******************** Detroit Evolution - Difference von ViennaVampire ******************** ++++++++++++++++++++ Kurzbeschreibung ++++++++++++++++++++ "Warum sollte er nicht einfach hier sitzen und warten, bis er erfror? Oder verblutete? Oder sich einfach in Luft auflöste? Wen würde es schon kümmern?" - Ausgerechnet einem Cop gelingt es, Gavins Welt für immer zu verändern. Und alles, was es dazu braucht, ist ein Becher Kaffee. Und eine zweite Chance. | Fanfiction zu Detroit Evolution. Bitte Autorennotiz lesen. ++++++++++++++++++++ Autorennotiz ++++++++++++++++++++ Eine wichtige Info vorab: Dieser Oneshot basiert auf dem brillanten DBH-Fanfilm "Detroit Evolution" von Octopunk Media. Der Film ist auf Youtube verfügbar und ich empfehle dringend, ihn sich zu Gemüte zu führen, bevor ihr diesen Oneshot lest, damit ihr den korrekten Kontext habt und die kleinen und großen Andeutungen versteht, die sich darin finden.Darüber hinaus kann ich euch den Film auch abseits dieser Geschichte nur ans Herz legen. Neben sehr hochwertigen technischen Aspekten (Musik, Kostüme, Setpieces, Schnitt, Shotkomposition, etc...) und hochtalentierten Schauspielern, quillt der Film über vor Herz und Passion und ich kann jedem DBH-/Reed900-Fan nur dringendst raten, sich den Film zu Gemüte zu führen und den Machern etwas Liebe in Form von Likes und Kommentaren dazulassen. Sie haben etwas Außerordentliches für uns Fans erschaffen und ich wünsche ihnen allen Erfolg, der ihnen dafür zusteht. Detroit Evolution - DifferenceGavin wischte sich fahrig übers Gesicht. Er blutete noch immer, doch mittlerweile war sein Ärmel so blutgetränkt, dass es nichts mehr brachte, ihn sich gegen die Nase zu pressen. Er versuchte, den Schmerz auszublenden und schlang die Arme um sich. Die Kälte fraß sich durch seine Jacke und brannte ihm in den Lungen, wann immer er zitternd Luft holte. Wankend setzte er einen Fuß vor den anderen, an nichts denkend als an den nächsten Schritt. Dann den danach. Dann den danach. Er hustete und spuckte einmal aus. Er schmeckte Kupfer und Nikotin und immer, wenn er unbewusst mit der Zunge über den Riss in seiner Unterlippe fuhr, fühlte er ein scharfes Brennen. Ohne es wirklich zu wollen, hob er die Hand und berührte sein Gesicht. Es war an mehreren Stellen taub, geschwollen und verschrammt, doch er erlaubte sich nicht, genauer darüber nachzudenken. Unbeirrt stapfte er weiter. Der Schnee knirschte unter seinen Schuhen und eisige Nässe drang durch die löchrigen Sohlen. Er verschränkte die Arme vor der Brust und senkte den Kopf, bis er nichts mehr sah, als seine eigenen Füße und den verschneiten Boden. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wohin er ging. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wo er hin konnte. Seine Freu... seine Ex-Freunde hatten ihm mehr als deutlich gemacht, dass er sich besser nicht mehr bei ihnen blicken ließ. Er zweifelte nicht daran, dass sie es ernst gemeint hatten. Also lief er weiter durch dunkle Straßen und verschneite Gassen und ließ zu, dass seine Beine ihn ziellos vorwärtsbrachten. Er wollte nicht darüber nachdenken, in welcher Lage er sich befand, er wollte nicht überlegen, was er als nächstes tun sollte. Er überließ sich ganz der Taubheit, die alles irgendwie erträglicher machte. Er stolperte, als er im Schnee einen Bordstein übersah. Beinah wäre er hingefallen, doch er schaffte es gerade noch, sich auf den Beinen