzen. Genug, für seinen Vater erneut die Geduld zu verlieren. Er mochte nicht verstehen, was die Priester sagten, aber der Tonfall war eindeutig. Ruhig. Geradezu unbesorgt.

„Eure Stadt wird fallen. Der Kaiser selbst ist hier und wenn wir die Mauern verlieren, wird er diesen Ort schlicht überrennen. Die Zeit in der wir uns verstecken und aus dem Dunkeln zuschlagen konnten ist vorbei. Ich bin hier um euch zu unterstützen aber wir müssen jetzt handeln. Ich kann eure Männer führen und versuchen die Wälle zu sichern. Gegen die fliegende Stadt werden wir sie nicht auf Dauer halten können, aber wir können uns genug Zeit erkaufen um die äußere Pyramidenebene zu evakuieren und den nächsten Ring zu besetzen.“

Und es war in diesem Augenblick, dass der Seher, der bisher  nur stumm zugesehen hatte, begann zu lachen. Der Ton wurde von der seltsamen Akustik des Raumes noch verstärkt, wurde hoch und heulend, so das Priam sich die Nackenhaare aufstellten.

„Unterschätzt unsere Macht nicht. Wir haben die Werkzeuge hier um uns um den Kaiser zu kümmern. Es wird keinen Rückzug geben.“ Erneut hob der erste der Hohepriester die Hand und gab ein Zeichen. Ein einzelner Schattengardist trat aus der Finsternis heraus, ein Messer in der Hand. Und auf den Seher zu. Priam wusste, was geschehen würde. Er wusste nicht, was genau die Hohepriester planen mochten, aber er wusste, was sie brauchten. Blut. Mehr Blut. Das eines Sehers. Jetzt war also der Augenblick den Priam bereits kommen gesehen hatte. Irgendwie tat es ihm um den alten Mann leid. Er warf so viele Fragen auf… Vielleicht hätte eine Unterhaltung mit ihm, ihm mehr über die Pläne der Hohepriester verraten. Das Messer blitzte auf…

 

11. Kapitel: Kapitel 9

 

Damotes reagierte schnell. Stahl prallte auf Stahl, als er sein eigenes Messer zog und die Obsidianklinge des Schattengardisten abwehrte. Der Stein schnitt eine tiefe kerbe in das Metall, durchtrennte es aber nicht ganz. Funken sprühten auf, versengten sein Gesicht, bevor er es schützen konnte, dann stieß er den Mann mit Gewalt zurück. Die mit unnatürlichen Schuppen überwucherte Haut  des Schattens verhärtete sich bei dem Schlag, riss seine Haut selbst durch die schweren Handschuhe auf, die er trug. Aber es konnte wenig daran ändern, das er zurück geworfen wurde und mit Wucht auf dem Boden aufschlug. Sofort begann sich die Haut des Mannes zu verändern und er wurde eins mit seiner Umgebung, verschwand…

„Nein.“ Damotes drehte sich zu den Hohepriestern um. Dabei streifte sein Blick den des Fremden den sie hatten Opfern wollen. Ein Wilder, ganz ohne Frage, in zerlumpte Felle gekleidet und mit verfilzten, grauen Haaren. Der Mann schien sich seiner Lage gar nicht bewusst, den ein dünnes Lächeln spielte über seine Züge. Fast so als amüsiere ihn das Schauspiel das sich ihm hier bot königlich. „Es ist genug.“ Seine eigenen Worte überraschten ihn. Die Müdigkeit darin… „Es wird heute noch genug Blut fließen. Wenn ihr wirklich glaubt weitere Opfer bringen zu müssen, bitte. Aber erwartet nicht, das ich dieser Barbarei weiter zusehe oder ich nehme meine Männer und verlasse diese Stadt.“

Eine leere Drohung. Er konnte diese Stadt genau so wenig verlassen, wie die Hohepriester. Dafür hatte er nicht genug Männer. Ein Ausfall würde bloß den Tod aller bedeuten und das wussten sie. Er war mit eintausend Mann in die Stadt gekommen, aber darunter befanden sich nicht einmal zweihundert vollwertige Paladine. Der Rest waren Hilfstruppen. Männer die den Weg der hundert Prüfungen zum Teil beschritten hatten ohne ihn je zu Ende zu gehen und ohne die Erfahrung oder die Ausrüstung eines jener legendären Drachenjäger. Auch wenn es hier an Drachen mangelte, dachte er. Das war immerhin etwas. Stille hatte sich über die Halle gesenkt. Er sah zu Priam. Der Junge wirkte erschöpft, dachte er. Die hellblaue Robe des Archivars, die er über seiner leichten Mthrilrüstung trug, ließ ihn blass wirken und die Spiegelung der einzigen Lichtquelle tat ihr Übriges. Vielleicht war es falsch gewesen ihn mit zu nehmen, dachte Damotes. Der Junge war kein Krieger wie er, das hatte er bewiesen. Seine Talente lagen für Laos in anderen Bereichen. Und genau deshalb brauchte er ihn hier.

