Liebe ist närrisch

Kurzbeschreibung:
Vorab eine Bemerkung zu den gesprochenen Sprachen. In meinem HC sprechen alle Beteiligten hier Quenya, was sich auch an entsprechenden Stellen in den Namen widerspiegelt. Yerna-saira beispielsweise für Frodo; in Sindarin wird sein Name als Iorhael wiedergegeben, was ich ins Quenya übersetzt habe. Für Bilbo habe ich leider keinen elbischen Namen gefunden, er hatte aber sicher einen. Der Lesbarkeit halber habe ich mich dafür entschieden, im Fließtext weiter die altbekannten Namen zu schreiben.

Autorennotiz:
Vorab eine Bemerkung zu den gesprochenen Sprachen. In meinem HC sprechen alle Beteiligten hier Quenya, was sich auch an entsprechenden Stellen in den Namen widerspiegelt. Yerna-saira beispielsweise für Frodo; in Sindarin wird sein Name als Iorhael wiedergegeben, was ich ins Quenya übersetzt habe. Für Bilbo habe ich leider keinen elbischen Namen gefunden, er hatte aber sicher einen. Der Lesbarkeit halber habe ich mich dafür entschieden, im Fließtext weiter die altbekannten Namen zu schreiben.

Am 9.7.2020 um 12:07 von Elenyafinwe auf StoryHub veröffentlicht

1. Kapitel: Namenloses Kapitel

Einstmals hatte Maenwen sorgenvoll auf Kunde aus den Hinnenlanden gelauscht, doch diese Zeiten waren schon lange vergangen. Von den Flüchtlingen zu Beginn des Zweiten Zeitalters hatte sie vernommen, welches Ende die Söhne Feanors ereilt hatte, und von da an hatte sie ihr Herz vor dem Kummer der Sterblichen Lande vollends verschlossen.

Vor langer, langer Zeit einmal hatte sie von ihrem eigenen Reich in Endor an der Seite ihres Gemahls geträumt. Vielleicht hatte sie ihren Traum nicht so forsch vorangetrieben wie Galadriel, doch geträumt hatte sie nichtsdestotrotz.

Alqualonde hatte diesen Traum zunichte gemacht. Sie hatte nicht ertragen können, was dort geschehen war, und wollte nichts damit zu tun haben. Schweren Herzens hatte sie sich von ihrem Gemahl losgesagt und sich Finarfins Leuten angeschlossen. Doch Liebe ließ sich nicht so einfach vergessen.

Sie hatte es versucht, viele tausend Jahre lang, und irgendwann war ihr alter Schmerz nur noch ein blasser Schatten, ein dumpfes Pochen, das sie leicht ignorieren konnte, wenn sie sich nicht darauf konzentrierte. Ihr Leben ging weiter.

Dann waren die Ringträger nach Valinor gekommen, und als Maenwen ihre Geschichten erfuhr, war all das in ihr wieder aufgebrochen, das sie lang vergraben geglaubt hatte.

Jetzt stand sie vor dem Gutshof und zögerte. Schon vor etlichen Jahren hatte sich Celebrían hier angesiedelt, Obstplantagen angelegt und begonnen, ihren eigenen Obstbrand zu keltern. Maenwen hatte sich nicht weiter dafür interessiert, auch wenn auch sie manchmal den Brand genoss, der hier gekeltert wurde. Auch wenn sie sich mittlerweile einen Namen damit gemacht hatte, war Celebrían für Maenwen schlussendlich nur ein weiterer Flüchtling aus Endor. Ihr Interesse war erst geweckt worden, als sie hörte, dass Elrond ihr Gemahl war.

Die beiden suchten derzeit eine weitere Aushilfe für ihr Gut. Maenwen hatte die Gelegenheit beim Schopfe gepackt. Sie schob ihre alten Erinnerungen zur Seite und konzentrierte sich lieber auf ihre Neugierde, was sie von einem Halbelben zu erwarten hatte. Sicher, Elronds Eltern lebten schon lange in Aman, doch weit abgeschieden im Norden und Maenwen war ihnen nie begegnet. Es war also das erste Mal, dass sie so eine Kuriosität wie die Peredhil mit eigenen Augen würde sehen können, und jetzt war ihre Neugierde doch geweckt. Sie klopfte an.

Ein alter Noldo öffnete ihr, unverkennbar einer von Feanors einstigen Gefolgsleuten. Verblüfft starrte sie auf den Stern, der auf der Rüstung des Elben prangte. Dann sah sie zu ihm auf – und erkannte ihn.

»Alacenandur!«

Rethtulu schien nicht minder verwundert, sie hier anzutreffen. »Herrin Maenwen!«, rief er aus. »Ich hätte Euch hier nicht erwartet.«

Sie bedeutete ihm, ruhig zu bleiben. »Psst, sei leise. Ich will nicht, dass gleich alle wissen, wer ich war. Ich bin hier, weil ich hörte, das Elerondo eine Aushilfe sucht.«

Rethtulu blieb äußerlich ruhig, aber sie spürte seine Verwirrung.

»Mein Herr weiß nicht, dass es Euch gibt«, sagte er zögerlich.

»Und ich wünsche, dass es auch so bleibt«, betonte sie. »Also kein Wort zu niemandem, wer ich einst war. Das liegt lange in der Vergangenheit. Jetzt bin ich einfach nur irgendeine Elbin, die hier eine Anstellung sucht. Ist hier noch jemand, der mich kennen könnte?«

Rethtulu nickte. »Ceomon. Ich werde Eure Worte an ihn weitergeben.«

»Sehr gut. Bring mich jetzt zu Elerondo.«

»Mein Herr ist gerade mit Yerna-saira am Grab dessen Onkels. Aber wenn Ihr hier eine Anstellung sucht, dann wollt Ihr ohnehin mit der Herrin Tyelpetári reden; ihr gehört hier alles.«

Mit diesen Worten geleitete er sie in das Haus und führte sie zu seiner Herrin. Ebenjene saß in einem Studierzimmer und schien soeben die Finanzen ihres Guts zu prüfen. Maenwen stellte mit größtem Erstaunen fest, dass Galadriels Tochter schwanger war und anscheinend kurz vor der Niederkunft stand. Damit hatte sie nicht gerechnet.