zu halten. Seine Seite schmerzte, wo sie ihm gegen die Rippen getreten hatten. Bei jedem Atemzug durchfuhr ihn ein scharfer Stich und sein Gesicht zuckte, als ihm erneut die Bilder im Kopf aufzusteigen drohten, die er so sehr zu unterdrücken versuchte. Erschöpft ließ er sich gegen die Überreste einer alten Grundstücksmauer sinken und rutschte langsam daran zu Boden. Er war so unendlich müde, doch er wusste einfach nicht, wo er hin sollte. Er konnte nicht zurück, aber da war nichts vor ihm, auf das er hätte zusteuern können. Er steckte fest. Er sah auf, als der Lichtkegel eines Autos ihn erfasste. Geblendet kniff er die Augen zusammen und erkannte ein Fahrzeug auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er wandte den Kopf wieder ab und das Auto fuhr an ihm vorbei, ohne auch nur langsamer zu werden. Ohne ihn auch nur zu bemerken. Seine Augen brannten, doch er erlaubte sich nicht zu weinen. Er sollte aufstehen und weitergehen, das wusste er, doch sein Körper war so unendlich schwer. Er schloss die Augen und legte den Kopf auf die angezogenen Knie. Warum sollte er nicht einfach hier sitzen und warten, bis er erfror? Oder verblutete? Oder sich einfach in Luft auflöste? Wen würde es schon kümmern? Vermutlich würde es Tage dauern, bis man ihn überhaupt finden würde. Wieder erfasste ihn ein Autoscheinwerfer, diesmal von der anderen Seite, doch er achtete nicht darauf. Er starrte stur zu Boden, sah nichts als den weißen Schnee mit den dunklen Punkten, wann immer etwas Blut von seinem Kinn tropfte. Das Licht wurde stärker und auf einmal hörte er eine Stimme rufen: „Hey, Kid. Alles klar bei dir?“ Er sah nur ganz kurz auf, gerade so weit, dass er das Polizeiauto erkennen konnte, das rechts 'rangefahren und vor ihm zum Stehen gekommen war. Das Beifahrerfenster war heruntergelassen, doch es saß niemand auf den Beifahrersitz und Gavin konnte nicht erkennen, wer mit ihm gesprochen hatte. Er schlang die Arme um sich, rappelte sich schwerfällig auf und lief weiter. Alle seine Instinkte warnten ihn davor, mit Polizisten zu sprechen. Der Cop ließ jedoch nicht von ihm ab und fuhr im Schritttempo neben ihm her. „Es ist ziemlich spät für einen Burschen wie dich, um noch alleine draußen unterwegs zu sein. Ist alles in Ordnung?“ Irgendjemand antwortete: „Ich komm' klar.“ Es dauerte mehrere Sekunden, bevor Gavin begriff, dass es seine eigene Stimme gewesen war. Er wagte es nicht, den Kopf zu heben. Ein Fuß, dann der andere. Dann von vorn. Und wieder. Und wieder. Er musste sich an der Mauer abstützen, als er erneut schwankte. Schwer atmend versuchte er, den Schwindel zu unterdrücken und sich wieder aufzurichten. Kurzes Schweigen folgte seinen Worten, dann hörte er, wie eine Autotür aufging. Schwere Schritte kamen auf ihn zu und der Cop sagte: „Bist du sicher? Wenn du... hey, bist du verletzt?“ Er kam näher und Gavin wich zurück, ohne bewusst darüber nachzudenken. „Ich... ich bin okay“, hörte er sich murmeln, doch seine Stimme zitterte genauso wie seine Schultern. Er wollte nur noch weg, wollte irgendwohin, wollte nur in Ruhe gelassen werden... ...er war so müde... „Scheiße. Du blutest. Was ist mit dir...?“ Eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter und bevor er es hätte verhindern können, gaben Gavins Knie unter ihm nach. Er hob schützend die Arme über den Kopf und kauerte sich zusammen, als die Bilder ihn überwältigten. Typen, die er als seine Freunde betrachtet hatte, über ihn gebeugt, ihn anschreiend, immer wieder auf ihn eintretend. Fäuste, die sein Gesicht trafen, Hände, die an seinem Haar rissen, während er verzweifelt versuchte, sich so eng wie möglich zusammenzukauern, um ihnen weniger Zielfläche zu bieten. Hoffen, dass sie aufhören würden. Flehen, dass sie aufhören würden. Es hatte nichts genutzt. „Bi... bitte nicht“, flüsterte er brüchig. Heiße Tränen sammelten sich in seinen Augen und liefen ihm übers Gesicht, doch er merkte es kaum. „Gottverdammt“, fluchte der Cop und ging neben ihm in die Knie. Seine Stimme riss Gavin aus der Erinnerung und brachte ihn zurück in die Gegenwart. Benommen stellte er fest, dass er auf dem Boden kauerte. Seine Hände hielt er sich noch immer vors Gesicht. Sie zitterten. „Scheiße noch mal, wer hat dich so zugerichtet, Junge?“, hörte er den Cop fragen, doch Gavin brachte nur ein unartikuliertes Schluchzen hervor. Was hätte er denn auch sagen sollen? Die Typen, für dich ich gestern noch Red Ice vertickt hab? Also blieb er stumm und versuchte verzweifelt, seinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen. Vergeblich. Nach einigen Momenten fühlte er Hände unter seinen Armen. „Nein, nicht...“ „Ist schon okay, Kid. Komm, hoch mit dir. Das wird schon wieder. Aber du musst erst mal aus dieser gottverdammten Kälte raus. Na komm.“ Mit sanfter Gewalt hievte der Cop Gavin auf die Beine und ergriff ihn am Arm. Gavin versuchte schwach, sich dagegen zu wehren, doch sein Körper wurde von unkontrolliertem Schluchzen geschüttelt, sodass er kein verständliches Wort hervorbrachte. Ohne, dass er es hätte verhindern können, lotste der Cop ihn zu dem Fahrzeug und öffnete die Beifahrertür. Ehe Gavin sich versah, saß er auf dem abgewetzten Sitz eines alten Polizeiautos und versuchte zu verstehen, was gerade geschah. Bevor er protestieren konnte, hatte der Cop die Beifahrertür zugeschlagen und schritt ums Auto herum, bevor er sich selbst auf den Fahrersitz sinken ließ. „Ich dreh' dir erst mal die Heizung hoch, okay? Bleib einfach mal 'ne Minute sitzen, es wird gleich besser.“ Gavin starrte ihn verunsichert an, sagte jedoch nichts. Er presste die Kiefer aufeinander und schlang die Arme um sich. Noch immer konnte er das Zittern seines Körpers nicht unterdrücken. Er spielte mit dem Gedanken, die Wagentür aufzureißen und einfach abzuhauen. Er wusste nicht, wie schnell er im Moment würde laufen können und er würde irgendwo in eine Gasse verschwinden müssen, um den Cop abzuhängen, aber er könnte es versuchen. Doch er tat es nicht. Er wusste nicht warum, doch etwas in ihm war erleichtert – so unendlich erleichtert – in einem Auto zu sitzen, neben ihm ein Mensch, der ihn nicht einfach ignoriert hatte. Der ihn bemerkt hatte... Der Cop beobachtete ihn schweigend und Gavin merkte, wie er ihn von Kopf bis Fuß musterte. Erst jetzt machte sich Gavin überhaupt die Mühe, sich den Mann genauer anzusehen. Er sah aus, wie die Cops aus alten Serien. Leichtes Übergewicht, praktisch kahler Schädel, blaues Hemd, das im Gürtel steckte und eine dunkle Jacke mit dem Logo des DPDs auf der Brust. Im Becherhalter zwischen ihren Sitzen steckte ein leerer Kaffeebecher. „Also, Kid, sag doch mal“, ergriff der Cop da wieder das Wort. „Wer hat dich denn so aufgemischt?