„Priam, frag sie ob sie es darauf ankommen lassen, ob ich mir lieber einen Weg durch die Belagerung Schlage oder weiter euch ertrage?“

Priam nickte und übersetzte seine Drohung. Vermutlich schönte er seine Worte ein wenig, aber das kümmerte Damotes nicht. Sein Junge mochte kein Krieger sein aber in einer Sache war er ihm definitiv überlegen. Er konnte reden. Vielleicht hätten andere Schwertmeister das als Enttäuschung empfunden. Damotes hingegen empfand einen warmen Stolz dabei. Hatte nicht Laos selbst die Leute zuerst mit Worten für sich gewonnen, bevor er zum Schwert griff. Worte waren genauso eine Waffe, wie Stahl. Wie Rituale. Das brachte ihn zurück in die Gegenwart. Nach wie vor hatte sich niemand gerührt. Schließlich jedoch gab einer der Hohepriester ein Zeichen und erneut tauchte einer der Schatten aus der Dunkelheit auf. Diesmal ohne Messer. Zum zweiten Mal an diesem Tag ließ Damotes das Schwert zurück in die Scheide wandern. Er schwor sich, dass es kein drittes Mal geben würde. Alles hier machte ihn nervös.

Einer der Hohepriester sagte etwas und Priam übersetze für ihn. „Er wird leben.“ , erklärte der Junge. „Aber sie brauchen sein Blut.“

Mit diesen Worten  packte der Schatten den Seher am Handgelenk. Der Mann verzog das Gesicht, sagte jedoch nichts, sondern sah seelenruhig dabei zu, wie sein gegenüber ein Messer zog und ihn damit übers Handgelenk Schnitt. Die Wunde war nicht tief, aber sie blutete. Stark. Einige Tropfen fielen zu Boden, bildeten ein kleines Rinnsal das zum Zentrum der Kammer floss. Ein weiteres Zeichen und weitere Schatten packten den Seher und führten ihn aus der Kammer.

Damotes  sah ihnen nicht nach. Sein Blick hing an der dünnen, roten Spur die der Eisnomade auf seinem Weg aus der Kammer hinterließ.

Das Blut, dachte er, war nur eine Maske. Ein Vorwand. Er wusste nicht viel über Zauberei, aber die Macht dahinter brauchte keine Opfer. Damotes fragte sich nur, für wen diese Maske war. Ein weiterer Teil dessen, was die gesichtslosen Priester verbergen mochten? Es war ein Schauspiel für ihr Volk, das sie als Götter ansah. Eine Zuschaustellung davon, wer in dieser Stadt die Macht über Leben und Tod hatte. Einst war es in Helike nicht anders gewesen. Angebliche Götter hatten über Sterbliche geherrscht und sie mit Leib und Seele für sich beansprucht. Mit Blut. Hier die Hohepriester und dort die Drachen. Und doch verteidigten sie diesen Ort. Der Gedanke machte ihn  jedes Mal Unruhig. Aber die Archonten hatten den Befehl gegeben. Vielleicht war die Sicherheit Helikes aus ihrer Sicht ein paar Prinzipien wert.  Er würde darauf vertrauen müssen, dass sie Recht hatten. Und seine Pflicht tun. Allerdings ah er dem was nun geschehen würde, keinesfalls entgegen. Die Rituale mochten Maskerade sein. Doch die Magie darunter war echt.  Damotes konnte spüren, wie sich die Luft im Raum zu verdichten schien, wie sich die feinen Haare auf seinen armen aufstellten, während die Hohepriester zu singen begannen. Worte, die er nicht verstand, aber den Stein der Halle zum Zittern brachten. Und ihr Gesang wurde beantwortet. Die Magie war echt und sie brachte seine Knochen zum Schmerzen und rief die Flüsternden Stimmen wach, die sich mit dem Chor der Ältesten vermischten.

