******************** Zerbrochene Seelen von Elenyafinwe ******************** ++++++++++++++++++++ Kurzbeschreibung ++++++++++++++++++++ Earendil kehrt von einer seiner zahlreichen Irrfahrten heim, und Elwing weiß, dass sie die Illusion einer heilen Familie mehr denn je aufrecht erhalten muss. Sie klammert sich daran, denn das ist ihr einziger Halt im Leben. Die Illusion muss perfekt sein. Vielleicht kann sie dann eines Tages selbst daran glauben. CN dysfunktionale Familie, emotionaler Missbrauch, Trauma, Trennungsängste, PTBS, beginnende SchizophrenieElwing war sich bewusst, dass sie jetzt Erleichterung spüren sollte, als sie Vingilots Seegel am Horizont ausmachte. Aber sie konnte nichts davon in sich finden. Ihre Sorgen wurden lediglich durch andere Sorgen ausgetauscht. Ihre Söhne klammerten sich an ihr Kleid, als sie zu dritt am Kai standen und die Einfahrt des Schiffes in den Hafen beobachteten. Die Glocken der Stadt läuteten, um Earendils Rückkehr zu begrüßen. Ihr Klang war schicksalsergeben. Sollte Elwing nicht froh sein, dass jetzt die ununterbrochenen Fragen ihrer Söhne zumindest für eine Weile ihr Ende fanden? »Wo ist atto jetzt? Wann kommt er wieder? Emilinya, warum ist atto nicht bei uns? Kommt atto wirklich wieder? Was, wenn er nicht wieder kommt? Verlässt du uns auch?« Am Vorabend war sie Elrond gegenüber laut geworden, als sie es einfach nicht mehr hatte aushalten können. Sie hatte es unmittelbar darauf bereut, als sie die stummen Tränen in den Kinderaugen gesehen hatte, doch da waren die Worte bereits geäußert worden. Seitdem hatte Elrond kein Wort mehr gesprochen und den Kopf gesenkt gehalten. Elwing fühlte sich schuldig. Sie musste ihre Familie zusammenhalten, doch ihre Versuche rannen ihr durch die Finger wie Sand. Elwing streckte den Rücken und setzte ein liebevolles Lächeln auf, als Vingilot näher kam. Earendil sollte nicht glauben, dass nicht alles in gewohnter Ordnung vonstatten ging. Er hatte genug eigene Sorgen. »Kinder, seid schön lieb und artig, wenn ihr euren Vater begrüßt, ja?«, erinnerte sie die Zwillinge. Die Kinder nickten. Sie wirkten angespannt. Vingilot legte an und wurde vertäut. Die Seeleute waren schweigsam, Elwing fiel es gleich auf. Das war nie ein gutes Zeichen. Als ihr Gemahl die Landungsplanke hinabging, wusste sie sofort, dass auch diese Fahrt wieder fruchtlos geblieben war. Ihr Herz schlug schneller und ihr wurde die Kehle eng, dennoch behielt sie das Lächeln auf den Lippen. Sie musste Haltung wahren und die Familie zusammenhalten. Earendil wäre beinahe wortlos an ihnen vorbei gelaufen. Erst im letzten Augenblick sah er auf und erblickte seine Frau und seine Söhne. Er hielt inne. Die Seeluft fuhr durch seine kurzen, blonden Haare. Er hatte sie nie auf elbische Art getragen, sondern hielt sie kurz wie die Menschen. Sein Blick war finster. »Mein Gemahl, ich freue mich, dich wohlbehalten wiederzusehen«, begrüßte Elwing ihn. Sie kam auf ihn zu und nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände, um ihn zu küssen. Er drehte den Kopf, sodass sie lediglich seinen Mundwinkel küsste. Sie musste an sich halten, um nicht zusammenzuzucken. »Hallo, atto«, sagten die Zwillinge im Chor. »Ich hoffe, deine Fahrt war nicht allzu beschwerlich«, fügte Elwing an. Sie wollte die Antwort eigentlich gar nicht wissen. Dieses Mal war es besonders schlimm. Earendil musterte seine Familie, als wolle er abschätzen, was er mit ihnen zu schaffen hatte. Dann blinzelte er und sein Blick klärte sich. »Ich habe wieder nicht gefunden, wonach ich suche.