“ Dabei deutete er auf Gavins – zweifellos erbärmliche – Erscheinung. Gavin senkte den Blick. „Keine Ahnung“, hörte er sich undeutlich murmeln. Der Cop zog die Brauen zusammen und Gavin rechnete bereits damit, dass er ihn beschimpfen und erneut nachfragen würde. Stattdessen war die Stimme des Cops überraschend sanft. „Hast dich mit den falschen Leuten eingelassen, hm?“ Gavin traute sich nicht, ihn anzusehen. Er hatte Jahre damit verbracht, der Polizei um jeden Preis aus dem Weg zu gehen. Der Gedanke, dass er gerade in einem Polizeiauto saß und mit einem Cop sprach, machte ihn beinah verrückt vor Angst. Er konnte das Chaos in seinem Kopf einfach nicht ordnen. „Ist schon okay“, sprach der Cop beruhigend auf ihn ein. „Brauchst du 'ne Mitfahrgelegenheit? Kann ich dich irgendwo absetzen? Willst du ins Krankenhaus?“ Gavins Blick zuckte zu ihm hinüber, dann starrte er wieder zu Boden. Er wollte etwas sagen, wollte ablehnen, doch jeder Versuch, Worte zu formen ging in einem erneuten Schluchzen unter. Also schüttelte er nur stumm den Kopf. Der Cop seufzte und legte die Hände aufs Lenkrad. Er trommelte mit den Fingern darauf herum und für eine Weile war das, neben Gavins Schluchzen, das einzige Geräusch zwischen ihnen. Dann: „Ich wollte sowieso gerade Feierabend machen. Was hältst du davon, wenn ich uns zu 'nem Diner fahre und wir erst mal 'nen Kaffee trinken? Du siehst aus, als könntest du einen gebrauchen.“ Er ließ den Motor an und fuhr los. Gavins schwachen Protest: „Hab' keine Kohle“ wischte er mit einer Handbewegung beiseite. „Mach dir keine Gedanken, geht auf mich.“ Dann lenkte er das Fahrzeug auf die Straße und ehe er sich versah, saß Gavin neben einem Cop in einem fahrenden Auto. Er hatte keine Ahnung, was er denken sollte. Die Wärme in Wagen lullte ihn ein und er fühlte sich so unendlich müde. Er schniefte und fuhr sich mit dem Ärmel übers Gesicht. Plötzlich schob sich eine Packung Taschentücher in sein Blickfeld. Gavin sah auf. Der Cop hatte ihm den Arm entgegengestreckt und sagte, ohne den Blick von der Straße abzuwenden: „Hier. Halt dir das an die Nase. Ist sie gebrochen?“ Gavin nahm zögernd die Taschentücher entgegen und zog ungeschickt eines aus der Packung. Er presste es sich gegen die Nase und antwortete leise: „Glaub' nicht.“ Dann verfielen sie in Schweigen. Gavin wagte es nicht aufzusehen, während er sich nacheinander mehrere Tücher gegen das Gesicht presste und wartete, bis sein Nasenbluten endlich nachlassen würde. Die Kälte verschwand allmählich aus seinen Knochen, doch das Zittern blieb. „Wie heißt du eigentlich?“, fragte der Cop und bog auf in die Hauptstraße ein. Gavin zögerte, dann nuschelte er seinen Namen. „Hm? Kevin?“ „Gavin“, wiederholte er etwas deutlicher. „Ah. Alles klar, Gavin. Sorry, meine Ohren werden mit dem Alter auch nicht mehr besser.“ Irgendwann – Gavin hätte nicht sagen können, ob es Minuten oder Stunden gewesen waren – lenkte der Cop das Auto auf einen leeren Parkplatz. Durch das Fenster sah Gavin die flackernde Anzeigetafel eines Diners. Der Cop schnallte sich ab und erhob sich ächzend. Noch bevor Gavin sich hatte entscheiden können, was er tun wollte, war der Mann zur Beifahrerseite gegangen und öffnete Gavin die Wagentür. „Komm, Gavin. Ich brauche dringend 'nen Kaffee.