 Flüstern, das aus der Dunkelheit kam, nicht von der wartenden Schattengarde, sondern aus der Luft selbst und an seinen Nerven zehrte. Stimmen, die ihm zuriefen und schrien und… verstummten. Von einem Augenblick auf den anderen war es Totenstill.   Der Hohepriester, der ganz am rechten Ende des Bogens aus steinernen thronen saß, bewegte sich. Völlig geräuschlos stand er auf, das weite, schwarze Gewand zeichnete einen Augenblick lang die Silhouette eines uralten, knochigen Körpers ab. Seine Schritte erzeugten keinerlei Laut, waren nicht wahrnehmbar, so dass es wirkte, als würde er schweben. Drei Stufen trennten ihn vom Boden der Kammer, dann war er auf Augenhöhe mit ihnen. Zum ersten Mal konnte Damotes ohne geblendet zu werden erkennen, was sich unter den dunklen Kapuzen dieser Wesen verbarg. Augen die ihn mehr an die einer Katze erinnerten sahen ihn einen Augenblick an. Gelb mit vertikalen Pupillen. Fast wie bei einem Gejarn.  Augen, die tief in feine, alabasterartige Haut eingesunken waren. Weiß, fast durchscheinend, so das sich blaue Adern darunter abzeichneten. Und trotz des offensichtlichen, unvorstellbaren Alters war die Haut glatt, sah beinahe unnatürlich aus. Es war weder ein Gejarn, noch glaubte er, das ein Mensch so aussehen konnte. Selbst die gequälten Magier des Sangius-Ordens wirkten immerhin nach wie vor wie Lebewesen. Verdreht und vor ihrer Zeit gealtert, ihrer Kraft und Jugend beraubt aber am Leben. Dieses… Ding wirkte mehr, als sei es eine Puppe, wäre es nicht für diese Augen gewesen. Augen, die durchaus leben in sich hatten. Und grünes Feuer.

Mit wenigen Schritten trat der Hohepriester an das Becken im Zentrum der Kammer heran und schlug die Kapuze zurück. Nein, dieses Ding war kein Mensch, dachte Damotes. Die Züge wirkten zu fein, wie aus Porzellan, was erklärte, wieso es ihn an eine Puppe hatte denken lassen. Die Augen brannten mit einem inneren Licht, das ihn an die Sumpffeuer denken ließ, die in den ausladenden Sumpfdeltern der westlichen Küste Helikes auftauchten. Vollkommen erbleichte Haare und Ohren, die nicht Rund zuliefen, sondern Spitz. Der Priester vollführte eine Handbewegung über dem Becken. Das Blut ging in einer Säule aus gleißendem, grünen Licht auf, die sich bis zur Kuppel des tempelinneren Schlängelte und dann… zerbrach. Als würde die Realität selbst nachgeben. Wie konnte Licht zerbrechen? Ein Geräusch wie von berstenden Stein erfüllte den gesamten Saal, während Scherben aus Licht um Damotes herum niedergingen und einen Moment wie Flüssigkeit über den Boden liefen, zurück zu dem Becken, dessen Inhalt sich ebenfalls in einen See aus Helligkeit verwandelt hatte. Erneut wurde das Licht nach oben geschleudert, bis es zerbrach. Es war wie Regen. Regen aus Glas das Leuchtete… Es war Wahnsinn. Was hatten die Hohepriester entfesselt?

 Der Schwertmeister wich zurück, tunlichst darauf achtend, keines der Lichter zu berühren. Sein eigenes Spiegelbild zeichnete sich verschwommen darin ab. Mit grünen, brennenden Augen…  Stimmen flüsterten um ihn herum, lauter, dann wieder leiser. Und diesmal schien es, verstand er manche der Worte.

„Können sie das nicht wenigstens Still machen.“ Er rieb sich die Schläfen, schloss die Augen und blendete die seltsame Vision im Licht damit aus. Bei Laos, was würde er darum geben, einfach nie hier her gekommen zu sein.

„Was meinst du?“ Priam sah ihn mit schief gelegtem Kopf an. Hörte er etwa nichts hiervon?

Schemen stiegen aus den leuchtenden Wassern auf, wanderten durch die Halle und durch den Priester hindurch, der nach wie vor mit erhabenen armen an dem Becken stand. Erstarrt und regungslos. Seine Porzellanhaut wirkte noch lebloser als zuvor, das Feuer in seinen Augen war verschwunden. Damotes war sich nicht einmal sicher, ob er noch atmete. Vor ihm, direkt über dem Becken schwebte etwas im Licht. Formgewordener Nebel, der scheinbar ein Spiegelbild des Mannes war, der ihn heraufbeschworen hatte. Aber… schöner, dachte Damotes irritiert. Das Nebelabbild verfügte über die gleichen, feinen Züge, doch wirkten sie hier nicht falsch, sondern Edel, die Haut nicht unnatürlich sondern scheinend hell. Das Wesen trat einen Schritt nach vorne, berührte das Blut im Teich mit den Füßen und erzeugte Wellen darin.