Als Rethtulu den Gast hereinführte, blickte Celebrían auf. Die Ähnlichkeit zu ihrer Mutter war unverkennbar, auch wenn ihre Züge weitaus sanfter wirkten, als Maenwen Galadriel in Erinnerung behalten hatte.

Rethtulu verneigte sich leicht. »Herrin, diese Elbin sucht aufgrund Eures Gesuchs eine Anstellung bei Euch.«

Maenwen trat vor und knickste. »Man nennt mich Maenwen«, stellte sie sich vor. Nur ein Name von vielen. Wenn Elrond nicht einmal wusste, dass es sie gab, würde dieser Name ohnehin niemandem hier etwas sagen.

»Das kommt mir sehr gelegen«, freute sich Celebrían. »Ich brauche jemanden, der uns im Haushalt hilft, auf den Feldern, im Verkauf. Also all das, worin ich momentan verhindert bin.« Sie deutete auf ihren Bauch.

»Das klingt nach Arbeit, die ich verrichten kann«, versicherte Maenwen. »Wenn mir die Frage gestattet ist: Wann ist es denn soweit? Wenn Ihr das wünscht, kann ich Euch auch mit der Betreuung der Kinder helfen.«

Versonnen lächelnd strich Celebrían über ihren Bauch. »Zwillinge. Schon wieder, das muss einfach in Elerondes Familie liegen. In ein paar Wochen ist es soweit. Und danke für dein Angebot, aber meine Zofe Laerwen ist bereits mit der Aufgabe betraut. Sie wird allerdings froh sein, wenn ich ihr für die anderen Aufgaben jemanden zur Seite stelle.«

Sie winkte Rethtulu zu sich heran. »Hilf mir bitte auf. Dann gehen wir zu meinem Gemahl, damit er Maenwen das Gut zeigen kann.«

»Vielen Dank, Herrin!«, beeilte sich Maenwen zu sagen. Anscheinend hatte Celebrían die Sache schon beschlossen.

Rethtulu half seiner Herrin auf, da ihre weit fortgeschrittene Schwangerschaft ihr einige Probleme bei Laufen bereitete.

»Herrin, Ihr wisst, was Herr Elerondo dazu sagen würde, wenn Ihr Euch immer noch der Papierarbeit annehmt«, erinnerte er sie.

»Ja, ja …« Celebrían winkte ab. Dann führte sie Maenwen hinter das Haus.

Hier sollte sie die nächste Überraschung erwarten. Sie hatte gehört, dass unter den Ringträgern auch zwei Vertreter eines fremdartigen Volks waren, das sich selbst Hobbits nannte, hier aber besser bekannt waren als Perioni. Rethtulus Erwähnung eines Grabs hatte sie verwundert, jetzt sah sie jedoch, was er damit gemeint hatte.

Elrond und ein kleines, schrumpeliges Kerlchen, bei dem es sich nur um Frodo handeln konnte, standen an besagtem Grab. Elrond selbst bürstete soeben den Stein ab, nachdem er zuvor Frodo geholfen hatte, die gepflanzten Blumen zu pflegen, da Frodo zu alt geworden war, um diese Arbeit selbst zu verrichten. Es war das Grab seines Onkel Bilbo.

Maenwen betrachtete die Beiden und hoffte, dass man ihr ihre Neugierde nicht allzu sehr ansah. Sie war noch nie so direkt mit dem Konzept von Sterblichkeit konfrontiert worden. Wie es wohl war zu wissen, dass man eines Tages nicht mehr existieren würde?

Elrond bemerkte sie als erstes. Er erhob sich und eilte sogleich zu Celebrían.

»Du sollst dich doch nicht mehr so viel bewegen, indo-ninya«, mahnte er. Dann wandte er sich Maenwen zu. »Wer ist das?«

Das war also ein Peredhel. Maenwen war sich nicht wirklich sicher, was sie erwartet hatte. Jedoch ganz sicher nicht, einem Elben gegenüber zu stehen, bei dem man schon sehr genau hinsehen musste, um zu erkennen, dass er Menschen zu seinen Vorfahren zählte. Über siebentausend Jahre in den Hinnenlanden gelebt und unermüdlich gegen den Schwarzen Feind gearbeitet zu haben, hatten dennoch Spuren an ihm hinterlassen.

Was Maenwen jedoch wesentlich mehr interessierte, war das Licht in seinen Augen, welches nur die Elben besaßen, welche zur Zeit der Zwei Bäume in Aman gelebt hatten. Aber das konnte doch nicht sein! Es sei denn, er hatte einen der Edelsteine Feanors erblickt. Wenn er Elwings Sohn war, dann war das vielleicht gar nicht so unwahrscheinlich.

»Ich bin Maenwen, Herr«, stellte sie sich vor. »Eure Gemahlin war so zuvorkommend, mir hier eine Stelle als Aushilfe anzubieten.«

»Lange genug hast du mir damit in den Ohren gelegen, indo-ninya«, fügte ebenjene lachend an.

Elrond wirkte erleichtert, als sei eine große Last von ihm genommen worden.

»Dann komm mit und ich zeige dir alles«, sagte er. »Und du, Tyelpetári, setzt dich und ruhst dich aus.« Er sah sie streng an, doch Celebrían schien herzlich wenig beeindruckt davon.

Elrond nahm sich nun Maenwens an und führte sie herum, um ihr ihren neuen Arbeitsplatz zu zeigen. Sie hatte gehört, dass er die Herzen von Elben und Menschen zu ergründen vermochte, doch die ganze Zeit über erweckte er nicht den Eindruck, als hätte er erkannt, wer sie war. Sie hatte nicht vor, das allzu schnell zu ändern, und zog es vor, ihn still und leise zu beobachten.

In den kommenden Wochen sollte sie feststellen, dass Geschichten aus Mittelerde zwar das eine waren, diese aber oft erstaunlich wenig über den erzählten, von dem sie handelten. Maenwen lernte schnell, in diesem Haus weder von Elwing noch von Earendil zu sprechen. Stattdessen bekannte Elrond sich, seit er in Valinor war, wieder offen zu Feanors ältesten Söhnen.

