Von Helden und Narren

Kurzbeschreibung:
Eine Fantasy-Kurzgeschichte, die schon länger auf meiner Festplatte verweilt. Viel Spaß damit. :)

Am 3.10.2016 um 19:42 von ViennaVampire auf StoryHub veröffentlicht

Die Drachenhöhle war riesig, dunkel und voller Winkel in denen sich die Bestie hätte verbergen können. Von den Stalaktiten tropfte Wasser herab, speiste den unterirdischen See in der Mitte der Höhle und erzeugte ein Geräusch wie tausend leise Glöckchen. 

Der Held betrat die Höhle mit erhobenem Schwert, seinen Schild schützend vor seinen Körper haltend. Seine metallbeschlagenen Stiefel ließen seine Schritte unnatürlich laut von den steinernen Wänden widerhallen und unter seinem Helm bildeten sich ihm Schweißperlen auf der Stirn. Die Wände, die Decke und der Boden der Höhle, alles war mit einer dicken Rußschicht bedeckt. Ein widerlicher Gestank lag in der Luft und die schwefeligen Dämpfe ließen den Helden schwer atmen.

Er lauschte angestrengt, sah sich um und versuchte, sich in der Dunkelheit zurechtzufinden. Von weit oben fielen vereinzelte, gebündelte Strahlen Sonnenlicht in die Höhle, wo sich Felsspalten und Risse im Gestein bis an die Oberfläche ausgebreitet hatten. Doch das Licht reichte nicht aus, um alle Schatten zu vertreiben und ein Großteil der Höhle lag nach wie vor im Dunklen. Doch der Held konnte erkennen, dass er nicht der erste Mensch gewesen war, der sich in das Nest der Bestie gewagt hatte – immer wieder stieß er auf die Überreste von Rittern, zumeist rußgeschwärzte Schilde und gebleichte Knochen, die noch immer in geschmolzenen Rüstungsteilen steckten.

Und Gold! Überall, in allen Ecken und Winkeln glitzerten dem Helden Berge von Münzen entgegen, Edelsteine, Artefakte, Schmuck und herausragend hergestellte Waffen. Der Drache war alt und hatte viel angesammelt in seinem langen Leben.

Der Held drang tiefer in das Gewölbe ein. Das Tropfen machte ihn nervös, sein eigener Herzschlag dröhnte in seinen Ohren. Er fühlte sich, wie im Fieber, wie im Rausch. Angst hatte er keine, doch sein Nacken und seine Schultern waren angespannt.

Er hielt inne, als ein Geräusch hinter ihm ertönte. Ein leises Rauschen, wie von Wind, der durch lange, zugige Gänge wehte, doch tiefer und mit einem unnatürlichen Vibrieren. Der Held sah sich um und fasste sein Schwert fester. „Kommt heraus und zeigt Euch, abscheuliche Bestie!“, rief er in die dunkle Leere hinein und das Echo seiner Stimme wurde vielfach zu ihm zurückgeworfen. 

Weit über ihm regte sich etwas in der Dunkelheit – ein gewaltiger Schemen bewegte sich auf einem steinernen Vorsprung. Es knirschte, als Klauen über das Gestein schabten, es rauschte, als riesige Flügel ausgebreitet und wieder angelegt wurden und es dröhnte, als der Drache tief in seiner Brust knurrte.

Die Bestie bewegte sich von dem Vorsprung zu einem tiefer gelegenen Felsen, streifte einen Lichtstrahl. Der Held erkannte grünliche Schuppen, schwarze Hörner und rote Augen, deren reflektierende Pupillen sich in der plötzlichen Helligkeit zu dünnen Linien zusammenzogen. Der Drache hatte seinen Blick auf den Helden gerichtet, die Zähne leicht gebleckt, bedrohlich grollend. Mit schlangenhaften Bewegungen arbeitete sich die Kreatur weiter hinab und die Erde bebte, als es sich schwerfällig auf den Höhlenboden fallen ließ.

Der Held nahm eine defensive Stellung ein und bewegte sich langsam seitlich gehend zum See, um seinen Rücken gesichert zu wissen. Der Drache bewegte sich auf ihn zu, wie eine Katze sich an eine Maus heranschleichen würde. Das Untier war wahrhaft riesig – seine Kiefer hätten ein Zugpferd am Stück verschlingen können, seine Klauen waren lang wie Großschwerter und seine gewaltigen Flügel hätten ganze Dörfer in Schatten tauchen können.