« Mehr nicht. Mit diesen Worten wandte er sich zum Gehen. Elwing eilte ihm nach, ihre Kinder im Schlepptau. »Atto, hast du uns etwas mitgebracht?«, wollte Elros wissen. Die Frage war mit der Unschuld eines Kindes gestellt. Earendil ging weiter mit weit ausholenden Schritten voran und hielt nicht inne, als er antwortete: »Ihr könnt nicht immer Geschenke bekommen.« »Aber du kannst uns doch sicher Geschichten von deinem Abenteuer erzählen«, fügte Elrond an. »Ich mache das nicht zu eurem Vergnügen, Kinder.« Earendils strenger Blick ließ sie verstummen. Elwings Finger zuckten. Nicht vor den Kindern, ermahnte sie sich. Sie versuchte, die verletzten Blicke ihrer Söhne zu übersehen. Ihr Herz würde sonst in tausend Teile zerspringen. »Liebling, komm erst einmal an und ruh‘ dich aus. Alles andere hat Zeit«, sagte sie daher. Earendil ließ sich nicht anmerken, ob er sie gehört hatte. Er lief schweigend voran. Schon längst hatte Elwing alles auf die Ankunft ihres Gemahls vorbereitet. Das Haus auf dem Hügel war auf Hochglanz poliert und die Bediensteten hatten alles an genau jenen Ort gestellt, wo es hingehörte. Earendil hasste Unordnung. Das Essen war bereits vorbereitet und erwartete sie. Wie immer sollte es ein schweigsames Mahl werden. Elwing täuschte mit einem Lächeln über die unangenehme Stille hinweg, die über dem Tisch hing. »Du solltest das Nauglamír nicht so oft tragen«, sagte Earendil irgendwann in die Stille hinein. Elwing fasste sich unwillkürlich an den Hals, wo der Silmaril von ihrer Kehle schien. »Ich dachte, es würde dir gefallen. Ein Licht, das dir den Heimweg weist.« »Irgendwann werden die Feanorer davon erfahren. Du weißt aus erster Hand, wozu sie fähig sind«, erinnerte Earendil sie. Sie verzog das Gesicht, als sie an den alten Schmerz erinnert wurde. Schreie. Blut. Tod überall. Ihr Herz begann zu rasen und ihr Atmen ging hektisch. Nein. Nein, das war vorbei. Vergangen. Nichts davon passierte in diesem Augenblick. Sie krallte ihre Fingernägel in ihre Handflächen, um sich im Hier und Jetzt zu halten. Der Schmerz half. Earendil wusste, was die Erinnerungen an Doriath in ihr auslösten. Er sah sie an, als wolle er sagen: Siehst du, davon spreche ich. Elrond und Elros sahen zwischen ihren Eltern hin und her und stocherten lustlos in ihrem Essen herum. »Kinder, ihr müsst aufessen«, ermahnte Elwing sie. Lieber daran denken, das war weniger gefährlich. »Ihr wisst, dass wir das Essen nicht wegwerfen können.« Wenn sie nur immer weiter lächelte, würde sie die Illusion einer funktionierenden Familie aufrecht erhalten können, erinnerte sich Elwing. Und irgendwann wäre es dann keine Illusion mehr. Wie immer erzählte Earendil nicht von seinen Fahrten über die Belegaer. Elwing hätte zu seiner Schiffsmannschaft gehen müssen, wenn sie etwas darüber erfahren wollen würde, doch dafür war sie zu stolz. Was gab es da auch schon zu erzählen, sagte sie sich. Ihr Gemahl irrte auf See umher und fand doch nicht den Weg in den Westen. Waren seine Launen da nicht verständlich? Er war