Berta, das Huhn.

Kurzbeschreibung:

Am 5.8.2020 um 14:05 von CruceDillis auf StoryHub veröffentlicht

Der Wind zerrte an ihrem Gefieder. Berta hob die Flügel etwas und der Luftstrom drehte ihren Körper in Windrichtung. Besser. Das Zerren hörte auf, doch der Wind fuhr sie weiter an wie ein bellender Hund. Breitbeinig suchten ihre Klauen Halt auf  dem rauen Stein, während ihr Körper den Luftwogen schwang. Sie neigte und drehte den Kopf, um den Überblick zu bewahren. Selten stand ihr Kopf still und manchmal entfuhr ihr ein leises Glucksen nach einer plötzlichen Drehung. Das Vibrieren ihrer Kehle empfand sie als beruhigend und oft lies sie dem Glucksen Raum und zog es in die Länge.

Aus ihrem halb geöffneten Schnabel ragte eine kleine spitze Zunge. Der Wind trocknete sie und die Gischt gab ihr zugleich eine salzige Nässe. Sie schluckte und ihr fiel wieder ein, dass sie hungrig war. Sie pickte auf den Felsen herum. Er war hart und kernig. Keine Sandkörner lagen herum. Das Meer hatte alle mitgenommen. Manchmal reichte es ihr ein paar kleine Steinchen zu verschlucken. Das war wie ein kleiner Snack und sie kitzelten so schön in ihrer Gurgel.

Berta blickte über die Wellen hinweg. Essen würde sie später.  Sie liebte es wenn das goldenglänzende Maiskorn errötete und die Wolken in gold, rot und blau Tönen erstrahlen lies. Dieser Anblick rief Bilder in ihr wach. Von damals, als sie noch ein Küken war. Sie sah wieder das dichte breite Federwerk ihres Vaterhahns vor sich - so viel größer und glänzender als die des schmächtigen Leithahns, der heute ihre Brut anführte. Er war ein großer, stolzer, Hahn gewesen mit breiter fester Brust und schimmerndem Brustgefieder. Berta hatte sich nie sattsehen können an seiner Erscheinung und war ihm immer hinterhergelaufen, auch wenn die anderen Küken in den Gräsern spielten. Der Vaterhahn hatte sie immer geduldet und sie auch vor den Attacken der anderen Küken bewahrt, die nicht viel mit ihr anfangen konnten. Wenn es Abend wurde, hatte Vaterhahn sich ein ruhiges, erhöhtes Plätzchen gesucht, an dem er sich niederließ und von wo aus er auf die Brut aufpassen konnte. Berta hatte er dann immer seinen linken Flügel als schützende Höhle angeboten, in die sie sich jedesmal hineingekuschelt hatte. Sie fühlte sie sich behütet und beschützt unter seinem starken Flügel und genoß es, wie seine Brustdaunen vor dem Abendhimmel lautlos in allen Farben flatterten.

Eine Welle barst an den Felsen vor ihr und das Wasser zog sich leise sprudelnd zurück. Ein kehligkurzes Kikeriki tönte in die Gischtpause und holte sie in die Gegenwart zurück. Sie blickte nach hinten. Der Rest ihrer Brut gackerte entfernt in der Grasebene hinter den Klippen. Dahinter stand der Leithahn auf einer kleinen Anhöhe. Seine vier dünnen Schwanzfedern wehten im Wind und er scharrte mit einer Klaue im Gras. Er starrte kurz zu ihr rüber und dann wieder auf den Rest der Brut. So leise war er. Sie gurrte. Sein Ruf tönte gerade so über die sich zurückziehenden Wellenberge.  Ein Kikeriki des Vaterhahns hätte die ganze Grasebene aufgescheucht; alles Gefieder wäre in der Luft - die ganzen Quackschwimmer, die Grashalmhüpfer und selbst die weißen Meereskrächzer mit ihren kaltblauen Augen, die sonst nicht leicht zu beeindrucken waren, waren hochgehüpft oder hatten zurück gekrächzt, wenn Vaterhahns Ruf ertönte. Meereskrächzer: Wie es ihre Art war, waren sie einige Nächte fort gewesen. Jetzt wurden es wieder mehr. Vor ihr standen drei Meereskrächzer im Wind über der Gischt und suchten die Wellenberge nach Futter ab. Sie hatten den Leithahn nicht gehört oder ignorierten ihn - so wie Berta es tat.

Nach dem er zum Leithahn geworden war, hatte der er es ein paar mal versucht sie davon abzuhalten auf die Klippen zu springen. Jeden Abend war sie aufs Neue zu den Felsen geschlichen. Irgendwann hatte er es aufgegeben sie zurückzupfeifen. Sie lies ihn eh selten ran und er hatte zudem genug damit zu tun die freien Hähne in der Gegend fortzujagen, die nur auf eine Gelegenheit warteten, ihm die Brut abzujagen oder sie zumindest mal zu besteigen. Also lies er Berta gewähren und tat so als wäre es eh seine Idee, dass sie auf den Klippen Ausschau hielt. Berta glaubte nicht, dass er sich als Leithahn noch lange halten würde. Zu nervös und ziellos hüpfte er den ganzen Tag um die Brut herum und werte andere Junghähne ab. Sein Hahnenkamm war nur noch von blasser Röte. Er verausgabte sich, anstatt seine Kräfte in seiner Ausstrahlung zu bündeln, wie es Vaterhahn getan hatte.

