Zwiegespräche

Kurzbeschreibung:

Am 8.10.2018 um 16:28 von GreenQuill auf StoryHub veröffentlicht

Stille. Totenstille.

Severus erinnerte sich nicht, dass der Ort so still gewesen war. Schweigen erfüllte die Luft. Die Sprache der Geister, die jedes andere Wort hinter den Lippen einschloss. Das Grab zu seinen Füßen lag brach. Längst verdorrt waren die Lilien, die er ihr im Sommer gebracht hatte. Nicht einmal die welken Blätter streute der Wind noch auf die Erde. Nur Schneegeriesel auf dem brüchigen Stein und der Boden eisgefroren und schwarz. Es war ein kaltes Bett, in dem sie ruhte.

Severus blinzelte unwillkürlich in der frostigen Luft. Die Tränen, die in seine Augenwinkel traten spürte er kaum. Nur die Leere, das Vakuum in seinem Innern, dort, wo einmal sein Herz gesessen hatte. Mit ihr war es gegangen, hinab in den Abgrund, begraben auf ewige Zeit. Dort in der Tiefe konnte er noch dessem Schläge hören. Nicht leise wie das Schweigen der Luft. Laut und donnernd. Jeder Ton ein Schmerz. Ein Lied von Verlust und Verrat, durch seinen ganzen Körper dröhnend.

Stille. Totenstille.

Sich die feuchten Augen reibend tauchte Severus wieder auf. Tauchte aus dem Schneesturm der Erinnerungen, diesem Nebel längst erfrorener Bilder. Die tiefe Winternacht umfing ihn schwer in ihrem dunklen Samt. Einsamkeit. Einsamkeit blies ihm ihren eisigen Atem ins Gesicht. Er sollte frösteln.  

Doch er fröstelte nicht. Wärme stieg ihm auf - ganz leicht nur, ganz zart. Ein Windhauch vielleicht. Wie ein Gruß aus der anderen Welt. Doch der Windhauch kam nicht von der anderen Seite, nicht aus den Tiefen des Grabs! Die Hand auf seiner Schulter, so sanft sie ihn auch berührte, war real. Diesseits, nicht jenseits! Wirklichkeit, nicht Schein.

Der Hauch wurde zur Briese. Atem, menschlicher Atem, streichelte, kitzelte sein Ohr. „Komm!“, sprach da die Stimme leise. Ein einziges Wort, mit bücherschwerer Macht beseelt. Gleitend, schlangengleich, begann die Hand zu wandern, verließ die Schulter, ertastete den Saum des Reisemantels. Und warm und weich schmiegten sich die Finger in Severus Hand. Er griff nach ihnen, hielt sie fest, bis Hand und Hand verschmolzen. Ein Kuss, ein Blinzeln und die letze Träne fiel, wurde Eis im Eis des Gestern.

Mit leichtem Druck zog die Hand ihn fort, fort vom brüchigen Stein und der schwarzen Erde. Willenlos ließ Severus sich geleiten. Das Loch in seiner Brust füllte sich, füllte sich mit neuem Beben bei jedem Schritt.
 
Und als sie das Friedhofstor erreichten, da schlugen seine Herzen, das im Grab und das in seinem Innern, in einem einzigen Takt.