******************** Quo vadis, Lucius? von Eisprinzessin ******************** ++++++++++++++++++++ Kurzbeschreibung ++++++++++++++++++++ Dies ist eine genehmigte Übersetzung der Story "Quo Vadis Lucius" der Autorin Ragna Katharina. Die Handlung beginnt nach der Episode "Last Knight" (Staffel 3), in der Nicolas Natalie gebissen hat. In dieser Geschichte erwacht Natalie und findet sich auf der Via Appia wieder... in einer anderen Zeit... -------------------- 1. Kapitel: Namenloses Kapitel -------------------- QUO VADIS, LUCIUS? >======= -------------------- 2. Kapitel: Namenloses Kapitel -------------------- Kapitel 2 Wochen vergingen und Natalies Latein verbesserte sich beträchtlich  Sie lebte bei Sabina und ihrer Familie, Kaufleuten aus Judäa, und gewöhnte sich langsam an den andersartigen Lebensstil. Sie half bei der täglichen Arbeit und übte ihren Beruf als Heilerin aus. Es war faszinierend, Zeugin dieser alten Zeit zu sein. Aber sie beobachtete etwas sehr Seltsames. Sabina und ihre Freunde gingen während der Abende oft fort. Sie hatte sie gesehen, als sie um Mitternacht gingen und Stunden später zurückkehrten, sich in ihrer Muttersprache, Aramäisch, einem hebräischen Dialekt, unterhaltend. Sie beschloss, sich nicht einzumischen, weil diese Leute nett zu ihr waren und es nicht verdienten, dass man ihnen nachspionierte. Natalie füllte etwas Wein von Amphoren in kleinere Ampullen, als ein älterer Mann in den Hof hereinkam. Er war offensichtlich kein Römer – er war anders gekleidet und trug einen Bart. „Was kann ich für Euch tun?“, fragte Natalie freundlich. „Ist dies das Haus der Sabina von Hebron?“, fragte der Mann sie in warmem und liebenswürdigem Ton. Er hatte freundliche Augen und strahlte etwas aus, das Natalie als erfüllt oder einfach als ganz zufrieden mit dem Leben an sich beschreiben würde. Und er hatte ein starkes Charisma. „Ja, dies ist das Haus der Händler-Zunft von Hebron. Darf ich fragen, wen ich anmelden soll?“ „Mein Name ist Paulus. Ich bin ein Freund der Familie.“ Natalie lächelte. „Ja, ich dachte mir, dass Ihr kein Römer seid. Woher kommt Ihr?“ Sie war froh, eine Pause beim Nachfüllen der Amphoren einlegen zu können. Ihr Rücken hatte zu schmerzen begonnen. „Ihr werdet den Ort nicht kennen. Ich komme aus Kleinasien. Aus Tarsus, um genau zu sein.“ Natalie blinzelte für ein paar Sekunden. Paulus? Von Tarsus? DER Paulus von Tarsus? Sie fluchte innerlich, dass sie während des Religionsunterrichtes immer geschlafen hatte. Natalie entschied, mutig zu sein. „Paulus von Tarsus?...  Seid Ihr Lehrer?“ Der Mann lachte ein wenig, als ob er die Frage amüsant fände. „Ja, ja, mein Kind. So könnte man es sagen Ich bin Lehrer… ich unterrichte Philosophie.“ Natalie schluckte. Plötzlich verstand die junge Gerichtsmedizinerin sehr viel mehr. Sie verstand, warum ihre Freunde mitten in der Nacht verschwanden und warum sie sich gelegentlich äußerst seltsam verhielten. Christen… dies war eine frühe christliche Gemeinschaft. Sie grinste ein wenig. Sie kannte ein weiteres Geheimnis der Gemeinschaft und sie war ganz sicher, dass es einige Ähnlichkeiten gab.   *** Lucius hielt seinen Kopf und stöhnte. Das war wahrhaftig kein Vergnügen. Er hatte den schlimmsten Kater in den letzten zwei Jahrtausenden. Letzte Nacht war er mit seinen Freunden unterwegs gewesen und hatte die Tavernen in der Nähe des Tibers durchstreift, und die letzte Ampulle Wein musste schlecht gewesen sein. Trotz des Übelkeitsgefühls, das er in seinem Magen spürte, kicherte er etwas.„Lucius, kann ich mit dir sprechen?“ Seine Mutter stand an der Schwelle seines Zimmers. Sie machte ein besorgtes Gesicht. „Natürlich, liebe Mutter. Was möchtest du mit mir besprechen?“ „Lucius, seit deines Vaters Tod, als du noch sehr jung warst, bist du das Oberhaupt der Familie, und so obliegt es nun dir, auf deine Schwester zu achten.“ „Was ist los mit Lydia?“ Er hatte das vage Gefühl, dass diese Unterhaltung vor langer Zeit geschah. „Ich entdeckte, dass sie letzte Nacht fort war. Sie kam kurz vor Sonnenaufgang zurück. Ich bin besorgt. Es gehört sich nicht für eine junge Römerin, das Haus ohne ordnungsgemäße Begleitung zu verlassen. Und wenn jemand entdeckt, was sie tut, wird dies Schande über unsere Familie bringen.“ Er nickte langsam. „Ich werde mich um diese Angelegenheit kümmern, Mutter. Mach dir keine Sorgen. Sie wird nicht noch einmal das Haus verlassen.“ „Danke, Lucius. Es ist gut, dass du wieder daheim bist.“ Diesmal würde er auf sehr viel behutsamere Weise vorgehen. Er begab sich geradewegs in das Zimmer seiner kleinen Schwester, jedoch sich selbst ermahnend, seine Beherrschung nicht zu verlieren.  *** „Lydia, ich muss mit dir sprechen.“ Er versuchte, sich ihr zu nähern, als wäre sie Janette. Höflichkeit war eine weit bessere Waffe als aggressive Ausbrüche. Er stand in der Tür und schaute sie an, während die Dienerinnen sie für diesen Morgen herrichteten. Lydia entließ das Personal mit einem Wink ihrer Hand. Nur äußerlich gelassen, wartete er, bis die Dienerinnen sich aus dem Raum entfernt hatten. Er wusste, dass sie weder blind noch taub waren. Es war nicht nötig, ihnen Stoff zum Klatschen über die Herrschaft zu liefern. Er versicherte sich, dass niemand in der Nähe war, bevor er sich neben seine Schwester setzte und sie anschaute. Sie lächelte ihn an und er konnte nicht anders, als zurückzulächeln. „Lucius, irgendwie habe ich das Gefühl, dass du dich verändert hast. Deine Augen sind anders.“ Geistesabwesend strich er eine Locke ihres blonden Haares an ihren Platz zurück. Sie war schön. „Wie kommst du darauf, Schwesterchen?“ Sie roch nach Lilien und Rosen. Er bemerkte, dass sein Geruchssinn nachgelassen hatte; er konnte kein Blut riechen, aber er fühlte auch keine Unruhe in enger Nähe eines Menschen, keinen plötzlichen Schmerz von Blutdurst, der immer seine Kontrolle bekämpfte wie ein gefangenes Tier, welches gegen die Stäbe seines Kerkers schlug . „Deine Augen sind so traurig und zornig.“ Es war schwer, ihren unschuldigen blauen Augen zu widerstehen. Ein Ansturm brüderlicher Zuneigung durchfuhr ihn. Sein kleines Schwesterchen. Er umarmte sie spontan. „Mach dir keine Sorgen um mich, Lydia. Mir geht’s gut… mir wird es immer gut gehen.“ „Aber du gehst jede Nacht mit deinen Freunden fort, kommst heim, wenn die Sonne fast aufgegangen ist. Du scheinst durch das Leben zu taumeln, aber es rinnt durch deine Finger wie das Wasser in einer ägyptischen Wasseruhr.“ Die Kleine hatte auf jeden Fall zu viel gesehen. Er erinnerte sich, warum er hier war, und das ernüchterte ihn erheblich. „Du warst letzte Nacht fort?“ „Woher weißt du das, Lucius? Du warst letzte Nacht auch fort.“ Er spürte ihren Hohn und irgendwie verstand er sie. Die Unterschiede zwischen dem, was ein Mann durfte und was für eine Frau als angemessen galt, waren erheblich. Aber dies war die Vergangenheit und er hatte nicht die Absicht, sie zu reformieren. „Mutter sah, wie du das Haus verlassen hast.“ Lydia schaute nach unten. Er hob ihr Kinn und sah in ihre Augen, hoffend, dass das, wonach er fragte, Wahrheit sein würde. Es wäre so viel einfacher. „Ist es ein Mann, den du besuchst? Hast du einen Liebhaber?“ Sie errötete augenblicklich. „Oh nein! Lucius!“ Er war Zeuge ihrer Verlegenheit, wieder einmal. „Lydia, du weißt, dass es sich für eine junge Frau nicht schickt, einen Mann zu kennen, bis sie verheiratet ist. Die Dirnen in der Taverne können solche Dinge tun, aber du entstammst einer noblen Familie. Du darfst keine Schande über dich oder deine Familie bringen.“ Sie legte eine Hand auf seinen Arm und schaute in seine Augen. „Lucius, ich würde nie Schande über unsere Familie oder unser Haus bringen.“ „Versprichst du, das Haus nicht ohne ordnungsgemäße Begleitung zu verlassen? Du kannst Severinus als Leibwächter mitnehmen.“ „Severinus…“ Sie schien verärgert. Offensichtlich war sie nicht sehr glücklich über seine Anordnung. Der Verlauf der Ereignisse, die zu ihrem Tod geführt hatten, war bereits geschehen. Seine Kehle zog sich in Schmerz und Hilflosigkeit zusammen. Lucius packte sie an beiden Schultern und schüttelte sie. „Du wirst das Haus nicht wieder verlassen!“, verkündete er knurrend. Er würde ihren Tod nicht zulassen, nicht jetzt, nicht noch einmal! „Lucius! Du tust mir weh!“ Lucius löste seinen festen Griff von ihren Armen und mit einer schnellen Bewegung stand er nahe der Tür. „Es tut mir leid. Ich hatte nicht die Absicht, dir weh zu tun, aber mein Wort gilt. Du wirst das Haus ohne meine Zustimmung nicht noch einmal verlassen.  Ich werde es nicht erlauben.“ Sie rieb sich die Oberarme und nickte gehorsam. „Ja, Bruder. Ich verspreche es.“ Er nickte und versuchte sich aufzumuntern, aber es gelang nur äußerlich. Lucius hoffte verzweifelt, dass sie gehorchen würde. Aber er war sich nicht sicher. „Gut, kleine Schwester. Ich bin froh, dass wir einander verstehen“, erwiderte er schroff. In der folgenden Nacht stand er Wache und war erleichtert, dass Lydia zu tun schien, was sie versprochen hatte. Niemand kam ins Haus und niemand ging hinaus.  *** Natalie strahlte vor Freude. Dies war so interessant, auch wenn es nur ein Traum war. Sie begann, sich ständig zu ermahnen, weil sie immer so leicht dazu neigte, zu vergessen, dass dies nichts weiter als ein Traum war. Die Gerichtsmedizinerin hatte Sabina davon überzeugt, dass sie vertrauenswürdig war, und erhielt die Erlaubnis, sich ihrer neuen Freundin anzuschließen, als sie zu dem Treffen ging. Natalie hoffte verzweifelt, dass ihr Latein ausreichte, um zu verstehen, was Paulus predigte. Allein der bloße Gedanke, tatsächlich dort zu stehen, Zeugin eines solch geheimen Treffens zu werden, war etwas, wovon Historiker träumten. Der geheime Treffpunkt war irgendwo in der Nähe des Tibers, versteckt zwischen dem Ausgang des Abwasserkanals und dem Dach einer Brücke, das sie vor verdächtigen Augen schützte. Sie sah immer mehr Menschen schweigend kommen und sich Paulus nähern, um mit ihm zu sprechen, seinen Rat zu suchen oder einfach nur, um seinen Segen zu erbitten. Die Fackeln spiegelten sich auf dem schwarzen Wasser wider. Sie wusste, dass dies Wächter waren, aufgestellt von der Gemeinschaft, um auf jedwede Störung zu achten. Natalie saß auf einem Stein und beobachtete die Szene. Die Mehrheit der Anwesenden waren arme Leute, aber nicht alle. Eine junge, blonde Frau erregte ihre Aufmerksamkeit. Blond war keine gewöhnliche Haarfarbe für eine Römerin, wenn sie keine Perücke trug. Aber ihr Haar war von Natur aus blond, nicht durch die Hilfe einiger ausgebildeter römischer Friseurinnen. Und es war auch klar, dass sie keine Sklavin oder Barbarin war… Paulus begann zu beten… „PATER NOSTER QUI IN CAELIS ES SANCTIFICETUR NOMEN TUUM.VENIAT REGNUM TUUM FIAT VOLUNTAS TUA SICUT IN CAELO ET IN TERRA. PANEM NOSTRUM SUPERSUBSTANTIALEM DA NOBIS HODIE ET DIMITTE NOBIS DEBITANOSTRA SICUT ET NOS DIMIDUS DEBITORIBUS NOSTRIS ET NE INDUCAS NOS IN TEMPTATIONEM SED LIBERA NOS A MALO…'" [1]-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------[1] Das „Vaterunser“ auf Latein.       -------------------- 3. Kapitel: Namenloses Kapitel -------------------- Kapitel 3 Lucius kam mitten in der Nacht nach Hause. Er hatte wie immer zu viel getrunken. Gaius hatte eine Wette vorgeschlagen, aber es war Lucius, der den Preis gewann. Das Mädchen beschwerte sich wahrlich nicht. Er lächelte bei dem Gedanken.Seine Mutter näherte sich ihm, sobald der Diener die Tür öffnete.„Lucius, Lydia ist wieder fort!“Er holte tief Luft und versuchte, seine Gedanken vom Einfluss des Weines freizumachen.„Ich sagte ihr, dass sie zu Hause bleiben soll“, knurrte er.„Das hielt sie nicht davon ab, sich heute Abend davonzustehlen“, erwiderte seine Mutter trocken, die Hände auf die Hüften gestemmt. Jeder Beobachter würde die starke Ähnlichkeit zwischen Mutter und Sohn erkennen können.„Ja… natürlich tat es das nicht.“Der Unterton seiner Stimme verhieß nichts Gutes. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um, um nach seiner Schwester zu suchen. Innerlich fluchte er unheilverkündend.Wo konnte er sie finden? Wo trafen sich diese Christen?Er kannte einen armenischen Händler, der eine gute Informationsquelle war, wenn der Preis stimmte, und er machte sich auf den Weg in den unteren Teil der Stadt, um ihn aufzusuchen. *** Als er aus dem unscheinbaren Gebäude trat, hatte er die Information, die er brauchte. Es hatte ihn eine beträchtliche Summe und durchaus ein bisschen Einschüchterung gekostet, aber das war etwas, worin er wirklich gut war. 2000 Jahren der Praxis war nicht leicht standzuhalten.Er ging hinunter an den Fluss in einer der ärmsten Gegenden Roms. Es stank heftig und er rümpfte angewidert seine Nase. Dies war wahrlich kein Ort für seine Schwester. Er konnte sie sich nicht in einer solchen Umgebung vorstellen, wollte es nicht.Er zog den Mantel enger um sich, als ob er ihn vor diesen ekelhaften Gerüchen schützen könnte. Vorsichtig näherte er sich der Gegend, sich darüber bewusst, dass diese Christen Wachen postiert hätten, wenn sie intelligent genug zum Überleben waren. Und das sie tatsächlich überlebt hatten, war etwas, das er bereits durch die Historie erfahren hatte.War dies ein Traum? Oder war es dies nicht?Während der letzten paar Wochen wünschte er sich manchmal, dass es ein Traum wäre, und manchmal fragte er sich selbst, was real war und was nicht. Vielleicht war sein Leben als Vampir, diese 2000 einsamen Jahre trotz der Gesellschaft seiner Kinder, nichts anderes, als der Alptraum eines müden römischen Legatus, der von einem langen Kampf heimkehrte.Aber er erinnerte sich noch an die Zukunft! Physik, Medizin, Literatur, Musik. Hatte er das auch geträumt? Hatte er davon geträumt, dass die Menschheit nach dem Fall des Römischen Reiches in die Barbarei versank, nur um sich während des Mittelalters wieder aufzuschwingen bis zur Renaissance und der frühen industriellen Revolution? Hatte er geträumt, dass die Menschheit wieder in Niedertracht versank mit dem Aufstieg des Dritten Reiches? Menschheit?Warum war er plötzlich so an der Menschheit interessiert?War es, weil er wieder atmete, ihr Essen aß, ihre Schwächen fühlte?Hätte sich jemand die Mühe gemacht, ihn zu fragen, würde er niemals gedacht haben, dass das Christentum das erste Jahrhundert nach dem Tod ihres Anführers, dieses Zimmermanns aus Judäa, überlebt haben könnte. Oder war es Samaria? Er hatte sich nie genug bemüht, dies zu überprüfen. Er kannte diese römischen Provinzen zwar, aber die meiste Zeit war er in Gallien, das genaue Gegenteil am Ende des Römischen Reiches.Diese Menschen jedoch glaubten an diesen Schreiner. Sagten, er sei der Sohn Gottes. Doch Herkules war auch der Sohn eines Gottes, ebenso wie die ägyptischen Pharaonen. Dennoch hatte niemand ein großes Aufhebens um sie gemacht. Zumindest nicht auf dieselbe Weise. Nicht auf diese erschreckende Weise.Er hockte in einer versteckten Nische, als er über diese Dinge nachdachte, einen jungen Mann beobachtend, der offensichtlich den Weg bewachte.Christen. Bah! Sie behaupteten, gut zu sein, voller Tugend. Aber er hatte gesehen, dass die gleichen Christen sich auf eine Weise niedermetzelten, als ob sich ein Vampir unter ihnen befände.Ihr Kreuz verbrannte sein Fleisch, ihr heiliges Wasser war wie Säure für ihn. Aber ebenso verhielt es sich mit der Hieroglyphe des Ra oder der Statue der Isis oder dem Ankh, es war das Gleiche.Nur nicht jetzt.Er konnte und er würde dorthin gehen und seine Schwester herausholen. Mit oder ohne ihre Zustimmung würde er sie nach Hause bringen, und selbst wenn er sie in ihr Zimmer einsperren müsste, würde er sicherstellen, dass diese Irren Lydia nicht weiter beeinflussten.„Wenn sie es versuchen, werde ich ihnen nachstellen und jeden Christen in Rom und überall im Reich töten, bis das Christentum nichts außer einer schwachen Erinnerung an einen obskuren Kult sein wird“, dachte er.Plötzlich sah er Lydia. Sie spazierte mit einigen Freunden an seinem Versteck vorbei. Der Wein, den er früher an diesem Abend genossen hatte, besorgte den Rest. Ohne auf seine eigene Sicherheit zu achten, sprang er aus seinem Unterschlupf heraus und schritt auf sie zu.„Lydia! Was tust du hier? Ich werde dir nicht erlauben, zu…“Lydia schrie vor Überraschung und Bestürzung.Sie hatte ihren Bruder noch nie so wütend gesehen. Seine Stimme war nur noch ein raues Geschrei des Zorns und seine Augen wurden hart und brannten in kaltem Feuer. Ihr Blau war stechend. Er ergriff sie an ihren Armen, seine Stärke ungeduldig dazu nutzend, sie mit sich nach Hause zu nehmen.Plötzlich wurde alles dunkel um Lucius Seianus.   *** Natalie sah den Zwischenfall von Weitem. Sie erkannte Lacroix‘ Stimme sofort. Dieses Gebrüll war etwas, das keiner einfach vergaß. Als sie sich der kleinen Gruppe näherte, bemerkte sie, dass sich die Frauen zusammendrängten, um sich zu schützen.Sie blickte hinunter auf Lucien Lacroix, nun, Lucius Seianus, korrigierte sie sich selbst. Natalie hatte ihn schon vorher wütend gesehen – es war kein schöner Anblick, aber auch im Blitz des Zorns bewahrte Lacroix immer einen kalten und harten Kern. Er hätte seine kühle Maske niemals auf derartige Weise verloren. Doch da lag er zu ihren Füßen, eine scheußliche Wunde auf seinem Kopf, wo ein Knüppel seinen Schädel getroffen hatte.sDie junge blonde Frau weinte leise.Natalie schaute von der jungen Frau zu Lucius. War er ihr Ehemann? Oder ihr Liebhaber? Sie fröstelte ein wenig bei dem bloßen Gedanken. Es war, als würde man ein Krokodil in eine Badewanne mitnehmen.Sie näherte sich der kleinen Gruppe.„Du kannst ruhig gehen. Ich bin eine Heilerin. Ich werde dafür sorgen, dass er nach Hause zurückkommt.“Die junge Blondine blickte zu ihr hoch – sie war zierlich.„Bitte, tue ihm nicht weh. Lucius meint es gut. Er ist mein Bruder.“Natalie sah sie überrascht an. Lacroix hatte eine Schwester?„Gut, mach dir keine Sorgen. Ich kenne ihn“, murmelte sie und schickte sie weg.Sabina beobachtete sie voller Neugier.„Das ist der Mann vom Tor. Der Soldat, nicht wahr?“„Ja“, bestätigte Natalie mit zusammengepressten Lippen.„Ist er dein Freund?“Sabina suchte nach einer Bestätigung, dass Natalie sich nicht in Gefahr befand.„Nun, ich würde ihn nicht gerade einen Freund nennen, aber er ist ein alter Bekannter“.Natalie gluckste etwas wegen dieser Formulierung.„Soll ich dir helfen?“„Nein, bitte geh. Es ist sicherer für dich, wenn du verborgen bleibst. Ich werde ihn heimbringen.“Natalie war irgendwie dankbar dafür, dass es etwas gab, was sie tun konnte, um Sabina und ihrer Gemeinschaft ihre Freundlichkeit zu vergelten.Sabina nickte und verschwand in die Dunkelheit.   *** Dort war eine kleine Zisterne in ihrer Nähe und Natalie nahm ihre Rica [1] ab, um sie zu befeuchten und das nasse Tuch auf seinen verletzten Kopf zu legen.  Sie hörte ihn stöhnen und unheilvoll fluchen, als er wieder zu Bewusstsein kam. „Oh, oh… wir sind heute in einer Stimmung“, konnte Natalie sich nicht enthalten, ihn etwas zu necken.Er drehte sich auf seinen Rücken und betrachtete sie.„Ihr Latein hat sich wahrhaft verbessert, wenn Sie verstanden haben, was ich gerade sagte“, antwortete er auf Englisch. Natalie war irgendwie dankbar, ihre Muttersprache wieder zu hören.„Mein Latein ist besser geworden, aber Ihre Fähigkeiten als Raubtier haben offensichtlich gelitten “, konterte sie trocken.Er setzte sich auf und stöhnte wieder.„Ich nehme an, dass ich heute Nacht zu viel Wein hatte. Ich konnte nicht klar denken.“Sie grinste. Der Duft des Weines streifte ihre Nase.„Also geben Sie selbst einigen sterblichen Sitten nach? Ich bin schockiert.“Er grinste sie an und rieb seinen Kopf.  Natalie wurde Zeugin einer seltenen Darstellung von Humor.„Meine liebe Frau Doktor, nichts kann Sie schockieren, seit Sie die Bekanntschaft meines Sohnes gemacht haben, da bin ich ziemlich sicher.“Plötzlich kam ihm zu Bewusstsein, was geschehen war. Lucius sprang auf und fühlte sich sofort schlecht.„Lydia! Wo ist meine Schwester?“„Fort. Sie ging mit ihren Freunden.“Natalie hatte keine Ahnung, wohin Lydia gegangen war, und sie hatte nicht die Absicht, Lacroix etwas zu sagen, auch wenn sie es gewusst hätte.„Warum haben Sie sie gehen lassen?“Er versuchte aufzustehen, sich dabei auf die kleine Zisterne stützend.„Sie ist eine erwachsene Frau. Sie kann gehen, wohin sie will.“Er blickte Natalie mit unverkennbarem Zorn an.„Sie ist eine FRAU, und Frauen wissen nie, was sie wollen!“„Lacroix, hören Sie auf, wie ein Höhlenmensch zu sprechen. Sie leben im 20. Jahrhundert.“„Dies ist Rom, und hier muss man leben, wie die Römer es tun!“ entgegnete er.„Nun, Lacroix, es ist besser, wenn Sie jetzt nach Hause gehen. Sie werden sie heute nicht finden. In Ihrem Zustand sowieso nicht.“Er stöhnte erneut, erinnerte sich an seinen schmerzenden Schädel.Sie sah, dass er immer noch ein wenig unsicher auf den Beinen war.„Soll ich Ihnen meine Hand geben…?“Sein Kopf drehte sich herum, wie das Haupt einer Kobra, und er lächelte sie spöttisch an.„Ich traue Ihrer Großzügigkeit nicht, Dr. Lambert.“Das war wahrhaftig der Lacroix, den Natalie zu ‚lieben‘ gelernt hatte…Dr. Lambert konnte nichts tun außer seufzen, als sie sein Straucheln nach einer raschen Bewegung bemerkte.„Ich würde eine Gehirnerschütterung diagnostizieren. Sie halten besser den Mund und lassen mich Ihnen helfen.“Diesmal blieb er still sitzen, während sie ihren Arm um seine Taille legte, um ihn zu stützen.----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------[1] Rica = ein Kopftuch   -------------------- 4. Kapitel: Namenloses Kapitel -------------------- Lucius bat sie, für einen Moment anzuhalten. „Nein, nicht diesen Weg… gehen wir durch den Hinterhof. Ich wünsche nicht, meine Mutter weiter aufzuregen.“ Natalie starrte ihn völlig überrascht an. „Ihre MUTTER?“ „Ja“, antwortete er trocken. „Sie haben sich wahrscheinlich vorgestellt, dass ich von einer Klapperschlange geboren wurde, aber ich versichere Ihnen, ich bin… ich wurde… nun, meine Mutter existiert.“ Sie schlichen sich lautlos durch den Hinterhof und in sein Zimmer hinein. „Hmmm, bilde ich es mir nur ein oder sind Sie in das Haus hineingeschlichen auf normale Art und Weise?“ Er kicherte leise in der Dunkelheit, bis er einen Feuerstein zum Anzünden fand und damit die Öllampe entzündete. Während er damit beschäftigt war, etwas Licht zu bekommen, hörte sie ihn leise über den Mangel an elektrischer Beleuchtung fluchen. Schließlich gelang es ihm, das Zimmer zu erleuchten, er setzte sich auf sein Bett und grinste sie in einer Weise an, die Natalie ein ungutes Gefühl bereitete. „Meine liebe Doktor Lambert, welchen Launen Fortunas schulde ich unendlich Dank dafür, dass Sie tiefes Mitleid mit einem alten und verletzten Ex-Vampir verspüren?“ Seine Stimme troff vor Sarkasmus. Natalie schenkte ihm einen sehr frostigen Blick und zuckte mit den Schultern. „Normalerweise fertige ich Leichen ab, aber ich werde meine Höflichkeit sogar auf jemanden erweitern wie… Sie“, gab sie bissig zurück. Nach diesem Seitenhieb erhielt sie etwas Leinen und Wasser, um seine Kopfwunde zu reinigen. „Ich zweifle kaum, dass ich es mir zweimal überlegt hätte, wenn Sie noch ein Vampir wären. Ich hätte sie zum Braten in die Morgensonne gelegt!“ fuhr sie fort. Er beugte sich zu ihr und schnurrte ihr ins Ohr: „Hätten Sie Marshmallows auf meiner schwelenden Gestalt geröstet?“ Sofort nahm Natalie wieder etwas Abstand, aber sie konnte sich nicht helfen, sondern musste über diese groteske Vorstellung lachen. Das war sicherlich schlimm, aber es war auch typisch Lacroix. Er schien dazu fähig zu sein, seinen ‚Humor‘ auch auf seine eigene Person auszudehnen. „Dies ist bestimmt eine böse Prellung. Sie sollen sich für ein paar Tage hinlegen“, fuhr sie fort. „Mir gefällt es zu denken, dass Sie scherzen, aber Ihr Gesicht sagt mir etwas anderes.“ „Nun, Lacroix, in diesem Traum sind Sie ein Mensch“, erklärte Natalie tonlos. Er berührte wieder seinen Kopf und seufzte. „Es gibt Bedingungen als Zubehör für das Aushandeln der Sterblichkeit, die ich wahrlich nicht schätze“, kommentierte er, während sie seine Verletzung reinigte. Es war noch immer Nacht und Natalie fand die Vorstellung, ohne männlichen Schutz allein zu Fuß zu gehen, nicht amüsant. Lucius las ihre Gedanken richtig. „Ich nehme an, dass Sie diese Nacht in meinem Schlafzimmer verbringen.“ Er trug das boshafteste Grinsen auf seinem Gesicht. Der Gedanke verbesserte definitiv seine Stimmung. Diese Gerichtsmedizinerin aufzuziehen war etwas, dass er sogar für seinen eigenen Geschmack viel zu sehr genoss. Sie hatte das Rückgrat zurückzuschlagen, sie war intelligent und würde es niemandem erlauben, sie einzuschüchtern, nicht einmal ihm. Und sie enttäuschte ihn nicht. „Ich würde mich lediglich wundern, wie Ihre Stimme klänge, wenn Sie gezwungen wären, zukünftig zwei Oktaven höher zu sprechen…“ Sie erwiderte sein tückisches Grinsen mit gleicher Intensität, während sie seine Kopfwunde reinigte. Sie benutzte das Tuch gröber, um die Behandlung seiner Beule abzuschließen. Lucius lachte laut und ohne Bosheit. „Meine liebe Frau Doktor, ich wollte gewiss nichts Unanständiges unterstellen. Es müssen Ihre eigenen Vorstellungen sein. Doch vielleicht möchten Sie meine Einladung annehmen. Wir könnten… uns unterhalten.” Unterhalten mit Lucien Lacroix? Er war sicherlich ein sehr geistvoller Gesprächspartner.  In der Tat hatte sie es genossen, im ‚Azure‘ mit ihm zu sprechen, bis dieser Abend ungemütlich wurde. Er war gebildet, hatte gute Manieren und ihn umgab ein Hauch von Selbstvertrauen, das nur wenige Menschen besaßen. Sie drückte ihn hinunter, ignorierte das Funkeln in seinen Augen, als sie es tat, und sagte ihm, er solle genauso still liegen. „Wir können reden, aber Sie werden im Bett bleiben.“ „Ich werde tun, was der Arzt befiehlt.“ Das unangenehme Lächeln hatte sein Gesicht nie verlassen… dieses seltsame Raubtier-Lächeln… Hatte sie einen Fehler gemacht, seine Einladung anzunehmen? Natalie Lambert war nicht sicher. Sie nahm einen Stuhl und setzte sich neben ihn. „Worüber möchten Sie sprechen, Dr. Lambert? Irgendein besonderes Thema, das Ihnen im Kopf  herumgeht?“ forderte Lacroix sie auf. „Wie wäre es mit Nicholas?“ „Ahh, Nicholas! Ja, Nicholas ist immer der Mittelpunkt von jedermanns Aufmerksamkeit, nicht wahr?“ „Nun, ich würde gern wissen, was passiert ist. Ich meine…“ „Sie meinen, dass das Letzte, woran Sie sich erinnern, ist, dass er sie umarmte bei dem, was man einen sogenannten ‚Vampir-Kuss‘ nennt?“ „Genau.“ Sie versuchte eine gleichgültige Haltung zu beweisen, zumindest nach außen. Es war noch nie klug, Schwäche vor diesem alten Vampir zu zeigen. Lucius starrte an die Zimmerdecke. „Nun, Dr. Lambert… Wie Sie bereits wissen sollten, ist Nicholas ein Mann, der sich selbst aushungert, bis er außer Kontrolle gerät. Jedermanns Kontrolle. Er leerte Sie bis zu einem sehr gefährlichen Niveau…“ „Bin ich tot?“, hörte sie sich ruhig fragen. „Nein, Sie sind durchaus lebendig, das versichere ich Ihnen.“ „Wo ist Nicholas?“ Lacroix lachte. „Wie viele Male habe ich diese Frage beantwortet? Nicholas ist fort. Zweifellos ertränkt er sich in Selbstmitleid. Ich habe ihn dies so viele Male tun sehen, dass ich es leid bin.“ „Wirklich?“ Natalie hatte das Gefühl, dass sie eine völlig andere Geschichte hörte, als sie es von Nick gewohnt war. „Dr. Lambert, ich warne Sie. Nicholas ist eine sehr voreingenommene Persönlichkeit. Er wurde im Mittelalter hinübergebracht. Das waren barbarische Zeiten. Für ihn kann eine Frau nur entweder Heilige oder Hure sein, zwischen diesen beiden Zuständen existiert für ihn nichts. Er verehrte Sie wie eine Heilige, eine Heilerin, die seinen verlorenen Zustand wiederherstellen könnte. Aber als sich herausstellte, dass Sie nichts anderes als bloß eine Frau mit Gefühlen sind, sich selbst für seine dunklen Bedürfnisse opfernd, wurden Sie sofort die andere Art von Frau und sein Unterbewusstsein ließ ihn seine Selbstkontrolle verlieren.“ Natalie hatte bei seinen Worten die Stirn gerunzelt. „Nicholas liebt mich. Er ist nur schüchtern.