******************** Treue von Elenyafinwe ******************** ++++++++++++++++++++ Kurzbeschreibung ++++++++++++++++++++ Seit jeher hat Ceomon seinem Herrn Maglor treu gedient und er ist fest entschlossen, auch den letzten Willen seines Herrn auszuführen. Am Ende des Ersten Zeitalters ist das Land in Aufruhr und Maglor fürchtet, dass seine Adoptivsöhne Elrond und Elros in den Wirren verloren gehen könnten. Er trägt Ceomon auf, auf sie acht zu geben. Doch die Dinge entwickeln sich anders, als sie alle gehofft hatten. Ceomon ist fest entschlossen, die Zwillinge bis zu seinem letzten Atemzug zu beschützen. -------------------- 1. Kapitel: Erinnerungen wahren -------------------- CN Tod eines AngehörigenErinnerungen wahrenMaglor weinte. Ceomon wurde erst in diesem Augenblick bewusst, wie schlimm es wirklich um seinen Herrn stehen musste. Er hatte verdrängt, was ihnen allen bevorstand. Maedhros und Maglor gingen nach Norden, um die verbleibenden silmarilli einzufordern, und sie wussten, dass sie nicht mehr zurück kommen würden. Und was sie zurück ließen. »Ich habe versucht, ihnen ein Vater zu sein«, klagte Maglor sein Leid. »Und doch werde ich ihnen das antun müssen. Wir müssen gehen, heute Nacht noch. Sie werden uns folgen wollen. Ceomon, du musst mir versprechen, dass du sie daran hinderst. Nein, schwöre es mir!« Ceomon merkte auf. Wenn ausgerechnet sein Herr einen Schwur verlangte, dann war es ihm bitterer Ernst. »Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um Elrond und Elros zu beschützen, notfalls mit meinem Leben«, sagte er. »Diene ihnen, wie du mir gedient hast«, verlangte Maglor, nun schon etwas gefasster. »Das ist mein letzter Befehl an dich. Beleriand bricht auseinander. Flieh mit ihnen nach Osten und nimm Rethtulu mit. Sie werden uns folgen wollen, aber du musst das verhindern! Packe stattdessen die Dinge ein, die ihnen etwas bedeuten und sie an ihre Zeit hier erinnern. Schwere Zeiten liegen vor ihnen, vor euch allen. Da wird es ihnen gut tun, sich an die schönen Momente zu erinnern. Ich hoffe, ich konnte ihnen wenigstens ein paar davon schenken.« »Herr, Ihr seid ihnen ein besserer Vater, als Earendil es jemals vermocht hätte«, beteuerte Ceomon. »Sie lieben Euch und daran wird sich niemals etwas ändern.« »Und doch bleibt die Schuld, was ich ihnen stahl«, sagte Maglor leise. Doch dann schien er sich zu fassen. »Geh nun, du hast meine letzten Befehle erhalten«, fuhr er mit fester Stimme fort. »Alles weitere liegt nun in der Hand des Schicksals. Und … danke. Für alles.« Ceomon fühlte einen Kloß im Hals. Es tat weh, so sehr. Maglor war die einzige Familie, die er seit ihrem Fortgang aus Valinor gekannt hatte. Er konnte die vergangenen Jahrhunderte, für die er so viel geopfert hatte, nicht einfach so hinter sich lassen. Er hatte sich schon zum Gehen gewandt, drehte sich aber noch einmal um. »Herr, da das wohl unser Abschied ist …«, begann er. »Mach es nicht noch schwerer«, krächzte Maglor. Ceomon sah die Verzweiflung in seinen Augen und den Wahnsinn, der dahinter hindurch schien. Es widerstrebte ihn, seinen Herrn in dieser Verfassung zurückzulassen. Doch dorthin, wo Maglor und Maedhros gingen, konnte er ihnen nicht folgen. Dieses Mal nicht. Das einzige, was ihm blieb, war nun, den letzten Willen seines Herrn auszuführen und auf dessen Adoptivsöhne acht zu geben. »Auch ich möchte Euch danken für all das, was Ihr für mich getan habt«, sagte er, dann ging er. Er schloss die Tür zu Maglors Studierzimmer und erst da erlaubte er sich ein einzelnes Schluchzen. Es war zu Ende. Im Haus auf dem Amon Ereb herrschte dieser Tage oftmals Stille, doch an diesem Abend war sie besonders drückend. Mit hängenden Schultern schlich Ceomon zu seinem Zimmer, dass er sich mit Rethtulu teilte. Erstaunlicherweise war dieser schon da. »Hat dich Makalaure auch fortgeschickt?«, begrüßte er Ceomon. Ceomon nickte. »Sie wissen, dass dies das Ende ist«, sagte er betrübt. »Herr Makalaure will, dass ich mich um die Kleinen kümmere und auf sie acht gebe.« »Herr Maitimo sagte mir dasselbe.« »Gut.« Irgendwie erleichterte dies Ceomon. Zumindest Rethtulu würde ihm nicht abhanden kommen. »Wir werden jetzt zumindest etwas schlafen«, sagte Rethtulu. »Die Herren werden heute Nacht aufbrechen, dann ist immer noch genügend Zeit, um zu verhindern, dass die Kinder eine Dummheit begehen.« Ceomon sagte nichts dazu und war nur froh, dass er Rethtulu hatte. Er mochte zwar ansonsten unheimlich steif im Umgang sein, doch nun gab die klare Linie, die er vorgab, Ceomon zumindest etwas Halt in diesen wirren Zeiten.   »Ceomon! Ceomon, wach auf!« Jemand rüttelte ihn unsanft an der Schulter. »Die Kleinen sind verschwunden!« Mit einem Schlag war Ceomon hellwach. Rethtulu, der ihn geweckt hatte, stand über ihm gebeugt. Schwaches Dämmerlicht fiel in ihr Zimmer. »Wie? Verschwunden?«, fragte er fassungslos. Mit seinem letzten Befehl hatte sein Herr ihm aufgetragen, die Kleinen zu beschützen. Sie konnten nicht einfach so auf und davon sein! »Sie müssen sich in der Nacht davon geschlichen haben, um den Herren zu folgen«, fuhr Rethtulu fort. »Lange kann das nicht her sein; ihre Betten sind noch warm. Wenn wir uns beeilen, holen wir sie vielleicht noch ein und verhindern Schlimmeres.« »Auf geht‘s!« Ceomon sprang aus dem Bett. Ein heftiger Erdstoß erschütterte das Haus. Ceomon wurde von den Füßen gerissen, stürzte jedoch glücklicherweise weich auf das Bett. Rethtulu konnte sich gerade noch so am Bettpfosten festhalten. Putz rieselte von den Wänden, als sich Risse im Mauerwerk bildeten. Irgendwo im Haus schepperte und rumpelte es, als zahlreiche Dinge, darunter wohl auch einige Möbel, zu Bruch gingen. Der Spuk hörte so raus auf, wie er begonnen hatte. Ceomon und Rethtulu sahen sich einen atemlosen Moment lang lediglich fassungslos an. Mit einem Mal war klar, dass sie hier nicht länger bleiben konnten. »Herr Makalaure trug mir auf, die Sachen der Beiden zu packen und dann mit ihnen nach Osten über die Berge zu gehen«, sagte Ceomon schließlich. »Du bist der bessere Fährtenleser von uns beiden. Geh ihnen nach und finde sie. Wir werden uns schon irgendwie wieder finden.