Am Ende läuft es immer auf eine Liebesgeschichte hinaus

Kurzbeschreibung:

Am 15.1.2017 um 14:15 von suedehead auf StoryHub veröffentlicht

„Am Ende läuft es immer auf eine Liebesgeschichte hinaus.“

Die Stimmen in meine Kopf waren sich uneinig.

„Wir haben noch nie eine Liebesgeschichte geschrieben“, meldete sich die Erfahrung. Sie war von Natur aus feige.

„Ich bin auf der Seite der Habgier!“, intervenierte die Libido, bevor sich wieder Fronten aufbauten und sie wieder außen vor blieb. Allerdings war es kein Wunder, dass sie sich auf die Seite der Habgier schlug. Die Laster hielten immer zusammen. „Von einer Liebesgeschichte hätten wir alle etwas. Vor allem aber macht sie Spaß.“

„Und sie verkauft sich gut!“, sagte die Habgier, „Das dürfen wir nicht ignorieren. Wir haben viel zu lange auf unpopuläre Themen gesetzt und die Analyse wird mir zustimmen, dass gerade Romanzen und phantastische Geschichten mehr Leser generieren als irgendein schweres Traktat über einen… kaum bekannten Konflikt in irgendeiner uninteressanten Ecke der Welt.“

Die Analyse nickte traurig. Sie mochte es nicht, instrumentalisiert zu werden und blieb lieber neutral. Jetzt aber musste sie sich darauf gefasst machen, vom gegnerischen Block scharf kritisiert zu werden.

„Die nachhaltig erfolgreichsten Bücher behandeln komplexere Themen als eine Liebesgeschichte!“, rief die Neugier dazwischen, „Außerdem sind die bei den Kritikern beliebter!“

„Wir schreiben aber nicht für Kritiker, sondern für uns selbst!“, sagte die Libido.

„Da gebe ich dir Recht!“, meldete sich die Kreativität.

„Also brauchen wir mehr Körperflüssigkeiten…“

„Meine Güte, nein! So war das nicht gemeint! Es gibt nichts langweiligeres als Sexszenen, die man nur einbaut, um Leser zu generieren!“, die Kreativität verfügte über eine gewisse Autorität, die der Libido nicht vergönnt war und so schwieg diese zunächst.

„Wir sind zwar selten einer Meinung“, mischte sich die Erfahrung wieder ein, „Aber hier kann ich der Kreativität nur zustimmen! Wir haben in der Vergangenheit nie auf solche Effekthaschereien gesetzt.“

„Und es war ein Fehler!“, sagte die Habgier, „Wir sehen es ja an unseren Leserzahlen.“

„Aber unsere Kritiken sind gut“, mischte sich die Analyse wieder ein, „Wir müssen nur definieren, was uns wichtiger ist.“

„Aufmerksamkeit!“, sagte die Habgier.

„Spaß!“, sagte die Libido.

„Lernen!“, sagte die Neugier.

„Experimentieren!“, sagte die Kreativität.

„Unser Handwerk verbessern!“, sagte die Erfahrung.

„Inhalt!“, sagte das Gewissen und alle anderen verdrehten sie Augen.

„Du schon wieder!“, spie die Habgier aus, „Du hast hier viel zu lange die Zügel in der Hand gehabt und sieh dir an, wo wir damit angekommen sind!“

„Wir haben eine beachtliche Menge von sozialkritischen Texten verfasst und wir sollten da im Interesse der Leser weitermachen!“

„Du bist ein Oberlehrer, Gewissen!“, sagte die Kreativität, „Wer beim Schreiben nur auf das Publikum blickt, wird niemals etwas wirklich Großes erschaffen!“

„Ist das von Oscar Wilde?“, fragte die Erfahrung.

„Kann schon sein…“

„Also ich finde, wir sollten die Analyse damit beauftragen Nachforschungen anzustellen, welche Art von Geschichten gerade angesagt sind“, sagte die Habgier.

„Und dann machen wir was ganz anderes!“, fiel die Kreativität ihr ins Wort. Sie hatte vor einiger Zeit einen Kurs in „Trotz“ absolviert und seither war kaum noch sachlich mit ihr zu diskutieren.

