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Kirschenessen

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15.03.17 13:00
Fertiggestellt

Sie standen auf der Brücke und starrten beide hinunter in den Fluss, der seinem Weg rauschend folgte, während sie sich anschwiegen.

Die Sonne begann schon, unterzugehen, als einer der beiden endlich das Wort ergriff.

„Glaubst du, wir können es ihm sagen?"

„Nein, das können wir ganz sicher nicht. Er soll es nicht erfahren, das haben wir schon die ganze Zeit über durchgesprochen. Wir waren uns einig."

„Ich hab aber noch mal drüber nachgedacht..."

„Das spielt jetzt keine Rolle mehr."

Ein Kirschkern wurde ins Wasser gespuckt. Das taten sie jetzt schon seit fast einer halben Stunde  so. Bald gab es keine Kirschen mehr. Sie mussten sich entscheiden, solange noch Kirschen da waren.

„Die Kirschen sind bald leer."

Ein prüfender Blick von beiden in die Tüte, die sie eben an der Straße gekauft hatten.

„Lenk nicht ab. Ich bin jetzt doch dafür, dass wir es ihm sagen."

„Aber wir haben es doch genau durchgesprochen. Wir sagen ihm, wir konnten nicht das tun, was er wollte. Oder natürlich, wir sind überfallen worden."

„Unsinn! Das glaubt uns nie einer..."

„Immer nörgelst du an mir rum."

„Natürlich nörgle ich. Du könntest dich genauso gut über mich beschweren, aber du isst schließlich die ganzen Kirschen weg."

„Ich esse sie nur, weil ich es ihm nicht sagen will."

„Ihm was nicht sagen will?"

Die beiden fuhren herum.

Er stand hinter ihnen. Die beiden Mädchen fühlten sich ertappt.

„Papa", sagte eine von ihnen und lächelte. Sie war die ältere der beiden , die Vernünftige, sie wollte es ihm sagen.

„Nichts, nichts", sagte die Jüngere, die sich jetzt auch gefangen hatte.

Die Große warf ihr einen bösen Blick zu und hob die Tüte mit den Kirschen hoch, in der nur noch vier Kirschen lagen. Beweis genug.

„Sie hat von deinem Geld die Kirschen gekauft!"

Petzen sollte man eigentlich nicht und sie als Ältere sollte das wissen, aber es war der einzige Weg die Schuld von sich zu lenken.

Aber natürlich protestierte ihre Schwester.

„Stimmt doch gar nicht! Wir haben beide die Kirschen gekauft. Von deinem Geld, tut uns leid, aber wir sind vor dem Blumenladen an dem Kirschstand vorbeigekommen und die Verkäuferin war so nett und hat sie uns billiger gegeben und dann sind wir in den Blumenladen und wollten die Lilien holen, die du bestellt hast, aber da Geld hat nicht mehr gereicht."

Sie hatte nachgegeben. Immerhin stand sie jetzt als die Ehrliche da, aber im Grunde genommen war das egal, denn sie als Kleinere trug sowieso noch nicht so viel Verantwortung. Sie hatte nicht das Geld bekommen, um es in ihrer kleinen Geldbörse zu verstauen.

Die beiden Mädchen hätten sich noch stundenlang weiter streiten können, aber ihr Vater nahm sie beide an die Hand und sie gingen an den ruhigen Ort wo Mama war und anstelle einer Lilie, die innerhalb weniger Tage verblüht gewesen wäre, stand dort jetzt, zwanzig Jahre später, ein riesiger Kirschbaum, der Schatten gab und ein Geschenk für ihre Mutter war wie es schöner nicht hätte sein können. Etwas das nicht so vergänglich war, denn die Vergänglichkeit hatte ihre Mutter schon erlebt hatte ihr Vater gesagt.

Die Schwestern erinnerten sich genau an diesen Tag im Juli, ein Jahr nachdem Mama fort war und sie würden es bis an ihr Lebensende tun, wenn sie mit Mama und Papa unter ihrem Baum vereint waren.

Autorennotiz

Die Geschichte entstand vor einigen Jahren für die Schule und enthält wohl etwas mehr als nur eine kleine Prise Kitsch.

Feedback

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Olympia Am 09.06.2017 um 19:28 Uhr
Ahoi! Ich muss sagen, ich finde deine Geschichte ganz zauberhaft. Ja, sie hat hier und da ein paar Stellen, die man stilistisch noch feiner schleifen könnte ("Bald gab es keine Kirschen mehr. Sie mussten sich entscheiden, solange noch Kirschen da waren. „Die Kirschen sind bald leer."" und "aber es war der einzige Weg die Schuld von sich zu lenken. Aber natürlich protestierte ihre Schwester." z.B. zweimal ein wenig unschöne Wortwiederholungen, kleine Rechtschreibfehler in Groß- und Kleinschreibung etc), aber das stört nicht weiter. Immerhin "erzählen" hier ja sozusagen auch zwei Kinder. Ältere Geschichten muss man da auch nicht unbedingt nachträglich mit Gold umhüllen, die glänzen manchmal am schönten in ihrer nostalgischen Unvollkommenheit.
Kitschig hin oder her - ich bin gerade mal wieder in so einer Phase, wo ich sowas richtig suche. Also Danke!
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mockingbird (Autor)Am 09.06.2017 um 19:51 Uhr
Vielen lieben Dank für dein Feedback :)
ich seh das mit der nostalgischen Unvollkommenheit genauso und denke, eine Überarbeitung würde an manchen Stellen eher verschlimmbessern :D
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suedehead Am 06.04.2017 um 15:41 Uhr
Ich kenne diese Geschichte!
Ich hab sie vor Jahren schon mal irgendwo gelesen und niedliche gefunden!
Sag mir sofort, wer du bist! Du hast doch ein ff.de-Profil, gib's zu!
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mockingbird (Autor)Am 06.04.2017 um 19:12 Uhr
Ich hab sie vor einem knappen Jahr auf Wattpad hochgeladen. Ansonsten erinnere ich mich nur noch daran, eine aktuell nicht mehr existente Version auf Facebook gepostet zu haben, bzw. diese bei einem kleinen Wettbewerb einer Schreibseite eingereicht zu haben, aber wenn du es da gesehen hättest, würde mich das bei der doch eher kleinen Reichweite, die das Ganze hatte, überraschen. Ich tippe also auf Wattpad :D

Autor

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Sätze: 42
Wörter: 586
Zeichen: 3.218

Kurzbeschreibung

Über ein kurzes Zwiegespräch auf einer Brücke; im Mittelpunkt eine Tüte Kirschen.