« Damit war alles gesagt; Rethtulu war kein Mann vieler Worte. Sogleich griff er nach seinem Helm, dem einzigen Rüstungsteil, das er nicht ständig trug, gürtete sein Schwert und packte sich rasch ein wenig Proviant. Dann brach er auf. Ceomon blieb zurück und suchte zusammen, was Elrond und Elros auf gar keinen Fall verlieren sollten. Die wenigen Angehörigen des Hausvolks, die dieser Tage hier noch lebten und nun wie aufgescheuchte Hühner umher eilten, ignorierte er. Er sagte ihnen lediglich, dass sie nach Osten gehen sollten. Die Herren waren ihrem Ende entgegen gegangen und Elrond und Elros waren ihnen gefolgt. Und als wären das nicht schon genug Katastrophen für einen Tag, begann nun das, was sie alle seit Beginn des Krieges befürchtet hatten: Beleriand brach auseinander. Ceomon wusste, dass dies das endgültige Ende seines bisherigen Lebens war, nicht minder umwälzend als die Rebellion der Noldor, in die er seinem Herrn vorbehaltlos gefolgt war. Was auch immer nun folgte, war ungewiss. Nur dass es erneut etwas völlig anderes würde, so viel stand für ihn fest. Er besah sich den Sack mit den Sachen für Elrond und Elros. Dann ließ er den Blick durch ihr Zimmer schweifen, teils um zu sehen, ob er etwas übersehen hatte, teils aber auch, um davon Abschied zu nehmen. Er erinnerte sich zu gut des Tages, als Herr Maglor sie aufgenommen hatte. Wie sein Herr war er vom ersten Moment an von ihnen angetan gewesen, er hatte sie aufwachsen sehen und sie lieben gelernt. Er hoffte inbrünstig, dass Rethtulu sie finden und vor Schlimmerem bewahren konnte. Erneut erschütterte ein Beben das Haus, dieses Mal zwar weniger stark, aber dennoch genug, um eine deutliche Warnung zu sein, was da noch kommen mochte. Ceomon zögerte einen Moment, dann beschloss er Rethtulu nachzugehen. Mit dem Sack über der Schulter verließ er das Herrenhaus und beendete damit endgültig dieses Kapitel seines Lebens. Die nächsten Tage brachte Ceomon dazu, Rethtulus Spur zu finden. Doch es war, als sei er wie vom Erdboden verschluckt. Ceomon wurde unruhig. Er hatte damit gerechnet, schon längst zu Rethtulu gestoßen zu sein, der die Zwillinge bei sich hatte. Dass er sie noch nicht gefunden hatte, ließ Sorge in ihm aufkommen. Es war Maglors letzter Befehl an ihn gewesen, auf sie Acht zu geben, er wollte seinen Herrn nicht ausgerechnet jetzt enttäuschen. Die Beben wurden häufiger und heftiger und Ceomon zunehmend verzweifelter. Rethtulu konnte doch nicht einfach so mit Maglors Kleinen verschwunden sein! An die Alternative, dass ihnen etwas zugestoßen war, wollte er lieber gar nicht erst denken. Als das Land immer häufiger erschüttert wurde und Ceomon immer noch keine Spur gefunden hatte, musste er sich eingestehen, dass er seine Suche vorerst abbrechen musste. Ihm war mittlerweile klar, dass Beleriand auseinander brach und er nur darauf hoffen konnte, sein Heil im Osten zu finden. Hoffentlich hatten die Valar wenigstens Gnade mit den Zwillingen, wenn sie schon den Feanorern keine gewährten. Schweren Herzens brach Ceomon seine Suche vorerst ab und wandte sich nach Osten. Das Land war im Aufruhr und er spürte, dass sich Beleriands Antlitz vom Meer her drastisch veränderte. Die alte Welt würde es schon bald nicht mehr geben. Erst später sollte Ceomon erfahren, was weiter im Westen Beleriands geschah, wie die Belegaer in das Land drängte und es in ihren Fluten verschlang. Er selbst überquerte die Ered Luin weit im Norden, was vielleicht sein Glück war, denn so blieb er in relativer Sicherheit. Als er die Ered Luin hinter sich gelassen hatte, befand er sich nun das erste Mal in seinem Leben in Mittelerde. Staunend besah er sich die endlosen Landschaften, die sich vor ihm erstreckten. Dann beschlich ihn Verzweiflung. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wo Elrond und Elros oder Rethtulu waren, oder wo er beginnen konnte, sie zu suchen. Dann jedoch atmete er tief durch, fasste sich ein Herz und schulterte sein Gepäck, das er bis hierher hatte retten können, und ging los. Er war sicher nicht der einzige, der es über die Berge geschafft hatte. Früher oder später musste er auf andere Elben oder Menschen treffen. Entschlossen wandte er sich nach Süden. In den vergangenen Wochen war das Land aufgerissen und neu gestaltet worden, doch zuletzt waren die Beben immer seltener geworden und hatten schließlich ganz aufgehört. Ceomon hatte die Hoffnung, dass nun endlich Ruhe eingekehrt war. Ein letztes Mal jedoch bäumte sich das Land auf. Auf seiner Wanderung spürte er eines der stärksten Beben der letzten Wochen und hörte ein gewaltiges Tosen. Es klang beinahe, als würde das Land von einer gewaltigen Macht aufgerissen und bäumte sich nun in Qualen auf. Das Beben ließ nach einiger Zeit nach, doch noch auf Tage hinaus hörte er ein fernes Donnern wie von einem gewaltigen Wasserfall. Später sollte er erfahren, was geschehen war. Die Belegaer hatte weiter südlich die Ered Luin durchbrochen, nachdem die Fluten wochenlang gegen die Berge gebrandet waren. Das Meer hatte eine gewaltige Bresche geschlagen und die Wassermassen drängten nun nach Osten. Später würde man den neuen Küstenverlauf die Förde von Lhûn nennen. Damit kam das Land nun endgültig zur Ruhe. Die Stille erschien Ceomon beinahe gespenstig, nachdem er sich nun schon an das stete Rumoren gewöhnt hatte. Er überlegte, wie sein weiteres Vorgehen nun aussehen sollte. Er fragte sich, wie es nun wohl im Westen aussah und ob