Der Schwertmeister legte die Hand an den Schwertgriff. Die Nebelgestalt schien alle Wärme aus der Umgebung zu ziehen. Grünes Feuer tanzte um ihre Füße. Es hatte keine feste Gestalt, kein Gesicht, das Emotionen hätte Form geben können, trotzdem konnte er den Hass spüren, der von diesem Ding ausging. Es war kein zielgerichteter Zorn, kein bewusster Akt… es war einfach blinde Zerstörungswut. Chaotisch, ungerichtet… und Wahnsinnig. Und es flüsterte, dachte Damotes.  Es sprang nach vorne, die aus Nebel geformten Arme ausgestreckt  , dann hob der erste der Hohepriester die Hand. Talismanne aus grünem Glas klirrten, als er sich bewegte und einen Augenblick war Damotes, als könne er sehen, wie das Geräusch Wellen in der Luft erzeugte, sich ausbreitete… Die Wellen, die den Blutteich kräuselten, wechselten mit einem mal die Richtung, als sei eine Sturmböe aufgekommen und die Nebelgestalt wurde wie von einer unsichtbaren kraft zurück geschoben. Einen Augenblick noch schien sie sich dagegen zu stemmen… dann zerstreute sich ihre Form, sie verlor den Halt… und verschwand in der Dunkelheit.

Die Lichtsäule fiel langsam in sich zusammen und ließ nur das lauter werdende Geräusch von berstendem Stein zurück.  Noch immer verharrte der Priester mit ausgebreiteten Armen am Rand des Blutbeckens.

Dunkelheit umfing die gesamte Halle. Die Deckenöffnung war mit einem mal Finster geworden. Versiegelt, dachte Damotes. Als ob man vor dem Himmel geheim halten wollte, was hier geschah. Und dann wurde ihm langsam klar, woher das Geräusch kam. Grünes Licht flackerte  in einer Nische ihm gegenüber auf. Dutzende Augen aus gehämmerten Kristall, ein jedes so groß wie sein Kopf in denen das gleiche Feuer brannte. Weitere Augen öffneten sich, Stein verschob sich und erwachte zum Leben. Einer nach dem anderen schoben sich die Steinkonstrukte ins Licht, lösten sich scheinbar aus dem Fels des Tempels selbst. Es waren hunderte, dachte er. Wesen aus Fels und Kristall, die sich langsam vorwärts schoben, deren jeder Schritt Stein knirschen ließ. Doch diese Wesen hier waren anders, als die üblichen Golem-Wächter, die er bisher gesehen hatte. Es waren Giganten, dachte er. Ein jeder groß genug, das er voll aufgerichtet wohl die Decke der Halle durchbrochen hätte. Und während er die Fels-Wächter von Xihuitzin nicht unbedingt mit wohlwollen betrachtete, hatte er sich nie von ihnen bedroht Gefühlt. Diese Wesen jedoch… Damotes hob den Kopf und sah er ersten Gestalt, die an das Becken heran trat direkt in die Augen. Hass brannte darin. Der gleiche, von grünem Feuer genährte Hass, den die Nebelgestalt ausstrahlte. Was bei Laos hatten die Hohepriester getan?

„Der Kaiser wird hier sterben.“ , übersetzte Priam ihre Worte. Das leichte zittern in seiner Stimme zeigte, das auch ihm nicht gefiel, was sich hier abspielte. Damotes atmete tief durch, verbannte die flüsternden Stimmen wieder in den hintersten Winkel seines Verstandes.

„Dann heißen wir ihn besser willkommen.“

 

12. Kapitel: Kapitel 10

 

