******************** Vergangenheit und Zukunft von BerndMoosecker ******************** ++++++++++++++++++++ Kurzbeschreibung ++++++++++++++++++++ Das Leben besteht aus Vergangenheit und Zukunft. Diese Story erzählt etwas von meinen Gedanken dazu. Was geht einem alten Menschen so durch den Kopf? Wenn ich darauf eine allgemein gültige Antwort hätte, würde ich sie hier und jetzt verkünden. Aber schon der Gedanke daran ist Unfug – alte Menschen bestehen nicht aus dem Einheitsbrei – alt, verbraucht, überflüssig. Es gibt eigentlich keinen Unterschied zwischen den Verschiedenheiten der Menschen, gleichgültig, ob sie alt oder jung sind. Nur, man muss es sehen. Vergangenheit und Zukunft? Nun ja, ich schreibe die folgenden Absätze in der Gewissheit, ich habe eine lange Vergangenheit hinter mir und so sehr meine Neugier auf die Zukunft gerichtet ist, viel Zukunft liegt nicht mehr vor mir. So alt wie ich bin, kann ich locker davon ausgehen, dass die Mehrzahl meiner Leserinnen und Leser jünger ist, als ich es bin. Das ist für mich kein Problem. Für meine jüngeren Leser vielleicht? Das kann ich natürlich nicht beurteilen. Ich weiß nicht einmal, zu welchen Altersstufen meine Leser zuzuordnen sind. Ich bekomme schon einmal den einen oder anderen Hinweis auf deren Alter. Menschen verschiedener Generationen sind darunter und es sind vorwiegend Leserinnen, die sich in meine Schreibereinen vertiefen. Sollte ich also Leserinnen schreiben? Entschuldigung, das geht in meinen Kopf nicht mehr rein – Sprachakrobatik ist nicht mein Ding; und schlussendlich heißt es in der Mehrzahl die Leser. Da ich die Frage, was einem alten Menschen durch den Kopf geht, nicht beantworten kann, beschäftige ich mich hier lieber mit meinem eigenen Kopf, heißt mit meinen Gedanken. Menschen wie ich haben mehr acht Jahrzehnte Leben hinter sich. Die eigene Vergangenheit ist immer greifbar. Sie hat sich eingebrannt in mein Gedächtnis und ich schaue gerne zurück, wenn mich auch einiges davon mit Grausen erfüllt. Geboren bin ich in der Zeit, als der Völkermord modern war, so war zum Start in mein Leben ein äußerst ungünstiger Zeitpunkt gewählt worden. Allein daran ist leicht auszumachen, meine Vergangenheit ist lang und kompliziert. Wenn ich mich der Zukunft zuwende, weiß ich natürlich nicht, was mir noch bevorsteht. Aber gerade dieses Nichtwissen macht mich neugierig, trotzdem, vorerst bleibe ich bei der Vergangenheit. Das Zurückschauen ist bei Menschen meiner Generation tief verwurzelt. Das liegt wohl auch daran, dass sie sich da am besten auskennen. Ja, ich schreibe es nochmals, ich blicke gerne zurück, obwohl die Erinnerungen oft zwiespältige Gefühle bei mir auslösen. An die Zeit des Völkermords kann ich mich altersbedingt nicht erinnern. Als diese Zeit zu Ende geht, erwachte gerade das in mir, was man Erinnerungsvermögen nennt. So kann ich von dem Tag erzählen, als für mich der Krieg endete. Ich habe das ausführlich in einer meiner Kurzgeschichten beschrieben (Der Augenblick des Friedens in der Geschichtensammlung Traumzeit). Was folgte war die Zeit, die heute schwammig als die Nachkriegszeit umschrieben wird. Die Nachkriegszeit hat mich geprägt. Vieles davon ist nicht löschbar. Lebensmittel behandele ich, als könnten sie plötzlich knapp werden. Selbst sichtbar verdorbene Esswaren werden genau daraufhin untersucht, ob man nicht doch noch etwas davon retten könnte. Das ist oft nutzlos, verschimmeltes Brot ist eben verdorben und der Verzehr ist gesundheitsschädlich. Aber Obst, Gemüse oder Hartkäse, daran wird herumgeschnitten, um wenigstens etwas davon zu retten. Geld ist mir nicht sehr wichtig, aber das Ausgeben fällt mir trotzdem schwer. Das schulde ich meiner Erziehung – unnötige Geldausgaben sind unmoralisch. Ich lebe heute trotzdem gut, schließlich entscheide ich inzwischen allein, was nötig und unnötig ist. Auf die Nachkriegszeit folgte der Wiederaufbau. Auch diese Zeit habe ich verinnerlicht. Uns brachte der Wiederaufbau immerhin eine eigene Wohnung. Es war keine der begehrten Neubauwohnungen, wir übernahmen eine Wohnung, die dadurch