“ Lacroix lachte. „Meine liebe Frau Doktor, gewiss hat er Sie geliebt! Sie haben das Mittelalter nicht erlebt. Ritter wären für einen Schal ihrer geliebten  >Hohen Frau -------------------- 5. Kapitel: Namenloses Kapitel -------------------- Natalie realisierte, dass sie eingeschlafen war. Lacroix schlief still in seinem Bett und irgendwie musste sie sich während der Nacht zu ihm gesellt haben, als sie eine bequemere Position auf dem einzigen Stuhl suchte. Sie erhob sich rasch und versuchte, ihr zerknittertes Kleid zu glätten. Dann setzte sie sich wieder, ihn betrachtend. Sie hatten während der Nacht über eine Menge gesprochen. Sie hatte einen Mann kennen gelernt, der sehr viel Humor besaß, auch wenn sein Humor überaus schwarz war. Ein Mann mit einem starken Gefühl für seine Familie. Ihr wurde bewusst, dass sie hoffte, dieser Mann sei tatsächlich der Mann hinter Lucien Lacroix, aber ein Teil von ihr erinnerte sie unnachgiebig daran, dass dies nur eine Ausgeburt ihrer Phantasie war. Vielleicht schuf ihr Unterbewusstsein diesen ‚Lucius Seianus‘ als eine schützende, männliche Präsenz, nach der sie sich manchmal sehnte, wenn sie einsam war, ihre Kissen während einer schlaflosen Nacht wiegend. Sie schüttelte den Kopf aus Ekel vor sich selbst. Natalie sah den Mann auf dem Bett sich regen und wandte sich ihm zu. „Guten Morgen, Lucius.“  „Guten Morgen? Wirklich, meine Liebe, Sie behaupten, dass ich einen dunklen Sinn für Humor habe… ich könnte Sie einer ähnlichen Natur beschuldigen.“  Sie kicherte.  „Ich habe die schlimmsten Kopfschmerzen, Dr. Lambert.“ „Das war zu erwarten. Vielleicht sollten Sie versuchen, etwas mehr zu schlafen.“  „Zuerst muss ich nach dem Wohl meiner Gäste schauen.“  Er versuchte aufzustehen, aber sie drückte ihn auf seine Kissen zurück. „Ich sagte Ihnen: Nicht BEWEGEN!“  Sie schaute ihn mit ihrem besten ‚der-Arzt-hat-es-angeordnet‘-Blick an. Trotz seiner Schmerzen grinste er. „Meine liebe Natalie, würden Sie so freundlich sein, Severinus zu sagen, dass ich eine Schüssel verwässerten roten Chianti und etwas Brot, ein halbes kaltes Huhn und einige Pfirsiche zum Frühstück wünsche? Und sagen Sie ihm auch, dass das Bad vorbereitet werden soll. Ich wünsche, eine unauffällige Toga anzulegen und schicken soll er…“ „Warten Sie, warten Sie!“ Natalie hob abwehrend ihre Hände.  „Ja, meine Liebe. Ich dachte mir, dass diese Aufgabe für jemanden, der lediglich lateinische Grundkenntnisse besitzt, ein bisschen schwierig sein würde. Also werden Sie verstehen, dass ich diese Aufträge, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, geben muss.“ Er stand auf und ging langsam zur Tür. Kurz bevor er sie öffnete, sah sie, dass er seinen Rücken aufrichtete und das Kinn hob. Lucius Seianus war ebenso anmaßend wie Lucien Lacroix, daran bestand kein Zweifel. Beide Männer würden niemals zulassen, dass andere ihre Schwächen sahen. Er öffnete die Tür und rief nach dem Diener. Offenbar wusste er, dass dieser Severinus in der Nähe war. Nachdem er seine Order erteilt hatte, drehte er sich zu Natalie um. „Dr. Lambert, Severinus wird dafür sorgen, dass ein Zimmer für Sie vorbereitet wird. Ich glaube, dass Sie müde sind und sich ausruhen möchten. Das Bad und ein frisches Kleid erwarten Sie, nachdem Sie Zeit zum Ausruhen und zum Essen hatten.“ Er sah tatsächlich wie der Herr dieses Hauses aus, stellte sie überraschend fest. * Es war bereits später Nachmittag, als Natalie von einem jungen Mädchen geweckt wurde. Sie half ihr beim Baden und Ankleiden und kümmerte sich um ihr Haar. Natalie hatte nie die Lebensweise einer vornehmen römischen Frau erlebt und musste gestehen, dass es ihr gefiel. Sie fühlte sich maßlos verwöhnt. „Ah, Natalie, der Anblick Ihrer Schönheit würde eine Göttin in den Schatten stellen.“ Er signalisierte dem Mädchen, sie allein zu lassen, wobei er sich die Freiheit herausnahm, sich Natalie zu nähern.  „Hat Nicholas Ihnen jemals gesagt, dass Sie bezaubernd sind, meine liebe Natalie?“  Natalie fühlte seinen Atem, als er ihr ins Ohr flüsterte. Sie wappnete sich gegen seine Verführungskraft, aber ihr Herz begann wild zu schlagen.  „Haben Sie keine Angst, meine Liebe, es ist nicht die Verführung eines Vampirs, die Sie fühlen, sondern einfach die Bewunderung eines Mannes. Sie müssen keine Angst haben.“  Natalie sagte sich, dass es Zeit zum Verschwinden sei, denn es war angebracht, sich Sorgen zu machen, gleichgültig, was er von sich gab, aber sie saß einfach nur da, als ob sie auf dem Hocker festgeleimt wäre. Es fühlte sich so gut an, als Frau bewundert zu werden und nicht nur als “Knöspchen”. Er legte eine Locke ihres dunklen Haar an ihren Platz und steckte sie behutsam fest.  „Nicholas ist ein Narr“, murmelte er vor sich hin.  Seine Hände streichelten ihren Hals, sehr ähnlich dem Vampir, der er im wirklichen Leben war, aber er fühlte keinen Hunger. Natalie bemerkte sein plötzliches Schweigen. Sie konnte nur ihr eigenes Herz hören und ihren Atem, der schneller zu gehen begann. Sie ließ ihren Kopf an seinen Körper sinken und versuchte, in sein Gesicht zu sehen. Sie sah ein Antlitz, das viele unterschiedliche Emotionen enthielt. Er war in Gedanken versunken und sah so verletzlich aus. „Was geht in Ihrem Kopf vor, Lucius?“ flüsterte sie, ihn nicht aus seinem Tagtraum aufwecken wollend. Und tatsächlich behielt er seinen abwesenden Blick, als er antwortete. „Ihr Hals ist warm, voller Leben. Und ich kann Ihren Puls spüren, aber ich habe kein Verlangen nach Ihrem Blut. Ich habe vergessen, wie es ist, nicht andauernd Hunger zu haben, sondern sich unschuldig zu erfreuen wie ein Kind, ohne daran zu denken, was als Nächstes kommt.“ Instinktiv griff sie nach seiner Hand und drückte sie für eine Sekunde. Diese Geste brachte ihn wieder zur Besinnung  und er erinnerte sich, warum er zu ihr gekommen war. „Natalie, wollen Sie mir helfen, meine Schwester zu finden?“  Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie verstand Lucius, aber es waren ihre Freunde, die sie verraten würde. Sie konnte es nicht tun. Außerdem hatte sie keine Ahnung, wo Lydia zu finden war. Er spürte ihren inneren Aufruhr. „Ihre Freunde sind in großer Gefahr, also auch meine Schwester.“  „Gefahr? Was reden Sie da?“ Natalie hatte das Gefühl, dass dies etwas war, woran sie sich erinnern sollte.  „Der Name des jetzigen Kaisers ist Nero. Wussten Sie das? Sowohl Ihre Freunde als auch meine Schwester werden im Circus enden oder in den Gärten des Nero sterben, wenn wir nicht versuchen, ihren Glauben zu ändern.“ Plötzlich erinnerte sich Natalie. Die Christen würden Märtyrer werden. Die Jagd nach den römischen Christen! Der Tod der Heiligen Petrus und Paulus. Sie sprang auf ihre Füße.  Er schaute sie mit seltsamer Ruhe an. „Also erkennen Sie die Gefahr?“ „Sie meinen, dass es das ist, was geschehen wird?“  „Ich weiß es nicht, aber ich werde nicht dabei stehen und zusehen, wie meine kleine Schwester an einem brennenden Kreuz in den Gärten des Kaisers stirbt. Nicht noch einmal.“ Natalie stand nur da und wusste nicht, was sie sagen sollte. Die Vorstellung, dass ein menschliches Wesen einen solch schrecklichen Tod erlitt, ging über ihre Phantasie hinaus. „Sie sahen sie sterben?“  „Ja, ich sah ihren Tod. Ich stand da und beobachtete, wie sie verbrannte. Niemand erkannte, dass dieses namenlose christliche Mädchen meine Schwester war, und ich war ein zu großer Feigling, um meine eigene Zukunft meiner Schwester zuliebe zu zerstören. Mein Leben dürfte selbst am Kreuz geendet haben.“ Sie sah, dass seine Augen vor Feuchtigkeit glitzerten. „Sie haben sich niemals selbst vergeben“, stellte Natalie fest.  „Wie könnte ich? Vielleicht ist dies einer der Gründe, dass ich jetzt so übervorsichtig bin. Ich weiß, wie es ist, Reue zu fühlen, die das Leben von Innen heraus auffrisst. Vielleicht ist dies nur ein Traum und wir sind Träumer. Aber, großer Jupiter, wenn das ein Traum ist, will ich träumen, dass meine Schwester überlebt.“ Natalie schauderte etwas bei seinem Ausbruch. „Ich werde tun, was ich kann, um zu helfen“, versprach sie.      -------------------- 6. Kapitel: Namenloses Kapitel -------------------- Als Natalie Lucius aus dem Raum stolzieren sah, um seine Gefühle zu beruhigen, seufzte sie innerlich.Dies erklärte wirklich eine Menge. Zeuge solch eines Todes von einem geliebten Menschen zu sein und Reuegefühle von fast 2000 Jahren waren eine neue Definition der sprichwörtlichen ‚Hölle auf Erden‘. Kein Wunder, dass er nicht loslassen konnte. Sie folgte ihm und wurde von einer älteren Dame mit elegantem, aber nicht übertriebenem Aussehen begrüßt. Sie verstand nicht viel, aber die Frau war ohne Zweifel Lucius‘ Mutter. Sie besaßen die gleiche Augenfarbe, Haut und Haare. Sehr ungewöhnlich für eine Römerin, auffallend blaue Augen und blassgoldene Haut zu haben, dachte sie. Sie nahmen zusammen das Abendessen ein.   Ihr Name war Claudia, aber Lucius zeigte ein sehr bitteres Lächeln, als er sie vorstellte. Als sie am Tisch saßen, fing er sofort zu essen an. Seine Mutter nickte Natalie zu und sagte irgendetwas. Bevor Natalie dazu kam, es zu übersetzen, antwortete Lucius für sie. „Meine Mutter fragte, ob Sie aus Britannien kommen, aber ich verneinte es.“ „Warum?“ fragte Natalie sehr undamenhaft, weil sie das Essen viel zu sehr genoss, um ein längeres Gespräch zu führen. „Nun, meine Mutter würde versuchen, mit Ihnen in ihrer eigenen Sprache zu sprechen und Sie würden kein Keltisch verstehen.