******************** Der Drachentöter von X122L ******************** Es war ein schöner Tag, die Sonne schien, die Vögel zwitscherten, es war weit und breit kein Wölkchen zu sehen und der Wind säuselte sanft über die Weide. Die Dorfbewohner hatten ihre strohbedeckten Hütten früh morgens verlassen um auf den Feldern zu arbeiten. Der Tag war schön, die Stimmung gut und die Arbeit schien sich von selbst zu erledigen. Hin und wieder machten die Bewohner Pause und betrachteten die schneebedeckten Gipfel in der Ferne. Die Kinder der Bauern liefen auf den Feldern herum, jagten Vögeln nach, passten auf Schweine auf und spielten mit den Hunden und Katzen. Sie waren die Ersten, die merkten, dass etwas nicht stimmte. Die Tiere wurden unruhig und wenn sie genau hinhörten konnten die Kinder ein Geräusch ausmachen. Es war ein eigenartiges Geräusch, ähnlich dem eines Blasbalkens in der Schmiede, nur dass es nicht aus der Schmiede kam, sondern vom Himmel. Die Kinder liefern zu ihren Eltern um sie darauf aufmerksam zu machen. Doch die waren zu beschäftigt um den Fantasien der Kleinen Glauben zu schenken. Als das Geräusch immer lauter wurde, begannen aber auch die Erwachsenen zu bemerken, dass etwas falsch war. Sie starrten zum Himmel, konnten aber nichts sehen außer einem großen Vogel, der mit der Sonne im Rücke flog und sich rasch näherte. Ehe sie wussten wie ihnen geschah stieß der Drache vom Himmel herab. Er riss Pferde, Schweine und auch Menschen, hob sie hoch und flog davon, sein feuriger Atem versengte die Häuser und ließ die Dächer in Flammen aufgehen. Nach scheinbar endloser Zeit flog er mit seiner Beute davon und die überlebenden Dorfbewohner krochen aus den Ruinen hervor um zu retten was noch zu retten war. Nachdem die Feuer gelöscht worden waren kamen sie zusammen um zu beratschlagen was zu tun sei. Der einzig mögliche Weg war schnell gefunden. Man musste dem König mitteilen was vorgefallen war und hoffen, dass er schnellstmöglich Hilfe sandte. Also machte sich eine Delegation des Dorfes auf den beschwerlichen Weg zum König. Der hörte sich das Problem an und tat was er am besten konnte: Er delegierte es weiter. Glücklicherweise war der beauftragte Berater pragmatischer veranlagt als sein Herr und schickte nach einem alten Ritter, von dem der Großteil des Hofes schon vergessen hatte, dass er überhaupt noch lebte. Der Ritter folgte dem Rufe des Hofes und erschien vor dem König. Dieser gab ich den Befehl das Dorf von dem Drachen zu befreien. Gehorsam verneigte sich der Ritter und begleitete die Dorfbewohner zurück in ihre Heimat. Diese freuten sich nicht besonders darüber, dass nur ein Greis geschickt worden war um sie und ihre Familien zu schützen. Was sie nicht wussten, und was auch der König nicht wusste, der Berater aber schon, war, dass dieser alte Ritter der letzte noch lebende Drachentöter war. Müde sah Graf Ademar auf das Dorf herab. Das war er also, der Ort an dem er sterben würde. Die Delegation hatte immer nur von „ihrem Dorf“ gesprochen, zu klein um einen richtigen Namen zu haben. Ademar strengte seine alten Augen an und besah das Dorf genauer. Die neuen Häuser und frischen Strohdächer, die überall zu sehen waren, verstärkten den Eindruck, dass hier etwas vorgefallen war. Langsam richtete er sich in seinem Sattel wieder auf. Seine alten Knochen knackten bei der Bewegung. Er nickte seinen Begleitern zu und sie ritten auf das Dorf zu. Jeden Schritt des Pferdes bekam der alte Ritter zu spüren. Sieben Tage waren sie geritten, nun tat ihm jeder Knochen im Körper weh. Aber er ließ es sich nicht anmerken. Er mochte alt sein, aber er war immer noch ein Ritter. Bald waren sie im Dorf angekommen. Während sich die Dorfbewohner um die Ankömmlinge scharten, besah Ademar das Dorf genauer. Die einzige Straße, an deren Seiten der Großteil der Häuser aufgereiht war, war aus gestampfter Erde. Neben jedem Haus befanden sich ein Gehege und ein dazugehöriger Stall mit Vieh darin. Einige Gehege waren leer, der Stall niedergebrannt. Die letzten Anzeichen der Attacke. Ansonsten war alles wieder aufgebaut worden. Die Dorfbewohner sahen ängstlich aber gut genährt aus. Es schien ihnen an nichts zu mangeln. Graf Ademar nickte in sich hinein. Dieses Dorf war ein Spiegelbild dessen in dem er aufgewachsen war, bevor ihn der Großvater des jetzigen Königs seiner Verdienste wegen in den Adelsstand erhoben hatte. Er würde an einem Ort sterben der seiner Geburtsstätte ähnelte. Das passte. Als es so aussah als wäre das ganze Dorf um ihn versammelt, straffte Ademar seine Schultern. „Seid gegrüßt!“, rief er, „Ich bin Graf Ademar von der Lichtenaue. Unser König, Maximilian III schickt mich um den Drachen zu töten.“ Die Dorfbewohner sahen ihn nur stumm an. In ihre Blicken erkannte er Fassungslosigkeit, Ärger und Verzweiflung. Wohl verständlich, wie sollte ein so alter Mann wie er auch einen Drachen besiegen? „Macht euch keine Sorgen.“, fuhr er fort, „Ich sehe zwar nicht so aus aber ich wurde aufgrund meiner Erfahrung gewählt. Ich habe schon einmal einen Drachen getötet.