Am allermeisten erstaunte es sie jedoch, dass Maedhros wieder unter ihnen weilte. Maenwen musste ihn jedoch knapp verpasst haben, denn erst vor kurzem war er vor die Valar gerufen wurde, um Buße zu tun. Er wurde nicht vor Celebríans Niederkunft zurückerwartet. An dieser Sache erstaunte Maenwen jedoch am meisten, dass Maedhros bei Elrond lebte, und Elrond ihn seinen Onkel nannte und ihm ausgesprochen zugetan schien. Maenwen besann sich dessen, was sie vom Ende des Ersten Zeitalters gehört hatte. Es war Maedhros gewesen, der Arvernien angegriffen hatte, Elronds Heimat zerstörte und ihn selbst entführte. Wenn Elrond jedoch von ihm sprach, schien es Maenwen, als wäre all das nie so geschehen.

Maenwen fragte sich, ob Elronds Zuneigung zu Maedhros wohl auch für Maglor gelten würde.

Dennoch: Sobald Maedhros zurückkehren würde, würde ihre kleine Maskerade auffliegen. Sie wusste nicht, ob es sie besorgen oder freuen sollte, zumal sie Maedhros nicht wie Ceomon und Rethtulu bitten konnte, sie nicht zu verraten.

Der Moment sollte eher kommen, als vermutet, und vor allem gänzlich anders, als sie erwartet hatte.

Maenwen war gerade dabei, die leeren Kisten im Lager zu sichten und für die nächste Ernte vorzubereiten, als sie aufgeregte Stimmen durch das Haus rufen hörte. Das Kellerfenster öffnete sich zur Terrasse hin und so hörte sie, was dort besprochen wurde.

»Gandalf, wie schön, dich hier zu sehen«, sagte Frodo, nur um sogleich mit einem sorgenvollen Ton anzufügen: »Wer ist das? Was ist mit ihm geschehen?«

Frodo hatte Westron gesprochen. Maenwen hatte nicht viel von dieser Sprache aufschnappen können, aber um Frodos Worte zu verstehen, reichte es gerade so.

»Das, mein lieber Frodo, ist Maglor«, erwiderte Gandalf. »Und jetzt sag mir bitte, wo ich Meister Elrond finde, damit er nach ihm sehen kann.«

Maglor …

Allein dieser Name ließ vollends wieder das in Maenwen aufleben, was sie vor mehr als drei Zeitaltern für immer verloren geglaubt hatte. Tränen füllten ihre Augen. Selbst mit dem Wissen, dass Maedhros wieder unter ihnen weilte, hatte sie nicht zu hoffen gewagt.

Sie ließ die Kiste, die sie in Händen gehalten hatte, achtlos fallen und stürmte nach oben. Sie kam gerade hinzu, als Elrond seinen Patienten in sein eigenes Bett legte und sogleich damit begann, ihn gesund zu pflegen. Äußerlich wirkte er gefasst und routiniert, doch Maenwen spürte, was für ein Sturm in ihm tobte.

Mit einem unterdrückten Stöhnen sank Maenwen gegen den Türrahmen. Dort lag in der Tat Maglor, doch welch grausames Schicksal hatte er erleiden müssen! Er wirkte abgehärmt, seine Kleidung zerrissen und sein Haar matt. Anscheinend war er nicht bei Sinnen, sein Blick war leer und seine fea weit fort. Und erst seine Hände! Entsetzt wandte sich Maenwen ab.

»Vater, alles wird gut«, hörte sie Elrond eindringlich sagen. »Hörst du? Jetzt wird wieder alles gut! Jetzt bin ich wieder bei dir.«

Maenwen erschauderte, als sie vernahm, wie Elrond Maglor angeredet hatte. Er hatte ihn Vater genannt. Aber wie konnte das sein?

Sie bemerkte kaum, wie jemand an ihrem Kleid zupfte. Als sie nach unten schaute, sah sie Frodo.

»Geht es dir gut?«, fragte er besorgt.

»Das ist Makalaure«, wiederholte sie nur atemlos. »Feanáros zweitältester Sohn, der größte Sänger, den diese Welt gekannt hat. Es hieß, er sei für immer verschollen und niemand hat ihn sein dem Ende des Ersten Zeitalters mehr gesehen. Wie kann das sein?«

Gandalf, der Maglor hierher gebracht hatte, sah zu ihr hinüber. Seine Augen blitzten erkennend auf, doch noch sagte er nichts.

»Nicht alle, die wandern, sind verloren, wie Bilbo zu sagen pflegte«, erklärte er stattdessen. An Elrond gewandt fuhr er fort: »Die Taten, die Makalaure beging, sind nicht vergessen, weder die schlechten … noch die guten. Euretwegen erlaubten die Valar ihm den Weg zurück in seine alte Heimat, der er einst an der Seite seines Vaters den Rücken kehrte. Er ist entbunden von seinem Eid und hat lange genug Buße getan für das Blut, das er vergossen hat.«

Mit Tränen in den Augen sah Elrond zu ihm auf, doch dann machte er sich sogleich wieder an die Arbeit. Unter seiner kundigen und behutsamen Pflege gelang es ihm alsbald, Maglors schlimmste Qualen zu lindern und seine umschattete fea zu beruhigen. Maglor schien wieder zu sich zu kommen. Er blinzelte, sein Blick klärte sie.

Doch es war nicht Elrond, den er als erstes wahrnahm.

»Maenwen?«, wisperte er ungläubig und mit rauer Stimme, die sicher seit vielen Jahren nicht mehr benutzt worden war.

Maßloses Erstaunen zeichnete sich auf Elronds Gesicht ab, als er sich zu ihr umwandte.

Für Maenwen gab es kein Halten mehr. Sie eilte an Maglors Seite und ergriff seine Hand. Tränen der Freude rannen ihr über das Gesicht.