frustriert, erschöpft und wütend. Seine Landgänge wurden in letzter Zeit immer kürzer, und wenn er bei ihr war, war er von einer inneren Unruhe ergriffen, die ihm den Schlaf raubte. Die Müdigkeit machte alles nur immer schlimmer. Elwing schickte ihre Söhne an diesem Tag früh ins Bett, um zumindest eine Handvoll Stunden allein mit ihrem Gemahl verbringen zu können. Er hatte sich bereits in ihre Gemächer zurückgezogen. Als sie eintrat, stand Earendil mit leerem Blick am Fenster und starrte auf den Hafen hinab. Wahrscheinlich stand er schon lange so dort. Manchmal passierte das mit ihm. Dann erstarrte er einfach, wo er war, und rührte sich nicht mehr. Ein seltsamer Ausdruck lag dann in seinen Augen, der Elwing nicht gefallen wollte. Was ihm wohl in solchen Momenten durch den Kopf ging? Stille dröhnte im dämmrigen Zimmer. Elwing gab sich einen Ruck und trat zu ihrem Gemahl. Sie legte den Arm um ihn und bettete ihre Wange auf seine Schulter. Er regte sich nicht. »Ich werde immer für dich da sein, dass du das nur weißt«, wisperte sie. »Egal, was passiert. Ich halte dich fest.« Endlich rührte er sich wieder, als er den Arm um ihre Schultern legte und den Kopf zu ihr wandte. »Ich liebe dich. Aber diese Liebe ist der Anker, der mich hier hält. Vielleicht ist das ja der Grund …« Sie erstarrte. Ihr Herz krampfte. »Was willst du damit sagen?« »Nichts …« Er verfiel wieder in Schweigen. Nach einer Weile sagte er: »Meine Söhne sind groß geworden.« »Sie vermissen ihren Vater.« Die Worte hatten Elwings Lippen verlassen, bevor sie es verhindern konnten. »Du hast es ihnen doch erklärt, oder?«, wollte Earendil wissen. »Weshalb ich so oft von zu Hause fort bin.« »Natürlich. Immer und immer wieder.« »Ich mache das für sie. Für uns. Um unsere Familie zu schützen und die Familien aller in Mittelerde. Das ist größer als die Sorgen zweier kleiner Kinder.« Elwing konnte nicht verhindern, dass Ärger in ihr aufkam. Sie löste sich von Earendil. »Und weißt du, was Elrond daraufhin gesagt hat? Dass ihm diese ganzen Elben und Menschen und Zwerge, die er gar nicht kennt, egal sind. Und Elros meinte dazu, dass er sie hasst, weil sie dir anscheinend wichtiger sind, als deine eigenen Söhne. Das waren die Worte unserer Kinder. Sechs Jahre zählen sie gerade einmal und manchmal glaube ich, dass sie klüger sind als wir alle.« Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Doch nun waren die Worte gesprochen und ließen sich nicht mehr zurücknehmen. Sie hingen zwischen ihnen wie die Androhung eines großen Unheils. Mühsam beherrschter Ärger stand in Earendils Gesicht geschrieben, seine Kiefer mahlten. »Früher haben die beiden jedes Mal tagelang geweint, wenn du gegangen bist«, fuhr Elwing fort. Die Worte sprudelten ihr ungehindert aus dem Mund. »Jetzt nicht mehr, jetzt haben sie keine Tränen mehr. Aber sie fragen immer noch nach dir. Wo du bist, wann du wieder kommst. Warum du sie nicht liebst. In einem fort. Und ich kann ihre Fragen nicht beantworten, denn darauf gibt es keine Antworten. Du bist ihr Vater! Das muss aufhören, Earendil. Ich kann das nicht länger.« Earendil trat von ihr zurück und starrte wieder auf den Hafen. »Hast du eine andere Lösung, Elwing?« »Nein …« Sie fühlte sich verloren. »Du musst das verstehen, Elwing. Das verstehst du doch, oder?« »Ja.