“ Bei diesen Worten kam Getuschel auf: er sagt er hätte schon einmal einen Drachen getötet … wirklich … ja, vor hundert Jahren vielleicht … Seine Begleiter sahen ihn erstaunt an. In den sieben Tagen in denen er mit ihnen geritten war, hatte er das nie erwähnet. Ein alter Mann trat vor und sprach:“ Seid gegrüßt Graf Ademar von der Lichtenaue. Mein Name ist Holger, ich bin der Dorfälteste. Kommt mit mir und wir kümmern uns um eure Unterkunft.“ Ademar saß ab und folgte dem Dorfältesten. Er wurde zu einer kleinen Hütte geführt. Sie war ebenso neu wie der Rest des Dorfes. „Bitte sehr. Ich hoffe ihr verzeiht die Unannehmlichkeiten. Aber etwas Besseres haben wir nicht.“ „Danke, es wird genügen.“ Ademar band sein Pferd, Donnerhuf, vor dem Eingang an, drehte sich um und nahm die Zügel zu seinem Packpferd von einem seiner Begleiter entgegen. Seitdem er zu der Delegation gestoßen war, hatte dieser Mann auf die Stute achtgegeben. Mit Hilfe der jüngeren Dorfbewohner trug er seine Habseligkeiten, allen voran seine Rüstung, in die Hütte. Das Innere war sehr karg eingerichtet. Ein Bett mit strohgefüllter Matratze stand an einer Seitenwand. Ihm gegenüber stand ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen. „Die Bewohner?“, wollte Ademar wissen. „Tot. … Durch den Drachen.“, antwortete Holger, der ihm in die Hütte gefolgt war. Ademar nickte, mit etwas Derartigem hatte er gerechnet. Er kniete nieder und ordnete seine Rüstung vor ihm an: Helm, Harnisch, Handschuhe, Kniekacheln, Beinschienen, Stiefel, … alles in bestem Zustand, schließlich hatte er sie über die Jahre hinweg bestens gepflegt. Wie hatte König Ludwig II in der Nacht, in der er Ademar zum Grafen gemacht hatte, gesagt? Eine Rüstung ist wie ein gutes Pferd. Pflege sie gut und sie wird dich nie im Stich lassen, egal wie schlecht die Situation aussieht. Es gibt nichts, dass mit einer gut gepflegten Rüstung nicht zu erreichen ist. „Entschuldigt, Herr Graf.“ Ademar schreckte aus seinen Erinnerungen auf, neben ihm stand ein Kind und starrte die Rüstung mit großen Augen an. „Ja?“ Ich dachte immer die Rüstung eines Ritters ist aus Eisen und Stahl gefertigt. Wieso ist eure so braun und gefleckt?“ „Weil meine Rüstung weder aus Eisen, noch aus Stahl gefertigt ist. Sie besteht aus Schuppen, Drachenschuppen.“ Die Augen des Jungen wurden so groß, dass Ademar unwillkürlich schmunzeln musste. „Etwa von dem Drachen den Ihr …“, die Stimme versagte ihm vor Aufregung. „Den ich getötet habe?“ Der Junge nickte und streckte seine Hände nach der Rüstung aus. „D-D-Darf ich?“, stotterte er. „Natürlich.“ Ehrfürchtig betastete der Jung den Helm und hob ihn langsam hoch. „Habt ihr ihm schon einen Namen gegeben?“, wollte Ademar wissen. Der Junge zuckte zusammen. „Wem?“, fragte er verunsichert. „Dem Drachen. Jeder Drache bekommt einen Namen der in die Chronik des Königreichs aufgenommen wird, zusammen mit dem dazugehörigen Drachentöter.“, erklärte Ademar. „N-Nein. Er hat keinen Namen.“ „Dann solltest du dir einen ausdenken, zusammen mit deinen Freunden.“ Der Junge nickte. „Und jetzt ab. Wir haben noch etwas zu besprechen.“, dabei wies Ademar auf Holger, der immer noch hinter ihm stand. „Jawohl!“, rief der Junge aus und stürmte nach draußen. Holger sah ihm schmunzeln nach. „Ah, die Jugend.“, seufzte er, während Ademar sich wieder aufrichtete. Er bedeutete Holger am Tisch Platz zu nehmen und setzte sich ihm gegenüber hin. „Ist es zu weiteren Angriffen gekommen, seitdem ihr zum König geschickt habt?“ „Den Göttern sei Dank nicht.“ Habt ihr gesehen wohin der Drache nach dem Angriff geflogen ist?“ Holger schüttelte den Kopf: „Nein, wir waren zu geschockt um überhaupt etwas mitbekommen zu haben.“ Ademar blieb eine Zeit lang still. „Außerdem mussten wir unsere verschütteten Nachbarn ausgraben, die Tiere wieder einfangen und beruhigen und die Feuer löschen.“, fuhr Holger, der anscheinend glaubte sich rechtfertigen zu müssen, fort. Ademar sagte weiterhin nichts. Holger wurde ungeduldig: „Nun? Wie werdet Ihr ihn aufhalten?“ „Momentan gar nicht. Ich weiß nicht wo er haust und aus welcher Richtung er angreifen wird.“ „Heißt das, dass Ihr uns einem weiteren Angriff aussetzt, bevor Ihr das Scheusal tötet? Dass Ihr nichts für uns tun werdet und weitere Menschen sterben müssen!“, fuhr Holger auf. „Das habe ich nicht gesagt. Und das wird auch nicht geschehen.“ Holger beruhigte sich wieder etwas: „Ah, und was gedenkt ihr zu tun?“ „Könnt ihr mir einen Führer für die nähere Umgebung zur Verfügung stellen?“ „Natürlich.“, Holger sah kurz aus dem Fenster, „Ah, da ist sie ja.“ „Maria!“, rief er und fuchtelte mit den Händen. Kurz darauf kam ein Mädchen durch die Tür. Sie war etwa 14 Jahre alt, seht dünn und hatte schulterlanges, schwarzes Haar. „Das ist Maria.“, stellte Holger vor, „Die Schwester von Walter.“ Als Ademar einen verwirrten Blick aufsetzte ergänzte er: „Der Junge der von Eurer Rüstung so begeistert war.“ „Sie hat sich freiwillig gemeldet für euch zu sorgen, während Ihr hier seid. Wenn Ihr etwas braucht ruft einfach nach ihr. Sie wird immer in der Nähe sein. Nicht wahr, Maria?“  „Ja.“, nickte das Mädchen. „Nun, Maria.