 Tausende Zelte bedeckten die Ebene um die Stadt. Wolken hatten die Sonne halb verdeckt und warfen sich ständig änderndes Muster aus Licht und Schatten. Der Wind hatte aufgefrischt und trieb sie nun vor sich her, als wären selbst sie auf der Flucht vor dem, was kommen würde. Das wenige Gras das tausende Füße zurück gelassen hatten, wurde zu Boden gedrückt, Banner und Fahnen flatterten knatternd im Wind, einige schlecht verankerte Zelte rissen sich los und tanzten durch die Luft. Niemand unternahm den Versuch, sie wieder zu befestigen oder kümmerte sich auch nur darum. Alle Blicke lagen auf dem was sich aus den vom Wind zerrissenen Wolken heraus schälte, wie die Überbleibsel eines Traumes, der irgendwie in die Realität über gewechselt war. Die Stadt hing bewegungslos zwischen Himmel und Erde, ein Wunderwerk aus gleißend weißem Marmor von dem die Banner des Canton-Imperiums hingen. Adler und Löwe, der eine aus Gold, der andere aus Silber, ineinander verstrickt. In Xihuitzin sammelten sich die Verteidiger auf den Wällen und starrten nach oben, tausende Männer, die durcheinander redeten und auf die Zitadelle im Himmel deuteten. Jemand schoss einen Pfeil nach oben, doch das Projektil konnte nicht einmal die Hälfte der Entfernung überbrücken und trudelte harmlos zurück zum Erdboden. Eine Weile lang, geschah gar nichts. Sowohl die Soldaten der Garde, als auch die Verteidiger der Stadt, begannen langsam, ihre Verwunderung zu überwinden. Boten wurden ausgeschickt um Informationen einzuholen,  Offiziere brachten ihre Einheiten befehle rufend in Ordnung. Auf den Mauern Xihuitzin tauchten neue Männer auf, zusammen mit steinernen Golems, die mit leeren Augen den Belagerungsring überblickten. Nach wie vor fühlten sie sich sicher hinter ihren zyklopischen Mauern, die aus Granitblöcken so hoch wie Häuser gefügt waren. Immerhin hatten sie bisher alles abgehalten, was Canton gegen sie geworfen hatte. Und doch konnte nichts die zunehmende Nervosität auf beiden Seiten zerstreuen. Alle wussten, das etwas geschehen würde. Über ihren Köpfen befand sich der Mann, der sich selbst mals Herrscher der Welt sah. Etwas würde geschehen. Die Gardisten der kaiserlichen Garde warteten genauso wie ihre Gegner. Metall klirrte, wo Rüstungen angelegt wurden. Männer sammelten sich in Reihen vor ihren Offizieren, vereinzelt konnte man kurze, geflüsterte Gebete vernehmen. Die Spannung in der Luft war greifbar, als würde jeden Moment ein Gewitter los brechen, trotz des blauen Himmels, der sich in den Lücken in den Wolken abzeichnete. Minuten vergingen in vollkommener Stille .Bis auf den Wind, der nach wie vor durch die Straßen der Stadt und die Wege des Lagers peitschte, war es nun beinahe totenstill geworden.

Ein einzelner Lichtblitz, hell genug um die Männer für einen Moment zu blenden, stieß von der fliegenden Stadt herab und schlug direkt vor der Stadt ein. Der Teleportzauber fächerte aus, formte ein Feld aus goldenem Licht, das die Welt in seinem inneren zu verschlucken schien. Dann trat die erste Gestalt aus dem leuchtenden Nebel heraus.

Die persönliche  Leibgarde des Kaisers unterschied sich so sehr von den oftmals zusammengewürfelten Regimentern der normalen Garde, wie es nur möglich war. Reihe um ordentliche Reihe erschien aus dem Licht. Jeweils vierzig Mann waren zu einer Reihe zusammen gefasst, bewaffnet mit Musketen, deren Holz auf Hochglanz poliert war. Jede der Waffen stammte aus den besten Feuerschmieden des Imperiums, nicht aus den Massenmanufakturen, die man in jeder größeren Stadt finden konnte und die  Feuerwaffen für Jäger, Adelige und gewöhnliche Soldaten fertigten. Diese hier stammten aus den persönlichen Schmieden des Kaisers, deren Produkte und Pläne nur den Herrscher selbst und seinen direkten Agenten zugänglich waren. Die für Wind und Wetter anfälligen Mechanismen waren mit metallenen Abdeckungen versehen, die sie so gut wie unempfindlich gegen Wasser machten und die gezogenen Läufe waren von einer Genauigkeit und Zuverlässigkeit, die selbst die Prunkwaffen, die der Adel führte billig und nutzlos erscheinen ließen.  Jeweils ein Offizier, bewaffnet mit einem mit dem Doppelwappen der Belfare verzierten Säbel, ging jeder der Reihen voraus voraus, begleitet von zwei Bannerträgern. In vergoldeten Fäden gestickt, waren die Fahnen so schwer, das der Wind sie nicht ganz entfalten konnte, eine jede gekrönt von der stilisierten Darstellung eines Adlers. Im Gegensatz zu der sonstigen Ausrüstung wirkten diese Flaggen alt, die Farben von Pulverdampf und Sonne ausgebleicht oder verdunkelt. Löcher zeigten, wo Kugeln das Material bereits früher durchschlagen hatten. Die kaiserliche Leibgarde trug die Zeichen ihrer vergangenen Schlachten mit Stolz vor sich,