„Nein, dann machen wir es besser!“, sagte die Erfahrung in einem kurzen Anflug von Selbstvertrauen.

„Oder wir machen es satirisch!“, sagte die Libido, die durchaus kompromissbereit war.

„Oder wir machen es gar nicht!“, sagte das soziale Gewissen, „Wieso sollten wir etwas durchkauen, was tausend andere schon machen?“

„Da hat es Recht!“, sagte die Kreativität.

„Wir drehen uns hier im Kreis, merkt ihr das nicht? Das ist nicht produktiv! Wir sind ein Team, oder nicht?“, sagte die Habgier, eine Pragmatikerin.

„Wir müssen das mit der Liebesgeschichte nicht vollständig verwerfen“, gab die Neugier nach, „Man könnte eine als Nebenplot einbauen.“

„Aber wir wissen doch gar nicht, wie das geht!“, rief die Erfahrung, „Was haben wir auf dem Gebiet denn jemals fertig gebracht? Ein Kuss am Lagerfeuer, wenn ich mich richtig erinnere und das war’s!“

„Oh, ja!“, quiekte die Libido, „Diese eine Szene habe ich durchgesetzt!“

„Ein schwacher Erfolg…“, sagte die Gehässigkeit, die immer dann auftauchte, wenn man sie am wenigsten brauchte.

„In der Tat!“, sagte die Habgier, „Du kannst dich nicht richtig durchsetzten, Libido, da liegt das Ungleichgewicht in unserem Komitee.“

„Wäre ja noch schöner, wenn die hier eine ernst zu nehmende Position einnehmen würde!“, sagte das Gewissen, „Euren Egoismus in Schach zu halten, ist schon schwer genug…“

„Egoismus?“, echauffierte sich die Habgier, wie der getroffene Hund, der bellt, „Ich denke immer nur an das Interesse des Publikums!“

„Zu deinem eigenen Vorteil, ja!“, sagte die Kreativität altklug.

„Du bist genauso schlimm!“, schimpfte das Gewissen und die Kreativität begann zu schmollen.

„Jetzt kommt mal wieder runter!“

„Ah, die Stimme der Vernunft!“, spottete das Gewissen verächtlich.

„Gewissen, man kann alles übertreiben!“

„Wenn du wirklich die Vernunft wärst, dann wärst du nicht von mir verschieden!“

„Wie anmaßend!“, rief die Libido dazwischen, „Das Gewissen will die Vernunft vereinnahmen… Hat man sowas schon gehört!“

„Es versucht es immer wieder“, erinnerte sich die Analyse.

„Wollt ihr eine Geschichte schreiben, oder euch über nichts und wieder nichts streiten?“, fragte die Vernunft, „Reißt euch ein bisschen zusammen! Es müssen immer Kompromisse eingegangen werden, das wisst ihr doch! Keiner von euch kann es allein machen, ihr braucht euch gegenseitig, also arbeitet gefälligst zusammen!“

Betretenes Schweigen erfüllte den Kopf.

Nach einer Weile versuchte es die Habgier wieder vorsichtig: „Was haben wir also?“

Niemand antwortete.

„Hey, Kreativität, was haben wir?“, wiederholte die Habgier, die nebenbei als Tatkraft arbeitete.

„Ach, dieser Streit hat mich völlig fertig gemacht und mich aller Energien beraubt!“

Die Habgier seufzte: „Neugier? Auf irgendwas interessantes gestoßen?“

„Nichts konkretes. Nichts, was nachhaltig mein Interesse halten könnte… Ich hatte da was über… Aber ach, nein, lieber doch nicht!“

Die Habgier verdrehte die Augen, Sie war so wankelmütig, diese Neugier!