« Nein!, schrie sie in Gedanken. »Es gibt keinen anderen Weg als diesen. Wenn ich es nicht schaffe, dann schafft es keiner und dann sind wir alle verloren. Der Schwarze Feind wird uns töten und versklaven, und es wird weitaus schlimmer als Doriath. Das kannst du mir glauben. Ich habe Gondolin gesehen. Ich habe gesehen, welche Mächte er befehligt. Ich weiß, dass ich einen Weg finden muss. Sie sagen es mir immer und immer wieder.« »Sie?«, hauchte Elwing. Eigentlich wollte sie die Antwort drauf gar nicht wissen. Ihr war, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggerissen werden. Alles drehte sich. »Die Stimmen in meinem Kopf. Sie sagen mir, dass ich weitermachen muss. Die Verantwortung für ganz Mittelerde lastet auf meinen Schultern. Elwing, du kannst dir ja gar nicht vorstellen, was das mit einem macht. Ich habe Angst, solch schreckliche Angst. Wenn ich versage, dann verdamme ich uns alle zum Untergang. Ich darf nicht versagen! Aber das verstehst du nicht, du bist nur eine Mutter.« Elwing zerbrach in unzählige kleine Splitter. »Für Liebe müssen Opfer gebracht werden«, sagte Earendil. Dann ging er. Vielleicht hatte sie ihn ja doch erreichen können, denn am nächsten Tag schlug er vor, dass sie zu viert einen Ausflug den Strand entlang machten. Er schien besser gelaunt zu sein und konnte sogar lächeln. Elwing war erleichtert und tat den Vorabend als bösen Traum ab. Er hatte ja Recht. Es gab keinen anderen Weg. Sie klammerte sich an diesen Gedanken. Sie lächelte, als sie beobachtete, wie Earendil mit seinen Söhnen Muscheln sammelte und ihnen zeigte, wie man in ihnen das Meer rauschen hören konnte. Sie liefen barfuß durch den feuchten Sand, der Wind wehte in ihren Haaren. Eine Familie. Mit einem Male stand sie am Hafen. Vingilot fuhr mit brennenden Segeln davon. Feuer und Rauch überall. Das Hafenbecken war rot vom Blut Unzähliger. Der Gestank des Todes stieg ihr in die Nase. Schreie. Schmerzen! Und über allem schien der achtzackige, flammende Stern. Sie schrie. »Elwing! Elwing! Wach auf!« Earendils Stimme holte sie in die Wirklichkeit zurück. Sie musste gestürzt sein, denn er kniete am Boden und hielt sie in seinen Arme. Besorgt beugte er sich über sie und strich ihr über das Gesicht. Elrond und Elros standen nahebei und klammerten sich aneinander. Sie wirkten verstört. »Geht es dir gut?«, wollte Earendil besorgt wissen. »Ja. Es … es war nichts«, murmelte sie schwach. »Mein Verstand hat mir einen Trick gespielt, das ist alles.« Sie wollte nicht, dass ihre Familie sich um sie sorgte. Die Sorgen würden sich schon früh genug wieder zurück schleichen. Sie ärgerte sich, dass sie diesen schönen Moment wegen so einer dummen Sache vermasselt hatte. Aber insgeheim wusste sie es besser. Insgeheim wusste sie, dass ihr bald schon alles geraubt werden würde, was sie liebte. Aber insgeheim wusste sie es besser. Insgeheim wusste sie, dass ihr bald schon alles geraubt werden würde, was sie liebte. ++++++++++++++++++++ Autorennotiz ++++++++++++++++++++ Unmittelbar daran schließt sich meine Longfic Kindheitserinnerungen an, welche sich darauf konzentriert, wie es für Elrond und Elros weiter geht. ******************** Am 18.10.2020 um 16:07 von Elenyafinwe auf StoryHub veröffentlicht (http://sthu.de/s=%C3%B6%7E6T%3D) ********************