******************** Entgegen aller Prinzipien von Sephigruen ******************** ++++++++++++++++++++ Kurzbeschreibung ++++++++++++++++++++ Obwohl Sara lieber durch die Welt zieht, treibt es sie doch wieder und wieder zurück nach Hogwarts. Doch selbst da steht die Zeit nicht vollends still, wie sie feststellen muss. -------------------- 1. Kapitel: Gerade er -------------------- [Sommer 1979]   Mit einem Glas Elfenwein saß Sara an einem der Tische und schaute Lily und James zu, die die Tanzfläche ganz für sich allein hatten. Sie saß allein, weil sie kaum einen der Hochzeitsgäste kannte, aber im Moment war ihr das ganz recht. Wie sie Lily beobachtete, die mit glücklichem Gesicht in ihrem weißen Kleid beinah über das Parkett schwebte, hatte sie Mühe, gewisse Gedanken zu verdrängen. Es war ein herrlicher Tag, aber immer wieder sah sie den Kürbissaft, der sich mit Blut vermischte, diesen kalten Blick in seinen Augen. Gerade er. Dabei wollte sie heute doch nicht an solche Dinge denken.   Gerade war ihr Glas leer, als die Tanzfläche sich mit weiteren Paaren füllte, Lily mit James’ Vater tanzte und James mit Lilys Mutter. Sie rechnete damit, dass Sirius sie nun ebenfalls zum Tanz auffordern würde, und musste nicht lang darauf warten. Er kam im Slalom um die Tische zu ihr und nahm ihre Hand, zog sie sanft auf die Beine. „Ein Tanz, die Dame?“   Sie lächelte und überlegte, ob sie zusagen sollte. Die Mühe mit dem Kleid wollte sie sich nicht umsonst gemacht haben. Tabitha hatte ihr geholfen und auch, wenn sie beide nicht sonderlich begabt in solchen Dingen waren, war es ganz hübsch geworden. Es würde wohl auch nicht auffallen, wenn sie keine allzu gute Figur machte, so lang sie nicht allein mit ihm war. „Aber gern doch“, sagte sie also und ließ ihn vorausgehen.     Bald merkte sie, dass sie glücklicherweise nicht viel tun brauchte. Stattdessen konnte sie sich einfach über die Berührung seiner warmen Hände freuen, über seine Anwesenheit und darüber, dass sie hier war und er sie eingeladen hatte. Für einen Moment vergaß sie all ihre damit zusammenhängenden Sorgen.   „Wie läuft die Schule?“   „Es ist ruhiger geworden, seit ihr nicht mehr da seid“, antwortete sie lächelnd. „Und auf einer Seite ist das gut, denn die Lernerei für die Prüfungen lässt einen nicht einmal in den Ferien los.“   Er lachte. „Ich mach mir da gar keine Sorgen um dich“, sagte er und küsste ihren Scheitel. Es ließ sie erröten. „Hast du schon erledigt, worum wir dich gebeten hatten?“   „Nein, aber ich hab schon einen Plan.“ Sie wollte das zeitnah zu ihren Prüfungen machen, wenn Filch ihr danach nicht mehr allzu viel konnte, weil es ohnehin eher eine Lappalie sein würde. Professor Slughorn war sehr kulant, was das anging, und würde sie sicher nicht unnötig in Schwierigkeiten bringen wollen.   „Ich bin stolz auf dich.“ Das alte, schelmische Grinsen kehrte zurück in sein Gesicht. Sie hatte es beinah vermisst. „Was hast du nach der Schule so vor? Folgst du deinem Vater zum Ministerium?“   „Niemals!“, antwortete sie etwas zu laut, die Leute schauten zu ihr hinüber. „Die ersten Monate sitzt man nur im Büro, das halte ich nicht aus.“ Beinah hätte sie darauf hingewiesen, dass sie ihrem Vater nirgendwohin mehr folgen würde, aber das tat heute nichts zur Sache. Nachdem er ihr gestanden hatte, dass er von zuhause abgehauen und zu James gezogen war, weil er so sehr mit seiner Familie im Streit lag, hatte sie ihm alles erzählt, dass es ihr ganz ähnlich ging. Aber darauf wollte sie das Gespräch jetzt nicht bringen. Auf keinen Fall an diesem Abend, der einfach zu schön war, um ihn mit solchen Worten zu trüben. „Nein, eigentlich wollte ich es machen wie Tabitha, durchs Land reisen, quer durch Europa, vielleicht sogar darüber hinaus.“   Das Grinsen fror in seinem Gesicht ein. „Dann sehen wir uns wohl nicht mehr so oft.“   „Ach, was.“ Sie lächelte ihn aufmunternd an. „Ich werde mir eine Eule kaufen und dir Briefe bis zum Abwinken schreiben. Hin und wieder bin ich auch in Finnland, da kannst du mich besuchen. Oder ich kauf mir ein Haus. Mann, ist ja nicht so, als würde ich untertauchen.“   Es schien ihm zu helfen. „Ja, das sieht dir ähnlich.“     Wie sie den Blick durch die Menge schweifen ließ, fiel ihr auf, dass sie den ganzen Tag lang schon jemanden vermisste. „Sag mal, weißt du, wo Remus ist?“   Sirius wich ihrem Blick aus. „Also… Es geht ihm heute einfach nicht sonderlich gut, aber mach dir keine Gedanken.“   Das sagte er so leicht, aber wenn es so schlimm war, dass er nicht einmal herkommen konnte, zur Hochzeit eines seiner besten Freunde, dann musste es ernst sein. In diesem Fall machte sie sich natürlich Gedanken.   Wahrscheinlich sah man ihr diese Sorgen im Gesicht an, denn nun lächelte Sirius aufmunternd. „Äh… er hat nur ein… pelziges Problem… Er wird schon wieder!“, fügte er hastig an und biss sich auf die Lippe.   Sara kam ein schrecklicher Gedanke. „Ist was mit Schlitzohr?“ Sie hatte ihm zum letzten Geburtstag einen Kniesel geschenkt. Maggies Eltern hatten ihnen geholfen, die Lizenz zu bekommen. An ihren Vater hatte sie sich nicht wenden wollen, der hätte sie mit Sicherheit abgewiesen.   Sirius machte große Augen und lachte dann. „Ach, nein, der ist in Ordnung. Du und deine Gedanken wieder. Ich glaube nicht, dass ich mit dir darüber reden sollte, ohne dass er es weiß.“   „Da hast du recht…“, murmelte sie und überlegte sich schon, wann sie Remus wohl besuchen konnte, um ihn selbst zu fragen. „Ich hab mich wirklich sehr über deine Einladung gefreut.“   „Besser als jedes Date in den Drei Besen, was? Und mir ist niemand eingefallen, mit dem ich lieber hergekommen wäre.“   Sara hätte gern erwidert, dass es auch niemanden gab, mit dem sie diesen Abend lieber verbracht hätte, aber das wäre eine Lüge gewesen. Es war schon gut, dass sie mit Sirius hier war. Also lächelte sie einfach und sie genossen schweigend den Rest des Stücks.     Das Lied war vorbei und sie blieben stehen, hielten sich an den Händen. Bevor Sara jedoch noch ein weiteres Wort mit Sirius wechseln konnte, stand Peter neben ihr und lächelte sie schüchtern an.   „Würdest… Würdest du vielleicht…“ Wie so oft kam es ihm einfach nicht über die Lippen, also ergriff Sara die Initiative und warf Sirius ein Lächeln zu, bevor sie sich bei Peter einhakte.  „Gern doch“, sagte sie und machte sich gleichzeitig darauf gefasst, dass es diesmal nicht so einfach werden würde.   Ihre Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Es war überaus seltsam, mit Peter zu tanzen, er war nicht viel besser mit dem Tanzen vertraut als sie selbst. Das ganze Stück über waren sie beide sehr steif, und die ganze Zeit über starrte er nur auf seine Füße, was dazu führte, dass sie immer wieder mit anderen Leuten zusammenstießen. Fortwährend murmelten beide Entschuldigungen und so blieb keine Gelegenheit für ein Gespräch. Die ganze Zeit über konnte er ihr nicht in die Augen schauen, und so sehr sie sich doch über diesen Tanz freuen wollte, es war nicht einfach.     Nach diesen zwei Tänzen taten die Füße ihr so weh, dass sie erst einmal eine Pause brauchte. Hoffentlich kam James nicht auf die Idee, nun auch noch mit ihr tanzen zu wollen. Später vielleicht. Bei ihm war sie aber nicht sicher, ob sie zusagen würde, auch wenn er der Bräutigam war. Lily vielleicht, ja.   Mit Peter zusammen saß sie am Tisch drehte ihr neues Glas Wein zwischen den Fingern. Er hatte sich so leise bedankt, dass sie ihn kaum verstanden hatte, und nun hockte er ihr nur gegenüber und starrte zur Tanzfläche. Aus diesem Jungen wurde sie einfach nicht schlau.   Auf der Suche nach einem Gesprächsthema, weil sie sich nicht die ganze Zeit nur mit ihm anschweigen wollte, starrte sie das Blütenmuster der Tischdecke an, bis es begann, seltsame Formen zu bilden.     Es war Sirius, der sie rettete, indem er sich auf den Stuhl neben sie fallen ließ, in einer Position, als wollte er sofort wieder aufstehen. „Ich brauch ein wenig frische Luft“, sagte er und wedelte mit dem Aufschlag seines Anzugs. „Wie sieht’s aus, kommst du mit auf einen kleinen Spaziergang?“   „Zu gern.“ Sara trank ihr Glas Wein in einem Zug leer und schon im nächsten Moment stellte sich heraus, dass das eine dumme Idee gewesen war, ihr wurde ganz warm. Noch ein Grund, nach draußen zu gehen. „Bis nachher, Peter.“   Sie tätschelte seine Schulter, als sie mit Sirius an der Hand an ihm vorbei ging, und der Blick, mit dem er ihr nachsah, das gequälte Lächeln, ließen sie ahnen, dass da mal wieder etwas war, das ihm nicht über die Lippen kam.   Nach draußen zu kommen, war nicht so hilfreich, wie sie erwartet hatte. Es war Sommer und trotz der Dämmerung warm, und es wehte sanfter Wind. Ihr wurde ein bisschen schwummrig, gerade so viel, dass es irgendwie angenehm war.   Sirius legte einen Arm um ihre Schultern und sie gingen über den Kiesweg durch den Park, an den der Saal grenzte, in dem die Feier stattfand. Er führte um einen großen Teich herum, in dem noch vereinzelte Enten schwammen. Über dem Wasser schwirrten Leuchtkäfer.   „Ihr zieht euer Widerstandsding durch, ja?“, fragte Sara in Ermangelung eines besseren Gesprächsthemas. Ihr wollte beim besten Willen keines einfallen, aber die Stille gefiel ihr in diesem Moment ebenfalls nicht. Aber ihr war klar, dass es kein gutes Thema war.   Sirius nickte und lächelte mild. „Wie du sicher verstehst, hat besonders Lily großes Interesse daran. Aber lass uns heute nicht über so was reden. Was anderes. Ich würde gern ein paar Tage bei dir verbringen.“   Sara senkte den Blick. „Ich bin in Finnland“, sagte sie. „Die letzten beiden Ferienwochen habe ich das Haus für mich allein. Also, da kannst du mir gern Gesellschaft leisten.“ So sehr sich auch alle bemüht hatten, wieder Frieden in das Haus in Downe einkehren zu lassen, aber alle Bemühungen waren gescheitert. Ihr Vater war nicht bereit, von seiner Einstellung abzurücken, und sie selbstverständlich auch nicht, nachdem er ihr noch viel schlimmere Dinge an den Kopf geworfen hatte. Dinge, die sie wohl auch von Maggie zu hören bekommen hätte, hätte sie der von dem nunmehr echten Mal auf dem Unterarm erzählt. Nach allem, was vorgefallen war, konnte sie nun unmöglich Besuch von einem Black bekommen, wie sehr er seine Familie auch hassen mochte.   Er musste es aus ihrem Blick gelesen haben, welche Gedanken sie sich in diesem Moment machte, denn er blieb stehen und hielt sie an den Schultern fest, beugte sich zu ihr hinunter und sah aus, als wollte er etwas sagen. Etwas, das Sara nicht gefallen würde.     Sie hielt ihm mit dem Zeigefinger den Mund zu. „Sag es bitte nicht“, flüsterte sie. „Lass uns heute Abend bitte nicht von so was reden.“ Sie lächelte, so glücklich wie sie konnte, aber es war unwahrscheinlich, dass es überzeugend war.   „Schon gut.“ Er lächelte ebenfalls. „Wie sieht es aus, bist du mal wieder in den Wald gekommen?“   Sie musste kichern. „Nein, leider nicht. Aber Hagrid hat mir versprochen, mich noch einmal mitzunehmen, kurz vor den Prüfungen, wie vor den OWLs. Und wenn ich dann fertig bin, kann ich ihn besuchen und ganz allein gehen.“   Sirius bedachte sie mit einem schelmischen Grinsen. „Vielleicht solltest du Kesselbrand ablösen, dann ist das dein Job. Das würde doch perfekt zu dir passen, oder nicht?“   Es brachte sie zum Lachen. „Ich und Lehrerin? Bist du verrückt? Vielleicht kann ich eure Aufsätze kontrollieren, aber keinen Kindern was beibringen, die sich am Ende nicht mal dafür interessieren. Das wird auch gar nichts, ich will ja die Welt sehen, da kann ich nicht auch noch den Rest meines Lebens an dieser Schule verbringen.“   „Warum wusste ich, dass du das sagen würdest?“ Er legte die Arme um sie und drückte sie sanft an sich. „Was ist eigentlich mit Peter?“, fragte er und seine Stimme hatte sich verändert.   Im ersten Moment wusste sie nicht, was er meinte. Dann fragte sie sich, warum er sich nicht direkt an Peter wandte, bevor es ihr endlich einfiel. „Ich hab Peter sehr gern“, antwortete sie leise. „Aber wir…“ Es war wirklich sehr seltsam mit Peter, manchmal schien er ihr regelrecht aus dem Weg zu gehen, und konnte ihr niemals in die Augen schauen. Da war gar kein Wir. „Er bekommt es einfach nicht über die Lippen. So vieles.“   „Und wenn ich es über die Lippen bringe?“, fragte er und trat einen Schritt zurück, sah ihr in die Augen. Der Ausdruck in seinem Gesicht machte ihr auf gewisse Art und Weise Angst, sie wusste nicht, was sie von den Gedanken dahinter halten sollte. Meinte er dieses Angebot ernst? Das sah ihm ähnlich, aber wie sollte sie jetzt darauf reagieren?     In diesem Moment hielt sie es für keine gute Idee. So, wie die Dinge standen, unter den Umständen, unter denen sie hier war. Unter denen sie die Einladung erhalten hatte. „Sirius… Willst du wirklich alles noch komplizierter machen, als…“ Sie kam nicht dazu, ihren Satz zu beenden, denn er küsste sie. Im ersten Moment war sie nur überrascht und nichts sonst, dann breitete sich ein warmes Gefühl in ihrem Körper aus, das nicht mehr mit dem Wein zu erklären war. Sie schloss die Augen und schon im nächsten Moment hatte sie ein schlechtes Gewissen. Wie und wann sollte sie das alles erklären? Warum hatte sie überhaupt das Gefühl, sich ihm gegenüber rechtfertigen zu müssen?   „Möchtest du heute bei mir bleiben?“, fragte er, als er sich von ihr gelöst hatte.   Sie nickte und betrachtete seine Hand, die in ihrer lag. Wann hatte sie seine Hand genommen? Warum war ihr erster Gedanke, dass das eine Katastrophe war? Gerade er. Aber sie durfte doch wohl tun, was sie wollte.   Er musste ihr all diese Gedanken ansehen. „Nach wie vor ganz sein Schoßhund?“, fragte er und lächelte fast ein bisschen traurig. „Aber egal.“ Er legte einen Arm um ihre Schultern und sie gingen weiter, langsam. „Die Feen im Saal sind von dir, nicht?“ Es klang nach einem Kompliment, und sofort hatte er Sara damit auf andere Gedanken gebracht.   „Jaah“, sagte sie lang gezogen. Lily und sie hatten ihre liebe Mühe damit gehabt, sie für die Muggelgäste alle wie Lampions aussehen zu lassen. „Aber das ist nicht alles. Hab ihnen auch ein Fläschchen Felix felicis mitgebracht.“   Sirius lächelte und selbst sie erkannte, dass er sich gerade einen Kommentar darüber verkniff, dass sie den ganz bestimmt nicht allein gebraut hatte. Sie war froh darüber, dass er nichts sagte. Es war schwer genug gewesen, Severus dazu zu bringen, ihr dabei zu helfen, aber es war ihr einfach als das ideale Geschenk erschienen. Aber das war noch ein Grund mehr, dass sie sich darüber ärgerte, ihren gemeinsamen Prinzipien nicht ganz treu geblieben zu sein. Gerade er. -------------------- 2. Kapitel: Auffällig unauffällig -------------------- [Sommer 1980]   Es war heiß in Hagrids Hütte, obwohl er alle Fenster geöffnet hatte, um die kühle Luft aus dem Wald einzulassen. Aber vielleicht lag es auch bloß an der Aufregung, die Sara gepackt hatte, nachdem der Tag der Durchführung endlich gekommen war. Die Prüfungen standen unmittelbar bevor, beim letzten Hogsmeadebesuch ihres Schullebens hatte sie sich alles besorgt, was sie brauchte. Es hatte sich eine gewisse Wehmut eingestellt, als sie mit Maggie in den Drei Besen gesessen hatte und sie sich zwischen Lernstoff und Butterbier darüber unterhalten hatten, dass diese Phase ihres Lebens, die so voller schöner und schrecklicher Momente gewesen war, bald vorbei sein würde.   Sie hatten beide schon ihre Pläne, Maggie wollte ins Ministerium, Aurorin werden und sich am liebsten auch zum Animagus ausbilden lassen. In dieser Hinsicht machte Sara sich wenig Sorgen und war ganz zuversichtlich.   