frei wurde, dass entfernte Verwandte in eine der begehrten Neubauwohnungen zogen. Unsere Wohnung waren eher einige unzusammenhängende Zimmer, aber immerhin, von einem der Zimmer war durch eine Wand aus Pressspan eine Wassertoilette abgeteilt. Aus dem dort angebrachten Waschbecken wurde auch das Wasser zum Kochen bezogen. Weitere Sanitäreinrichtungen gab es nicht – gebadet wurde in einer Zinkwanne. Das Wasser dazu wurde auf dem Herd in einem Waschbottich erwärmt. Die erste Wohnung mit Bad habe ich mit fast Mitte zwanzig kennengelernt. Das sogenannte Wirtschaftswunder hat mich auch geprägt. Es war kein Wunder! Geld wurde während des kalten Krieges in das System gepumpt. Gearbeitet wurde an sechs Tagen in der Woche, nur der Sonntag war frei. Die Wochenarbeitszeit betrug, als ich mit vierzehn Jahren in die Lehre kam, achtundvierzig Stunden in der Woche. Zuzüglich, der oft angeordneten Überstunden, kam man leicht an die sechzig Arbeitsstunden in der Woche. Da hatte ich noch Glück gehabt. Ein Kind und das ist man mit vierzehn Jahren, durfte nur fünfundvierzig Stunden in der Woche arbeiten. Das dauerte aber nicht ewig – mit achtzehn durfte und musste ich mitmachen. Ich konnte die vielen Arbeitsstunden im späteren Leben nie mehr ablegen. Selbstausbeutung eines Kleinunternehmers nennt man das. Irgendwie habe ich es überlebt. Nur hat es lange gedauert, bis ich das Arbeiten aufgeben konnte. Meinen fünfundsiebzigsten Geburtstag nutzte ich zum Ausstieg aus der Tretmühle. Die Frau, die ich fast ein Menschenleben lang liebte, war ähnlich gestickt, auch sie hat sich ausgebeutet. Leider hat es ihr mehr geschadet als mir. Am Ende hatte sie eine schwere Herzschwäche entwickelt, die schließlich zu ihrem Tod führte. Trotzdem, wir waren immer der Meinung, wir wären Kinder des Glücks und daran glaube ich immer noch. Genug der Vergangenheit. Die Zukunft finde ich sehr viel spannender. Nur welche Zukunft hat ein Mensch jenseits der Achtzig noch? Ich kenne die Zukunft ebenso wenig, wie alle anderen Menschen. Und so mache ich mich jeden Tag auf den Weg, neugierig in die Zukunft blickend und wissend, mit jedem Tag, den ich noch erlebe, wird meine Vergangenheit länger. Ich habe mir angewöhnt, mein Leben langsam angehen zu lassen. Mein Tag verläuft nicht ungeplant. Treiben lasse ich mich nicht, nur ob ich morgen früh oder spät aufstehe, wenn interessiert das schon? Mich auch jeden Fall nicht! Ich stehe auf, wenn es mir in den Sinn kommt – am Morgen mache ich einen Tagesplan, oft noch vor dem Aufstehen. Der Plan darf nur wenige Punkte enthalten, sonst wäre er mittags bereit Makulatur, denn wenn ich dann endlich zu Taten bereit bin, ist es Mittag. Ich habe inzwischen Übung darin, Einkauf, Wandern, Nachbarschaftspflege in wohldosierten Mengen in meinen Plan einzubauen. Es besteht inzwischen eher die Gefahr, dass ich zu vorsichtig plane – heißt, ich bin zu früh fertig mit meinem Plan. Ich plane nach. Im Sommer ist es einfach, ich lege einfach noch eine weitere Stunde Wandern nach. In der dunklen Jahreszeit wird es schwieriger. Wandern im Dunkeln ist meist unerquicklich. Aber überwiegend ist das nicht nötig, mein Tagesplan füllt fast immer den Tag. Was bleibt für ein Eindruck, wenn ich in mich gehe? Ein großes Gefühl von Dank für dieses Leben. Ein genauso großes Gefühl von Dank empfinde ich für die Frau, die mich so viele Jahre begleitet und auch beschützt hat. Dank für die Liebe, die sie für mich empfunden hat und die sie mir geschenkt hat. Der Dank für die geliebte Tochter, die aus unserer Liebe hervorgegangen ist, gehört auch zu dem, was ich empfinde. Ich kann es auch kürzer ausdrücken, im Rückblick bin ich von Dank erfüllt und auf die Zukunft blicke ich, erfüllt von Neugier. ++++++++++++++++++++ Autorennotiz ++++++++++++++++++++ Das Original dieser Geschichte findet Ihr hier: erzaehlungen.moosecker-hassels.de/text/text_02_pdf.php?v=oeffentliche_adobe&d=vergangenheit_und_zukunft.pdf ******************** Am 10.11.2022 um 20:49 von BerndMoosecker auf StoryHub veröffentlicht (http://sthu.de/s=G%21%5Dey) ********************