“, sagte Ademar, „Was hältst du davon deine Pflichten zu beginnen indem du mir die Ortschaft zeigst?“ Das Mädchen nickte und setzte sich sofort in Bewegung. Hastig schritt Ademar ihr nach. Es war früher Nachmittag und die Sonne schien warm, aber die ersten Wolken standen schon dunkel im Himmel, bereit Regen zu bringen. „Heute Nacht wird es regnen.“, stellte Maria fest. „Vermutlich.“, gab ihr Ademar recht. Dann begannen sie den Rundgang. Maria führte den Grafen durch die Ortschaft und zeigte ihm auch die Umgebung. Besonders der Wald schien den alten Grafen zu interessieren. Am Abend, als das erste Donnergrollen in der Ferne zu hören war, kamen sie zurück. Ademar saß vor der offenen Tür, ein erfrischender Luftzug streifte sein Gesicht und trug den Geruch nasser Erde in die Hütte. Der Graf schloss die Augen und sog die Luft tief durch die Nase ein und genoss die kühle Luft. Das Geräusch des, in Strömen fallenden, Regens bekam er nur am Rande mit. Langsam öffnete er die Augen und starrte durch die Tür in die schlierende Schwärze der Gewitternacht. Neben ihm tropfte es leicht durch das Strohdach. Wie oft hatte er derartige Nächte schon erlebt? Er wusste es nicht. „Herr Graf? Ist alles in Ordnung?““, fragte Maria, die plötzlich hinter ihm stand. Graf Ademar schreckte hoch. „Ja, alles in Ordnung.“, antwortete er, „Erinnerungen, sonst nichts.“ „Wie ihr auf einer Burg im Regen Wache gestanden habt?“, fragte Maria neugierig. „Ja, das auch, aber ich habe nicht nur Erinnerungen an Kriege.“, er sah sich um und bedeutete Maria den zweiten Sessel neben den seinen zu stellen. „Ich war schließlich nicht immer ein Ritter, oder ein Graf. Mein Vater war Bauer.“ „Wirklich?“ „Oh ja. Ich bin in einem Dorf wie diesem hier aufgewachsen, nur mit mehr Bergen in der Umgebung.“ „Wie seid ihr dann Ritter geworden?“ „Alles zu seiner Zeit.“, vertröstete Ademar sie. Er fühlte sich gerade angenehm leicht und wollte sich nicht mit unangenehmen Erinnerungen beschweren. „Weißt du was der Unterschied zwischen diesem Dorf und dem, wo ich aufgewachsen bin, ist? „Die Berge.“, antwortete Maria neunmalklug. Ademar lachte: „Ja, die auch. Aber nein, ich wollte auf etwas anderes hinaus. Die Tiere.“ „Tiere? Wir haben Tiere.“ „Ja, aber nicht so viele wie wir hatten. Wir hatten viel mehr Tiere, vor allem Schafe und Ziegen, und viel weniger Felder. Wir Kinder mussten sie immer hüten. Die älteren Kinder bekamen die größeren Herden, die jüngeren die kleineren. Als meine jüngste Schwester zum ersten Mal auf eine Herde aufpassen sollte, war sie ganz aufgeregt. Sie konnte am Vortag nicht schlafen und sprang aufgeregt herum.“, bei dieser Erinnerung kam ein Lächeln über Ademars Lippen. „Was ist denn so aufregend am Hüten von Schafen?“, wollte Maria wissen. „Gar nichts, aber diejenigen die schon alt genug zum Hüten waren ließen es großartig klingen, erzählten Geschichten wie sie Wölfe verjagt hatten und Lämmer aus Bergspalten gerettet hatten. Solange man nicht wusste wie langweilig es wirklich war, war es das Aufregendste auf der Welt, das Ziel eines jeden Heranwachsenden. Aber kommen wir zurück zu meiner Schwester, sie war so aufgeregt, dass die Aufpasserin einen Aufpasser bekam, meinen Bruder. Der war nicht besonders aufgeregt darüber neue Pflichten zu erhalten, schließlich konnte er sich jetzt mit den anderen Burschen nicht davonstehlen und Steine über den See springen lassen und Enten mit Steinen abschießen, womit man sich normalerweise die Zeit vertrieb. Während seine Freunde also durch die Umgebung streiften blieb er bei unserer Schwester und passte auf. Irgendwann wurde es ihm aber zu langweilig und er verließ sie. Schließlich konnte ja nicht viel passieren. Als er ein paar Stunden später zurückkam war von ihr keine Spur mehr zu finden. Er kam weinend nach Hause gelaufen und wir mussten alles stehen und liegen lassen um sie zu finden. Stundenlang sind wir in der Schwärze der Nacht durch die Berge gelaufen, es hat sogar zu regnen begonnen. Schließlich habe ich sie unter einer Fichte gefunden. Sie war schon halb erfroren, also deckte ich sie zu und blieb die Nacht über bei ihr. Am nächsten Tag gingen wir, total durchnässt, zurück ins Tal. Ich habe meine Mutter und meinen Bruder nie glücklicher gesehen.“ Eine Zeit lang war nur der Regen außerhalb der Hütte zu hören. „Und was passierte mit Eurem Bruder?“, fragte Maria schließlich. „Oh, zuerst war er sehr erleichtert, doch nachdem ihn meine Mutter in die Hände bekommen hatte, konnte er für ein paar Tage nicht mehr sitzen.