Storys > Kurzgeschichten > Liebe > Der Schatz am Ende des Regenbogens

Der Schatz am Ende des Regenbogens

214
1
19.03.22 07:20
Homosexualität
Fertiggestellt

Autorennotiz

Diese Fanfiction ist im Rahmen des Romantic-Premade-Wichtelns entstanden. Sie ist ein Geschenk für vilyavantar.
Autorennotizen:
fanficgedanken.blogspot.com/2022/03/der-schatz-am-ende-des-regenbogens.html

2 Charaktere

Hildegard

Inge

Es gab Momente, da musste man die Anstrengungen des Alltags hinter sich lassen und dem Körper eine wohlverdiente Ruhe gönnen. Selbst Inge, sonst eifrige Arbeiterin mit Freude an jeder lohnenden Tätigkeit, wusste das. Das friedliche, abgelegene Bergdorf, in dem sie rasteten, bot mehr als genug Gelegenheit dazu, mehr noch, es gab kaum eine Möglichkeit, sich produktiv zu betätigen. Vor allem an diesem Abend, an dem die Ansässigen zuverlässig Schauer vorhergesagt hatten, hatten sich alle in ihre Häuser zurückgezogen, um den Tag mit typisch ländlicher Geduld ausklingen zu lassen.

 

Es regnete, nicht zu knapp sogar, und Inge trat auf die Terrasse des Gasthauses hinaus. Obwohl trübes Wetter das Reisen erschwerte, mochte sie Regen. Der frische Geruch, die feuchte, saubergewaschene Luft, das Prasseln der Tropfen auf Bäume und Dächer – das alles wirkte beruhigend auf ihren sonst überwachen Geist. Eine Weile wollte sie das genießen.

 

Doch jemand hatte dieselbe Idee gehabt und nun wusste sie nicht, ob sie glücklich oder niedergeschlagen sein sollte.

 

Hildegard saß auf der hölzernen Treppe, bewegungslos in meditativer Stellung. Inge schluckte mühsam.

 

Nur wenige Meter weiter fiel der Berg scharf ab, sodass er einen atemberaubenden Blick freigab auf das Tal mit Wiesen und Flüssen. Auf der gegenüberliegenden Seite erhob sich eine weitere gewaltige Bergkette, deren Kuppen von dunklen Wolken verhangen waren. Eine atemberaubende Aussicht, keine Frage, doch sie verblasste im Vergleich mit der Frau, für die sie seit langem heimlich schwärmte.

 

Heimlich, weil eher die Hölle zufrieren mochte als sie auspacken.

 

Hildegard war perfekt. Und sie nicht. Es erschien ihr selbstherrlich anzunehmen, sie könnte ähnlich zärtliche Gefühle von ihr erwarten.

 

„Was ist? Meine Gegenwart unangenehm für dich, Spannerin?“

 

Die leicht spöttische Stimme jagte ihr einen Schrecken ein. Die Frau hatte sich nicht einmal umgedreht, ihre Anwesenheit instinktiv gespürt, und nun konnte sie sich schlecht unverrichteter Dinge zurückziehen. Also nahm sie allen Mut zusammen, schritt voran und setzte sich neben sie auf die Stufe – zögerlich, um Hildegard die Chance zu geben, sie zu verscheuchen, wenn es ihr angebracht erschien. Sie tat es nicht und Inge entspannte sich notdürftig. Zum Glück war die Treppe breit, sodass es nicht wirkte, als wollte sie auf Tuchfühlung gehen. „Du wirst dich erkälten“, warf sie der Freundin vor, doch die Sorge stellte lediglich eine Ablenkung dar. Hildegard war kein unvernünftiger Mensch und sie würde die Scheinheiligkeit in der Aussage erfassen und gegen sie wenden und vielleicht würde das so vertraute Gezänk ihren flatternden Magen stärken.

 

„Ich sitze hier noch nicht lange, zudem ist’s Sommer“, erwiderte Hildegard auch zuverlässig, ein Auge geöffnet und wachsam auf den Neuankömmling gerichtet, „Außerdem musst du gerade reden. Was willst du hier draußen?“ „Nur ein bisschen Luft schnappen“, hieß es lapidar. Ungewohnt kurz angebunden. Verdächtig. Hildegard brummte tolerant, musterte Inge aber diskret von oben bis unten. Dann schloss sie das Auge und konzentrierte sich wieder auf die innere Mitte.

 

Sie gab es nicht zu, aber sie mochte es aus mehr als einem Grund, wenn Inge still war. Natürlich war da das große Plus, dass sie so nicht nörgeln konnte. Doch das war lediglich die oberflächliche Seite, jene, die Hildegard nicht verpasste als Ausrede zu benutzten, wenn sie sie – ohne künstlich schnippische Kommentare abzulassen – an sich heranließ.