»Ja, ich bin es wirklich«, erwiderte sie. »Ich habe dich für immer verloren geglaubt!«

»Du … du bist kein Traum?«, fragte Maglor unsicher. »Du verschwindest nicht einfach so?«

»Nein, ganz bestimmt nicht.« Weinend und lachend zugleich hielt sie seine Hand an ihr Gesicht, damit er fühlen konnte, dass er wirklich und wahrhaftig wieder bei ihr war. »Ich habe dich einmal gehen lassen und glaubte dich für immer verloren. Noch einmal wird mir das nicht passieren, Liebster.«

Maglor schien noch immer nicht wirklich begreifen zu können, dass er nicht träumte. Als er nun endlich Elrond bemerkte, schien er nur umso ungläubiger.

»Das kann nicht sein«, hauchte er. »Mein Sohn … Elerondo … Wo bin ich hier? Wieso ist Maenwen bei dir? Sie verließ mich doch vor so langer Zeit und kam nie mit uns.«

»Vater!«, schluchzte Elrond und zog ihn in seine Arme. »Ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen.«

Als der erste Ansturm der Gefühle abebbte und inzwischen auch Celebrían hinzugekommen war, gab Elrond Maglor wieder frei. Dann sah er zu Maenwen auf der anderen Seite des Bettes.

»Woher kennst du Onkel Makalaure?«, fragte er erstaunt.

Mit Liebe in den Augen sah Maenwen zu Maglor. Offenbar unsicher, wie er ihr nach all dem, was zwischen ihnen vorgefallen war, begegnen sollte, erwiderte er ihren Blick.

»Weil er mein Gemahl ist«, eröffnete sie. »Wir trennten uns, nachdem Feanáro Alqualonde überfiel, denn ich konnte nicht verantworten, was dort geschehen war. So kam es, dass ich Aman nie verlassen hatte. Ich hatte gehofft, dass ich das, was geschehen war, vergessen konnte, doch Liebe ist närrisch. Und heute bin ich froh, dass ich nie vergessen habe.«

Elrond starrte sie sprachlos an.

Maglors fea war bisher blass und grau gewesen. Doch als er ihre Worte vernahm, kehrte ein schwacher Schein in sie zurück. »Ich hielt dich für immer verloren für mich«, wisperte er. »Du hattest dich von mir losgesagt, und ich war närrisch und stolz genug, um dich gehen zu lassen. Also sprach ich nie wieder von dir, als hätte es dich nie gegeben. Was für ein Narr ich war! Kannst du mir vergeben?«

»Ja, und das, obwohl ich weiß, was du getan hast. Liebe ist närrisch.« Lange Jahre hatte Maenwen gezweifelt, ob sie Maglor jemals würde verzeihen können, was er getan hatte. Doch jetzt, als er so plötzlich wieder in ihr Leben gestürzt war, waren alle Zweifel wie fortgewischt.

Doch dann sah sie, wie Elrond sie noch immer sprachlos beobachtete. Sein Blick ließ sie erschaudern.

»Wer ist Eure Mutter wirklich?«, fragte sie mit einem Mal ängstlich.

Elrond wirkte verwirrt. Auch Maglor war zunächst irritiert, doch dann schien er zu begreifen.

»Mein Herz, ich war dir immer treu«, versicherte er. »Elrond und Elros sind Earendils und Elwings Kinder. Doch nachdem, was wir, mein Bruder und ich, in Arvernien taten, nahm ich sie an Sohnes statt auf. Sie waren doch nur Kinder von sechs Jahren.«

»Onkel Makalaure war uns immer mehr Vater als Earendil«, fügte Elrond an. »Ich habe keine Erinnerung an Earendil, und das wenige, dessen ich mich an Elwing erinnerte, ist ebenfalls schon lange verblasst.«

»Das macht Maenwen dann wohl zu eurer Mutter, mein Kleiner«, sagte Maglor mit einem Schmunzeln. Das Gespräch hatte mehr und mehr seiner Lebensgeister geweckt.

Maenwens Herz quoll über vor Freude. Sie hatte vernommen, dass Elrond in seiner Vergangenheit etwas mit Maglor zu schaffen gehabt hatte. Deswegen war sie hierher gekommen: um ein Auge auf ihn zu werfen und abzuschätzen, was dieses Etwas sein mochte. Niemals hätte sie vermutet, dass ihr Gemahl ihn adoptiert haben könnte.

»Aber sprich, Elerondo, wo ist dein Bruder? Er ist doch sonst nie weit weg von dir«, wollte Maglor wissen.

Maenwen spürte, wie die Stimmung mit einem Male kippte.

»Onkel … Vater … Ich habe dich enttäuscht, ich habe nicht auf Elerosse Acht gegeben, wie du es wolltest«, gestand Elrond. »Er starb an unserem fünfhundertsten Geburtstag in meinen Armen. Ich hatte nichts mehr für ihn tun können.«

Maenwen sah, wie sich fassungsloses Entsetzen auf Maglors Gesicht abzeichnete. Ihm mussten Elrond und sein Bruder wirklich sehr am Herzen liegen und sie wie Söhne für ihn sein, wenn diese Nachricht ihn so sehr erschütterte.

»Wie?«, hauchte Maglor. »Warum?«

»Er war alt, Onkel, deswegen«, sagte Elrond bedauernd. »Wir sind euch nachgegangen, als ihr in den Norden gegangen wart, um die silmarilli einzufordern, aber Eonwe sagte uns, dass ihr schon gegangen wart. Und er sagte auch, dass die Zeit unserer Wahl gekommen sei. Elerosse entschied sich anders als ich für das Schicksal der Menschen. Er starb als König Númenors.«

Die Trauer lag mit einem Mal schwer über ihnen. Schon längst hatte Gandalf Frodo nach draußen geführt, damit sie ihr Wiedersehen im privaten Kreis genießen konnten. Celebrían war geblieben, die nun Elrond trostspendend eine Hand auf die Schulter legte.

Maglor wirkte wie gelähmt, etwas, das Maenwen bei ihm noch nie gesehen hatte. Er war niemand, der zurückschaute, nicht einmal, als Finwe ermordet worden war. Doch seitdem war viel geschehen. Er hatte drei Sippenmorde begangen und war für zwei Zeitalter spurlos verschwunden gewesen. Maenwen fragte sich, welche Spuren dies an ihm hinterlassen hatte, die sie erst mit der Zeit zu sehen bekommen würde.