Blaue, mit Goldknöpfen abgesetzte Uniformen waren mit eingenähten Stahlplatten verstärkt , die die Männer breiter und bulliger wirken ließen  ohne unelegant zu wirken. Ohne, das ein gesprochener Befehl nötig gewesen wäre, Fächerten die Männer aus, sobald sie das Teleportationsfeld verließen und stellten ihre Gewehre bei Fuß um ihr Bajonett zu befestigen. Jede Bewegung erfolgte genau Abgestimmt, wie ein Uhrwerk. Keiner zögerte, oder wurde langsamer beim Anblick der zyklopischen Mauern. Manche von ihnen waren Gejarn, die meisten Menschen. Es machte keinen Unterschied. Diese Männer gehörten zu keinem Regiment oder Provinz und nicht einmal zu einer Spezies, aber sie repräsentierten das Beste, was das Kaiserreich jemals an Soldaten hervor gebracht hatte, persönlich ausgesucht, entweder vom Kaiser selbst oder seinem Hochgeneral um die fliegende Stadt und ihren Herrscher zu schützen.

Ihnen folgten schließlich ein dutzend Gestalten in den auffälligen, türkisfarbenen Roben des Ordens. Jeder der Magier, die den Teleportzauber aufrechterhielten, trug einen schweren, mit rötlichen Kristallen besetzen Stab vor sich. Dünne Bänder aus Energie verbanden ihre Spitzen miteinander und leiteten sie zurück in den goldenen Nebel um den Zauber zu nähren. Es war eine Zuschaustellung an Macht und magischer Energie, die man möglicherweise zuletzt bei Simon Belfares großem Feldzug gesehen haben mochte. Zu einer Zeit, als die gesamte Macht des Reichs sich gegen sich selbst gerichtet hatten. Goldene Lichtbögen tanzten über das Gras und um die wartenden Männer herum, blendeten all jene, die z lange hinsahen und hielten die Schützen auf den Mauern davon ab, ihnen gefährlich zu werden. Falls diese in ihrer Verwunderung überhaupt daran dachten, anzugreifen.

Und als letztes folgten drei weitere Männer der Prozession aus Soldaten und Zauberern. Die erst war Golden, und trug die Rüstung eines Gottes. Vergoldeter Stahl, der die Sonne wiederspiegelte. Eingelassene Kristalle leuchteten in einem unheilvollem Licht und ließen die Luft um die Gestalt herum knistern und seltsam verzerrt wirken. Ein weißer Umhang lag über einer Schulter und verbarg zum Teil die Klinge des Schwerts, das er an seiner Seite führte, ein großes, im Zeitalter von Degen und Musketen seltsam archaisch anmutendes Breitschwert, auf dessen Klinge flammende Runen eingelassen waren. Magisches Feuer loderte daran entlang, ohne jedoch den Stoff, der es bedeckte zu verbrennen.  Die Parierstange war genauso zweigeteilt, wie das Wappen des Kaiserreichs, eine Seite endete im scharfen Schnabel eines Adlers, die andere im Kopf eines Löwen. Der Mann, der diese Waffen führte, war groß, hoch gewachsen und mittleren Alters. Grünblaue Augen, die selbst auf die Entfernung mit innerem Feuer zu leuchten schienen, musterten die nahen Wälle Xihuitzin. Der grimmige Ausdruck auf seinem Gesicht änderte sich nicht, während er sich langsam zu seinen Männern umdrehte. Kurze, dunkelblonde Haare, in denen sich erste Spuren von grau zeigten wurden von einem simplen Ring aus Gold eingefasst. Ein einziger, wasserklarer Diamant glitzerte darin. Die Krone Cantons war vielleicht das älteste Artefakt die das Ornat des Kaisers ausmachten. Alt genug um sie bis zum ersten Kaiser zurück zu verfolgen, der sie einst hatte von seinem Stamm Schmieden lassen. Der Rest jedoch, war deutlich jüngeren Datums, wenn auch bereits seit Jahrhunderten im Besitz der Herrscherfamilie. Die Rüstung und die Waffen, die Simon Belfare selbst mit Magie durchdrungen und auf seinem Feldzug gegen die Ordeal-Kaiser geführt hatte. Konstantin Belfare, Kaiser Cantons, Lord der imperialen Garde und Hammer des Südens.

