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Bruder Pech und Schwester Glück...

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26.08.22 23:34
6 Ab 6 Jahren
Fertiggestellt

Der Himmel war düster und die Wolken weinten, als ich im Wald unter einem verdorrten Baum etwas bemerkte, das mich stutzig werden ließ. Ein ganz leises Wimmern vernahm ich am Fuße der Eiche, die keine Früchte und keine Blätter trug.
Der Wind rauschte durch die anderen Bäume, und sie wogen ihre Häupter nach dem Herrscher der Stürme. Doch der verdorrte Baum stand still und sah den anderen ein letztes Mal zu... denn seine Zeit war gekommen, sich mit dem Wind niederzulegen - für immer.
Wieder ertönte im Rauschen der anderen Bäume dieses Wimmern, das so verzweifelt klang, dass es mich zu ihm hinzog, um zu sehen, welches Herz hier so leiden muss. Dann sah ich es - zusammengekauert, schwarz wie die Nacht und weinend saß es da.... und seine Tränen kullerten an ihm herab, wie kleine schwarze Perlen.
"Hey... Was macht dich so traurig und finster?" fragte ich mit leiser Stimme, während ich mich ihm langsam näherte. Als es sich dann plötzlich hinter dem Baumstamm verkroch, nahm ich an, dass ich es verschreckt hätte. Aber dann kam es doch wieder hervor und schaute mich fragend an.
"Hast du denn keine Angst vor mir? Jeder hat Angst vor mir, weil ich nicht gut bin und nur Unglück bringe. Warum du nicht?" fragte es mich mit großen Augen aus seiner Dunkelheit heraus.
"Ich weiß nicht. Vielleicht habe ich keine Angst, weil ich wissen möchte, warum du weinst. Haben die anderen denn tatsächlich Angst vor dir?" wollte ich von ihm wissen. "Ja, wirklich. Sie haben sich sogar verschiedene Zauberformeln ausgedacht, damit ich nicht in ihre Nähe komme. Und außerdem gaben sie mir einige Namen, die mich sehr verletzen... und sie hoffen auf meine Schwester, die ich lange nicht gesehen habe" antwortete mir seine zerbrechliche Stimme, die fast in sich zusammen sank, als es scheinbar seine letzten Worte sprach. "Welche Namen es waren, will ich gar nicht wissen, denn es müssen schlimme Worte gewesen sein. Wenn ich darf, setze ich mich ein bisschen zu dir. Darf ich?" fragte ich und war schon fast dabei, mich neben ihm niederzulassen.
Plötzlich wurde der Wind stärker und ließ den verdorrten Baum bersten... in sich ein endloses Knacken ertönen und sich dem Herrscher der Stürme ergeben. Er sank zu Boden und riss einige Zweige der anderen Bäume mit sich, als er niederfiel und sein Tod im Wald erhallte... und das Wimmern verstummte. Dann flogen Vögel empor und suchten das Weite. Und es war fort, was eben noch zusammengekauert am Fuße des verdorrten Baumes saß...

Ein Sonnenstrahl durchbrach die Wolken und ein Schmetterling suchte flatternd seine erste Blume, als ich ein paar Monate später zu dem Baum zurückkehrte, der damals vor meinen Augen starb. Und ich dachte noch lange an ihn - der, der schmerzerfüllt am Fuße des verdorrten Baumes saß und mich so sehr berührte. Doch das Wimmern von einst war verstummt.
Und nun brach ein Sonnenstrahl durch die Wolken und trug den Duft des Frühlings in sich, als ich mich am Baumstumpf niederließ, wo ich ihm damals begegnete... und er mir von sich und seiner Schwester erzählte...

"Summen und surren liegt in der Luft;
welch ein süßer neuer Frühlingsduft,
der sich in dieser Welt sanft niederlässt
und zarte Gedanken in uns zurück lässt.
Und doch bleibt mein Gedanke bei Dir,
denn Du gehörst doch immer zu mir...
Ach, wo bist Du nur geblieben, frag ich,
denn ich vermisse dein Herz und Dich."