“ Er griff wieder nach Gavins Arm und dieser ließ sich widerstandslos aus dem Auto ziehen und ins Diner bugsieren. Drinnen war es ruhig. Hinter der Theke saß eine Kellnerin und blätterte gelangweilt in einem Magazin und an einem der hinteren Tische döste ein Mann vor sich hin. Ansonsten war das Diner leer. Die Kellnerin sah auf, als sie eintraten. Ihr Blick blieb an Gavin hängen, doch der Cop starrte sie seinerseits an, bis sie den Blick wieder abwendete. Dann sagte er leise zu Gavin: „Ich schlage vor, du verschwindest kurz auf die Toilette und wäschst dir mal das Blut vom Gesicht. Ich besorge uns derweil was zu trinken, ja?“ Er schob Gavin in Richtung der Toilettentüren und nachdem er kurz etwas hilflos dastand und den Cop anstarrte, fügte er sich. Im Vorraum der Toiletten trat er zögerlich ans Waschbecken. Ein Spiegel hing darüber, zwar mit einem Sprung und voller Graffiti, doch Gavin konnte trotzdem erkennen, was für einen Anblick er abgab. Sein Gesicht war rund um die Nase und das Kinn mit Blut verschmiert. Die Haut um sein linkes Auge verfärbte sich bereits bläulich und war geschwollen und am Nasenbein prangte ein hässlicher Cut. Tiefe Schatten lagen unter seinen geröteten Augen. Als er Jacke und Shirt ein Stück hochzog, sah er, dass sich ein großer violetter Fleck unter seinen Rippen auszubreiten begann. Er drehte das Wasser auf und ließ es laufen, bis es zumindest lauwarm wurde. Dann begann er vorsichtig, sein Gesicht zu säubern. Er brauchte mehrere Minuten, das getrocknete Blut abzuwaschen und wann immer er versehentlich eine der Schrammen berührte, zuckte er zusammen. Als sein Gesicht so sauber war, wie es eben ging, hielt er sich mit beiden Händen am Waschbeckenrand fest und schloss die Augen. Was machte er hier? Warum hatte er zugelassen, dass ein Cop ihn einfach in sein Auto setzte und mit ihm hierher fuhr? Warum hatte er ihm seinen Namen gesagt? Was war nur in ihn gefahren? Er schluckte mehrmals, als erneut Tränen in seine Augen stiegen. Er war so erschöpft, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Er wusste nicht mehr, wie spät es war, wie lange er durch Detroit gewandert war, wie lange er schon nicht mehr geschlafen hatte. Dann richtete er sich auf und fluchte einmal leise: „Fuck!“ Dann trat er vom Waschbecken zurück und wieder hinaus ins Diner. Der Cop hatte sich an einen der Tische gesetzt und winkte ihm zu. Gavin blieb wie angewurzelt stehen. Die Tür des Diners lag direkt vor ihm. Er könnte einfach gehen. Einfach abhauen und so tun, als sei das hier nie passiert. Stattdessen lenkten ihn seine Beine wie von selbst zu dem Tisch und er ließ sich umständlich ob seiner schmerzenden Rippen auf den Plastikstuhl sinken. Der Cop lächelte ihm leicht zu und schob ihm einen Becher mit dampfendem Kaffee entgegen. Gavin starrte das Getränk wohl etwas zu lange hilflos an, denn der Cop sagte: „Ist schon okay, Gavin. Du musst ihn nicht annehmen, wenn du nicht willst.“ Er trank einen Schluck von seinem eigenen Kaffee und lächelte erneut, als Gavin zögerlich die Hand ausstreckte und den Becher nahm. Gavin nippte an den Kaffee und verbrannte sich beinah die Zunge daran, doch es fühlte sich so gut an, Kaffee zu trinken wie ein normaler Mensch, dass er direkt noch einen Schluck nahm. Sie saßen eine Weile einfach nur da, schlürften den Kaffee und genossen die Stille. Einmal fragte der Cop: „Hast du Hunger?“ Doch als Gavin den Kopf schüttelte, beließ er es dabei. Dann fragte er: „Wie sieht es aus, Gavin? Weißt du, was du als nächstes tun wirst? Hast du einen Ort, wo du hin kannst?