“ „Ihre Mutter ist keine Römerin?“ Natalie war überrascht.  „Tja, was haben Sie erwartet? Sowohl meine Mutter als auch ich sind blond und blauäugig. Mein Vater hatte eine Frau unterhalb seines Standes geheiratet, weil keine passende Frau aus guter Familie einen Seianus geheiratet hätte, nach dem, was mein Großvater getan hat. Deshalb heiratete er meine Mutter.“ Er erwähnte nicht, dass sein Vater, als er noch lebte, ihnen beiden das Leben zur puren Hölle gemacht hatte. Lucius konnte die Gelegenheiten nicht zählen, bei denen sein Vater die Pferdepeitsche gegen ihn oder seine Mutter ohne Grund gebrauchte, außer dem, dass sie noch am Leben waren. Er lächelte geistesabwesend, als er sich an den Tod seines Vaters erinnerte…  „Nun, der richtige Name meiner Mutter ist Bronagh, was ‚Leid‘ bedeutet. Sie ist die Tochter einer der sogenannten Könige von Britannien und wurde als Geisel nach Rom gebracht.“ Die Frau lächelte ruhig und mit großer Würde, als sie hörte, wie ihr Sohn ihren richtigen Namen in ihrer alten keltischen Sprache bekannt gab. Sie griff nach Natalies Arm und versuchte ihr mit Gesten zu zeigen, dass sie nicht gegen Natalies scheinbar barbarischen Ursprung eingenommen war. Natalie hatte bereits festgestellt, dass die meisten Römer jeden Ausländer als minderwertig betrachteten, aber Lucius‘ Mutter war anders. Sie kannte das Gefühl viel zu gut. Lucius grinste über die Geste seiner Mutter.  „Natalie, Sie überraschen mich! Es ist nicht einfach für jemanden, von meiner Mutter gemocht zu werden. Ich erzählte ihr, dass sie eine Heilerin sind. Ihr Volk hat großen Respekt vor den Druiden und Heilern, und ich nehme an, dass das Teil ihrer offensichtlichen Zuneigung ist.“ Seine Mutter verengte ihre Augen und gab etwas in ihrer eigenen keltischen Zunge zurück. Natalie bezweifelte, dass Lucius fähig war, sie zu verstehen… Plötzlich sah Natalie Bronagh einen reifen Pfirsich nehmen und ihn direkt in das Gesicht ihres Sohnes werfen, mit dem breitesten und bösesten Grinsen, das Natalie jemals für möglich gehalten hätte. „Hier, junger Welpe, dass sollte dich zur Ruhe bringen!“ Bronagh grinste ihren Sohn an. Natalie verstand und lachte so heftig, dass Tränen über ihre Wangen liefen. Lucius saß einfach nur da, versuchte seine Würde zu bewahren und sah völlig verblüfft aus. Plötzlich stimmte er in ihr Lachen ein, als er die Reste des Pfirsichs aus seinem Gesicht wischte. „Da, sehen Sie. Meine Mutter hat die übelste Gesinnung von allen in Rom.“ Beide Frauen, selbst wenn sie unfähig waren, sich zu unterhalten, hatten einen anderen Weg der Kommunikation gefunden und lachten hysterisch. Zwischen den Lachanfällen sagte Bronagh etwas zu ihrem Sohn und er übersetzte gehorsam. „Meine Mutter fragt Sie, ob Sie Gast in unserem Hause sein wollen. Sie sagt, dass sie seit 20 Jahren nicht so viel gelacht hat…“  Natalie lächelte breit zu der Frau hinüber. Sie mochte Lucius‘ Mutter definitiv.  *** Am Abend gingen Natalie und Lucius aus. Sie besuchten wieder den armenischen Händler, von dem Lucius ihr erzählt hatte. Sie befragten ihn ausgiebig, aber er wusste nicht viel, was ihnen helfen konnte. Natalie schnupperte in die Luft. Etwas war seltsam. Plötzlich schien Lucius alarmiert. Er öffnete das Fenster und sah hinaus. „Merde. Es ist zu früh!“ Natalie und der Händler gesellten sich zu ihm. Sie sahen, dass einige Gebäude zu brennen begonnen hatten, zu viele Gebäude, als dass es sich nur um einen Unglücksfall handeln konnte. „Oh, mein Gott. Rom brennt… und wir sind direkt mittendrin”, schrie Natalie und schlug ihre Hände vor‘s Gesicht, um der schrecklichen Aussicht zu entfliehen.  Lucius packte sie grob und zog sie hinaus, den wimmernden Händler hinter sich lassend, der seine Besitztümer zu retten versuchte.  „Lassen Sie uns hier hinausgehen, schnell. Ich denke, die größte Gefahr für uns ist die, zu Tode getrampelt zu werden.“    Das Chaos in den Straßen war unbeschreiblich. Schreiende Menschen und erschrockene Kinder, Reich und Arm, versuchten, ihr Leben zu retten. Lucius packte Natalie und hielt sie nahe bei sich, um sie nicht in der Masse zu verlieren. Die Flammen hatten sie umschlossen. Natalie hörte die Wände unter der Hitze der Flammen platzen. Sie duckte sich unter einigen brennenden Balken und sah, wie Menschen unter den Trümmern begraben wurden. Lucius hatte eine Idee. Grob schob er einige Leute fort und versuchte, einen der Zugänge zur Kanalisation zu öffnen. Er schnappte sich einen Mann in der Nähe und schrie ihn an. „Du da, bring die Leute hinunter in die Kanalisation. Sie führt zum Tiber. Beweg dich!“ Natalie und Lucius halfen einer Vielzahl von Leuten hinunter in die Kanalisation, bis sie gezwungen waren, sich ihnen anzuschließen, Bruchteile von Sekunden davon entfernt, unter einer einstürzenden Mauer begraben zu werden. Endlich erreichten sie eine der vielen Brücken, die über den Tiber führten, und sahen ihren Weg zur Sicherheit von einer Gruppe der Prätorianergarde blockiert. Lucius nahm einen tiefen Atemzug und näherte sich dem Anführer dieser Kompanie. „Gaius, lass uns durch!”  Sein Freund schaute ihn überrascht an. Was hatte Lucius in diesem elenden Teil der Stadt zu suchen? „Wir haben Befehle vom Kaiser selbst. Er will nicht, dass die Plebejer in den Palast kommen.“ Lucius‘ Augen blitzen vor Zorn auf und er griff nach seinem Schwert, dankbar, dass er in seine römische Rüstung gekleidet war und nicht in einer einfachen Toga.  „Du und deine Männer werdet euch sofort verziehen“, befahl er energisch. Doch Gaius war nicht in Stimmung nachzugeben. „Ich werde den Kaiser nicht missachten!“  „Aber ich habe keine Befehle und ich werde euch missachten!“ Lucius führte einen Streich mit seinem Schwert aus und Gaius konnte ihn kaum parieren.  „Los, Gaius! Ich habe mehr Erfahrung im Kampf als du als Palastwächter jemals haben wirst!“ Aber Gaius fühlte sich offenbar zu sehr vor seinen Männern gedemütigt und hörte nicht auf. Beide Männer kämpften heftig miteinander, bis Gaius plötzlich innehielt. Als Lucius‘ Freund rückwärts stolperte, sah Natalie, dass Lucius ihn erstochen hatte. Gaius‘ Männer beobachteten es wie betäubt. Sie waren über ihre Befehle beunruhigt, und als die Masse ihre Schwäche sah, brach der Andrang von Menschen einfach durch die Linie. Lucius kauerte am Boden, seinen Freund in den Armen. „Gaius, es tut mir leid. Ich wollte das nicht…“ Gaius schaute zu ihm auf und hustete heftig. Blut lief aus seinem Mund. Er versuchte zu sprechen, war dazu aber unfähig. Ein kurzer Krampf und Gaius erschlaffte. „Gaius!“  rief Lucius seinen Freund. Er hielt ihn noch eine weitere Sekunde und Natalie konnte seinen inneren Aufruhr spüren. Plötzlich stellte sich Lucius auf seine Füße. Er starrte zu Natalie.  „Wir müssen gehen, Dr. Lambert. Wir müssen meine Schwester finden.“ Alle Farbe war aus seinem Gesicht verschwunden.  „Lucius!!!” Die junge Frau flog in seine Arme hinein. Seine Schwester hatte ihn schon gefunden. Sie war in die Nähe des Schauplatzes gezogen worden und hatte ihren Bruder erkannt. Sie umarmten einander. „Wir können hier nicht bleiben, Lydia. Die Prätorianergarde wird mich hinrichten, ehe sie zur Vernunft kommen.“  „Komm mit uns, Lucius. Ich weiß, wo du und deine Freundin Obdach finden werden.“ Lucius erlaubte seiner kleinen Schwester, ihn und Natalie in Sicherheit zu bringen.      -------------------- 7. Kapitel: Namenloses Kapitel -------------------- Einige Zeit später waren sie in einem anderen Gebäude am entgegengesetzten Ende der Stadt. Es war das Haus eines alten römischen Generals, der mit den Anhängern des neuen Glaubens sympathisierte.Lydia versuchte, seinen Geist durch Gespräche über ihre Freunde, ihren Glauben, ihre Prinzipien zu beschäftigen, aber Lucius hörte kaum zu. Er folgte ihr wortlos. Wegen all der Flüchtlinge gab es nur wenig Platz im Haus, und so waren Natalie und Lucius gezwungen, wieder einen Raum miteinander zu teilen. Er hatte seit Gaius‘ Tod nicht ein Wort gesprochen und Natalie hatte bestimmt nicht die Absicht, ihn dazu zu zwingen. Sie half ihm schweigend aus seiner Rüstung und drückte ihn auf seine Kissen hinunter. „Schlafen Sie etwas, Lucius. Sie müssen erschöpft sein.“ Er starrte an die Decke. „Ich wünschte, ich wäre es. Ich habe das Gefühl, dass ich zu lange gelebt habe. Ich habe sowohl meine Freunde als auch meine Feinde sterben sehen. Meine Tochter Janette starb als Sterbliche, Nicholas ist fort und ich habe keine Ahnung, wohin er ging. Und jetzt stecke ich in diesem seltsamen Traum. Sind Sie ein Traum, Natalie? Sind Sie mein Traum oder bin ich Ihrer?“ Er betrachtete sie in der Dunkelheit. Sie saß neben ihm und nahm ihre Rica ab.  „Ich weiß es nicht, Lucius. Vielleicht träumen wir beide und alles wird verblassen, wenn wir aufwachen.“  Er griff nach ihrer Hand und sie erlaubte es. „Wünschen Sie, dass dieser Traum verblasst?“ Sie spürte seine warme Hand auf ihrer eigenen. „Nein, Lucius, ich wünsche es nicht…“  Er zog sie in seine Arme und küsste sie leidenschaftlich.  * Natalie erwachte. Für eine Sekunde fürchtete sie, dass der Traum vorbei war, aber dann spürte sie die warme und atmende Brust unter ihrer Wange. Sie lächelte. Sie hatten sich intensiver geliebt, als Natalie jemals für möglich gehalten hätte. Sie errötete leicht bei dieser Erinnerung. Er setzte sich im Bett auf und grinste sie an. „Guten Morgen, Natalie. Du sieht auf jeden Fall phantastisch aus…“  Sie lachte über diese Behauptung, ihr Haar war ein Durcheinander und wahrscheinlich hatte sie immer noch dunkle Flecken von Asche überall auf ihrem Gesicht und ihrem Körper.  „Yeah, yeah… dieser Traum muss auch deine Augen ruiniert haben!“, neckte Natalie ihn leise. „Ganz im Gegenteil, meine Liebe. Sie haben sich verbessert.“ Er küsste ihre Hand, sie anhimmelnd. Natalie errötete erneut. Er hatte definitiv die Gabe, einer Frau das Gefühl zu geben, sich geliebt zu fühlen und vollkommen weiblich zu sein.  Sie rückte näher, nach seiner Umarmung verlangend. Er zog sie wieder in seine Arme und ihre Lippen flossen zusammen in der Flamme der Leidenschaft. *** Lucius ließ seine Mutter wissen, dass es ihnen gut ging, aber er blieb mit Natalie und seiner Schwester dort. Er half den anderen, die Trümmer zu beseitigen, während Natalie ihr Wissen zur Behandlung der vielen Verletzten einsetzte. Er achtete darauf, sein Gesicht kaum zu zeigen; jemand könnte ihn erkannt haben, als er Gaius tötete. „Lucius, du scheinst weit fort zu sein…“ Natalie setzte sich neben ihn. „Wie sehr sich die Dinge verändern können. Ich erinnere mich an diese Zeit, aber ich war an Neros Hof, schwelgte selbst im Vergnügen und versuchte, meine Karriere sicherzustellen. Gaius hatte mich eingeführt und ich tat mein Bestes, um einen ‚guten‘ Eindruck zu machen. Als Rom brannte, war ich gerade auf dem Balkon neben Nero, beobachtete die Zerstörung und trank Wein.“ „Aber dieses Mal bist du auf der anderen Seite, hilfst den Christen.“  „Ja, das bin ich… und vielleicht… vielleicht werde ich dazu in der Lage sein, meine Schwester zu retten… diesmal.“ „Hast du nicht gewusst, dass sie sich unter den Christen befand?“ erkundigte Natalie sich sanft. „Nein, habe ich nicht. Ich war zu sehr mit meiner eigenen Karriere beschäftigt, um auf etwas anderes zu achten als auf das, was ich wollte, bis es zu spät war, bis ich sie am Kreuz verbrennen sah.“ Natalie zog ihn näher zu sich heran. „Es tut mir leid, Lucius.“ *** „Lucius Seianus, ich wollte Euch für all das danken, was Ihr getan habt. Ohne Eure Hilfe wären sehr viele unschuldige Menschen gestorben.” Lucius wandte sich um und sah zu dem alten Mann. „Ich habe nichts für sie getan. Ich tat es für Natalie und meine Schwester. Ich bin nicht interessiert an fremden Religionen“, sagte er spöttisch zu Petrus. „Du liebst sie immer noch und durch deine Liebe könntest du einer größeren Liebe begegnen.“  „Ich kümmere mich nicht um deinen ‚Gott‘.“ Lucius versuchte sich abzuwenden, aber der alte Mann hielt ihn, doch plötzlich ließ er ihn los, als ob die Berührung seine Finger verbrannt hätte.  „Lucius, große Dunkelheit umgibt Euch. Aber auch, wenn Ihr Gott leugnet, verlässt Gott Euch nicht.“  Lucius starrte ihn an. „Dein allmächtiger Gott hat nichts außer Schmerz und Leid über meine Familie und meine Kinder gebracht. Ich werde ihn bekämpfen, so lange ich existiere, auch wenn ich vielleicht nicht gewinne. Aber ich werde überleben und ich werde wieder kämpfen.“ Er hätte den ganzen Vampir herausgekehrt, wenn er noch im Besitz seiner vampirischen Natur gewesen wäre.   *** „Die Sprecher an den Ecken erklären, dass es nicht Nero war, der Rom verbrannte, sondern die Christen.“ Seine Stimme war trocken. „Was?“ Natalie wollte ihren Ohren nicht trauen. „Nun, Nero braucht einen Sündenbock. Mit dieser Behauptung kann er die Christen loswerden und die Sympathie der Römer zurückgewinnen.“ Er wusste, dass dies geschehen würde. Er selbst hatte die Idee gehabt und sie Nero ins Ohr geflüstert. Er fragte sich, wer diese Aufgabe in dieser Welt übernommen hatte. Vielleicht hatte es Nero selbst vollbracht. Dessen Geist war wahrhaftig verworren genug. Plötzlich betraten Prätorianergarden den kleinen Hof. „Da ist er, der Mörder unseres Hauptmanns. Er war bei diesen Christen!“ Lucius wurde bewusst, dass jemand ihn denunziert hatte. * „Ein römischer Legatus in Verschwörung mit den Christen. Welche Schande für die römische Öffentlichkeit und den Staat.“ Der Senator starrte angewidert auf Lucius. „Bist du ein Christ?“ Der Richter sah zu Lucius Seianus. „Nein, ich bin kein Christ und ich werde niemals einer sein, aber ich bin kein Verräter. Du bist ein Verräter an Rom und ihren Bürgern, weil du weißt, dass diese Menschen unschuldig sind, aber du verurteilst sie dazu, den Tod von Verrätern zu sterben“, brüllte Lucius vor Wut. * Er und jeder Christ in der Nähe war gefangen und eingesperrt worden. Er wusste, was passieren würde. Er wusste, dass es nichts gab, was er tun konnte. Zum ersten Mal fühlte er sich hilflos, vollkommen und total hilflos. Es war ein Gefühl, das ihn keineswegs erfreute.   *** „Ich bin ein römischer Bürger und es ist mein Recht ‚PROVOCATIO [1] zu verlangen!“ „Du bist ein Verräter an dem Kaiser und an Rom. Deine Rechte als römischer Bürger sind daher aberkannt.“ Lucius spürte den Drang, seine Faust in das Gesicht des Richters zu schlagen, aber seine Handgelenke waren gebunden. „Das ist nicht möglich. Niemand kann diese aberkennen!“ argumentierte Lucius heftig. „Nero hat verkündet, dass seine göttliche Person über dem Gesetz steht, und er hat bekannt gegeben, dass Verräter ihre Rechte als römische Bürger verlieren.“ Lucius stand aufrecht und stolz. Er weigerte sich, der Angst und der Verzweiflung nachzugeben. „DAS IST GEGEN DAS GESETZ!“  „Nero ist das Gesetz und wir sind seine Untertanen.“  „Nero verdirbt Rom und das römische Gesetz! Wir waren die Führer der Welt und nun erlauben wir abscheulichen Tyrannen, uns zu regieren. Ich schäme mich, ein Römer zu sein!“ Sie zerrten ihn hinaus… ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------[1]  Zur Zeit der Römischen Republik besaßen Römische Bürger zwei Grundrechte: Eines wurde ‚PROVOCATIO‘ und das andere wurde ‚SUFFRAGITUM‘ genannt. PROVOCATIO war das Recht, dass jemand gegen ein Urteil Widerspruch erheben und eine Art höhere gerichtliche Instanz anrufen konnte, die seinen Urteilsspruch überprüfte (eine öffentliche Zusammenkunft)… der heutigen Gesetzeslage sehr ähnlich. SUFFRAGITUM war das Wahlrecht.           -------------------- 8. Kapitel: Namenloses Kapitel -------------------- Anmerkung von Ragna-Katharina: Ein Wort vorab zur Warnung: Da diese Geschichte auch die Verfolgung und Hinrichtung von Christen beinhaltet, muss ich darauf hinweisen, dass dieses Kapitel Szenen enthält, die grausam sind und für empfindliche Gemüter nicht leicht zu verkraften sein dürften. Solchen Lesern rate ich daher dazu, die Lektüre dieses Kapitels nach der Szene, in der Lucius aus der Zelle fortgeschleppt wird, nicht weiter fortzusetzen. -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Die Zelle war überfüllt mit schluchzenden und zitternden Menschen. Auch Christen fühlten Angst, wie Lucius gefasst beobachtete. Aber er erwähnte es nicht gegenüber Natalie und Lydia, die beide in derselben Zelle neben ihm saßen. Er schaute auf die wirren Haare seiner kleinen Schwester, ihre schlanke Gestalt lehnte sich schutzsuchend an seine Schulter. „Lucius, ich fürchte mich.“ Lucius erkannte, dass er nicht wirklich versucht hatte, sie zu retten. Es war ihm nicht gelungen, sie von diesen Christen fernzuhalten. Stattdessen wurde er mitreingezogen. Dennoch fühlte er zum ersten Mal seit Jahrtausenden keine Schuld, er spürte beinahe Frieden. „Das muss du nicht, kleine Schwester. Was immer die Zukunft für dich bereit hält, du wirst damit zurechtkommen.“ „Wird es weh tun?“  Er seufzte. Nein, es würde nicht weh tun. Er wusste zu viel über die verschiedenen Stadien des sterblichen Todes, wusste, dass Adrenalin und andere Hormone, die das Blut der Sterblichen in dem Moment, in dem sie starben, so süß machten, durch den Blutkreislauf rauschten und Schmerz und Angst fortnehmen würden.   „Nein, Lydia. Du hast gesehen, wie deine anderen Brüder und Schwestern starben. Der Tod ist ein Engel, der Erleichterung und Frieden bringt.“  „Lucius, wird unser Traum morgen sterben?“ Natalie streichelte seine Brust in dem Bemühen, sich selbst zu beruhigen und sicher zu sein, dass er tatsächlich bei ihr war. Er schaute zu Natalie  „Ich weiß es nicht, meine Liebe.“ Er streichelte ihr Haar, küsste ihre Stirn. „Ich liebe dich und ob dies nun Realität ist oder nur ein Traum, es spielt keine Rolle mehr. Ich liebe dich in dieser Welt, ich werde dich in der anderen Welt lieben. Ob im Tod oder im Leben, in dem Danach oder im 20. Jahrhundert, wir gehören zueinander.“ Sie hielt ihn fest und schluchzte in seine Toga. Er zog beide Frauen enger in seine Umarmung. Seine Schwester und seine Geliebte, die wichtigsten Frauen in seinem Leben. Nach einer Weile beruhigte sich Natalie und schaute zu ihm auf. „Ich will dich heiraten, Lucius. Ich will Petrus bitten, uns zu trauen.“  Er sah sie nachdenklich an. Es dauerte eine Weile, ehe er antwortete.  „So soll es sein, Natalie“, wisperte Lucius in ihr Ohr und berührte ihr Ohrläppchen sanft mit seinen Lippen.  Er stand auf und ging zu Petrus.  „Vermähle uns, Petrus. Meine Frau und ich wollen in dieser Welt und in der nächsten zusammen sein.“ Er erwähnte nicht, dass er nicht sicher war, was die nächste Welt bedeuten würde – die Zukunft oder die Reiche der Unterwelt oder das seltsame Paradies, von dem die Christen predigten.  „Das ist eine heilige Angelegenheit, Lucius. Möge der Eine, der das Paar in Canaan gesegnet hat, auch euren Bund segnen…“ Er hob die Hände, um das junge Paar zu segnen.  „LUCIE! VIS ACCIPERE NATALIAM HIC PRESENTEM IN TUAM LIGITIMUM MARITUM, IUS ROMANA SANCTE MATRIS ECCLESIA..?“ [1] Lucius kniete nieder und neigte seinen Kopf. „Volo.“ [2] Der alte Mann nickte und wandte sich der knieenden Natalie zu. „NATALIA! VIS ACCIPERE LUCIUM HIC PRESENTEM IN TUAM LIGITIMAM UXOREM, IUS ROMANA SANCTE MATIS ECCLESIA..."  [3] „Volo.“ Petrus lächelte, als er fortfuhr: „EGO CONIUGO VOS IN MATRIMONIUM.” [4] Natalie schaute zu Lucius und er nahm sie in seine Arme und küsste sie. Sie hielt ihn fest, versuchte diesen Moment zu bewahren, sogar wenn es die letzte schöne Erinnerung in ihrem Leben sein würde. ***   Die Prätorianer betraten die Zelle und packten den schlafenden Lucius, rissen ihn fort von seiner Frau und seiner Schwester. "FAC EXPERGISCARIS!" [5] Einer der Wächter schlug ihm ins Gesicht. „Du wirst für deine Ermordung an Gaius leiden. Ein Mann, der seine Freunde tötet, ist weniger wert als ein Verräter. Du wirst uns um den Tod anbetteln, bevor wir mit dir fertig sind!“ Er erkannte den Mann als einen, der sich ihm und Gaius auf ihren nächtlichen Streifzügen durch die Tavernen angeschlossen hatte. „Ein Mann, der seine Karriere über sein Gewissen stellt, ist niedriger als Staub!“ schoss er zurück und gewann einen kräftigen Schlag für diese Antwort.  „Du bist ein Seianus – die Seianus‘ haben verräterisches Blut. Aber wir werden dieses Blut von der Oberfläche der Erde wegwischen.“  Lucius kämpfe wild, aber er hatte keine Chance, als sie ihn fortschleppten.  ***   Er schaute sich schockiert um. Das war nicht der Circus, aber er kannte diesen Ort. Wo war er? Plötzlich erkannte er, dass sie in den Gärten des Palastes waren. Eine Frau wurde ans Kreuz genagelt… sie schrie vor Schmerzen. Lucius wurde entlang einer langen Reihe von sterbenden Menschen gezogen. Einige hatten ihre letzte Würde verloren und sich selbst beschmutzt. Leises Stöhnen und stille Gebete erfüllten die Luft, unterbrochen von Hänseleien und dem Lachen der Prätorianer. Eigentümlich distanziert sah er, dass sie ihn zu einem Kreuz brachten und ihn zwangen, sich darauf zu legen. Sie trieben keine Nägel in seine Handgelenke, sondern fesselten ihn einfach daran. Das Gewicht dieser Position würde langsam die Muskeln zerreißen und sein Herz zerquetschen. Er grinste. Diesen Tod zu sterben war ziemlich amüsant. Er, ein Vampir, würde am Kreuz sterben. Was für eine wundervolle Ironie. Er schaute geradeaus, ignorierte das Lachen und die Bemerkungen der Prätorianer. Plötzlich sah er das Gesicht der Frau ihm gegenüber. „Mutter.“ Nein, dies konnte nicht wahr sein, seine Mutter hatte gelebt. Sie starb nicht solch einen Tod!  „Die barbarische Schlampe, die du Mutter nennst, stirbt dafür, dass sie einem Verräter und Mörder das Leben schenkte!“ Die Prätorianer brüllten vor Lachen.  Lucius sah zu seiner Mutter, flehte sie mit seinen Augen um ihre Vergebung an.  Plötzlich näherte sich ihr ein jüngerer Wächter, umklammerte die Füße seiner Mutter, zog grob daran. Lucius hörte das Knacken und wusste, dass ihr Brustkorb zerrissen war, dass sie endlich erlöst war. Er betrachtete den jungen Prätorianer, der das getan hatte, und fand zwei junge Augen, jener nickte ihm ruhig zu… Er hatte einen Freund innerhalb dieser Prätorianer, einen Freund, der seiner Mutter erlaubte, schnell zu sterben. Der Hauptmann schlug diesen und nannte ihn einen sentimentalen Schwächling, konnte aber nichts an dem ändern, was bereits geschehen war.   *   „Der Name meiner Mutter war ‚Leid‘ und ich brachte es über sie…“ Lucius stöhnte bei diesem Gedanken. Er fühlte sich schwindlig. Seine Lippen waren trocken und rissig. Seine Brust brannte und er wusste, dass seine Knochen langsam nachgaben. Die Prätorianer kamen zurück. Lucius hatte damit zu kämpfen, seine Augen zu öffnen, aber es gelang ihm. Sie führten Lydia und Natalie mit sich. Natalie kämpfte sich von ihren Geiselnehmern frei und rannte zu Lucius. „Lucius… bitte, bitte…“ Er spürte ihre Tränen. Der Wächter zog sie in eine raue Umarmung und streichelte sie grob vor Lucius. Er grinste zu Lucius hinauf. „Deine Huren werden an ein Bordell verkauft. Sie sind viel zu appetitlich, um im Circus zu enden. Sie werden unsere Männer dutzendweise bedienen, bis sie nicht mehr wissen, was sie bedienen, ein Pferd oder einen Mann.“ „Natalie, ich werde nicht sterben! Ich werde NICHT sterben!“ Er fing an zu brüllen. Er kämpfte mit dem Tod, er versuchte, sich selbst zu befreien, was völlig unmöglich war.  Dennoch bewirkte seine Raserei, dass die Wachen anhielten, schockiert, dass irgendein Wesen noch fähig war, in diesem Stadium mit dem Tod zu ringen. Lucius‘ Gesicht war vor Wut verzerrt, seine Handgelenke blutig, Blut an seinen Lippen, wo die weiche Haut geknackt hatte. Die Wachen wichen zurück. Für eine Sekunde fürchteten sie, dieser Wahnsinnige würde sich selbst befreien. Lucius hob seinen Kopf und brüllte in den Himmel hinauf. „Du Gott, du hast kein Recht, meine Schwester und meine Frau zu töten!!! Es kümmert mich nicht, was du mit mir tust oder ob ich verbrenne… aber sei nur ein einziges Mal nicht mein Feind… gib mir meine Kraft zurück, lass mich ihr Leben retten.“ Er schrie, er heulte zu diesem fremden Gott. Er fühlte Hass für diesen Gott, der seine Anhänger zu einem schrecklichen Tod verurteilte. Er war schlimmer als jeder Kaiser, schlimmer als Nero. „Gib mir meine Kraft zurück!“ Plötzlich hatte sein Herz zu schlagen aufgehört, seine Knochen wurden kalt und hohl. Seine ganze Gestalt wurde schlaff. Natalie schrie auf. Das Ringen hatte sein Herz zerrissen. „Lucius!“ Tränen rannen über ihr Gesicht. Sie berührte seine Füße, aber sie fühlten sich so kalt an.Der Prätorianer lachte und zog sie fort von ihrem Ehemann zu einem Wachhaus.   * Beide Frauen standen eng beieinander, die Wachen beobachtend, die sie mit schmutzigem Grinsen und wollüstigen Blicken ansahen. „Nun, ihr kleinen Christen-Huren, es wird interessant sein, ob ihr zu beten beginnt oder nicht, wenn wir euch nehmen, wenn die ganze Besatzung euch nimmt… Werdet ihr uns segnen, kleine Christinnen?“ Der Wächter lachte laut auf. Er kam näher… Natalie konnte den Wein in seinem Atem riechen. Sie versuchte, die jüngere Lydia zu schützen, indem sie sie mit ihrem eigenen Körper bedeckte, sie verteidigend vor diesen neugierigen Augen. Plötzlich ergriff eine Hand den Wächter und brach sein Genick. „Du wirst sie nicht berühren!“ Die Wächter schrien vor Entsetzen auf. Sie hatten ihn sterben sehen! Hier stand ein Dämon, dessen Gestalt in kaltem Feuer brannte, seine Zähne trieften von Blut und die Augen leuchteten… Lydia schrie. Dieser Dämon hatte das Gesicht ihres Bruders, aber es war grausam, voll von dem Hass, den er in der Sekunde seines Todes gefühlt hatte. Er ergriff einen anderen Wächter und drehte seinen Nacken, um an die Arterie heranzukommen. Sie sah ihn den Hals dieses Wächters zerreißen wie ein rasendes Tier und sein Blut trinken. Natalie hatte Nick Blut trinken sehen, aber niemals auf diese Weise. Nie ohne etwas Anstand… dies war nichts anderes als ein wildes Biest, eine rasende Furie aus der Hölle. Die anderen Wächter rangen ihren Schock nieder und versuchten, mit diesem Dämon zu kämpfen, aber er verteidigte seine Beute, und die Frauen wurden Zeuge, als er Knochen brach und Kehlen aufschlitzte mit dem Geschick und der Wut eines wilden Tigers, brüllend vor Zorn und Schmerz, bevor die Sonne hervorkam, und er war nicht völlig geschützt vor ihren brennenden Strahlen. Als er die Frauen anblickte, kam etwas von dem alten Lucius in das Biest zurück. „Natalie, nimm Lydia und lauf…“, knurrte er. Natalie gewann etwas von ihrer Gelassenheit zurück und griff auf dem Weg zur Tür nach der kleinen Lydia. Schockiert erkannte sie, dass die Kreuze seinen Weg überall blockierten. Die Sonne stieg immer noch auf und die Kreuze waren überall im Garten. Es gab keinen Weg für einen Vampir, um zu fliehen. Plötzlich fühlte sie Augen auf sich gerichtet. Sie schaute auf und sah einen Mann von einem umgedrehten Kreuz hängen. Es dauerte einen Moment, bevor sie das rote, geschwollene Gesicht als das des Petrus wiedererkannte. „Er ist Dunkelheit, aber er ist ebenso das Licht, das Licht des Kreuzes… fürchte dich nicht vor ihm“, gab der alte Mann mit einem heiseren Wispern von sich, schloss seine Augen wieder. Natalie schluchzte und fiel auf ihre Knie. Zwischen ihren Fingern, halb blind von ihren eigenen Tränen, sah sie Lucius. Er versuchte, ihnen zu folgen, aber seine Haut begann zu brennen, sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz vor der Gegenwart der Kreuze… er fing an, in Flammen aufzugehen. „Lucius!!!“ Natalie verlor das Bewusstsein… ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ [1] „Lucius! Nimmst du die hier anwesende Natalie als rechtmäßige Ehefrau nach dem Gesetze Roms und der Heiligen Mutter Kirche an?” – Ich denke, dass die Übersetzung ins Lateinische in Ordnung  ist… aber ich bat auch einen Freund, mir bei der lateinischen Formulierung zu helfen. – Übrigens nicht wundern, dass Lucius bei der lateinischen Formulierung mit „Lucie“ angesprochen wird. Im Lateinischen gibt es einen besonderen Fall, den Vokativ, der eine andere Endung hat, so dass aus Lucius bei der Anrede „Lucie“ wird. Besonders für englische Leser verwirrend. [2] „Volo = „Ich will!