Sie wusste nur eines mit Sicherheit: Sie würde Maglor beistehen und ihn nie wieder allein lassen.

»Onkel, ich möchte dir jemanden vorstellen«, sagte Elrond sanft und ergriff Celebríans Hand. »Das ist Tyelpetári, Artanis‘ Tochter und meine Gemahlin. Du wirst sehr bald schon Großvater von Zwillingen. Und Onkel Maitimo ist auch hier.«

Das schien in der Tat Maglors Stimmung wieder etwas aufzuhellen. »Ich war nicht da, als du mich am dringendsten brauchtest«, sagte er leise. »Bitte verzeih mir, Sohn, dass ich als Vater so sehr versagt habe. Aber … jetzt bin ich ja da.«

»Ja, jetzt bist du da«, wiederholte Elrond, »und wir können wieder eine Familie sein.«

Yerna-saira – alt-weise, Qu.; Übersetzung von Frodos Sindarin Namen Iorhael
Elerondo – Quenya Übersetzung für Elrond
Tyelpetári – Quenya Übersetzung für Celebrían
Perion – Halbling, Hobbit (pl. Perioni); Qu.
indo-ninya – Mein Herz; Qu.
Fea – Geist, Seele; Qu.
Elerosse - Quenya Übersetzung für Elros

2. Kapitel: Namenloses Kapitel

Schon seit einer Weile starrte Maglor regungslos auf seine bandagierten Hände.

Eine Woche war nun ins Land gegangen, seit er wieder in Maenwens Leben getreten war, und sie war keinen Augenblick lang von seiner Seite gewichen. Unter Elronds kundiger Pflege war er rasch wieder zu Kräften gekommen und hatte nun das erste Mal wieder das Bett verlassen können. Maenwen hatte ihn nach draußen auf die Terrasse geführt, wo sie sich gemeinsam hingesetzt hatten und nun die Sonne genossen.

Maenwen wusste mittlerweile, was damals am Ende des Ersten Zeitalters geschehen war und woher Maglors Verletzungen rührten, die trotz all der Jahre nie wirklich verheilt waren. Er hatte gelernt, mit den Schmerzen zu leben, sie gar begrüßt als einen Teil seiner Strafe. Doch viel mehr hatte ihn geschmerzt, dass seine verbrannten Hände ihn die Harfe nicht mehr so meisterhaft spielen ließen wie einst. Elrond war optimistisch, dass er Maglor würde helfen können, aber Maenwen hatte gespürt, dass ihr Gemahl das anders sah.

Elrond … Die Enthüllung, dass sie Maglors Frau war und er Elrond und Elros adoptiert hatte, hatte zu einiger Verwirrung auf allen Seiten geführt. Elrond und Celebrían war es sichtlich unangenehm gewesen, dass sie nicht eher gewusst hatten, wer Maenwen war. Sie hatte es ihnen freilich nicht verübelt, immerhin hatte sie selbst dafür Sorge getragen, dass sie im Unklaren blieben. Als sich die anfängliche Verwirrung jedoch rasch gelegt hatte, hatten sie alle darüber lachen können, dass ausgerechnet die Frau eines Feanorers als einfache Bedienstete auf dem Gut gearbeitet hatte. Celebrían hatte sogleich angeboten, jemand anderes für die Stelle zu suchen, aber Maenwen hatte abgelehnt. In den wenigen Wochen hier hatte sie Gefallen an der Arbeit gefunden.

Die Liebe, die zwischen Maglor und Elrond stand, war unübersehbar. Anfangs wusste Maenwen nicht so wirklich, wie sie das für sich einordnen sollte. Doch als sie hier an der Seite ihres Gemahls saß, wurde es ihr immer klarer: Es war nicht schwer, Elrond als ihren Sohn anzunehmen. Maglor war sein Vater, daran bestand kein Zweifel. Und darum wollte sie ihm die Mutter sein, die er nie gehabt hatte.

Maglor ballte die Hände zu Fäusten. Eine einzelne Träne tropfte auf die Bandagen. Trostspendend legte Maenwen ihm einen Arm um die zitternden Schultern. Sie sagte nichts, bot ihm lediglich ihre Liebe an, damit er aus ihr Trost und Geborgenheit ziehen möge. Wenn er reden wollte, würde er das schon tun, und dann wäre sie für ihn da.

Es brach ihr das Herz, ihren Liebsten so zu sehen. Erzählungen vergangener Ereignisse waren das eine, doch die Gefühle, die damit verbunden waren, etwas völlig anderes. Die Dinge, die geschehen waren, hatten Maglor unzweifelhaft verändert, und er war nicht mehr der Elb, der an der Seite seines Vaters die Rebellion der Noldor geführt hatte. Maenwen wusste nicht, was von diesem Elben noch übrig war, aber sie wusste eines mit Sicherheit: dass sie ihn trotz allem immer lieben würde.

In vergangenen Zeiten hatte man hinter ihrem Rücken getuschelt und heimlich mit dem Finger auf sie gezeigt. Sie, die Frau eines Sippenmörders. Sie war diesen Elben stolz erhobenen Hauptes entgegen getreten und hatte ihr Herz vor dem Kummer verschlossen. Niemand hatte es gewagt, in ihrer Gegenwart schlecht über ihren Gemahl zu reden, aber sie hatte dennoch vernommen, was man über ihn und seine Brüder sagte. Monster wurden sie genannt, herzlose Bestien, die nach dem Blut Unschuldiger gierten.

Aber nein, das war nicht ihr Maglor. Das war er nie gewesen und zu so jemandem war er auch nie geworden. Wie hätte solch eine mordgierige Kreatur auch jemals das Mitleid in sich finden zu können, die Kinder ihrer Feinde zu verschonen und an Sohnes statt aufzunehmen?

Maglor war schon immer eine sanfte Seele gewesen und allein diese Tat bewies Maenwen, dass sich daran nie etwas geändert hatte.

