******************** Höbüschentwiete von BerndMoosecker ******************** ++++++++++++++++++++ Kurzbeschreibung ++++++++++++++++++++ Eine kurze Beschreibung über die Geschichte einer Straße mit einem sonderbaren Namen Das Schicksal hat mich nun einmal (teilweise) in den Norden Deutschlands verschlagen. Teilweise, weil ich mich so gut es geht, weiter in meiner Heimat am Rhein engagiere und dazu muss ich dann oft zwischen dem Niederrhein und der unteren Elbe hin und her reisen. Eigentlich ist der Unterschied zwischen den beiden Aufenthaltsorten marginal. Die Elbe ist eine Großschifffahrtsstraße, der Rhein auch. Die Schiffe auf der Elbe sind erheblich größer und der Strom unterliegt bis hinter Hamburg den Gezeiten. Das stimmt, aber für den Wanderer auf dem Deich ist das unerheblich. Die feinen Unterschiede in der Lebensart und Sprache werden einem erst einiger Zeit bewusst. Moin, so grüßt man am Rhein nicht. Ich falle im Norden oft auf, weil ich aus der Gewohnheit heraus mit Guten Tag grüße. Man hört mich aber auch heraus, meinen rheinischen Tonfall kann ich nicht verstecken. Was mit recht bald auffiel, viele Straßennamen enthalten das Wort Kamp. Solche Straßennamen gibt es auch im Rheinland, aber im Verhältnis zum Norden eher selten. Es gibt den Kronskamp, den Schloßkamp, den Mühlenkamp, den Spargelkamp usw. Man hat einen Jungfernstieg, genau wie in Hamburg. Dort eine große Flanier- und Einkaufsmeile, hier eine Sackgasse mit einem Durchgang für Fußgänger und Radfahrer in Richtung Innenstadt. Erst später stieß ich dann auf die Höbüschentwiete. Die Straße verläuft parallel zu der Straße, in der wir leben, nur ist diese Straße viel höher gelegen als unsere Straße und auch als die darauf folgende, aber dazu später. Die Höbüschentwiete ist eine stille Straße in einer Siedlung, deren Häuser allesamt zwischen der Zeit nach dem 2. Weltkrieg und der Neuzeit entstanden sind. Die freie evangelische Kirche hat auf der Höbüschentwiete ihr örtliches Gemeindezentrum. Das ist der einzige Unterschied zu unserer Straße, in der sich ausschließlich Siedlungshäuser befinden. Alles also nicht besonders interessant und aufregend. Was mich reizte war, wie kommt es zu solch einem Straßennamen, an dem die Zunge bricht? Wie entsteht so ein ungewöhnlicher Name? Der auch noch bei der mündlichen Weitergabe einer Adresse vom Zuhörenden irgendwie nicht gleich notiert werden kann. Sei es, er versteht das Wort nicht richtige oder sei es, es gelingt ihm nicht, die Buchstabenfolge fehlerfrei zu notieren. Die Straßengeschichte war leicht zu beschaffen. Das Stadtarchiv von Wedel beherbergt die historischen Karten, Dokumente und Fotos. Eine Frau namens Anke Ranneger hat sich die Mühe gemacht daraus ein PDF zu erstellen, das durch Eingabe des Suchbegriffs Höbüschentwiete bei Google oder anderen Suchmaschinen leicht zu finden ist. Ich will die Geschichte nicht nacherzählen, das zehnseitige Dokument ist einsehbar und ich nenne am Ende meiner Abhandlung gerne den Link. Die wohl älteste urkundliche Erwähnung datiert auf das Jahr 1701 und damals gehörte die Straße zu dem kleinen Dorf Spitzerdorf. Vom Dorf ist nichts geblieben, 1892 wurde das Dorf der Gemeinde Schulau zugeschlagen und ist im Laufe der Jahrzehnte wurde das ehemalige Dorf buchstäblich von der Stadt geschluckt. Einzige Erinnerung an die Lage des Dorfes, die Spitzerdorfer Straße. Unter Höbüschen versteht man ein Gelände mit waldartig hohen Büschen. Die nur etwa 2 Meter hohe Erhebung wurde in den 1920er Jahren planiert, um das Gelände besser parzellieren zu können und es anschließend zu bebauen. Wiete ist ein plattdeutsches Wort und wird in diesem Straßennamen im Sinne von weitläufig verwendet. Somit enden an dieser Stelle meine Ermittlungen zu Herkunft des Straßennamens. Ich stieß aber auf zwei Vorgänge im besagten Dokument, die mich beeindruckten und im zweiten Fall tief erschütterten. Da ist einmal das Bauprojekt Wenzel. Ab 1943 wurden riesige Erdmassen links und rechts der Höbüschentwiete abgetragen. Die Kriegsmarine plante dort den Bau eines überdimensionalen Bunkers, der als Hafen für U-Boote dienen sollte, die von dort aus über einen Verbindungskanal zur Elbe fahren sollten. Schlussendlich sollte das Bauwerk 1946 fertiggestellt werden. Das Ende des Krieges 1945 machte diese Pläne zur Makulatur. Für diesen Bunker wurde der Geestrücken abgetragen. Deshalb liegt die Höbüschentwiete heute wie ein Damm zwischen den ausgebaggerten Bereichen. Was mag damals diese Menschen wohl dazu getrieben haben, ein solches Projekt zu planen und dann auch noch mit dem Bau zu beginnen. Der Baubeginn fiel in eine Zeit, in der der Krieg für Nazideutschland bereits als verloren gelten konnte. Aber es wurde weitergemacht, als stände man kurz vor dem endgültigen Sieg. Getrieben vom Größenwahn und