Und auch wenn Sara immer unterwegs sein wollte, wollten die Mädchen sich doch so oft wie möglich sehen und natürlich in jeder freien Minute schreiben. Genauso wie sie Hagrid weiterhin schreiben würde, der auch immer wieder Geschichten aus dem Wald zu berichten hatte.     Nun saß sie hier, knabberte an einem Keks so groß wie ihre Hand und wagte einen allerletzten Versuch, wie um zu zeigen, dass sie nie aufgegeben hatte und dass doch alles beim Alten war. „Zauberstabholz, hm?“, fragte sie und grinste schief. „Brauchst du da vielleicht Hilfe?“   Hagrid war gerade dabei, ihr Tee nachzuschenken, und blickte sie jetzt unter seinen dichten Augenbrauen hervor an. „Nee, denke nicht. Mach mir aber auch Sorgen um deine Augen, die wirst du doch brauchen für Zauberkunst. Nicht dass du falsch zielst und plötzlich den Prüfer schweben lässt oder so.“   Natürlich hatte sie nicht mehr ernsthaft mit einer Zusage gerechnet, und er hatte ihr ja so oder so versprochen, sie demnächst wieder einmal mitzunehmen, aber der Vollständigkeit halber seufzte sie trotzdem enttäuscht. „Du hast doch sicher nichts gegen Besuch einzuwenden, oder? Später, wenn ich mal wieder Lust habe, herzukommen.“   Seine Miene hellte sich auf und vor lauter Freude bemerkte er nicht, dass seine Tasse schon voll war, setzte den Unterteller unter Wasser. „Wäre mir ne Freude, dich immer mal wieder hier zu haben. Also nur keine falsche Scheu. Kannst auch hier übernachten, wenn Fangs Schnarchen dich nicht stört.“   Wie zur Demonstration lächelte Sara breit und rutschte etwas tiefer in ihren Sessel, in dem sie sicher auch bequem schlafen konnte, kraulte Fang hinter den Ohren, dessen Kopf auf ihrem Schoß lag.   Nachdem sie Hagrid noch ein bisschen darüber erzählt hatte, warum sie sich gar keine Sorgen um den Verlauf ihrer Zaubertrankprüfung machte, fand sie, dass es Zeit war, den Plan in Angriff zu nehmen. Also verabschiedete sie sich und schlenderte über die Wiese, zum Schloss, betrachtete all die Türme und Fenster. Dieses Schloss war ihr zu einem zweiten Zuhause geworden, und vor allem in den letzten Jahren zu einem lieberen als ihr echtes.   In der Eingangshalle fand sie Maggie, die mit ein paar Fünftklässlern und Cecilia vor der Großen Halle stand und auf sie zukam, als sie Sara entdeckte. „Da bist du ja wieder“, sagte sie breit grinsend und hakte sich bei ihr ein. „Wie war’s?“   „Schön wie immer. Auch wenn heißer Tee in der Hitze nicht so angenehm ist.“ Sie ging die Treppe nach oben und prüfte ihre Taschen, ob sie auch alles dabei hatte. Die Karte, natürlich geschlossen und im Moment nur ein leeres Stück Pergament, und zwei Dutzend Stinkbomben, die sie bei Zonkos gekauft hatte. Auf Maggies fragende Blicke hin hatte sie nur gegrinst. Die wollte sie da nicht mit hineinziehen. Allerdings entdeckte sie auch noch einen Brief von Sirius, den sie am Morgen bekommen hatte. Den sollte Filch am besten nicht finden, auch wenn er nichts mit der Karte zu tun hatte, wäre es ihr mehr als unangenehm.   „Das glaub ich gern. Jedenfalls hab ich grad mit Melinda darüber gesprochen, dass sie um keinen Preis Clarice zu meiner Nachfolgerin in der Mannschaft machen soll, weißt du, das Mädchen ist einfach nur nervig.“ Zum Ende hin war sie immer leiser geworden und so nah zu Saras Ohr gekommen, dass sie sich beinah berührten.   Sara wollte sagen, dass es Maggie doch egal sein konnte, weil die dann doch gar nicht mehr auf der Schule war, aber sie ließ es, weil Maggie das auch selbst wusste. Das war wieder so eine Sache, hinter der sie den Gedanken nicht verstand, also kümmerte sie sich nicht weiter darum und nickte bloß, weil sie auch fand, dieses Mädchen aus der vierten einem ganz schön auf die Nerven gehen konnte. Manchmal klebte diese Clarice förmlich an Maggie, bat sie jeden Monat um ein neues Autogramm hätte Sara einmal tatsächlich beinah eine Treppe hinunter gestoßen, weil die sich gerade mit Maggie unterhalten hatte und sich nicht hatte unterbrechen lassen.     „Sag, mal, wo gehen wir eigentlich hin?“, fragte Maggie und runzelte die Stirn. Offenbar hatte sie ziemlich spät mitbekommen, dass sie nicht auf dem Weg in die Kerker oder zur Bibliothek waren, sondern Sara ein ganz anderes Ziel hatte.   „Nach sieben Jahren solltest du die Schule doch ein bisschen kennen“, neckte Sara sie und lächelte.   Maggie schaute sie tadelnd an. Das war auch ihr gutes Recht, denn schließlich war es Sara gewesen, die sich vor allem am Anfang immer wieder verlaufen hatte, während sie selbst anscheinend immer gewusst hatte, wo sie waren und wohin es ging. „Ja, mir ist schon klar, wohin wir gehen, aber was willst du beim Gryffindorturm?“   „Ich möchte, dass du den hier nimmst und zu den anderen packst.“ Sara gab ihr den Brief von Sirius und ignorierte, dass ihre Freundin die Lippen spitzte. Für solche Kindereien hatte sie im Moment keinen Sinn, vorerst standen andere an.   „Sieh an, der gute Kerl kann sogar einmal ordentlich schreiben. Das hat er ja sonst nur in den Aufsätzen zustande gebracht, die du ihm kontrollieren solltest“, säuselte Maggie mit praktisch vor Provokation triefender Stimme und grinste. „Liebste Sara“, las sie schmachtend vor, „das ist für eine Weile mein letzter Brief an dich, weil ich für eine Weile verhindert sein werde. Aber ich hoffe doch, dass wir uns im Sommer noch einmal für eine Weile sehen, bevor du… – große Worte waren noch nie seins, was?“   Sara faltete den Brief zusammen und klemmte Maggies Finger zwischen dem Papier und ihren ein. „Wenn du ihn unbedingt lesen willst, dann bitte leise. Und bitte, warte heute im Gemeinschaftsraum auf mich, aber es könnte ein bisschen später werden. Zum Abendessen werd ich gar nicht da sein, schätz ich.“   „Jetzt machst du mich aber echt neugierig.“ Maggie steckte den Brief zusammengefaltet in die Tasche ihres Umhangs. „Was hast du vor, sag schon?“   „Weißt du … ich finde einfach, dass es in der Schule zu ruhig ist, seit die Jungs weg sind.“   Maggie hob die Brauen. „Du bist unmöglich. Also geh ich mal davon aus, dass ich wirklich schnell von hier weg will und den Flur in den nächsten Tagen auch besser nicht betrete.“ Sie umarmte Sara flüchtig. „Bis heute Abend also. Und lass dich nicht von der Mieze fressen.“ Sie rannte und war bald hinter einer Ecke verschwunden.   Sara ging noch ein Stück weiter, setzte sich mit ihrem Tränkebuch und der Karte auf ein Fensterbrett und tat so, als würde sie sich Notizen machen, während sie in Wirklichkeit wartete, bis Filch in die Nähe kam.     Es dauerte nicht lang und passender Weise schienen sich im selben Moment auch einige Sechstklässler aus Gryffindor auf dem Weg zum Abendessen zu machen. Schnell schloss Sara die Karte und steckte sie weg, holte stattdessen den Zauberstab und eine Handvoll Stinkbomben hervor.   Den Blick zur Decke gerichtet, ging sie den Flur entlang und wartete darauf, dass er sich für einen Moment etwas leerte, dann ließ sie eine nach der anderen dicht unter der Decke schweben, alle in einer gezackten Linie. Vier hob sie sich für die Stelle auf, an der Filch bald auftauchen würde.   Zuerst kam jedoch die Gruppe Gryffindors und Sara steckte sich gemächlich den Zauberstab in den Umhang, ließ ein ganzes Stück aus der Tasche hervorragen. Sie stellte sich an eines der hohen Fenster und warf einen Blick über das Gelände hinüber zum Wald und den See. Sie würde den Jarvey vermissen, und Fawkes und die seltenen Besuche bei Aragog, ja, sogar die. Aber im Gegenzug würde sie viel mehr kennen lernen, sie würde irgendwann einmal das Drachenreservat in Rumänien besuchen, wenn sie sich bereit fühlte.   Als sie sich umsah, erblickte sie Mrs Norris, die sie mit wissenden lampenhellen Augen anstarrte. Auf die Katze konnte man sich verlassen, die roch jeden Streich über ein Stockwerk hinweg, auch wenn er noch in der Planung war. Gewöhnlich hatte Sara sich alle Mühe gegeben, sie mit Leckerlis und lieben Worten von den Jungs abzulenken, aber heute hatte sie das nicht nötig.     Ein Weihnachtslied vor sich hin pfeifend, einfach weil das so herrlich unpassend und verdächtig war, schlenderte sie durch den Flur, an den Gryffindors vorbei und wartete darauf, dass auch der Hausmeister kam.   Freilich war er bald da, denn wo das Kätzchen auftauchte, ließ er nicht lange auf sich warten, und schöpfte dank jahrelanger Erfahrung auch sofort Verdacht. Sara lächelte darüber, dass ihr Plan bis an diese Stelle wunderbar funktionierte, und ging an ihm vorbei, die Katze auf den Fersen, die sie anmaunzte.   An der Ecke blieb sie stehen und grinste Filch an, der an seinem Platz stehen geblieben war und sich nur mitgedreht hatte, während sie gelaufen war. Er hatte die Frage auf den Lippen, was sie hier oben trieb, aber er stellte sie nicht. Das fand Sara ein bisschen schade, sie hätte gern etwas geantwortet wie Die Luft in den Kerkern ist immer so muffig und hier ist sie noch so frisch, auch wenn das nicht besonders gut war. Es zählte nur das Ergebnis.   Aus ihrer Tasche holte sie ein paar Leckerlis für Mrs Norris und nahm den Zauberstab heraus, damit sie besser herankam. Während sie die fischförmigen Stückchen auf dem Boden verteilte, weil diese Katze ihr niemals aus der Hand fressen würde, hörte sie Schritte hinter sich. Mehr Gryffindors, die sich wahrscheinlich gerade fertig zum Essen machen wollten. Wundervoll.   Noch immer den Zauberstab in der Hand richtete sie sich also auf, ebenfalls noch immer beobachtet vom Hausmeister. Lächelnd schaute sie an die Decke über ihm und sein Blick folgte ihrem, wurde gefangen von weiteren Bomben, die hoch oben schwebten. Noch.   Er drehte sich wieder um und machte einen Schritt auf sie zu. „Das wagst du nicht“, fing er an, aber da löste sie schon ungesagt den Schwebezauber und nacheinander fielen die Stinkbomben zu Boden, zuerst dort, wo Filch stand, der von einer grünlichen Wolke eingehüllt wurde, und schließlich auch bei den Gryffindors, die fluchten und husteten, bis der ganze Gang eingenebelt war.   Lachend floh Sara den Gang hinunter vor der Wolke, verfolgt von Mrs Norris, die sie entweder jagte oder ebenfalls dem Gestank zu entkommen suchte. An der Treppe blieben sie stehen und Sara riet einigen Schülern, die gerade heraufkamen, dass sie besser noch eine Zeit lang unten bleiben sollten.   „Und du besitzt auch noch die Frechheit … Lass dieses blöde Grinsen … die ganzen Jahre getan wie ein nettes Mädchen, aber ich hab es ja gewusst …“, wetterte Filch schließlich in seinem Büro, in das sie ihm anstandslos gefolgt war, immer wieder unterbrochen von Hustenanfällen. „Na, warte, die Prüfungen kannst du dir abschminken.“   „Na, na“, lenkte Professor Slughorn ein, der mit einem Taschentuch vor dem Mund in der Tür stehen geblieben war. „Ich denke nicht, dass Miss Crowfield wegen dieser Lappalie gleich von den Prüfungen ausgeschlossen werden muss. Ich verspreche mir so viel von ihr und auch wenn ich nun etwas enttäuscht bin, halte ich diesen Vorfall doch für harmlos genug, um es bei einer kleinen Strafarbeit heute Abend in meinem Büro gut sein lassen zu können.“   „Harmlos?“, rief Filch aufgebracht und breitete die Arme aus. Sara schlug eine Welle stinkender Luft ins Gesicht und sie musste sich sowohl das Würgen als auch das Kichern schwer verkneifen.   Mehr wagte der Hausmeister sich allerdings nicht, nur noch einen Schlag auf den Tisch und einen gemurmelten Fluch, den Slughorn nicht hörte.   „Nun, ich empfehle mich, seien Sie bitte um acht bei mir, Miss Crowfield.“     „Aber natürlich, Sir.“ Sara nickte ihm zum Abschied und er verschwand aus dem Büro und machte sich aller Wahrscheinlichkeit nach wieder auf dem Weg zu seinem Abendessen, bei dem er unterbrochen worden war.   „Du findest das natürlich sehr lustig“, herrschte Filch sie an. „Taschen leeren!“   Ganz ohne Eile holte Sara ihr Tränkebuch aus der Tasche und ließ zu, dass Filch es durchblätterte. Zum Vorschein kamen außerdem einige Federn, Eulenkekse, Katzenleckerlis, Fellbüschel einer toten Ratte – das letzte Geschenk des Jarveys – und eine letzte Stinkbombe, die Sara als Beweis mit sich geführt hatte für den Fall, dass Filch nicht in der Nähe gewesen wäre. Erst bei der Karte zögerte sie, denn die sollte er ja für besonders wichtig halten. Sie legte das Pergament auf den Tisch, nahm ihre Hand aber nicht weg, als wollte sie nicht, dass er es genauer ansah.   „Was ist das denn?“, fragte er und tippte mit dem Finger darauf, natürlich sofort misstrauisch geworden. Alles lief perfekt nach Plan.   „Äh, das … Also …“, stammelte Sara mit zitternder Stimme. „Das, das ist nur … nur ein Pergament, Sir, wirklich, daran ist gar nichts Besonderes.“ Sie wich seinem Blick aus und ließ ihren durch den Raum huschen, über die Regale mit Karteikarten, auf denen all die Schülervergehen langer Jahre erfasst waren, auf einer von diesen würde sie auch gleich landen.   „Natürlich, so hörst du dich schon an.“ Er entriss ihr das Pergament und sie gab nach, weil sie nicht riskieren wollte, dass es einriss.     In den letzten zwei Jahren hatte sie die Karte gehütet wie einen Schatz, sie nicht oft verwendet, aber immer mal geöffnet, einfach nur, um ihre Namen zu lesen. Freilich bekam sie Briefe von allen, manchmal sogar von Peter, beinah täglich von Sirius, aber mit diesem Pergament schien sie ihnen immer näher gewesen zu sein. Das war vollkommener Schwachsinn und das wusste sie selbst, aber vor allem nach der Hochzeit hatte dieser Gedanke etwas Schönes gehabt. Doch sobald sie von der Schule gegangen war, hatte sie auch keinen Nutzen mehr daran, also war es schon gut, dass sie nun in die Hände von irgendjemandem gehen würde, der etwas damit anzufangen wusste.   James Potter hatte sie zusätzlich darum gebeten, unter den Tunichtguten unter den Schülern gerüchteweise zu verbreiten, dass es etwas wie die Karte gab und wie man sie benutzte, sodass sicher gestellt war, dass dieses Wissen nicht ganz verschwand. Das hatte dazu geführt, dass man immer mal wieder Schüler sah, die ihren Pergamenten zumurmelten um ihnen Geheimnisse zu entlocken.   „Sir, bitte, so glauben Sie mir doch, das ist nur ein ganz einfaches Pergament, nichts Verzaubertes oder so“, flehte sie, als er es entfaltete und nichts darauf entdeckte.   Er grinste sie an und da wusste sie, dass ihr Plan vollendet war. „Ich glaube dir nicht, aber wenn es nur ein einfaches Pergament ist, brauchst du es doch sicher nicht mehr, kannst dir ja von überall neues besorgen.“ Langsam zog er einen großen Karton aus einem Regal und legte sie hinein, wie damit sie mit ansehen musste, wie ihr wertvolles Stück aus ihrer Reichweite verschwand.   Das kam ihr gelegen, und ergeben ließ sie die Hände in den Schoß sinken und seufzte. „Es tut mir leid, Sir, aber ich wollte doch nur, dass man sich an diese letzte Aktion von mir erinnert, bevor ich die Schule bald verlasse“, erklärte sie leise und nur der Vollständigkeit halber, während er ihre Karteikarte ausfüllte. In Gedanken fügte sie allerlei an und musste sich einmal mehr verkneifen, loszukichern.     Er entließ sie und sie beeilte sich, aus seinem Büro fort zu kommen, das mittlerweile ebenso streng roch wie er selbst. Endlich lachen könnend machte sie sich auf den Weg in Slughorns Büro und konnte es schon kaum erwarten, Maggie davon zu berichten, formulierte in Gedanken schon Briefe an die Jungs. Überlegte sich, wie viel davon sie Severus erzählen wollte. -------------------- 3. Kapitel: Zweifellos -------------------- [September 1980]   „Unterstell mir nicht, ich hätte gezweifelt.“ Er drückte ihr eine Phiole mit milchig grüner Flüssigkeit in die Hand und ging dann weiter an der Regalreihe entlang, sich immer bewusst, dass sie ihm treu auf dem Fuße folgte.   