noch etwas von Beleriand übrig geblieben war. Östlich der Ered Luin jedenfalls hatte er vergleichsweise wenig von den gewaltigen Umwälzungen gespürt, weitaus weniger, als er erwartet hatte. Also überquerte er erneut die Berge und stellte zu seinem Erstaunen fest, dass Ossiriand weitestgehend intakt geblieben war. Nun jedoch sah er von den Hängen der Ered Luin herabblickend das Meer in der Ferne glitzern. Erschüttert hielt er inne. Beleriand war beinahe vollkommen im Meer versunken. Die Naturgewalten, die dazu notwendig waren, konnte er sich kaum vorstellen. Dann jedoch besann er sich seiner Aufgabe. Irgendwo da draußen waren die Zwillinge, und auch wenn er hoffte, dass Rethtulu bei ihnen war, so konnte er sich doch darauf nicht verlassen. Wenn Ossiriand noch existierte, dann bestand eine geringe Chance, dass auch das Herrenhaus noch stand. Und vielleicht hatte es die Zwillinge zurück nach Hause gezogen. Ossiriand war vielleicht nicht von der Landkarte gefegt worden, doch es hatte sein Gesicht stark verändert. Ceomon irrte einige Zeit orientierungslos durch das Land, bis er wieder wusste, wo er sich befand. Erst dann konnte er sich auf in Richtung des Amon Ereb machen. Mittlerweile war ein gutes Jahr ins Land gegangen, seit er aufgebrochen war. Er hatte die ganze Zeit über keine Seele gefunden und mittlerweile machte er sich ernsthafte Sorgen, dass der Untergang Beleriands eine weitaus größere Katastrophe war, als er bisher dachte. Konnten die Valar wirklich die gesamte elbische Zivilisation in Endor ausgelöscht haben? Auch wenn er sich nun wieder halbwegs orientieren konnte, benötigte er einige Tage, bis er das Herrenhaus erreichte. Er sah schon von weitem, dass das Haus schwer beschädigt war, aber dennoch noch immer stand. Die allergrößten Schäden waren durch die zahlreichen Beben entstanden, ansonsten war das Wüsten der Natur größtenteils am Haus vorbei gezogen. Die Schäden zu sehen, schmerzte. Ceomon erkannte rasch, dass es einer Menge Arbeit bedurfte, um das Haus wieder zu errichten. Er machte sich daran, die Ruinen zu erkunden. Seit alle in den Osten geflohen waren, schien niemand mehr hier gewesen zu sein. Alles war stehen und liegen gelassen und nur die nötigsten Sachen gepackt worden. Nun, da keine unmittelbare Gefahr mehr drohte, hatte Ceomon mehr Zeit und Ruhe zum Packen. Er ging erneut durch das Haus und suchte nach Dingen, die den Zwillingen von Bedeutung sein konnten, wenn er sie fand. Er würde sie finden, ganz sicher. Er verbot sich, etwas anderes zu denken. Mit einiger Freude stellte er fest, dass die Bibliothek der Herren Maglor und Maedhros größtenteils unbeschädigt geblieben war. Hier waren einige unersetzliche Sammlerstücke verwahrt worden. Es wäre ein herber Schlag gewesen, wenn sie unrettbar verloren gegangen wären. Da hörte er Schritte hinter sich. Jähe Hoffnung keimte in ihm auf, dass seine Suche nun ihr Ende finden würde. Als er sich umwandte, wurde er jedoch rasch enttäuscht. »Lindwain.« Der Sinda wirkte erstaunt, ihn hier anzutreffen. Sicher hatte auch er jemand anderes erhofft. Herr Maedhros hatte Lindwain vor Jahren angestellt, damit dieser sich um die Gesundheit der Zwillinge kümmerte. Ceomon war mit ihm nie wirklich warm geworden, doch in dieser Situation zogen sie wohl am selben Strang. »Ich hatte gehofft, dass irgendwer hierher zurückkehrt«, sagte Lindwain. »Ich hatte mir gewünscht, dass es Elrond und Elros sind, aber du bist wohl auch ein Anfang. Warum sind sie nicht bei dir? Ihnen ist doch nichts zugestoßen, oder?« Sorge sprach aus seinen Worten. »Ich weiß es nicht«, sagte Ceomon bedauernd. »Ich hatte nicht verhindern können, dass sie den Herren Makalaure und Maitimo folgen. Als die Beben begannen, verlor ich ihre Spur und musste über die Berge fliehen. Seit nun einem Jahr bin ich niemandem mehr begegnet.« »Ich kann dir auch nicht viel mehr sagen«, erwiderte Lindwain. »Ich blieb die ganze Zeit über bei meinem Fürsten Oropher. Allerdings vernahm ich, dass Gil-galad weiter im Süden eine Siedlung gegründet haben soll. Er hat viele Flüchtlinge um sich versammeln können und lässt nach weiteren suchen. Vielleicht hast du dort mehr Glück.« Das waren in der Tat gute Neuigkeiten! »Ich danke dir, Lindwain«, sagte Ceomon. »Bitte tu mir den Gefallen und hüte das Haus noch ein wenig länger. Vielleicht kann ich jemanden vorbei schicken, der die Bibliothek birgt; es wäre schade um sie.« »Eins noch, Ceomon«, fügte Lindwain an. »Hast du gehört, was mit den Prinzen Maglor und Maedhros geschehen ist?« Ceomon schüttelte den Kopf. Den Gedanken hatte er verdrängt, er hatte nicht darüber nachdenken wollen. »Sie hatten die silmarilli stehlen wollen, als man sie ihnen verweigerte«, berichtete Lindwain. »Tatsächlich hatte Eonwe sie damit fliehen lassen, doch es heißt, dass sie ihr Anrecht auf Feanors Werkt verloren hatten. Man sagt, dass sich Maedhros mit seinem in eine Feuerkluft warf und Maglor warf seinen ins Meer. Niemand hat ihn seitdem mehr gesehen. Wenn er noch lebt, dann irrt er jetzt irgendwo in der Wildnis umher, sicher völlig von Sinnen vor Schmerz.« Ceomon glaubte, ihm würde das Herz stehen bleiben. Auf Gnade zu hoffen, war sicher vergebens gewesen. Doch das war eine weitaus grausamere Strafe, als seine Herren verdient hatten. »Ich danke dir auch dafür«, sagte er leise. »Finde Elrond und Elros und gib auf sie Acht«, drang Lindwain auf ihn ein. »Sie brauchen dich jetzt.