 

Nein, hielt Inge den Mund, war sie eine solide, konstante Präsenz, ein zuverlässiger Wächter, der der Atmosphäre sämtliche Spannung entzog und unendliche Harmonie ausstrahlte. Hildegard konnte sich in ihrer Nähe tiefer entspannen als mit irgendjemandem sonst.

 

Gott bewahre, hätte sie sie jemals darauf hingewiesen – sie wäre im Boden versunken vor Scham. Vermutlich gleich beide zusammen, was die Sache noch peinlicher gemacht hätte.

 

„Warum bist du wirklich hier?“

 

Die Worte verließen eher ihren Mund, als sie sich des goldenen Schweigens entsinnen konnte. Nun war der Schaden entstanden und Inge musste antworten.

 

Eloquent stotterte es einige Sekunden später aus ihr heraus: „Ich … ich mag dieses Wetter. Ich finde, das Wasser macht die Welt … Nun, lebendiger und … Und es hilft mir beim Abschalten.“

 

Hm. War das das ganze Geheimnis? Hildegard dachte darüber nach. Möglicherweise passte es zu Inge, obwohl sie sie als Sonnenkind eingeschätzt hatte. Einen Moment lang fürchtete sie, dass sie ihr dabei im Weg stand und überlegte, ihr die Terrasse zu überlassen, entschied sich jedoch dagegen. Es kam nicht häufig vor, Inge dermaßen unverkrampft zu begegnen und Hildegard musste sich eingestehen, dass ihr die traute Gemeinschaft gefiel.

 

So schwiegen sie, lauschten dem Regen, bewunderten das Panorama und gaben sich einfach nur der Einkehr hin.

 

Auf einmal hörte der Guss fast unmittelbar auf, aufs Dach ihrer Herberge zu trommeln, und die Umgebung wurde in strahlendes Licht getaucht.

 

Simultan schauten sie auf. Die Wolkendecke war aufgerissen – ein langer, schmaler Spalt war am Himmel entstanden, der sich stetig ausdehnte und eine Reihe Sonnenstrahlen hindurchfallen ließ, die auf den sonst allumfassenden Schatten  nahezu physisch greifbar wirkte.

 

Und schließlich zog sich erst kaum erkennbar, doch dann immer deutlicher ein Regenbogen durch die Luft, als wollte er Licht und Dunkelheit miteinander verbinden.

 

Still beobachteten sie die schillernden, bunten Streifen, bis Inge auf einmal murmelte: „Jemand hat mir mal erzählt, dass dort, wo ein Regenbogen die Erde berührt, ein Kobold seinen Kessel voll Gold versteckt und er ihn jenem Menschen überlässt, der ihm den Standort nennt.“

 

Hildegard sah überrascht zu ihr hinüber, deren Augen in kindlichem Staunen leuchteten, und sie spürte ein Gefühl in der Brust schwellen, welches sie intuitiv einordnete und sie sich ebenso schnell anzuerkennen weigerte. Die Verblüffung über diese eigene, befremdliche Emotion verdeckte sie mit einem abfälligen Schnauben ob Inges Worten: „Hm. Wirkst auf mich nicht wie jemand, der solche Ammenmärchen glaubt.“

 

Inge senkte den Kopf und kicherte melancholisch. „Ha, ja, ich schätze, so denken die meisten. Verdientermaßen vermutlich“, ihre Stirn legte sich in leichte Falten, „Es ist aber tatsächlich unlogisch. Ich meine, es dürfte keine große Schwierigkeit darstellen, den Kessel zu lokalisieren, oder? Man weist einfach auf ein Ende und sagt: ‚Da!‘ Der Kobold dürfe dabei keine sonderlich große Chance haben, es abzustreiten, meinst du nicht?“

 

„Das klingt eher nach dir. Hab schon Angst bekommen.“

 

Inge schmunzelte wie zuvor, Kopf schüchtern schiefgelegt. „Ist es wirklich so lächerlich, das eine oder andere Märchen zu glauben?“, fragte sie leise. Hildegard begutachtete sie skeptisch: „Brauchst du so dringend Geld?“

 

Diesmal lachte Inge laut auf, nicht nur vorgetäuscht, nein, diesmal vibrierte der ganze Körper mit  Humor und Hildegards Bauch füllte sich mit Wärme. Auch sie konnte ein kleines Schmunzeln nicht zurückhalten und um der Entlarvung zu entgehen, wandte sie schnell das Gesicht dem Himmel zu und folgte den Konturen der bunten Kurve.

 

Der Regenbogen schimmerte im goldenen Zwielicht, trennte Azurblau vom Gewittergrau, zog seine elegante Bahn gen Erde …

 

Und versank genau hinter Inges Gestalt im Boden.