Für sie war das ein Lob, das sie aus seinem Mund viel höher wertete als das irgendjemand anderen. „Aber nein, ich würde dir niemals etwas unterstellen.“ Während sie neben ihm stehen blieb, ließ sie den Blick durch die aufgereihten Zutaten schweifen und überlegte, ob sie im Moment etwas davon brauchen konnte. Bevor sie abreiste, wollte sie sich einen kleinen Vorrat an nützlichen Tränken auffüllen. „Und ich weiß auch, dass wir niemals zweifeln“, fügte sie an, leiser.   Er antwortete nicht, und damit war sie zufrieden, denn es hieß auch keine Erwiderung. Grinsend nahm sie sich eine Schachtel Hühnerknochen aus dem Regal. „Aber es wäre wohl nicht so gut gelaufen, hätte Hagrid mich nicht wieder mit in den Wald genommen, ich glaube, das bringt Glück. Und willst du wissen, wen ich diesmal kennen gelernt hab?“     Anstatt zu antworten, packte er ihr Handgelenk und führte sie zwischen Regalen und Aufstellern in Richtung einer Treppe ins Untergeschoss. An seiner mangelnden Reaktion konnte sie natürlich erkennen, dass es ihn keineswegs interessierte.   Aber davon ließ sie sich nicht abhalten, denn hätte er es wirklich nicht hören wollen, hätte er das gesagt. Aber sie wartete, denn in diesem engen, vollgestellten Laden musste sie ständig darauf achten, nicht aus Versehen etwas hinunterzuwerfen. Mittlerweile war sie auch ziemlich beladen mit Zutaten aller Art, für ihn und für sich selbst. Darum brauchte sie auf der Treppe eine Weile und war ganz froh, dass er sie festhielt.   „Zentauren“, sagte sie also, als sie endlich unten angekommen waren, wo die etwas gefährlicheren und selteneren Zutaten zu finden waren. „Bei Merlins Bart, Zentauren im Verbotenen Wald, am liebsten wäre ich ja dort geblieben.“   „Ist das so?“ Kurz sah er sie aus dem Augenwinkel an, während sein Finger suchend an den Etiketten kleiner Fläschchen entlang huschte. Ein paar zog er aus dem Regal und reichte sie ihr. Hoffentlich war er bald fertig, viel konnte sie nicht mehr tragen.   „Aber ich möchte mich auch nicht die ganze Zeit in diesem Wald herumtreiben. Ich weiß sogar, wo ich als erstes hingehe. Vor ein paar Tagen bekam ich einen Brief von einem Paar aus Aberdeen und …“ Sie seufzte, als er einfach weiterging, und folgte ihm. „Aber ist ja auch egal, was hast du eigentlich so wirklich vor?“     „Sara, bitte.“ Er war im Begriff, ein kleines Becherglas voller Molchaugen auf den anderen zu stapeln, die sie trug, ließ es aber vorsichtshalber und nahm ihr auch ein bisschen davon ab.   „Ich weiß schon.“ Sie folgte ihm zur Treppe, nachdem er einen langen, prüfenden Blick die Reihe entlang geworfen hatte, und nahm sich hier und da etwas mit, das sie wohl brauchen würde. Die Antwort, die er nicht aussprechen wollte, ging wohl in die Richtung Vollzeittodesser, und das wusste sie auch, ohne es hören zu müssen. „Hör mal, ich wollte dich um etwas bitten.“   Er zog sie zur Kasse und schlug ihre Hand weg, als sie ihre eigenen Sachen aussortieren wollte. Auch ein zweites Mal. „Hör auf.“   Zu gern hätte sie widersprochen, aber sie blieb einfach schweigend daneben stehen, während er bezahlte, und verstaute alles in den Taschen ihres Umhangs, bevor sie den Laden verließen. „Also, was hältst du davon, wenn wir daheim …“   Er nickte nur und sie wusste, dass sie gar nicht weiterreden brauchte. Es erleichterte sie, dass er ihr helfen wollte, ihre Vorräte aufzufüllen. Wenn sie einmal auf einen dieser Tränke angewiesen war, brauchte sie ihn in einwandfreiem Zustand. Irgendwann musste sie freilich auch allein zurecht kommen, aber gerade jetzt, bevor sie ihn sicher eine ganze Zeit lang nicht sehen würde, wollte sie jede Gelegenheit nutzen, ihn bei sich zu haben.     Während sie ihm die Tür aufhielt, schaute sie sich in der Straße um, wie immer war sie voller Leute. Und in diesem Gewühl erkannte sie auch ihre Eltern, die scheinbar gerade von Gringotts kamen. Der Menschenstrom schien sie genau auf Sara zuzutreiben. Von allen, die sie hier hätte treffen können, hätte sie auf ihre Eltern am ehesten verzichten können. Aber wie verhinderte sie nun eine Begegnung? „Sieh dir die Eule an!“, rief sie, packte Severus am Arm und zog ihn zum Schaufenster von Eeylops Eulenkaufhaus, in dem eine einzelne, große Schleiereule saß. Es war wohl das Beste, so zu tun, als hätte sie ihre Mutter und ihren Vater nicht gesehen.   „Lass das.“ Er machte sich von ihr los und warf einen Blick über die Schulter. „Die Frage ist doch, ob ich kommen kann“, flüsterte er, denn er hatte die beiden wohl auch gesehen.   „Natürlich“, flüsterte Sara und überlegte sich, ob sie die Eule kaufen sollte. Sie war wunderschön. „In meinem Haus auf der Isle of Skye bist du immer willkommen. Dort werden wir auch allein sein, wenn dir das lieber ist.“ An seinem Blick sah sie, dass ihm das natürlich lieber war, und ihr ebenso, denn Sirius und er in diesem kleinen Häuschen, das konnte nicht gut gehen. „Schleiereulen hab ich am liebsten, weißt du? Sie sind einfach hübsch und anmutig und … Warte bitte hier auf mich.“     Sie huschte in den Laden, schaute sich ein Weilchen um und wäre auch länger geblieben, hätte draußen niemand auf sie gewartet. So kaufte sie sich also die Schleiereule und ging wieder nach draußen.   Womit sie nicht gerechnet hatte, war der Umstand, dass ihre Eltern ebenfalls vor dem einen oder anderen Schaufenster stehen geblieben waren, und so stand sie plötzlich so gut wie direkt vor ihrer Mutter. Nur ein paar Leute schlüpften an ihnen vorbei. Und sie entdeckte Sara sogar, für einen Augenblick streiften sich ihre Blicke und ihre Mutter blieb stehen. Beinah hätte Sara auch zum Gruß genickt oder sogar gelächelt, aber dann sah sie, wie ihre Mutter ihren Vater am Arm nahm und etwas zu ihm sagte, das sie nicht verstehen konnte.     „Schau mal, Severus“, sagte sie also schnell und wandte sich ihm zu. Wenn ihre Eltern sahen, dass sie mit ihm hier war, würden sie sie aller Wahrscheinlichkeit nach in Ruhe lassen. In diesem Fall hatte es keinen Sinn, sich mit ihnen unterhalten zu wollen, es würde ohnehin nur wieder in einen Streit ausarten, den Sara vermeiden wollte. „Das ist Odette. Meinst du, Athene versteht sich mit ihr?“   Severus musterte die Eule einen Moment. „Wird sie nicht die ganze Zeit unterwegs sein bei all den Briefen, die du schreiben willst?“ Er legte ihr eine Hand auf den Rücken und schob sie durch den Menschenstrom, weg von ihren Eltern, nach denen sie sich nicht noch einmal umdrehte.   „Da hast du natürlich Recht.“ Sie lächelte und streichelte Odette durch das Gitter des Käfigs hindurch. „Außerdem würde Athene sich wohl nicht einmal mehr für Eulen interessieren, die auf ihr sitzen. Auf ihre alten Tage ist sie unheimlich träge. Haben wir hier noch mehr vor?“     Offenbar wusste Severus die Antwort selbst nicht genau, denn vor dem Eingang zur Nocturngasse blieb er stehen und schaute nachdenklich in die Schatten. Jedem anderen hätte sie vorgeschlagen, in die Eisdiele zu gehen, aber bei ihm konnte sie sich nicht vorstellen, dass er zusagen würde.   „Severus, dass ich dich hier treffe“, hörte sie eine Stimme sagen, die ein bisschen träge klang. Sie kam aus Richtung der Nocturngasse und als Sara sich umwandte, sah sie von dort einen großen, schlanken Mann mit weißblondem Haar auf sie zu kommen. Bei sich hatte er eine Frau mit ebenfalls blondem Haar, die ein Stoffbündel im Arm hatte. Es regte sich hin und wieder, und als die Frau vor ihr stehen blieb, erkannte Sara, dass es ein Baby war. Älter als wenige Monate konnte es nicht sein, hatte aber auch schon einen blonden Schopf.   „Lucius“, sagte Severus und lächelte flüchtig. „Narzissa.“   Die Namen sagten Sara etwas, doch im ersten Moment konnte sie sie noch nicht recht zuordnen. Nur langsam begriff sie, dass sie hier vor Lucius Malfoy stand, den Severus hin und wieder als einen Freund erwähnte. Und Narzissa, Sirius hatte einmal von einer Cousine dieses Namens gesprochen. Nicht sehr freundlich freilich, wie über den Gutteil seiner Familie.   In diesem Moment war Saras erster Eindruck von dieser Frau, deren liebevoller Blick auf das Baby in ihrem Arm gerichtet war, jedoch ein guter. Besser als der ihres Mannes auf jeden Fall, denn Lucius kam ihr auf Anhieb auf etwas unangenehme Weise arrogant vor, in der Art, wie er sie jetzt musterte. Aber sie schloss nicht aus, dass sie sich täuschte.   „Wer ist denn deine Begleitung?“, fragte er.   „Das ist Sara.“ Severus nahm sie am Arm und zog sie einen Schritt zurück, sodass sie ein Stück hinter ihm stand.   „Sara Crowfield.“ Lucius beugte sich ein Stück zu ihr vor und reichte ihr die Hand. „Ich habe bereits von Ihnen gehört und es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.“   „Sehr erfreut, Mr Malfoy.“ Sie nickte ihm lächelnd zu und wollte schon die Hand zurückziehen, doch er ließ sie nicht los.   „In Anbetracht dessen, was ich von Ihnen gehört habe, frage ich mich, ob Sie vielleicht Interesse hätten …“   „Hat sie nicht“, unterbrach Severus ihn schroff, dabei allerdings noch immer freundlicher als er mit manchen anderen Leuten sprach, und zog ihren Arm zurück. In diesem Moment kam sie sich vor wie eine Puppe und war sich unsicher, ob ihr das gefallen sollte.   Also machte sie sich auch von Severus los und trat einen Schritt zur Seite. Allerdings war ihr bewusst, was Lucius Malfoy sie hatte fragen wollen, und die Antwort, die Severus an ihrer statt gegeben hatte, war zutreffend. „Entschuldigen Sie, aber ich muss Ihr Angebot ausschlagen. Meine Zukunftspläne verlaufen in eine ganz andere Richtung.“   Etwas irritiert blickte Lucius zwischen Sara und Severus hin und her, bevor er sich wieder aufrichtete und auf seine Taschenuhr blickte. „Nun, wie auch immer. Wo wir hier schon stehen an diesem schönen Septembertag, wollen wir nicht einen Tee trinken?“   „Zu gern“, antwortete Sara, bevor Severus die Gelegenheit hatte, abzulehnen. Das war die Gelegenheit, ihren Willen doch noch zu bekommen.    Mit Narzissa ging sie voraus zu Florian Fortescues Eiscafé und sie setzten sich an einen runden Tisch etwas abseits von den übrigen. „Was für ein niedlicher kleiner Fratz“, sagte Sara leise mit Blick auf das schlafende Baby. Sie musste an Lily und den kleinen Harry denken, die sie vor wenigen Tagen in Godric’s Hollow besucht hatte. An die kleine Samantha, die auch Briefe von ihr haben wollte, obwohl sie noch nicht einmal lesen konnte. Auch wenn Sara Kinder im Grunde mochte, stand es für sie außer Frage, sich selbst welche zuzulegen, das würde ihre gesamte Planung durcheinander bringen. Da waren ihr die Reisen doch wichtiger.   „Sein Name ist Draco“, informierte Narzissa sie mit einem Lächeln. Was folgte, war ein Gespräch, zu dem Sara nicht viel beizutragen hatte, denn es drehte sich hauptsächlich um den Alltag mit Baby in dem Anwesen, in dem die Malfoys offenbar wohnten. Aber sie hörte auch ganz gern einmal einfach nur zu, und durch das, was sie hörte, verstärkte sich ihr Eindruck, dass sie selbst für Kinder nicht geschaffen war. Zwischendurch berichtete sie davon, was sie so von Samantha mitbekommen hatte, aber ansonsten glaubte sie nicht, dass sie besonders viel zu erzählen hatte, was interessant für Narzissa sein konnte.     Dann wollte sie jedoch von der Schule hören, die sie abgeschlossen hatte, bevor Sara in die erste Klasse gekommen war. Sie stellte Fragen dazu, was sich eventuell verändert hatte und was geblieben war, und fragte nach Tabitha, mit der sie offenbar recht gut bekannt gewesen war.   Als der kleine Draco anfing, zu weinen, entschuldigte Narzissa sich und verschwand mit ihm nach drinnen. Sara aß von ihrem Eisbecher, den sie als einzige bestellt hatte, und hörte Lucius zu, wie er davon erzählte, dass er im Ministerium arbeitete und schon gute Aussichten auf Beförderung hatte.   „Crowfield“, sagte er leise und musterte sie erneut. „Dann sind Sie also Humphreys jüngste Tochter.“   „Das bin ich wohl“, antwortete Sara und stocherte in ihrem Eisbecher. Das war noch so ein Grund, warum sie auf keinen Fall für das Ministerium arbeiten wollte, man sollte sie nicht die ganze Zeit als Humphreys Tochter sehen. Mittlerweile wäre ihr das noch unangenehmer als früher. „Auch wenn er das sicher bestreiten wird, wenn Sie ihn das jetzt fragen.“   Lucius Malfoy blickte sie fragend an.   „Er findet, ich verkehre mit den falschen Leuten, ich finde das nicht“, erklärte sie. Ganz sicher würde es ihn auch auf die Palme bringen, würde er sie jetzt hier sehen. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihren Eltern noch einmal begegnete, war verschwindend gering, bestimmt waren sie schon wieder daheim in Downe. „Die Sache ist, ich kann mich auch gut unter Leuten bewegen, deren Ansichten ich nicht oder nur teilweise teile, ohne denen gleich Vorwürfe zu machen. Aber er versteht das nicht.“   Er neigte den Kopf etwas und sie meinte, dass sein Blick sich veränderte. „In diesem Fall sollten Sie vielleicht anfangen, sich in besseren Kreisen zu bewegen, um zu sehen, wie er darauf reagieren würde.“   Erst wusste Sara überhaupt nicht, was genau er damit meinte, aber dann musste sie lachen. Darüber, dass er sich offenbar in diese besseren Kreise zählte, was man allein an seiner Stimme schon erkennen konnte, über Severus’ Blick und über dieses ‚Angebot’ allgemein. „Ich glaube nicht, dass man in diesen besseren Kreisen etwas mit meinen Taschen voller toter Mäuse und Eulenkeksen anfangen kann, Mr Malfoy. Ich denke eher, dass ich versuchen sollte, für einige Zeit etwas Abstand von allem zu bekommen.“ -------------------- 4. Kapitel: Zuflucht im Nebel -------------------- [September 1980]   „Wirst du mir auch schreiben?“, fragte sie und verstaute die übrig gebliebenen Zutaten in den Regalen der kleinen Tränkeküche. Dabei kannte sie die Antwort eigentlich schon, aber sie weigerte sich, die Hoffnung aufzugeben, dass vielleicht eine andere kommen würde.   Nun kam gar keine. Kein Wort, nicht einmal ein Laut, und als sie fertig mit Einräumen war und sich umdrehte, stand er nur da und schaute sie mit unergründlicher Miene an. „Sonst muss ich so viele Briefe schreiben, bis du mir schreibst, dass die Briefe dich nerven.“ Im Vorbeigehen lächelte sie ihn an und sammelte dann die Fläschchen und Phiolen mit den fertigen Tränken ein. Ein paar mussten noch eine Weile stehen, aber sie hatte ja noch Zeit, wollte erst am nächsten Tag aufbrechen. Bis dahin erwartete sie noch Besuch von Sirius.   Maggie war schon am Tag zuvor da gewesen, als sie es geschafft hatte, sich ein kleines bisschen Zeit zu nehmen. Sie hatte davon erzählt, wie sie den ganzen Tag nur im Büro saß, Dokumente bearbeitete und wie sehr sie darauf wartete, bei Verhören dabei sein zu dürfen. Im Moment steckte sie noch mitten in dieser öden Anfangsphase und wünschte sich daher dringend interessante Briefe aus allen Gegenden des Kontinents. Sara hatte ihr fest versprochen, ihr Bestes zu tun.     Auch dazu sagte er nichts, aber sein Blick veränderte sich ein bisschen, als er ihr ins Wohnzimmer folgte.   „Ich weiß schon, du wirst mir schreiben, wenn es etwas gibt, das sich lohnt, mir mitzuteilen.“ Sie nahm den Blick nicht von ihm, während sie ihre Vorräte auf dem Tisch aufreihte, wo auch schon ein paar andere Dinge lagen, die ihr wichtig waren. Fotos, die Augureyspange von Sirius, die sie noch immer hin und wieder trug, und selbstverständlich das Tränkebuch.   Er nickte kaum merklich.   „Ach, du kannst mir auch schreiben, wenn es nichts zu sagen gibt, weißt du? Damit ich weiß, dass du noch da bist, und…“ Als sie fertig war, hielt sie inne und sie standen sich gegenüber.   „Sara.“ Er schaute sie ernst an.   