„Was ist das?“, die Stimme des Drachen war tief und grollend und stieg ließ den Helden schaudern. „Ein weiterer törichter Dieb, der gekommen ist, mich auszurauben? Aber er sei gewarnt – keine Münze soll er aus meinem Hort entwenden.“

Der Held holte zitternd Luft, doch seine Stimme war fest und gefasst. „Euer Diebesgut interessiert mich nicht, widerwärtige Echse! Euer Blut ist es, dessentwegen ich gekommen bin!“

Der Drache baute sich in voller Größe vor ihm auf. Der Held konnte Narben sehen, wo frühere Versuche, das Untier zu erschlagen gescheitert waren. Die Augen des Drachen funkelten in intelligenter Boshaftigkeit. Er hatte Erfahrung mit Kriegern und hatte gelernt, ihnen mit Misstrauen zu begegnen. 

„Das sagten sie alle“, grollte der Drache und fegte mit der Klaue durch die Überreste einiger glückloser Ritter. Knochen und Metall klapperten auf Stein und ein Schädel wurde auf dem Boden zerschmettert. „Alle kamen sie, um Heldentaten zu vollbringen. Alle suchten sie, Ruhm und Ehre zu erlangen, indem sie mich zum Kampfe forderten. Alle kämpften sie mutig und ehrenvoll und unerbittlich. Und alle starben sie schreiend in meinen Flammen. “

Aus dem geöffneten Maul des Drachen drangen dünne, schwarze Rauchschwaden und der Held glaubte, ein schwaches Glühen im Rachen der Beste erahnen zu können. Für einen Herzschlag kam ihm das Bild seines Sohnes in den Kopf, ein kräftiger Bursche von acht Jahren mit dunklen Haaren und den schönen Augen seiner Mutter. Plötzlich, zum ersten Mal seid er auf seine lange Reise aufgebrochen war, verspürte der Held Angst. Konnte er ein solches Untier wirklich besiegen? Und wenn er es nicht konnte... würden seine Gebeine auf ewig unter diesem Berg liegen? Würde jemals jemand erfahren, was ihm zugestoßen war? Würde seine Familie versorgt sein? Würde sein Sohn eines Tages eigenen Kindern von ihm erzählen? Und was würde er sagen? Dass er als Held gestorben war... oder dass er ihn im Stich gelassen hatte?

Dann zwang er sich zur Konzentration und hob dem Drachen sein Schwert entgegen. „Eure Untaten finden heute ein Ende! Durch mein Schwert werdet Ihr sterben!“ Seine Stimme hallte viel zu hoch in seinen eigenen Ohren wider.

Der Drache lachte, ein diabolischer, kratzender Laut. Seine Klauen gruben sich tief in das Gestein und sein Schwanz peitschte durch die Luft. „Wenn Ihr nur ahnen könntet, wie oft ich diese Worte schon vernommen habe. Immer und immer wieder kamen sie und immer und immer wieder bot ich ihnen an, friedlich auseinander zu gehen und immer und immer wieder brannten sie. Hört mich an...“

Der Drache machte einen Schritt zur Seite, gab den Ausgang frei, den er zuvor mit seinem Körper blockiert hatte. „Geht, kleiner Held. Geht zurück zu Euresgleichen. Versteckt Euch in Euren Festungen, erfreut Euch an Euren Turnieren und Festmahlen, vergnügt Euch mit Euren Frauen. Labt Euch an Eurem jämmerlich kurzen Leben, bis Ihr alt und gebrechlich seid und sterbt in Eurem eigenen Bette. Geht jetzt und ich gewähre Euch freien Abzug. Doch bleibt und Euer Schicksal ist besiegelt. Bleibt... und brennt.“

Der Held wankte. Sein Schwert sank um einige Fingerbreit und mit ihm seine Entschlossenheit. Er erinnerte sich an die Eide, die er geschworen hatte und entgegnete, mit deutlicher Unsicherheit in der Stimme: „Das würde mich entehren. Und nicht nur mich – meine gesamte Familie. Ich legte einen Schwur ab, dass Ihr nie wieder über die Städte unseres Reiches herfallen würdet. Kehre ich zurück und Ihr seid noch am Leben, so ist meine Ehre dahin.“