“ Maria sagte eine Zeit lang nichts und sie starrten Seite an Seite in die verregnete Nacht. ----------- Mit einem Ächzen erhob sich Ademar von seinem Bett. Er hatte schlecht geschlafen und fühlte sich hundeelend. Blinzelnd sah er sich um. Das schummrige Morgenlicht erhellte die Hütte kaum und es dauerte eine Weile bis sich seine Augen angepasst hatten. Der Strohsack am Boden, auf dem Maria geschlafen hatte, war leer. Vermutlich musste sie Schweine füttern oder Schafe herumtreiben, oder etwas Ähnliches. Ademar schüttelte den Kopf. Er war in einem Dorf wie diesem aufgewachsen und hatte keine Ahnung mehr was bei Sonnenaufgang zu tun war. Er war alt. Langsam stand er auf. Seine Knie knackten wie Holzscheite im Feuer. Mit steifen Gelenken ging er zur Tür und öffnete sie. Die kalten Sonnenstrahlen streiften die letzten Erinnerungen der Nacht ab. Tief sog der alte Ritter die kühle Luft ein. Es roch nach feuchter Erde und an den Grashalmen hing Morgentau. Wovon hatte er nochmal geträumt? Er konnte sich nicht erinnern. Egal. Seine dürren Hände griffen nach seinem Schwert und er ging nach draußen. Er stellte sich in die Wiese gegenüber seiner Hütte und versuchte seine Zehen zu berühren. Es gelang ihm nicht. Langsam kreiste er seine Arme und sprang auf und ab, rannte etwas herum. Die Dorfbewohner sahen ihm verdutzt zu. Nachdem er seinen Körper wieder spürte und die Gelenke nicht mehr allzu stark knackten spannte Ademar sein Becken an, zog die Schultern zurück, griff das Schwert an der Scheide, knapp vor dem Heft und hielt es auf Brusthöhe. Sofort übernahmen Instinkte und Reflexe seinen Körper. Der Daumen lockerte das Schwert und er zog es in einer flüssigen Bewegung aus der Scheide. Er führte einen Hieb aus, dann einen Stich, glitt in unterschiedliche Huten. Sein Körper arbeitete von allein, führte Bewegungen aus die er schon tausende Male zuvor ausgeführt hatte, sein Geist wurde frei, hatte nichts womit er sich im Moment beschäftigen musste. Ademar lenkte ihn zu einer alten Erinnerung hin. Während das Schwert vor seinen Augen die Luft zerschnitt begann die Erinnerung lebendig zu werden. Er war wieder jung, sehr jung, vielleicht 16 oder 17 Sommer alt. Er stand in der noch brennenden Ruine seines Hauses, der beißende Gestank von Rauch stieg in seine Nase und unter seinen Füßen konnte er Hitze spüren. Außerhalb des Hauses herrschte Chaos, Leute schrien und rannten wild umher, trampelten sich gegenseitig nieder. Das war ihm egal. Das einzige was im Moment zählte war das Gesicht vor ihm. Blassweiß leuchtete es durch die Asche die es bedeckte. Er kniete nieder und wischte die Asche beiseite. Es war Catharina, seine Frau. Vor zwei Monaten hatten sie geheiratet. Nun lag sie tot in seinen Händen, ihre Gliedmaßen schwarz wie Asche gebrannt, nur das Gesicht war bleich und unversehrt. Seine Tränen tropften auf ihre Wangen, vermischten sich mit Asche und rannen in grauen Bächen zu Boden. Wie konnte das sein! Was hatte er den Göttern je getan, dass er das verdient hatte? Sie war der beste Mensch dem er je begegnet war, das Beste was ihm je passiert war. Wieso war sie tot? Wieso! Es war ungerecht.   Stundenlang kniete er da während die Hütte um ihn herum abbrannte. Als er wieder aufstand und sich mit rußverschmierten Händen die Tränen abwischte war er allein. Kein Mensch weit und breit. Nur einige Hütten brannten noch. Alle Tiere, auch der Drache, waren verschwunden. Er wusste nicht was er machen sollte.  In einer benachbarten Hütte fand er noch nicht verbranntes Holz und entzündete ein Lagerfeuer. In dieser Nacht schlief er nicht, am nächsten Tag aß er nicht. Wozu auch? Er sollte eigentlich tot sein, alle anderen waren es ja auch. Wenn er nicht aß würde dieser Fehler korrigiert werden. In der folgenden Nacht wurde er dann aber von Erschöpfung übermannt und schlief, seinen Vorsätzen zuwider, doch ein. Am frühen Morgen wurde er von Pferdegetrappel geweckt. Eine Gruppe Männer kam angeritten. Sie sagten sie wären Ritter, vom Herzog geschickt den Drachen zu töten. „Gute Arbeit.“, hatte er sich gedacht, der Herzog hätte sie gar nicht erst zu schicken gebraucht. Doch während er sich mit den Rittern unterhielt wich der Zynismus langsam Rachegedanken. Er würde den Rittern helfen den Drachen zu töten, sterben konnte er danach immer noch. Vielleicht war das der Grund, dass er überlebt hatte, um sein Dorf zu rächen. Er beerdigte Catharina und begleitete die Ritter, führte sie durch die ihm bekannten Berge in die Region in der er den Drachen vermutete. Hätte er das nicht gemacht, sie hätten ihn vermutlich im Dorf zum Sterben zurückgelassen. Nach vier Tagen hatten sie die Höhle, die dem Drachen als Unterschlupf diente, gefunden. Die Ritter legten ihre Rüstungen und Kettenhemden an, zogen ihre Schwerter und gingen in die Höhle. Er sollte in der Zwischenzeit auf die Pferde aufpassen. Kurz nachdem die Ritter die Höhle betreten hatten, waren fürchterlicher Lärm und lautes Geschrei zu hören. Aber nur kurz, bald war es wieder leise. Die Ritter kamen nicht wieder. Also ging er hinein. Draußen, bei den Pferden, würde er Catharina nicht rächen können. Vorsichtig kletterte er in die Höhle, passte auf, dass sich keine Steine lösten und schlich sich an den Drachen heran. Der lag auf einem Felsplateau, dass gerade noch von der späten Abendsonne beschienen wurde. Sechs verkohlte Leichname lagen um ihn herum. Er schien tot zu sein. Als der junge Mann näherschlich sah er, dass ein Schwert im Bauch der Echse steckte. Dunkles Blut lief in kleinen Bächen von der Wunde herab. Vorsichtig näherte er sich der Kreatur und sah, dass sie noch atmete.  