Das Café am Ende der Straße

Kurzbeschreibung:

Am 30.3.2020 um 23:51 von SuYeon auf StoryHub veröffentlicht

Ein angenehm süßlicher Duft erfüllte den Raum. Ye Qiu war gerne hier. Jeden Donnerstagmorgen kam er für eine Tasse Tee und einen kleinen Happen vorbei, bevor er sich in einen turbulenten Arbeitstag stürzte. Egal wie stressig die Woche bis dahin gewesen war und egal wie viel Stress ihm noch bevorstand, für die Zeit seines Aufenthalts in dem kleinen Café voller bunter Pflanzen und weichen Tönen, war alles andere vergessen. Während er hier war, beobachtete er auch gerne die anderen Kunden. Die meisten kamen nur, um sich einen Tee oder einen Kaffee für Unterwegs zu holen und sich den ein oder anderen Snack einpacke zu lassen. Nur wenige setzen sich an einen der weißen Tische und genossen einen Moment der Ruhe und Entspannung. Ye Qiu selbst nahm dieses Angebot zwar auch nur donnerstags an, während er die restlichen Tage auch nur etwas für Unterwegs holte, aber manch einer schien sich nicht für die gemütliche Atmosphäre zu interessieren – oder wusste diese einfach nicht zu wertschätzen.

„Guten Morgen, Ye Qiu.“
Da er täglich mindestens einmal vorbei kam, kannte nicht nur er alle Angestellten beim Namen, sondern sie ihn auch. In der Regel traf er morgens entweder auf Lin Jie, den Inhaber des Cafés, oder Wang Jiexi, einer der Angestellten. Neben den beiden gab es noch Liu Fei und Gao Yingjie, die am Wochenende aushalfen. Neben dem Café gab es noch einen Kräuter- und Teeladen, der ebenfalls Lin Jie gehörte. Durch eine Tür waren die beiden Läden direkt miteinander verbunden. In dem Kräuter- und Teeladen arbeiteten, soweit Ye Qiu wusste, drei Angestellte: Xu Bin, Fang Shiqian und Liu Xiaobie.
Die drei kamen ab und zu in das kleine Café, um auszuhelfen oder neue Teeblätter zu liefern. Auch wenn man nicht weit zum Kräuterladen hatte, so konnte man auch in dem kleinen Café für Zuhause kaufen. Ye Qiu hatte das schon ein paar Mal gemacht. Leider schmeckte der Tee Zuhause nicht so gut wie hier. Irgendwas machte er wohl falsch.
„Guten Morgen, Wang Jiexi.“
„Soweit alles in Ordnung?“
Sowohl Wang Jiexi als auch Lin Jie erkundigten sich regelmäßig, ob alles in Ordnung war, wobei er sich irgendwann nicht mehr sicher war, ob sie wissen wollte, ob er mit ihrem Service und dem Tee zufrieden war oder wie es ihm persönlich so ging.
„Ja, alles bestens. Wie immer.“
Ye Qiu gab immer dieselbe Antwort, was daran lag, dass er, sollten sie nach seinem persönlichen Befinden fragen, sie nicht mit seinen Problemen nerven wollte, und falls es nur um seine Zufriedenheit mit dem Café ging, war es stets die Wahrheit.

Mit einem zufriedenen Lächeln kehrte Wang Jiexi an den Tresen zurück, um sich um den dort wartenden Kunden zu kümmern. Ye Qiu kannte den jungen Mann, der dort wartete. Yu Wenzhou, ein erfolgreicher Autor. Vor knapp vier Jahren hatte jener mit einem Fantasy Roman seinen Durchbruch – zuvor hatte er immer Mal wieder Bestseller geschrieben, aber diese waren schnell wieder durch etwas Neues ersetzt worden.
Sie hatten sich auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung kennen gelernt und Ye Qiu selbst mochte Yu Wenzhous Bücher – neben seinen Romanen hatte jener auch ein paar Sachbücher verfasst. Seit diesem Treffen hatten sie immer Mal wieder Kontakt zu einander, was daran lag, dass sie beide im gleichen Café ihren morgendlichen Tee holten. Wie klein die Welt doch war.
Yu Wenzhou kam meistens, nachdem er sich seinen Tee geholt hatte, kurz zu Ye Qiu an den Tisch und tauschte ein paar Worte mit diesem aus. Viele ihrer Gespräche waren sehr oberflächlich. Aber was sollte man auch erwarten, wenn man sich nur für wenige Minuten ein- bis zweimal die Woche sah?
Erschreckender Weise schien Yu Wenzhou nichtsdestotrotz immer recht gut über sein Leben Bescheid zu wissen. Das ein oder andere konnte man sicherlich aus den Nachrichten erfahren, aber manches war doch eher privat.
Alles was Ye Qiu über Yu Wenzhou wusste, wusste er aus den Nachrichten und von seinen Beobachtungen – zum Beispiel dass Yu Wenzhou und Wang Jiexi sich nicht sonderlich gut leiden konnten, deren Anhängsel aber gut befreundet waren. Mit Anhängsel meinte Ye Qiu Gao Yingjie und Lu Hanwen. Gao Yingjie arbeitete am Wochenende im Café, um sich ein wenig Taschengeld zu verdienen. Lu Hanwen hingegen war noch viel zu jung für sowas und konzentrierte sich voll auf seinen schulischen Werdegang.

Mit einem Lächeln auf den Lippen kam Yu Wenzhou, nachdem er seine Bestellung erhalten hatte, auf Ye Qiu zu.
„Guten Morgen, Ye Qiu. Alles in Ordnung soweit?“
„Guten Morgen, Yu Wenzhou. Bei mir ist alles Bestens und selbst?“
„Ebenfalls, auch wenn es demnächst etwas stressig wird. Immerhin soll mein Abschlussband im Herbst erscheinen und eine weitere Verfilmung ist geplant. Ich hoffe, dass die bevorstehende Übernahme dir keine allzu großen Probleme bereiten wird.“
„Wird sie nicht.“
„Gut. Leider muss ich jetzt auch schon wieder gehen. Little Lu muss heute an einem Test teilnehmen, der am anderen Ende der Stadt stattfindet.“
„Dann wünsche ich ihm viel Glück und passt auf euch auf. In letzter Zeit gab es immer mehr Überfälle in den öffentlichen Verkehrsmitteln.“
„Danke.“
So liefen die meisten ihrer Gespräche ab. Yu Wenzhou erwähnte eine Kleinigkeit aus seinem Leben und ging dann auf etwas ein, das in Ye Qius vor sich ging. Keine drei Sätze später war das Gespräch dann auch wieder beendet.

Ye Qiu freute sich jede Woche erneut auf den nächsten Donnerstagmorgen. Für einen kurzen Moment stand die Zeit für ihn still. Eine Tasse wohlriechenden und köstlich schmeckenden Tees, ein paar nette Worte mit netten Menschen austauschen und dabei zusehen, wie eine unbestimmte Menge gehetzt von hier nach da lief, während er sich entspannte. Was gab es besseres?