 

Hildegard blinzelte überrascht.

 

Fasziniert nahm sie das Bild auf, das ihre langjährige Begleiterin im Verbund mit dem breiten Farbspektrum machte, wie sie da hockte, Ellenbogen auf den Knien abgestützt, geistesabwesend denselben Weg nachziehend, den auch Hildegards Augen genommen hatten. Nur war ihr nicht dieselbe Aussicht vergönnt, so apart und doch unerschütterlich, und sie bemitleidete sie dafür.

 

Ihr entging nicht die Ironie der Szene.

 

Normalerweise verabscheute sie Idylle, sie waren ihr zu kitschig und weltfremd – doch dieses Idyll wollte sie aus dem Fluss der Zeit reißen, es einrahmen und bis ans Ende ihres Lebens am Herzen tragen.

 

Für diesen Schatz war sie bereit, gegen eine ganze Koboldhorde in den Krieg zu ziehen.

 

Eine Bewegung riss stattdessen sie aus dem Stillstand. Inge drehte sich halb zu ihr um, eine Augenbraue in stummer Frage erhoben. Sie hatte gemerkt, dass Hildegard sie etwas zu lange ohne besonderen Grund angestarrt hatte. Und es hatte sie unsicher gemacht, Stirn in tiefe Furchen gelegt und Wangenknochen sacht gerötet.

 

Als Hildegard trotz stummer Aufforderung nichts sagte, sie nur ausdruckslos betrachtete, räusperte sie sich verlegen und machte Anstalten, sich in die Höhe zu stemmen: „Tut mir leid, ich habe bereits viel zu viel von deiner Gastlichkeit in Anspruch genommen. Ich schätze, ich bin wohl nicht unbedingt jemand, den du in solchen Momenten gerne um dich haben möchtest, also-“

 

Hildegard ließ sie nicht ausreden, griff stattdessen blitzschnell ihr Handgelenk und hielt sie auf.

 

Und es war nicht nur die Hand, die Inge an Ort und Stelle gefangen hielt. Auch der Blick verhinderte, dass sie sich bewegen konnte, so tiefgründige, ausdrucksvolle Augen auf sie geheftet, als war sie interessanter als jedes noch so atemberaubende Schauspiel der Natur.

 

Ihr Herz klopfte eine Nuance schneller, doch sie steuerte umgehend mit betont ruhiger Atmung gegen. Es war sinnlos, sich Hoffnungen zu machen, nur weil Hildegard sie einmal nicht behandelte wie ein persönliches Allergen.

 

Wortlos ließ sie sich zurück aufs Holz sinken, schluckte und schaute weiter in die Ferne, auf die dunkelrote Scheibe am Horizont, die den Rest der Wolken geschmolzen hatte und nun langsam aber stetig hinter den schneebedeckten Bergkuppen versank. Wie sie hätte sie gerne die eigenen glühenden Wangen hinter einer steinernen Barrikade verborgen, als Hildegard die Hand nicht wie erwartet zurückzog, sondern die Finger unendlich sanft, aber sicher in ihre hakte.

 

Verborgen, ja – doch die Schmetterlinge, die in wildem Schwarm in ihrem Innern aufstoben, konnte auch die nahende Dämmerung nicht am Fliegen hindern.

Feedback

Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!

0
Wintergeists Profilbild
Wintergeist Am 08.07.2019 um 21:31 Uhr
Hach!
Ich bin verdammt begeistert vom Zusammenspiel der Charaktere und deiner Geschichte. Hat das echt von Anfang an so gepasst, oder hast du da noch nachgebessert? :D
Ich mein, meine Erwartung war so: Geschichte über ältere Leute, von denen man keinen Karies bekommt, die aber vielleicht ein wenig grumpy sind, und das hast du verdammt gut getroffen.
Außerdem: Die Bilder! Ich hatte beim Lesen die Szene sehr bildlich vor mir, und ich steh' ja auf so Landschaftsbeschreibungen und so, daher hast du da bei mir meine Vorlieben sehr gut getroffen.

Würde wieder lesen! :D

Viele Grüße!
Mehr anzeigen

Autor

LockXOns Profilbild LockXOn

Bewertung

Die Bewertungsfunktion wurde vom Autor deaktiviert

Statistik

Sätze: 95
Wörter: 1.607
Zeichen: 9.902

Kurzbeschreibung

Unerreichbar zu wirken ist auch für den Unerreichten eine schwierige Angelegenheit. Denn wie schafft man die geliebte Person davon zu überzeugen, sehr wohl eine Chance zu haben? Doch nur, indem man sie festhält und einfach nicht davonkommen lässt!