Auf dem Weg zum Plateau hob er das Schwert eines gefallenen Ritters auf und schlich sich an die Teufelsbrut heran. Nachdem er das Plateau erklommen hatte stand er vor dem Kopf des Drachen. Wo sollte er zuschlagen um ihn endgültig zu töten? Während er überlegte schlug die Echse die Augen auf. Er hatte kaum Zeit sein Spiegelbild in den gelben Augen zu erkennen, da bäumte sie sich schon wutbrüllend auf. Sie stellte sich auf ihre Hinterbeine und klappte ihre ledrigen, von Schwertern zerfetzten, Schwingen aus. Ohne nachzudenken stürzte er sich nach vorne und zog der Bestie das Schwert aus den Rippen. Das Blut, das vorher nur an den Wundrändern ausgetreten war, ergoss sich nun in wallenden Strömen über seine Arme und sein Gesicht. Er schrie vor Schmerzen, sein Gesicht schien in Flammen zu stehen. Er stürzte zu Seite und wurde nur knapp nicht vom Körper des Drachen zerquetscht. Das erste, was er sah, nachdem er die Augen freigewischt hatte, war der Schwanz des Ungetüms, der auf ihn zuschnellte. Unfähig schnell genug zu reagieren wurde er durch die halbe Höhle geschleudert. Trotz allem umklammerten seine Hände weiterhin das Schwert und er versteckte sich hinter mehreren Stalagmiten. Der Drache spie Feuer, erreichte ihn aber nicht. Schwerfällig näherte sich das Ungetüm dem Versteck. Der Mann konnte dessen fauligen Atem riechen. Langsam hob er das Schwert und machte sich bereit zuzuschlagen. Er wartete, aber nichts geschah. Es war auch nichts zu hören. War der Drache seinen Wunden erlegen? Gerade als er das Schwert senken wollte, schnellte der Kopf des Drachen um die Stalaktiten herum. Der zukünftige Ritter reagierte schnell. Bevor der Drache zubeißen konnte stieß er ich das Schwert bis zum Heft ins Auge. Der Drache heulte auf, flatterte frenetisch mit den Flügeln und brach kurz darauf zusammen. Er versteckte sich noch für eine Weile, doch der Drache regte sich nicht mehr. Er schnitt eine Kralle ab und brachte sie zu dem Herzog, der ihn zum Ritter schlug und, der Tradition folgend, ihm den Namen des Drachen verlieh. Langsam verblasste die Erinnerung wieder und die Umgebung gewann wieder an Schärfe. Das Schwert sauste ein letztes Mal nach unten und blieb auf Beckenhöhe stehen. Ademar atmete langsam aus und blinzelte einige Schweißtropfen aus den Augen. Seine Stirn war schweißbedeckt. Er steckte das Schwert zurück in die Scheide und sah sich schwer atmend um. Einige Dorfbewohner, vor allem Kinder, waren stehen geblieben um ihm zuzusehen. Auf dem Weg zurück zur Hütte überlegte er was zu tun war. Damals war er jung gewesen, auf dem Höhepunkt seiner Kräfte, und selbst dann hätte er es nicht geschafft den Drachen zu töten, wenn die sechs Ritter vor ihm nicht gewesen wären. Jetzt war er alt. Er hatte zwar eine feuerfeste Rüstung, aber vor der Hitze würde sie ihn nicht schützen und Teile des Gesichts waren immer noch frei. Es gab in der Umgebung keine Möglichkeit die Dorfbewohner zu verstecken. Der Wald war bei weitem nicht dicht genug. Außerdem waren Bäume keine besonders drachensichere Umgebung. Der beste Weg würde wahrscheinlich sein, die Höhle des Drachen in den Bergen ausfindig zu machen und ihn zu töten während er schlief. Wenn er geschickt genug vorging, könnte er sogar überleben. Unsinn! Ein Drache hatte sein erstes Leben beendet und nun würde ein weiterer Drache sein zweites Leben beenden. Bei der Hütte angekommen traf er Maria, die auf ihn wartete. „Gibt es hier jemanden der sich in den Bergen auskennt?“, fragte er sie. Maria schüttelte den Kopf:“ Nein, Keiner von uns geht dort hin. Sie sind zu weit weg.“ Ademar nickte, das hatte er vermutet. „Hast du einen älteren Bruder?“ „Nein, nur einen jüngeren, Walter.“ Wie aufs Stichwort bog Walter mit zwei anderen Jungen ums Eck. „Herr Graf, wir können uns nicht zwischen zwei Namen einigen. Wie hat den euer Drache geheißen?“ „Ademar.“ „Der Drache hat wie Ihr geheißen?“ „Nein, ich heiße wie der Drache.“ Die Burschen tuschelten kurz miteinander und es kam zu einem Streit, den Walter zu gewinnen schien. Er trat wieder vor: „Also gut, wir haben entschieden.“, bei diesen Worten warfen ihm einige Buben böse Blicke zu, „Wir nennen ihn Ikatus.“ „Mmmh. Sag, Walter, kannst du reiten?“ Stolz reckte der Kleine sein Kinn vor: „Ja, ich war schon einmal mit Vater am Markt und wir sind hin geritten. Ich bin der beste Reiter von uns allen.“, dabei wies er auf die Buben hinter ihm. „Tatsächlich.“, fragte Ademar nach. Walter nickte mit dem Kopf. „Kannst du Holger herholen?“, bat Ademar ihn. „Klar.“, antwortete Walter und rannte davon. Kurze Zeit später stand er mit Holger vor dem Grafen. „Ihr benötigt etwas?“, fragte Holger und scheuchte den Jungen davon. „Ja, ich habe entschieden was zu tun ist. Ich brauche ein drittes Pferd und genug Proviant um zwei Männer für drei Wochen zu ernähren.“ „Es wird schwer werden nach dem Angriff genug Nahrung aufzutreiben, aber wir werden es irgendwie bewerkstelligen. Noch etwas?“ Ademar sah den Dorfvorsteher gespannt an: „Ich brauche die Hilfe des Buben.“ „Welches Buben?“ „Walter.“ „Ihr braucht Hilfe von Walter?“, fragte Holger ungläubig. „Genau.“ „Was habt ihr vor?