“ Gavin hätte gerne geflucht, doch er schluckte es herunter. Er wollte nicht wieder darüber nachdenken, wollte nicht daran erinnert werden, dass er keine Ahnung hatte, wie es weitergehen sollte. Also nippte er erneut an seinem Kaffee und antwortete ausweichend: „Ich komm schon zurecht.“ Der Cop sah ihn zweifelnd an und Gavin mied seinen Blick. Dann sagte der Mann: „Du steckst wohl ganz schon in der Scheiße, hm? Wie alt bist du, Gavin? 17? Du gehst doch wahrscheinlich noch zur Highschool, oder?“ „18“, murmelte er zurück, ließ den zweiten Teil der Frage jedoch unbeantwortet. Dem Cop schien das jedoch alle Antwort zu geben, die er brauchte. Er betrachtete Gavin nachdenklich, öffnete zweimal den Mund und schloss ihn wieder, ohne etwas gesagt zu haben. Dann begann er langsam, wobei er Gavin aufmerksam beobachtete: „Weißt du... das DPD sucht immer wieder nach Praktikanten. Nichts Aufregendes, Kaffee kochen, Post verteilen, hin und wieder vielleicht mal Spam-Emails aussortieren. Du weißt schon. All das Zeug, für das die Polizisten keine Zeit oder keine Lust haben.“ Er sah Gavin abwartend an, als wolle er seine Reaktion sehen, doch Gavin rührte sich nicht. Er starrte in seinen Kaffeebecher und presste die Kiefer aufeinander. Er hatte keine Ahnung, wie er auf diese Worte reagieren sollte. Er fand keine Worte, die dem Sturm an Gedanken in ihm hätten gerecht werden können. Beinah hätte er laut gelacht, doch es kam ihm nur ein hässliches Gurgeln über die Lippen. „Ich soll für die Polizei arbeiten?“, fragte er ungläubig und starrte den Cop skeptisch an. Dieser zuckte mit den Schultern. „Streng genommen wäre es eher ein Bürojob, der zufällig in einem Präsidium stattfindet. Es gibt Möglichkeiten, sich später was davon in der Ausbildung anrechnen zu lassen, wenn man auf die Polizeiakademie will, aber das ist nicht notwendig. Aber es wäre... eine Beschäftigung, hm? Einfach mal was zu tun? Dabei ein bisschen Geld verdienen? Immer noch besser, als nachts durch Detroit zu wandern und sich verprügeln zu lassen, meinst du nicht?“ Nun musste Gavin doch lachen, doch innerlich fühlte er nichts als Taubheit. „Als ob mich irgendwer einstellen würde“, murmelte er in den Kaffeebecher, während er einen Schluck nahm. Er schauderte ob der Bitterkeit, doch er schluckte trotzdem. Danach griff er quer über den Tisch und angelte sich den Zuckerstreuer heran. „Du wärst nicht der erste Bursche, der über die schiefe Bahn ins DPD rutscht. Hör mal“, der Cop beugte sich vor. Gavin versuchte, sich auf den Zuckerstreuer zu konzentrieren, doch dann hob er doch den Blick und sah den Cop an. „Ich mache dir einfach ein Angebot, okay? Ich hab gute Drähte zur Personalabteilung und ich schätze, wenn du zustimmst könnte ich dafür sorgen, dass du reinkommst. Aber du müsstest es wirklich wollen. Dich am Riemen reißen und die krummen Dinger sein lassen. Ich hab keine Ahnung, wie du heute Nacht dort draußen gelandet bist, aber ich bin lange genug Cop um zu sehen, dass du versuchst, rauszukommen. Sonst würdest du nicht so aussehen.“ Er deutete auf Gavins lädiertes Gesicht. Dieser schluckte und rührte mit einem Holzstäbchen in seinem Kaffee, um den Zucker aufzulösen. Der Cop fuhr fort: „Du brauchst mir nicht erzählen, was passiert ist. Ich kann es mir denken. Beschissenes Elternhaus? Schule hingeschmissen? Hast dich mit gefährlichen Leuten eingelassen? Geklaut? Drogen genommen? Vertickt? Hab ich alles schon tausendfach gehört, Gavin. Damit kannst du mir nicht imponieren. Ich mach den Job nicht erst seit gestern.