Tränen rannen ihr über die Wange, und einmal mehr hatte er das vor ihr selbst mitbekommen. „Verzeih.“ Sie wischte sich mit beiden Händen übers Gesicht und konnte sich tatsächlich wieder beruhigen. „Manchmal möchte ich einfach gern von dir lesen.“   Es herrschte Stille, während sie sich weiterhin gegenüberstanden und sich anschauten. Angenehme Stille, es war alles gesagt, bedurfte keiner weiteren Worte.   „Ich sag das nicht gern, aber vielleicht solltest du …“ Bald würde Sirius kommen und dann wollte er ganz sicher nicht mehr da sein. Im Moment konnte sie sich nur wenig vorstellen, das unangenehmer war als die beiden im selben Raum, darum erwartete sie nun auch beinah einen höhnischen Kommentar.   Aber es kam keiner.   „Ich versuche, an Weihnachten hier zu sein, wenn es sich einrichten lässt.“ Auch wenn dann Sirius da sein würde, aber den konnte sie zur Not zu Lily und James vorausschicken, wo sie die Feiertage wahrscheinlich verbringen würden.   Lächelnd wartete sie auf eine Antwort irgendeiner Art, eine Geste oder nur einen Blick.   „Komm bloß in einem Stück wieder“, sagte er nur und disapperierte.     Gerade rechtzeitig, bevor Sirius aus dem Kamin gestolpert kam und fragte, warum sie die Wand anstarrte.   „Severus war bis eben hier“, antwortete sie, weil sie keinen Grund sah, warum sie ihm das verschweigen sollte. „Er hat mir mit ein paar Tränken geholfen, die ich lieber mitnehmen wollte. Für alle Fälle.“ Sie deutete auf den Tisch.   Sirius warf seinen Umhang auf die Lehne des Sessels, der ihm am nächsten stand. „Dann bin ich ja froh, dass er weg ist“, sagte er, ohne zu lächeln.   „Noch so ein Spruch und du kannst gleich wieder verschwinden.“ Sara sah ihn scharf an und holte einen kleinen Koffer aus dem Schlafzimmer, der extra für Gelegenheiten wie diese vorgesehen war. „Ich hätte ihn ja auch gern noch länger da gehabt, aber er ist gegangen, weil er dich nicht sehen wollte.“ Das war nur die halbe Wahrheit, denn so oder so hätte er gehen müssen. Auch wenn es sie gefreut hätte, hätte er länger bleiben können.   Sirius seufzte und stand weiterhin mitten im Raum, während sie ihre Sachen zusammen packte. „Sara, müssen wir dieses Gespräch schon wieder führen?“, fragte er und sie hörte deutlich heraus, wie erschöpft er davon war. Aber warum sollte es ihm besser gehen als ihr? Sie war es auch langsam leid, sich immer wieder so etwas von ihm anhören zu müssen.   „Wir müssten dieses Gespräch überhaupt nicht führen“, erwiderte sie und drehte sich zu ihm um, „wenn du lernen würdest, dich aus den Angelegenheiten anderer Leute herauszuhalten. Er war mein Gast und meine Gäste gehen dich überhaupt nichts an, also lass. Das.“   „Ich kann es nicht fassen, Sara. Dass du ihn nach wie vor verteidigst, nachdem du selbst daheim rausgeflogen bist. Wegen ihm.“ Er sah jetzt ein bisschen böse aus, aber nicht auf sie. Aber das fand sie noch viel schlimmer.   Sara musste nur einen Schritt machen, um genau vor ihm zu stehen. „Sie würden genau dasselbe sagen, wenn ich dich mit nach Hause gebracht hätte, Sirius. Black“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.     Das war hart gewesen, härter, als sie eigentlich hatte sein wollen. Doch nachdem sie sich darauf gefreut hatte, ihn zu sehen, kam er hereingeplatzt und sagte so etwas. Sie war wütend auf ihn, wurde viel zu leicht wütend, das war ihr selbst klar, doch er nahm sich ebenfalls nicht zurück. Meistens.   Mit zusammengepressten Zähnen starrte er sie an. Verletzt. „Das ist etwas vollkommen anderes“, zischte er. „Er ist …“   Sara wollte ihn nicht ausreden lassen, weil sie wusste, dass ihr alles, was er jetzt sagen könnte, überhaupt nicht gefallen würde. „Er ist mein Freund“, sagte sie also. „Er hat Weihnachten mit mir in Finnland verbracht, während du mit James Potter von Mistelzweig zu Mistelzweig gezogen bist.“   „Und dafür nimmst du das alles hin?“, fragte er und nahm ihre Hände. Irgendwie klang er, als hätte er noch ein paar Dinge, die er gern noch gesagt hätte, nur einfach nicht die Kraft dazu fehle. Obwohl sie wusste, was das für Dinge waren, denn sie hatte sie oft genug gehört, tat er ihr schon irgendwie leid.   Sie seufzte, um sich wieder ein bisschen zu beruhigen. „Ich dachte, das hätten wir geklärt. Und ich dachte, wir wollten uns das alles sparen. Gerade heute wollte ich eigentlich nur die Zeit mit dir genießen und mich nicht noch streiten, bevor ich morgen gehe. Wir sehen uns so lang nicht.“   Sirius lächelte schwach und nahm sie in den Arm, noch immer ihre Hände in seinen haltend. „Es tut mir leid“, sagte er leise und diesmal glaubte sie, dass es wirklich so war. Sie konnte nicht von ihm erwarten, dass es ihm leid tat, sich solche Dinge zu denken. Aber immerhin, sie auszusprechen, und damit wollte sie sich zufrieden geben. „Wir sollten uns deswegen nicht streiten. Eigentlich müsste ich …“ Er hielt abrupt inne und ließ ihre Hände los, sodass sie nicht mehr ganz so unbequem stand.     „Schon gut.“ Sie lehnte sich an ihn und legte ihre Arme um ihn. Er musste das nicht aussprechen, womit er so sehr zu kämpfen hatte. Er wollte das sagen, um sie zu besänftigen und aufzuheitern, aber das musste nicht sein. „Du bist ja jetzt hier und das ist schön. Ich hoffe doch, man kommt eine Weile ohne dich aus?“ Lily fiel momentan schließlich aus, sie kümmerte sich vorerst nur um den kleinen Harry, der ein ganz hinreißender Fratz war.   Sirius lachte und es war schön, dass er wieder locker war. „Ja, ich denke nicht, dass ich in den nächsten Tagen gebraucht werde. Auch wenn man nie wissen kann. Du wirst das schon noch kennen lernen, wenn du das durchziehst, was du vorhast.“   Sara nickte und freute sich darauf. Heute nicht wissen, wo man morgen war, und das aus ganz freien Stücken, das stellte sie sich wundervoll vor. Und sie war so aufgeregt, dass sie kaum einen Moment mit dem Gedanken verschwendete, dass es auch gefährlich war, was sie tun wollte. Nicht unbedingt die Arbeit mit was auch immer ihr über den Weg lief, sondern das Alleinsein an Orten, die sie nicht kannte, wo sie keine Menschenseele kannte, wenn sich dort überhaupt eine aufhielt. Da war sie ganz optimistisch, schließlich hatte sie in den Jahren an der Schule so einiges gelernt, und sie konnte gut allein zurechtkommen. Zumindest hoffte sie das. „Aber bis dahin hab ich dich ganz für mich allein“, sagte sie und ließ ihn los, bevor sie ihn auf die Wange küsste.   Als sie das Köfferchen nahm und es ins Schlafzimmer brachte, wo ihr Koffer bereit stand, hörte sie Sirius etwas murmeln wie Ich dich auch und war froh, dass er das nicht lauter gesagt hatte und sie so tun könnte, als hätte sie es nicht gehört. „Was haben wir vor?“, fragte sie und klappte den Koffer zu. Damit war es beschlossen und es gab kein Zurück mehr.   Es wunderte sie ein bisschen, dass eine Antwort ausblieb, bis sie zurück ins Wohnzimmer kam und ihn da sitzen saß, als Hund, wie er sie mit treuen Augen anhechelte.   Grinsend ging sie vor ihm in die Knie und legte die Arme um seinen Hals, vergrub das Gesicht in dem herrlich weichen Fell. „Wollen wir Gassi gehen, mein Lieber? Oder wollen wir lieber ein bisschen kuscheln?“   Er antwortete nicht, wie sollte er auch, sondern schmiegte sich nur an sie, als sie ihn kraulte. Laut würde sie das niemals sagen, aber als Hund war er ihr meistens lieber denn als Mensch. Dann war sie sicher vor seinem Grinsen und seinen dummen Sprüchen.   „Weißt du, ich bin für die Couch“, sagte sie und stand auf, kraulte ihn unterm Kinn und schaute in seine wunderschönen Hundeaugen. „Schließlich war ich heute schon die ganze Zeit unterwegs und werde es ab morgen wieder sein.“     Sie ließ sich also auf die Couch fallen und klopfte auf das Polster neben sich. Er sprang hoch und legte ihr den Kopf in den Schoß. „Kennst du schon Odette?“, fragte sie und grinste, als er aufsah. „Ich hab sie heute gekauft in der Winkelgasse, als wir Zutaten besorgt haben. Da saß sie im Schaufenster und schaute mich so freundlich an.“ Sie grinste, als Sirius aufschaute. Wahrscheinlich hätte er ihr jetzt gesagt, dass er noch nie eine Eule freundlich schauen gesehen hatte, wenn er gekonnt hätte. Aber Sara wollte ihm nicht sagen, warum sie wirklich in den Laden gegangen war.   „Dann sind wir deiner Cousine Narzissa begegnet“, fuhr sie fort und seufzte, als er die Zähne fletschte, kraulte ihn hinter den Ohren. „Nein, ich finde sie ganz nett. Ich kann nur nicht verstehen, was sie an einem wie Lucius Malfoy findet.“   Sirius schnaubte. Das konnte alles heißen und sie suchte sich einfach das aus, was sie für das Harmloseste hielt.   „Ich weiß, ich weiß, bessere Kreise und so.“ Sie lächelte. „Und im Grunde interessiert es mich auch gar nicht. Aber sie hat gemeint, ich könnte sie irgendwann einmal besuchen, wenn ich Lust habe.“ Sie überlegte, ob sie ihm auch von Lucius’ Angebot erzählen sollte und auf welche Art es ausgeschlagen worden war, entschied sich aber dagegen. Am besten war es wohl, das Thema zu wechseln.   „Erstmal bin ich ja nur in Aberdeen“, sagte sie also, lehnte sich zurück und umschloss sein rechtes Ohr mit der Hand. „Schließlich will ich ja klein anfangen, und Schottland so schnell nicht verlassen. Wir können uns also sehen, wann immer wir wollen.“     Der Hund setzte sich auf und im nächsten Moment war es kein Hund mehr sondern der Mensch Sirius, der sie schon wieder frech angrinste. In Tiergestalt musste er das echt vermissen. „Wenn du nicht gerade einem interessanten Tierwesen auf der Spur bist, das vielleicht deine Hilfe benötigen könnte, was?“   Sie lächelte. Die Vermutung war gar nicht so falsch. Sirius kam gut allein zurecht, und er würde ihr nicht so einfach weglaufen. Aber manchmal gab es einmalige Chancen, hatte Tabitha gesagt, die man nicht einfach vergeben sollte. „Ich hätte ja auch nichts dagegen, wenn du mich hin und wieder begleiten würdest.“   Er hörte nicht auf, zu grinsen, aber sie wusste trotzdem, dass keine positive Antwort kommen würde. Darum enttäuschte es sie nicht so sehr, als er den Kopf schüttelte. Sie mussten ja auch nicht alles teilen. „Das ist nicht so wirklich mein Ding.“   „Ich weiß schon“, sagte sie und streichelte über seine Wange. Die Bartstoppeln waren nicht so flauschig wie Fell, aber doch irgendwie angenehm zu spüren. „Das macht auch nichts. Es ist ja auch wichtig, was du tust, und alles. Und ich weiß, dass du dir in Pflege Magischer Geschöpfe immer mehr Mühe gegeben hast, als du gemusst hättest, damit ich mich freue, wenn ich deine Aufsätze lese.“   Er schaute sie überrascht an, als hätte er nicht damit gerechnet, dass sie das wusste. Zugegeben, von allein wäre sie auch nicht darauf gekommen. Es war Maggie, die ihr das gesagt hatte, und nun im Nachhinein erkannte sie das ebenfalls. Genau wie Peter, der nur aus diesem Grund weitergemacht hatte. Sie konnte es nicht wirklich verstehen.   „Ich hab mich auch gefreut“, sagte sie. „Selbst deine unmotiviertesten Aufsätze waren besser als die von Potter.“   Sein Grinsen wurde noch etwas breiter – damit überraschte er sie immer wieder, sie hielt das zeitweise kaum für möglich – und er legte einen Arm auf die Sofalehne hinter ihr und beugte sich zu ihr vor. „Hab ich mir dann vielleicht eine kleine Belohnung verdient?“   „Jetzt hast du dich ja wieder zurückverwandelt, sonst hätte ich vielleicht einen Maulwurf für dich gehabt.“ Lächelnd klopfte sie auf die Tasche ihres Umhangs, in dem allerdings im Moment gar keiner zu finden war. In letzter Zeit hatte Athene nicht viel Lust gehabt, welche zu jagen. Vor dem Aufbruch musste sie auch diese Vorräte wieder auffüllen, denn sie wusste nie, wem oder was sie begegnete.   Sirius’ angewiderter Gesichtsausdruck brachte sie zum Kichern. Eigentlich wusste sie ja auch, was er wollte.   Also beugte sie sich zu ihm vor, hielt inne, als ihre Nase seine berührte. „Ich liebe dich“, flüsterte sie. Es hatte lange gedauert, bis sie das zum ersten Mal gesagt hatte, und seitdem war es nicht oft vorgekommen, aber heute war es ihr wichtig, es noch einmal gesagt zu haben.   „Ich liebe dich auch“, sagte er und küsste sie. „Ich liebe dich. Ganz egal, was passieren wird, ich möchte, dass du das immer im Hinterkopf hast.“ Das hätte sie leicht als Drohung sehen können, aber in diesem Moment wollte sie das nicht. In diesem Moment wollte sie das einfach glauben und noch einen netten Abend verbringen.   „Sag mal, Sirius … Du bist doch letztens mit diesem Motorrad gekommen und hast es hier stehen lassen. Wie wäre es mit einem kleinen Ausflug?“ -------------------- 5. Kapitel: Briefe von Sara I – Nachmittag mit Nessie -------------------- [Herbst 1980]   Zusammen mit einem Schwarm interner Memos kam auch eine Eule herein und setzte sich ganz ungeniert mitten auf Maggies Arbeitsplatz. Es war Odette, Saras Schleiereule, die seit September öfter Gast hier im Büro gewesen war. Im Schnabel trug sie einen dicken Umschlag und Maggie beschloss, ihre Frühstückpause ein wenig vorzuverlegen. Den ganzen Morgen hatte sie nicht mehr getan als Memos hin und her zu schicken. Albert Munroe, ihr Boss, ließ sie noch nicht einem Verhör beiwohnen oder mit auf einen Außeneinsatz kommen.   „Na, sehen wir erstmal, was die liebe Maggie für dich hat.“ Sie zog die oberste Schublade ihres Schreibtischs auf und kramte sich durch Federn, Tintenfässer und Pergamentrollen, bis sie eine kleine Tüte Eulenkekse fand. Viele waren nicht mehr darin, bald sollte sie entweder neue kaufen oder darauf vertrauen, dass Sara ihr welche mitschicken würde. Manchmal schien sie zu wissen, dass sie Maggie ausgegangen waren, dann lagen den Briefen welche bei. Doch Maggie bekam ja auch Eulen von anderen Leuten, die nicht leer ausgehen sollten.   Odette freute sich sehr, verschlang den Keks und schien nicht dazu aufgelegt, auf Antwort zu warten, sondern verließ den Raum sogleich wieder, begleitet von einigen Memos. Entweder würde sie jetzt in der Eulerei bleiben oder zurück nachhause fliegen. Da Maggie sich ein bisschen Zeit mit der Antwort lassen wollte, kam ihr beides recht.     In dem Umschlag befanden sich drei beidseitig beschriebene Bögen Pergament. Schon beim Überfliegen musste sie darüber lächeln, was Sara schrieb. Hier und da war die Tinte ein bisschen verschwommen und erst machte sie sich Sorgen, dass es Tränen waren, aber die Beruhigung kam schnell.   Liebe Maggie,   falls dieser Brief dich im Büro erreicht, hoffe ich, dass du noch nicht vollends in Papierkram ertrunken bist. Odette wird eine Weile bei dir bleiben, wenn es dich nicht stört. In den letzten Tagen hab ich sie so sehr beansprucht und möchte ihr nun gern ein bisschen Ruhe gönnen. Die Sache ist, dass sie sich nicht besonders mit meiner neuesten Bekanntschaft versteht. In dem Moment, in dem ich das hier schreibe, sitze ich nämlich neben dem Monster von Loch Ness (in Pferdegestalt).   Gerade war Maggie dabei gewesen, ihr Wurstbrötchen auszupacken, hielt nun aber inne und starrte diesen Satz an. Kaum einen Monat unterwegs und schon so was, sie hätte es ja erwarten müssen. Niemand, den sie ansonsten kannte, hätte es fertig gebracht, sich mit Nessie anzufreunden. Mit einem Kelpie. Bring dich bitte nicht in Gefahr, hatte Maggie gesagt und Sara hatte nur genickt; dabei dieses Grinsen im Gesicht gehabt, das wohl von Sirius auf sie abgefärbt hatte.   Mach dir keine Sorgen, der Platzierungszauber ist mir schon immer ziemlich leicht gefallen. Nun ist es ganz zahm und wenn irgendwo die Tinte verlaufen ist, dann weil es versucht, an etwas in meiner Tasche zu kommen. Wir sind vorhin ein bisschen über den See geschwommen und wären beinah von ein paar Muggeln entdeckt worden. Dabei bin ich ins Wasser gefallen, weil es sich in einen Otter verwandelt hat. Das wäre aber auch ein komischer Anblick gewesen!   