« Damit verabschiedeten sie sich voneinander und Ceomon machte sich auf nach Süden. Er folgte der neuen Küstenlinie und in der Tat: Nach einigen Tagen stieß er tatsächlich auf erste Spuren einer Zivilisation und schließlich sogar auf ein einfaches Dorf. Die Siedlung war eindeutig erst vor wenigen Monaten gegründet worden, doch Ceomon hätte Freudensprünge vollführen können, als er die Elben sah, die hier siedelten. Von ihnen erfuhr er, was in dem Jahr geschehen war, in dem er durch die Wildnis geirrt war. Gil-galad hatte schon früh bemerkt, dass Beleriand dem Untergang geweiht war, und sammelte so viele von seinem Volk, wie er nur finden konnte. Mit ihnen zog er nach Osten über die Berge, jedoch weiter südlich als Ceomon. Als das Meer die Bresche durch die Berge schlug, nutzte er die Gelegenheit, um, nachdem die Fluten sich wieder beruhigt hatten, entlang der Küste erneut nach Westen zu ziehen und sich schließlich an den Förden niederzulassen. »Und was ist mit den Zwillingen?«, wollte Ceomon wissen. »Was ist mit Elwings Söhnen?« Die Elben warfen skeptische Blicke auf den Stern der Feanorer, den er auf seiner Kleidung trug. Dennoch gaben sie ihm Auskunft. »Sie sind beim König«, sagten sie ihm. Ceomon hätte vor Freude weinen können. Also waren sie am Leben und wohlauf! Zwar war dies nicht sein Verdienst, aber das war nun nebenrangig. Die Siedler beschrieben ihm den Weg nach Forlond, und er machte sich sogleich auf den Weg. Nun gab es kein Halten mehr und er marschierte tagelang durch, sich selbst nur wenige Stunden Ruhe gönnend. Und tatsächlich: Schließlich sah er vor sich eine größere Ansiedlung. Viele lebten noch immer in Zelten, doch er konnte schon zahlreiche einfache Hütten ausmachen. Sogar die Bauarbeiten für erste größere Gebäude hatten bereits begonnen. Und überall wehten die Banner Gil-galads. Über der ganzen Siedlung lag geschäftiges Treiben, hämmern, bohren, sägen. Niemand ließ sich von dem nasskalten Winterwetter abschrecken. Zunächst schien niemand sonderlich Notiz von Ceomon zu nehmen, alle waren mit dem Aufbau der Siedlung beschäftigt. Ceomon schnappte sich den erstbesten Elben, der ihn über den Weg lief. »Ich suche Elrond und Elros«, sagte er. »Man sagte mir, sie seien hier beim König.« Der Elb warf einen skeptischen Blick auf den Stern auf Ceomons Kleidung. Dann nickte er dennoch. »Seht Ihr die große Baustelle dort hinten?« Er zeigte in die entsprechende Richtung. »Dort wird der Palast des Königs gebaut. Wahrscheinlich sind sie dort.« »Ich danke dir«, sagte Ceomon und machte sich sogleich in die angegebene Richtung auf. Ungeduldig fragte er sich durch, bis er schließlich vor einer Hütte stand. Man hatte ihm gesagt, dass die Zwillinge hier lebten. Er klopfte. Die Tür wurde geöffnet. Für einen Moment sahen sich Elrond und Ceomon ungläubig an. Dann fielen sie sich vor Freude lachend in die Arme. Ceomon hatte es geschafft! Er hatte die Kleinen gefunden und sie waren wohlauf! »Elros, schnell!«, rief Elrond in den Raum hinein. »Ceomon ist hier!« Elros stürmte herbei und konnte selbst seinen Augen zunächst kaum trauen. »Ceomon, ich fasse es nicht! Wie schön!« Ceomon kam nicht umhin zu bemerkten, dass Elrond etwas verschnupft klang. Die übliche Wintererkältung, die die beiden fast jeden Winter plagte. »Herr Makalaure trug mir auf, auf die jungen Herren acht zu geben«, sagte er. »Leider war mir das nicht möglich, wie ich das gern hätte. Doch jetzt bin ich hier und bereit, den jungen Herren zu dienen.« Elrond sah ihn irritiert an. »Wie hast du uns gerade genannt?« »Ihr seid jetzt meine Herren«, sagte Ceomon eisern. Etwas anderes kam gar nicht erst in Frage! Das war Maglors letzter Wille und er würde ihn ausführen. Elrond und Elros wirkten nicht allzu glücklich darüber, wie Ceomon die Dinge sah, doch sie beließen es vorerst dabei. »Komm rein, es ist kalt«, sagte Elros stattdessen. »Ich will wissen, wo du gewesen bist und was da in dem Sack ist.« Ceomon schmunzelte. Oh, das würde den jungen Herren gefallen! Er hatte doch schon auf dem ersten Blick bemerkt, wie spärlich das kleine Heim eingerichtet war; auch die Zwillinge waren mit kaum mehr als dem, was sie hatten greifen können, hier angekommen. Sie setzten sich an einen Tisch und Elrond brachte ihnen Tee, um sich aufzuwärmen. Dann packte Ceomon aus, was er die ganze Zeit mit sich herumgetragen hatte. Zuoberst saßen ein kleiner Plüschbär und einige Holzspielzeuge auf den Dingen. Die Augen der Zwillinge strahlten, als sie das sahen, Erinnerungen an ihre Kindheit und die schöne Zeit, die sie mit Maglor und Maedhros hatten verbringen dürfen. »Herr Makalaure trug mir auf, das für Euch zu retten«, sagte Ceomon. »Zuletzt hatte ich den Weg zurück zum Amon Ereb gefunden und mit Freude festgestellt, dass das Haus nicht völlig zerstört wurde. Die Bibliothek ist sogar noch größtenteils in Takt. Ich traf Lindwain und trug ihm auf, darauf Acht zu geben, bis jemand kommen kann, um die Bücher zu bergen.« »Das sind wunderbare Neuigkeiten.« Elrond schniefte vor Rührung, während er das Plüschtier an sich drückte. »Bruder, das müssen wir dem König sagen!« Elros nickte eifrig. »Unbedingt!«, bekräftigte er. »Ich bedauere sehr, in all der Zeit nicht bei Euch gewesen zu sein«, fuhr Ceomon fort. »Doch Ihr ward spurlos verschwunden. Ich schickte Rethtulu hinter Euch her und hoffte, später zu Euch zu stoßen. Es besorgt mich ein wenig, ihn hier nicht anzutreffen.« Dass die kleine Hütte nicht auf Hochglanz poliert war, war das deutlichste Zeichen, dass Rethtulu seinen Weg nicht hierher gefunden hatte. »Wir haben nichts von ihm gehört«, sagte Elros. »Eigentlich hatte ich gehofft, dass du uns sagst, wo er abgeblieben ist.« »Hoffentlich ist ihm nichts geschehen!«, fügte Elrond an. »Hast du gehört, was mit Onkel Maglor und Onkel Maedhros passiert ist?