»Elerosse ist tot«, wisperte Maglor kaum hörbar. Tränen liefen ihm über das Gesicht. »Von mir genommen für immer. Mein Sohn ist tot. Ich habe sie verlassen, weil ich dachte, sie wären ohne mich besser dran. Aber ich habe alles nur schlimmer gemacht.«

Maenwen zog ihn in ihre Arme und wiegte ihn sanft. »Weine, mein Liebster. Trauere, doch lass dich von dieser Trauer nicht verzehren. Was geschehen ist, ist geschehen. Am Ende aller Tage wirst du ihn wiedersehen dürfen, wenn die Welt zerbrochen und neu geschaffen wurde.«

Maglor erwiderte nichts darauf. Stumm weinend lehnte er sich in ihre Umarmung. Sie hoffte, seinen Schmerz zumindest etwas lindern zu können. So froh sie auch war, ihn wieder haben zu dürfen, so sehr weinte doch auch ihr eigenes Herz über all das, was ihm angetan worden war.

Nach einer Weile verebbten seine Tränen und sein Atem ging wieder ruhiger. Noch immer sagte er kein Wort und Maenwen akzeptierte sein Schweigen. Dann schließlich begann er zu singen, das erste Mal, seit er wieder unter Elben weilte. Auch wenn seine Hände momentan noch sein Harfenspiel behindern mochten, hatte seine Stimme nichts von ihrem Charme verloren.

Es war ein Kinderlied, doch eines, das Maenwen noch nicht kannte. Maglor hatte ihr einst all die Lieder gelehrt, die er für seine jüngeren Brüder geschrieben hatte. Das hier jedoch musste er für Elrond und Elros erdichtet haben. Unwillkürlich musste Maenwen schmunzeln, als sie der Geschichte kleiner Zwillingsbrüder lauschte, die in den Wäldern ihrer Heimat allerhand Abenteuer erlebten. Sie wünschte, sie wäre dabei gewesen. Was für ein Geschenk musste es für Maglor gewesen zu sein, Elrond und Elros aufwachsen zu sehen! Elrond hatte ihr erzählt, wie schlimm es am Ende um die beiden letzten Feanorer gestanden hatte, aber er schien nicht zu ahnen, dass es ohne ihn und seinen Bruder weitaus düsterer für Maglor und Maedhros ausgesehen hätte.

Als Maglors Lied endete, bemerkte Maenwen, dass sie nicht mehr allein waren. Frodo war hinzugekommen, offenbar angelockt von dem Lied. Er wirkte ein wenig zögerlich; offenbar wollte er sie nicht stören. Maenwen lächelte und winkte den alten Hobbit zu ihnen.

»Ich glaube, jetzt verstehe ich einiges besser«, sagte er, als er zu ihnen kam.

»So?« Maglor sah ihn fragend an. Das Lied schien seine Trauer gedämpft zu haben, sodass er nun wieder in besserer Verfassung war.

»Es gibt einige offene Geheimnisse in diesem Haus, über die niemand so wirklich reden will«, erklärte Frodo. »Mein Onkel sagte einst, dass Streicher es halb im Scherz eine Frechheit genannt hätte, dass er in Imbeláris ein Lied ausgerechnet über Ardamíre vorgetragen hatte. Ach, ich sollte ihn nicht immer wieder Streicher nennen, eine alte Gewohnheit.«

Maglor musterte den Hobbit, der sich neben die beiden Elben auf die Bank gesetzt hatte. Maenwen fragte sich, was ihrem Gemahl wohl gerade durch den Kopf ging, aber zumindest lächelte er, und das war die Hauptsache.

»Ich hatte damals nicht wirklich verstanden, was er damit meinte, aber mir erschien es irgendwie passend«, fuhr Frodo fort. »Für uns Sterbliche ist das so eine Sache mit den Elben. Sie scheinen einfach schon immer da gewesen zu sein, dass ich mir nie Gedanken gemacht habe, wo sie eigentlich her kommen. Mir erschien es fast schon profan, dass solche Leute wie die Herrin Artanis Eltern und Geschwister haben. Damals beim Rat verblüffte es mich, als mir klar wurde, dass Meister Elerondo den Krieg des Letzten Bundes mit eigenen Augen gesehen hatte und sogar noch viel älter sein musste, wenn Ardamíre sein Vater ist. Für mich sind das alles nur Geschichten und Sagen, die so weit in der Vergangenheit liegen, dass sie für mich kaum noch wirklich erscheinen. Aber es gibt immer noch jene, die diese Dinge selbst erlebt haben, so unfassbar diese enormen Zeitspannen mir auch erscheinen.

Hier in Valinor begann Meister Elerondo, den Stern Eures Vaters zu tragen. Ich hatte nicht nach dem Grund dafür gefragt, auch wenn es mich verwundert hatte und auch viele hier damit nicht wirklich einverstanden zu sein scheinen. Aber es schien mir ein sensibles Thema und daher unangemessen, danach zu fragen. Dann habe ich Euer Lied soeben gehört und darin lag dieselbe Magie wie in der Musik Meister Elerondos. Elbische Musik hat immer etwas Magisches an sich, was sie von den Liedern der Sterblichen unterscheidet und ganz bestimmt von den albernen Versen, die wir im Auenland abends im Grünen Drachen singen. Aber so eine Magie, wie sie in Eurem Lied anklang, habe ich bis jetzt nur bei Meister Elerondo vernommen. Er muss das von Euch gelernt haben, nicht wahr?«

»Magie?«, wiederholte Maglor fragend. »Ich habe nie wirklich begriffen, was die Sterblichen damit meinten. Manche nannten gar die silmarilli Magie, aber mein Vater hat immer nur von seiner Handwerkskunst gesprochen. Aber nun gut, wenn du es so sagen willst, dann ja. Ich habe Elerondo und seinem Bruder meine Musik gelehrt. Sie waren gute Schüler, wenn auch nicht die besten.« Das letzte sagte er mit einem halb verschmitzten, halb liebevollen Lächeln in Richtung Maenwen.

Sie erwiderte es mit einem herausfordernden Blick. »Du hättest jetzt nichts anderes sagen dürfen«, sagte sie gespielt streng, dachte jedoch mit Liebe an die alten Zeiten zurück.