“ „Ich werde in die Berge reiten und die Bestie aufspüren, wie ich es schon einmal getan habe. Wenn ich warte bis er hierher kommt werde ich geröstet wie alle anderen auch.“ „Aber dafür braucht Ihr doch nicht den Jungen. Nehmt euch einen Erwachsenen.“ „Macht euch um ihn keine Sorgen. Ich werde auf ihn aufpassen. Außerdem werde ich seine Eltern fragen. Wenn sie es nicht wollen, werde ich Walter nicht mitnehmen.“ Das schien Holger recht zu sein und er nickte: „Nun gut, während Ihr fragt werde ich die Vorräte zusammentragen.“ Am nächsten Morgen brachen Ademar und Walter zu Pferde auf. Die Eltern Walters waren erstaunt und verängstigt gewesen als Ademar am Abend zu ihnen gekommen war um seinen Wunsch vorzutragen. Nach einigen Beteuerungen des Grafen und vielem flehentlichen Bitten ihres Sohnes hatten sie sich entschlossen ihre Zustimmung zu geben. Und so machten sich der alte Ritter und sein junger Begleiter auf, die Drachenhöhle zu finden. Der Junge erlebte eine große Überraschung als, am Ende des ersten Tages, der Graf mit zwei langen Holzstöcken zu ihm kam und begann ihn im Schwertkampf zu unterweisen. Untertags gab der Ritter ihm Anweisungen wie er seinen Reitstil verbessern konnte. „Warum lernt Ihr mir das alles?“, wollte Walter schließlich beim Abendessen am zweiten Tag wissen. Ademar schwieg kurz. Dann sprach er langsam: „Ich habe einmal gehört, von klügeren Männern als ich es bin, dass sich die Geschichte wiederholt. Wenn das so ist, sollst du besser vorbereitet sein als ich es war. Außerdem hatte ich nie Kinder und es fühlt sich gut an mein Wissen weiterzugeben. Auch wenn es nur wenig ist.“ Den ersten Teil der Antwort verstand Walter nicht ganz. Mit dem Zweiten aber konnte er etwas anfangen. „Habt Ihr denn nie geheiratet?“ „Oh doch. Zweimal sogar.“ „Ihr hattet zwei Frauen?“, fragte der Junge mit großen Augen. „Ja, aber nicht gleichzeitig.“ Gedankenverloren starrte der Graf ins Lagerfeuer. „Meine erste Frau starb als ich noch sehr jung war. Bevor ich zum Ritter geschlagen wurde. Die Zweite habe ich drei Jahre nach dem Ritterschlag geheiratet. Ihr Name war Josephina.“, das Gesicht des Grafen verzog sich zu einer Grimasse, „Sie war hübsch. Nicht so hübsch wie Catarina, meine erste Frau, aber das war keine die ich bisher getroffen habe. Josephinas Vater war ein erfolgreicher Händler, sehr reich. Ich war ein armer Adeliger. Eine Heirat schien . . . vernünftig. Erst nach der Hochzeit habe ich ihr wahres Gesicht gesehen. Sie war kalt und selbstverliebt, ohne jedes Mitgefühl.“, während er redete kratzte der Graf Rinde von einem Zweig und zerbrach ihn. Nachdem er geendet hatte sah Ademar Walter tief in die Augen. „Heirate niemals aus Vernunft.“ Walter nickte. Am vierten Tag erreichten sie die Ausläufer des Gebirges. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Suche wirklich beginnen konnte. Ademar hing gerade seinen Erinnerungen nah, wie er es immer häufiger tat in letzter Zeit. Er dachte gerade an König Ludwig II, einen breitschultrigen Mann mit blitzenden Augen der gerne lachte und trank. Als Ademar geadelt worden war, hatte er zur Rechten des Königs gesessen. Einen so lustigen Abend hatte er lang nicht mehr erlebt. Obwohl der Verlust von Catharina noch frisch gewesen war, hatte Ademar einige Male lachen müssen. Schon alleine bei der Erinnerung kräuselten sich seine Lippen. Plötzlich riss ein donnernder Schrei den Grafen aus der Erinnerung. Hektisch sah er sich um, die Pferde tänzelten nervös. Über ihnen flog der Drache, Ikatus, hoch über sie hinweg. Das rote Schuppenkleid hob sich hell vom wolkenbedeckten Himmel ab. Gebannt beobachteten Walter und Ademar wie er aus ihrem Sichtfeld flog. Plötzlich schrie Walter erschreckt auf: „Er fliegt zum Dorf!“ „Möglicherweise.“ „Wir müssen ihn aufhalten!“ Walter riss das Pferd herum und trat ihm in die Flanken. Das Pferd bäumte sich auf und warf den Reiter beinahe ab. Schnell griff Ademar nach den Zügen. „Sei kein Narr!“, fauchte er den Jungen an, „Du könntest ihn nie einholen. Und selbst wenn, was hast du dann vor? Willst du ihn mit Steinen bewerfen während er herumfliegt?“ „Aber irgendetwas müssen wir doch tun. Irgendwas!“, schrie Walter. „Wir können gar nichts tun. Er ist wie eine Sintflut.“ „Aber, aber . . .“, Tränen stiegen in die Augen des Jungen. Ademar atmete tief durch. „Ich weiß, es ist schwer. Aber manche Dinge kann man nicht ändern. Sollte er dein Dorf angreifen, und wir wissen nicht, ob er das tut, würden wir, wenn wir dort wären, auch sterben. Ein Drache kann nicht getötet werden wenn er fliegt. Nur am Boden haben wir eine Chance.  Walter nickte mit tränennassem Gesicht und sagte nichts. Nach einiger Zeit sprach Ademar wieder:“ Immerhin wissen wir jetzt in welcher Richtung wir suchen müssen.“ Bedrückt machten sie sich wieder auf den Weg. Spät am nächsten Tag sahen sie wieder den Drachen zurückkommen. Er ließ sich nicht weit von Ademar und Walter nieder und sie hatten die Höhle bald gefunden. Leichte Rauchschwaden stiegen aus ihr heraus und es roch nach faulen Eiern. Außer dem Pfeifen des Windes war nichts zu hören. Kein einziges Tier weit und breit. Bevor sie zu nahe kamen saß Ademar ab und legte seine Schuppenrüstung mit Walters Hilfe an. „Ich werde versuchen mich anzuschleichen. Wenn ich morgen um diese Zeit nicht zurück bin, reite zurück und berichte dem König was geschehen ist.