von Menschenverachtung hatten diese Menschen einen Weltkrieg vom Zaun gebrochen, der alles in allem rund 60 Millionen Menschen das Leben kosten sollte. Das zweite Ereignis spielte sich in der Nacht vom 3. auf den 4. März 1943 ab. Wedel und auch die nur dünn besiedelte Höbüschentwiete traf ein Bombenangriff. Obwohl Wedel 1943 nur 5161 (nicht einberechnet die Häftlinge eines Außenlagers des KZs Neuengamme) Einwohner hatte, waren 37 Tote zu beklagen. Bilder vor und nach dem Angriff zeigen, wie schwer die Stadt getroffen wurde. Die Höbüschentwiete zeigt auf den historischen Bildern das Gesicht einer durch Kleingewerbe und Landwirtschaft geprägten unbefestigten Dorfstraße. In den 1930er Jahren waren einige frisch erbaute Siedlungshäuser dazugekommen, der Weiterbau der Siedlung wurde bei Ausbruch des Krieges eingestellt. Das interessanteste und zugleich älteste Gebäude stand an der heutigen Hausnummer 3. Es war ein schönes Haus vom Typus Niederdeutsches Hallenhauses mit zwei Ständern. Das Dach war mit Reet gedeckt. Das Gebäude stammte aus dem Jahr 1669, wurde 1701 erstmals urkundlich erwähnt und war eine Räucherkate. Nach dem Luftangriff war das Gebäude weitgehend zerstört und wurde abgerissen. Dieser Abriss dürfte rückblickend sinnlos und übereilt gewesen sein. Wenn ich heutzutage an vielen Orten sehe, mit welcher Akribie verfallene Häuser dieser Art restauriert werden, glaube ich, die Stadt Wedel wäre froh darüber, auf ihrem Stadtgebiet eine solche Ruine restaurieren zu können. Ich habe in den ersten Nachkriegsjahren stärker zerstörte Häuser gesehen, in denen dank mangelnder Ausweichmöglichkeit immer noch Menschen hausten. Wohnten, mag ich in diesem Fall nicht sagen. Aber die Wiederaufarbeitung historischer Bauten ist nicht mein Thema, ich flechte es nur am Rande ein. Was mich bewegt, ist dieser sinnlos erscheinende massive Luftangriff auf eine nur dünn besiedelte Gegend. Auf eine Dorfstraße und eine Baugrube, um exakt zu formulieren. Der Angriff galt nicht Wedel, er sollte das dicht besiedelte Hamburg-Altona treffen. Es war einfach ein Navigationsfehler, der die Bomberflotte nach Wedel leitete. Man mag argumentieren, dass die Zahl der Opfer in Altona um ein Vielfaches höher gewesen wäre, aber ist nicht jedes Kriegsopfer ein Opfer zu viel? Aus der Geschichte lernen scheint unmöglich zu sein, zu leichtfertig spricht man inzwischen wieder vom gerechten Krieg; vom wehrhaften Frieden. Es soll kein falscher Eindruck entstehen, wer angegriffen wird, ob ein Mensch, eine Menschengruppe oder eine Nation, alle haben das Recht sich zu verteidigen. Was mich beunruhigt, ist der Umgang mit dem Thema. Verteidigungsbereitschaft und der Wille, den Frieden zu erhalten, schließen sich nicht per se aus. Wer aber ausschließlich auf Verteidigung durch immer mehr und stärkere Waffen setzt, schafft eine Art Sprachlosigkeit dort, wo sprechen dringend erforderlich wäre; und, wenn statt Worte Waffen eingesetzt werden, sterben Menschen. Bei aller Verteidigungsbereitschaft, der Einsatz von Waffen tötet. Eine Bombe unterscheidet nicht zwischen Militär und Zivilpersonen. Unterscheidet nicht zwischen Tätern und Opfern, die Häftlinge des KZ-Außenlagers waren genau so von den Bomben betroffen, wie die normalen Bürger Wedels, wie Kinder und Frauen aus einer unbedeutenden deutschen Kleinstadt. Die Höbüschentwiete als Beispiel für die Sinnlosigkeit von Kriegen. Diese kleine Dorfstraße, deren landwirtschaftlich genutzte Flächen bereits die deutsche Kriegsmarine in eine Wüste verwandelt hatte, wurde Opfer eines Bombardements. Im eigentlichen Zielgebiet, dem dicht besiedelten Altona, hätte der Angriff eine Feuersbrunst ausgelöst, an die sich die Überlebenden noch heute schaudernd erinnern würden. Nur durch den Fleiß engagierter Menschen, wie Frau Ranneger, wird das Geschehen manchmal aus dem Dunkel der Geschichte hervorgeholt. Nichts, aber auch gar nichts, erinnert heute auf der Höbüschentwiete an das Kriegsgeschehen. Nur mit viel Fantasie kann man sich bei einem Spaziergang das Loch vorstellen, in das der Bunker gebaut werden sollte. Reihenhäuser und frei stehende Einfamilienhäuser mit gepflegten Gärten stehen heute in der Baugrube. Bei Sturmflut von Hochwasser bedroht, obwohl sie ohne die Baugrube auf dem sicheren Geestrücken ständen.   ++++++++++++++++++++ Autorennotiz ++++++++++++++++++++ Das Original dieser Geschichte gibt es hier:erzaehlungen.moosecker-hassels.de/text/text_02_pdf.php?v=oeffentliche_adobe&d=hoebuechentwiete.pdfDer Link zur Geschichte der Höbüschentwiete:wedel.de/fileadmin/user_upload/media/pdf/Kultur_und-Bildung/Stadtarchiv/Strassen_Hoefe/Geschichte_der_Hoebueschentwiete.pdfb ******************** Am 6.8.2025 um 22:54 von BerndMoosecker auf StoryHub veröffentlicht (https://storyhub.de/?s=CkiLC) ********************