Sie hatte sofort das Bild vor Augen, wie Sara im Gras saß, nur in einen Umhang gehüllt, die Sachen neben sich zum Trocknen gelegt. Zum Glück hatte sie auch genug Tränke für sich selbst dabei, sonst könnte sie sich sonst was holen, es war fast schon Oktober.   Morgen werde ich wahrscheinlich weiterziehen und Nessie wieder frei lassen, auch wenn es hier wirklich sehr schön ist. Ein bisschen muss ich an den Schwarzen See denken und wenn ich Toast dabei hätte, würde ich Nessie darum bitten, zur Krake zu werden. Nur um der alten Zeiten willen. Wohin ich als nächstes gehen will, weiß ich noch gar nicht. Wahrscheinlich werd’ ich die Highlands ein bisschen unsicher machen. Ich habe gehört, dass es dort eine wilde Herde Aethons geben soll, und da will ich doch mal sehen, ob ich sie finde.   In diesem Moment wünschte Maggie sich, sie wäre mit Sara gegangen, könnte jetzt auch in den Highlands Geflügelte Pferde suchen und vielleicht sogar mit ihnen fliegen. Doch sie war hier, hatte die ganze Zeit hier sein wollen und wenn sie einmal fertig war mit dieser drögen Phase der Ausbildung, würde sie es wohl auch nicht bereuen.   Vor allem würde im neuen Jahr, wenn sie soweit war, ihre Ausbildung zum Animagus beginnen, was ebenfalls schon immer ein großer Wunsch von ihr gewesen war, der sich ohne Hilfe des Ministeriums wohl nicht so leicht erfüllen lassen würde. Hilfe, die sie ohne diese Ausbildung nicht bekommen würde.     Maggie lächelte, als Sara sich über eine ganze Seite darüber ausließ, wie schön es sein würde, mit den Aethons unterwegs zu sein. Was solche Angelegenheiten anging, konnte Sara richtig weitschweifend werden. Manchmal ließ das dann sogar Maggie Dinge interessant finden, die sie sonst wenig kümmerten.   Wenn ich mich dann mit ihnen angefreundet habe, versprech ich dir, dass wir sie auch mal zusammen besuchen. Und dann können wir auch gern mit ihnen fliegen, wenn du möchtest. Und wenn sie nichts dagegen haben, versteht sich.     Sie konnte sich gut vorstellen, dass Sara nur so darauf brannte, ihr das alles auch in Natura zu zeigen. In diesem Fall hatte sie nichts dagegen, aber wenn es um gefährlichere Wesen ging, konnte sie gern verzichten.   Eine halbe Seite lang schwärmte Sara nun davon, wie schön sie sich das vorstellte und langsam fragte Maggie sich, ob das vielleicht eine ungeschriebene Aufforderung dazu war, doch bitte so schnell wie möglich zu kommen. Zu gern wäre sie dem nachgekommen, konnte jedoch nicht einfach aufstehen und gehen. Bis zum Feierabend wäre sie sicher nicht wieder da.   Aber wenn dem wirklich so war, wünschte sie sich Gesellschaft? Im Vorfeld hatte Maggie diese Möglichkeit einmal angesprochen, dass sie doch sicher einsam sein würde, aber Sara hatte nur abgewehrt und gemeint, sie brauche nicht immer Leute um sich und würde sich freuen, einmal mit was immer sie fand allein zu sein. In den anderen Briefen war auch nichts dergleichen durchgeschienen, aber dieser hier?   Stell dir vor, wir würden zu den Hebriden fliegen am Ende einen Drachen finden hoffen, dass er uns nicht sofort röstet, sondern wir eine Weile mit ihm …   An dieser Stelle hatte ein Wassertropfen die Tinte verwischt und offenbar hatte Sara beim Versuch, es wegzuwischen, versehentlich auch den Rest der Zeile unleserlich gemacht. Doch sie konnte sich in etwa vorstellen, dass sie davon schrieb, wie schön ein Flug mit einem Schwarzen Hebriden wäre. So interessant Maggie das auch fand, aber es wäre ihr doch lieber, überhaupt nicht von einem Drachen geröstet zu werden.   Maggie seufzte. Ohne solche Phantasien kam Sara wohl keinen Tag aus. Maggie teilte sie nicht wirklich, das meiste war ihr dann doch zu brenzlig.     Sie schrak zusammen, als die Tür heftig aufgestoßen wurde. Es war Mr Munroe, groß, breit und immer wieder beeindruckend, der nun mit schweren Schritten hereinhumpelte und ihr kurz zunickte. „Wieder Post von deiner Freundin?“, fragte er und fuhr mit dem Finger an einem Stapel Akten entlang, die sich beinah bis an die Decke stapelten. „Woher denn diesmal?“   „Loch Ness“, antwortete Maggie und betrachtete angstvoll den Stapel, der bedrohlich schwankte und beinah umgefallen wäre, als Albert eine Akte herauszog. „Was gibt’s denn?“   „Nur ein Verhör“, antwortete er und wedelte ihr mit der Akte zu.   „Kann ich vielleicht…“, begann sie und wollte schon aufstehen, doch er winkte ab. Damit hatte sie gerechnet, aber das hielt sie nicht davon ab, es immer wieder zu versuchen.   „Nicht so ungeduldig, junge Dame. Du machst dich gut und ich denke, dass du noch vor Weihnachten mal mitkommen kannst. Aber das wird nicht dadurch schneller gehen, dass du mir auf die Nerven fällst.“ Damit verschwand er wieder und schlug die Tür genauso heftig zu wie er sie aufgerissen hatte.   Maggie lächelte und wandte sich wieder dem Brief zu. Sie war zufrieden, dass sie jetzt wenigstens eine ungefähre Frist hatte, auch wenn bis Weihnachten noch eine ganze Weile hin war.   Aber vielleicht komme ich dich ja auch mal im Ministerium besuchen. Wenn es einem der Bluthunde nicht gut geht, vielleicht, oder um sie einfach mal so zu besuchen. Als ich das letzte mal mit da war, bin ich noch nicht mal in die Schule gegangen.   Maggie fragte sich, ob sie wirklich herkommen würde, obwohl doch die Wahrscheinlichkeit hoch war, ihrem Vater zu begegnen. Besonders gut kannte Maggie ihn ja nicht, hatte ihn nur am Bahnhof gesehen und manchmal liefen sie sich auf den Fluren über den Weg, fuhren gemeinsam Fahrstuhl und wechselten ein paar Worte. Er hatte ihr zur Entscheidung des Aurorenbüros, sie auszubilden, gratuliert und gemeint, dass es eine gute Wahl gewesen war.   Vielleicht würde Sara sich ja einen Zeitpunkt aussuchen, da er gerade auf einem Außeneinsatz war, um ihm aus dem Weg zu gehen. Maggie fand es so schade, dass die Lage sich offenbar einfach nicht entspannen wollte, dass beide Seiten nicht einmal versuchten, Schritte aufeinander zu zu machen. Es ging sie ja nichts an, aber manchmal, wenn sie mit Mr Crowfield allein im Fahrstuhl war, überlegte sie, ihn einmal darauf anzusprechen. Bisher hatte sie sich dagegen entschieden, eben weil das nicht ihre Sache war. Und weil Sara es nicht gut finden würde, würde Maggie hinter ihrem Rücken mit ihm sprechen.   Von Sara konnte sie selbstverständlich auch nicht erwarten, dass sie ein Einsehen darüber hatte, dass ihr Vater nicht grundlos wütend auf sie war. Freilich hatte er an manchen Stellen furchtbar übertrieben, was die Briefe und vor allem diesen Heuler anging. Doch sie war auch nicht ganz schuldlos, und Maggie wollte einfach nicht verstehen, wie sie noch immer zu Severus Snape halten konnte, seit er nun auch noch ein echtes Mal trug.   Darüber wollten sie sich aber nicht mehr streiten, das hatte sie einstimmig beschlossen, und nachdem Sara ihr von dem Treffen mit Lucius Malfoy geschrieben hatte, hatte sie den Beweis, dass keine Gefahr bestand, was Sara anging. Darum hatte sie für sich beschlossen, dass es ihr fortan egal sein würde, mit wem Sara befreundet war. Zumindest, so lang sich nicht doch bedenkliche Tendenzen entwickelten.   Ich hoffe, du langweilst dich nicht zu sehr an deinem Schreibtisch. Aber so muss ich mir wenigstens keine Sorgen darum machen, dass dir etwas zustößt, denn ich bin mir sicher, dass Todesser zu jagen mindestens genauso gefährlich ist wie Kelpies zu zähmen. Wenn nicht sogar gefährlicher. Nein, natürlich zweifle ich nicht daran, dass du eine ganz hervorragende Aurorin wirst, aber selbst die besten sind vor nichts gefeit.   Ich glaube dir, dass du bis dahin nicht besonders viel zu schreiben hast, aber lass doch bitte trotzdem bald was von dir hören. Und wenn es nur ist, wie sehr du den Beginn deiner Animagusausbildung erwartest, denn da bin ich genauso aufgeregt wie du. Wenn du einen genauen Termin hast, möchte ich den gern wissen, damit ich dich dann besuchen kann.   Maggie schnalzte mit der Zunge. Dachte Sara denn, dass da sofort Ergebnisse zu sehen sein würden? Es dauerte lange, hatte man sie wissen lassen, und Professor McGonagall hatte sie davor gewarnt, dass man anfangs schnell den Mut verlieren konnte, weil man nicht den Eindruck hatte, es würde sich etwas tun. Maggie hielt sich selbst zur Geduld an, und sie glaubte auch, dass es schneller gehen würde, wenn sie das Gefühl hatte, etwas tun zu können.   Liebe Grüße von mir und auch von Nessie, lass dich nicht von Papierstapeln erschlagen. Sara PS.: Sollte mein Vater sich wider Erwarten bei dir nach mir erkundigen, kannst du ihm ja sagen, dass es mir gut geht, was nicht so wäre, hätte ich letzte Woche nicht dieses Gegengift gehabt.   Maggie überlas, dass Sara die Sache mit den Doxys noch einmal genauso ausführlich beschrieb wie schon im letzten Brief. Manchmal war ihr Postscriptum beinah genauso lang wie der eigentliche Brief. Einmal war sie sogar erst dort auf das Thema gekommen, wegen dem sie überhaupt den Brief geschrieben hatte.   Sie entschied sich auch dafür, diesen letzten Teil gegenüber Mr Crowfield nicht zu erwähnen. Schließlich wollte sie nicht unnötig provozieren oder Sara dabei in irgendeiner Weise unterstützen, wenn sie meinte, das tun zu müssen.   Allerdings hatte Mr Crowfield sie bisher kein einziges Mal nach Sara gefragt.     Maggie überflog den Brief noch ein zweites Mal und verstaute ihn dann zusammengefaltet in der Tasche ihres Umhangs. Das Brötchen hatte sie zwischendurch vollkommen vergessen und aß es also jetzt, während die Memos ungeduldig über ihrem Schreibtisch flatterten.   „Ich bin ja gleich für euch da“, nuschelte sie mit vollem Mund. Einmal mehr war sie froh, dass sie nach der Zeit hier angekommen waren, in der noch Eulen verwendet worden waren. Nun war das beinah zwei Jahre her und noch immer fand man hier und da ganz hartnäckigen Eulendreck.   Die Memos begannen, sie anzustupsen und blieben in ihren Haaren hängen, als sie sich die Finger ableckte und am Umhang sauber wischte. „Also, meine Lieben, wer ist denn zuerst dran?“   Das war wohl die falsche Frage gewesen, denn nun entbrannte ein kleiner Kampf, der anscheinend dadurch entschieden wurde, wer am hartnäckigsten stupste und piekte. Schließlich zupfte sie sich schlicht eins aus den Haaren, das ganz hilflos zappelte.   „Seht ihr, es hilft gar nichts, zu drängeln.“ Übertrieben langsam entfaltete sie den Zettel und tat so, als bemerkte sie die anderen gar nicht mehr. Es schien Wirkung zu zeigen, sie sanken alle nebeneinander auf die Tischplatte. Nur noch manchmal hörte sie eines rascheln, um sie daran zu erinnern, dass es noch da war.     Wieder wurde die Tür geöffnet, nun vorsichtiger, und eine junge Frau mit schwarzen Locken steckte den Kopf durch den Spalt, bevor sie eintrat. Anscheinend suchte sie Albert, denn sie war schon im Begriff, sich wieder zurückzuziehen.   „Tess!“, sagte Maggie laut, die just in diesem Moment erkannte, dass es in dem Memo genau um sie ging. „Sie werden im Verhörraum drei erwartet, in einer halben Stunde.“   Tess stöhnte. „Aber ich komm doch gerade erst wieder… Kann das nicht Al machen?“   Maggie hob nur entschuldigend die Schultern. „Ich mach den Plan nicht, ich ändere ihn nicht, ich leite nur weiter. Al ist übrigens gerade selbst im Verhör.“   Mit einem tiefen, ergebenen Seufzer schloss Tess die Tür wieder und ließ Maggie allein mit den Memos, die trotz mancher Inhalte längst keine so spannende Gesellschaft waren wie Aethons oder das Monster von Loch Ness. -------------------- 6. Kapitel: Zuflucht im Schnee -------------------- [Anfang November 1981 – Bridge over troubled Water]   Es war so still in Saras Zimmer, dass sie sogar hören konnten, wie Tabitha im Erdgeschoss die Haustür öffnete. Anstatt einer Begrüßung folgte nur Schweigen und das bestätigte die Vermutung der beiden Mädchen, wer der Besucher sein konnte.   „Sie ist oben“, hörten sie Tabitha sagen und kurz darauf erklangen Schritte auf der Treppe.   Maggie stand auf und zog langsam ihren Zauberstab, den Blick auf die Tür gerichtet.   „Maggie.“ Sara hielt ihr Handgelenk fest und erhob sich ebenfalls. Athene maunzte erschrocken, weil der Widerstand, an den sie sich gelehnt hatte, verschwunden war. „Bitte nicht. Er hat nichts damit zu tun.“   Maggie schaute sie nur skeptisch an und steckte doch den Zauberstab weg. Ihr Blick wanderte zum Fenster, als überlegte sie, einfach davon zu fliegen. Allerdings bezweifelte Sara, dass es nach ein paar Monaten mit ihren Animagusfähigkeiten schon so weit her war.   Das schien ihr selbst ebenfalls klar zu sein, denn sie rührte sich nicht. „Kannst du es wissen?“   Sara nickte nur schweigend. Allein der Gedanke kam ihr absolut absurd vor, und wäre es so, wäre er jetzt garantiert nicht hier.   Ihre Zweifel verschwanden vollends, als die Tür geöffnet wurde und Severus im Türrahmen stand, Haare und Umhang nass vom finnischen Schnee. Er sah aus, als hätte er seit Tagen weder gegessen noch geschlafen. Sara hielt das nicht für unwahrscheinlich.     Einen Moment lang herrschte angespanntes Schweigen. Sara fürchtete, es würde zu einer Auseinandersetzung kommen, doch Maggie drehte sich ruckartig zu ihr um, streichelte über Athenes Rücken und umarmte Sara. Drückte sie fest an sich. „Ich geh dann mal. Komm vorbei, wann immer du möchtest.“   „Danke.“ Sara küsste sie flüchtig auf die Wange.   Maggie ging mit dem größtmöglichen Abstand an Severus vorbei, hastete die Treppe hinunter und rief Tabitha einen Abschiedsgruß zu, bevor sie durch die Tür verschwand und es wieder still wurde.     „Schließ die Tür.“ Sara ließ sich wieder auf das Bett sinken und kraulte Athenes Wange. „Bitte.“ Sie nahm den Blick nicht von ihm, war förmlich entsetzt darüber, wie anders er wirkte. Dass er ihrer Bitte einfach nachkam, nichts gegen ihren beinah gebieterischen Ton einzuwenden hatte, den das Bitte doch nicht ganz hatte abmildern können.   Er wirkte erschöpft, als er sich auf den Stuhl neben dem Bett fallen ließ, und gebrochen. Die Geschehnisse mussten ihm zugesetzt haben, mehr als irgendjemandem sonst. Sie selbst war in Norwegen gewesen, hatte von all dem nur durch Briefe von Remus und Maggie erfahren. Daraufhin war sie hergekommen, irgendwohin hatte sie gehen müssen, aber allein hatte sie auch nicht sein wollen.     Sie merkte, dass sein Blick an ihrer linken Wange hing, wo direkt über dem Knochen eine halb verheilte, waagrechte Wunde war. „Keine Woche her“, erklärte sie und fuhr mit der Hand daran entlang. Der Schmerz ziepte durch ihr ganzes Gesicht. „Ein Bowtruckle … Jedenfalls hab ich Glück gehabt, dass es nicht meine Augen getroffen hat.“   Er schwieg und verzog keine Miene, aber sie konnte sich seine Reaktion vorstellen, wenn sie in einer anderen Situation gewesen wären als der gegenwärtigen. Du bist zu unvorsichtig, hätte er gesagt und vielleicht sogar höhnisch gelächelt. Doch jetzt war jedes Lächeln fehl am Platz.   „Völlig unwichtig“, sagte sie leise. Es war nur eine kleine Narbe, weder die erste noch die letzte. Nur eine weitere Geschichte, die sie in einem passenderen Moment gern erzählt hätte.   Weiterhin schwieg er und sie hatte keine Möglichkeit, ihm anzusehen, was er dachte. Vorstellen konnte sie es sich, ja, denn im Grunde war es wohl dasselbe, was auch ihr durch den Kopf ging.   Es fiel ihr ungeheuer schwer, zu begreifen, dass Sirius Lily und James verraten haben sollte. Dass er Peter umgebracht hatte. Niemals hätte sie ihm das zugetraut, wie sie ihn gekannt hatte. Aber vielleicht hatte sie das nicht. Vielleicht hatte er alles nur gespielt, mit seiner überdrehten Art und diesem ewig selbstgefälligen Grinsen. Ganz egal, was passieren wird, hatte er gesagt, war da schon alles klar gewesen? Damals hatte sie gedacht, das sei nur auf Severus bezogen gewesen.   