« Bedauernd nickte Ceomon. Elros kaute auf seiner Lippe herum und hatte sichtlich mit den Tränen zu kämpfen. Das war ein Schmerz, der sie beide sicher noch lange begleiten würde und den auch die Zeit noch lange nicht würde heilen können, ging Ceomon auf. »Wir sind ihnen nachgegangen und hatten gehofft, sie noch rechtzeitig aufhalten zu können«, berichtete Elrond. »Ja, ich weiß, was du sagen willst: dass es töricht war und dass wir besser mit dir und Rethtulu gegangen wären. Aber ihr hättet uns doch nicht aufhalten können. Leider kamen wir dennoch zu spät. Eonwe sagte uns, dass sie nach Süden gegangen waren, entlang der Küste, und …« Er schluckte. »Und was mit Onkel Maedhros passiert war. Wir sind ihnen nach, in der Hoffnung, wenigstens Onkel Maglor noch zu finden. Dann kamen die Flutwellen. Etwas so gewaltiges habe ich noch nie gesehen! Es war, als würde das gesamte Meer über das Land hereinbrechen und alles mit sich reißen, was sich ihm in den Weg stellte. Wir hatten unheimliches Glück, dass wir bei der ersten Welle eine Anhöhe erreichen konnten, die hoch genug war. Danach mussten wir unsere Suche abbrechen und wandten uns nach Osten. Die ganze Zeit muss ich an Onkel Maglor denken. Wenn er ebenfalls entlang der Küste wanderte, dann wurde auch er von den Flutwellen bedroht. Ich habe Angst, dass er weniger Glück hatte als wir.« Ceomon lief es eiskalt den Rücken hinab. Weder er noch Rethtulu hatten die beiden finden können und sie hatten sich solchen Gefahren stellen müssen! Er konnte von Glück reden, dass sein Versagen dieses Mal noch glimpflich ausgegangen war. Er ergriff die Hände der Zwillinge und sah sie eindringlich an, darum bemüht, sie nicht seine eigene Unruhe spüren zu lassen. »Ich bin sicher, dass Herr Makalaure noch lebt«, sagte er bestimmt. »Was macht dich da so sicher?«, wollte Elros wissen. »Ich denke, wir wüssten, wenn ihm etwas zugestoßen ist«, sagte er. »Eonwe wusste doch auch, was mit den Herren geschehen war, als sie mit ihren þilmarilli gingen.« Er sah die Angst in den Augen der Zwillinge, aber auch die verzweifelte Hoffnung, dass seine Worte wahr waren. »Wie seid Ihr dann hierher gekommen?«, fragte Ceomon weiter. »Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht«, fuhr Elrond fort. »Eigentlich hätten wir es nicht schaffen dürfen. Wir hatten fast unser gesamtes Gepäck verloren, darunter den größten Teil unseres Proviants. Und dann ist Elros auch noch krank geworden, sehr, sehr krank.« »Ceomon, du weißt, was uns Eonwe damals sagte, als er uns zu sich rief«, sagte Elros. »Dass uns Halbelben, meinem Bruder und mir und unseren leiblichen Eltern, die Wahl gegeben sei, zum welchem Schicksal wir uns zugehörig fühlen. Ich entschied mich anders als mein Bruder für das der Menschen.« Stille senkte sich über sie. Während Elrond stumme Tränen über das Gesicht liefen, war es Ceomon, als würde eine eisig kalte Hand nach seinem Herzen greifen. Elros hatte sich für ein sterbliches Leben entschieden. Er würde sterben wie ein Mensch, alt und gebrechlich. Es war ihm unbegreiflich, warum Elros das ausgerechnet seinem Bruder antun sollte. »Warum?«, hauchte er. »Ich habe unsere Onkel am Ende gesehen«, sagte Elros. »Halb wahnsinnig vor Schmerz über das, was sie, getrieben von ihrem Eid, getan hatten. Und es waren schreckliche Dinge, wir alle wissen das. Die Vorstellungen, bis ans Ende aller Tage mit solch einem Schmerz leben zu müssen, ertrug ich nicht. Es tut mir leid.« Er wirkte betroffen über den Kummer, den seine Wahl ihnen bereitete, doch sich seiner Sache auch absolut sicher. Ceomon würde nichts anderes bleiben, als dies zu akzeptieren. »Ich war todkrank«, fuhr Elros nun fort. »Wir wissen nicht, was ich mir da eingefangen hatte, und eigentlich ist es jetzt auch egal. Als wir die Ered Luin erreichten, waren meine Kräfte am Ende. Wir suchten uns einen Unterschlupf, von dem wir hofften, dass das Meer, das uns stets dicht auf den Fersen war, ihn nicht erreichen würde. Ich war mir sicher, dass ich den nächsten Morgen nicht mehr erleben würde. Dennoch tat ich es. Wir haben keine andere Erklärung dafür, als dass die Valar nicht wollten, dass ich dort sterbe. Ich wurde wieder gesund und wenn auch geschwächt, so schafften wir es dennoch über die Berge. Wir hatten Glück, denn Gil-galad hatte mit seinen Leuten nur unweit weiter nördlich die Berge ebenfalls überquert und fand uns rasch. Wir schlossen uns ihm an und jetzt sind wir hier und helfen ihm, sein Reich wieder zu errichten.« »Wir sollen ihn beraten«, fügte Elrond mit deutlicher Skepsis an. »Sieh uns an. Noch nicht einmal einhundert Jahre alt und keinerlei Erfahrung mit der Politik und schon sollen wir den Hohen König beraten!« Elros grinste. »Er hat einen Narren an meinem Bruder gefressen. Das musst du sehen!« Ceomon wischte die Trauer über die schlimmen Neuigkeiten fort und konzentrierte sich auf das Positive in diesem Moment. Elrond und Elros lebten und waren wohlauf, und anscheinend rasch zu Rang und Namen unter Gil-galad gekommen. Sie waren wirklich erwachsen geworden. »Makalaure wäre stolz auf Euch«, war er sich sicher. Und er war es auch. Ein entschlossener Ausdruck legte sich auf Elronds Züge. »Wir werden Onkel Maglor finden.« Der Text nimmt das Ende von Kindheitserinnerungen vorweg, aber psst. Was Elrond und Elros in der Zwischenzeit passierte, schilderte ich in Wege der Verzweiflung. Was sich in meinem HC chronologisch direkt hieran anschließt, ist der Threeshot Durch Eis und Pein und dann Geister der Vergangenheit. -------------------- 2. Kapitel: Schicksalswege -------------------- SchicksalswegeDie Spannung zwischen den Zwillingen war beinahe greifbar. Natürlich hatten sie sich schon früher gestritten, das war bei weitem nicht das erste Mal. Doch seit Elros immer mehr Zeit mit den Menschen am Nenuial verbrachte, wurde Elrond immer gereizter. Dass sie begonnen hatten, Elros ihren Fürsten zu nennen, hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Ceomon zog den Kopf ein und hielt sich bedeckt. Das mussten die beiden unter sich ausmachen. Wie er sie kannte, würde dennoch keiner dem anderen wirklich lang böse sein können. Auch wenn er Elrond verstand. Die Vorstellung, Elros