******************** Annäherung an einen Fremden von BerndMoosecker ******************** ++++++++++++++++++++ Kurzbeschreibung ++++++++++++++++++++ Vieles aus meiner Abstammung verschwimmt für mich im Nebel des Unwissens. Immer wieder versuche ich den Nebel durch Schreiben zu lichten - hier ein weiterer Versuch. Wer meine Kurzgeschichten gelesen hat, hat vielleicht auch meine Schriften gelesen, in denen ich mich mit dem Schicksal meiner Eltern beschäftige. Alles fing damit an, dass ich im Nachlass meiner Mutter ein Bündel Briefe fand. Fast alle waren von meinem Vater an meine Mutter gerichtet, bis auf die verschlossenen Umschläge, deren Adressat mein Vater war. Diese Briefe sind wohl zurückgekommen, da sie nicht mehr zustellbar waren. Soweit die Vorgeschichte. Meinen Vater habe ich nur einmal in meinem Leben gesehen. Nach meiner Geburt war mein Vater nur einmal auf Heimaturlaub. Ich war damals ein Jahr alt, somit habe ich keine Erinnerung an ihn. Lange Zeit gab es in meiner Familie ein Foto im Format 6 x 6 Zentimeter. Es zeigt meinen Vater, der mich auf den Schultern trägt und dabei festhält. Das Foto ist irgendwann im Laufe der Jahrzehnte verloren gegangen, aber ich erinnere mich, dass wir beide einen zufriedenen Eindruck darauf machten. Damit endet eigentlich schon die Geschichte, wären da nicht die Briefe. Diejenigen der Briefe, die mein Vater nach seiner Rückkehr an die Ostfront geschrieben hat, relativieren das Bild, das ich mir von ihm gemacht habe. Es sind nur vier Briefe, in denen es seine Gefühle nach der Abreise schildern. Im ersten Brief beschreibt er ausführlich den Verlauf der Reise. Von daher weiß ich, dass meine Mutter ihn auf seiner letzten Reise bis Duisburg begleitet hat. Der zweite Brief handelt von seiner Verärgerung über das Hineinregieren seiner Schwiegermutter in die noch junge Ehe meiner Eltern und er kündigt an, er würde ihr zu diesem Thema einen bösen Brief schreiben (der Brief wurde nie geschrieben). Seine beiden weiteren Briefe sind dem Verhältnis zu meiner Mutter und auch ihrem Verhältnis zu mir gewidmet. Er meinte, es sei dringend erforderlich, dass ich einen Bruder bekäme. Er drückte das freundlicher aus, als ich es im vorherigen Satz dargestellt habe. Wie er darauf kam, dass aus der Vereinigung zweier Menschen zwingend Jungen entstehen, hätte ich ihn gerne einmal gefragt, aber wie alle Fragen, die ich an ihn hätte, bleibt auch diese Frage auf ewig unbeantwortet. Die Stelle seines letzten Briefes, die sich direkt mit mir beschäftigt, finde ich einigermaßen verstörend. Da ich mich während seiner Anwesenheit wohl vor den Kaninchen seiner Eltern gefürchtet hatte, erteilte er meiner Mutter den Rat, mich einmal zu den Kaninchen in den Stall zu sperren. Vielleicht war man damals bei der Kindererziehung rustikaler, als wir es bei der Erziehung unserer eigenen Tochter waren. Aber ich kann meinen Vater beruhigen. Die Angst vor dem Kleintier hat sich schnell verloren, auch ohne seine Eingriffe in meine Erziehung. Da wir, bis ich ungefähr zehn Jahre alt war, mit den, auf dem Hinterhof gehaltenen Kaninchen und Hühnern lebten, wusste ich bereits im Kindergartenalter, dass ich das Kaninchen, das als Weihnachtsbraten auf den Tisch kam, am Vortag noch gestreichelt hatte. Diese Zeilen sind als Antwort auf eine Forumsdiskussion mit einer Freundin entstanden. In der Diskussion ging es um die Herkunft der Vornamen. Mein Vorname ist die Kurzform von Bernhard. Damit brauche ich mich eigentlich nicht zu beschäftigen, denn in meiner Geburtsurkunde steht mein Name nur in der Kurzform. Aber Bernhard, so erklärte ich dort, kommt aus dem Althochdeutschen und bedeutet bärenstark oder kühn. Somit bin ich der Meinung, mein Name ist ein Fehlgriff meiner Eltern, denn ich bin weder stark noch kühn. Laut meiner Mutter wurde der Namen durch meinen Vater per Telegramm von Russland aus festgelegt. Tut mir leid, die Erwartungen meines Vaters konnte ich nicht erfüllen; und das ist auch gut so. Als ich das in einem Beitrag so darlegte, widersprach meine Freundin heftig. Sie war der Meinung, meine große Stärke läge in meiner Ruhe und Geduld. Ich weiß nur eins, meine Ruhe bringt auch Nachteile mit sich (meine Geduld hat vielleicht auch Nachteile). Das war zum Beispiel immer dann der Fall, wenn bei meiner Liebe der Geduldsfaden riss. Ihr Geduldsfaden riss meist dann, wenn sie den Eindruck hatte, ich hätte mich lange genug in Ruhe und Geduld geübt. Das ist nicht böse gemeint, ich liebte ihre Gefühlsausbrüche. Sie waren für mich in der Partnerschaft so etwas, wie das Salz in der Suppe. Die langjährige Partnerschaft zweier mit Geduld gesegneter Menschen kann ich mir im Übrigen, als ziemlich öde vorstellen. Das mag ein Vorurteil von mir sein, denn ich habe noch nie in einer Beziehung dieser Art gelebt. Ich habe also keine Möglichkeit des Vergleichs. Vielleicht ist es ganz anders, als ich es mir vorstelle und zwei Menschen, die von ihrem Naturell her im Einklang leben, haben so etwas, wie ein Leben im siebenten Himmel. Um eigene Studien dieser Art anzustellen, bin ich vielleicht ungeeignet und wahrscheinlich auch zu alt. Mich reizt nun einmal die Widerrede, auch in der Partnerschaft – und laut werden, darf es dabei auch. ++++++++++++++++++++ Autorennotiz ++++++++++++++++++++ Das Original dieser Geschichte findet Ihr hier: erzaehlungen.moosecker-hassels.de/text/text_02_pdf.php?v=oeffentliche_adobe&d=annaeherung_an_einen_fremden.pdf ******************** Am 21.9.2022 um 22:08 von BerndMoosecker auf StoryHub veröffentlicht (http://sthu.de/s=%7EvTs5) ********************