“ Walter nickte stumm. Dann macht Ademar sich auf den Weg zur Höhle und stieg vorsichtig in die Tiefe. Er war sicher, dass der Drache jetzt schlief, vorausgesetzt dass er sich bei seinem Raubzug vollgefressen hatte. Walter wartete. Bald wurde es dunkel und er wickelte sich in Decken und versuchte zu schlafen. Es gelang ihm nicht. Mitten in der Nacht durchdrang plötzlich ein erstaunlicher Lärm die Stille der Nacht. Schmerzensschreie und Zornesbrüllen hallten im Gebirge wider. Dann war es plötzlich wieder genauso still wie davor. Am nächsten Tag wartete Walter auf die Rückkehr Ademars. Doch der kam nicht. Walter wusste, dass er zurückreiten sollte. Doch er tat es nicht. Er wartete noch einen weiteren Tag. Die Zeit vertrieb er sich mit Schwertübungen die Ademar ihm gezeigt hatte. Als der alte Ritter auch am nächsten Tag nicht zurückkam beschloss Walter selbst nachzusehen. Vorsichtig kletterte er in die Höhle. Immer wieder blieb er stehen und horchte auf verdächtige Geräusche. Aber es war mucksmäuschenstill. Im Dunkel der Höhle stolperte er über etwas. Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte er, dass es Ademar war, über den er gestolpert war. Der alte Ritter lag leblos in einem Feld aus geschmolzenem Gestein. Sein Gesicht war verbrannt und er hatte nur noch einen Arm. Walter sah sich in er Höhle um. Da war der Arm des Grafen! Er hing am Schwert, das die Finger immer noch fest umklammert hielten. Das Schwert selbst steckte tief im Rachen des Drachen. Vorsichtig näherte Walter sich dem Ungetüm. Es schien ihn nicht zu bemerken. Er stupste es zweimal an. Nichts regte sich. Er griff nach dem Schwert und zog es aus dem Schlund heraus. Der Drache regte sich nicht. Nun war Walter absolut sicher, dass Ikatus tot war. Er löste die die Hand Ademars vom Schwert ab und trug sie nach draußen. Dann schleifte er den Körper des Grafen ins Freie und grub mit dem Schwert ein Grab. Er beerdigte den alten Drachentöter mit Arm und Schwert, aber nicht bevor er eine Kralle des Drachen abgeschnitten hatte. Am nächsten Tag mache er sich auf den Weg zurück ins Dorf. Das Dorf war zerstört, eine Ansammlung von geschwärzten Ruinen. Als Walter, nach Freunden und Verwandten schreiend, das Dorf durchquerte, lief ihm ein Hund mit versengtem Fell über den Weg. Er wusste nicht wem dieser Hund gehörte, es war ihm auch egal. Gerade hatte er das Haus seiner Eltern erreicht, oder vielmehr was davon übriggeblieben war. Teile davon waren verbrannt und das Dach war eingestürzt. So schnell er konnte, rannte Walter hin und begann den Schutt wegzuräumen. Doch er konnte nicht viel ausrichten. Er war zu klein, zu schwach, um die großen Holztrümmer zu bewegen. Doch er gab nicht auf. Tränen hinterließen helle Spuren auf seinem schmutzbedeckten Gesicht. „Lass es Kleiner, es hat keinen Sinn.“ Walter schreckte auf. Es hatte doch jemand überlebt! Er drehte sich m und sah den alten Tobi, den zweitältesten Bewohner des Dorfs. „Meine. . . meine Familie.“, würgte Walter unter Tränen hervor. Der Alte schüttelte betrübt den Kopf. „Sie waren nicht unter den Überlebenden.“ „Überlebende?“ „Oh ja. Er hat nicht alle getötet. Einige konnten entkommen.“ „Wo…“ „…sind sie? Sie sind gegangen. Wenn sie hier nicht sicher sind, wieso noch bleiben? Einen Tag nach dem Angriff sind wir alle zurückgekommen. Diejenigen die stark genug waren haben alles, was noch brauchbar war zusammengetragen und sind mit den Verletzten weggegangen. Deine Eltern waren nicht dabei.“ „Und Maria? Meine Schwester.“ „Ich weiß nicht. Möglicherweise war sie bei den Überlebenden. Ich bin alt.“, seufzte der alte Tobi, „Obwohl es erst einige Tage her ist, beginnt die Erinnerung bereits zu verschwimmen.“ Walter sah sich um. Er stand in einem Ruinenfeld, einzelne Holzbalken ragten wie gebrochene Knochen aus den Überresten von Hütten. Ein halb verbranntes Schwein lag mitten auf dem Weg. Er hatte das alles vorher schon gesehen, aber nicht wahrgenommen. Erst jetzt sickerte das Bild in sein Bewusstsein. Plötzlich saß er auf dem Boden. Er wusste nicht wie er dorthin gekommen war. Seine Tränen versiegten und Leere überkam ihn. „Wie kann das sein?“, flüsterte er, „Wieso? Wir haben ihn doch getötet.“ „Was?“, der alte Tobi war herangehumpelt, „Er ist tot? Ihr habt den Drachen getötet?“ Walter nickte. „Ah, wenigstens ein Grund zu feiern. Die Bestie hat bekommen was sie verdient hat!“ Walter sah ihn ungläubig an. „Grund zu feiern? Er hat trotzdem das Dorf zerstört und meine Eltern getötet! Wir hätten gar nicht erst aufbrechen brauchen, wenn wir ihn nicht aufhalten können.“ Der alte Tobi sah ihn an. „Du bist noch jung.“, meinte er, „Du wirst es noch lernen.“ „Was lernen?“ „Ein Menschenleben ist nicht mehr wert als ein anderes. Wir mögen gestorben sein, aber einem anderen Dorf ist dieses Schicksal erspart geblieben. Ihr habt den Drachen getötet. Er kann nun keinen Schaden mehr anrichten. Ihr habt hunderten Menschen das Leben gerettet. Sie werden es nie erfahren und dir nie dafür danken, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass du mehr Menschen das Leben gerettet hast, als dieses Dorf Einwohner hatte.