eines Tages an die Zeit zu verlieren, war furchtbar. Ihn bei den Menschen zu sehen, die ihn ihren Fürsten, gar König, nannten, rief es ihm nur immer und immer wieder ins Gedächtnis. Er wollte lieber nicht wissen, wie es da erst Elrond ergehen musste. Sie waren wieder einmal wie so oft in den letzten Jahren ausgezogen, um nach Maglor zu suchen und in Ceomons Fall auch nach Rethtulu. Doch von beiden war keine Spur zu finden. Schon vor einiger Zeit waren sie auf einem dieser Abenteuer auf eine Menschensiedlung am Abendrotsee gestoßen und das hatte Elrond wohl das Leben gerettet. Sie waren im tiefsten Winter von einer Kreatur aus den Höllen Angbands verfolgt worden, welche Elrond schwer verletzt hatte. Mit letzten Kräften hatten sie es hierher geschafft und die Menschen hatten ihnen bereitwillig Hilfe angeboten. Seitdem verweilten sie oft hier, wenn sie den Norden durchstreiften, und hatten von den Menschen sogar ein Haus bekommen, das sie nutzen konnten, solange sie hier waren. Für Elronds Geschmack zu lang. Er stand am Kamin und starrte in die Flammen, während Elros am Küchentisch saß und die Karten studierte, die sie in den letzten Jahren für Gil-galad angefertigt hatten. So hatten ihre Reisen zumindest auch einen Zweck für sein Reich. Ceomon räumte die Reste ihres Abendessens weg und wusch das Geschirr ab. Er fragte sich, wie lange das eiserne Schweigen zwischen den Brüdern noch anhalten wollte. »Eigentlich sind wir hier, um Onkel Maglor zu suchen«, brummte Elrond missmutig. Aha, ging es Ceomon durch den Kopf und sah zu, dass er außerhalb der Schusslinie blieb. »Was denkst du, was ich hier tue?«, schoss Elros zurück und wedelte mit einer der Karten. »Wir haben seit Wochen das Dorf nicht verlassen, damit du dich von den Menschen hier hochleben lassen kannst.« Erst jetzt wandte sich Elrond seinem Bruder zu. Dieser wirkte verletzt. »Ja, sie haben mich zu ihrem Anführer ernannt. Das sind jetzt meine Leute, ich bin für sie verantwortlich. Und im Gegenzug erkunden sie für uns das Land und suchen nach Hinweisen auf Onkel Maglor.« »Du bist mein Bruder!« Als wäre damit alles gesagt. Ein Hauch von Verzweiflung lag in Elronds Stimme. Ceomon fragte sich, ob da nicht vielleicht auch Eifersucht im Spiel war. Die Brüder hatten ihr gesamtes Leben miteinander verbracht, doch nun musste Elrond seinen Bruder teilen. Offenbar schmeckte ihm das nicht sonderlich. »Galad hat dich zum Fürsten von Amon Ereb ernannt, und mache ich deswegen so ein Fass auf? Nein!«, knurrte Elros erbost. »Das ist etwas anderes!«, konterte Elrond. »Und das weißt du genau. Er konnte mich nicht zu seinem Berater ernennen, ohne dass ich Land und Titel besitze. Reine Formsache. Wir sind dieser Tage ja nicht einmal sonderlich oft zu Hause, und die meiste Zeit in Forlond!« Ceomon musste unwillkührlich schmunzeln, als er an diese Begebenheit dachte. Als er dem König die Kunde überbracht hatte, dass das alte Herrenhaus der Feanorer noch halbwegs intakt war, stimmte Gil-galad darin überein, dass es schade wäre, die Bibliothek verfallen zu lassen. Statt die Bücher aber zu bergen und nach Forlond bringen zu lassen, hatte er das Haus wieder errichten lassen. Zu dieser Zeit war Elronds und Elros’ Position am Hof des Königs noch unklar. Niemand wusste so wirklich etwas mit Earendils Söhnen anzufangen, die aus dem Nichts aufgetaucht waren, sich aber als Feanorer betrachteten und sogar offen den Stern trugen. Dass Gil-galad so rasch Freundschaft mit ihnen geschlossen hatte, verstärkte die Reibereien, die sie mit dem alteingesessenen Adel hatten, nur noch mehr. Sie waren eine Konkurrenz um die Gunst des Königs und damit Macht am Hof. Gil-galad beseitigte dieses Problem kurzerhand, indem er ihnen das Land um den Amon Ereb gab und sie zu Fürsten ernannte. Elros’ Widerspruch, der freilich nicht zu knapp kam, ließ er durchgehen, doch Elrond, der nicht minder heftig protestierte, entkam dem nicht. Also war er jetzt der Fürst des Amon Ereb und saß in Gil-galads innerem Rat. Ceomon war durchaus beeindruckt von dieser steilen Karriere. Der Streit der Brüder wurde plötzlich unterbrochen, als es an der Haustür klopfte. Die Drei sahen sich erstaunt an. Die Stunde war schon spät, wer konnte jetzt noch etwas von ihnen wollen? »Vielleicht hat sich jemand verletzt«, überlegte Elrond und ging zur Tür. Als er aufmachte, sah er sich Lómelinde, der jungen Schankmaid des örtlichen Gasthauses, gegenüber. »Ist etwas passiert?«, fragte er sogleich besorgt. Sie machte einen etwas unbeholfenen Knicks. »Nein, Herr Elrond, alles bestens«, sagte sie. »Wobei durchaus etwas passiert ist, was allerdings nicht Eurer Fähigkeiten als Heiler bedarf.« »Bruder, du bist unhöflich. Bitte sie doch herein«, sagte Elros, trat zu ihnen und bot der jungen Frau einen Platz an. Etwas verlegen trat sie ein. Ceomon war aufgefallen, dass Elros anscheinend Gefallen an dieser Frau gefunden hatte. Er hatte in den letzten Wochen viel Zeit mit ihr verbracht und immer, wenn er sie ansah, wurde sein Blick weich. »Wir haben einen ungewöhnlichen Gast in der Taverne«, begann sie zu erzählen, während Ceomon ihr etwas Wein brachte. »Meine Schicht ging soeben zu Ende und auf dem Heimweg dachte ich, dass es die Herren Elben vielleicht interessiert. Ihr sucht doch nach einem Elben, oder? Einer kam vorhin in die Taverne. Er sagte, er sei auf der Durchreise, verriet aber nicht wohin.« Sofort wurden sie hellhörig. »Wie sah er aus?«, fragte Elros und ergriff in seiner Aufregung Lómelindes Hände. Er schien es nicht zu bemerken. Sie sah auf ihre Hände und wurde rot. »E-er ist groß«, stammelte sie. »So groß wie Herr Ceomon, und dunkelhaarig. Ein harter Zug lag um seine Augen. Ehrlich gesagt hat mir das ein wenig Angst gemacht.« »Welche Kleidung trug er? Hat er eine Harfe bei sich?