“ [3] Wie Fußnote 1, nur dass Natalie hier gefragt wird, ob sie Lucius als rechtmäßigen Ehemann annimmt. [4] „Ich verbinde euch in der Ehe.“ [5] Grundsätzlich heißt es „Komm mit“, hier bedeutet es: „Steh auf!“     -------------------- 9. Kapitel: Namenloses Kapitel -------------------- Natalie erwachte und starrte auf die kalten Lichter an der Decke. Die Wände waren weiß und sie hörte undeutliche Geräusche in der Ferne. Plötzlich war ein Gesicht über ihr. Ein unbekanntes Gesicht. „Ah, Dr. Lambert, Sie haben es endlich überstanden. Wir waren sehr besorgt.“ Es war Englisch! Sie würgte und schaute die Krankenschwester an. „Könnte ich etwas Wasser haben, bitte?“ Natalie hatte die Frage kaum hinbekommen. Die Krankenschwester nickte und ging fort, um den Doktor zu rufen und ihr Wasser zu holen. Der Traum war vorbei. Natalie fühlte Tränen in ihren Augen. Das war nicht fair. Lucius war zurückgeblieben in… Nein, es war nur ein Traum. Lucius hatte niemals existiert. Dennoch, warum dachte sie an ihn, seine Liebenswürdigkeit, die Weise, wie er sie berührte? All diese Dinge trieben Tränen in ihre Augen. Warum tat ihr Herz bei jedem Schlag weh? Nein, es war ein Traum. Lucius war ein Traum, ihre Hochzeit hatte in der Phantasie stattgefunden. Lucien Lacroix lebte, aber er war derselbe alte und niederträchtige Bastard, den jedermann fürchtete, sogar sein eigenes Kind. Sie drehte sich zu der Wand und ließ ihren Tränen freien Lauf, wo niemand sie sehen würde.    * „Natalie!“ Er fuhr auf und schaute rasend um sich. Aber seine Augen fanden nichts außer kalten, leeren Kissen. Sein Blick fiel auf seinen Wecker. Es kostete ihn Minuten, sich von diesem Anblick zu erholen.Er schloss wieder seine Augen und zwang sich, der Realität ins Gesicht zu sehen. Alles war nur ein eigenartiger Alptraum gewesen. Ein angenehmer Traum von einem Leben im Sonnenlicht, der ein Geschöpf der Nacht wie ihn quälte. Ein Schaudern lief über sein Rückgrat. Er erinnerte sich an seinen ‚Tod‘. Alles war so real gewesen. Aber er zwang sich selbst, auf die guten Erinnerungen zurückzublicken. Natalies Berührung, ihre Hand, die ihn streichelte, während sie sich liebten. Es war alles so real gewesen. Für eine Sekunde wünschte er, er könnte seine Augen erneut schließen, um ihren Körper nahe bei sich zu spüren, sie süßen Unsinn in sein Ohr flüstern zu hören. Aber die Uhr tickte weiter und verspottete ihn mit ihrem Klang. „So schrie der Rabe… niemals mehr…“, zitierte er Poe und zwang sich selbst aufzustehen und unter die Dusche zu gehen. Das warme Wasser wusch den blutigen Schweiß fort, der seinen Körper bedeckte und irgendwie klärte sich sein Verstand, aber immer noch überschwemmte ihn Bitterkeit wie das Wasser es tat. Warum nur hatte ihn der Traum vom Paradies verlassen? Könnte er jemals wieder Natalie ins Gesicht sehen, ohne zu verraten, was er für sie empfand? Er musste. Sie würde ihm ins Gesicht lachen und er würde letztendlich als ein völlig kompletter Narr dastehen. Niemand machte einen Narren aus Lacroix. Niemand! Er rief im Krankenhaus an und erkundigte sich heimlich nach der Gesundheit der Patientin, die er letzte Nacht abgeliefert hatte. Sie war vor einigen Stunden erwacht. Gut. Also würde Natalie Nicholas’ unsinnigen Angriff überleben. Das war wenigstens etwas.    *** Wochen vergingen und obwohl sich Lacroix nach Dr. Lamberts Genesung erkundigte, besuchte er sie nie oder ließ sie etwas über sein Interesse an ihrer Heilung wissen. Und nach einer Weile schien all dies nichts weiter als ein merkwürdiger Traum, langsam verblassend wie Tau im Licht der Dämmerung. Die Gäste des Raven mieden ihn. Lacroix war schlechter gelaunt als je zuvor. Er war praktisch immer in schlechter Stimmung. Vermutlich, weil Nicholas verschwunden war und er ihn nicht aufspüren konnte. Dieser Umstand verwandelten Lacroix in eine lebendige Atomfabrik, höchst gefährlich und sehr giftig.   * Lacroix saß an der Bar und trank ein Glas des ‚House special‘, als die Tür sich öffnete und Natalie Lambert den überfüllten Nachtclub betrat. Er versuchte, sie nicht anzustarren, sondern seine gleichgültige Haltung zu bewahren. Sie sah ihn und ging direkt auf den alten Vampir zu. „Lacroix, ich muss mit Ihnen sprechen.” Ihre Stimme war geschäftsmäßig.  „Meine liebe Dr. Lambert. Welch glücklichem Zufall verdanke ich das Vergnügen Ihrer Gegenwart?“ fragte er sanft mit seiner besten Nachtfalter-Stimme. Natalie schluckte. Das war nicht Lucius. Das war dieser verdammte Bastard, genannt Lucien Lacroix, ermahnte sie sich selbst. „Sie können mich mit Ihren Scherzen verschonen, Lacroix. Ich will nur wissen, ob Nick sich in letzter Zeit hat blicken lassen?“ „Das, meine liebe Frau Doktor, ist etwas, was ich negativ beantworten muss“, schnurrte Lacroix und nahm noch einen Schluck des Blutweins. „Nicholas sollte als Erwachsener betrachtet werden und hat demnach das Recht auf seine Privatsphäre“, fügte er mit gleicher Stimme hinzu. „Seit wann gestatten Sie Nick ein eigenes Leben?“ bellte Natalie, da das Adrenalin sie überschwemmte. In letzter Zeit verlor sie ihre Selbstbeherrschung sehr leicht. Abrupt drehte sich die junge Gerichtsmedizinerin um und war dabei, so schnell, wie sie gekommen war, aus dem Nachtclub zu verschwinden. Lacroix sah sie stolpern und griff instinktiv nach ihrem Arm, um ihr zu helfen, aber er hielt seine kalte Fassade nach außen hin aufrecht. „Ich nehme an, es geht Ihnen nicht gut?“ fragte er sanft, als er sie einen Moment lang hielt. „Nichts, was mich umbringen sollte… es gibt also keinen Grund für Sie, sich zu freuen“, antwortete sie bissig und kämpfte sich frei. „Ooohhh, meine liebe Dr. Lambert, ich glaube, Sie schätzen mich falsch ein“, neckte er sie und wunderte sich, wie leicht er in seine normale Haltung zurückfiel Natalie blickte ihn für den Bruchteil einer Sekunde an. Sie fühlte sich so einsam. Sie vermisste ihn. Aber wenn sie diese kalten Augen sah, ermahnte sie sich selbst, dass die Person, die sie vermisste, niemals existiert hatte. Die letzten Wochen hatte Natalie mit ihren Gefühlen gekämpft. Sie war verwirrt und ihr augenblicklicher Zustand schien ihre Stabilität nicht zu verbessern. Sie fühlte sich schwach. Sie fühlte sich wütend. Wütend auf Nicholas wegen dem, was er ihr angetan hatte, wütend auf sich selbst, weil sie unfähig war, einen seltsamen Traum zu vergessen. „Gut, Lacroix, falls Nicholas auftaucht, sagen Sie ihm, dass ich ihn sprechen muss. Dringend.“ „Ich werde Nicholas davon in Kenntnis setzen“, erwiderte er, als sie zum Ausgang brachte. Er forschte schnell durch ihr Inneres, aber die Geräusche im Raven und die vielen anderen Vampire beeinträchtigten ihn bei seiner Untersuchung. Etwas war nicht in Ordnung mit Natalie, aber er konnte nicht genau sagen, was es war. „Darf ich erfahren, welcher Art diese Nachricht ist?“ „Nein, Lacroix, dürfen Sie nicht. Es ist nicht Ihre Angelegenheit. Das ist nur etwas zwischen Nick und mir.“ Ihre Augen sahen ihn mit einem Ausdruck an, den er schwer zu deuten fand. Lacroix versuchte, Ruhe zu bewahren. „Sagen Sie mir, wenn er auftaucht?“ „Natürlich, Dr. Lambert“, erwiderte Lacroix rasch. Da war keine verlorene Liebe zwischen Nicholas‘ Gerichtsmedizinerin und Lucien Lacroix, befand er. „Ich werde dafür sorgen, dass Sie sicher nach Hause zurückkommen, Dr. Lambert“, bot er an. „Nein, danke, Lacroix. Ich bin kein Idiot“, zischte sie. Natalie hatte für den Rest ihres Lebens genug von Vampiren. Lacroix beobachtete, wie sie das Raven verließ.  *   Draußen vor dem Raven schluchzte Natalie unkontrolliert auf. Sie war so schrecklich wütend, dass es ihre Kehle zuschnürte. Sie wusste nicht, was sie empfand. Sie erinnerte sich an den Arzt, den sie an diesem Morgen wegen ihres eigentümlichen Zustandes aufgesucht hatte, wegen der Wellen der Übelkeit morgens, des Zitterns, der psychischen Instabilität. Sie hatte bereits Blutproben von sich selbst genommen, besorgt, dass sie irgendwie von dem Virus, der Sterbliche in Vampire verwandelte, infiziert war. Aber die Untersuchung ihres Blutes zeigte, dass es makellos war.   * Doktor Walter hatte sie untersucht und näherte sich ihr mit einem breiten Lächeln. „Natalie, es gibt absolut nichts, worüber Sie sich Sorgen machen sollten. Sie sind bei bester Gesundheit.“ „Wohl kaum, Richard. Ich bin krank, ich fühle mich merkwürdig.“ „Nun, Sie mögen Gerichtsmedizinerin sein, aber mit dem Lebendigen sind Sie nicht allzu vertraut. Gehen Sie nach Hause und erholen Sie sich. Alles ist in Ordnung. Aber kommen Sie mindestens einmal im Monat zu mir, damit ich sie untersuchen kann.“ „Also ist etwas nicht in Ordnung“, meinte Natalie rundheraus. „Alles ist in Ordnung, so wie ich es sagte. Aber wir müssen sichergehen, dass es für Ihr Baby weiterhin so bleibt.“ Dr. Lambert starrte ihn an, unfähig, ihren Ohren zu trauen. „Was?” „Sie sind schwanger, Natalie.”  ***************************************************************************   - Ende ? - Nein, nicht wirklich! Haltet Ausschau nach der Fortsetzung "Ich habe geträumt ...."   ******************** Am 22.3.2020 um 15:49 von Eisprinzessin auf StoryHub veröffentlicht (https://storyhub.de/?s=U%5Dif%C3%BC) ********************