„Erfahrung? Können wir vielleicht wenigstens irgendwas stereotypes schreiben? Irgendwas, für das wir kein Hintergrundwissen oder eine spritzige Idee benötigen? Ein Gedicht oder sowas?“

„Ich bin nur für das Handwerk zuständig. Allein kann ich gar nichts machen, außer vielleicht ein paar Belanglosigkeiten aneinanderreihen. Ein Stream of Consciousness, vielleicht?“

„Gott, nein!“, rief die Habgier empört, „Das ist totales Kassengift!“

Als letzte Option fiel ihr nur noch ein, das Gewissen zu fragen, doch auf ihren Ruf: „Gewissen, worüber regst du dich gerade auf? Taugt es was als Plot?“ kam keine Reaktion. Das Gewissen war schnell eingeschnappt, wenn man seine Relevanz ins Frage stellte.

„Hallo, hallo?“, meldete sich die leise Stimme aus dem Hinterkopf, ich wollte euch ja nicht stören, aber wisst ihr, wir haben da noch einen ganzen Berg von Romananfängen auf Halde und vielleicht könnten wir ja da mal an etwas weiter arbeiten. Außerdem gibt es da noch unheimliche viele Ideen, an denen ihr nie weiter gearbeitet habt.“

„Dafür gab es aber immer auch Gründe!“, sagte die Habgier, „Die meisten sind einfach nie ausgereift.“

„Oder langweilig!“, rief die Libido dazwischen.

„Oder zu beliebig!“, brummte das Gewissen aus seiner Wuthöhle.

„Oder zu abgeschmackt!“, sagte die Kreativität.

„Oder zu schlecht!“, sagte die Erfahrung.

„Ja, zu schlecht!“, mischte sich die Gehässigkeit wieder ein, „Ihr seid allesamt schlecht! Amateure! Ihr solltet mich ein Buch schreiben lassen!“

„Das letzte mal, als wir dich mitmachen ließen, hast du das Publikum als Idioten beschimpft!“, sagte die Habgier, „Das hat die Leserzahlen nicht gerade ansteigen lassen.“

„Aber es verlieh dem Erzähler Profil“, verteidigte die Kreativität das Vorgehen.

„Wolltet ihr nicht dieses Märchen schreiben?“, fragte die Stimme aus dem Hinterkopf.

„Ein anarchistisches Märchen!“, verbesserte das Gewissen und zog sich daraufhin wieder zurück.

„Also die Idee fand ich ja immer gut!“, sagte die Kreativität.

„Viel Recherchearbeit!“, freute sich die Neugier.

„Gewohntes Terrain!“, seufzte die Erfahrung vor Erleichterung.

„Moderne Märchen sind im Augenblick ziemlich en Vouge“, wusste die Habgier.

„Allein uns fehlt die zündende Idee“, erinnerte die Analyse, „Ich gebe zu bedenken, dass wir vielleicht Ahnung von Anarchismus haben, aber kaum etwas über Märchen wissen.“

„Es ist deine Aufgabe, das Genre auszukundschaften, Analyse! Wir wären schon viel weiter, wenn du deinen Job machen würdest!“, sagte die Neugier, die von Natur aus ungeduldig war.

„Wir sollten außerdem bedenken, dass es durchaus schon vergleichbare Werke gibt und wir keinesfalls eines davon kopieren sollten“, führte die Analyse weiter aus.

„Auf keinen Fall! Das haben wir schon viel zu oft gemacht!“, rief die Kreativität, „Immer lasse ich mich von euch zu sowas breit schlagen! Habgier, ich blicke in deine Richtung!“

„Es geht eben schneller, wenn man sich inspirieren lässt!“, verteidigte sich die Habgier.

„Wenn es ein Märchen ist, gibt es dann auch eine Prinzessin?“, fragte die Libido.

Das Gewissen verdrehte die Augen, sagte aber nichts.

„Natürlich“, sagte die Habgier.

„Darüber haben wir noch nicht abgestimmt!“, erinnerte die Kreativität.

„Eine Prinzessin!“, freute sich die Libido, „Eine Prinzessin, die sich in einen Prinzen verliebt!“

„Es ist ein anarchistisches Märchen!“, brummte das Gewissen, hatte aber kaum noch Hoffnung, dass seine Stimme ein Gewicht haben würde.