“ „Das interessiert mich nicht. Ich wollte dieses Dorf retten. Nicht irgendein anderes.“ Der alte Tobi sah ihn kurz an. „Ich habe noch einige Vorräte. Ich bringe dir was zu essen.“, sagte er und ließ Walter alleine. Am nächsten Morgen stand Walter früh auf. Der alte Tobi schlief noch. Er packte seine Schlafrolle auf Donnerhuf, aß noch etwas zu Frühstück und saß auf. „Weißt du wo die Überlebenden hin wollten?“, fragte er den alten Tobi, der in der Zwischenzeit ebenfalls aufgewacht war. Der schüttelte den Kopf: „Ich glaube das wussten sie selbst noch nicht.“ Das hatte Walter erwartet. Nur eine Frage brannte ihm noch auf der Zunge. „Wieso bist du nicht mit ihnen gegangen?“ „Ich bin hier geboren. Mein ganzes Leben habe ich hier verbracht. Es ohne dieses Dorf zu führen kann ich mir nicht vorstellen. Jetzt wo es tot ist, ist es nur passend, dass ich auch sterbe. Meine Vorräte werden nicht mehr lange halten.“ „Du musst nicht sterben, komm mit mir.“ „Wohin willst du?“ „Irgendjemand muss dem König sagen, dass der Drache tot ist.“ „Das ist wohl wahr. Aber ich werde hierbleiben. Ich würde dich ohnehin nur aufhalten. Für eine derartige Reise bin ich schon zu alt.“ Walter sah auf den Alten hinab: „Dann wünsche ich dir viel Glück.“ „Das wünsche ich dir auch.“, erwiderte der alte Tobi, „Lebe Wohl.“ Damit ritt Walter davon und ließ das Dorf hinter sich.   Der Tag lief ab wie gewöhnlich. Leute kamen und gingen, baten um eine Audienz mit dem König, beschwerten sich über Steuern und Banditen, nichts Außergewöhnliches. Mit ein wenig Glück würde er schon früh am Abend wieder bei seiner Frau und seinen Kindern sein. Doch dann geschah etwas womit Gottfried, erster Berater von König Maximilian III, nicht gerechnet hatte. Ein etwa zwölfjähriger Bursche erschien vor ihm und präsentierte ihm eine Drachenklaue. Interessiert hörte er sich an, was der Junge zu erzählen hatte. Anscheinend war seine Entscheidung Graf Ademar zu schicken richtig gewesen. Doch trotz des Erfolges war der Verlust des Grafen bedauerlich. Es war immer nützlich einen Drachentöter am Hofe zu haben. Wenn man ihn nicht brauchte war es ausgezeichnet. Aber sollte dann doch einmal etwas passieren, dann war er unbezahlbar. „Sag, Junge, weißt du wie Graf Ademar diesen Drachen besiegt hat?“ „Er hat ihn überrascht als der Drache geschlafen hat und ihm das Schwert in den Rachen gerammt als er aufwachte.“ „Was würdest du tun, wenn du wieder einem Drachen begegnen solltest?“ „Ihn töten!“, sagte der Junge mit bemerkenswerter Intensität. „Ausgezeichnet.“ Gottfried sah den Hass in den Augen des Jungen. Er würde keinen Rückzieher machen, wie viele andere Ritter die immer groß redeten, aber vor einem richtigen Drachen davonliefen. „Weißt du,“, meinte er, „es gibt in diesem Land ein altes Gesetz. Wer auch immer einen Drachen tötet ist mit einer Grafschaft und einem Rittertitel zu belohnen. Und es ergibt sich, dass soeben die Ländereien des Grafen Ademar freigeworden sind.“ „Ich habe den Drachen nicht getötet.“ „Wir beide sind die Einzigen die das wissen. Ich schlage vor, dass der Drache noch gelebt hat, aber noch sehr schwach war. Du hast Ademars Schwert genommen und ihm ins Auge gestoßen. Das hat den Drachen getötet.“ „Aber so war das nicht.“ „Aber wenn es so wäre, würdest du Graf werden.“ „Ich will kein Graf sein. Ich will meine Schwester suchen. Der Berater atmete tief durch. „Ich werde deine Schwester suche. Ich habe viele Bedienstete, die ich aussenden kann um nach ihr zu suchen.“ Der Junge zögerte kurz. „Also gut.“, stimmte er zu. „Ausgezeichnet. Ich werde deine tapfere Tat dem König melden. Er wird dich sehen wollen. Nächste Woche wirst du eine Gruppe von meinen Dienern zu der Drachenhöhle führen und dann…“ „Warum?“, unterbrach der Junge. „Wir benötigen seine Schuppen für deine Rüstung, Drachentöter.“ Außerdem waren Drachenorgane sehr wertvoll und würden den Staatsschatz gewaltig aufbessern. „Danach wirst du einem Ritter zur Ausbildung anvertraut. Ich habe da schon jemanden im Sinn, Herr Konrad, ein vortrefflicher Mann und glänzender Schwertkämpfer.“ Gottfried klopfte an eine Tür und ein Diener trat heraus. „Führe den jungen Drachentöter in sein Zimmer im 3. Stock des Westturms.“ Der Diener nickte und ging dem Jungen vor. „Ach eins noch.“ Fiel Gottfried noch ein, „Wie hieß der Drache denn?“ „Wir haben ihn Ikatus genannt.“ „Gut. Die Tötung eines Drachen gleicht einer Taufe. Als du ihn getötet hast, hast du dein altes Leben beendet und bist durch das Blut des Drachen in den Adelsstand wiedergeboren worden. Von nun an wirst du seinen Namen tragen. Hast du das verstanden, Ikatus?“ Der Junge, Ikatus, sah ihn kurz an und nickte. Dann folgte er dem Diener und Gottfried widmete sich wieder seinen Alltagsgeschäften. ******************** Am 23.5.2018 um 20:12 von X122L auf StoryHub veröffentlicht (http://sthu.de/s=5Jz%25H) ********************