 

Cyrus blinzelte die Nachbilder weg und ließ das Fernrohr sinken, das Lord Macon ihm gereicht hatte. Anselm schien keine Hilfe zu brauchen, um zu wissen, was dort draußen vor sich ging. Der junge Magier  hatte angefangen zu zittern, während er die Magie beobachtete, die sich auf der Ebene entlud.

„Ich dachte ihr seid so etwas gewöhnt?“ , fragte Cyrus. Er konnte durchaus verstehen, wieso Anselm nicht wohl bei der Sache war. Er konnte die Magie bis hierhin spüren und er war ein Gejarn. Sein Volk sollte Magie gar nicht wahrnehmen können und doch kribbelte sein ganzer Körper als würde ihn ein Heer von Ameisen beißen. Es war eine reine Zuschaustellung von Macht. Warum sonst hätten sich die Männer vor die Stadtmauer teleportiert, statt durch sie hindurch?

„Daran gewöhnt man sich nicht.“ , gab Anselm mit düsterer Stimme zurück. „Niemals. Das da… Es ist falsch, Magie derart zu verwenden.“ Er schüttelte den Kopf und Cyrus entschied sich, das Thema fürs erste fallen zu lassen. Erneut hob er das Fernrohr.

Gleißende Blitze tanzten um die goldene Form, die aus der Lichtsäule hervortrat und die Nachwirkungen des Teleportzaubers abschüttelte. Ein langer weißer Umhang bestickt mit dem Doppelwappen Cantons wehte hinter ihm und das Nachbrennen des Zaubers spiegelte sich auf der Rüstung des Neuankömmlings. Die Entfernung machte es schwierig, aber der Wolf wusste, mit wem er es zu tun hatte. Hätte es daran noch Zweifel gegeben so wurden diese spätestens von den weiteren Gestalten ausgeräumt, die aus dem Portal auf das Schlachtfeld traten. Drei Zauberer des Ordens, die den Kaiser sofort flankierten, begleitet von einer vierten Gestalt in den auffällig türkisfarbenen Roben der Zauberer. Eine Kugel jagte an ihm vorbei, verpuffte jedoch wirkungslos an dem magischen Schild, den der Mann aufgebaut hatte. Tyrus Lightsson unterschied sich nur in seinem Auftreten von den übrigen Mitgliedern seiner Zunft doch das reichte um ihn zu erkennen. Waren die übrigen Magier des Ordens oft verkümmerte und ausgelaugte  Wesen, die sich in die Schatten duckten,  so war ihr Großmeister das genaue Gegenteil, trotz des bereits fortgeschrittenen Alters breitschultrig und ungebeugt, die grauen Haare lose zu einem Zopf gebunden. Hinter dem Herrn des Sanguis-Ordens folgten die Männer der kaiserlichen Leibgarde, in ihren Uniformen, deren vergoldete Knöpfe und Ziernähte im Licht der Sonne funkelten, während die Überreste des Teleportzaubers langsam verloschen. Und in ihrer Mitte stand ein Riese, dieser nicht aus Gold, wie der Kaiser selbst, sondern Silber mit einem Kriegshammer über der Schulter, der fähig schien die Mauern der fernen Stadt einzureißen sollte es nötig sein. Trotzdem führte er die Waffe, als wäre sie leicht wie eine Feder.  Der Mann wirkte, wie aus einem Stück Eisen geschmiedet, mit stahlgrauen Haaren und Augen. Seine Rüstung surrte bei jedem Schritt, als zahllose winzige Zahnräder ineinander griffen und seine Bewegungen durch die unbezahlbare Maschinerie unterstützten. Zwergenarbeit. Jahrhunderte alt und obwohl es keinen Schmied gab der das verlorene Volk ersetzen konnte, nach wie vor in tadellosem Zustand. Es gab nur noch einen vollständigen Satz solcher Ausrüstung und jeder Gardist wusste, wem diese zustand. Der Hochgeneral Cantons trat neben seinem Kaiser. Erneut vergingen Augenblicke vollkommener Stille, während die letzten Reste des Teleportationszaubers in sich zusammen fielen. Kaiser und Hochgeneral sahen sich einen Augenblick lang an. Dann nickte die Gestalt in Gold.