Der Drache knurrte und es klang beinah beeindruckt. „Ich interessiere mich nicht für die Belange von Menschen und Euer Konzept von Ehre bedeutet mir nichts. Doch ich sehe, dass es Euch wichtig ist. Hört mich an – geht und ich gebe Euch mein Wort, die Städte Eures Reiches zu meiden. Kein Mensch soll mich noch einmal zu Gesicht bekommen, kein Dorf in meinen Flammen vergehen. Ich werde in diesen Bergen bleiben, meinen Schatz hüten und in den endlosen Wäldern der Ebene jagen. Und Eure Ehre bleibt erhalten.“

Die Stimme des Drachen, eben noch bedrohlich und grotesk war nun beinah einlullend. Wieder sah der Held seinen Sohn vor sich. Die Tränen in den Augen des Jungen, als er sich von seinem Vater verabschiedet hatte. „Geht nicht, Vater“, hatte er gebettelt. „Bitte, bitte, bleibt doch hier!“ Der Held hatte ihm erklärt, dass es um Ehre und um Ruhm ging, doch es war seinem Sohn kein Trost gewesen. Und auch seine Frau, obgleich sie nicht versucht hatte, ihn zurückzuhalten, hatte ihn traurig angesehen und ihn gebeten: „Kehrt bald zurück. Wir warten auf Euch.“

Plötzlich war er sich sicher, dass es das war, was er mehr wollte, als sonst etwas auf der Welt. Die Aussicht auf Ruhm hatte ihn auf dieses Abenteuer getrieben, doch in diesem Moment, als er sich an das Gefühl erinnerte, als er seinen Sohn zum ersten Mal in den Armen gehalten hatte, in diesem Moment war er sich sicher, dass kein Ruhm dieser Welt wert war, dass er riskierte, sie nie wieder zu sehen.

Langsam ließ er sein Schwert sinken. Der Drache schlängelte sich zur Seite, noch weiter weg vom Ausgang. Der Held schluckte und fragte zögernd: „Wenn ich gehe... habe ich Euer Wort, dass Ihr Euch Zeit Eures Lebens von den Städten der Menschen fernhalten werdet?“

Der Drache hob stolz den Kopf. „Ihr habt mein Wort“, bestätigte er ernst.

„Und woher weiß ich, dass Ihr Euer Wort halten werde?“, fragte der Held. „Woher weiß ich, dass Ihr Euren Schwur nicht brechen werdet, wo Euch Ehre doch nichts bedeutet?“

Der Drache knurrte. „Beleidigt mich nicht, kleiner Held!“, fauchte er. „Ich war schon auf dieser Welt, als Eure Großeltern noch nicht geboren waren. Ich habe viele Generationen Euresgleichen vorübergehen sehen und ich habe unzählige der Euren getötet, verbrannt und verschlungen. Aber nie, in all den Jahrhunderten, die ich diese Lande durchstreife, habe ich je gelogen. All den Narren, die vor Euch kamen, bot ich friedlichen Abzug an und immer endete es in Flammen. Soll es auch jetzt so enden?“

Der Held sah dem Untier in die Augen und zögerte noch einen Moment. Dann ging er in die Knie und legte Schwert und Schild nebeneinander zu Boden. Das Metall klapperte hell. „So sei es dann. Ich werde gehen und nicht wiederkehren. Ich gebe Euch mein Wort, Euch nie wieder zu behelligen. Auf dass wir in Frieden auseinander gehen.“

Der Drache nickte und deutete mit dem Kopf zum Ausgang. Der Held straffte die Schultern und ging aufrecht an dem Biest vorbei. Schritt für Schritt entfernte er sich von dem Drachen, zurück zu dem Tunnel, durch den er gekommen war. Seine Schritte hallten von den Wänden wider. Dann jedoch stieß er mit dem Fuß gegen einen zerschlissenen Stiefel. 

Er hielt inne und betrachtete das Skelett vor ihm. Es musste ein Ritter gewesen sein – verzogene Rüstungsteile hielten die Knochen zusammen, doch weder schien der Ritter Waffen getragen zu haben, noch war irgendwo ein Schild zu sehen.

Das Gesicht des Toten war dem Ausgang zugewandt.

Und als der Held das furchterregende Fauchen des Drachen hinter sich hörte, begriff er, dass er gar kein Held war. Er war nur ein weiterer Narr, der auf die List des Untiers hereingefallen war.

Dann umhüllte ihn gleißendes Feuer und wie so viele vor ihm, starb er schreiend.
Autorennotiz:
Eine Fantasy-Kurzgeschichte, die schon länger auf meiner Festplatte verweilt. Viel Spaß damit. :)