Niemals zuvor vernahm ich solche Klänge, die der Frühling mit sich brachte... Woher kamen sie nur? Dann sah ich es - fast unscheinbar und nicht für jedermann zu erkennen:
Auf dem Baumstumpf des einst verdorrten Baumes saß ein Pflänzlein, das seine ersten zarten Blätter der Sonne entgegen streckte und sich des Lebens erfreute, das da vor ihm lag. Es wog sich sachte im lauen Wind, der seine Blätter zärtlich streichelte...
Und darunter saß ein kleiner Sonnenschein, der im Tautropfen hängen blieb, welcher sich an einem Blatt vom Pflänzelein langsam hinunter hangelte. Plupp! Und so sank es langsam in den durstigen alten Baumstumpf, der mit zartem Moos bedeckt war.
"Wer bist du und wo kommst du her?" fragte ich neugierig. Und dann sagte es mir, dass es sein Geschwisterkind sucht, das es letztes Jahr hier verloren hätte. "War es dunkel, alleine und verletzt?" fragte ich. "Ja" sagte der helle Sonnenstrahl, der sich nun im Moos niederließ. "Ohne ihn kann ich nicht sein und nicht das geben, was er schon im Voraus für mich bereitet. Wo ist er?"
"Sieh genau hin, was er für dich hinterlassen hat... dort, das kleine Pflänzelein auf dem Baumstumpf ließ er uns zurück... und flüsterte mir im Sterben für sein Schwesterlein:

"Das ist für mein liebes Geschwisterkind:
Ein Leben, in dem wir beide vereint sind.
Den alten Baum nahm Bruder Pech hier fort;
machte Platz für etwas neues an diesem Ort.
Und so kam das Leben hier her zurück
mit Dir, mein lieb Schwesterlein Glück."

 

Autorennotiz

Auf deine Gedanken zu meinen Zeilen freu ich mich - schreib sie mir. :)

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BerndMooseckers Profilbild
BerndMoosecker Am 20.03.2022 um 14:01 Uhr
Liebe Silly,
was kann ich jetzt Deinen schönen Gedankengängen hinzufügen?
Pech und Glück gehören unweigerlich zusammen, sind untrennbar und mit einander verwandt. Ich habe einmal einen Gedanken niedergeschrieben, der aussagt, dass Frieden und Freiheit wie siamesische Zwillinge untrennbar miteinander verbunden sind. Wer meinen Roman "Jakob liest vor" gelesen hat, weiß, was ich damit meine.

Summen und surren liegt in der Luft; welch ein süßer neuer Frühlingsduft...
Liebe Grüße
Bernd
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Sillys Profilbild
Silly (Autor)Am 29.03.2022 um 21:26 Uhr
Lieber Bernd,
und so fügt sich zusammen, was zusammen gehört... denn wer das Glück erkennt, hat auch schon das Pech gesehen.
Ich danke Dir sehr für deine Worte zu meinen Zeilen.
Liebe Grüße,
Silly. :)
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Miras Profilbild
Mira Am 23.03.2022 um 20:23 Uhr
Hey Silly,
Ich finde, dass das eine wirklich süße und schöne Geschichte ist. Mich hat sie sehr zum Nachdenken gebracht und tatsächlich hat sie auch etwas in mir ausgelöst.
Ich finde zudem deinen Schreibstil sehr schön. Er hat etwas märchenhaftes...
Liebe Grüße
Mira
Sillys Profilbild
Silly (Autor)Am 29.03.2022 um 21:31 Uhr
Hallo Mira,
deine Worte zu meiner kleinen Geschichte haben mir ein Lächeln gezaubert, als ich las, dass mein Schreibstil Dir gefällt und Du etwas märchenhaftes darin siehst. Eine größere Freude konntest Du mir nicht bereiten. Ich danke Dir. :)
Liebe Grüße,
Silly.

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Sätze: 67
Wörter: 873
Zeichen: 4.789

Kurzbeschreibung

Eine Kurzgeschichte, die zeigt, dass es das eine ohne das andere nicht geben kann und sich am Ende alles zusammen fügt.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Natur auch im Genre Nachdenkliches gelistet.