Cyrus sah ungläubig zu, wie der Hochgeneral wortlos an seinem Herrscher und den wartenden Soldaten vorbei trat. Auf die Mauern zu. Das war offenbar der Moment, in dem auch die Erstarrung von den Männern auf den Wällen abfiel. Befehle wurden geschrien,  Gewehre, die die Krieger der Stadt von Versorgungskarawanen der Garde gestohlen hatten, angelegt, Bögen gespannt. Die Leibgarde machte nicht einmal Anstalten, sich Deckung zu suchen, als die erste Salve abgegeben wurde. Pfeife und Kugeln regneten auf sie herab, fanden ihre Ziele und durchbohrten Körper. Männer fielen schreiend zu Boden, eine der Fahnen der Garde wurde von einem Pfeil durchschlagen, der einen der Träger fällte. Ruhig und ohne Eile trat einer der Gardisten aus seiner Reihe und hob das Banner wieder auf. Geschosse gingen um ihn herum nieder, denen er jedoch keinerlei Beachtung schenkte. Kugeln zerplatzten an der Rüstung des Kaisers, oder kurz davor, wo die uralten Zauber, die in den Stahl gewirkt waren, sie abfingen.  Das war Wahnsinn, dachte Cyrus. Diese Männer standen einfach nur im Geschosshagel und… rührten sich einfach nicht. Nur wo ein Mann fiel, wurden die Reihen mit knappen, präzisen Gesten wieder neu organisiert und geschlossen. Warum erwiderten sie das Feuer nicht?

Nur der Mann in der Silberrüstung, bei dem es sich um den Hochgeneral handeln musste, hatte nun den Fuß der Mauer erreicht. Auch um ihn zerplatzten Kugeln oder prallten mit einem lauten heulen von seiner Panzerung ab, wo die Zauber sie nicht aufhalten konnten. Seine Schritte wirkten leicht, trotz des Gewichts seiner Rüstung und der Waffe, die er trug. Die surrende Maschinerie tat ihre Arbeit, als er den Hammer hob…. Und ihn mit aller Kraft gegen die Mauern schmetterte.

Cyrus hatte gesehen, was magisch Waffen anrichten konnten. Er hatte gesehen, wie Klingen Rüstungen zum Schmelzen brachten, wie ein einzelner Mann in verzauberter Plattenrüstung einen Kavallerieangriff stand hielt… Doch solche ungebändigte Macht noch nie.

Der Hammer berührte die Mauer nur ein einziges Mal, doch die Druckwelle die folgte, konnte Cyrus selbst auf die Entfernung spüren. Steine wurden aus ihrer Verankerung gerissen und einfach Pulverisiert, Mörtel löste sich in nutzlosen Staub, der von der Druckwelle in die Straßen der Stadt getragen wurde. Massiver Felsen, zermalmt zu Sand, der Gebäude unter sich begrub. Während Männer hilflos in die Tiefe stürzten, als das, was ihnen einst halt gegeben hatte, verschwand.

Ziegelsteine wurden zu roten Wolken, Granit zu grauen und mittendrin heulte der Wind und das Geschrei von tausenden Männern, deren Trommelfell unter dem Druck einfach geplatzt war.

Cyrus eigene Ohren klangen und der Staub rieselte selbst über dem Lager noch in einem feinen Nebel herab. Geister… Monate der Belagerung, beendet in einer einzigen Zuschaustellung kaiserlicher Macht.

Jetzt erst, wo der Weg frei war, senkten die Männer der Leibgarde ihre eigenen Waffen und setzten sich in Bewegung. Mit der Präzision eines Uhrwerks begannen sie vorzurücken. Drei Schritte. Stehenbleiben. Feuern. Nachladen, zurückweichen und die nächste Reihe vor lassen. Drei Schritte… Feuern. Pulverdampf hüllte ein, was nicht von der Staubwolke bedeckt wurde.

Und jetzt brandete auch im Lager der Befehl auf, auf den sie gewartet hatten. Und den Cyrus befürchtet hatte. Lord Macon hingegen begann seine eigenen Männer anzuweisen.

„Folgt eurem Kaiser. Auf, wollt ihr ewig Leben. Euer Herr beobachtet euch heute. Also macht ihm keine Schande. Zu mir!“

Und damit meinte er wohl auch ihn, dachte Cyrus. Er hatte selten darüber nachgedacht einfach weg zu laufen. Jetzt jedoch erschien ihm das, wie eine sehr gute Idee. Wäre da nicht Anselm…

„Was machen wir jetzt?“ , fragte der Magier mit dünner Stimme.

„Jetzt? Jetzt kommt der Teil den ihr sehen wolltet. Bleibt einfach in meiner Nähe, wenn ihr Überleben wollt.“