Genauso wenig wollte sie begreifen, dass Lily fort war, und James, dass der kleine Harry nun ganz allein war. Schon jetzt fehlten sie so sehr, fehlte die Gewissheit, dass sie da waren, dass Sara sie einfach besuchen konnte, wenn sie wollte – auch wenn sie das viel zu selten getan hatte. Doch Briefe hatte sie geschrieben, viele Briefe, und ebenso viele bekommen, die sie nun ebenfalls vermissen würde.     Sara senkte den Blick auf ihren Nachttisch, wo ein gerahmtes Foto stand, das Maggie damals in der Schule geschossen hatte. Sie hatte eine neue Kamera bekommen und mit in die Schule gebracht, sie natürlich sofort ausprobieren müssen. Sara und Lily hatten Severus mit einiger Mühe dazu überreden können, ebenfalls mitzumachen, und so standen sie da zu dritt.   Es war ein Zeugnis besserer Zeiten, das Sara seitdem überall hin begleitet hatte. Auch Lily hatte einen Abzug bekommen, jedoch wusste Sara nicht, was nach dem Vorfall zu den Prüfungen damit geschehen war. Im Stillen hoffte sie, dass Lily es behalten und bewahrt hatte, nur zur Erinnerung, aber darüber gesprochen hatten sie nie.   Nun war sie fort, und es blieb nur noch ihr Lächeln auf diesem Foto.   „Hast du dazu irgendetwas zu sagen?“, fragte Sara, als die Stille drohte, sie zu erdrücken. Sie klang heiser, obwohl sie nicht geweint hatte, es war einfach nicht gegangen, dazu war alles noch zu unwirklich. Genauso wenig hatte sie in der letzten Nacht geschlafen. Heute hatte sie kaum gegessen und das Zimmer nur verlassen, wenn es absolut nötig gewesen war. Tabitha hatte sich große Sorgen gemacht und eine Weile bei ihr gesessen.   Er ballte die Hände auf den Knien zu Fäusten und Sara erwartete schon, dass er weiter schweigen würde.   „Ich habe getan, was ich konnte.“   Sara hob die Brauen. Der Klang seiner Stimme war so gänzlich anders, als sie ihn in Erinnerung hatte, passte genau zu dem Bild, das er im Moment abgab. „Und das wäre?“ Der Ton, in dem sie sich das sagen hörte, erschütterte sie selbst. Er war so hart, plötzlich sah sie sich in vertauschten Rollen, war nicht mehr das Mädchen, das getadelt wurde; es fühlte sich furchtbar an. Schlimmer noch als an diesem Abend im Gemeinschaftsraum, als sie ihn zur Rede gestellt hatte. Dabei durfte sie sich heute nicht einbilden, sie wäre irgendwie besser als er, denn sie war nicht einmal da gewesen, hatte nichts mitbekommen, bis es zu spät gewesen war. Doch hätte ihre Anwesenheit etwas geändert? Nein, das hatte sie schließlich niemals. Darüber hatte sie Vorwürfe erwartet, doch es waren bisher keine gekommen. Von Tabitha nicht und nicht einmal von Maggie.     „Ich habe ihn darum angefleht, sie zu verschonen.“   Es klang nach einer Bitte um Verständnis, nach einer Rechtfertigung. Dinge, die Sara am liebsten niemals von ihm gehört hätte. Forderungen durfte er an sie stellen so viele er wollte, und im Regelfall käme sie jeder auch ohne Zögern nach, und rechtfertigen brauchte er sich vor ihr schon gar nicht. Doch dieser beinah flehende Ton verunsicherte sie stark. Er passte nicht in das Bild, das sie sich von ihm aufgebaut hatte über all die Jahre, das sie sich bewahren wollte, und das sie vor allem in dieser Zeit brauchte.   „Sie“, wiederholte Sara langsam und wurde diesen Ton einfach nicht los. Sie wie Lily, nicht sie wie Lily, James und den kleinen Harry. Saras Augen brannten bei der Erinnerung an das Bild der kleinen Familie, wie sie die drei zum letzten Mal gesehen hatte. Dieses kleine Fleckchen Glück, und nun war es zerschlagen. Aber sie rang die Tränen nieder, schluckte schwer.   Sein Blick traf ihren und kalte Wut stand in seinen Augen. Für einen Moment hoffte sie, dass er wieder der Alte war.   Sie hob die Hand, um ihm einen Kommentar zu ersparen. Es wäre in jedem Fall einer der Sorte gewesen, die sie heute nicht hören wollte. „Aber der Dunkle Lord verschont nicht, nicht wahr?“   „Ich bin zu … Dumbledore gegangen, weil ich dachte, er könnte sie schützen …“   „Sie“, wiederholte Sara erneut. Aber wie sollte man auch von ihm erwarten, sich um James Potter zu sorgen oder seinen Sohn, selbst wenn er auch Lilys Sohn war? Es war ihm nur um sie gegangen, so wie immer. Bis vor einigen Jahren hätte Sara sich auch gar nicht so sehr daran gestört.   Seine Züge verhärteten sich. „Sie alle, meinetwegen!“, bellte er. „Aber das ist auch ohne Bedeutung, weil dieser …“ Er verstummte und starrte auf seine Hände, sodass sein Gesicht von Haaren verdeckt wurde.   In diesem Moment wünschte Sara sich beinahe, er würde es aussprechen, was immer er nicht sagen wollte. Wie auch immer er Sirius jetzt nennen konnte, sie war sich sicher, dass sie diese Meinung teilen würde. Doch sie ließ ihn. „Er ist in Askaban“, sagte sie leise und beugte sich ein Stück vor. „Wo er hingehört.“ Es tat so weh, das zu sagen, noch mehr, es auch so zu meinen, weil er ihr Anlass dazu gegeben hatte. Ihre Stimme bebte nicht einmal.   Er rührte sich nicht, aber er zitterte.   „Und der kleine Harry lebt“, sagte Sara und legte ihre Hände auf seine, an denen die Knöchel weiß unter der fahlen Haut hervortraten. Er ließ es zu. „Wo ist er?“   „Bei ihrer Schwester.“   Er klang abwesend, als wäre das ein Detail, das ihn nicht sonderlich interessierte, und doch war da die alte Verachtung in seiner Stimme, wenn es um Lilys Schwester ging. Sara kannte Petunia nicht, aber was sie gehört hatte, genügte ihr, um ihn zu verstehen. Es wollte ihr nicht so recht gefallen, den Kleinen bei ihr zu wissen, doch zumindest war er in Sicherheit und einen anderen Weg gab es nicht, nachdem gerade Sirius an allem schuld war.   Beinahe wäre sie seine Patentante geworden, hatte aber mit dem Gedanken abgelehnt, dass sie dazu wenig geeignet war. Hätte sie geahnt, was passieren würde, hätte sie natürlich zugesagt, auch wenn es sicherlich nicht einfach geworden wäre. Doch es brachte nichts, sich mit dem Gedanken aufzuhalten, was hätte passieren können. Oder damit, wie ein Baby den Todesfluch überlebt haben konnte. Es zählte nur, dass es so war, und darüber galt es, sich zu freuen.     „Und der Dunkle Lord ist also verschwunden …“, sagte sie, dachte eher laut, als dass sie die Worte tatsächlich an Severus richtete. Das war niemals ein Thema gewesen, das sie sehr berührt hätte. Nirgends, wo sie gewesen war, hatte sie sich Gedanken darum machen müssen. „Was tust du jetzt?“   Er sah auf und machte den Eindruck, als hätte sie ihn mit dieser Frage aus den eigenen Gedanken gerissen. „Dumbledore hat mich eingestellt. Als Lehrer für Zaubertränke“, antwortete er und sie wunderte sich ein bisschen darüber. Über seinen Ton, der nun etwas noch Ungewohnteres an sich hatte, das sie gar nicht so recht zu deuten vermochte. Und über den Inhalt, dass Dumbledore ausgerechnet ihn ausgerechnet in diesen Zeiten als Lehrer an die Schule holte.   Anstatt Fragen zu stellen, verzog sie den Mund zu etwas, das ein Lächeln hätte werden sollen, es jedoch nur zu einer seltsamen Fratze brachte. „Dann werde ich meine Briefe ab jetzt wohl an Hogwarts adressieren.“     Sie verfielen wieder in Schweigen, nur Athenes Schnurren war zu hören. Mit der Zeit entspannten sich Severus’ Hände in Saras. Mit einer kleinen Geste konnte sie ihn dazu bewegen, sich neben sie aufs Bett zu setzen und hinzunehmen, dass sie sich an seinem Arm festhielt.   Er saß nur da und starrte die fünfzehnjährige Lily auf dem Foto an, sie lächelte zurück, unwissend darüber, was mit ihrem älteren Ich geschehen würde. Hinter seinem Rücken hatten Sara und sie damals die Hände gehalten, damit er bloß keinen Fluchtweg hatte, sollte er es sich doch anders überlegen. Und Sara, damals ganz stolz darüber, endlich im Verbotenen Wald gewesen zu sein, hatte ihn zusätzlich an der Schulter festgehalten.   Was hätte sie in diesem Moment darum gegeben, zu jenem Tag zurückkehren zu können? Von dort an neu starten zu können? Alles hätte anders kommen können, wären ein paar Fehler nicht gemacht worden. Doch auch dieser Gedanke war vergebens, denn es ließ sich nichts rückgängig machen.   Ein paar Winter zuvor unten in der Küche hatte Sara das Gefühl gehabt, er hätte sie für eine Weile völlig vergessen, doch diesmal war das nicht der Fall. Allerdings konnte sie nicht genau sagen, was es war, das sie darin so sicher machte.   Athene stand auf und streckte sich ausgiebig, nur um auf Saras Schoß zu steigen und mit dem feuchten Näschen ihre Hand anzustupsen, die reglos auf dem linken Oberschenkel lag. Eine Aufforderung, der Sara fast automatisch nachkam und ihre alte Katze ansah, um nicht ständig dieses glückliche, naive Lächeln vor Augen haben zu müssen. Es reichte, dass es in ihren Gedanken war.   Tränen tropften auf Athenes weißes Fell und von Saras linker Wange her breitete sich brennender Schmerz über ihr Gesicht aus. Sie gab sich alle Mühe, es sich nicht so stark anmerken zu lassen, doch Athenes Schnurren übertönte nicht die immer schwerer und zittriger werdenden Atemzüge. Es war nicht der Schmerz, der war kaum mehr nennenswert gegenüber der Anfangszeit, als die Salbe, die sie aufgetragen hatte, noch schlimmer gebrannt hatte als nun die Tränen.   Natürlich bemerkte er es, sah sie flüchtig aus dem Augenwinkel an, doch jede Bemerkung blieb aus. Er setzte sich nur etwas aufrechter hin, und drückte somit ihren Arm mit seinem fester an sich. [Anfang November 1981 – Bridge over troubled Water]   Es war so still in Saras Zimmer, dass sie sogar hören konnten, wie Tabitha im Erdgeschoss die Haustür öffnete. Anstatt einer Begrüßung folgte nur Schweigen und das bestätigte die Vermutung der beiden Mädchen, wer der Besucher sein konnte.   „Sie ist oben“, hörten sie Tabitha sagen und kurz darauf erklangen Schritte auf der Treppe.   Maggie stand auf und zog langsam ihren Zauberstab, den Blick auf die Tür gerichtet.   „Maggie.“ Sara hielt ihr Handgelenk fest und erhob sich ebenfalls. Athene maunzte erschrocken, weil der Widerstand, an den sie sich gelehnt hatte, verschwunden war. „Bitte nicht. Er hat nichts damit zu tun.“   Maggie schaute sie nur skeptisch an und steckte doch den Zauberstab weg. Ihr Blick wanderte zum Fenster, als überlegte sie, einfach davon zu fliegen. Allerdings bezweifelte Sara, dass es nach ein paar Monaten mit ihren Animagusfähigkeiten schon so weit her war.   Das schien ihr selbst ebenfalls klar zu sein, denn sie rührte sich nicht. „Kannst du es wissen?“   Sara nickte nur schweigend. Allein der Gedanke kam ihr absolut absurd vor, und wäre es so, wäre er jetzt garantiert nicht hier.   Ihre Zweifel verschwanden vollends, als die Tür geöffnet wurde und Severus im Türrahmen stand, Haare und Umhang nass vom finnischen Schnee. Er sah aus, als hätte er seit Tagen weder gegessen noch geschlafen. Sara hielt das nicht für unwahrscheinlich.     Einen Moment lang herrschte angespanntes Schweigen. Sara fürchtete, es würde zu einer Auseinandersetzung kommen, doch Maggie drehte sich ruckartig zu ihr um, streichelte über Athenes Rücken und umarmte Sara. Drückte sie fest an sich. „Ich geh dann mal. Komm vorbei, wann immer du möchtest.“   „Danke.“ Sara küsste sie flüchtig auf die Wange.   Maggie ging mit dem größtmöglichen Abstand an Severus vorbei, hastete die Treppe hinunter und rief Tabitha einen Abschiedsgruß zu, bevor sie durch die Tür verschwand und es wieder still wurde.     „Schließ die Tür.“ Sara ließ sich wieder auf das Bett sinken und kraulte Athenes Wange. „Bitte.“ Sie nahm den Blick nicht von ihm, war förmlich entsetzt darüber, wie anders er wirkte. Dass er ihrer Bitte einfach nachkam, nichts gegen ihren beinah gebieterischen Ton einzuwenden hatte, den das Bitte doch nicht ganz hatte abmildern können.   Er wirkte erschöpft, als er sich auf den Stuhl neben dem Bett fallen ließ, und gebrochen. Die Geschehnisse mussten ihm zugesetzt haben, mehr als irgendjemandem sonst. Sie selbst war in Norwegen gewesen, hatte von all dem nur durch Briefe von Remus und Maggie erfahren. Daraufhin war sie hergekommen, irgendwohin hatte sie gehen müssen, aber allein hatte sie auch nicht sein wollen.     Sie merkte, dass sein Blick an ihrer linken Wange hing, wo direkt über dem Knochen eine halb verheilte, waagrechte Wunde war. „Keine Woche her“, erklärte sie und fuhr mit der Hand daran entlang. Der Schmerz ziepte durch ihr ganzes Gesicht. „Ein Bowtruckle … Jedenfalls hab ich Glück gehabt, dass es nicht meine Augen getroffen hat.“   Er schwieg und verzog keine Miene, aber sie konnte sich seine Reaktion vorstellen, wenn sie in einer anderen Situation gewesen wären als der gegenwärtigen. Du bist zu unvorsichtig, hätte er gesagt und vielleicht sogar höhnisch gelächelt. Doch jetzt war jedes Lächeln fehl am Platz.   „Völlig unwichtig“, sagte sie leise. Es war nur eine kleine Narbe, weder die erste noch die letzte. Nur eine weitere Geschichte, die sie in einem passenderen Moment gern erzählt hätte.   Weiterhin schwieg er und sie hatte keine Möglichkeit, ihm anzusehen, was er dachte. Vorstellen konnte sie es sich, ja, denn im Grunde war es wohl dasselbe, was auch ihr durch den Kopf ging.   Es fiel ihr ungeheuer schwer, zu begreifen, dass Sirius Lily und James verraten haben sollte. Dass er Peter umgebracht hatte. Niemals hätte sie ihm das zugetraut, wie sie ihn gekannt hatte. Aber vielleicht hatte sie das nicht. Vielleicht hatte er alles nur gespielt, mit seiner überdrehten Art und diesem ewig selbstgefälligen Grinsen. Ganz egal, was passieren wird, hatte er gesagt, war da schon alles klar gewesen? Damals hatte sie gedacht, das sei nur auf Severus bezogen gewesen.   Genauso wenig wollte sie begreifen, dass Lily fort war, und James, dass der kleine Harry nun ganz allein war. Schon jetzt fehlten sie so sehr, fehlte die Gewissheit, dass sie da waren, dass Sara sie einfach besuchen konnte, wenn sie wollte – auch wenn sie das viel zu selten getan hatte. Doch Briefe hatte sie geschrieben, viele Briefe, und ebenso viele bekommen, die sie nun ebenfalls vermissen würde.     Sara senkte den Blick auf ihren Nachttisch, wo ein gerahmtes Foto stand, das Maggie damals in der Schule geschossen hatte. Sie hatte eine neue Kamera bekommen und mit in die Schule gebracht, sie natürlich sofort ausprobieren müssen. Sara und Lily hatten Severus mit einiger Mühe dazu überreden können, ebenfalls mitzumachen, und so standen sie da zu dritt.   Es war ein Zeugnis besserer Zeiten, das Sara seitdem überall hin begleitet hatte. Auch Lily hatte einen Abzug bekommen, jedoch wusste Sara nicht, was nach dem Vorfall zu den Prüfungen damit geschehen war. Im Stillen hoffte sie, dass Lily es behalten und bewahrt hatte, nur zur Erinnerung, aber darüber gesprochen hatten sie nie.   Nun war sie fort, und es blieb nur noch ihr Lächeln auf diesem Foto.   „Hast du dazu irgendetwas zu sagen?“, fragte Sara, als die Stille drohte, sie zu erdrücken. Sie klang heiser, obwohl sie nicht geweint hatte, es war einfach nicht gegangen, dazu war alles noch zu unwirklich. Genauso wenig hatte sie in der letzten Nacht geschlafen. Heute hatte sie kaum gegessen und das Zimmer nur verlassen, wenn es absolut nötig gewesen war. Tabitha hatte sich große Sorgen gemacht und eine Weile bei ihr gesessen.   Er ballte die Hände auf den Knien zu Fäusten und Sara erwartete schon, dass er weiter schweigen würde.   „Ich habe getan, was ich konnte.“   Sara hob die Brauen. Der Klang seiner Stimme war so gänzlich anders, als sie ihn in Erinnerung hatte, passte genau zu dem Bild, das er im Moment abgab. „Und das wäre?