Das goldene Maiskorn sank tiefer und wurde immer röter. Ein Bild kam in ihr hoch: Rotauge. Sie hatte ihn länger nicht mehr gesehen. Jetzt wo wieder mehr Meereskrächzer in der Gegend waren, würde er vielleicht auch bald wieder auftauchen? Meereskrächzer konnten durchaus gefährlich werden für ihre Brut. Berta hatte selbst gesehen, wie sie Schwesterhühner überrascht und zerrissen hatten. Aber Rotauge schien anders zu sein. Als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, war er drei Felsen entfernt von ihr gelandet. Sie wollte schon weghüpfen, da setzte er sich hin. Er blickte ruhig Richtung Horizont. Blickte auf die allmähliche Rötung von Wolken und Wasser. So wie sie. Etwas war anders an ihm. Zuerst dacht sie, er wäre verletzt und habe Blut an den Augen, aber dann sah sie, dass seine Augen einfach rot waren. So als würde sie das Abendrot einfangen. Er rührte sich nicht. Irgendwann hatte sie sich auch hingesetzt. Beide saßen sie da, beide den Blick auf das schmälzende Rot des Tages.   

Seit dem hatten sie einige Abende gemeinsam auf den Felsen verbracht. Manchmal verschwand er ein paar Tage. Dann tauchte er wieder auf. Immer saß er im gleichen Abstand. Immer das gleiche Ritual. Sie stand, er landete, drehte sich ein zweimal , dann setzte er sich mit Blick aufs Meer. Und dann setzte sie sich auch. Und bevor es ganz dunkel war, stand sie auf. Er blickte in ihre Richtung. Sie musste zurück hüpfen, um nicht im Dunkeln zwischen die Felsen zu fallen. Sie hüpfte los und er blieb sitzen. Wenn sie zurückblickte, konnte sie manchmal einen kurzen Blick seinerseits erhaschen. Er kippte denn Kopf und öffnete kurz den Schnabel wie zum Gruß. Dann hüpfte sie weiter zu ihrer Brut zurück.

Die leuchtende Scheibe war jetzt fast verschwunden. Es war wieder fast so weit, dass sie zurückhüpfen musste. Er war nicht gekommen. Sie stand auf, da hört sie ein Krächzen hinter sich. War er doch da?

Sie fuhr herum. Die drei blauäugigen Meereskrächzer, die vor ihr im Wind geschwebt waren, hatten sich unbemerkt hinter sie geschlichen und waren gelandet. Sie war umzingelt.

Auf allen drei Welsen Richtung Inland standen sie. Sie wippten den Kopf mit gespitztem Schnabel. Krächzten leise. Jetzt wo Berta sie bemerkt hatte, kamen sie langsam näher. Sie wich zurück. Der Felsen war dreimal so breit wie sie. Der linke Krächzer sprang und sie hüpfte bis zum hinteren Rand. Beinahe wäre sie abgerutscht. Schlug mit den Flügeln. Er war nun ganz nah, nur noch eine Huhnlänge entfernt. Er legte den Kopf schief und öffnete den Schnabel langsam. Spannte sich zum Sprung. Die anderen 2 krächzten auf. Berta gluckste, sah sich um, ihre Flügel zitterten. Wohin? Runter ins Wasser? Die Wellen würden sie zerschmettern. Wenn sie nur richtig fliegen könnte. Der Krächzer näherte sich einen Schritt, stach mit dem Schnabel nach vorne. Berta hüpfte sinnlos hoch.

Der Krächzer präsentierte seine Brust. Er genoss den Augenblick. Er spannte seine Flügel auf. Siegessicher starrte er sie an. Berta bleib nur der Sprung ins Wasser. Sie tastete mit der linken Klaue zurück. Jetzt musste sie sich nur noch fallenlassen.

Dann: ein Schatten über ihr. Ein Krächzer stach über ihnen aus der Luft. Der Angreifer vor ihr bückte sich mit einem hohen Kreischen weg. Der vierte Krächzer flog eine scharfe Kurve, um sich gleich wider mit lautem Gebrüll auf die drei zu stürzen. Wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen stoben die drei Blauaugen auf. Weiße Daunen in der Luft. Sie flüchteten und krächzten beleidigt.

Der vierte Krächzer kam zurück und landete dort auf ihrem Felsen, wo der Angreifer eben noch stand. Es war Rotauge. Er krächzte leise. Wiegte den Kopf. Dann setzte er sich und schaute gen Horizont. Einladend krächzte er leise in Richtung Meer. Einen Moment lang blieb sie stehen. Betrachtete ihn. Neigte den Kopf und gluckste. Ein lang gezogenes Glucksen. Sie trat rückwärts über die Kante und fiel in hinunter. Die Wellen nahmen sie auf wie die schützende Höhle eines breiten Hahnenflügels.