Es erschien ihr wie in einem anderen Leben. Zu einer Zeit, als der Schwarze Feind in Ketten lag und die Welt Frieden gekannt hatte, hatte sie sich als Schülerin bei Maglor beworben, weil sie seine Kunst erlernen wollte. Und wer wenn nicht einer der Söhne Feanors wäre besser dafür geeignet? Alles, was diese Leute anfassten, beendeten sie in Perfektion. Sie hatte Maglor mit ihrer schnellen Auffassungsgabe und Leidenschaft beeindrucken können und er war voller Bewunderung für ihr Können. Maglor war niemand, der sich allzu leicht beeindrucken ließ. Sie konnte heute nicht mehr sagen, ob sie sich zuerst in seine Musik oder doch in ihn verliebt hatte. Auch wenn diese Liebe ihr viel Kummer und Schmerz bereitet hatte, so war sie froh, doch niemals vollends von ihr abgelassen zu haben.

Frodo betrachtete sie beide lächelnd. Dann kehrte er zu seinem ursprünglichen Thema zurück. »Ihr und Meister Elerondo steht Euch nahe.«

Für einen winzigen Moment schien Maglor zu zögern. Doch dann nahm er eine aufrechte Haltung ein. »Ja«, sagte er bestimmt. »Es gehört eben mehr zur Vaterschaft dazu, als nur ein Kind in die Welt zu setzen und es dann zurückzulassen für zahllose Irrfahrten auf See. Sag mir, kleiner Halbling, kennst du die Quenta Silmarillion in ihrer Gänze? Weißt du, was meine Brüder und ich taten im Bestreben, unseren Eid zu erfüllen?«

Dieses Gespräch schien mehr und mehr Maglors Lebensgeister wieder zu wecken. Maenwen sah, wie er wieder zu seinem alten Selbst zurückzukehren begann. Gut.

Frodo zögerte sichtlich. Er wusste offenbar durchaus um das, was dieser Elb vor ihm in der Lage war zu tun, und er war vielleicht zu Recht eingeschüchtert davon. Er nickte.

»Die Welt sieht uns als Monster«, fuhr Maglor fort. »Elben, die andere Elben töten. Das schlimmste aller Verbrechen. Und doch nutzen sie alle dankbar die Tengwar meines Vaters, erfreuen sich der Lampen, die er ihnen geschenkt hat, und preisen den Nutzen seiner palantíri. Ja, sie sehen gar voller Hoffnung zu seinem Silmaril auf, der uns geraubt wurde. Wir Feanarioni sind weit mehr als nur das Blut an unseren Händen. Sie mögen die Söhne unserer erklärten Feinding Elvinga sein, die uns unser Eigentum vorenthielt, und doch hätte ich niemals zwei kleine Kinder erschlagen können. Sie waren doch gerade einmal sechs Jahre alt, verängstigt und völlig allein in einer Welt, die sie mühelos verschlungen hätte, hätten sie keinen Schutz erhalten. Ich war es, der ihnen ihre Heimat und ihre Familie raubte, und dennoch nahm ich sie mit mir, um ihnen das bisschen Schutz zu geben, das ich zu jener Zeit noch bieten konnte. Manche behaupteten, sie seien unsere Gefangenen gewesen, und mein Bruder hatte auch in der Anfangszeit vor, sie als Unterpfand für den Silmaril zu nehmen. Doch als wir ebenjenen Silmaril schließlich im Westen aufsteigen sahen, wussten wir, dass dies nie geschehen würde. Elerosse und Elerondo sind meine Söhne und ich habe es lange genug geleugnet, dass es so ist.«

Frodo deutete eine leichte Verbeugung an. »Ich danke Euch, dass Ihr das mit mir geteilt habt.«

Maglor erwiderte nichts darauf, sondern musterte Frodo nur eine Weile schweigend. »Ist dir eigentlich bewusst, dass du etwas vollbracht hast, an dem selbst mein Vater gescheitert ist?«, sagte er schließlich, wenn auch mehr zu sich selbst. »Was hast du an dir, das dich dazu befähigt hatte? Was hat Elerondo in dir gesehen, dass er dir diesen Ring überließ?«

Maglor wusste inzwischen, was in den vergangenen zwei Zeitaltern geschehen war, zumindest einen groben Überblick dessen. Elrond hatte ihn damit noch verschonen wollen, bis er wieder zu Kräften gekommen war, doch Maglor hatte nicht locker gelassen. Und Maenwen wusste, dass Maglor immer bekam, was er wollte.

»Herr, ich …« Verlegen verstummte Frodo und schien nicht zu wissen, was er darauf antworten sollte.

Maenwen konnte jedoch nicht leugnen, dass sie sich dieselbe Frage wie ihr Gemahl ebenfalls schon gestellt hatte. Es erschien ihr wie Narretei, ausgerechnet so etwas wie diesen Ring in die Hände eines so unscheinbaren Geschöpfs zu legen und ihn damit direkt zum Feind zu schicken. Vielleicht war es nun langsam an der Zeit, mit Elrond darüber zu sprechen. Sie war neugierig, welche Beschlüsse und Überlegungen dazu geführt haben mochten.

»Nun, wie dem auch sei«, sagte Maglor, nun wieder in deutlich lockererer Stimmung. »Ich will lernen, welche Lieder die Sterblichen sich dieser Tage singen. Kleiner Halbling, sing mir ein Lied aus deiner Heimat.«

»Herr, ich … Also, ich weiß nicht so recht«, stammelte Frodo deutlich verlegen. »Ihr habt die Noldolante geschrieben und ich weiß wirklich nicht, ob irgendwelche albernen Hobbitlieder Euch da zusagen. Sie sind wirklich nur Nonsens und Eurer sicher nicht angemessen.«

»Was ich soeben gesungen habe, war auch nur Nonsens«, hielt Maglor dagegen. »Eine kleine Albernheit, die ich vor vielen Jahren erdichtet habe.«

»Jeder andere würde behaupten, es sei ein Meisterwerk«, warf Maenwen ein.

»Dann haben diese Banausen meine Noldolante nicht gehört, und das ist wirklich eine Schande.« Maglor seufzte gekünstelt. »Da wartet viel Bildungsarbeit auf mich. Aber erst bist du dran, Yerna-saira, ich bitte dich.«

Frodo schien sich bei der Sache nicht wirklich wohl zu fühlen, und beinahe tat es Maenwen für ihn leid, dass er da an Maglor geraten war. Betraf es seine Musik, konnte er sehr starrsinnig sein. Schließlich schien sich Frodo dann doch für ein Lied entschieden zu haben, und er räusperte sich.