“ Seine Stimme war hart geworden, sodass Gavin unwillkürlich zusammenzuckte. „Ich hab nicht versucht...“, wollte er sich rechtfertigen, doch der Cop unterbrach ihn. „Ich könnte hier und jetzt deine Taschen durchsuchen und vermutlich würde ich irgendwas finden, für das ich dich festnehmen könnte, stimmt's?“ Gavin starrte ihn an und brachte kein Wort heraus. Der Cop nickte. „Aber das werde ich nicht tun, Gavin. Und weißt du warum? Weil ich zu oft gesehen hab, was aus Burschen wie dir wird, wenn sie niemand von der Straße aufsammelt. Unsere Gefängnisse sind voll mit Männern, die vom Jugendknast direkt in die Hochsicherheitsanstalt überstellt worden sind. Üble Kerle. Schläger, Dealer, Mörder. Und die waren auch alle mal an dem Punkt, an dem du heute bist.“ Er deutete mit dem Finger auf Gavin, der immer weiter in seinem Stuhl zusammensank. „Der entscheidende Unterschied zwischen denen und dir ist, dass du noch die Kurve kriegen kannst, wenn du es willst, Gavin.“ Gavins Atem ging stoßweise und er krallte sich haltsuchend in seinen Kaffeebecher. Er hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. „Ich weiß nicht, wie“, flüsterte er, ehe er sich bremsen konnte. Sofort bereute er seine Worte. Er machte Anstalten, aufzuspringen, wollte raus, wollte einfach nur weg. Doch der Cop griff über den Tisch hinweg nach seinem Arm und hielt ihn auf seinem Sitz. „Ich kann dir nicht versprechen, dass sich alle deine Probleme plötzlich in Luft auflösen, nur weil du einen Job annimmst. Und ich kann dir die Arbeit nicht abnehmen. Es wird nicht immer einfach sein. Du wirst Rückschläge einstecken müssen und es wird Phasen geben, durch die du dich wirst durchbeißen müssen.“ Er drückte leicht Gavins Arm, bis dieser ihn ängstlich ansah. „Ich kenne Leute, die dir dabei helfen können, wieder auf die Beine zu kommen. Dir 'nen Platz zum Schlafen geben. Dafür sorgen, dass du aus deinem Umfeld rauskommst. Ich kann dir eine zweite Chance verschaffen. Aber der Wille muss von dir kommen. Es wird dich niemand an der Hand nehmen können. Und es wird niemand außer dir dafür verantwortlich sein, wenn du die Chance verstreichen lässt. In dem Fall wirst du wohl die nächste Fahrt in einem Polizeiwagen in Handschellen auf der Rückbank verbringen. Es liegt an dir, welchen Weg du einschlagen willst.“ Nach dieser Ansprache ließ er Gavins Arm los, doch dieser machte keine Anstalten mehr, davonzulaufen. Er fühlte sich, als sei er erneut verprügelt worden. Sein Herz raste in seiner Brust und er kämpfte mit dem trügerischen Gefühl von Hoffnung, das die Worte des Cops in ihm ausgelöst hatten. Er schwieg sehr lange und der Cop zog einen kleinen Notizblock aus seiner Jackentasche. „Du musst dich nicht jetzt gleich entscheiden“, sagte er und kritzelte etwas in den Block. Dann riss er die Seite heraus, faltete sie mehrmals und schob sie über den Tisch zu Gavin. „Hier ist meine Nummer. Denk darüber nach und wenn du es versuchen willst, ruf mich an. Und wenn nicht... versuch, mir nicht mehr über den Weg zu laufen. Ich würde es hassen, dich doch noch verhaften zu müssen.“ Er zog seine Hand zurück. Gavin starrte das Stück Papier lange an, dann streckte er mechanisch seine Finger danach aus und nahm es an sich. Der Cop nickte und trank seinen Kaffee aus. „Ich werde jetzt gehen, Gavin. Pass auf dich auf. Hier...