«, ließ Elrond nicht locker. Lómelinde schüttelte den Kopf. »Nein, keine Harfe. Aber er ist gerüstet wie zum Krieg und trägt ein riesiges Schwert bei sich. Oh, und er trägt Feanors Stern, wie Ihr.« »Rethtulu!«, rief Ceomon aus. Er wagte kaum zu hoffen, aber das klang zu sehr nach ihm. »Schnell, Bruder!« Elrond zerrte Elros auf die Beine und die beiden eilten davon. Ceomon begleitete Lómelinde zumindest noch nach draußen, dann rannte er ihnen hinterher. Als sie zu dritt in das Gasthaus stürmten und den Wirt zu Tode erschreckten, wollten sie ihren Augen zunächst nicht trauen, doch tatsächlich: Da saß Rethtulu, den Staub der Straße noch auf der Kleidung, doch ansonsten in einem Stück. Als er die Zwillinge sah, wurden seine Augen groß. Dann stand er auf und fiel vor ihnen auf ein Knie. »Meine Herren!«, begrüßte er sie mit geneigtem Kopf. »Bitte erlaubt mir, Euch zu dienen, wie ich eins Fürst Maitimo diente.« Die Zwillinge waren viel zu perplex, um dagegen zu protestieren, was, wie Ceomon wusste, ihr Fehler war. Rethtulu wäre davon noch weniger abzubringen als er. Stattdessen waren sie einfach nur glücklich, ihn wiederzusehen. »Komm mit in unser Haus, Rethtulu«, lud Elros ihn ein. »Wir haben noch ein paar Reste vom Abendessen übrig und ein Bett für dich lässt sich auch finden.« »Ihr wohnt hier, Herr?«, fragte Rethtulu erstaunt. »Oh, das ist eine etwas längere Geschichte«, sagte Ceomon stattdessen. »Aber komm erst einmal mit. Wir wollen wissen, wo du geblieben bist.« »Und ob du etwas von Onkel Maglor gehört hast«, fügte Elrond an. Sie begleitete Rethtulu zurück zum Haus und Ceomon machte ihm die Reste des Abendessens warm. Als er gegessen und einen warmen Tee im Magen hatte, begann Rethtulu zu erzählen. »Als uns die Herren Maitimo und Makalaure sagten, dass sie vorhatten, die þilmarilli zu stehlen, wussten sie auch, dass Ihr ihnen würdet folgen wollen. Sie befahlen uns, das zu verhindern. Dann jedoch brach Beleriand auseinander und Ceomon und ich wurden getrennt. Ich konnte weder die Spur der jungen Herren aufnehmen, noch die Herren Maitimo und Makalaure einholen. Ich hörte jedoch, was ihnen widerfahren war. Fürst Maitimo trug mir jedoch zusätzlich auf, auf seinen Bruder achtzugeben, wenn er es nicht mehr vermochte. Also hoffte ich, dass Ceomon Euch fand und ging Herrn Makalaure nach, musste dann jedoch nach Osten fliehen, als das Meer Beleriand verschlang.« »Und seitdem hast du ihn gesucht«, schloss Elrond. »Hast du irgendeine Spur von ihm?« Bedauernd schüttelte Rethtulu den Kopf. »Nein, nicht die geringste.« Es schmerzte Ceomon, zu sehen, wie die Hoffnung, die mit Rethtulus Auftauchen bei den Zwillingen aufgekeimt war, sogleich wieder zerschlagen wurde. »Warum seid Ihr hier bei den Menschen, wenn ich mir die Frage erlauben darf«, wechselte Rethtulu das Thema. »Wir suchen ebenfalls Onkel Maglor«, sagte Elros. Dann holte er Luft und begann zu erzählen, was in den vergangen Jahren geschehen war. Rethtulu zeigte selten Gefühle, doch Ceomon kannte ihn gut genug, um zu erkennen, was in ihm vor sich ging. Auch er war erschüttert von Elros‘ Wahl und deren Folgen. Elrond schwieg, doch Ceomon bemerkte dennoch seine Anspannung und den untergründigen Ärger. Als Elros endete, schwieg Rethtulu. Ceomon sah es ihm dennoch an, wie sehr es in ihm arbeitete. »Ich bin froh, dass wenigstens wir uns wieder gefunden haben«, versuchte Ceomon die unangenehme Stille zu füllen. »Und du auch noch wohlbehalten, Rethtulu.« »Deine Familie wartet in Forlond auf dich«, fügte Elrond an. »Ihnen allen geht es gut. Deine Mutter hat uns bei jeder unserer Reisen aufgetragen, dich zu finden.« »Sie wird sicher überglücklich sein, wenn wir dich dieses Mal wieder mitbringen«, sagte Elros. »Ich schlage vor, dass wir diese Suche für‘s Erste beenden und zurückkehren.« Es war einer der seltenen Momente, in denen Rethtulu echte Gefühle zeigte. Tränen der Rührung standen in seinen Augen. Er war ein Elb, der seine Pflicht über alles stellte. Ceomon wusste, dass es ihm zu schaffen machte, wenn darunter seine Familie leiden musste. Die letzten Jahre mussten schwer für ihn gewesen sein, hin und her gerissen zwischen Familie und Pflicht. Einmal mehr war Ceomon froh, keine Familie mehr zu haben. In den nächsten Tagen beendete Elros alle Angelegenheiten, die er hier noch offen hatte, dann brachen sie auf in Richtung Forlond. Rethtulu erzählte, wie es seine Art war, nicht viel von dem, was er in den vergangenen zwei Jahrzehnten erlebt hatte, und wenn, dann wählte er nüchterne knappe Worte. Zwanzig Jahre hatte er in der Wildnis gelebt und unermüdlich nach Maglor gesucht. Ohne Ergebnis. Ceomon hatte schon das eine Jahr genügt, das er gebraucht hatte, um die Zwillinge zu finden. Obgleich es Rethtulu sicher nicht erwarten konnte, seine Familie wieder zu sehen, drängte er nicht. Ceomon sah zu, dass er seinem Freund zuliebe unauffällig das Tempo etwas höher hielt. Als sie Forlond schließlich erreichten, bestand Rethtulu darauf, sogleich seinen Dienst offiziell anzutreten. Elrond war zum Glück geistesgegenwärtig genug, es ihm zu untersagen. »Nichts da«, hielt er dagegen. »Ceomon kam die letzten Jahre auch allein zurecht. Du gehst jetzt zu deiner Familie, Ceomon kann dich hinbringen.« Rethtulu schien protestieren zu wollen, unterließ es jedoch. »Na los, mein Freund«, sagte Ceomon. »Lassen wir Nildawen nicht länger warten.« Rethtulu sah den Zwillingen skeptisch nach, wie sie zum mittlerweile errichteten Palast gingen. Dann blickte er zu Ceomon. »Was schaust du mich so vorwurfsvoll an!«, beschwerte sich dieser. »Du hast als Diener noch nie viel getaugt«, sagte Rethtulu. »Viel zu lasch und nicht gründlich genug. Ihre Gemächer sehen sicher furchtbar aus.