“ Der Ton, in dem sie sich das sagen hörte, erschütterte sie selbst. Er war so hart, plötzlich sah sie sich in vertauschten Rollen, war nicht mehr das Mädchen, das getadelt wurde; es fühlte sich furchtbar an. Schlimmer noch als an diesem Abend im Gemeinschaftsraum, als sie ihn zur Rede gestellt hatte. Dabei durfte sie sich heute nicht einbilden, sie wäre irgendwie besser als er, denn sie war nicht einmal da gewesen, hatte nichts mitbekommen, bis es zu spät gewesen war. Doch hätte ihre Anwesenheit etwas geändert? Nein, das hatte sie schließlich niemals. Darüber hatte sie Vorwürfe erwartet, doch es waren bisher keine gekommen. Von Tabitha nicht und nicht einmal von Maggie.     „Ich habe ihn darum angefleht, sie zu verschonen.“   Es klang nach einer Bitte um Verständnis, nach einer Rechtfertigung. Dinge, die Sara am liebsten niemals von ihm gehört hätte. Forderungen durfte er an sie stellen so viele er wollte, und im Regelfall käme sie jeder auch ohne Zögern nach, und rechtfertigen brauchte er sich vor ihr schon gar nicht. Doch dieser beinah flehende Ton verunsicherte sie stark. Er passte nicht in das Bild, das sie sich von ihm aufgebaut hatte über all die Jahre, das sie sich bewahren wollte, und das sie vor allem in dieser Zeit brauchte.   „Sie“, wiederholte Sara langsam und wurde diesen Ton einfach nicht los. Sie wie Lily, nicht sie wie Lily, James und den kleinen Harry. Saras Augen brannten bei der Erinnerung an das Bild der kleinen Familie, wie sie die drei zum letzten Mal gesehen hatte. Dieses kleine Fleckchen Glück, und nun war es zerschlagen. Aber sie rang die Tränen nieder, schluckte schwer.   Sein Blick traf ihren und kalte Wut stand in seinen Augen. Für einen Moment hoffte sie, dass er wieder der Alte war.   Sie hob die Hand, um ihm einen Kommentar zu ersparen. Es wäre in jedem Fall einer der Sorte gewesen, die sie heute nicht hören wollte. „Aber der Dunkle Lord verschont nicht, nicht wahr?“   „Ich bin zu … Dumbledore gegangen, weil ich dachte, er könnte sie schützen …“   „Sie“, wiederholte Sara erneut. Aber wie sollte man auch von ihm erwarten, sich um James Potter zu sorgen oder seinen Sohn, selbst wenn er auch Lilys Sohn war? Es war ihm nur um sie gegangen, so wie immer. Bis vor einigen Jahren hätte Sara sich auch gar nicht so sehr daran gestört.   Seine Züge verhärteten sich. „Sie alle, meinetwegen!“, bellte er. „Aber das ist auch ohne Bedeutung, weil dieser …“ Er verstummte und starrte auf seine Hände, sodass sein Gesicht von Haaren verdeckt wurde.   In diesem Moment wünschte Sara sich beinahe, er würde es aussprechen, was immer er nicht sagen wollte. Wie auch immer er Sirius jetzt nennen konnte, sie war sich sicher, dass sie diese Meinung teilen würde. Doch sie ließ ihn. „Er ist in Askaban“, sagte sie leise und beugte sich ein Stück vor. „Wo er hingehört.“ Es tat so weh, das zu sagen, noch mehr, es auch so zu meinen, weil er ihr Anlass dazu gegeben hatte. Ihre Stimme bebte nicht einmal.   Er rührte sich nicht, aber er zitterte.   „Und der kleine Harry lebt“, sagte Sara und legte ihre Hände auf seine, an denen die Knöchel weiß unter der fahlen Haut hervortraten. Er ließ es zu. „Wo ist er?“   „Bei ihrer Schwester.“   Er klang abwesend, als wäre das ein Detail, das ihn nicht sonderlich interessierte, und doch war da die alte Verachtung in seiner Stimme, wenn es um Lilys Schwester ging. Sara kannte Petunia nicht, aber was sie gehört hatte, genügte ihr, um ihn zu verstehen. Es wollte ihr nicht so recht gefallen, den Kleinen bei ihr zu wissen, doch zumindest war er in Sicherheit und einen anderen Weg gab es nicht, nachdem gerade Sirius an allem schuld war.   Beinahe wäre sie seine Patentante geworden, hatte aber mit dem Gedanken abgelehnt, dass sie dazu wenig geeignet war. Hätte sie geahnt, was passieren würde, hätte sie natürlich zugesagt, auch wenn es sicherlich nicht einfach geworden wäre. Doch es brachte nichts, sich mit dem Gedanken aufzuhalten, was hätte passieren können. Oder damit, wie ein Baby den Todesfluch überlebt haben konnte. Es zählte nur, dass es so war, und darüber galt es, sich zu freuen.     „Und der Dunkle Lord ist also verschwunden …“, sagte sie, dachte eher laut, als dass sie die Worte tatsächlich an Severus richtete. Das war niemals ein Thema gewesen, das sie sehr berührt hätte. Nirgends, wo sie gewesen war, hatte sie sich Gedanken darum machen müssen. „Was tust du jetzt?“   Er sah auf und machte den Eindruck, als hätte sie ihn mit dieser Frage aus den eigenen Gedanken gerissen. „Dumbledore hat mich eingestellt. Als Lehrer für Zaubertränke“, antwortete er und sie wunderte sich ein bisschen darüber. Über seinen Ton, der nun etwas noch Ungewohnteres an sich hatte, das sie gar nicht so recht zu deuten vermochte. Und über den Inhalt, dass Dumbledore ausgerechnet ihn ausgerechnet in diesen Zeiten als Lehrer an die Schule holte.   Anstatt Fragen zu stellen, verzog sie den Mund zu etwas, das ein Lächeln hätte werden sollen, es jedoch nur zu einer seltsamen Fratze brachte. „Dann werde ich meine Briefe ab jetzt wohl an Hogwarts adressieren.“     Sie verfielen wieder in Schweigen, nur Athenes Schnurren war zu hören. Mit der Zeit entspannten sich Severus’ Hände in Saras. Mit einer kleinen Geste konnte sie ihn dazu bewegen, sich neben sie aufs Bett zu setzen und hinzunehmen, dass sie sich an seinem Arm festhielt.   Er saß nur da und starrte die fünfzehnjährige Lily auf dem Foto an, sie lächelte zurück, unwissend darüber, was mit ihrem älteren Ich geschehen würde. Hinter seinem Rücken hatten Sara und sie damals die Hände gehalten, damit er bloß keinen Fluchtweg hatte, sollte er es sich doch anders überlegen. Und Sara, damals ganz stolz darüber, endlich im Verbotenen Wald gewesen zu sein, hatte ihn zusätzlich an der Schulter festgehalten.   Was hätte sie in diesem Moment darum gegeben, zu jenem Tag zurückkehren zu können? Von dort an neu starten zu können? Alles hätte anders kommen können, wären ein paar Fehler nicht gemacht worden. Doch auch dieser Gedanke war vergebens, denn es ließ sich nichts rückgängig machen.   Ein paar Winter zuvor unten in der Küche hatte Sara das Gefühl gehabt, er hätte sie für eine Weile völlig vergessen, doch diesmal war das nicht der Fall. Allerdings konnte sie nicht genau sagen, was es war, das sie darin so sicher machte.   Athene stand auf und streckte sich ausgiebig, nur um auf Saras Schoß zu steigen und mit dem feuchten Näschen ihre Hand anzustupsen, die reglos auf dem linken Oberschenkel lag. Eine Aufforderung, der Sara fast automatisch nachkam und ihre alte Katze ansah, um nicht ständig dieses glückliche, naive Lächeln vor Augen haben zu müssen. Es reichte, dass es in ihren Gedanken war.   Tränen tropften auf Athenes weißes Fell und von Saras linker Wange her breitete sich brennender Schmerz über ihr Gesicht aus. Sie gab sich alle Mühe, es sich nicht so stark anmerken zu lassen, doch Athenes Schnurren übertönte nicht die immer schwerer und zittriger werdenden Atemzüge. Es war nicht der Schmerz, der war kaum mehr nennenswert gegenüber der Anfangszeit, als die Salbe, die sie aufgetragen hatte, noch schlimmer gebrannt hatte als nun die Tränen.   Natürlich bemerkte er es, sah sie flüchtig aus dem Augenwinkel an, doch jede Bemerkung blieb aus. Er setzte sich nur etwas aufrechter hin, und drückte somit ihren Arm mit seinem fester an sich. -------------------- 7. Kapitel: Der eine Moment -------------------- [Januar 1983]   Sara stolperte aus dem Kamin und direkt in die Arme von Maggie, die sie in der Eingangshalle des Ministeriums erwartete. „Entschuldige, dass es etwas gedauert hat.“ Sie klopfte sich die Asche vom Umhang und den Haaren. „Deine kleine Eule hat mich im Wald erwischt, ich hab Graphörner gesucht, und da musste ich erstmal zum Haus und das Flohpulver suchen und alles, was ich brauche.“   Maggie lächelte verständnisvoll und wischte mit den Händen über Saras Wangen. „Das sieht man. Atme erst einmal durch, beruhig dich, du bist noch nicht zu spät.“   Sara seufzte erleichtert. „Sehr gut, es wäre zu schade, wenn der kleine Kerl sich umsonst vollkommen verausgabt hätte. Sieh ihn dir doch an.“ Während Maggie sie durch die Halle vorbei an Dutzenden anderen Zauberern und Hexen führte, die hier arbeiteten oder Termine hatten, holte sie aus einer der größeren Innentaschen ihres Umhangs einen winzigen Sperlingskauz. Er war in ihren Händen zusammengebrochen in dem Moment, da sie ihm den kleinen, hastig beschriebenen Zettel mit Maggies Anliegen abgenommen hatte, und sie war schon ganz besorgt gewesen.   Nun war seine Energie allerdings zurückgekehrt und er hüpfte an ihrem Arm entlang auf ihre Schulter, schüttelte sich kräftig und ordnete sein Gefieder.   „Das arme Ding. Aber das hast du gut gemacht, Kleiner. Gönn dir erstmal eine Weile Ruhe.“ Maggie drückte den Aufzugsknopf und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. „Danke, dass du gekommen bist. All unsere Leute, die sich normalerweise darum kümmern würden, sind anderweitig beschäftigt, wir können nicht auf sie warten.“   „Ist doch ganz selbstverständlich.“ Irgendwann hatte Sara die Abteilung ohnehin einmal besuchen wollen, um die Bluthunde kennenzulernen, allerdings lieber unter anderen Umständen. „Vielleicht wäre es aber besser gewesen, ich hätte mehr gewusst.“   Maggie sah sie von der Seite an. „Ich war ja nicht dabei, man hat sich nur an mich gewandt, damit ich dir schreibe. Weil …“ Sie verstummte, als der Aufzug kam und neben einem Schwarm Memos einige Zauberer ausstiegen. Einen schien sie zu kennen, denn sie lächelte ihm zu, worauf er ihr zunickte und seinem Kollegen zuhörte, der über irgendwelche Bestimmungen ausließ.   Für einen Moment waren sie allein in diesem Fahrstuhl und Sara fiel auf, dass am Boden noch Reste von Eulenkot klebten, die sich auch lange nach dem Umstieg auf die Memos offensichtlich hartnäckig gegen selbst die stärksten Reinigungszauber wehrten. Seit sie Odette hatte, kannte sie dieses Problem, auch wenn sie darauf achtete, dass der Käfig stets sauber war und der Dreck gar keine Zeit hatte, sich allzu fest anzusetzen.   Ein Memo schwirrte herein und Sara musste den kleinen Sperlingskauz festhalten, als er versuchte, es zu schnappen. Daraufhin achtete es darauf, immer Maggie zwischen sich und dem Kauz zu halten.   Zwei Hexen in Quidditchtrikots kamen angehastet und bedankten sich bei Sara dafür, dass sie die Tür aufhielt, die sich gerade hatte schließen wollen. Sie hielten Besen in der Hand, allerdings nicht gerade neue Modelle.     Kurz nach ihnen betrat noch jemand den Aufzug, nur einen Augenblick bevor er sich in Bewegung setzte, und Sara wäre am liebsten hinter Maggie verschwunden, was durch den nicht riesigen, aber doch bemerkbaren Größenunterschied unmöglich war. Abgesehen davon, dass sie sich nicht rühren konnte, ohne Reisig im Gesicht zu haben.   Daran, dass ihr Vater ja noch immer im Ministerium arbeitete, und auch noch in der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe, hatte sie kaum gedacht, nur gehofft, dass er vielleicht auf einem seiner zahlreichen Außeneinsätze war. Drei Jahre war es her, dass sie ihn kurz in der Winkelgasse gesehen hatte. Und nun stand er hier und starrte sie an. Das rote Haar zeigte schon Ansätze grauer Strähnen, aber ansonsten sah er aus wie immer, glatt rasiert bis auf einen kurz gestutzten Backenbart.   Da stand sie, konnte nicht fliehen, wusste nicht, was sie sagen sollte. Ob sie überhaupt etwas sagen sollte oder nur seinen Blick erwidern, was ihr doch leichter fiel als gedacht.   „Mr Crowfield“, sagte Maggie höflich und mit einem leichten Lächeln. Damit brach sie die Stille, die Sara unerträglich erschien und nur vom Rascheln der Besen gestört wurde, wenn der Aufzug die Richtungen änderte. Es kam Sara vor, als wären sie schon ewig unterwegs, auch wenn es wahrscheinlich noch keine Minute war.   „Maggie“, erwiderte er, sah aber nach wie vor Sara an. „Sara.“   „Vater.“ Saras Herz schlug gegen ihre Rippen, aber sie versuchte ihr Bestes, um jedes Anzeichen dafür, wie viel Stress diese Situation auslöste, aus ihrer Stimme fernzuhalten. Sie war froh, dass sie nicht allein mit ihm war, vor allem vor diesen beiden völlig fremden Hexen würde er wahrscheinlich nichts Heikles ansprechen. Er war immer der Meinung gewesen, dass man private Angelegenheiten nicht in der Öffentlichkeit breittreten musste und das hatte sie wohl von ihm.   Seit jenem Sommer hatte sie kein normales Gespräch mehr mit ihm geführt, genauso wenig wie mit ihrer Mutter, hatte keine Ahnung, wie er mittlerweile über die ganze Sache dachte. Sie für ihren Teil würde ein Leben lang nicht vergessen, was er gesagt hatte. Nicht die Briefe, vor allem nicht den Heuler. Er war niemals auf sie zu gekommen, um mit ihr darüber zu reden, und würde doch nie von ihr erwarten den ersten Schritt zu tun, oder? So gut musste er sie doch noch kennen, um zu wissen, dass sie nicht der Typ Mensch dafür war.   Wahrscheinlich war er nach wie vor böse auf sie, da er ja auch erfahren hatte, dass sie nach wie vor den Kontakt zu Severus nicht abgebrochen hatte. Nach jenem Sommer nicht, nach der Schule nicht und auch nicht nach dieser furchtbaren Halloweennacht. Dass sie nicht einmal daran dachte, ihr Wort zu brechen, das sie ihm damals gegeben hatte. Ganz im Gegenteil.   Sein Blick, der nicht bloß von Überraschung zeugte, sagte ihr, dass sie mit dieser Vermutung recht hatte. „Es überrascht mich, dich hier zu treffen.“ Sie hörte keine Abneigung heraus, aber auch nicht die väterliche Wärme von früher, und beinah hätte sie gefragt, ob es denn eine nette Überraschung war. Doch auf solche Spitzen wollte sie verzichten.   In den letzten Jahren hatte sie sich hin und wieder mit Tabitha darüber unterhalten, was sie wohl tun würde, wenn ihr Vater sich entschuldigte – so unwahrscheinlich ihr diese Möglichkeit auch erscheinen mochte. Besonders sicher war sie sich bei keiner der Antworten gewesen, die sie gegeben hatte. Natürlich wäre es ihr lieb, wenn das Verhältnis zu ihren Eltern sich wieder verbessern würde, aber sie wusste, dass das nicht einfach war. Dass es niemals mehr so werden würde wie früher. Sie wusste nur, dass sie nicht anfangen, sich aber auch nicht grundsätzlich sträuben würde.     Der Fahrstuhl hielt an, bevor Sara antworten konnte, und die beiden Hexen mit ihren Besen stiegen in der Abteilung für magische Spiele aus. Herein kam nur ein Memo, das gleich bei Saras Vater blieb und um seinen Kopf flatterte.   „Ich bin wegen Hunter hier“, sagte sie, als der Aufzug weiterfuhr. „Ich weiß nicht, ob du mitbekommen hast, dass er…“   „Ich habe davon gehört“, fiel er ihr ins Wort. „Und ich danke dir, dass du dich darum kümmern möchtest.“   Nur zu deutlich sah sie, dass ihm noch mehr auf der Zunge lag. Aber welcher Art, das wusste sie wirklich nicht. Es kehrte wieder Stille ein, und als Maggie sich zu ihr umdrehte und den kleinen Kauz kraulte, stellte Sara fest, dass das ein guter Moment wäre, um zu reden. Maggie war bei ihr und bis zum nächsten Halt waren sie ungestört.     Doch Saras Vater drehte sich um und der Moment verstrich, es dauerte nicht mehr lang, bis der Aufzug hielt. Vor der Tür teilte der Gang sich, und es stellte sich heraus, dass sie in verschiedene Richtungen unterwegs waren.   „Grüß Mum bitte von mir“, sagte Sara und wartete gar nicht mehr ab, dass darauf antwortete, sondern folgte einfach dem Pfeil, der in Richtung Unterabteilung Schädlingsbekämpfung wies.  Maggie, die einen Moment stehen geblieben war, holte zu ihr auf. Sara erwartete, dass sie sie jetzt darauf ansprach, aber sie schwieg nur und ging ein paar Schritte voraus, um eine Tür zu öffnen.     