“ Er legte eine 20-Dollar-Note auf den Tisch. „Überleg' dir, was du möchtest. Das Leben hat mehr zu bieten, als das hier, Gavin. Du musst es nur wirklich wollen. Und du musst bereit sein, dafür zu arbeiten. Zu kämpfen. Es liegt ganz bei dir.“ Mit diesen Worten klopfte er Gavin noch einmal auf die Schulter, dann schritt er an ihm vorbei und verließ das Diner. Gavin blieb lange an dem Tisch sitzen, während der Rest seines Kaffees kalt wurde. Er war so unendlich verwirrt. So lange hatte er es nicht mehr gewagt, sich zu fragen, was ihm die Zukunft noch bieten könnte. Der Cop hatte in ihm Fragen aufkommen lassen, vor deren Antwort er Angst hatte. Er starrte auf den kleinen Zettel, den der Cop ihm dagelassen hatte und faltete ihn auseinander. Darauf standen lediglich zwei Dinge; 'Lt. Jeffrey Fowler' und eine Telefonnummer. Er stieß Luft aus und murmelte: „Fuck...“ Dann knüllte er das Papier zusammen und warf es wieder auf den Tisch. Er zog sich die 20 Dollar heran und steckte sie sich in seine Tasche, trank seinen Kaffee aus und erhob sich. Er wollte gehen, wollte dieses absurde Erlebnis vergessen, doch die Worte des Cops schwirrten ihm im Kopf herum und ließen ihn innehalten. Seine Wunden pochten, doch er merkte es kaum noch. Er sah noch einmal zurück zum Tisch, wo der zerknüllte Zettel mit der Nummer des Cops lag. Eine zweite Chance... „Fuck!“, stieß er noch einmal aus, drehte sich um und griff sich den Zettel. Er stopfte ihn in seine Tasche, ehe er beinah fluchtartig das Diner verließ. Draußen ging bereits die Sonne auf. _____________________ Einige Tage später zog Gavin nervös an seiner Zigarette, während er sich immer wieder umsah. Er stand auf dem Hart Plaza, direkt vor dem Michigan Labor Legacy Monument und kämpfte mit dem Drang, einfach wieder abzuhauen. Was machte er überhaupt hier? Warum hatte er sich darauf eingelassen? Er würde ja sowieso nicht auftauchen. Warum sollte er auch? Es war nur eine weitere falsche Hoffnung, der Gavin idiotischerweise nachgegeben hatte. Eine weitere Enttäuschung. Mittlerweile sollte er sich daran gewöhnt haben. Dann blieb ihm fast das Herz stehen, als er eine Stimme hörte: „Gavin. Schön, dass du gekommen bist.“ Er drehte sich um und sah den Cop – Lieutenant Fowler – auf sich zukommen. Bei ihm war ein weiterer Mann, den Gavin nicht kannte. Gavin schnippte unsicher die Zigarette weg und trat sie auf dem Gehweg aus. Dann schluckte er und atmete tief durch. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Fowler streckte ihm die Hand entgegen und nach kurzem Zögern erwiderte Gavin den Gruß. Fowler schüttelte ihm die Hand, als würden sie sich schon lange kennen, doch Gavin fiel auf, dass er danach nicht losließ. Als befürchte er, Gavin könnte es sich doch noch anders überlegen und weglaufen. Wenn Gavin ehrlich war, hatte Fowler damit vermutlich sogar recht. Dann deutete Fowler auf den Mann, der ihn begleitete. „Das ist Sergeant Hank Anderson. Er arbeitet mit mehreren Organisationen zusammen, die es jungen Menschen ermöglichen, von der Straße wegzukommen. Er wird dir behilflich sein, auf die Beine zu kommen.“ „Nett, dich kennenzulernen. Dein Name ist Gavin?“, grüßte Anderson ihn und streckte ihm ebenfalls die Hand entgegen. Erst jetzt ließ Fowler ihn frei. Er lächelte. Gavin schüttelte auch Anderson die Hand und antwortete mit zitternder Stimme: „Gav... Gavin Reed.“ ******************** Am 27.4.2020 um 14:34 von ViennaVampire auf StoryHub veröffentlicht (http://sthu.de/s=zd%C3%84ys) ********************