 

Ein alter Krug, ein fröhlicher Krug

Lehnt grau am grauen Hang

Dort brauen sie ein Bier so braun,

Dass selbst der Mann im Mond kam schauen

Und lag im Rausche lang.

 

Der Stallknecht hat einen Kater – miau! –

Der streicht im Suff die Fiedel.

Sein Bogen sägt die Saiten quer,

Mal quietscht es laut, mal brummt es sehr

Von seinem grausigen Lied.

 

Aber dann schien es ihm doch zu peinlich zu werden und er unterbrach sich. Maglor schien einigermaßen amüsiert von dem Lied zu sein. Frodo wurde jedoch davon erlöst, für sie weiter zu singen, als Maenwen sah, wie ein Elb das Grundstück betrat. Sie hatte ihn ebenso lange wie Maglor nicht mehr gesehen, und er besaß mittlerweile eine andere hroa, und doch erkannte sie ihn sofort. Sie lächelte.

»Liebster, sieh dort, wer endlich wieder da ist«, sagte sie und wies in die Richtung des Neuankömmlings.

Maglor folgte ihrem Fingerzeig. Und dann hielt ihn mit einem Male nichts mehr. »Nelyo!«, rief er voller Begeisterung, sprang auf und flog seinem Bruder förmlich entgegen.

Maedhros wirkte, als habe er einen Geist gesehen. Er war noch immer ein rothaariger Riese, und doch gelang es Maglor beinahe, ihn von den Füßen zu reißen, so sehr hatte es ihn überrascht, seinen Bruder wieder zu sehen.

»Mein kleiner Singvogel!«, rief er voller Erstaunen aus. »Wie kann das sein? Wieso bist du hier?«

Er drückte Maglor an sich, als wollte er sicher gehen, dass er ihm nicht wieder abhanden kam. Weinend vor Freude schlang Maglor ihm die Arme um die Brust.

»Aus demselben Grund wie du, nehme ich an«, erwiderte Maglor, als sich der erste Ansturm der Gefühle etwas gelegt hatte. »Und stell dir vor, da wache ich wie aus einem langen, furchtbaren Traum auf und stelle fest, dass ich Großvater werde! Ist das nicht aufregend?«

»Oh nein! Sag nicht, dass ich zu spät bin. Ich habe mich so beeilt, dass ich rechtzeitig wieder zurück komme.«

»Du hast Glück, es ist erst in ein paar Tagen so weit. Aber später hättest du nicht kommen dürfen.«

Lächelnd verfolgte Maenwen das Wiedersehen zwischen den beiden Brüdern. Es war beinahe, als wären all die leidvollen Jahre nie geschehen und alles war wieder so, wie es war, als König Finwe noch gelebt hatte. Beinahe.

»Du hättest die Feanorer in ihrer Jugend erleben müssen, Yerna-saira«, sagte sie. »Sie waren wie ein unaufhaltsamer Sturm, so gewaltig, dass die Welt noch heute ihre Spuren trägt. Nicht einmal die Valar waren vor ihnen sicher. Bestimmt wird dir mein Gemahl früher oder später noch erzählen, sehr wahrscheinlich in Versform, wie Tyelkormo einst Huan allerhand Albernheiten beibrachte und ihn dann auf Orome losließ. Und die Flausen, die Ambarussar im Kopf hatten, sind ohnehin legendär. Doch ich bezweifle, dass alle Sieben jemals wieder zusammen sein werden, nicht bevor ihr Vater ihren alten Feind erschlägt, der all ihr Leid verursacht hat.«

Sie seufzte. Doch dann lächelte sie. »Komm, lass uns wieder hinein gehen und ihnen etwas Zeit für sich geben

Zwar hatte Maenwen in den vergangenen Wochen genügend Zeit gehabt, darüber nachzusinnen, wie sie Maedhros begegnen würde, aber wirklich zu einem Ergebnis war sie nicht gekommen. Maedhros‘ Intensität hatte sie schon immer, selbst vor der Rebellion, eingeschüchtert und all die Jahrtausende, die sie getrennt waren, hatten die Kluft nur verstärkt. Sie würde der Begegnung mit ihm nicht entkommen können, aber vielleicht könnte sie es ja noch einige Stunden hinaus zögern.

Gerade als sie Frodo aufhalf, wurden ihre Hoffnungen jedoch zerstört.

»Maenwen!«, rief Maedhros aus. »Bist du es wirklich? Welch Überraschung!«

Maenwen lächelte unsicher, als sie sich zu ihm umwandte. Sie hätte es wissen müssen. Niemand entkam Maedhros. Frodo bedeutete ihr, dass es schon in Ordnung sei und er wieder allein hinein fand. Maedhros zerstreute all ihre Sorgen, als er lächelnd zu ihr kam und sie in seine Arme schloss. Es war, als würde sie von einem Gebirge umarmt werden, doch eines voller Wärme und Zuneigung. Mit einem Male fiel all ihre Anspannung ab.

»Ich freue mich, dich wieder zu sehen, und das auch noch an der Seite meines Bruders«, sagte Maedhros.

»Als wir uns das letzte Mal sahen, wirktest du sehr erbost, dass ich mich von euch abgewandt hatte«, gab Maenwen zu bedenken.

»Das war in einem anderen Leben zu einer anderen Zeit.« Er winkte ab. »Was zählt, ist, dass wir hier und jetzt wieder zusammen sind.«

Maglor kam hinzu. »Jetzt können wir wieder eine Familie sein.«

Er lächelte, als er ihr zärtlich über das Gesicht strich, und dieses Lächeln war das Schönste, was sie jemals gesehen hatte. In diesem Moment wollte sie wirklich daran glauben, dass es wieder ein wenig wie in den alten Zeiten werden würde. Vielleicht könnten sie ja wirklich wieder eine Familie sein.

Imbeláris – Quenya Übersetzung von Imladris
Das Gedicht ist ein Auszug aus Der alte Krug von Tolkien