Sie wurden empfangen vom Geheul eines ganzen Rudels Bluthunde, jeder vollkommen weiß. Fünf Welpen kamen auf sie zugerannt und sprangen an ihren Beinen hoch, hatten es ganz offenbar auf den Kauz abgesehen. Das kleine Vögelchen geriet natürlich in Angst und schlug Sara seinen Flügel gleich mehrfach ins Gesicht, während es versuchte, an ihren Haaren nach oben auf ihren Kopf zu kommen, möglichst weit weg von den Hundchen, wobei er ihr einige Haare ausriss.   Sara machte sich nichts daraus, doch er sollte da am besten nicht die ganze Zeit sitzen. Also setzte sie ihn auf die Eulenstange neben der Tür.     Hinter einem Schreibtisch, der im Moment nicht besetzt war, befand sich eine schmale, etwas schiefe Tür, die jetzt geöffnet wurde. Eine Hexe, nicht viel älter als Sara und Maggie, kam mit einem großen Schritt in den Raum und sofort stürzten die Welpen auf sie zu. Sie versuchten, ihren Zopf zu schnappen, der ihr bis zur Taille reichte und ihr jetzt über die Schulter fiel.   „Miss Crowfield“, sagte sie mit deutlicher Erleichterung in der Stimme. „Da sind Sie, jetzt brauch ich mir keine Sorgen um den guten Hunter mehr zu machen. Danke, Maggie, dass du sie hergeholt hast. Möchtest du gehen, hier warten oder mit reinkommen?“ Mit beiden Händen hielt sie die Tür umklammert, als wollte sie sofort wieder weg, und beachtete die Hundchen gar nicht.   „Sara, das ist Ember“, sagte Maggie leise und lächelte. „Ich warte besser hier, sonst wird der kleine Kerl noch gefressen.“ Mit dem Daumen deutete sie auf den Kauz.   Ember hob die Brauen, musterte den Vogel und dann die Welpen, bevor sie nickte. „In Ordnung. Wenn wir dann anfangen könnten?“ Sie verschwand durch die Tür, ließ sie allerdings offen stehen.   Sara folgte ihr in einen kleineren Raum, in dem nur ein leerer Schreibtisch vor einem Aktenschrank stand, der die gesamte Wand ausfüllte. Unter einem Wandleuchter hockte ein Mann am Boden und streichelte den Hals eines Bluthunds, der in einem großen Korb lag und schwer atmete. Am Hinterbein hatte er einen großen Verband, der sich schon zart rosa färbte.   „Hallo, Hunter.“ Sara ging langsam neben ihm in die Knie und hielt ihm eine Hand vor die Nase, die erschreckend trocken war. Der Hund schnupperte kraftlos an ihr und schaute sie aus Augen an, aus denen selbst sie hätte lesen können, dass etwas nicht stimmte. „Was ist denn mit dir passiert, mein Junge?“   „Eine Giftpflanze“, antwortete der Mann mit gedämpfter Stimme. „Genau genommen …“ Er schritt an einem Bücherschrank auf und ab, bis er das richtige gefunden hatte. Sara trat hinter ihn, als er darin blätterte. „Diese hier“, erklärte er und deutete auf eine Abbildung. „Reste davon haben wir in seinem Fell gefunden.“   „Das Seltsame ist allerdings“, fügte Ember an, als Sara gerade fragen wollte, warum sie dann nicht einfach ein Gegenmittel angewandt hatten, „dass wir den Heiltrank dafür zwar in unserem Bestand gefunden haben, er jedoch nicht geholfen hat.“   Dazu hatte Sara eine bestimmte Vermutung. „Ließen sich denn eine Probe dieses Tranks und vielleicht auch das Buch, nach dem die Vorräte gebraut werden, schnell auftreiben? Ember, würden Sie mir in der Zwischenzeit bitte helfen, den lieben Hunter auf den Tisch zu legen?“   Der Kollege verschwand aus dem Raum. Ember krempelte sich die Ärmel hoch und schob die Hände behutsam unter den schlaffen Körper des Hundes.   Hunter war leichter, als ein Hund in dieser Größe sein sollte, aber doch schwer, da er so kraftlos war. Er wimmerte, als sie ihn auf der Tischplatte ablegten. Ember streichelte ihn, während Sara ihre Taschen nach Verbänden untersuchte und die Wunder genauer in Augenschein nahm. Wenn sie bald handelten, war es noch nicht zu spät und er würde seinen Dienst schnell wiederaufnehmen können.   Der junge Mann kam zurück, in der Hand eine langhalsige Flasche mit milchig gelbem Trank und einen dicken, in Leder gebundenen Wälzer unter den Arm geklemmt.   Das allein bestätigte Saras Verdacht. „Aber ja, ich sehe es sofort, genau da liegt das Problem. Zeigen Sie doch mal her.“ In der Seite mit dem Tränkerezept klemmte ein gebrauchtes Memo, das noch ein bisschen zuckte. „Schauen Sie, es liegt am Trank, dass er nicht wirkt. Dieses Buch stammt aus dem Jahre … achtzehnhundertzweiundsiebzig, ah ja. Kurz, das Rezept ist veraltet. Es fehlt eine wichtige Zutat und das Mischverhältnis wurde ein wenig angeglichen. Einen Moment, bitte …“ Aus ihrer Tasche fischte sie eine Phiole desselben Tranks. Seit sie von der Isle of Skye aufgebrochen war, hatte sie ihn nicht gebraucht, also stammte er noch direkt von Severus.   „Und wenn ich das richtig sehe“, murmelte sie, als sie die Tränke verglich, „stammt Ihr Vorrat wohl noch aus unserem Jahrhundert, ist aber auch schon etwas älter, oder? Sie sehen, wie blass er geworden ist, normalerweise ist diese orangerote Färbung charakteristisch. Und durch das neue Rezept ist er etwas klarer.“   Ember machte einen bestürzten Eindruck und schlug die Hände vor den Mund. „Aber wir haben ihm doch hoffentlich nicht geschadet? Es tut mir so unendlich leid, hätte ich das gewusst …“   „Nicht doch“, sagte Sara sanft. „Die Wirkung ist stark eingeschränkt, für die winzigen Wunden, die weit öfter vorkommen, reicht es auch aus. Doch unser lieber Hunter hier war etwas zu eifrig dabei.“ Sie kraulte Hunters Hals. „Doch keine Sorge, Sie haben es nicht schlimmer gemacht.“ Sie lächelte aufmunternd, doch Ember und ihr Kollege erwiderten es nur schwach.     Vorsichtig lösten sie den alten Verband, was nicht dadurch einfacher wurde, dass Hunter vor Schmerz zuckte und jaulte. Ember tat ihr Bestes, um ihn ruhig zu halten, sprach ihm gut zu und kraulte seinen Kopf. Zum Vorschein kam eine entzündete, längliche Wunde. Auf der Jagd nach dem Nogschwanz musste er förmlich in den Strauch gesprungen sein.   „Haben Sie vielleicht ein Spielzeug? Irgendetwas, auf das er beißen wird? Ich fürchte, das wird gleich für einen Moment fürchterlich wehtun.“   Ember holte von hinter dem Hundekorb ein langes Stück buntes Tau mit einem dicken Knoten an beiden Seiten und schob es Hunter zwischen die Zähne. Sie hielt ihn fest und sah nicht hin, während Sara zwei Tröpfchen des Tranks auf die Wunde tröpfeln ließ. Der Hund gab ein furchtbares, gequältes Geräusch von sich und biss sich in dem Tau fest.   Bei allem, was sie bereits erlebt hatte, war sie froh, dass das nicht ihr Arm war.   „Es hört gleich auf, mein Guter, bald ist es vorbei“, flüsterte sie und legte einen frischen Verband an. „Das wird wieder. Am besten lasse ich Ihnen das hier und Sie wiederholen das in sechs und in zwölf Stunden. Dann sollte es morgen so gut wie vorbei sein. Falls nicht, ich bin noch eine Weile im Lande. Achten Sie natürlich darauf, dass er genug trinkt und isst. Die nächsten Wochen sollte er sich auch schonen, aber hier haben Sie ja genug andere Hundchen. Das neue Rezept bekommen Sie auch von mir.“ Mit einem Schlenker ihres Zauberstabs erschuf sie eine exakte Kopie der Seite in ihrem Buch. „Vielleicht sollten Sie Ihre Bestände hin und wieder erneuern, auch die Bücher.“   Ember nickte dankbar und schob sich die Flasche in den Umhang. „Das werden wir. Wir sind Ihnen etwas schuldig, Miss Crowfield. Natürlich werden Sie bezahlt, aber wenn es abseits davon etwas gibt, das ich für Sie tun kann, sagen Sie es bitte.“   Sara winkte ab. „Aber nein, ich helfe gern. Nur würde ich gern heute noch bleiben, falls ich nicht störe, und vielleicht ein bisschen mit den Kleinen spielen.“ -------------------- 8. Kapitel: Pelzige Probleme -------------------- [Oktober 1986]   Die Nacht ist kalt, es ist schon Oktober, und der Vollmond zeichnet durch die Äste der Fichten tanzende Flecken auf den Waldboden. Es ist ausreichend hell, um zu sehen, auch ohne Zauberstab.   Sara sucht Erklinge, sie hat gehört, dass es in dieser Gegend welche geben soll, es sind auch schon einige Kinder verschwunden, die allein zu tief in den Wald gegangen sind. Auch Sara ist allein, es gibt in der Gegend niemanden, der ausreichend Englisch spricht. Allerdings braucht sie auch niemanden, sie findet sich ganz gut allein zurecht.   Es ist still, das einzige Geräusch kommt von den dürren Ästen, die sich im Wind wiegen, und das verwundert sie schon. Normalerweise ist es nie ganz still im Wald, auch in der Nacht nicht. Doch da ist kein Laut, keine Eule, kein Raubtier, das durchs Unterholz streift. Sie denkt sich einfach, dass es an einem nahenden Gewitter liegt.   Ein Zweig knackt.   Sie hält inne, schaut sich um. Doch ein Tier des Waldes, vielleicht? Ein Erkling, der sie für Beute hält, obwohl sie schon lang kein Kind mehr ist?   Nein, nichts. Nur der Wind in den Baumkronen und ihr eigener Atem. Dennoch geht sie nur langsam weiter, vorsichtig und mit gezücktem Zauberstab, denn wer weiß, was hier noch lauert?     Etwas, mit dem sie nicht gerechnet hat, und sie ist nicht vorsichtig genug. Das Knurren, das aus derselben Richtung kommt wie das Knacken des Zweiges zuvor, hört sie zu spät. Als sie sich umdreht, sieht sie nur einen riesigen Schatten auf sich zuspringen und Fell, das im Mondlicht glänzt.   Im nächsten Moment wird sie zu Boden geschleudert, Schmerz breitet sich von ihren Schulterblättern her aus wie Nadeln, die ihr durch den Oberkörper getrieben werden, die Luft entweicht mit einem Keuchen ihren Lungen. Doch was ihr wirklich Tränen in die Augen treibt, sind Krallen, die sich in ihre Oberschenkel graben und brennender Schmerz in ihrem Bauch, als der Werwolf seine Zähne hinein schlägt.   Zum Glück hält sie den Zauberstab noch in der Hand und irgendwie trifft der rote Lichtblitz das Biest auch, obwohl das Stupor! ihr nicht über die Lippen kommt. Der Werwolf wird nach hinten geschleudert und kommt jaulend auf dem Waldboden auf.   Mit einem ebenfalls ungesagten Ganzkörperklammerfluch setzt sie ihn endgültig außer Gefecht, kommt sich furchtbar vor und kann gar nicht hinsehen, als der Fluch wirkt. Sie schaut auch vorsichtshalber nicht an sich herunter, als sie ihre Taschen durchwühlt, bis sie ein Fläschchen des Tranks findet, den sie zusammen mit Severus entworfen hat.   Der Schmerz lässt nach, sobald sie ein paar Tropfen auf jede Wunde gibt. Doch um sich weiter zu versorgen, muss sie zurück zu ihrem Lager, wo sie alles hat, was sie braucht.   Ihre Bauchdecke fühlt sich taub an, sie schafft es erst beim zweiten Versuch, aufzustehen. An ihren Händen bleibt halb getrocknetes Blut kleben, als sie ihren Umhang richtet und sich mit schweren Schritten an dem am Boden liegenden Werwolf vorbei schleppt.   Sein Blick folgt ihr und sie sieht den Hass in seinen Augen, die Wut, nach wie vor die Lust, sie in Stücke zu reißen. Doch bewegen kann er sie noch immer nicht, also bleibt sie kurz neben ihm stehen.   „Verzeih mir“, sagt sie leise und versucht zu lächeln, doch der Schmerz lässt es nicht gelingen. „Du kannst wieder aufstehen, wenn ich weg bin.“   Remus hatte gelacht, als sie ihm davon erzählt hatte. Er hätte keinen Ort, wo er bleiben könnte, hatte er gesagt, und sie hatte ihm angeboten, bei ihr in Finnland zu überwintern, wie er es schon öfter getan hatte. Bis zu diesem einen Abend hatte sie nie so recht verstanden, warum er immer so abgerissen aussah, warum er immer umher zog und nicht einfach eine Arbeit annahm, schließlich hatte er ausgezeichnete Noten gehabt. Hin und wieder hatte sie gefragt, vorsichtig, doch er hatte ihr nie antworten wollen.   Bis heute, denn nachdem sie ihm ihre kleine Geschichte aus dem Schwarzwald erzählt hatte, wie sie später noch versucht hatte, den Menschen wiederzufinden, dem sie in jener Nacht in Wolfsgestalt begegnet war, hatte er ihr auch seine Geschichte erzählt.   Aber erst, nachdem er lange darüber gelacht hatte, dass sie sich bei dem Monster, was sein Wort gewesen war, nicht ihres, auch noch entschuldigt hatte. Sie hatte das Gefühl, als würde er ihr das noch lange vorhalten.   Es hatte sie gewundert, dass seine Reaktion so leicht ausgefallen war. Sie hatte sich lange überlegt, wem sie wie davon erzählen sollte. Tabitha war freilich die Erste gewesen, die es erfahren hatte, und die hatte gemeint, Sara sollte auf jeden Fall sicher stellen, in einer Vollmondnacht fern jeden menschlichen Lebens zu bleiben. Das Häuschen in Finnland bot sich dafür perfekt an.   Als nächstes hatte sie sich an Remus gewandt, weil sie von ihm eine harmlosere Reaktion erwartet hatte als von Maggie oder Severus. Doch nicht mit dieser. Nicht mit der Wahrheit, die er ihr offenbart hatte.   Jetzt im Nachhinein kam es ihr beinah lächerlich offensichtlich vor, dass er all die Jahre ein Werwolf gewesen war. Darum war er um Vollmond herum immer so krank gewesen, das war es gewesen, was Severus herauszufinden versucht hatte. Darum war er nicht zu Lilys und James’ Hochzeit gekommen, die an einem Vollmondabend stattgefunden hatte.   Sara hatte sich gefragt, warum er es ihr nie zuvor erzählt hatte, aber wahrscheinlich hatte er sich geschämt, das war nun einmal nichts, was man jedem erzählen musste. Die Jungs waren freilich eingeweiht gewesen, genau wie die Lehrer. Dumbledore hatte sich offenbar dafür eingesetzt gehabt, dass Remus die Schule überhaupt hatte besuchen dürfen.   Danach hatte James ihn unterstützt, doch seit dessen Tod war er immer nur irgendwie über die Runden gekommen. Sara sah darin für sich nur wenige Probleme, schließlich war sie ohnehin meist in unbewohnten Gegenden unterwegs.   Sie hatte Remus angeboten, nach Finnland zu kommen, wann immer er wollte.   Sie war sich nach wie vor unsicher, wie sie das Severus beibringen sollte. Wahrscheinlich interessierte er sich nicht für die ganze Geschichte. Maggie hatte sie hören wollen, sie war sofort nach Saras Brief gekommen, der nur Andeutungen enthalten hatte. Es war nicht so glimpflich gelaufen wie mit Remus, aber doch besser als erwartet. Auch ihr hatte Sara mehrmals versichern müssen, dass sie zu keiner Zeit für irgendjemanden eine Gefahr darstellte.   Aber Severus?   Sie konnte sich nicht im Entferntesten vorstellen, wie seine Reaktion ausfallen würde. Den ersten Kommentar, ja, sicher, aber ansonsten? Sie hatte Angst, auch wenn sie nicht wirklich glaubte, dass er sich nun von ihr abwenden würde, nach allem, was sie gemeinsam durchgestanden hatten. Bisher war es für sie nur eine Narbe mehr gewesen, aber wenn das geschehen würde, wüsste sie nicht mehr, was sie tun sollte.     Auf der Suche nach den richtigen Worten griff sie neben sich, doch ihre Hände berührten nicht das weiche Fell einer alten Katze, sondern nur das Polster des Sofas, auf dem sie saß. Es war nun schon beinah ein Jahr her, dass Athene tot unter der Bank hinter dem Haus gelegen hatte, zusammengerollt, als hätte sie nur geschlafen, und doch suchte Sara sie noch immer, erwartete, dass sie zu ihr ins Bett sprang, und am Morgen mit diesem warmen kleinen Körper an der Seite aufzuwachen.   Sie fehlte, plötzlich hatte sie sich selbst hier in Finnland allein gefühlt, weswegen es ihr sehr lieb war, Remus bei sich zu haben.   Oder Severus, für den sie noch immer keine Erklärung gefunden hatte, wieso sie ihn herbestellt hatte. In diesem Moment hatte sie auch nicht das Gefühl, sie würde jemals einen Weg finden, es ihm zu sagen, darum griff sie hinter sich, löste langsam die Bänder ihres Kleids und streifte es vom Oberkörper, damit er einfach sehen konnte. ++++++++++++++++++++ Autorennotiz ++++++++++++++++++++ die Fortsetzung zu Der Reiz des Verbotenen (Waldes), die 2014 angefangen wurde und immer noch nicht fertig ist; wird sie vor der Überarbeitung wohl auch nicht, aber es ist genug Material da ******************** Am 2.7.2017 um 10:27 von Sephigruen auf StoryHub veröffentlicht (http://sthu.de/s=%C3%BC%5Bkb_) ********************