„Eine Prinzessin verliebt sich in einen Anachristen!“, jubelte die Libido.

„Könnten wir aus der Prinzessin nicht einen Prinzen machen?“, fragte die Kreativität, die das Gefühl hatte, dass ihr die Felle davon schwammen.

„Ein Prinz, der sich in eine Anarchistin verliebt?“, fragte die Libido.

„Nein, ein Prinz, der sich in einen Anarchisten verliebt. Eine homosexuelle Romanze“, sagte die Kreativität matt.

„Sehr gut!“, sagte die Habgier, „Sowas läuft sehr gut!“

„Müssen sie sich unbedingt verlieben?“, fragte das Gewissen in einem letzten Versuch der Einflussnahme, „Ich meine, wenn wir ein sozialkritisches Thema haben und das ganze vordergründig dann doch nur eine weitere Romanze ist, dann ist es doch kein tiefgründiges Werk mehr, dann bilden die politischen Fragen nur noch einen Hintergrund, für eine 0815-Geschichte. Es ist dann auch kein anarchistisches Märchen mehr, sondern nur noch ein ganz gewöhnliches Märchen.“

„Vielleicht müssen wir uns davon verabschieden den Anarchismus plastisch darzustellen“, überlegte die Kreativität, „Vielleicht sollte die Moral oder der Stil oder der Plot anarchistisch sein. Das würde auch viel mehr Spaß machen.“

„Oh ja! Spaß!“, meldete sich die Libido, „Das machen wir! Moral, Stil und Plot!“

Die Erfahrung blickte etwas hilflos in die Runde: „Das ist aber nicht sehr konkret. Hinterkopf, hast du da nicht noch ein bisschen mehr?“

Die Stimme aus dem Hinterkopf suchte in ihrem Chaos, sagte dann aber matt: „Nein, war wohl nur eine dieser fixen Ideen, die sich hier ständig einnisten. Wie Ungeziefer sind die, ehrlich!“

Die Stimmen in meinem Kopf stöhnen vor Erschöpfung.

„Aber, aber“, mischte sich die Vernunft wieder ein, „Wollt ihr etwa schon wieder aufgeben? Vielleicht arbeitet ihr zunächst einmal an eurem aktuellen Projekt weiter. Da habt ihr doch schon euren Plot und die Erfahrung kann daraus sicher etwas Brauchbares zaubern.“

„Ja“, die Libido rümpfte die Nase, „Das ist wieder so ein Gewissensprojekt! Ich durfte bei der Planung nicht mal mitmachen!“

„Katastrophale Leserzahlen!“, sagte die Habgier.

„Miese Kritiken!“, erinnerte die Analyse.

„Aber die Recherche hat Spaß gemacht“, sagte die Neugier, um die allgemeine Stimmung zu heben.

„So gut, dass man euch Instrumentalisierung vorwarf!“, sagte die Gehässigkeit vor allem in Richtung Gewissen.

„Das musst du nicht mir sagen, sondern unserem Handwerker dort drüben!“, verwies das Gewissen auf die Erfahrung.

„Ich habe getan, was ich konnte!“, verteidigte die sich.

„Ich wusste es, ihr könnt es eben nicht!“, sagte die Gehässigkeit.

„Genug jetzt!“, mischte sich die Vernunft ein, „Du bist nur neidisch, weil sie dich nicht mehr mitmachen lassen!“

„Dass du was gegen mich hast, wundert mich nun wieder gar nicht!“, sagte die Gehässigkeit, „Du solltest nicht „Vernunft“ heißen, sondern „Opportunismus“!“

„Da hat sie nicht Unrecht“, sagte das Gewissen und fing sich einen bösen Blick seitens der Vernunft ein.

„Wisst ihr, worin wir immer gut waren?“, fragte die Erfahrung in ungewöhnlich optimistischem Ton.

„Worin?“, fragte die Habgier matt.

„Konflikte“, sagte die Erfahrung, „Am Ende läuft es immer auf einen Konflikt hinaus!“

Die Stimmen in meinem Kopf sind sich uneinig.