« Ceomon stemmte die Hände in die Seiten und baute sich empört vor seinem Freund auf. »Du hast das Haus gesehen, alles blitzblank! Und jetzt komm. Nildawen frisst mich, wenn ich ihr nicht umgehend ihren Jüngsten bringe.« Sie begaben sich in Richtung des Hafens, wo Rethtulus Familie ihr Haus hatte. Er zeigte sich erstaunt, dass es nicht näher am Palast stand, und war besorgt, dass sie mit ihrer Familientradition, den Adelshäusern der Noldor zu dienen, gebrochen hatten. »Keine Sorge, sie sind natürlich bei Gil-galad angestellt«, beruhigte Ceomon ihn. »Da sind wir auch schon.« Da er merkte, wie sein Freund zögerte, betätigte er kurzerhand die Türklingel. Es dauerte nicht lang und die Tür wurde geöffnet. Rethtulus älteste Schwester Alcariën stand vor ihnen. Ihre Augen wurden größer und größer, als sie ihren Bruder sah, dann fiel sie ihm mit einem Freudenschrei um den Hals. Rethtulu wirkte überfordert. »Mein Brüderchen! Mein kleines Brüderchen ist wieder da!«, rief sie immer wieder und bedeckte sein Gesicht mit tausend Küssen. Sie zerrte ihn in das Haus und rief nach ihrer Familie. Gegenwärtig waren nur Rethtulus Eltern und seine Schwestern anwesend. Der Rest war im Dienst und in der Stadt. Ceomon folgte und beobachtete lächelnd das Wiedersehen der Familie. Er sah seinem Freund an, dass ihm die ganze Aufregung um ihn nicht sonderlich behagte, doch es tat ihm auch gut, endlich wieder bei seiner Familie zu sein. »Bruder, du bist Onkel geworden!«, berichtete ihm Alcariën begeistert. »Sendanen ist ein ganz wunderbarer Junge, du wirst ihn lieben!« »Onkel?«, wiederholte Rethtulu staunend. »Wie wunderbar!« Es war das erste Enkelkind Hilyalandurs und Nildawens, das diese auf der Welt begrüßen durften. Ceomon erinnerte sich gut der großen Freude, als Alcariën vor einigen Jahren einen gesunden Jungen zur Welt gebracht hatte. Er hoffte nur, dass dies nicht Rethtulus alten Schmerz aufriss; vor vielen, vielen Jahren war auch er verheiratet gewesen, doch seine Frau war mit ihrem ungeborenen Kind tragisch ums Leben gekommen. Mit Sendanen war der Schmerz der Familie über den Verlust vielleicht genommen. Nildawen weinte Freudentränen, als sie ihren jüngsten Sohn nach so vielen Jahren wieder in den Armen halten durfte. »Wo warst du nur all die Zeit?«, rief sie aus. »Ich hatte solche Angst, dass dir etwas zugestoßen sein könnte!« »Ich hatte Herrn Makalaure gesucht«, sagte Rethtulu trocken. »Und an uns hast du nicht gedacht?!«, schimpfte sie. »Es war Herr Maitimos Befehl!«, rechtfertigte er sich. Natürlich ließ sie es sich dennoch nicht nehmen, sogleich ein großes Festmal vorzubereiten. Sie verbot es jedoch Rethtulu, dabei zu helfen, und Ceomon sorgte dafür, dass sein Freund nicht die Gunst der Stunde nutzte, um zu verschwinden und nach den Zwillingen zu sehen. »Sie sind jetzt erwachsen«, erinnerte er Rethtulu. »Schon vergessen? Elrond ist jetzt sogar ein Fürst! Ich denke, dass sie da einen Tag ohne uns auskommen.« Rethtulu war eindeutig nicht überzeugt. Da zwei Jahrzehnte der Wildnis selbst an Rethtulu ihre Spuren hinterlassen hatten, ließ es sich Ceomon nicht nehmen, ihm ein Bad einzulassen, und erlaubte es sich, für sich selbst ebenfalls einen Zuber vorzubereiten. Während Nildawen in der Küche tobte, wuschen sie sich den Staub der Straße ab. »Sag einmal, Ceomon. Wissen die jungen Herren eigentlich, was mit deiner Familie ist?«, wollte Rethtulu wissen. Ceomon verschloss seine Gefühle hinter einer Maske der Gleichgültigkeit. »Nein.« Dankenswerterweise ließ Rethtulu das Thema fallen. Eine Weile schwiegen sie und entspannten sich im warmen Wasser. »Ich hörte, dass die Valar den Menschen eine Insel vorbereiten, als Lohn der Häuser der Edain für ihre Mühen im Kampf gegen Morgoth«, sagte Rethtulu irgendwann. »Und die Menschen, denen wir in dem Dorf begegnet sind, nennen Elros ihren Fürsten …« »Er wird mit ihnen gehen und sie als ihr König in sein Reich führen«, sagte Ceomon betrübt. »Für Elrond muss dies unfassbar hart sein«, schloss Rethtulu. »Du machst dir keine Vorstellungen!«, entgegnete Ceomon. »Sie streiten sich in letzter Zeit oft, was sie sonst früher nie gemacht haben. Aber sie werden darüber hinweg kommen. Sie konnten sich noch nie lange böse sein.« Dann jedoch stahl sich ein verwegenes Grinsen auf sein Gesicht und er lehnte sich auf den Rand seines Badezubers und zu Rethtulu hinüber. »Aber pass auf: Ich glaube, Elros ist verliebt!« Als Antwort hob Rethtulu nur eine Augenbraue. »Erinnerst du dich an die Schankmagd im Gasthaus, wo wir dich fanden?«, fuhr Ceomon fort. »Sie heißt Lómelinde und entstammt der Linie Hadors. Und Elros hat ganz offensichtlich ein Auge auf sie geworfen.« »Und Elrond?« »Ziert sich wie eh und je.« »Dann werden wir ihm beistehen müssen, wenn sein Bruder mit den Menschen geht und er sonst niemanden hat.« Ceomon seufzte. »Ich versuche hier, mit dir zu plaudern, und du denkst wieder nur an die Arbeit.« Dennoch hatte Rethtulu Recht. Der Abschied, der ihnen bevorstand, würde schwer werden für die Brüder. Ceomon schwor sich, sie durch all die schweren Zeiten zu begleiten, die ihnen noch bevorstanden, und für sie da zu sein. Maglor hätte es so gewollt. ++++++++++++++++++++ Autorennotiz ++++++++++++++++++++ Ich hatte schon sehr lange vor, etwas zu Ceo und Reth zu schreiben. Das habe ich jetzt spontan endlich in die Tat umgesetzt. Ich habe den Text vorerst auf beendet gestellt, da er für sich stehen kann. Aber ich habe vor, episodenartig weitere Kapitel hinzuzufügen. Ich weiß nur noch nicht, wie viele es werden, Ideen sind aber da. Eigentlich wäre das auch die perfekte Gelegenheit, um Ceo und Reth mal richtige elbische Namen zu geben und nicht dieses Pseudo-Gewurschtel. Aber es sind Ceo und Reth, ich konnte einfach nicht! T.T ******************** Am 2.6.2020 um 14:58 von Elenyafinwe auf StoryHub veröffentlicht (http://sthu.de/s=L3%C3%A4M4) ********************